Agrobiodiversität in Deutschland - Genres
Agrobiodiversität in Deutschland - Genres
Agrobiodiversität in Deutschland - Genres
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
16 | Johannes Engels<br />
Zusammenfassung<br />
From the earliest conservation and use activities<br />
of genetic resources until today<br />
Es ist schwer zu sagen, wann die erste zielgerichtete Erhaltung pflanzengenetischer<br />
Ressourcen begann. Sicher ist, dass die Domestizierung von Arten seit jeher<br />
auch immer mit Erhaltungsaktivitäten verknüpft war, zum<strong>in</strong>dest von e<strong>in</strong>er<br />
Saison bis zur nächsten, um sicherzustellen, dass der durch Selektion erzielte<br />
Fortschritt bestehen blieb. Daher haben Landwirte Erhaltung und Nutzung auf<br />
praktische Weise und mit e<strong>in</strong>em klaren Fokus auf die von ihnen entwickelten<br />
genetischen Ressourcen betrieben. Dieser Prozess hält <strong>in</strong> vielen Entwicklungsländern<br />
bis heute an und ist auch <strong>in</strong> entwickelten Ländern <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerem Umfang<br />
noch vorhanden. Normalerweise haben Bauern das von ihnen veränderte<br />
Material nicht als ihr Eigentum betrachtet, es wurde ausnahmslos großzügig<br />
mit anderen geteilt.<br />
Domestizierung und darauf folgende züchterische Verbesserung der Nutzpflanzen<br />
fanden und f<strong>in</strong>den immer noch an vielen Orten weltweit statt, <strong>in</strong>sbesondere<br />
<strong>in</strong> den sogenannten Ursprungszentren der Landwirtschaft. Diese<br />
Zentren decken sich mit den Zentren der Diversität, viele unserer wichtigsten<br />
Nutzpflanzen haben dort ihren Ursprung genommen und sich von dort aus<br />
ausgebreitet. Der ungeh<strong>in</strong>derte Austausch von Nutzpflanzen und genetischer<br />
Diversität hat für die Entwicklung der Landwirtschaft und für ihre Ausbreitung<br />
auf andere Gebiete und Kont<strong>in</strong>ente immer e<strong>in</strong>e wesentliche Rolle gespielt.<br />
Wir kennen etliche Beispiele, die zeigen, dass die Menschen das Wissen über die<br />
Domestizierung bestimmter Nutzpflanzen auf neue Gegebenheiten und neue<br />
geografische Gebiete übertragen haben. Folglich haben es erst die Verfügbarkeit<br />
und der Austausch genetischer Ressourcen ermöglicht, neue Nutzpflanzen<br />
zu züchten und/oder diese <strong>in</strong> neuen Regionen anzubauen, häufig ohne ihre<br />
natürlichen Fe<strong>in</strong>de, und haben dadurch zu e<strong>in</strong>er wesentlich erfolgreicheren<br />
Landwirtschaft beigetragen. Diese ungeh<strong>in</strong>derte Verbreitung genetischer Ressourcen<br />
hat weltweit stattgefunden.<br />
Während des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelte sich e<strong>in</strong> leidenschaftliches<br />
Interesse an gärtnerischen, <strong>in</strong>sbesondere seltenen und exotischen Pflanzenarten.<br />
Es wurden gezielte Expeditionen durchgeführt, um solches Material zu<br />
sammeln. Alexander von Humboldt (1769 –1859) war e<strong>in</strong>er dieser Forscher, der<br />
durch se<strong>in</strong> leidenschaftliches wissenschaftliches Engagement auf se<strong>in</strong>en Forschungsreisen<br />
durch Europa und Amerika zahlreiche neue Pflanzenarten ent-<br />
deckte, sie beschrieb (alle<strong>in</strong> 12 Arten s<strong>in</strong>d nach ihm selbst benannt) und nach<br />
Berl<strong>in</strong> brachte. Dies alles konnte <strong>in</strong> der damaligen Zeit ohne jegliche legale oder<br />
moralische E<strong>in</strong>schränkungen stattf<strong>in</strong>den und ohne die Auffassung, dass solche<br />
wissenschaftlichen Aktivitäten subversiv se<strong>in</strong> könnten.<br />
Mit der Entdeckung der Mendel‘schen Vererbungsregeln (1865 publiziert, Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt) entwickelte sich die professionelle<br />
Pflanzenzüchtung sehr schnell, und mit den wachsenden Züchtungsaktivitäten<br />
wuchs der Bedarf an genetischer Diversität stetig. Professionelle Pflanzenzüchter<br />
etablierten ihre sogenannten Züchtersammlungen zur kurz- bis<br />
mittelfristigen Erhaltung von genetischen Ressourcen, um ihre laufenden und<br />
zukünftigen Züchtungsaktivitäten zu erleichtern. Diese Sammlungen waren<br />
oft e<strong>in</strong> Grundstock für den Aufbau von Genbanken, bzw. entwickelten sich zu<br />
Genbanksammlungen, zunehmend mit dem Ziel der Langzeit-Erhaltung. Die<br />
Entwicklung neuer Züchtungstechnologien ermöglichte den Transfer von Genen<br />
und Merkmalen zwischen weniger eng verwandten Arten und verstärkte<br />
das Interesse an e<strong>in</strong>em erweiterten Spektrum an Material. Gleichzeitig kam<br />
es durch die neuen Technologien zunehmend zur Anwendung geistiger Eigentumsrechte,<br />
z.B. Sortenschutz und Patentanmeldungen. Dies wirkte sich wiederum<br />
negativ auf die freie Zugänglichkeit von genetischen Ressourcen aus.<br />
Nikolai Vavilov (1887 - 1943) war e<strong>in</strong> Forscher und Pflanzensammler, dem die<br />
große Aufgabe zukam, die Landwirtschaft der Sowjetunion weiter <strong>in</strong> Richtung<br />
Osten, bis nach Sibirien h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> auszudehnen. Dafür wurde e<strong>in</strong>e beachtliche<br />
Pflanzenarten- und Sortenvielfalt aus allen Kont<strong>in</strong>enten gesammelt und zur<br />
Erhaltung und Evaluierung nach Len<strong>in</strong>grad (dem heutigen St. Petersburg)<br />
gebracht. Dadurch entstand e<strong>in</strong>e der ersten und größten Genbanken der Welt.<br />
Diese Herangehensweise erlaubte es Vavilov, Ursprungszentren der Landwirtschaft<br />
zu postulieren, und zu entdecken, dass sich die genetische Diversität der<br />
Kulturpflanzen <strong>in</strong> acht (und e<strong>in</strong>em halben) sogenannten „Diversitätszentren“<br />
konzentriert. Vavilovs Aktivitäten waren nur möglich, weil es damals ke<strong>in</strong>e<br />
E<strong>in</strong>schränkungen für das Sammeln und den weltweiten Austausch von genetischen<br />
Ressourcen gab.<br />
Das Übere<strong>in</strong>kommen über die biologische Vielfalt (1993) läutete bezüglich des<br />
rechtlichen Status der Biodiversität e<strong>in</strong>e neue Ära e<strong>in</strong>. Die souveränen Rechte<br />
der Staaten über ihre biologische Vielfalt wurden anerkannt, e<strong>in</strong>hergehend<br />
mit der Verpflichtung, diese unter e<strong>in</strong>vernehmlich vere<strong>in</strong>barten Bed<strong>in</strong>gungen<br />
Johannes Engels | 17