Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut
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316 5. Der Piłsudski-Kult in historischer Perspektive 5.1. Charakteristika, Motive und Funktionen des Piłsudski-Kultes Die kultische Überhöhung einer Persönlichkeit geschieht nicht aus reinem Selbstzweck, sondern erfolgt aus politischen Zielsetzungen heraus. Für die Bewertung der Motive und Funktionen des Piłsudski-Kultes ist es wichtig, eine Verbindung von den Vermittlungsformen und dem im Kult transportierten Bild zu den „Initiatoren“ bzw. „Förderern“ herzustellen. Die einzelnen Motive und Funktionen sind eng miteinander verwoben und wechselseitig voneinander abhängig. Die im folgenden aufzuzeigenden Ziele und Funktionen des Piłsudski-Kultes werden daher nur aus systematischen Gründen differenziert dargestellt, wobei zunächst kurz auf seine einzelnen Entwicklungsphasen hingewiesen sei. Der staatlich geförderte Piłsudski-Kult begann mit dem Maiumsturz von 1926. Er steht jedoch in Kontinuität mit den Ausdrucks- und Vermittlungsformen sowie den Inhalten des Piłsudski-Bildes seit dem Ersten Weltkrieg. Daher lassen sich innerhalb des Kultes drei Entwicklungsstufen unterscheiden: Seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges setzte eine starke Verehrung Piłsudskis ein, die bis zum Maiumsturz zu einer Erhöhung seiner Persönlichkeit führte und zur politischen Propaganda für dessen Lager genutzt wurde, so daß eine oppositionelle Stimme diese schon 1917 als Kult bezeichnen konnte. Innerhalb dieser Phase lassen sich durch die Staatsgründung vom November 1918 und den Sieg im polnisch-sowjetrussischen Krieg von 1920 Zäsuren feststellen, die für die spätere Ausprägung des Piłsudski-Mythos von Bedeutung waren. Die Verehrung Piłsudskis führte nämlich in der Folgezeit zur Überbewertung seiner Leistungen und seiner Persönlichkeit hinsichtlich der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit Polens und der Festlegung der polnischen Staatsgrenzen, war aber aus Piłsudskis Sicht mit dem Zweck verbunden, den ihm ergebenen Gefolgsleuten und Soldaten eine dauerhafte Identifizierung zu ermöglichen und seit 1922 mit Hilfe dieser Gruppe eine eigene „Hausmacht“ aufzubauen. Zwischen den Jahren 1926 und 1935 wurde der Kult von staatlicher Seite durch die administrative Einführung von Piłsudski-Feiern allmählich institutionalisiert, was den maßgeblichen qualitativen Unterschied zum Kult in der Zeit vor 1926 ausmacht. In dieser Phase stellen die Jahre zwischen 1928 und 1930-1932 wichtige Etappen dar, weil Piłsudski mit dem im Jahre 1928 gegründeten BBWR im Sejm eine eigene
„Hausmacht“ etablieren konnte, wobei aber auch erste Schwächen des Regimes deutlich wurden. Außerdem wurde im Jahre 1928 das zehnjährige Bestehen der Zweiten Republik festlich begangen, deren Anfänge die Sanacja Piłsudski maßgeblich zugeschrieben hatte. Seitdem lassen sich eine Vielzahl von Benennungen von Straßen und Institutionen sowie der Bau von Denkmälern zu Ehren des Marschalls feststellen. Die rücksichtslose Ausschaltung der parlamentarischen Opposition im Zusammenhang mit der „Brester Affäre“ von 1930 offenbarte nicht nur die politischen Defizite des Regimes, sondern leitete den Übergang zu stark autoritären Zügen des Regierungssystems ein, während gleichzeitig die inneren Brüche der Sanacja immer deutlicher zutage traten. Zum Jahreswechsel 1930/31 erfolgte der völlige Rückzug Piłsudskis aus dem politischen Tagesgeschehen, während der Kult um ihn parallel dazu ausgebaut wurde. 1930 erschien der erste Band der Pisma – Mowy – Rozkazy, 1932 wurde durch die Schulreform das Piłsudski-Bild der Sanacja in die Schulbücher aufgenommen. Die Herausgabe der Schriften Piłsudskis bedeutete eine Kanonisierung seiner öffentlichen Äußerungen, während die Übernahme in die Schulbücher Ausdruck einer gesellschaftlichen Normierung dieser Aussagen und seines Wirkens war. Die führenden Politiker und Ideologen der Sanacja monumentalisierten daher in dieser Phase nicht nur die Persönlichkeit des Ersten Marschalls als diejenige eines charismatischen „Genius der Unabhängigkeit“, sondern bauten den Helden-Mythos um ihn weiter aus. In der Phase des Totenkultes, dessen Auftakt die Begräbnisfeierlichkeiten in Warschau und Krakau im Mai 1935 bildeten, fand schließlich die endgültige Mythisierung der Person des Marschalls statt, indem dieser einerseits den polnischen Königen durch den Ort seiner Grablege symbolisch gleichgesetzt wurde und andererseits die Vorstellung von Piłsudskis ideellem Testament den Mythos vervollständigte, was letztlich einer Apotheose des Marschalls als des unsterblichen Retters Polens gleichkam. Gleichzeitig wurde der Kult mit der Gründung des Obersten Gedächtniskomitees, aber auch mit der Schaffung des Piłsudski-Museums im Belweder und der Umbenennung des Forschungsinstituts für die Neueste Geschichte Polens (Instytut Badania Najnowszej Historii Polski) in