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PflegeForum 31. PflegeForum - Versorgungsnetz Gesundheit eV

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<strong>PflegeForum</strong><br />

<strong>Versorgungsnetz</strong> <strong>Gesundheit</strong> e.V.<br />

c/o Regine Harms<br />

Tel: 0441 / 8000 921 / Fax: 0441 / 8000 924<br />

Email: regine.harms@harms-qg.de<br />

<strong>31.</strong> <strong>PflegeForum</strong><br />

Protokoll vom 08.02.’12, 14.30 – 17.15 Uhr im Klinikum, MAZ<br />

__________________________________________________________________________<br />

1. BEGRÜSSUNG<br />

Am <strong>31.</strong> <strong>PflegeForum</strong> mit dem Thema „Werdenfelser Weg – eine Alternative zu freiheitsentziehenden<br />

Maßnahmen“ haben ca. 115 Personen aus ganz unterschiedlichen<br />

Berufen und Einrichtungsarten teilgenommen. Als Referentin konnten wir die Betreuungsrichterin<br />

Frau Pontenagel begrüßen, weitere ExpertInnen waren die Pflegefachkräfte<br />

und VerfahrenspflegerInnen Annelene Albers und Claus Enneper (Karl-Jaspers-<br />

Klinik). Für die Moderation stand uns wieder Berthold Schmid zur Verfügung.<br />

2. VORTRAG ZUM „WERDENFELSER WEG“ (Richterin Frau Pontenagel)<br />

Der Werdenfelser Weg ist ein verfahrensrechtlicher Ansatz im Rahmen des geltenden<br />

Betreuungs- und Verfahrensrechts, den Gedanken der Vermeidung von Fixierungen und<br />

freiheitsentziehenden Maßnahmen zu stärken. Nähere Informationen:<br />

http://www.aufschwungalt.de/Downloads/werdenfelserWeg.pdf<br />

Zu Beginn ihres Vortrags betonte Frau Pontenagel, dass freiheitsentziehende Maßnahmen<br />

im ambulanten Bereich nicht gerichtlich zu genehmigen sind. Davon unbenommen<br />

kann der Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen (FEM) trotzdem eine Straftat im<br />

Sinne von Freiheitsentziehung darstellen.<br />

a. Gerichtlich zu genehmigen sind FEM sofern:<br />

- in Einrichtungen<br />

- Betroffener einwilligungsunfähig ist<br />

- eine Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit erfolgt (bei einem gelähmten oder<br />

bewusstlosen Menschen kann ein Gurt oder Bettgitter bspw. somit keine FEM sein)<br />

- die Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt werden soll(Zweck der Fixierung: wird z.B.<br />

die Hand fixiert, damit eine Sonde nicht gezogen wird, ist das zulässig)<br />

- FEM regelmäßig oder dauerhaft angewendet wird (in Oldenburg wurde vereinbart,<br />

dass bis zu drei Tage FEM ohne richterlichen Beschluss zulässig sind, um z.B. dem<br />

postoperativen Durchgangssyndrom zu begegnen)<br />

b. Warum eine Änderung bisheriger Praxis?<br />

- Bewegungsfreiheit ist ein hohes Rechtsgut<br />

- FEM ziehen direkte <strong>Gesundheit</strong>sbeeinträchtigungen nach sich (Dekubiti, Strangulie-<br />

rungen, Stürze z.B. über Gitter, …)<br />

- FEM bewirken indirekte <strong>Gesundheit</strong>sbeeinträchtigungen (psychischer Art oder Mobi-<br />

litätsverlust durch Muskelabbau)<br />

- angestrebter Schutzzweck wurde verfehlt: Zahl der Stürze in Heimen wurde nicht re-<br />

duziert, seit fixiert wird / Sturzrisiko ist sogar gestiegen: Menschen fallen häufiger,<br />

