Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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Premierminister nicht hinnehmen könne und daher zurückträte. 663 Auf diese Weise setzte er die Person Piłsudskis mit der Majestät, d.h. der Würde und Erhabenheit der Republik Polen gleich. 664 Staatspräsident Mościcki nahm das Rücktrittsersuchen jedoch nicht an. Die Begründung für den Schritt Sławoj-Składkowskis sollte aber der Ausgangspunkt einer Welle von Deklarationen, Solidaritätsbekundungen und Demonstrationen für die Regierung werden. Öffentliche Institutionen wie der Warschauer Stadtrat, aber auch Sanacja-nahe gesellschaftliche Organisationen verfaßten gegen Sapieha gerichtete Protestresolutionen, deren Ton immer schärfer wurde. 665 Am 24. Juni veröffentlichten die Tageszeitungen den Bericht der Polska Agencja Telegraficzna (Polnische Telgrafische Agentur) über den Konflikt, woraus sich schließlich eine Pressekampagne entwickelte. 666 Die regierungsnahen Zeitungen griffen die Aussagen Sławoj-Składkowskis gemäß den Beschlüssen über die Propagandaaktion auf und bemängelten die Nichtbeachtung des Willens Mościckis und die Beschädigung des „nationalen Kultes für Piłsudski“. Symptomatisch und richtungweisend für diese äußerst kritischen Berichte war die Gazeta Polska mit ihrem Artikel Gniew serc 667 („Groll der Herzen“). Dabei wurde aber deutlich, daß sich deren Kritik einzig und allein gegen Sapieha richtete. Diese Pressekampagne 668 nutzte nicht nur die Linke innerhalb der Sanacja, sondern auch die oppositionelle Linke wie die PPS zu stark antiklerikalen Äußerungen. 669 Es wurden in den Resolutionen Forderungen nach einer Änderung des Konkordats oder die Überführung des Wawels unter staatliche Verwaltung laut. Außerdem wurden persönliche Attacken gegen Sapieha geführt, die die Aberkennung aller seiner Auszeichnungen, der polnischen Staatsbürgerschaft oder seine Emigration ver- 663 Siehe dazu die Rede (Anhang 3). 664 Vgl. dazu WOLNY, S. 123. 665 Vgl. auch Warszawski Dziennik Narodowy vom 26.VI.1937. 666 Distanziert beschrieb dagegen die jüdische, aber in polnischer Sprache erscheinende Zeitung Nasz Przegłąd („Unsere Rundschau“) die Ereignisse dahingehend, daß das Temperament den Betroffenen durchgegangen sei und die Auseinandersetzungen sich zu einem Konflikt ausgeweitet hätten. Vgl. Nasz Przegląd vom 26.VI.1937. 667 Vgl. Gazeta Polska vom 25.VI.1925. 668 Vgl. hierzu die Bibliographie zum Wawel-Konflikt, insbesondere die Auflistung aller Artikel in den großen Tageszeitungen in: Księga sapieżyńska, S. 823-833. 669 Bei diesen kirchenfeindlichen Äußerungen trat – so Der Oberschlesische Kurier vom 25.VI.1937 – insbesondere das inoffizielle Organ des Lehrerverbandes Dziennik powszechny („Allgemeines Tagblatt“) in den Vordergrund. KOWALSKI, S. 80 ff., betont, daß sich insbesondere auch der Dziennik Poranny („Morgendliches Tagblatt“) und der Robotnik an der Debatte beteiligten. Für die Sozialisten sei der Wawel-Konflikt daher ein geeigneter Anlaß gewesen, ihre allgemein antiklerikale Haltung zu demonstrieren. 196

langten. Schließlich wurde gefordert, daß nur wirkliche „Söhne des Vaterlandes“ 670 zu polnischen Bischöfen berufen werden sollten. 671 Die Organe der Kirchen und der Endecja unterstützten jedoch die Haltung Erzbischof Sapiehas. So bewertete Primas Hlond den „Wawel-Streit“ als eine deutliche Kritik am Obristen-Regime. 672 Der General und Historiker Marian Kukiel äußerte sich sehr kritisch über die „Deifikation“ (deifikacja) Piłsudskis an einem patriotischen und vor allem sakralen Ort. 673 Die Oppositionspresse veröffentlichte aber aus Furcht vor Zensurmaßnahmen nur die Pressekommuniqués und Texte der Polnischen Telegrafischen Agentur. 674 Die zweite Phase des Wawel-Konflikts spielte sich im Sejm und im Senat ab. Bei einer Sondersitzung am 29. Juni forderten die Abgeordneten des Regierungslagers eine unnachgiebige Haltung des Staatspräsidenten gegenüber Sapieha und der Opposition. Daß dessen Forderungen vollständig in moralischer und rechtlicher Hinsicht erfüllt würden, sei für die verfassungsmäßige und moralische Stärke des Staates und der gesamten Gesellschaft unerläßlich. Ein Diskussionsforum für Senatoren und Abgeordnete stellte am 3. Juli fest, daß die Überführung des Sarges ein eigenmächtiger Akt Sapiehas gewesen sei, und forderte die Aufhebung des Konkordats. 675 Diese Machtprobe des Erzbischofs mit der Regierung führte dazu, daß nicht zwischen ihm und der Regierung, sondern zwischen Außenminister Beck und dem Apostolischen Nuntius Cortesi als Vertreter des Vatikans über eine Lösung des Konflikts verhandelt wurde. Die Tatsache, daß diese Gespräche schon am 23. Juni 1937, also am Tag vor der Überführung einsetzten, macht deutlich, daß sowohl die Regierung als auch der Vatikan weniger die Eigenmächtigkeit Sapiehas, als vielmehr die politische Brisanz eines möglichen Konflikts zwischen dem polnischen Staat und der katholischen Kirche befürchteten. 670 Gazeta Polska vom 25.VI.1927. 671 Vgl. Gazeta Polska und Polska Zbrojna zwischen dem 24.VI. und dem 15.VII.1937. 672 Vgl. WOLNY, S. 137. 673 Kukiel an Sapieha am 27.VI.1935, zit. in J. Wolny, S. 157. 674 Vgl. die diesbezüglichen Aussagen des Warszawski Dziennik Narodowy vom 26.VI.1937. Der Oberschlesische Kurier berichtet am 28./29.VI., daß die Zeitungen Czas („Die Zeit“) und Odnowa („Erneuerung“) vollständig konfisziert worden seien. Dies geschähe ansonsten nur ausnahmsweise. Siehe auch KOWALSKI, S. 83. 675 Laut einem Bericht des Warszawski Dziennik Narodowy vom 4.VII.1937 nahmen ungewöhnlich viele, nämlich ca. hundert Personen, an der dreistündigen Diskussion teil. Nochmals beschäftigte sich der Sejm am 19.VII.1937 mit der Angelegenheit, wobei es darum ging, zum Schutz des Leichnams Piłsudskis eine Gesetzesgrundlage zu schaffen. 197

