Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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Wissenschaften belegt. Darin heißt es, daß der Kult um Piłsudski nach dessen Tode nicht abgenommen habe, sondern stärker geworden sei. 77 Der Begriff kult Piłsudskiego wurde nicht nur im Zusammenhang mit der Entwicklung des Bildungsideals der Sanacja von der Regierung sanktioniert, sondern auch als Ministerpräsident Felicjan Sławoj-Składkowski im Sommer 1937 erklärte, daß durch die Vorfälle im Rahmen des „Wawel-Konflikts“ der „Kult für den Marschall“ 78 verletzt worden sei, und als er im Frühjahr 1938 das Gesetz für den Schutz des Namens Piłsudskis damit begründete, daß dieser Kult nicht beschädigt werden dürfe. 79 In dieser terminologischen Kontinuität steht der Gebrauch des Wortes Kult in der Piłsudski-nahen Emigration im und nach dem Zweiten Weltkrieg, denn für sie, die sich vor allem um die Piłsudski-Institute in New York und London gruppierte, war und ist die Verehrung Piłsudskis ein unverzichtbares Element ihres Selbstverständnisses. So sprach sich beispielsweise Oberst Józef Weisbach 80 in Anbetracht der persönlichen Leistungen des Marschalls und angesichts seiner historischen Verdienste um Polen eindeutig für eine weitere Verwendung des Begriffes aus, auch wenn das Wort Kult in anderen historisch-politischen Zusammenhängen als mit negativen Konnotationen versehen empfunden würde. Am deutlichsten wird diese positive Sichtweise bei einer Äußerung des Piłsudski-Biographen Władysław Pobóg-Malinowski: „Für den Kommandanten [Piłsudski] habe ich den tiefsten und reinsten Kult [...].“ 81 Diese positive Verwendung des Begriffes Kult verschwand jedoch innerhalb des polnischen Exils mit der älteren Generation der Zweiten Republik fast völlig, weil Jüngere vor allem die Begriffe Mythos oder Legende verwenden. 82 Jedoch finden sich nach 1989 wieder Belege für eine positive Verwendung des Begriffs in Polen. 83 Die auflagenstarke oppositionelle, nationaldemokratisch orientierte Gazeta Warszawska („Warschauer Zeitung“) benutzte dagegen den Begriff Kult im Zusammenhang mit der Sanacja, um deren Herrschaftssystem zu diskreditieren. 84 So überschrieb 77 WERESZYCKI, Piłsudski, S. 261 f. 78 Vgl. Gazeta Polska vom 24.VI.1937 (s. Quelle im Anhang 3). 79 Vgl. Polska Zbrojna vom 16.III.1938 (s. Quelle im Anhang 3). 80 Vgl. WEISBACH, vor allem S. 299-309. 81 „Dla Komendanta mam najgłębszy, najczystszy kult“ (Pobóg-Malinowski an Michał Sokolnicki am 21.XII.1947, in: IJPA, AMS, 45, n.pag. Vgl. auch WERESZYCKI, Wobec Piłsudskiego, S. 693. 82 Z.B. W blasku legendy. 83 Vgl. Piłsudczyk („Der Piłsudskist“) 7 (1995), H. 14, S. 12; vgl. auch: Piłsudczyk 7 (1995), H. 15-16, S. 24 f. 84 Daß die Nationaldemokratie dem Begriff Kult nicht nur in einem pejorativen Sinne und im Rahmen ihrer Kritik an der Sanacja, sondern auch mit deutlich wohlwollenden Konnotationen zur Würdigung ihrer eigenen Leistungen verwendete, zeigt ein Kommentar des Warszawski Dziennik Narodowy („Warschauer Nationales Tageblatt“) anläßlich des Todes des 17

