Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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3.2.5.2. Die Feiern zum Staatsgründungstag (11. November) Der Tag der Wiedergründung Polens, der 11. November, entwickelte sich zuungunsten des 3. Mai im Laufe der Zweiten Republik zum wichtigsten Feiertag, obwohl er nur in den Jahren 1937 und 1938 ein gesetzlicher Feiertag war. 825 Für wie wenig bedeutsam zunächst jedoch ein möglicher Feiertag anläßlich der Staatsgründung angesehen wurde, zeigt sich daran, daß die präsidiale Verordnung über die gesetzlichen Feiertage vom 25. November 1924 den Staatsgründungstag nicht berücksichtigte. 826 Das genaue Datum der Wiedererrichtung Polens war aus (partei-)politischer Perspektive und als historisches Ereignis nicht unumstritten. So boten sich siebzehn verschiedene Daten in einer Spannbreite vom 16. August 1914 bis zum 28. Juni 1919 an. 827 Der 11. November hatte zudem verschiedene historische Aspekte: An diesem Tag erhielt Piłsudski durch den Regentschaftsrat den militärischen Oberbefehl. Die Lubliner Regierung unter Ignacy Daszyński unterstellte sich am 11. November dem künftigen Staatschef, und in Posen konstituierte sich ein Komisariat Naczelny Rady Ludowej (Oberstes Kommissariat des Volksrates) mit Unterkommissariaten in Oberschlesien und Pomorze/Pommern. Aber auch vom Gesichtspunkt der allgemeinen Ge- 825 Vgl. WACHOWSKA, S. 30. So auch Mościcki in seiner Rede von 1936. In einem Gesetzentwurf zum gesetzlichen Feiertag des 11. November aus dem Jahre 1932 wurde jedoch betont, daß der 3. Mai nur noch eine historisch geringe Bedeutung habe. Vgl. Gazeta Polska vom 12.XI.1936; vgl. auch AAN, PRM a.-g. VI, 6-1, B. 53; und die diesbezüglichen Ausführungen des Komitet Propagandy Czynu Polskiego (Komitee der Propaganda der Polnischen Tat) vom 11.X.1934, in: AAN, PRM a.-g. VI, 6-1, B. 1 f. 826 Dies kann auch ein Ergebnis der großen Konflikte um das geeignete Datum sein. Die Verordnung sah neben den kirchlichen Feiertagen lediglich Neujahr und den 3. Mai als gesetzliche Feiertage vor. 827 Vgl. WACHOWSKA, S. 4-16. Neben dem 11. November waren dies: der 16.VIII.1914 (Gründung des NKN), der 5.VIII.1916 (Aufstellung des Traugutt-Kreuzes in der Warschauer Zitadelle als symbolischer Akt für ein freies, unabhängiges Polen), der 5.XI.1916 (Akt der Mittelmächte), der 15.I.1917 (Beginn der Arbeit des Vorläufigen Staatsrates), der 15.IX.1917 (Berufung des Regentschaftsrates), der 12.X.1918 (Übernahme des Kommandos über das polnische Heer durch den Regentschaftsrat), der 23.X.1918 (Regierung Józef Świeżyńskis als nicht im Einverständnis mit den Mittelmächten berufenes Kabinett des Regentschaftsrates), der 31.X.1918 (Zwang zur Kapitulation der österreichischen Kommandeure durch die Polnische Liquidierungskomission und Übergabe Krakaus), der 7.XI.1918 (Bildung der Lubliner Volksregierung), der 14.XI.1918 (Übergabe der zivilen Macht durch den Regentschaftsrat an Piłsudski), der 16.XI.1918 (Titel Piłsudskis als Oberkommandierender/Wódź Naczelny in einem Telegramm an die Entente), der 22.XI. 1918 (Dekret und Titel Piłsudskis als Vorläufiger Staatschef/Tymczasowy Naczelnik Państwa), der 28.XI.1918 (Wahldekret zum Verfassunggebenden Sejm), der 9.II.1919 (Eröffnung des Verfassunggebenden Sejm), der 20.II.1919 („Kleine Verfassung“), der 26.VI.1919 (Unterzeichnung des Versailler Vertrags). 230

