Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

Marschall die Bestrebungen, Hoffnungen und Traditionen der Gesellschaft erkannt
habe. Im Gegensatz dazu kritisierte die nationaldemokratische Gazeta Warszawska
die Feierlichkeiten. Obwohl sie einen spontanen und gesellschaftlich umfassenden
Charakter hätten annehmen sollen, müßten sie von „ad hoc geschaffenen Komitees
mit wichtigen Leuten, die keiner als solche ansah“ 890 , inszeniert werden. Damit traf
sie wohl den Kern. Dies läßt sich einerseits aus dem Druck auf diejenigen, die nicht
mitfeiern wollten 891 , und andererseits aus den zwischen den Wojewoden und Starosten
abgestimmten Programmen schließen. 892
Zum Namenstag des Jahres 1928, also kurz nach der Gründung des BBWR und
den Sejm- und Senatswahlen, erreichten die im folgenden noch zu erläuternden Würdigungen
Piłsudskis als dem Schöpfer des polnischen Heeres und Wiedererrichter Polens
893 in den regierungsnahen Zeitungen einen ersten Höhepunkt. Beispielsweise
forderte der Głos Prawdy alle Polen auf, dem Ruf Piłsudskis zu folgen 894 , und stellte
fest, daß der Krieg gegen die innere und äußere Front noch nicht beendet sei. 895 Begründet
wurden die Feiern damit, daß der Name Piłsudskis als ein Name geehrt werden
müsse, der aus dem „Verlangen nach Polen erwuchs“ 896 .
Der Marschall erhielt 1929 ein ungewöhnliches Geschenk zum Namenstag von
den POW-Angehörigen (Peowiacy), die eine Million Złoty für seinen Dispositionsfonds
zusammengetragen hatten, nachdem der Sejm diesen aufgrund der politischen
Auseinandersetzung mit Piłsudski aus dem Budget gestrichen hatte. Auch zumindest
noch im Folgejahr wurde dafür anläßlich des 19. März gesammelt. 897 Diese Spendenaktion
wurde zu Propagandazwecken genutzt, weil 1929/30 der Höhepunkt im Kampf
Piłsudskis mit dem Sejm bzw. der Opposition erreicht worden war. Symptomatisch
890
Vgl. Gazeta Warszawska vom 19.III.1927. Die Kattowitzer Zeitung vom 19.III.1928
meinte: „Die Unternehmer der Jubelfeiern am heutigen Tage geben also das Fest im wesentlichen
sich selbst.“
891
Vgl. Gazeta Warszawska vom 6.IV.1927. Sie berichtete, daß der Druck in der Provinz
leichter auszuüben sei. Der Regierungskommissar von Zaleszczyki, ein Mitglied des
Schützenverbandes, habe mit einer Verordnung des Zaren [sic!] vom 20.IV.1857 bei Widersetzung
200 Złoty Strafe oder 14 Tage Arrest angedroht. Auch die Kattowitzer Zeitung
berichtete darüber, indem sie sich auf Artikel der Korfanty-nahen Zeitung Polonia vom
18. und 19.III.1929 bezog.
892
In den durchgearbeiteten Aktenbeständen ließ sich eine solche Abstimmung zwischen
dem Krakauer Wojewoden und der Starostei in Krakau nachvollziehen (APK, StGKr, 90,
n.pag.). Die Gazeta Warszawska berichtete am 17.III.1927, daß sich schon über 80 Organisationen
an die Regierung mit der Bitte um Anweisungen für den 19.III. gewandt
hätten.
893
Z.B. Ilustrowany Kurier Codzienny vom 19.III.1928, in: BJ, JPDU, n.pag.
894
Vgl. Głos Prawdy vom 17.III.1928.
895
Vgl. Głos Prawdy vom 19.III.1928.
896
„wyrosło z tęsknoty do Polski“ (Powstaniec Śląski Nr. 3, März 1928).
897 Vgl. Gazeta Polska vom 2.IV.1930.
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