Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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verständnis bzw. Kenntnis 26 – die Aufstellung von Denkmälern und die Benennung von Straßen genehmigte 27 und daß der Marschall die massenhafte Verleihung von Ehrenbürgerschaften entgegennahm. 28 Bei der Namengebung achteten das Sekretariat und, wenn Schulen betroffen waren, das Kultusministerium darauf, daß die zu benennende Institution ein entsprechend hohes Niveau hatte. 29 Da Piłsudski sich selbst als die zentrale Persönlichkeit vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur endgültigen Unabhängigkeit Polens nach der Grenzfestlegung betrachtete und die historische Untersuchung dieses Zeitraumes für notwendig erachtete 30 , stimulierte er zumindest die Gründung des Instytut Badania Najnowszej Historii Polski durch seine Anhänger, das zu einer wesentlichen Institution des Kultes werden sollte. Weitere Indizien dafür ergeben sich aus dem Bemühen, möglichst viel Material über die Aktion von Bezdany zu sammeln 31 und eine von ihm beeinflußte Biographie 32 entstehen zu lassen. 26 So bezieht sich das Einverständnis Piłsudskis anläßlich der Benennung einer Schule auf die „Zustimmung des Herrn Marschalls“ („zgody Pana Marszałka“) vom 24.I.1929, in: CAW, GMSWojsk. I.300.1.21, n.pag. 27 Beispiele in: AAN, AJiAP, 15, B. 192 f., 290 f., 335-340, 393 f. (alles Genehmigungen); CAW, GMSWojsk., I.300.1.341, n.pag.; CAW, MSWojsk., I.300.1.20., n.pag. 28 Diese Verleihungen überschritten in ihrem Umfang das „normale“ Maß der Ehrungen einer verdienten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens (s.o. Kap. 3.2.5.3.). 29 Daher genehmigte das persönliche Sekretariat des Marschalls die Namengebung, obwohl das Kultusministerium (MWRiOP) erklärte, daß nur Schulen mit bester Ausstattung den Zusatz im. Marszałka Józefa Piłsudskiego („mit dem Namen Józef Piłsudski“ bzw. „Józef Piłsudski-...“) erhalten sollten. Ein Beispiel dafür, wie sich das Sekretariat gegenüber dem MWRiOP durchsetzte, war die Erlaubnis, im Dorf Donoszenie eine Schule nach dem Marschall zu benennen. Sie wurde erteilt, weil die polnische Bevölkerung des Dorfes Piłsudski spontan darum gebeten hatte. Vgl. AAN, AJiAP, 15, B. 582; zu diesem Komplex siehe auch CAW, GMSWojsk., I.300.1.21 (Gutachten des MWRiOP vom 24.II.1930, nach der Zustimmung Piłsudskis vom 24.I.1929). 30 Diese Haltung wurde nicht nur in den Poprawki historyczne deutlich, sondern beispielsweise auch im Vorwort zur zweiten Auflage des Rok 1920, in: Pisma Zbiorowe, Bd. 9, S. 94-96. 31 Vgl. W. JĘDRZEJEWICZ/CISEK, Bd. 3, S. 201 f.; POBÓG-MALINOWSKI, Najnowsza historia, Bd. 3, S. 330-333; SOKOLNICKI, Rok, S. 343 f. 32 Er wollte eine zutreffende Biographie hinterlassen, da er seine Person in den zeitgenössischen Biographien nicht wiedererkannte. Dafür führte er mit seinem Vertrauten, dem Historiker Artur Śliwiński, im Herbst 1931 vier Gespräche, in denen er grundlegende Elemente seiner Biographie vorgab. Er beabsichtigte jedoch, diese Biographie niemals zu korrigieren oder zu lesen. Diese Idee verwarf er jedoch nach diesen Gesprächen. Vgl. ŚLI- WIŃSKI, Marszałek; W. JĘDRZEJEWICZ, Life, S. 298-301; GARLICKI, Piłsudski, S. 626 ff.; W. JĘDRZEJEWICZ/CISEK, Bd. 3, S. 225-231. 306

