Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut
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3.3. Hauptelemente des Piłsudski-Mythos Während die Piłsudski-Feiern als wesentliche Vermittlungsform des Kultes vor allem dessen rituellen Aspekt repräsentierten, stellten Denkmäler, Symbolträger wie Briefmarken und Benennungen von Institutionen und Straßen bildhaft die Vorstellungen des Regierungslagers über Piłsudski dar. Die historischen Würdigungen in Presse, Rundfunk und Film sowie die wissenschaftlichen bzw. publizistischen Veröffentlichungen über Piłsudski und die Schulbücher vermittelten in verbaler Form Aspekte des Piłsudski-Mythos. 983 Ein Mythos entsteht immer dann, wenn subjektiv spektakuläre, nicht alltägliche Ereignisse eintreten und über sie berichtet wird. Die Urteile über ein solches historisches Ereignis oder eine Person, die sich auch in der Geschichtsschreibung wiederfinden, sind dabei in der Regel weder durch Quellen noch durch neueste wissenschaftliche Forschungsergebnisse abgesichert. Statt dessen werden sie durch bestimmte Überlieferungen als authentisch eingeschätzt. 984 Da das Verhältnis zwischen Mythos und Realität graduell abgestuft ist, hat sich die Historiographie mit einer besonderen Kontinuität zu beschäftigen. Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß historische Sachverhalte, Personen oder Ereignisse, die (noch nicht) Gegenstand von Mythen geworden sind, mit mythenbehafteter Geschichte verknüpft und gleichzeitig selbst Ausgangspunkt für eine Mythenbildung sein können. Aus den Vorstellungen von einer bedeutenden historischen Leistung kann auch aus dem Gedanken einer kollektiven nationalen oder anderen gesellschaftspolitischen „Mission“ die Verpflichtung abgeleitet werden, diese auch gegenwärtig und in Zukunft zu verwirklichen, weiterzuentwickeln und ihrer würdig zu sein. 985 Im Geschichtsbewußtsein sind Mythen nämlich eine „Heroengalerie und Leistungsschau“ 986 und dienen der Selbstbestätigung und -identifizierung einer um ihr Ansehen ringenden sozialen Gruppe. Dies bedeutet, daß ein bestimmtes von Mythen beeinflußtes Geschichtsbild als Ideologie der Selbstvergewisserung und Selbstrechtfertigungsideologie nur auf der Auswahl bestimmter Perioden und Momente bzw. Motive aus der eigenen Geschichte beruhen kann. 987 983 Vgl. zu den Bildern auch HAUSER; D. NAŁĘCZ/T. NAŁĘCZ; CIOMPA. Hier sei auch auf die diesbezüglich exemplarisch ausgewählten Quellen (im Anhang) und die teilweise sehr prägnanten Leitartikel der Zeitungen verwiesen. Die hier vorgenommene Trennung erfolgt aus systematischen Gründen. In der zeitgenössischen Propaganda fand eine solche Differenzierung jedoch nicht statt, sondern jeder Aspekt des Mythos griff in die jeweils anderen über und baute auf ihnen auf. 984 Vgl. TOPOLSKI, Mythen, S. 28. 985 Vgl. ebenda, S. 38. 986 Ebenda, S. 37. 987 Vgl. ebenda, S. 37 und 43 f. 270
Für die Sanacja bzw. sein Lager bot sich Piłsudski vor 1926 zur Mythenbildung fast zwangsläufig an, weil er ihr unumstrittener Führer war und die einzige programmatische Gemeinsamkeit aller in ihr vertretenen Gruppierungen herstellte, zumal er wegen seiner konspirativen Tätigkeit, seiner spärlichen Äußerungen über sich selbst und nicht zuletzt wegen seines unbeugsamen Willens für seine Zeitgenossen nur schwer zu verstehen war. Nur über die Person Piłsudskis konnte die Sanacja zu Gemeinsamkeiten finden und sich über die mythenbehaftete Darstellung seiner außergewöhnlichen Leistungen bei der Bevölkerung Legitimität verschaffen. Die Ansichten der Sanacja und auch ihrer Nachfolger im Exil über den Marschall sind insgesamt vielschichtig. Da seine Anhänger von Beginn an in politischer Hinsicht gespalten waren, wählte jede Gruppierung ihre „eigenen“ Akzente aus der Biographie Piłsudskis aus. 988 Im folgenden soll jedoch das „offiziell“ vertretene Bild der Sanacja über Piłsudski erläutert werden. In den Quellen finden sich zwar keine diesbezüglichen Anweisungen, jedoch läßt sich feststellen, daß in den Laudationes, Nachrufen und anderen biographischen Würdigungen des Piłsudski-Lagers bzw. seiner Presseorgane und in den staatlichen Schulbüchern seit 1932 ein einheitliches Bild Piłsudskis gezeichnet wurde. Dabei war die Schwerpunktsetzung vom jeweiligen Adressatenkreis abhängig. 