Heidi Hein, Der Piłsudski-Kult und seine Bedeutung ... - Herder-Institut

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ildeten die jednodniówki (Festschriften), die die Garnisonen zu den Piłsudski-Feiern und zu anderen Gedenkfeiern herausgaben, ein wichtiges Informationsmaterial. Insbesondere die beiden Publikationen Nauka obywatelska 448 („Staatsbürgerkunde“) und Żołnierz-obywatel 449 („Soldat-Staatsbürger“) erfüllten seit Mitte der 1930er Jahre die Funktion eines einheitlichen Unterrichtsmaterials. 450 Die Bildungsarbeit beim Wehrdienst sollte den „Soldaten-Staatsbürger“ zu einem bewußten Handeln während und nach dem Wehrdienst anleiten. Er sollte seine Pflichten und Rechte kennenlernen, im Interesse des Staates handeln und Vertrauen zu seinen Behörden fassen. Die Bildungsarbeit sollte dabei grundlegende soldatische und staatsbürgerliche Tugenden wie Patriotismus, Ehre, Mut, Ehrlichkeit, aber auch Religiosität, Zucht, Kameradschaft, Opferbereitschaft, Selbständigkeit und Unternehmungsgeist bei den jungen Soldaten wecken. Als geeignetste Form der Erziehung galten Vorträge (pogadanki), die zunächst eine halbe Stunde, seit 1934 eine Stunde in der Woche dauerten. Sie beschäftigten sich vor allem mit historischen und historisch-landeskundlichen Themen. Die Vortragsreihen umfaßten 42 Themen und wurden ständig mit Hilfe neuer Materialien erweitert. 451 Dabei lassen sich drei Themenfelder ausmachen: Kenntnisse über den polnischen Staat, Informationen über den Krieg und das polnische Militär und schließlich Mitteilungen über die Pflichten und Rechte des Soldaten. Das Lehrprogramm von 1937 ergänzte diese Themenbereiche noch durch die Unterrichtung des Wehrpflichtigen über die gegenwärtige politische Situation mit einer Wochenstunde, während der neue Lehrplan vom März 1938 seinen Schwerpunkt auf gesellschaftlich-politische Informationen insgesamt legte. 452 Ergänzt wurden diese Vorträge noch durch die Lektü- on der Armee), 1926-1936 (vom Maiumsturz bis zu den ersten Ansätzen einer deutschen Aggression in Richtung Osten), 1936-1939 (bis zu den Kriegsvorbereitungen). Vgl. auch ODZIEMKOWSKI, Armia, S. 51; ADAMEK, S. 73-75, und SIKORSKI, S. 29. Wichtig für die Bildungsarbeit waren u.a. die Instrukcja o pracy oświatowo-kulturalnej i wychowawczej w wojsku („Instruktion über die Bildungs-, Kultur- und Erziehungsarbeit im Heer“, 1931), der Befehl des Innenministeriums über die Organizacja pracy kulturalno-oświatowej w wojsku („Die Organisation der Kultur-Bildungsarbeit im Heer“, 1934) und nicht zuletzt die tymczasowe wytyczne pracy oświatowo-wychowawczej i propagandowej („vorläufige Richtlinien für die Bildungs-, Erziehungs- und Propagandaarbeit“, 1938) des Bildungsreferats des Bezirkskommandos des 8. Korps in Toruń. 448 Nauka obywatelska. Tematy pogadanek (Staatsbürgerkunde. Vortragsthemen), Warszawa 1936, in: CAW, WINO, I.300.68.85, n.pag. 449 Żołnierz-obywatel. Książka o Polsce do nauki obywatelskiej o oddziałach [Soldat- Staatsbürger. Buch über Polen für die Staatsbürgerkunde in den Abteilungen], Warszawa 1937. 450 Vgl. KĘSIK, S. 145. 451 Vgl. ODZIEMKOWSKI, Armia, S. 51-54; ADAMEK, S. 74, und RUDNICKI, Myśl pedagogiczna, S. 54. 452 Vgl. SIKORSKI, S. 29. 152