Zwei Inszenierungen durch Piłsudski weisen zudem auf einen gewissen Anteil des Marschalls an dem Auftakt des Totenkultes 33 hin. Die Feierlichkeiten der nach Polen überführten sterblichen Überreste des romantischen Dichters Juliusz Słowacki im Juni 1927 und die Huldigung für König Jan III. Sobieski vom Oktober 1933 anläßlich des 250. Jahrestages der Schlacht auf dem Kahlenberg von 1683 antizipierten nämlich Piłsudskis eigene Beisetzungsfeierlichkeiten. Słowackis Sarg wurde nach seiner Ankunft in Polen zunächst in Warschau entgegengenommen und dann feierlich nach Krakau überführt. Den Höhepunkt stellte die Rede Piłsudskis 34 am Sarg Słowackis über den „König Geist“ 35 dar, die mit dem Befehl an die Sargträger endete, die sterblichen Überreste des Dichters in die Gruft des Wawels hinab zu tragen, damit er „den [polnischen] Königen“ 36 gleich werde. Diese Formulierung wurde in vielen Nachrufen und Nekrologen nach dem 12. Mai 1935 immer wieder im Zusammenhang mit Piłsudskis Grablege im Wawel zitiert. Die Huldigungsfeier für König Jan III. Sobieski im Wawel, die Piłsudski sorgfältig vorbereitet hatte 37 , offenbarte seine Überzeugung, die sich auch in seinen Verlautbarungen über den Krieg mit der Roten Armee gezeigt hatte, ebenso wie einst Jan Sobieski Polen und Europa vor der osmanischen bzw. sowjetrussischen Gefahr gleichsam als antemurale christianitatis gerettet zu haben. Die starken Eindrücke, die diese Feier hinterließ, waren zweifelsohne bei der Inszenierung der Begräbnisfeierlichkeiten Piłsudskis noch präsent. Das Selbstverständnis Piłsudskis korrespondierte daher mit der Akzeptanz von öffentlichen Huldigungen, die ihn als besondere Persönlichkeit herausstellten. Charakteristisch für die Haltung Piłsudskis ist also, daß er die Grundlagen seines Kultes und Mythos in Form von publizistischen Äußerungen zu Lebzeiten vorbereitete. Dienten diese vor allem der Durchsetzung und Rechtfertigung seines politischen Willens und Handelns, so enthüllte er damit zugleich ein Selbstbild, das wiederum die wesentlichen Elemente für das Piłsudski-Bild seiner Anhänger und damit für den Mythos lieferte. Andererseits förderten und verbreiteten seine ihm ergebenen Anhänger den Piłsudski-Mythos ihrerseits. Ohne dies durch entsprechende Äußerungen Piłsudskis eindeutig belegen zu können, ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß Piłsudski den Kult um seine Person in der Zweiten Republik stillschweigend billigte, wenn nicht gar förderte, zumal er sich während seiner Tätigkeit in der Ersten Brigade bewußt am Aufbau seiner Legende beteiligt hat. Diese Vermutung erscheint 33 W. JĘDRZEJEWICZ, Wspomnienia, S. 253, merkt an, daß die Begräbnisfeierlichkeiten Piłsudskis bis zu einem gewissen Grade die Sobieski-Huldigung von 1933 wiederholten. 34 GARLICKI, Piłsudski, S. 445 f., bezeichnet Piłsudskis Rede über historische Größe als die beste, die er jemals gehalten habe. 35 „Król Duch“ (Rede bei der Beisetzung des Leichnams Słowackis im Wawel am 28.VI. 1927, in: Pisma Zbiorowe, S. 76). 36 „królom [...] równy“ (ebenda). 37 GARLICKI, Piłsudski, S. 685, berichtet, wie Piłsudski Staatspräsident Mościcki die Aufstellung der teilnehmenden Personen in der Leonardsgruft erklärte. 307

verständnis bzw. Kenntnis 26 – die Aufstellung von Denkmälern <strong>und</strong> die Benennung<br />

von Straßen genehmigte 27 <strong>und</strong> daß der Marschall die massenhafte Verleihung von Ehrenbürgerschaften<br />

entgegennahm. 28 Bei der Namengebung achteten das Sekretariat<br />

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Da <strong>Piłsudski</strong> sich selbst als die zentrale Persönlichkeit vom Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

bis zur endgültigen Unabhängigkeit Polens nach der Grenzfestlegung betrachtete<br />

