Systemsteuerung im Case Management
Systemsteuerung im Case Management Systemsteuerung im Case Management
auszuweichen, auch wenn dann die angedroht Sanktion ausgelöst wird. 310 Erst wenn auch diese Selektion so gewählt wird, dass kein Ausweichen als opportun eingeschätzt wird, ist mit einer Bewegung des Adressatensystems in Richtung der intendierten Steuerungsabsicht zu erwarten. Negative Sanktionen als Möglichkeit instruktiver Steuerung laufen daher immer Gefahr, dass sie Widerstand und dass sie ‚Umgehungsoperationen’ der Adressatensysteme provozieren. 311 C. Destruktive immaterielle Steuerung: Destruktive Steuerung ist, wie bereits im Bereich des materiellen Bereichs gezeigt, immer Ausschluss von Handlungsmöglichkeiten, ohne das es dazu der Einwilligung des Adressaten bedarf. Im immateriellen Bereich geht es bei den hierzu nutzbaren Medien um Wissen, das den Adressatensystemen vorenthalten wird, so dass diese Handlungen, die das betreffende Wissen voraussetzen, nicht vornehmen können. Wie bereits in Abb. 5 dargestellt, besteht im Bereich der Steuerung von Hilfesystemen hierzu die Möglichkeit, Leistungen über Anfragen an Anbieter oder über beschränkte Ausschreibungen 312 zu beschaffen, und bestimmte Einrichtungen gezielt nicht anzufragen bzw. nicht in die (beschränkte) Ausschreibung einzubeziehen, so dass diese keine Möglichkeit haben, ein Angebot abzugeben. Eine ähnliche Wirkung hat die Nicht- oder nur selektive Weiterleitung von Informationen z.B. über komplementäre Finanzierungsmöglichkeiten, wie z.B. der Europäische Sozialfonds oder Sonderprogramme des Bundes, der Länder oder der BA. Im Gegensatz zu dem ‚Pistolen-Beispiel’, mit dem in Anlehnung an Kraus die destruktive Steuerungsoption eingeführt wurde, zeigt sich (bis auf in der Hilfesteuerung eher unwahrscheinliche Extremfälle) nicht im Materiellen sondern vor allem im Immateriellen das Gesicht dieser Steuerungsoption. Destruktive immaterielle Steuerung hat von der Definition her schon immer etwas mit Exklusion zu tun – im Gegensatz zur materiellen Steuerung tritt diese nur nicht offen zu Tage, sondern geschieht insgeheim, quasi ‚hinter dem Rücken’ des so gesteuerten Systems. Die damit bewirkte Reduktion der möglichen Handlungsselektionen bleibt dem so gesteuerten System zunächst verborgen, so dass diese Steuerung gerade daher wirkt, dass mögliche Handlungsoptionen aufgrund des Wissensdefizits unbemerkt bleiben. Es ist allerdings fraglich, ob dies immer so bleiben muss, oder ob das derart gesteuerte System sich irgendwann seiner Wissensdefizite bewusst wird und dies auf eine Handlung des Steuernden zurückführen kann. Die möglichen Folgen einer solchen Erkenntnis müssen nicht näher beschrieben werden. Auch wenn dies möglicher Weise sehr hypothetisch klingen mag, ist davon auszugehen, dass im Handlungsfeld des Case Managements die vor Ort befindlichen Hilfesysteme und damit die 310 z.B. sind Ausschreibungen für Integrationsmaßnahmen der BA so gestaltet, dass eine gewisse Integrationsquote vorgegeben wird und eine sogenannte ‚Maluskomponente’ eine Strafzahlung für jeden nichtvermittelten Teilnehmer unterhalt der geforderten Quote vorsieht – damit ein typisches Beispiel für materielle instruktive Steuerung durch negative Sanktionen. Die erste Selektion als potenzieller Bewerber für solche Leistungen ist stets ‚positiv’, d.h. diese Rückforderung wird von der BA auch wirklich erhoben. Bei der zweiten Selektion ist es aber durchaus möglich, sein Angebot so zu gestalten, dass zu einem gewissen Umfang die Maluszahlungen bereits einkalkuliert werden, d.h. man bereits bei der Angebotserstellung plant, die geforderte Quote zu unterschreiten. Ob die BA dies ihrerseits aber bereits eingeplant hat (z.B. um Kosten aufgrund von Rückforderungen einzusparen), bleibt allerdings im Bereich der Spekulationen. 311 vgl. z.B. Willke 2001, S. 222 312 beschränkte Ausschreibungen beziehen sich auf § 3 Abs. 2 der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL/A) in der Fassung vom 06.04.2006 – s. Bundesanzeiger (2006). 58 Jg. Nr. 100a Seite 94
