Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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Wettbewerbs ganz überblickt werden könne und der Sarg daher vorerst in der Leonardsgruft verbleiben müsse. 643 Bei einer Besichtigung durch die Mitglieder des Obersten Gedächtniskomitees am 1. Mai 1937 stellte der Rektor der Akademie der Schönen Künste und Mitglied des Exekutivkomitees Prof. Wojciech Jastrzębowski fest, daß Szyszko-Bohusz ohne Wissen oder gar Zustimmung des Komitees eigenmächtig Dekorationen angebracht hatte. Im Vestibül und am Baldachin über dem Eingang in die Krypta befanden sich nun Granitplatten mit den Wappen der polnischen Landschaften und Wojewodschaften 644 , unter anderem auch dem Wappen von Szyszko-Bohusz, einem Keiler. Jastrzębowski bemängelte, daß die Dekorationen nicht dem gewünschten ideellen Gehalt entsprächen und nicht den Geist und die Atmosphäre der Taten des Marschalls träfen und daher ideologisch verfehlt seien. 645 Dieses Urteil führte zu einem scharfen Konflikt zwischen dem Exekutivkomitee und Szyszko-Bohusz, der in guten und häufigen Kontakten zu Sapieha stand, aber gerade in künstlerischer Hinsicht das Exekutivkomitee kaum konsultiert hatte. Letzeres bestand darauf, daß die Dekorationselemente nur provisorischen Charakter haben sollten und erst nach der Entscheidung über das endgültige Aussehen des Sarkophags über die Dekorationen beschlossen werden würde. 646 Dieser eher in unterschiedlichen Kunstauffassungen 647 begründete Konflikt 643 Das Exekutivkomitee lehnte dies in einem Schreiben vom 10.IV.1937 ab (vgl. AAN, WWNK, 14, B. 110). Die Gazeta Polska berichtete erst am 29.IV.1937, daß die Krypta vollständig fertiggestellt sei. 644 Der Warszawski Dziennik Narodowy vom 26.VI.1937 wies darauf hin, daß die Dekorationen dem Sarkophag Kościuszkos nachempfunden seien, da dort die Wappen ganz Polens abgebildet seien. 645 Jastrzębowski merkte an, daß Abbildungen von Feldzeichen der Schützen und Legionen Piłsudskis fehlten, worin wohl der wirkliche Grund für die Ablehnung der Dekorationen zu sehen ist. Die Einwände waren im einzelnen: 1. Am Turm sei das Wappen Piłsudskis angebracht worden, der darunter angebrachte Keiler von Szyszko-Bohusz sei nur unwesentlich kleiner, 2. An den mittelalterlichen Fenstern befänden sich religiöse, aber zufällige und nichtssagende Inhalte. 3. Im Vestibül stehe eine Muttergottesfigur, die musealen Wert habe, aber nichts bedeute. 4. Eine Komposition des Adlers und ein Jäger aus dem Wappen Piłsudskis mit einer Unterschrift von Szyszko-Bohusz auf dem Balken dekoriere das Eisentor. Jastrzębowski beanstandete auch, daß Szyszko-Bohusz sich nicht auf das Innere der Krypta konzentriert, sondern vollendete Tatsachen geschaffen und seine Projekte vor der Anerkennung durch das Exekutivkomitee mit Sapieha abgestimmt habe. Aus diesem Grund stellte das Exekutivkomitee fest, daß gerade die Heraldik auf dem Tor nichts mit Leben, Ideologie und Person des Marschalls gemein habe. Vgl. AAN, WWNK, 14, B. 338. 646 Vgl. AAN, WWNK, 14, B. 189 f. 647 Dies wurde auf der Sitzung des Exekutivkomitees vom 19.V.1937 deutlich, auf der festgestellt wurde, daß die Dekorationen und Wappen die Aufmerksamkeit vom Sarkophag ablenkten, welcher das zentrale Element der Krypta sein solle. Szyszko-Bohusz begründete nicht nur die Auswahl der Wappen, sondern betonte, daß der Sarkophag seiner Ansicht 192

