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Sommer - Schweizerische Gesellschaft für Gebirgsmedizin

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Eine eindrückliche Manifestation einer AMS mit beginnendem HACE<br />

Anmerkung der Redaktion<br />

Im letzten Monat erreichte uns per E-Mail wieder ein<br />

höchst interressanter und farbiger Erlebnisbericht des<br />

Kollegen Daniel Walter. Wie bereits in den vergangenen<br />

Ausgaben des Forum Alpinum stellen wir solche<br />

bergmedizinisch relevanten Erfahrungen sehr gern vor,<br />

um unsere Leser einzuladen, an der Diskussion<br />

teilzunehmen.<br />

Erfahrungsbericht<br />

Am 22. April 2004 hat ein ausserordentlich fitter und<br />

bergerfahrener 68-jähriger Berggänger namens P. den<br />

5642 m hohen Elbrus in knapp 9 Stunden (1900 m<br />

Höhendifferenz) bestiegen. Während den letzten Metern<br />

im Aufstieg sind den Bergkameraden<br />

Erschöpfungsanzeichen verbunden mit einem<br />

"unkoordiniertem Gang“ aufgefallen. Der Arzt traf auf<br />

den vom Gipfel absteigenden P. auf einer Höhe von 5580<br />

m. Es herrschten stürmische Winde und dichtes<br />

Schneetreiben. P. war desorientiert, verkannte die Kälte<br />

(wollte sich trotz Erfrierungsanzeichen an Nase und<br />

Wange nicht entsprechend schützen) und beklagte<br />

Schwindel. Kopfschmerz 1 und Nausea wurden verneint,<br />

ebenso Erbrechen.<br />

Der Arzt riet zu schnellem Abstieg und verabreichte<br />

etwas Traubenzucker. P. wurde vom Bergführer ans<br />

kurze Seil genommen, stolperte und stürzte aber immer<br />

häufiger. Unter der Arbeitshypothese der cerebralen<br />

Mitbeteiligung bei AMS wurde pragmatisch 50 mg<br />

Prednison per os mit gesüsstem Tee verabreicht. Eine<br />

unmittelbar positive Wirkung allerdings konnte nicht<br />

beobachtet werden: Der Patient musste schliesslich von<br />

zwei Bergkameraden gestützt und vom Bergführer<br />

gezogen regelrecht den Berg hinunter befördert werden.<br />

Die Gehstrecken verkürzten sich zusehends. Auf einer<br />

Höhe von 4800m konnte P. nicht mehr laufen. Noch<br />

immer bestanden keine Kopfschmerzen, hingegen<br />

heftiger Schwindel und eine unüberwindliche Schwäche.<br />

Zudem war eine zeitliche und örtliche Desorientierung<br />

und eine ausgeprägte Falltendenz offensichtlich. Die<br />

transkutan bestimmte Sauerstoffsättigung betrug 79% bei<br />

einem regelmässigen Puls von 104/min. Es bestanden<br />

eindrückliche Periorbitalödeme beidseits, die allerdings<br />

bereits vor dem Aufstieg existierten. Fokal neurologische<br />

Ausfälle waren keine vorhanden. Bei garstigen<br />

Wetterbedingungen misslang die intravenöse Applikation<br />

von Steroiden, sodass 8mg Dexamethason intramuskulär<br />

gespritzt wurde. Ein Pistenfahrzeug wurde so hoch wie<br />

möglich an den Berg bestellt, in der Absicht, den<br />

Patienten so schonend und schnell wie möglich vom Berg<br />

zu bringen.<br />

Kurze Zeit nach Applikation der Steroide wurde P.<br />

adäquat, die Gehfähigkeit besserte sich deutlich. Auf<br />

einer Höhe von 4100m schliesslich bestand P. darauf, mit<br />

den Skis selbständig talwärts zu fahren (das zuvor<br />

FORUM ALPINUM Nr. 2/04 4<br />

Daniel Walter<br />

bestellte Pistenfahrzeug wurde, wohl wegen fehlenden<br />

finanziellen Vorauszahlungen, am Berg nicht gesehen).<br />

Rückblickend berichtete P. über eine weitgehende<br />

Amnesie von über einer Stunde, nämlich von unterhalb<br />

des Gipfels bis kurz nach Applikation des Dexamethason.<br />

Meiner Meinung nach dürfte es sich bei der oben<br />

beschriebenen eindrücklichen Symptomatologie um eine<br />

AMS (Acute Mountain Sickness) mit<br />

cerebellärer/cerebraler Mitbeteiligung im Sinne eines<br />

beginnenden HACE (High Altitude Cerebral Edema)<br />

handeln – mit einem AMS-Lake Louise Score von 15<br />

Punkten aber notabene fehlendem Kopfschmerz und ohne<br />

Erbrechen! Oder...?<br />

1 bei Abmarsch und im Verlaufe des Morgens waren je<br />

50 mg Diclofenac vom Patienten wegen chronischem<br />

„lower back pain“ und einem subakuten<br />

Meniskusschaden eingenommen worden. Ansonsten<br />

keine Medikation; keine nennenswerten<br />

Nebenerkrankungen.<br />

Korrespondenzadresse<br />

Dr. med. Daniel Walter<br />

Institut <strong>für</strong> Anästhesiologie<br />

Rätisches Kantons- u. Regionalspital Chur<br />

Dani.walter@bluewin.ch<br />

Antwort der Redaktion<br />

Hallo Daniel<br />

Vielen herzlichen Dank <strong>für</strong> Deinen Bericht. Wir freuen<br />

uns immer über solche Beiträge, weil unser Journal<br />

dadurch lebendiger wird.<br />

Deine Einschätzung war natürlich völlig korrekt: Es<br />

handelte sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um ein<br />

HACE und Deine Therapie war daher ausgezeichnet.<br />

Cortikoide und Sauerstoffzufuhr (in diesem Fall durch<br />

die Erhöhung des O 2-Partialdruckes beim Absteigen) sind<br />

die Therapie der Wahl. Wenn der Patient in dieser<br />

Situation und mit diesen Krankheitszeichen allein und<br />

ohne Hilfe gewesen wäre, dann würde er wahrscheinlich<br />

nicht mehr unter uns weilen.<br />

Bis später<br />

Liebe Grüsse, Eckehart

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