möglichen Steuerungsadressaten Möglichkeiten haben, von derartigen Steuerungen zu erfahren, z.B. indem sich erkundigt wird, wieso plötzlich (von anderen Hilfeanbietern) gewisse Leistungen abgegeben werden können oder eine weitere Finanzierungsquelle verfügbar geworden ist. Genau wie destruktive Steuerung im materiellen Bereich ist auch destruktive Steuerung im immateriellen Bereich hochwirksam, birgt aber für den Steuernden zumindest in der längerfristigen Perspektive auch Risiken für die künftige Zusammenarbeit mit den betroffenen Systemen, so dass die Nutzung vor allem dieser Steuerungsoption gut bedacht sein will. D. Instruktive immaterielle Steuerung: Ähnlich wie materielle instruktive Steuerung kann auch die immaterielle instruktive Steuerung nur dann die gewünschte Wirkung entfalten, wenn der Steuerungsadressat die mit den steuernden Handlungen verbundenen Mitteilungen in seine eigene Sinnkonstruktion transformiert und dort im Sinne des Steuernden interpretiert und in eigene Handlungen umsetzt. Immaterielle instruktive Steuerung ist so als die Übermittlung eines Sinnvorschlags zu verstehen, der vom Adressatensystem im Falle gelingender Steuerung übernommen wird und zur Selbststeuerung des Adressatensystems im intendierten Sinne führt. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso größer, wie der Sinnvorschlag eine Nähe zur systemspezifischen Sinnkonstruktion des Adressatensystems aufweist. 313 Eine instruktive Forderung (Steuerung) nach einer Veränderung der Einstellung z.B. über Prioritäten bei der Hilfeleistung wird umso eher ‚gehört’, als dass sie aus Sicht des Steuerungsadressaten ‚Sinn’ macht. Im immateriellen Bereich fehlen auch die dinglichen Anreize (z.B. Geld), die im materiellen instruktiven Bereich den Unterschied vom ‚Sinnlosen’ zum ‚Sinnhaften’ bewirken können. Sinnloses bleibt hier sinnlos. Und über Sinn und Nicht-Sinn entscheidet immer das Adressatensystem und nicht das steuernde System. 314 Jedes System verfügt zudem über ein umfangreiches Repertoire, um derartigen instruktiven Steuerungen zu begegnen: "Jede Organisation ist nicht nur garbage can genug, um Initiativen beliebiger Art im Sande verlaufen lassen zu können, sondern verfügt auch über genügend Interpretationserfahrungen im Umgang mit dieses garbage can, um jeden Widerstand gut und passend begründen zu können." (Baecker 2006, S. 11) Das vielleicht als ‚Mülleimer-Prinzip’ zu beschreibende Verfahren ist auf allen Ebenen von sozialen und psychischen Systemen anzutreffen, von der Kindererziehung bis zum Widerstand von Funktionssystemen bei der Umsetzung politischer Forderungen ist überall auf dieses Prinzip zu treffen. Und im Grunde geht es ebenfalls überall darum, das der mit dem Steuerungsimpuls verbundene Sinnvorschlag nicht akzeptiert wurde. Gelingt es aber, Sinnvorschläge so zu formulieren, dass sie die bereits angesprochene ‚Kompatibilität’ mit der Sinnkonstruktion der Adressaten aufweisen, so können diese auch leichter von diesem wahrgenommen, in eigenen Sinn transformiert und in Handlungen 313 vgl. Willke 2001, S. 195 oder allgemein Luhmann 1987 S. 92 ff. und Baecker 2006 314 Der Verfasser will mit dieser eher umgangssprachlichen Darstellung nicht den systemtheoretischen Grundannahmen der Sinnkonstruktion widersprechen (vgl. Kap. 2.2.2.3 und ausführlich Luhmann 1987 S. 96 f.), sondern setzt hier „Sinnlosigkeit“ als „Verwirrung von Zeichen“ (Luhmann, a.a.O.), d.h. als einen Sinnvorschlag, da von dem Adressatensystem als nicht in (eigenen) Sinn transformierbar erlebt wird. Seite 95
