Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut
Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut
Wie bei den anderen Vermittlungsformen auch wird hier das Bestreben deutlich, das Geschichtsbild durch staatliche Institutionen, in diesem Falle durch das Oberste Gedächtniskomitee bzw. durch dessen Denkmalprojekte zu definieren. Es ging darum, Piłsudski als Inbegriff der gemeinsamen Geschichte herauszustellen. Dabei wurde ein logischer Zusammenhang aller Wirkungsorte Piłsudskis geschaffen, so daß selbst die vergleichsweise bescheidenen Gedenkstätten außerhalb der nationalen Metropolen Krakau, Warschau und Wilna im wahrsten Sinne des Wortes monumental waren. Sie sollten der Öffentlichkeit Geschichtsbewußtsein und Identität vermitteln, indem sie sie zur Teilhabe am gesamtnationalen Erbe Piłsudskis verpflichteten. Diese Funktion offenbarte sich z.B. in der mit den Projekten einhergehenden sozialen Praxis, d.h. der Finanzierung durch Sammlungen im Volk und die feierliche Eröffnung bzw. Enthüllung. Die Medienberichte darüber nahmen dagegen eine eher begleitende und unterstützende Rolle ein. Die gesamtnationalen Piłsudski-Denkmäler waren also ein wichtiger Kristallisationspunkt des Kultes, da sie im öffentlichen Raum in symbolhafter und daher in visuell eindringlicher Form die grundlegenden Aspekte des Mythos darstellten. Sie waren auch Ausdruck der Hochachtung und Verehrung für Piłsudski, die insbesondere in Gestalt von Piłsudski-Feiern ritualisiert wurden. 3.2.5. Vermittlung durch die Piłsudski-Feiern Der Typus des nationalen politischen Festes 756 ist unter dem Einfluß der Aufklärung im späten 18. Jahrhundert als Instrument der staatlichen Erziehung entstanden und hat sich durch die Französische Revolution als Ausdruck des „allgemeinen Willens“ weiterentwickelt. Politische Feste gehören seitdem zum Festzyklus der bürgerlichen Gesellschaft, die dadurch Bezug nimmt auf die Nation. 757 Seitdem gelten sie als Instrument des Staates und dienen als herausragendes Medium, um die gesamte Bevölkerung für die Herstellung einer politischen Öffentlichkeit einzubinden. Diese nimmt entweder freiwillig oder durch verstärkte Eingriffsmöglichkeiten des Staates über das Militär und die Schulen zwangsweise daran teil, denn erst der Massencharakter läßt ein politisches Fest zu einem solchen werden. Bei diesem Festtypus gedenkt man entweder Ereignissen von hoher staatlicher Bedeutung oder herausragender nationaler Persönlichkeiten, so daß das Fest auch ein „Ort charismatischer Beziehungen“ 758 ist. 756 Idealtypisch bezeichnet Fest eine Aufhebung des Alltags, während durch eine Feier ein Ereignis, eine Person o.ä. den Teilnehmenden bewußt gemacht werden soll. In der Praxis treten beide Formen immer als Mischformen auf, so daß sich die Begrifflichkeiten meist überlagern. Siehe dazu z.B. KOCH, S. 29-40; GEBHARDT, S. 50-80. 757 Sie lösten eine ältere Form des monarchisch-dynastisch inspirierten und in der Renaissance entwickelten Hoffestes mit Repräsentationscharakter ab, das sich seinerseits auf antike Traditionen zurückführen läßt. Vgl. hierzu U. SCHNEIDER, S. 11-15; DÜDING, S. 15. 758 Vgl. FREITAG, S. 16. 214