989 So legten etwa militärische Publikationen das Schwergewicht auf den militärischen Aspekt des Wirkens Piłsudskis. Je nach Adressat unterschied sich auch das sprachliche und inhaltliche Niveau, wie beispielsweise die Texte von Schulbüchern, Geschichtserzählungen für Kinder oder die Zeitschrift Płomyk verdeutlichen. Zweifellos haben die gesamtnationalen Piłsudski-Gedenkprojekte des Obersten Gedächtniskomitees, die vom Instytut Badania Najnowszej Historii Polski bzw. Piłsudski-Institut geförderten und herausgegebenen Publikationen, Festschriften von Institutionen anläßlich der Piłsudski-Feiern, die politische Symbolik während der Sanacja-Herrschaft, die von der Regierung genehmigten Schulbücher und nicht zuletzt die regierungsnahen Medien zum Piłsudski-Bild beigetragen. Da diese Institutionen bzw. Veröffentlichungen 988 Z.B. für die Arbeiter PLUSKOWSKI. In diesem auf niedrigem intellektuellen Niveau gehaltenen Vortragsmuster mit verschiedenen Rezitationen wird Piłsudski beispielsweise auch als „Führer dieser kämpfenden Arbeiterklasse“ („wódz tej walczącej klasy robotniczej“, ebenda, S. 8) bezeichnet. Ein anderes Beispiel für solche Akzentverschiebungen ist: „Ce que le feminisme polonais doit au Marechal Piłsudski“, in: La femme polonaise, Nr. 3 (1935), S. 14 f. 989 Vgl. CIOMPA, S. 84. So bezeichnete z.B. die Liga Morska i Kolonjalna (Meeres- und Kolonialliga) in ihrem Traueraufruf Piłsudski als ihren geistigen Führer, zumal er der Marine 1926/27 ein erstes U-Boot geschenkt habe (in: Światowid vom 25.V.1935, in: APK, IT 1063, n.pag.). 271
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3.3. Hauptelemente des <strong>Piłsudski</strong>-Mythos<br />
Während die <strong>Piłsudski</strong>-Feiern als wesentliche Vermittlungsform des <strong>Kult</strong>es vor allem<br />
dessen rituellen Aspekt repräsentierten, stellten Denkmäler, Symbolträger wie Briefmarken<br />
<strong>und</strong> Benennungen von <strong>Institut</strong>ionen <strong>und</strong> Straßen bildhaft die Vorstellungen<br />
des Regierungslagers über <strong>Piłsudski</strong> dar. Die historischen Würdigungen in Presse,<br />
R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong> Film sowie die wissenschaftlichen bzw. publizistischen Veröffentlichungen<br />
über <strong>Piłsudski</strong> <strong>und</strong> die Schulbücher vermittelten in verbaler Form Aspekte<br />
des <strong>Piłsudski</strong>-Mythos. 983<br />
Ein Mythos entsteht immer dann, wenn subjektiv spektakuläre, nicht alltägliche<br />
Ereignisse eintreten <strong>und</strong> über sie berichtet wird. Die Urteile über ein solches historisches<br />
Ereignis oder eine Person, die sich auch in der Geschichtsschreibung wiederfinden,<br />
sind dabei in der Regel weder durch Quellen noch durch neueste wissenschaftliche<br />
Forschungsergebnisse abgesichert. Statt dessen werden sie durch bestimmte<br />
Überlieferungen als authentisch eingeschätzt. 984 Da das Verhältnis zwischen<br />
Mythos <strong>und</strong> Realität graduell abgestuft ist, hat sich die Historiographie mit einer besonderen<br />
Kontinuität zu beschäftigen. Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß historische<br />
Sachverhalte, Personen oder Ereignisse, die (noch nicht) Gegenstand von Mythen<br />
geworden sind, mit mythenbehafteter Geschichte verknüpft <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
selbst Ausgangspunkt für eine Mythenbildung sein können. Aus den Vorstellungen<br />
von einer bedeutenden historischen Leistung kann auch aus dem Gedanken einer kollektiven<br />
nationalen oder anderen gesellschaftspolitischen „Mission“ die Verpflichtung<br />
abgeleitet werden, diese auch gegenwärtig <strong>und</strong> in Zukunft zu verwirklichen, weiterzuentwickeln<br />
<strong>und</strong> ihrer würdig zu sein. 985 Im Geschichtsbewußtsein sind Mythen<br />
nämlich eine „Heroengalerie <strong>und</strong> Leistungsschau“ 986 <strong>und</strong> dienen der Selbstbestätigung<br />
<strong>und</strong> -identifizierung einer um ihr Ansehen ringenden sozialen Gruppe. Dies bedeutet,<br />
daß ein bestimmtes von Mythen beeinflußtes Geschichtsbild als Ideologie der<br />
Selbstvergewisserung <strong>und</strong> Selbstrechtfertigungsideologie nur auf der Auswahl bestimmter<br />
Perioden <strong>und</strong> Momente bzw. Motive aus der eigenen Geschichte beruhen<br />
kann. 987<br />
983<br />
Vgl. zu den Bildern auch HAUSER; D. NAŁĘCZ/T. NAŁĘCZ; CIOMPA. Hier sei auch auf die diesbezüglich<br />
exemplarisch ausgewählten Quellen (im Anhang) <strong>und</strong> die teilweise sehr prägnanten<br />
Leitartikel der Zeitungen verwiesen. Die hier vorgenommene Trennung erfolgt aus systematischen<br />
Gründen. In der zeitgenössischen Propaganda fand eine solche Differenzierung jedoch<br />
nicht statt, sondern jeder Aspekt des Mythos griff in die jeweils anderen über <strong>und</strong> baute auf ihnen<br />
auf.<br />
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Vgl. TOPOLSKI, Mythen, S. 28.<br />
985<br />
Vgl. ebenda, S. 38.<br />
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Ebenda, S. 37.<br />
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Vgl. ebenda, S. 37 <strong>und</strong> 43 f.<br />
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