Systemsteuerung im Case Management
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umgesetzt werden. ‚Sinnbezug’ ist also ein wichtiges Erfolgskriterium für<br />
<strong>im</strong>materielle instruktive Steuerungen. 315<br />
Eine weitere Möglichkeit gelingender <strong>im</strong>materieller Instruktionen zeigt Baecker in<br />
seiner Darstellung von <strong>Management</strong>handeln in Organisationen auf: Das Setzen<br />
einer Irritation, so dass sie „… den Beobachtern <strong>im</strong> System als Störung dessen und<br />
Widerspruch zu dem auffallen, was sie andernfalls für den geordneten und<br />
selbstverständlichen Verlauf der Dingen gehalten hätten.“ 316 Die Initiierung von<br />
Veränderungen durch gezielte Störungen ist eine in der psychologischen Therapie<br />
durchaus nicht ungewöhnliche Methodik. 317 Auch in der Organisationsentwicklung<br />
und vor allem in der Organisationsberatung wird die Methodik der gezielten Störung<br />
zur Initiierung von Selbstveränderungen (Selbststeuerungen) vielfach verwendet, 318<br />
zumal gerade bei den letzteren weder destruktive noch materielle<br />
Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und Veränderungen nur <strong>im</strong>materiell<br />
instruktiv auf dem Wege von Selbstveränderungen (Selbststeuerungen) möglich<br />
sind. Die Veränderung von Organisationssystemen durch Selbstveränderung<br />
benötigt aber Zeit – oft sogar viel Zeit. Schnelle Resultate sind so in aller Regel nicht<br />
zu haben. Willke verweist hierzu auf Interventionsregeln des amerikanischen<br />
Organisationsberaters Peter M. Senge, wie z.B. „Je stärker du drückst, desto stärker<br />
schlägt das System zurück.“ – „Der leichte Ausweg führt gewöhnlich zurück ins<br />
Problem.“ – „Langsamer ist schneller.“ 319 Diese durchaus einfach anmutenden<br />
Leitsätze verweisen aber darauf, dass Organisationssysteme <strong>im</strong> Sinne der zuvor<br />
zitierten „garbage can“ über vielfältige Mitte verfügen, sich Veränderungen zu<br />
widersetzen und ihren ‚Ursprungszustand’ zu behaupten. Dies gilt dann natürlich<br />
auch für Versuche, mittels (gezielter) Irritationen Veränderungen auszulösen.<br />
Während, wie bereits gezeigt wurde, <strong>im</strong>materielle instruktive Interventionen<br />
möglichst eng an der Sinnkonstruktion des zu steuernden Systems anknüpfen<br />
sollten, müssen sich Irritationen – auch um überhaupt als solche erkennbar zu sein –<br />
davon abheben, eben irritieren. Und auf solche Irritationen muss ein System nicht<br />
notwendiger Weise mit passenden Veränderungen reagieren, sondern hat ein<br />
deutlich größeres Reaktionsrepertoire: die Irritationen ignorieren oder als irrelevant<br />
ansehen, die Irritationen zwar wahrnehmen und ihre Hintergründe sogar erkennen,<br />
aber ‚gute Gründe’ darlegen, wieso trotzdem keine Veränderung sinnvoll ist und<br />
schließlich erst als dritte Variante die Irritationen wahrnehmen, ihren Sinn erkennen<br />
und darauf Handlungen oder Beobachtungsweisen verändern. Immaterielle<br />
instruktive Steuerung durch Irritationen sind daher als Möglichkeit zur<br />
<strong>Systemsteuerung</strong> <strong>im</strong> Rahmen des <strong>Case</strong> <strong>Management</strong>s eher Ausnahmen.<br />
315 Gerade der Wahlkampf ist eine gute Möglichkeit, dieses Prinzip von Sinnbezug zu beobachten.<br />
Die Wahlkämpfer versuchen, mit ihren Darstellungen an der Sinnkonstruktion ihrer intendierten<br />
Wählerschichten anzuknüpfen, was, wie beobachtet werden kann, mehr oder minder gut gelingt.<br />
Fakten, die für eine Vermittlung zu komplex sind, werden in griffige Schlagwörter gepackt und zielen<br />
auf antizipierte Bedürfnisse und Ängste (man denke z.B. an ‚Merkelsteuer’ oder die Bedrohung durch<br />
Jugendkr<strong>im</strong>inalität <strong>im</strong> hessischen Wahlkampf 2008). Und da die Intention hinter alledem die<br />
St<strong>im</strong>mabgabe (=Handlung) ist, kann man so Wahlkampf durchaus als ein Beispiel für <strong>im</strong>materielle<br />
instruktive Steuerung betrachten, ohne dass man diese Art der politischen (Nicht-) Kommunikation<br />
damit gut heißen muss …<br />
316 Baecker 2006, S. 11<br />
317 vgl. z.B. Kriz 1997 S. 123 ff.<br />
318 vgl. z.B. Willke 2005 S. 141 ff.<br />
319 ders. S. 181<br />
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