e wichtiger Schriftsteller, so daß neben Adam Mickiewicz und Ignacy Kraszewski vor allem Werke von Wacław Sieroszewski, Wacław Lipiński, Juliusz Kaden- Bandrowski, Felicjan Sławoj-Składkowski sowie Moje pierwsze boje („Meine ersten Kämpfe“) von Piłsudski gelesen wurden. 453 Der inhaltliche Schwerpunkt der historischen Vorträge lag dabei auf der Zeit der Freiheitskämpfe. Dabei wurden militärische Persönlichkeiten wie Kościuszko, Dąbrowski, Prądzyński, Bem, Traugutt und nicht zuletzt Piłsudski gewürdigt und dienten als Beispiele für den militärischen Ruhm Polens. Laut den Instruktionen des Wojskowy Institut Naukowo-Wydawniczy sollten die Vortragenden die Behandlung von dunklen Seiten in der polnischen Geschichte möglichst vermeiden und sich gegebenenfalls auf einige kommentierende Sätze beschränken, dafür aber die Erfolge unterstreichen, die Polen sogar in schwierigsten Situationen erzielte. Sie sollten nicht zögern, ein historisches Problem tendenziös zu behandeln, wenn sie auf diese Weise patriotische Gefühle bei ihren Zuhörern wecken konnten. Um den Lehrstoff für die meist wenig gebildeten und kaum des Lesens und Schreibens kundigen Wehrpflichtigen anschaulich darzustellen, sollten die Vortragenden die historischen Persönlichkeiten auf lebendige Weise beschreiben. So waren auch Propagandamittel wie Radio und Film, aber auch die Feierlichkeiten anläßlich staatlicher Feiertage 454 oder mit dem eigenen Regiment verbundene Ereignisse 455 von erheblicher Bedeutung für die Bildungsarbeit. Eine wichtige Rolle spielten auch die Soldatentheater, die es in jeder Garnison gab und die auch für die örtliche Zivilbevölkerung zugänglich waren. 456 Um die Überzeugung zu wecken, daß selbst Unteroffiziere und einfache Soldaten, die auf ihrem Posten blieben, erheblichen Einfluß auf den siegreichen Verlauf einer Schlacht haben konnten, wurden vor allem Erzählungen von einfachen Soldaten aus den Kämpfen der Jahre 1918 bis 1920 – oft aus dem eigenen Truppenteil – vorgetragen. So nahmen nach 1926 die Kämpfe der Legionen Piłsudskis, der POW und die Verehrung Piłsudskis viel Raum im Unterricht ein. 457 Dieser wurde als persönliches Vorbild für die zu erlernenden soldatischen und staatsbürgerlichen Tugenden darge- 453 Vgl. KĘSIK, S. 152 f. 454 22. Januar (Beginn des Januaraufstandes 1863), 1. Februar (Namenstag Mościckis), 19. März, 3. Mai (Verfassung von 1791 und Stiftung des Ordens Virtuti Militari), 6. August, 15. August (Feiertag des Soldaten/święto żołnierza), 11. November und 29. November (Beginn des Novemberaufstandes 1830), vgl. dazu WYSZCZELSKI, S. 43. 455 Z.B. der Feierttag des Regimentes (święto pułku), Eintreffen der Rekruten, Eintreffen der Reservisten, Gelöbnis, Zeugnisausgabe am Ende der Grundausbildung, Ende des Wehrdienstes oder der Reserveübung, vgl. ebenda. 456 Vgl. ADAMEK, S. 75, und ODZIEMKOWSKI, Armia, S. 51 ff. 457 Vgl. ebenda. Zwischen 1931 und 1938 behandelten von 134 historischen Texten allein 9 (6,7 Prozent) die Legionen Piłsudskis und 12 (8,9 Prozent) den Krieg von 1920. Entsprechende Würdigungen waren aber auch in Texten über Polen als Schutzwall der Christenheit, über die deutsche Gefahr und die Bedrohung durch die Sowjetunion enthalten. 153

e wichtiger Schriftsteller, so daß neben Adam Mickiewicz <strong>und</strong> Ignacy Kraszewski<br />

vor allem Werke von Wacław Sieroszewski, Wacław Lipiński, Juliusz Kaden-<br />

Bandrowski, Felicjan Sławoj-Składkowski sowie Moje pierwsze boje („Meine ersten<br />

Kämpfe“) von <strong>Piłsudski</strong> gelesen wurden. 453<br />

<strong>Der</strong> inhaltliche Schwerpunkt der historischen Vorträge lag dabei auf der Zeit der<br />

