Agrobiodiversität in Deutschland - Genres
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92 | Hermann Schulte-Coerne<br />
Tiergenetische Ressourcen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />
genetische Rassenerhaltung im Vordergrund steht, sondern die Freude an<br />
der Haltung von Rassen <strong>in</strong> vielfältigen äußerlichen Form- und Farb-Varianten.<br />
Rückblick auf die stabilisierenden Momente<br />
und Entwicklungen der letzten Jahrzehnte<br />
Der Großteil der Erhaltungsmaßnahmen auf privater und staatlicher Ebene<br />
für vom Aussterben bedrohte Rassen wurde <strong>in</strong> den letzten 20 Jahren begonnen.<br />
Dabei haben sich auf nationaler und auch auf <strong>in</strong>ternationaler Ebene<br />
e<strong>in</strong>schlägige neue Institutionen und Strukturen, wie das Informations- und<br />
Koord<strong>in</strong>ationszentrum für Biologische Vielfalt (IBV), etabliert. E<strong>in</strong> Rückblick<br />
auf diese Entwicklung soll aber auch <strong>in</strong> die Zeit von vor etwa 50 Jahren<br />
zurückgehen, als erstmals <strong>in</strong> Fachkreisen so etwas wie e<strong>in</strong> Problembewusstse<strong>in</strong><br />
entstand.<br />
Etwa Mitte der 60er Jahre hatten Wissenschaft und organisierte Tierzucht<br />
auf der Basis der damals noch jungen Populationsgenetik erfolgreich moderne<br />
Besamungszuchtprogramme beim Milchr<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>geführt. Die Herdbuchzucht<br />
beim Wirtschaftsgeflügel war bereits abgelöst durch Hybridzuchtprogramme<br />
damals schon weltweit operierender Zuchtunternehmen.<br />
Beim Schwe<strong>in</strong> begann gerade der langsame Abstieg der Herdbuchzucht,<br />
bed<strong>in</strong>gt durch die unbestreitbaren wirtschaftlichen Vorteile der Hybridzucht.<br />
Die damit e<strong>in</strong>hergehenden starken Veränderungen der Zuchtstrukturen<br />
und der Rassespektren waren von Seiten der beteiligten Wissenschaft<br />
und Praxis ausdrücklich erwünscht und wurden auch von weiteren Kreisen<br />
der Öffentlichkeit nicht kritisch gesehen oder aber gar nicht beachtet.<br />
Zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> blieb weitgehend unbeachtet, dass die FAO bereits<br />
<strong>in</strong> den 60er Jahren Arbeitsgruppen über genetische Ressourcen <strong>in</strong> der<br />
Tierzucht gegründet hatte, die ihr Augenmerk auf die Gefährdung der genetischen<br />
Vielfalt bei Nutztieren gerichtet hatten. Möglicherweise angeregt<br />
durch die Aktivitäten der FAO tauchte 1974 beim ersten Weltkongress über<br />
angewandte Genetik <strong>in</strong> der Tierproduktion auch das Thema tiergenetische<br />
Ressourcen auf. Im Zentrum des Kongresses standen aber andere Themen,<br />
etwa Selektionsexperimente, bei denen auch nach mehr als 50 Generationen<br />
Selektion ke<strong>in</strong>e Erschöpfung der genetischen Varianz aufgetreten waren.<br />
Die versammelten Vertreter aus Wissenschaft und Zuchtverbänden gewannen<br />
oder bestätigten damit ihren be<strong>in</strong>ahe une<strong>in</strong>geschränkten Optimismus<br />
über Chancen und Wirksamkeit moderner Züchtungsverfahren.<br />
E<strong>in</strong> gleichfalls sehr beachteter Vortrag von G.E. Dickerson zur Theorie von<br />
Kreuzungen und synthetischen Rassen trug den Titel „Utiliz<strong>in</strong>g breed resources“.<br />
Die propagierte „Nutzung der Ressourcen an Rassen“ setzt voraus,<br />
dass man aus e<strong>in</strong>er Vielzahl vorhandener Rassen die geeigneten aussuchen<br />
kann. Offenbar galt es damals als selbstverständlich, diese Vielfalt auf Dauer<br />
verfügbar zu haben.<br />
Der Round Table zur Notwendigkeit der Erhaltung genetischer Ressourcen<br />
und gefährdeter Rassen dürfte dann manch e<strong>in</strong>en Wissenschaftler erstmals<br />
nachdenklich gemacht haben. Die Protagonisten Ian Mason (FAO), J.E.O.<br />
Rege, Kalle Majala, Imre Bodo und andere trugen damals Berichte über Rassen<br />
zusammen, die schon fast ausgestorben gewesen waren und dann wieder<br />
erhebliche Bedeutung erlangt hatten. Wer hätte geahnt, dass das F<strong>in</strong>nschaf<br />
oder besonders das Piétra<strong>in</strong>-Schwe<strong>in</strong> zu diesen Beispielen gehörten.<br />
1979 gab es den ersten Appell zur Beachtung des Problems <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>.<br />
In der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde (DGfZ) befasste sich der<br />
Ausschuss für genetisch-statistische Methoden <strong>in</strong> mehreren Sitzungen mit<br />
dem Thema vom Aussterben bedrohter Rassen und veröffentlichte 1979<br />
<strong>in</strong> der Zeitschrift „Züchtungskunde“ e<strong>in</strong>e Stellungnahme zur Bildung von<br />
<strong>Genres</strong>erven <strong>in</strong> der Tierzucht.<br />
Hermann Schulte Coerne | 93