Da solche Feste ein „Moratorium des Alltags“ 759 und besondere Augenblicke im gesellschaftlichen und politischen Leben sind, müssen sie genauestens geplant werden. Weil den Wirkungen eines Festes Dauer verliehen werden soll, gehören Zeitungsberichte, Fotografien, Festschriften oder sonstige Gedenkobjekte zum politischen Fest, durch die auch der Mythos, auf dem das Fest beruht, verstärkt werden kann. 760 Dabei läßt sich feststellen, daß mit dem Grad der Absicht, ein bestimmtes Ziel durch ein solches Fest zu propagieren, auch der Grad der Feierlichkeit ansteigt. Für öffentliche politische Feste lassen sich folgende Schritte erkennen: 1. Eine frühzeitige Ankündigung, wobei die Bevölkerung darauf eingestimmt wird, 2. die Eröffnung des Festes durch Salven, Musik, Glockengeläut etc., 3. der gleichartige Ablauf an allen Orten des Landes. Weiterhin lassen sich an Charakteristika von politischen Festen erkennen: ein großes Maß an Öffentlichkeit mit einem hohen Mobilisierungsgrad, ein Gebet oder ein Motto, unter dem sie stattfinden, eine Ansprache mit Aussagen über die Zielsetzung des Festes, Umzüge/Paraden sowie Musik und Gesang, wobei überall im Land identisch ablaufende Feiern angestrebt werden. 761 Auf diese Weise entsteht ein Zusammenhang von Feier und kultischer Handlung, so daß ihre Wiederholung in Form von festen Riten und Traditionen etabliert wird. 762 Durch eine solche Inszenierung kann an die Emotionen der teilnehmenden bzw. zuschauenden Massen appelliert werden: Gerade politische Feste als Massenveranstaltungen orientieren sich an ihrem jeweiligen Adressaten, d.h. ihrem Teilnehmerkreis, um unter ihnen zu werben, „ihr Engagement anzustacheln, [...] ihnen gelegentlich auch elektrisierende, aufregende Perspektiven [zu] verheißen – und ein Stück weit die Preisgabe ihrer Individualität zum Besten der ‚gemeinsamen Sache‘, einer besseren Zukunft oder der erhaltenswerten Gegenwart einzufordern“ 763 . Eine besondere Bedeutung haben dabei gemeinsame Vor- bzw. Leitbilder, weil diese den Teilnehmern ein stabiles, Orientierung verschaffendes Bewußtsein ermöglichen. Bei politischen Feiern läßt sich die Gesellschaft in Anhänger oder Gegner der Organisatoren einteilen, so daß eine Teilnahme „Bekenntnischarakter“ 764 hat und Loyalitäten offenbart, weil das Individuum in der Masse an Autonomie verliert, aber sich auch als Teil der kollektiven Identität und Solidarität erfährt. Aus diesem Grunde setzen politische Feste ein hohes Maß an Konsens zwischen Nation und Symbolen voraus und sind damit im Spannungsfeld von Gesellschaft und Politik zu sehen. 765 Daher sind Feiern und Denkmäler oft aufeinander bezogen, denn der Sinn eines Denkmals erfüllt sich in 759 So der Titel eines Beitrags von MARQUARD. 760 Vgl. G. SCHNEIDER, S. 46 ff. 761 Vgl. ebenda, S. 31 f.; U. SCHNEIDER, S. 12. 762 Vgl. BEHRENBECK, Kult, S. 277. 763 G. SCHNEIDER, S. 40 f. 764 Ebenda, S. 41. 765 Vgl. U. SCHNEIDER, S. 11 f. 215
- Seite 175 und 176: ses ist die Verbreitung des Kultes
- Seite 177 und 178: Art und Häufigkeit der Verwendung
- Seite 179 und 180: Piłsudski-Mythos. Sie wurde zu ein
- Seite 181 und 182: sudski gewidmete Briefmarken gedruc
- Seite 183 und 184: Abb. 12: Briefmarken mit dem Portra
- Seite 185 und 186: noch in den Akten des Obersten Ged
- Seite 187 und 188: Wesentlichste Aufgabe des Obersten
- Seite 189 und 190: was mit dem noch zu erläuternden M
- Seite 191 und 192: lichen Bildungsgut und für alle vi
- Seite 193 und 194: 1916 ein, als die deutsche Besatzun
- Seite 195 und 196: ciuszko-Erdhügel) bedeutsam und re
- Seite 197 und 198: von Orten, wo verschiedene polnisch
- Seite 199 und 200: ßen die Geschichte des polnischen
- Seite 201 und 202: 3.2.4.2. Die Pläne für den Sarkop
- Seite 203 und 204: Öffnung des Sarkophags war dabei n
- Seite 205 und 206: wuchs sich zum politisch motivierte
- Seite 207 und 208: Sapieha hatte die Überführung Pi
- Seite 209 und 210: langten. Schließlich wurde geforde
- Seite 211 und 212: In einer kurzen Sejmsitzung am 20.