weil sie nicht im Training sind und Muskelmasse abgebaut wird)<br />

- nationaler Expertenstandard des DNQP zur Sturzprophylaxe empfiehlt Vermeidung<br />

von FEM zur Sturzprophylaxe<br />

c. Zahlen<br />

- 1992 wurden 10.000 FEM gerichtlich genehmigt, 2002 bereits 100.000<br />

- 80% der Fixierungen werden 8 – 24 Std. tgl. vorgenommen<br />

- 90% der Anträge auf Fixierungsgenehmigungen werden erteilt<br />

d. VerfahrenspflegerInnen<br />

VerfahrenspflegerInnen können von Gerichten bestellt werden. Früher waren das<br />

überwiegend JuristInnen, NEU im Rahmen des Werdenfelser Wegs ist der Einsatz<br />

1


von geschulten Pflegefachkräften. Diese müssen aus anderen Einrichtungen kommen<br />

als die, in der sie eingesetzt werden.<br />

Ziel des Verfahrens ist die Vermeidung von FEM. Es sollen individuelle Lösungen<br />

überlegt werden, wobei es auch möglich ist, die Umsetzung zu begleiten.<br />

Ablauf des Verfahrens:<br />

- es werden alle Beteiligten an einen Tisch geholt, gemeinsam wird diskutiert<br />

- Klärung, ob FEM nötig sind<br />

- genaues Ansehen der Zusammenhänge, Diskussion<br />

- Überlegen von Alternativen<br />

e. Änderungen durch Werdenfelser Weg<br />

- Antrag auf FEM wird wie bisher beim Gericht gestellt, ärztliches Attest ist beigefügt<br />

- Gericht bestellt VerfahrenspflegerIn<br />

- VerfahrenspflegerIn erörtert wie o.g. alle Punkte mit den Beteiligten (inkl. Ang.)<br />

- Gericht entscheidet durch Beschluss<br />

f. Situation in Oldenburg<br />

Frau Pontenagel hat eine Erhebung bei den 29 Oldenburger Heimen durchgeführt:<br />

Die Heime fixieren zwischen fünf und 60 % ihrer BewohnerInnen. Da das bei vergleichbarer<br />

Klientel geschieht, liegt der Hauptgrund laut Frau Pontenagel in der Haltung<br />

der jeweiligen Pflegekräfte zum Thema FEM.<br />

g. Bezahlung der VerfahrenspflegerInnen<br />

Die Kosten (von maximal 200,- €) werden von den Betroffenen selbst bezahlt, die<br />

Angehörigen werden nicht herangezogen. Bei geringem Einkommen zahlt die Justizkasse<br />

den Einsatz. Etwaige gesetzliche BetreuerInnen für den Bereich Finanzen<br />

müssen die richterliche Entscheidung akzeptieren und den Einsatz bezahlen.<br />

3. FRAGEN ZUM VORTRAG<br />

a. Häuslicher Bereich<br />

Ergänzend zu den Äußerungen unter 2. wurden folgende Punkte besprochen:<br />

- Frau Pontenagel sind keine Haftungsfälle von Pflegediensten bekannt<br />

- Dokumentation von Gesprächen ist wichtig, die Verantwortung z.B. für die Beibehal-<br />

tung von Stolperfallen , auf die von der Pflegekraft hingewiesen wurde, liegt bei den<br />

Betroffenen oder Betreuern<br />

- Pflegedienste sollten sich intern auf eine einheitlich Linie zum Umgang mit FEM und<br />

Sturzgefährdung einigen<br />

b. Krankenhaus<br />

Ergänzend zum Punkt 2a wurde besprochen:<br />

- die Oldenburger Regelung, dass drei Tage ohne Genehmigung fixiert werden darf,<br />

gilt auch für Wiederholungen, wenn diese nicht regelmäßig auftreten. Es muss sich<br />

um Akutsituationen handeln<br />

- FEM benötigen auf jeden Fall eine ärztliche Anweisung<br />

c. Ausbildung der VerfahrenspflegerInnen<br />

Hier gibt es keine Vorgaben, außer dass nur examinierte Pflegefachkräfte in Frage<br />

kommen.<br />

d. Verbreitung in der Region<br />

Der Werdenfelser Weg wird in der hiesigen Region bisher nur in Oldenburg und<br />

