Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

Die Legionärskongresse trugen also insgesamt den Charakter von Huldigungsfeiern.
Da der 6. August als Beginn der „bewaffneten Tat“ ausschließlich mit der Geschichte
der Piłsudczycy verbunden war, waren die Legionärskongresse als zentrale
Kundgebung anläßlich dieses Jahrestages und damit als konstitutives Element der Sanacja-Ideologie
dazu prädestiniert, die Verehrung und die Vorstellungen Piłsudskis in
den Vordergrund zu stellen.
An den Huldigungen nahmen auch die regierungsnahen Gazetten Anteil. Sie berichteten
ausführlich über die Planungen, den Verlauf sowie über die aus diesem Anlaß
gehaltenen Reden. Der 6. August bzw. die Feiern anläßlich des 6. Augusts stellten
zudem eine gute Gelegenheit dar, eine Vielzahl von Erinnerungen und Episoden aus
der Zeit der Kämpfe der Legionen im Ersten Weltkrieg ins Gedächtnis zu rufen.
Symptomatisch ist aber, daß sie praktisch überhaupt nicht auf die Zweite Brigade eingingen,
sondern nur die Piłsudski unter- bzw. nahestehenden Einheiten würdigten.
Dadurch wurde das Verdienst des „Kommandanten“ an der „bewaffneten Tat“ hervorgehoben.
In ihrer Gesamtheit kam die Berichterstattung immer mehr einer Apotheose
Piłsudskis gleich, so daß die Korfanty-freundliche Polonia schon 1926 kritisch
anmerken konnte: „Sowohl Marschall Piłsudski als auch seine Anhänger leiden an
Größenwahn. Sie glauben an ihre großen Taten und ihre große Bestimmung. Dem
Marschall genügt es nicht, mit Napoleon verglichen zu werden [...] und seine Anhänger
sehen außer ihrem ‚Kommandanten‘ niemanden in Polen.“ 822 (Siehe Abb. 16-18)
Die Legionärskongresse verloren jedoch mit ihrem politischen Stellenwert auch
ihre Bedeutung für den Piłsudski-Kult, weil sie eher eine Art von „Partei“-
Veranstaltung 823 mit politischem Charakter als eine Gelegenheit zur gesamtnationalen
Huldigung 824 Piłsudskis darstellten. Schließlich ging der politische Charakter der Legionärskongresse
mit dem Rückzug Piłsudskis und den parallel dazu aufkommenden
Differenzen innerhalb seines Lagers zurück, da auch sie nicht mehr die inneren Konflikte
überdecken konnten. Daher waren sie auch aus diesem Grund in den 1930er
Jahren nicht mehr geeignet, eine maßgebliche Rolle für den Kult zu spielen.
822 Polonia, zit. nach Der Oberschlesische Kurier vom 15.VIII.1926.
823 So unterstrich der ABC vom 5.VIII.1936 „seine [des Feiertags] Herkunft aus der Ideologie
des Lagers [...]“ („swój rodowód ideologji obozu [...]“), während der 15. August im ganzen
Volk verankert sei. Die Feier des 15. August war um so bedeutender, als er auch als
Mariae Himmelfahrt eine hohe kirchliche Bedeutung hatte.
824 In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, daß der Tag weder im administrativen
Bereich (wie der 11. November oder 19. März) noch an den Schulen, und dies nicht nur
wegen der Ferienzeit, begangen worden ist.
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