langten. Schließlich wurde gefordert, daß nur wirkliche „Söhne des Vaterlandes“ 670<br />

zu polnischen Bischöfen berufen werden sollten. 671<br />

Die Organe der Kirchen <strong>und</strong> der Endecja unterstützten jedoch die Haltung Erzbischof<br />

Sapiehas. So bewertete Primas Hlond den „Wawel-Streit“ als eine deutliche<br />

Kritik am Obristen-Regime. 672 <strong>Der</strong> General <strong>und</strong> Historiker Marian Kukiel äußerte<br />

sich sehr kritisch über die „Deifikation“ (deifikacja) <strong>Piłsudski</strong>s an einem patriotischen<br />

<strong>und</strong> vor allem sakralen Ort. 673 Die Oppositionspresse veröffentlichte aber aus Furcht<br />

vor Zensurmaßnahmen nur die Pressekommuniqués <strong>und</strong> Texte der Polnischen Telegrafischen<br />

Agentur. 674<br />

Die zweite Phase des Wawel-Konflikts spielte sich im Sejm <strong>und</strong> im Senat ab. Bei<br />

einer Sondersitzung am 29. Juni forderten die Abgeordneten des Regierungslagers eine<br />

unnachgiebige Haltung des Staatspräsidenten gegenüber Sapieha <strong>und</strong> der Opposition.<br />

Daß dessen Forderungen vollständig in moralischer <strong>und</strong> rechtlicher Hinsicht erfüllt<br />

würden, sei für die verfassungsmäßige <strong>und</strong> moralische Stärke des Staates <strong>und</strong> der<br />

gesamten Gesellschaft unerläßlich. Ein Diskussionsforum für Senatoren <strong>und</strong> Abgeordnete<br />

stellte am 3. Juli fest, daß die Überführung des Sarges ein eigenmächtiger Akt<br />

Sapiehas gewesen sei, <strong>und</strong> forderte die Aufhebung des Konkordats. 675<br />

Diese Machtprobe des Erzbischofs mit der Regierung führte dazu, daß nicht zwischen<br />

ihm <strong>und</strong> der Regierung, sondern zwischen Außenminister Beck <strong>und</strong> dem Apostolischen<br />

Nuntius Cortesi als Vertreter des Vatikans über eine Lösung des Konflikts<br />

verhandelt wurde. Die Tatsache, daß diese Gespräche schon am 23. Juni 1937, also<br />

am Tag vor der Überführung einsetzten, macht deutlich, daß sowohl die Regierung<br />

als auch der Vatikan weniger die Eigenmächtigkeit Sapiehas, als vielmehr die politische<br />

Brisanz eines möglichen Konflikts zwischen dem polnischen Staat <strong>und</strong> der katholischen<br />

Kirche befürchteten.<br />

670<br />

Gazeta Polska vom 25.VI.1927.<br />

671<br />

Vgl. Gazeta Polska <strong>und</strong> Polska Zbrojna zwischen dem 24.VI. <strong>und</strong> dem 15.VII.1937.<br />

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Vgl. WOLNY, S. 137.<br />

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Kukiel an Sapieha am 27.VI.1935, zit. in J. Wolny, S. 157.<br />

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Vgl. die diesbezüglichen Aussagen des Warszawski Dziennik Narodowy vom 26.VI.1937.<br />

<strong>Der</strong> Oberschlesische Kurier berichtet am 28./29.VI., daß die Zeitungen Czas („Die Zeit“)<br />

<strong>und</strong> Odnowa („Erneuerung“) vollständig konfisziert worden seien. Dies geschähe ansonsten<br />

nur ausnahmsweise. Siehe auch KOWALSKI, S. 83.<br />

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Laut einem Bericht des Warszawski Dziennik Narodowy vom 4.VII.1937 nahmen ungewöhnlich<br />

viele, nämlich ca. h<strong>und</strong>ert Personen, an der dreistündigen Diskussion teil. Nochmals<br />

beschäftigte sich der Sejm am 19.VII.1937 mit der Angelegenheit, wobei es darum<br />

ging, zum Schutz des Leichnams <strong>Piłsudski</strong>s eine Gesetzesgr<strong>und</strong>lage zu schaffen.<br />

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