Cloppenburg praktiziert. In Süddeutschland führen sogar große Bezirke (AG München,<br />

AG Nürnberg) gerade den Werdenfelser Weg ein.<br />

e. Umgang mit bereits erteilten Genehmigungen für FEM<br />

Genehmigungen für FEM werden grundsätzlich zeitlich befristet erteilt. Neuentscheidungen<br />

werden mit Einbeziehung von VerfahrenspflegerInnen getroffen.<br />

4. BERICHT ANNELENE ALBERS, KJK<br />

Annelene Albers und ihr Kollege Claus Enneper sind hauptberuflich als Stationsleitungen<br />

in der Karl-Jaspers-Klinik tätig, nebenberuflich auf Honorarbasis als Verfahrenspfl.<br />

2


In der KJK existiert eine Verfahrensanweisung für fixierte PatientInnen: fixierte Pat.<br />

müssen eine 1 : 1 Betreuung erhalten, was schwierig umzusetzen ist. Bereits aus diesem<br />

Grund kommen FEM vergleichsweise selten vor. Alternativ werden bspw. Hilfsmittel<br />

eingesetzt, z.B. Hüftprotektorenhosen oder Niedrigbetten. Über den häufigen Kontakt<br />

zum Betreuungsgericht ist dieses an die KJK herangetreten mit der Frage, ob Pflegefachkräfte<br />

Interesse an der Tätigkeit als VerfahrenspflegerInnen haben.<br />

Ablauf des Einsatzes von VerfahrenspflegerInnen (VPfl.):<br />

- das Gericht teilt mit, dass ein Einsatz von VPfl. notwendig ist<br />

- VPfl. meldet sich bei der PDL an und spricht einen Termin ab<br />

- nach Durchsicht der Dokumentation findet eine interdisziplinäre Fallbesprechung statt<br />

- Kontaktaufnahme mit BewohnerIn, falls das möglich ist<br />

- Abschluss einer Vereinbarung, was z.B. individuell versucht werden soll<br />

- Bericht an das Gericht<br />

Aktuell wird der Fortbildungsbedarf für VPfl. erhoben.<br />

5. ARBEITSGRUPPEN ZUM THEMA<br />

Es wurden fünf kleinere Arbeitsgruppen gebildet, die sich parallel mit identischen Fragestellungen<br />

beschäftigten. Jede AG diskutierte zu vier Fragen: Erfahrungsaustausch zu<br />

FEM; prägnante Kurzgeschichte zum Thema; Relevanz des Werdenfelser Weges; Rolle<br />

von Angehörigen.<br />

a. Erleben von Angehörigen<br />

Die hier geschilderten Erfahrungen waren sehr unterschiedlich:<br />

- die Notwendigkeit einer Einbeziehung von Angehörigen wurde von Allen befürwortet<br />

- viele Angehörige sind engagiert und eine große Hilfe<br />

- gerade beim Durchgangssyndrom können Angehörige die Pat. sehr gut beruhigen<br />

- bei Stürzen in Heimen reagieren Angehörige häufig vorwurfsvoll<br />

- Angehörige haben teils kein Verständnis für Situation in Einrichtungen<br />

- einige Angehörige haben Hemmungen, (notwendige) Entscheidungen zu treffen<br />