<strong>und</strong> die historische Untersuchung dieses Zeitraumes für notwendig erachtete 30 , stimulierte<br />

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durch <strong>seine</strong> Anhänger, das zu einer wesentlichen <strong>Institut</strong>ion des <strong>Kult</strong>es werden sollte.<br />

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entstehen zu lassen.<br />

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Beispiele in: AAN, AJiAP, 15, B. 192 f., 290 f., 335-340, 393 f. (alles Genehmigungen);<br />

CAW, GMSWojsk., I.300.1.341, n.pag.; CAW, MSWojsk., I.300.1.20., n.pag.<br />

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Diese Verleihungen überschritten in ihrem Umfang das „normale“ Maß der Ehrungen einer<br />

verdienten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens (s.o. Kap. 3.2.5.3.).<br />

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Daher genehmigte das persönliche Sekretariat des Marschalls die Namengebung, obwohl<br />

das <strong>Kult</strong>usministerium (MWRiOP) erklärte, daß nur Schulen mit bester Ausstattung den<br />

Zusatz im. Marszałka Józefa <strong>Piłsudski</strong>ego („mit dem Namen Józef <strong>Piłsudski</strong>“ bzw. „Józef<br />

<strong>Piłsudski</strong>-...“) erhalten sollten. Ein Beispiel dafür, wie sich das Sekretariat gegenüber dem<br />

MWRiOP durchsetzte, war die Erlaubnis, im Dorf Donoszenie eine Schule nach dem<br />

Marschall zu benennen. Sie wurde erteilt, weil die polnische Bevölkerung des Dorfes <strong>Piłsudski</strong><br />

spontan darum gebeten hatte. Vgl. AAN, AJiAP, 15, B. 582; zu diesem Komplex<br />

siehe auch CAW, GMSWojsk., I.300.1.21 (Gutachten des MWRiOP vom 24.II.1930,<br />

nach der Zustimmung <strong>Piłsudski</strong>s vom 24.I.1929).<br />

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Diese Haltung wurde nicht nur in den Poprawki historyczne deutlich, sondern beispielsweise<br />

auch im Vorwort zur zweiten Auflage des Rok 1920, in: Pisma Zbiorowe, Bd. 9, S.<br />

94-96.<br />

31<br />

Vgl. W. JĘDRZEJEWICZ/CISEK, Bd. 3, S. 201 f.; POBÓG-MALINOWSKI, Najnowsza historia,<br />

Bd. 3, S. 330-333; SOKOLNICKI, Rok, S. 343 f.<br />

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Er wollte eine zutreffende Biographie hinterlassen, da er <strong>seine</strong> Person in den zeitgenössischen<br />

Biographien nicht wiedererkannte. Dafür führte er mit <strong>seine</strong>m Vertrauten, dem Historiker<br />

Artur Śliwiński, im Herbst 1931 vier Gespräche, in denen er gr<strong>und</strong>legende Elemente<br />

<strong>seine</strong>r Biographie vorgab. Er beabsichtigte jedoch, diese Biographie niemals zu<br />

korrigieren oder zu lesen. Diese Idee verwarf er jedoch nach diesen Gesprächen. Vgl. ŚLI-<br />

WIŃSKI, Marszałek; W. JĘDRZEJEWICZ, Life, S. 298-301; GARLICKI, <strong>Piłsudski</strong>, S. 626 ff.;<br />

W. JĘDRZEJEWICZ/CISEK, Bd. 3, S. 225-231.<br />

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