wuchs sich zum politisch motivierten Vorwurf aus, die ideelle Größe und die geschichtsträchtigen Taten Piłsudskis durch die Dekorationen zu verfälschen. Damit erhielt der Konflikt eine politische Bedeutung, der jedoch vom Streit zwischen dem Staatspräsidenten und dem Krakauer Metropoliten über die nicht genehmigte Überführung des Sarges in die Krypta „unter den Silbernen Glocken“ überlagert wurde. 3.2.4.2.1. Exkurs: Der sogenannte Wawel-Konflikt um den Ort der Grablege Piłsudskis Die kritische Haltung Sapiehas gegenüber der Sanacja und Piłsudski 648 sowie gegenüber dessen kultischer Verehrung eskalierte im Frühjahr und Sommer 1937 zu einem einzigartigen Machtkampf zwischen Vertretern der polnischen katholischen Kirche und dem Staat, deren Beziehungen durch das Konkordat aus dem Jahre 1925 völkerrechtlich geregelt waren. War der Vatikan an einem friedlichen Ausgleich mit der Sanacja interessiert, so unterschieden sich je nach der jeweiligen politischen Auffassung die Haltungen des polnischen Klerus ihr und Piłsudski gegenüber erheblich. 649 Der Wawel-Konflikt 650 , der zunächst in der Presse nur als sprawa wawelska (Wawel-Angelegenheit) bezeichnet wurde, kündigte sich schon im Februar 1937 an, als die Krakauer Kurie ohne Wissen des Obersten Gedächtniskomitees die elektrischen Öfen und den Strom in der Leonardsgruft abschaltete, weil letzteres die Rech- nach bescheiden dekoriert sein solle, um mit einer reich dekorierten Krypta einen vorteilhaften Kontrast zu diesem zu schaffen. Vgl. AAN, WWNK, 4, B. 338 ff. 648 Diese Haltung wird insbesondere in einem Brief Sapiehas an Primas Hlond vom 25.VI.1937 deutlich, in dem Sapieha den Briefwechsel mit Mościcki nicht erwähnte. Dabei wurde deutlich, daß er den ernsten Streit mit der Regierung lediglich als Zwischenfall betrachtete und den Sturm der Entrüstung, der bis in den Vatikan führte, nicht verstehen konnte. Vgl. WOLNY, S. 125. 649 Vgl. MICEWSKI, Z geografii, S. 168; KOWALSKI, S. 22-31, unterscheidet grundsätzlich drei verschiedene Haltungen des polnischen Klerus: 1. Sympathisanten und Wohlgesonnene, die den Patriotismus und die großen Verdienste Piłsudskis betonten. Gerade die Bischöfe nutzten diese Einstellung, um Einfluß in der polnischen Kirchenhierarchie zu gewinnen (Kardinal Aleksander Kakowski, der Primas Kardinal August Hlond, der Lemberger Weihbischof Władysław Bandurski, der Bischof von Siedlce Henryk Przeździecki, die Feldbischöfe Stanisław Gall und Józef Gawlina). 2. Gegner, die ihre Kritik auf Person und Wirken Piłsudskis, aber auch auf dessen Sozialismusvorstellungen und seine Konversion zum Protestantismus bzw. Re-Konversion richteten. Sie machten den größten Teil des Klerus aus (der Lemberger Erzbischof Józef Teodorowicz, ein Freund Sapiehas, der Krakauer Metropolit Sapieha, der Bischof von Kielce August Losiński, der schlesische Bischof Stanisław Adamski, der Wilnaer Erzbischof Romuald Jałbrzykowski, der Bischof von Lomża Stanisław Lukomski, der Bischof von Częstochowa/Tschenstochau Teodor Kubin). 3. Indifferente, die sich von der Politik fernhielten. 650 Zum Folgenden vgl. insbesondere WOLNY, S. 112-122. 193

Wettbewerbs ganz überblickt werden könne <strong>und</strong> der Sarg daher vorerst in der Leonardsgruft<br />

verbleiben müsse. 643<br />

Bei einer Besichtigung durch die Mitglieder des Obersten Gedächtniskomitees am<br />

1. Mai 1937 stellte der Rektor der Akademie der Schönen Künste <strong>und</strong> Mitglied des<br />

Exekutivkomitees Prof. Wojciech Jastrzębowski fest, daß Szyszko-Bohusz ohne Wissen<br />

oder gar Zustimmung des Komitees eigenmächtig Dekorationen angebracht hatte.<br />