Józef-Piłsudski-Institut (Instytut Józefa Piłsudskiego), vollkommen institutionalisiert. Innerhalb dieser vom 12. Mai 1935 bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges dauernden Phase drängten die politischen Annäherungsversuche des Lagers der Nationalen Einheit (OZN) an das oppositionelle Obóz Narodowo-Radykalny (National-radikales Lager) in den Jahren 1937/38 den Kult manchmal in der Rhetorik des OZN zurück, obwohl dessen programmatische Erklärungen deutlich machten, daß seine Vorstellungswelt auf Piłsudskis „Testament“ beruhte. Erst die Kriegsgefahr seit Anfang des Jahres 1939 ließ den Kult um den Ersten Marschall wieder zunehmen. Insofern erfuhr der Kult letztlich immer dann qualitative Veränderungen, wenn das Lager um Piłsudski durch dessen politische Abstinenz oder angegriffene Gesundheit bzw. Zurückgezogenheit Schwächephasen erfuhr und sich wie nach dem Maiumsturz oder nach dem 12. Mai 1935 erst etablieren bzw. konsolidieren mußte. Der Pił- 317
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„Hausmacht“ etablieren konnte, wobei aber auch erste Schwächen des Regimes deutlich<br />
wurden. Außerdem wurde im Jahre 1928 das zehnjährige Bestehen der Zweiten<br />
Republik festlich begangen, deren Anfänge die Sanacja <strong>Piłsudski</strong> maßgeblich zugeschrieben<br />
hatte. Seitdem lassen sich eine Vielzahl von Benennungen von Straßen <strong>und</strong><br />
<strong>Institut</strong>ionen sowie der Bau von Denkmälern zu Ehren des Marschalls feststellen. Die<br />
rücksichtslose Ausschaltung der parlamentarischen Opposition im Zusammenhang<br />
mit der „Brester Affäre“ von 1930 offenbarte nicht nur die politischen Defizite des<br />
Regimes, sondern leitete den Übergang zu stark autoritären Zügen des Regierungssystems<br />
ein, während gleichzeitig die inneren Brüche der Sanacja immer deutlicher zutage<br />
traten. Zum Jahreswechsel 1930/31 erfolgte der völlige Rückzug <strong>Piłsudski</strong>s aus<br />
dem politischen Tagesgeschehen, während der <strong>Kult</strong> um ihn parallel dazu ausgebaut<br />
wurde.<br />
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Schulreform das <strong>Piłsudski</strong>-Bild der Sanacja in die Schulbücher aufgenommen. Die<br />
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Äußerungen, während die Übernahme in die Schulbücher Ausdruck einer gesellschaftlichen<br />
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<strong>und</strong> Ideologen der Sanacja monumentalisierten daher in dieser Phase nicht nur<br />
die Persönlichkeit des Ersten Marschalls als diejenige eines charismatischen „Genius<br />
der Unabhängigkeit“, sondern bauten den Helden-Mythos um ihn weiter aus.<br />
In der Phase des Totenkultes, dessen Auftakt die Begräbnisfeierlichkeiten in Warschau<br />
<strong>und</strong> Krakau im Mai 1935 bildeten, fand schließlich die endgültige Mythisierung<br />
der Person des Marschalls statt, indem dieser einerseits den polnischen Königen<br />
durch den Ort <strong>seine</strong>r Grablege symbolisch gleichgesetzt wurde <strong>und</strong> andererseits die<br />
Vorstellung von <strong>Piłsudski</strong>s ideellem Testament den Mythos vervollständigte, was<br />
letztlich einer Apotheose des Marschalls als des unsterblichen Retters Polens gleichkam.<br />
Gleichzeitig wurde der <strong>Kult</strong> mit der Gründung des Obersten Gedächtniskomitees,<br />
aber auch mit der Schaffung des <strong>Piłsudski</strong>-Museums im Belweder <strong>und</strong> der Umbenennung<br />
des Forschungsinstituts für die Neueste Geschichte Polens (Instytut Badania<br />
Najnowszej Historii Polski) in Józef-<strong>Piłsudski</strong>-<strong>Institut</strong> (Instytut Józefa <strong>Piłsudski</strong>ego),<br />
vollkommen institutionalisiert. Innerhalb dieser vom 12. Mai 1935 bis zum Beginn<br />
des Zweiten Weltkrieges dauernden Phase drängten die politischen Annäherungsversuche<br />
des Lagers der Nationalen Einheit (OZN) an das oppositionelle Obóz<br />
Narodowo-Radykalny (National-radikales Lager) in den Jahren 1937/38 den <strong>Kult</strong><br />
manchmal in der Rhetorik des OZN zurück, obwohl dessen programmatische Erklärungen<br />
deutlich machten, daß <strong>seine</strong> Vorstellungswelt auf <strong>Piłsudski</strong>s „Testament“ beruhte.<br />
Erst die Kriegsgefahr seit Anfang des Jahres 1939 ließ den <strong>Kult</strong> um den Ersten<br />
Marschall wieder zunehmen.<br />
Insofern erfuhr der <strong>Kult</strong> letztlich immer dann qualitative Veränderungen, wenn<br />
das Lager um <strong>Piłsudski</strong> durch dessen politische Abstinenz oder angegriffene Ges<strong>und</strong>heit<br />
bzw. Zurückgezogenheit Schwächephasen erfuhr <strong>und</strong> sich wie nach dem Maiumsturz<br />
oder nach dem 12. Mai 1935 erst etablieren bzw. konsolidieren mußte. <strong>Der</strong> Pił-<br />
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