- Angehörige sind nicht immer wohlwollend, es wird auch Gewalt ausgeübt<br />

- viele Angehörige haben Informationsdefizite (auch zu FEM)<br />

- Scham und Hilflosigkeit sind bei einigen Angehörigen wichtige Gefühle<br />

Zum Umgang mit Angehörigen gab es folgende Hinweise:<br />

- bei Vorwürfen und Zweifeln von Angehörigen sind Gespräche oft hilfreich, die je-<br />

doch Zeit brauchen<br />

- Pflegefachkräfte sind ausgebildet im Umgang mit Konfliktsituationen, Ang. nicht<br />

- in Konfliktsituationen können auch HausärztInnen angesprochen werden, die bei<br />

Hausbesuchen Angehörige beraten od. auf Unterstützungsmögl. Hinweisen können<br />

- in Zweifelsfällen in Bezug auf FEM im häuslichen Bereich kann der regionale Sozial-<br />

psychiatrische Dienst (über das <strong>Gesundheit</strong>samt) eingeschaltet werden<br />

b. Alternativen zu FEM<br />

- Thema waren Induktionsschleifen und Ortungschips. Zur Ortung sind diese zulässig,<br />

aber wenn die Schleife zum Verschließen der Tür führt oder der Chip genutzt wird,<br />

um die Person, die das Haus/den Wohnbereich verlässt, am Weitergehen zu hin-<br />

dern, fällt das ebenfalls unter FEM.<br />

- RCN-Walker: diese Gehhilfe sollte nur in Einzelfällen und mit Anleitung durch Phy-<br />

siotherapeutInnen verwendet werden. Die NutzerInnen dürfen nicht zu unruhig sein,<br />

außerdem ist das Hilfsmittel sehr breit. Die Verwendung stellt eine FEM dar!<br />

http://www.rcn-medizin.de/deutsch/service/RCN_Gehwagen.pdf<br />

c. Werdenfelser Weg (WW)<br />

- Was geschieht, wenn eine Einrichtung die Vorschläge der VPfl. nicht umsetzt:<br />

Die Einrichtung ist nicht zur Umsetzung verpflichtet, der Vorschlag ist keine verbindliche<br />

Vorgabe. Da die Aufgabe der VPfl. darin besteht, einen Konsens mit den Betroffenen<br />

herzustellen, probieren die Einrichtungen die Vorschläge meistens aus.<br />

- Schulungen durch VerfahrenspflegerInnen:<br />

Im Konzept des WW sind keine Schulungen vorgesehen, jedoch können diese mit<br />

den VPfl. individuell vereinbart werden.<br />

- Ein anwesender Ethikberater wies darauf hin, dass prophylaktische Beratungen und<br />

3


Schulungen zum Thema FEM auch durch EthikberaterInnen angeboten werden.<br />

6. ABSCHLUSS<br />

Eine Teilnehmerin hat passend zum Thema einen ausführlichen Antrag der FDP in NRW<br />

gefunden, der als pdf parallel mit dem Protokoll auf der Homepage hinterlegt wird.<br />

Abschließende Äußerungen zum <strong>PflegeForum</strong> aus dem Publikum:<br />

- mehr Empathie für die BewohnerInnen bekommen<br />

- mehr Informationen zu Alternativen wie Hilfsmitteln wären gut gewesen<br />

- anregender Austausch, im Alltag ist vieles selbstverständlich, über eigene Verhaltens-<br />

weisen sollte mehr nachgedacht werden<br />

- trotz der großen Zahl an TN konnte intensiv gearbeitet werden<br />

- Inhalte und Ergebnisse von heute sollen in die Einrichtungen getragen werden<br />

TERMINE<br />

Nächstes <strong>PflegeForum</strong>:<br />

WANN: Mi. 30.05.2012, 14.30 – 17.30 Uhr<br />

WO: MAZ des Klinikums, Brandenburger Str. 19, 26133 Oldenburg<br />

THEMA: „Blickpunkt Schmerz – Allgemeine Grundlagen“<br />

WEITERE TERMINE (Blickpunkt Schmerz): 04.07. und 17.10.2012<br />

Protokollantin:<br />

OL, 16.02.’12<br />

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