schichte her war er als der Tag der deutschen Kapitulation und des Endes des Ersten Weltkrieges bedeutsam. 828 Der 11. November war also ein Tag, in den „jede politische Richtung ihre eigene Deutung“ 829 legte, weil sich auch für die Endecja dieses Datum, jedoch unter anderen Akzentsetzungen, anbot. Sie stellte diesen Tag einerseits als Ergebnis der Arbeit des Pariser Nationalkomitees unter Roman Dmowski als einen wesentlichen Faktor bei der Anerkennung des polnischen Strebens nach Unabhängigkeit und als Voraussetzung für die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags vom 28. Juni 1919 dar und betonte andererseits den Sieg der Entente über die Mittelmächte. 830 Vor allem aber lehnten die PPS 831 , das Stronnictwo Chłopskie (Bauernpartei) und das PSL- Wyzwolenie die Feier des 11. November als Staatsgründungstag ab. Während der gesamten Zeit der Zweiten Republik traten sie für den 7. November ein, da für sie dieses Datum als Tag der Bildung der Volksregierung von Lublin der Ausgangspunkt für die Wiedererrichtung Polens war. Nachdem die Sanacja den 11. November im Jahre 1926 als halboffiziellen Feiertag installiert hatte, boten die Feiern der linken Parteien zum 7. November Anlaß zu politischen Demonstrationen und waren daher Mittel und Ausdruck ihrer politischen Opposition. 832 Dies gilt insbesondere für die Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Staatsgründung von 1918 im Jahre 1928. 833 Nach dem polnisch-sowjetrussischen Krieg und der fortschreitenden staatlichen Konsolidierung Polens wurde jedoch ein konkretes Datum zum Gedenken an die Wiederherstellung der polnischen Unabhängigkeit notwendig. In der ersten Hälfte der 1920er Jahre mehrten sich die Stimmen für den 11. November. 834 Die Hinwendung des Piłsudski-Lagers zum 11. November als dem Staatsgründungstag erfolgte ab- 828 Vgl. ebenda, S. 12 f. 829 Kattowitzer Zeitung vom 12.XI.11931. 830 Beispielsweise kommentierte die Gazeta Warszawska vom 11.XI.1928 die Ereignisse so, daß die Rückkehr Piłsudskis nur durch die Kapitulation der Mittelmächte ermöglicht worden sei. Letztere sei u.a. von Dmowski vor dem Krieg vorbereitet und durch das Nationalkomitee in Paris realisiert worden. Mit ähnlichen Formulierungen begründete die Endecja auch in den anderen Jahren ihre Haltung zum 11. November. Die Beiträge vom Nasz Przegląd vom 13.XI.1926 und der Kattowitzer Zeitung vom 11.XI.1926 beschrieben diese Positionen beider Lager ausführlich. 831 Vgl. z.B. Robotnik vom 12.XI.1930, in: CAW, GMSWojsk., I.300.1.1234, der die Tage zwischen der Gründung der Lubliner Volksregierung, der Bildung der Krakauer Liquidierungskommission und dem Weltkriegsende als Gründungsphase der Republik bezeichnete. 832 Vgl. den Robotnik vom 11.11.1932, in: CAW, GMWojsk. I. 300.1.978, der betont, daß der Tag denjenigen zu widmen sei, die mit der Waffe in der Hand zwischen 1914 und 1920 die Erde mit ihrem eigenen Blut getränkt hätten. 833 Vgl. WACHOWSKA, S. 10 f., 16-23 und 25-30. 834 Vgl. ebenda, S. 17 f. In den in diesem Rahmen durchgesehenen Periodika finden sich vor 1926 keine Würdigungen des 11. Novembers. 231

schichte her war er als der Tag der deutschen Kapitulation <strong>und</strong> des Endes des Ersten<br />

Weltkrieges bedeutsam. 828<br />

<strong>Der</strong> 11. November war also ein Tag, in den „jede politische Richtung ihre eigene<br />

Deutung“ 829 legte, weil sich auch für die Endecja dieses Datum, jedoch unter anderen<br />