Freiheitskämpfe. Dabei wurden militärische Persönlichkeiten wie Kościuszko, Dąbrowski,<br />

Prądzyński, Bem, Traugutt <strong>und</strong> nicht zuletzt <strong>Piłsudski</strong> gewürdigt <strong>und</strong> dienten<br />

als Beispiele für den militärischen Ruhm Polens. Laut den Instruktionen des<br />

Wojskowy <strong>Institut</strong> Naukowo-Wydawniczy sollten die Vortragenden die Behandlung<br />

von dunklen Seiten in der polnischen Geschichte möglichst vermeiden <strong>und</strong> sich gegebenenfalls<br />

auf einige kommentierende Sätze beschränken, dafür aber die Erfolge unterstreichen,<br />

die Polen sogar in schwierigsten Situationen erzielte. Sie sollten nicht<br />

zögern, ein historisches Problem tendenziös zu behandeln, wenn sie auf diese Weise<br />

patriotische Gefühle bei ihren Zuhörern wecken konnten. Um den Lehrstoff für die<br />

meist wenig gebildeten <strong>und</strong> kaum des Lesens <strong>und</strong> Schreibens k<strong>und</strong>igen Wehrpflichtigen<br />

anschaulich darzustellen, sollten die Vortragenden die historischen Persönlichkeiten<br />

auf lebendige Weise beschreiben. So waren auch Propagandamittel wie Radio <strong>und</strong><br />

Film, aber auch die Feierlichkeiten anläßlich staatlicher Feiertage 454 oder mit dem eigenen<br />

Regiment verb<strong>und</strong>ene Ereignisse 455 von erheblicher <strong>Bedeutung</strong> für die Bildungsarbeit.<br />

Eine wichtige Rolle spielten auch die Soldatentheater, die es in jeder<br />

Garnison gab <strong>und</strong> die auch für die örtliche Zivilbevölkerung zugänglich waren. 456<br />

Um die Überzeugung zu wecken, daß selbst Unteroffiziere <strong>und</strong> einfache Soldaten,<br />

die auf ihrem Posten blieben, erheblichen Einfluß auf den siegreichen Verlauf einer<br />

Schlacht haben konnten, wurden vor allem Erzählungen von einfachen Soldaten aus<br />

den Kämpfen der Jahre 1918 bis 1920 – oft aus dem eigenen Truppenteil – vorgetragen.<br />

So nahmen nach 1926 die Kämpfe der Legionen <strong>Piłsudski</strong>s, der POW <strong>und</strong> die<br />

Verehrung <strong>Piłsudski</strong>s viel Raum im Unterricht ein. 457 Dieser wurde als persönliches<br />

Vorbild für die zu erlernenden soldatischen <strong>und</strong> staatsbürgerlichen Tugenden darge-<br />

453 Vgl. KĘSIK, S. 152 f.<br />

454 22. Januar (Beginn des Januaraufstandes 1863), 1. Februar (Namenstag Mościckis), 19.<br />

März, 3. Mai (Verfassung von 1791 <strong>und</strong> Stiftung des Ordens Virtuti Militari), 6. August,<br />

15. August (Feiertag des Soldaten/święto żołnierza), 11. November <strong>und</strong> 29. November<br />

(Beginn des Novemberaufstandes 1830), vgl. dazu WYSZCZELSKI, S. 43.<br />

455 Z.B. der Feierttag des Regimentes (święto pułku), Eintreffen der Rekruten, Eintreffen der<br />

Reservisten, Gelöbnis, Zeugnisausgabe am Ende der Gr<strong>und</strong>ausbildung, Ende des Wehrdienstes<br />

oder der Reserveübung, vgl. ebenda.<br />

456 Vgl. ADAMEK, S. 75, <strong>und</strong> ODZIEMKOWSKI, Armia, S. 51 ff.<br />

457 Vgl. ebenda. Zwischen 1931 <strong>und</strong> 1938 behandelten von 134 historischen Texten allein 9<br />

(6,7 Prozent) die Legionen <strong>Piłsudski</strong>s <strong>und</strong> 12 (8,9 Prozent) den Krieg von 1920. Entsprechende<br />

Würdigungen waren aber auch in Texten über Polen als Schutzwall der Christenheit,<br />

über die deutsche Gefahr <strong>und</strong> die Bedrohung durch die Sowjetunion enthalten.<br />

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