sie z.B. einen Artikel über die Beförderung des Generals Wacław Wygand- Grzybowski mit kult niekompetencji („Kult der Nichtkompetenz“) und kritisierte gleichzeitig den kult ‚sanacji moralnej‘ („Kult der ‚moralischen Gesundung‘“). 85 Seit 1928 gehörte der Begriff kult zum häufig benutzten Vokabular der Presseberichterstattung über die Piłsudski-Feiern. Sie prangerte 1928 ein Delegiertentreffen des Związek Legionistów Polskich (Verband Polnischer Legionäre, ZLP) mit den Worten an, daß dieser außer Vaterlandsliebe und dem „Kult für seinen [aus der Perspektive des Festredners Sławek] Schöpfer [Piłsudski]“ 86 keine weitergehenden politischen Vorstellungen habe. 1930 findet sich in einem Artikel der Gazeta Warszawska der Begriff kult jednostki („Personenkult“). 87 Die Begriffe Piłsudski-Kult und Piłsudski-Legende wurden in der wissenschaftlichen Literatur der Volksrepublik, aber auch teilweise in den Jahren nach der politischen Wende von 1989 vor allem genutzt, um Piłsudski und die ihn tragende politisch-ideologische Gruppe in Mißkredit zu bringen. 88 Der Begriff Kult wird dabei überwiegend dann verwendet, wenn die wachsende Propaganda des Lagers, die zunehmende Verehrung und der Popularitätsgewinn Piłsudskis charakterisiert werden. Dieses gilt beispielsweise für Tomasz Nałęcz, der auf diese Weise die Propaganda der Polska Organizacja Wojskowa (Polnische Heeresorganisation, POW) im Ersten Weltkrieg beschreibt 89 und für Andrzej Garlicki, der den Begriff kult zur Kennzeichnung der wachsenden Verehrung Piłsudskis durch die Piłsudczycy im Ersten Weltkrieg und nach dem Maiumsturz von 1926 nutzt. 90 politisch-geistigen Führers der Nationaldemokratie Roman Dmowski, der unter dem Titel Dookoła kultu Dmowskiego („Um den Dmowski-Kult“) erschien. „Der Dmowski-Kult ist ein Bedürfnis der polnischen Seele [...].“ („Kult Dmowskiego jest potrzebą duszy polskiej [...]“, Warszawski Dziennik Narodowy vom 12.II.1939) und daher ein Ausdruck der Dankbarkeit des Volkes für den Wiederaufbau von Staat und Politik in Polen. 85 Vgl. Gazeta Warszawska vom 27.VI.1926; weitere Artikel in der Gazeta Warszawska, in denen die Sanacja mit dem Begriff kult kritisiert wird: Gazeta Warszawska vom 7.IX.1926 „po podniesieniu kultu pracy w Polsce“ („Nach der Wandlung zum Kult der Arbeit in Polen“) oder Gazeta Warszawska vom 19.X.1926 „Kult braku kompetencji“ („Kult des Mangels an Kompetenzen“). Vgl. auch die Artikel Gazeta Warszawska vom 22.I.1932 und vom 21.II.1932 über die Schulpolitik der Sanacja. 86 „kult dla swego twórcy“ (Gazeta Warszawska vom 8.XII.1928). 87 Vgl. Gazeta Warszawska vom 22.III.1930, vom 20.IX.1931 sowie die Rede des Senators Jabłonowski, zit. nach: Gazeta Warszawska vom 2.III.1932. Siehe auch Gazeta Warszawska vom 19.III.1932, vom 20.VIII.1933 und Warszawski Dziennik Narodowy vom 28.X.1935. 88 Siehe dazu auch die Erörterungen über den Forschungsstand (Kap. 1.2.). 89 T. NAŁĘCZ, POW, S. 47 und 237. 90 Vgl. GARLICKI, Piłsudski, S. 173 und 444. 18

Wissenschaften belegt. Darin heißt es, daß der <strong>Kult</strong> um <strong>Piłsudski</strong> nach dessen Tode<br />

nicht abgenommen habe, sondern stärker geworden sei. 77<br />

<strong>Der</strong> Begriff kult <strong>Piłsudski</strong>ego wurde nicht nur im Zusammenhang mit der Entwicklung<br />

des Bildungsideals der Sanacja von der Regierung sanktioniert, sondern<br />

auch als Ministerpräsident Felicjan Sławoj-Składkowski im Sommer 1937 erklärte,<br />

daß durch die Vorfälle im Rahmen des „Wawel-Konflikts“ der „<strong>Kult</strong> für den Marschall“<br />