Akzentsetzungen, anbot. Sie stellte diesen Tag einerseits als Ergebnis der Arbeit des<br />

Pariser Nationalkomitees unter Roman Dmowski als einen wesentlichen Faktor bei<br />

der Anerkennung des polnischen Strebens nach Unabhängigkeit <strong>und</strong> als Voraussetzung<br />

für die Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags vom 28. Juni 1919 dar<br />

<strong>und</strong> betonte andererseits den Sieg der Entente über die Mittelmächte. 830 Vor allem aber<br />

lehnten die PPS 831 , das Stronnictwo Chłopskie (Bauernpartei) <strong>und</strong> das PSL-<br />

Wyzwolenie die Feier des 11. November als Staatsgründungstag ab. Während der gesamten<br />

Zeit der Zweiten Republik traten sie für den 7. November ein, da für sie dieses<br />

Datum als Tag der Bildung der Volksregierung von Lublin der Ausgangspunkt für die<br />

Wiedererrichtung Polens war. Nachdem die Sanacja den 11. November im Jahre<br />

1926 als halboffiziellen Feiertag installiert hatte, boten die Feiern der linken Parteien<br />

zum 7. November Anlaß zu politischen Demonstrationen <strong>und</strong> waren daher Mittel <strong>und</strong><br />

Ausdruck ihrer politischen Opposition. 832 Dies gilt insbesondere für die Feierlichkeiten<br />

zum zehnten Jahrestag der Staatsgründung von 1918 im Jahre 1928. 833<br />

Nach dem polnisch-sowjetrussischen Krieg <strong>und</strong> der fortschreitenden staatlichen<br />

Konsolidierung Polens wurde jedoch ein konkretes Datum zum Gedenken an die<br />

Wiederherstellung der polnischen Unabhängigkeit notwendig. In der ersten Hälfte der<br />

1920er Jahre mehrten sich die Stimmen für den 11. November. 834 Die Hinwendung<br />

des <strong>Piłsudski</strong>-Lagers zum 11. November als dem Staatsgründungstag erfolgte ab-<br />

828<br />

Vgl. ebenda, S. 12 f.<br />

829<br />

Kattowitzer Zeitung vom 12.XI.11931.<br />

830<br />

Beispielsweise kommentierte die Gazeta Warszawska vom 11.XI.1928 die Ereignisse so,<br />

daß die Rückkehr <strong>Piłsudski</strong>s nur durch die Kapitulation der Mittelmächte ermöglicht worden<br />

sei. Letztere sei u.a. von Dmowski vor dem Krieg vorbereitet <strong>und</strong> durch das Nationalkomitee<br />

in Paris realisiert worden. Mit ähnlichen Formulierungen begründete die Endecja<br />

auch in den anderen Jahren ihre Haltung zum 11. November. Die Beiträge vom Nasz<br />

Przegląd vom 13.XI.1926 <strong>und</strong> der Kattowitzer Zeitung vom 11.XI.1926 beschrieben diese<br />

Positionen beider Lager ausführlich.<br />

831<br />

Vgl. z.B. Robotnik vom 12.XI.1930, in: CAW, GMSWojsk., I.300.1.1234, der die Tage<br />

zwischen der Gründung der Lubliner Volksregierung, der Bildung der Krakauer Liquidierungskommission<br />

<strong>und</strong> dem Weltkriegsende als Gründungsphase der Republik bezeichnete.<br />

832<br />

Vgl. den Robotnik vom 11.11.1932, in: CAW, GMWojsk. I. 300.1.978, der betont, daß<br />

der Tag denjenigen zu widmen sei, die mit der Waffe in der Hand zwischen 1914 <strong>und</strong><br />

1920 die Erde mit ihrem eigenen Blut getränkt hätten.<br />

833<br />

Vgl. WACHOWSKA, S. 10 f., 16-23 <strong>und</strong> 25-30.<br />

834<br />

Vgl. ebenda, S. 17 f. In den in diesem Rahmen durchgesehenen Periodika finden sich vor<br />

1926 keine Würdigungen des 11. Novembers.<br />

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