- Seite 213 und 214: 16. Mai 1935 entstanden waren. Die
- Seite 215 und 216: mit einem vorgelagerten Forum vorge
- Seite 217 und 218: und der Gestalt Józef Piłsudskis
- Seite 219 und 220: an Piłsudski mit Fotos von seiner
- Seite 221 und 222: Gleichzeitig bestand nach dem Komme
- Seite 223 und 224: staatlichen Behörden vor Ort gekl
- Seite 225: Die Delegiertenversammlung des Zwi
- Seite 229 und 230: lich zelebriert. Erst nach der Wied
- Seite 231 und 232: nären eine Demonstration der Gesch
- Seite 233 und 234: ersten Teil seiner Rede 788 verband
- Seite 235 und 236: 1935 „ohne Streit“ 803 stattgef
- Seite 237 und 238: liegen, daß ein Befehl des Ministe
- Seite 239 und 240: Abb. 16: Titelseite der Gazeta Pols
- Seite 241 und 242: Abb. 18: Titelseite der Polska Zbro
- Seite 243 und 244: schichte her war er als der Tag der
- Seite 245 und 246: kehr aus Magdeburg und seine Übern
- Seite 247 und 248: Sejm angenommene Gesetzesvorlage sa
- Seite 249 und 250: Abb. 19: Titelseite des Głos Prawd
- Seite 251 und 252: Abb. 21: Titelseite der Gazeta Pols
- Seite 253 und 254: wandten sich die Gegner Piłsudskis
- Seite 255 und 256: („Morgenkurier“), seine Rückke
- Seite 257 und 258: Marschall die Bestrebungen, Hoffnun
- Seite 259 und 260: Wegen der Kur Piłsudskis auf Madei
- Seite 261 und 262: Für das Jahr 1934 stellte der Ober
- Seite 263 und 264: die Schulreform und das zunehmend a
- Seite 265 und 266: Abb. 22: Titelseite des Głos Prawd
- Seite 267 und 268: Abb. 24: Postkarte für die Gratula
- Seite 269 und 270: 3.2.5.4. Die Feierlichkeiten zum To
- Seite 271 und 272: glieder, Staatssekretäre, die Gene
- Seite 273 und 274: nach einer Weisung ihrer Leitung in
- Seite 275 und 276: terlandes und der Stärke Polens ha
Da solche Feste ein „Moratorium des Alltags“ 759 <strong>und</strong> besondere Augenblicke im<br />
gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Leben sind, müssen sie genauestens geplant werden.<br />
Weil den Wirkungen eines Festes Dauer verliehen werden soll, gehören Zeitungsberichte,<br />
Fotografien, Festschriften oder sonstige Gedenkobjekte zum politischen<br />
Fest, durch die auch der Mythos, auf dem das Fest beruht, verstärkt werden<br />
kann. 760 Dabei läßt sich feststellen, daß mit dem Grad der Absicht, ein bestimmtes<br />
Ziel durch ein solches Fest zu propagieren, auch der Grad der Feierlichkeit ansteigt.<br />
Für öffentliche politische Feste lassen sich folgende Schritte erkennen: 1. Eine frühzeitige<br />
Ankündigung, wobei die Bevölkerung darauf eingestimmt wird, 2. die Eröffnung<br />
des Festes durch Salven, Musik, Glockengeläut etc., 3. der gleichartige Ablauf<br />
an allen Orten des Landes. Weiterhin lassen sich an Charakteristika von politischen<br />
Festen erkennen: ein großes Maß an Öffentlichkeit mit einem hohen Mobilisierungsgrad,<br />
ein Gebet oder ein Motto, unter dem sie stattfinden, eine Ansprache mit Aussagen<br />
über die Zielsetzung des Festes, Umzüge/Paraden sowie Musik <strong>und</strong> Gesang, wobei<br />
überall im Land identisch ablaufende Feiern angestrebt werden. 761 Auf diese Weise<br />
entsteht ein Zusammenhang von Feier <strong>und</strong> kultischer Handlung, so daß ihre Wiederholung<br />
in Form von festen Riten <strong>und</strong> Traditionen etabliert wird. 762<br />
Durch eine solche Inszenierung kann an die Emotionen der teilnehmenden bzw.<br />
zuschauenden Massen appelliert werden: Gerade politische Feste als Massenveranstaltungen<br />
orientieren sich an ihrem jeweiligen Adressaten, d.h. ihrem Teilnehmerkreis,<br />
um unter ihnen zu werben, „ihr Engagement anzustacheln, [...] ihnen gelegentlich<br />
auch elektrisierende, aufregende Perspektiven [zu] verheißen – <strong>und</strong> ein Stück<br />
weit die Preisgabe ihrer Individualität zum Besten der ‚gemeinsamen Sache‘, einer<br />
besseren Zukunft oder der erhaltenswerten Gegenwart einzufordern“ 763 . Eine besondere<br />
<strong>Bedeutung</strong> haben dabei gemeinsame Vor- bzw. Leitbilder, weil diese den Teilnehmern<br />
ein stabiles, Orientierung verschaffendes Bewußtsein ermöglichen. Bei politischen<br />
Feiern läßt sich die Gesellschaft in Anhänger oder Gegner der Organisatoren<br />
einteilen, so daß eine Teilnahme „Bekenntnischarakter“ 764 hat <strong>und</strong> Loyalitäten offenbart,<br />
weil das Individuum in der Masse an Autonomie verliert, aber sich auch als Teil<br />
der kollektiven Identität <strong>und</strong> Solidarität erfährt. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e setzen politische<br />
Feste ein hohes Maß an Konsens zwischen Nation <strong>und</strong> Symbolen voraus <strong>und</strong> sind<br />
damit im Spannungsfeld von Gesellschaft <strong>und</strong> Politik zu sehen. 765 Daher sind Feiern<br />
<strong>und</strong> Denkmäler oft aufeinander bezogen, denn der Sinn eines Denkmals erfüllt sich in<br />
759<br />
So der Titel eines Beitrags von MARQUARD.<br />
760<br />
Vgl. G. SCHNEIDER, S. 46 ff.<br />
761<br />
Vgl. ebenda, S. 31 f.; U. SCHNEIDER, S. 12.<br />
762<br />
Vgl. BEHRENBECK, <strong>Kult</strong>, S. 277.<br />
763<br />
G. SCHNEIDER, S. 40 f.<br />
764<br />
Ebenda, S. 41.<br />
765<br />
Vgl. U. SCHNEIDER, S. 11 f.<br />
215