Im Vestibül <strong>und</strong> am Baldachin über dem Eingang in die Krypta befanden sich nun<br />

Granitplatten mit den Wappen der polnischen Landschaften <strong>und</strong> Wojewodschaften 644 ,<br />

unter anderem auch dem Wappen von Szyszko-Bohusz, einem Keiler. Jastrzębowski<br />

bemängelte, daß die Dekorationen nicht dem gewünschten ideellen Gehalt entsprächen<br />

<strong>und</strong> nicht den Geist <strong>und</strong> die Atmosphäre der Taten des Marschalls träfen <strong>und</strong><br />

daher ideologisch verfehlt seien. 645 Dieses Urteil führte zu einem scharfen Konflikt<br />

zwischen dem Exekutivkomitee <strong>und</strong> Szyszko-Bohusz, der in guten <strong>und</strong> häufigen Kontakten<br />

zu Sapieha stand, aber gerade in künstlerischer Hinsicht das Exekutivkomitee<br />

kaum konsultiert hatte. Letzeres bestand darauf, daß die Dekorationselemente nur<br />

provisorischen Charakter haben sollten <strong>und</strong> erst nach der Entscheidung über das endgültige<br />

Aussehen des Sarkophags über die Dekorationen beschlossen werden würde.<br />

646 Dieser eher in unterschiedlichen Kunstauffassungen 647 begründete Konflikt<br />

643 Das Exekutivkomitee lehnte dies in einem Schreiben vom 10.IV.1937 ab (vgl. AAN,<br />

WWNK, 14, B. 110). Die Gazeta Polska berichtete erst am 29.IV.1937, daß die Krypta<br />

vollständig fertiggestellt sei.<br />

644 <strong>Der</strong> Warszawski Dziennik Narodowy vom 26.VI.1937 wies darauf hin, daß die Dekorationen<br />

dem Sarkophag Kościuszkos nachempf<strong>und</strong>en seien, da dort die Wappen ganz Polens<br />

abgebildet seien.<br />

645 Jastrzębowski merkte an, daß Abbildungen von Feldzeichen der Schützen <strong>und</strong> Legionen<br />

<strong>Piłsudski</strong>s fehlten, worin wohl der wirkliche Gr<strong>und</strong> für die Ablehnung der Dekorationen zu<br />

sehen ist. Die Einwände waren im einzelnen: 1. Am Turm sei das Wappen <strong>Piłsudski</strong>s angebracht<br />

worden, der darunter angebrachte Keiler von Szyszko-Bohusz sei nur unwesentlich<br />

kleiner, 2. An den mittelalterlichen Fenstern befänden sich religiöse, aber zufällige <strong>und</strong><br />

nichtssagende Inhalte. 3. Im Vestibül stehe eine Muttergottesfigur, die musealen Wert habe,<br />

aber nichts bedeute. 4. Eine Komposition des Adlers <strong>und</strong> ein Jäger aus dem Wappen<br />

<strong>Piłsudski</strong>s mit einer Unterschrift von Szyszko-Bohusz auf dem Balken dekoriere das Eisentor.<br />

Jastrzębowski beanstandete auch, daß Szyszko-Bohusz sich nicht auf das Innere der<br />

Krypta konzentriert, sondern vollendete Tatsachen geschaffen <strong>und</strong> <strong>seine</strong> Projekte vor der<br />

Anerkennung durch das Exekutivkomitee mit Sapieha abgestimmt habe. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

stellte das Exekutivkomitee fest, daß gerade die Heraldik auf dem Tor nichts mit Leben,<br />

Ideologie <strong>und</strong> Person des Marschalls gemein habe. Vgl. AAN, WWNK, 14, B. 338.<br />

646 Vgl. AAN, WWNK, 14, B. 189 f.<br />

647 Dies wurde auf der Sitzung des Exekutivkomitees vom 19.V.1937 deutlich, auf der festgestellt<br />

wurde, daß die Dekorationen <strong>und</strong> Wappen die Aufmerksamkeit vom Sarkophag ablenkten,<br />

welcher das zentrale Element der Krypta sein solle. Szyszko-Bohusz begründete<br />

nicht nur die Auswahl der Wappen, sondern betonte, daß der Sarkophag <strong>seine</strong>r Ansicht<br />

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