78 verletzt worden sei, <strong>und</strong> als er im Frühjahr 1938 das Gesetz für den Schutz<br />

des Namens <strong>Piłsudski</strong>s damit begründete, daß dieser <strong>Kult</strong> nicht beschädigt werden<br />

dürfe. 79<br />

In dieser terminologischen Kontinuität steht der Gebrauch des Wortes <strong>Kult</strong> in der<br />

<strong>Piłsudski</strong>-nahen Emigration im <strong>und</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg, denn für sie, die<br />

sich vor allem um die <strong>Piłsudski</strong>-<strong>Institut</strong>e in New York <strong>und</strong> London gruppierte, war<br />

<strong>und</strong> ist die Verehrung <strong>Piłsudski</strong>s ein unverzichtbares Element ihres Selbstverständnisses.<br />

So sprach sich beispielsweise Oberst Józef Weisbach 80 in Anbetracht der persönlichen<br />

Leistungen des Marschalls <strong>und</strong> angesichts <strong>seine</strong>r historischen Verdienste um<br />

Polen eindeutig für eine weitere Verwendung des Begriffes aus, auch wenn das Wort<br />

<strong>Kult</strong> in anderen historisch-politischen Zusammenhängen als mit negativen Konnotationen<br />

versehen empf<strong>und</strong>en würde. Am deutlichsten wird diese positive Sichtweise bei<br />

einer Äußerung des <strong>Piłsudski</strong>-Biographen Władysław Pobóg-Malinowski: „Für den<br />

Kommandanten [<strong>Piłsudski</strong>] habe ich den tiefsten <strong>und</strong> reinsten <strong>Kult</strong> [...].“ 81 Diese positive<br />

Verwendung des Begriffes <strong>Kult</strong> verschwand jedoch innerhalb des polnischen Exils<br />

mit der älteren Generation der Zweiten Republik fast völlig, weil Jüngere vor allem<br />

die Begriffe Mythos oder Legende verwenden. 82 Jedoch finden sich nach 1989<br />

wieder Belege für eine positive Verwendung des Begriffs in Polen. 83<br />

Die auflagenstarke oppositionelle, nationaldemokratisch orientierte Gazeta Warszawska<br />

(„Warschauer Zeitung“) benutzte dagegen den Begriff <strong>Kult</strong> im Zusammenhang<br />

mit der Sanacja, um deren Herrschaftssystem zu diskreditieren. 84 So überschrieb<br />

77<br />

WERESZYCKI, <strong>Piłsudski</strong>, S. 261 f.<br />

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Vgl. Gazeta Polska vom 24.VI.1937 (s. Quelle im Anhang 3).<br />

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Vgl. Polska Zbrojna vom 16.III.1938 (s. Quelle im Anhang 3).<br />

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Vgl. WEISBACH, vor allem S. 299-309.<br />

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„Dla Komendanta mam najgłębszy, najczystszy kult“ (Pobóg-Malinowski an Michał<br />

Sokolnicki am 21.XII.1947, in: IJPA, AMS, 45, n.pag. Vgl. auch WERESZYCKI, Wobec<br />

<strong>Piłsudski</strong>ego, S. 693.<br />

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Z.B. W blasku legendy.<br />

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Vgl. Piłsudczyk („<strong>Der</strong> <strong>Piłsudski</strong>st“) 7 (1995), H. 14, S. 12; vgl. auch: Piłsudczyk 7 (1995),<br />

H. 15-16, S. 24 f.<br />

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Daß die Nationaldemokratie dem Begriff <strong>Kult</strong> nicht nur in einem pejorativen Sinne <strong>und</strong> im<br />

Rahmen ihrer Kritik an der Sanacja, sondern auch mit deutlich wohlwollenden Konnotationen<br />

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