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auszuweichen, auch wenn dann die angedroht Sanktion ausgelöst wird. 310 Erst<br />
wenn auch diese Selektion so gewählt wird, dass kein Ausweichen als opportun<br />
eingeschätzt wird, ist mit einer Bewegung des Adressatensystems in Richtung der<br />
intendierten Steuerungsabsicht zu erwarten. Negative Sanktionen als Möglichkeit<br />
instruktiver Steuerung laufen daher <strong>im</strong>mer Gefahr, dass sie Widerstand und dass sie<br />
‚Umgehungsoperationen’ der Adressatensysteme provozieren. 311<br />
C. Destruktive <strong>im</strong>materielle Steuerung: Destruktive Steuerung ist, wie bereits <strong>im</strong><br />
Bereich des materiellen Bereichs gezeigt, <strong>im</strong>mer Ausschluss von<br />
Handlungsmöglichkeiten, ohne das es dazu der Einwilligung des Adressaten bedarf.<br />
Im <strong>im</strong>materiellen Bereich geht es bei den hierzu nutzbaren Medien um Wissen, das<br />
den Adressatensystemen vorenthalten wird, so dass diese Handlungen, die das<br />
betreffende Wissen voraussetzen, nicht vornehmen können. Wie bereits in Abb. 5<br />
dargestellt, besteht <strong>im</strong> Bereich der Steuerung von Hilfesystemen hierzu die<br />
Möglichkeit, Leistungen über Anfragen an Anbieter oder über beschränkte<br />
Ausschreibungen 312 zu beschaffen, und best<strong>im</strong>mte Einrichtungen gezielt nicht<br />
anzufragen bzw. nicht in die (beschränkte) Ausschreibung einzubeziehen, so dass<br />
diese keine Möglichkeit haben, ein Angebot abzugeben. Eine ähnliche Wirkung hat<br />
die Nicht- oder nur selektive Weiterleitung von Informationen z.B. über<br />
komplementäre Finanzierungsmöglichkeiten, wie z.B. der Europäische Sozialfonds<br />
oder Sonderprogramme des Bundes, der Länder oder der BA. Im Gegensatz zu dem<br />
‚Pistolen-Beispiel’, mit dem in Anlehnung an Kraus die destruktive Steuerungsoption<br />
eingeführt wurde, zeigt sich (bis auf in der Hilfesteuerung eher unwahrscheinliche<br />
Extremfälle) nicht <strong>im</strong> Materiellen sondern vor allem <strong>im</strong> Immateriellen das Gesicht<br />
dieser Steuerungsoption. Destruktive <strong>im</strong>materielle Steuerung hat von der Definition<br />
her schon <strong>im</strong>mer etwas mit Exklusion zu tun – <strong>im</strong> Gegensatz zur materiellen<br />
Steuerung tritt diese nur nicht offen zu Tage, sondern geschieht insgehe<strong>im</strong>, quasi<br />
‚hinter dem Rücken’ des so gesteuerten Systems. Die damit bewirkte Reduktion der<br />
möglichen Handlungsselektionen bleibt dem so gesteuerten System zunächst<br />
verborgen, so dass diese Steuerung gerade daher wirkt, dass mögliche<br />
Handlungsoptionen aufgrund des Wissensdefizits unbemerkt bleiben. Es ist<br />
allerdings fraglich, ob dies <strong>im</strong>mer so bleiben muss, oder ob das derart gesteuerte<br />
System sich irgendwann seiner Wissensdefizite bewusst wird und dies auf eine<br />
Handlung des Steuernden zurückführen kann. Die möglichen Folgen einer solchen<br />
Erkenntnis müssen nicht näher beschrieben werden. Auch wenn dies möglicher<br />
Weise sehr hypothetisch klingen mag, ist davon auszugehen, dass <strong>im</strong> Handlungsfeld<br />
des <strong>Case</strong> <strong>Management</strong>s die vor Ort befindlichen Hilfesysteme und damit die<br />
310 z.B. sind Ausschreibungen für Integrationsmaßnahmen der BA so gestaltet, dass eine gewisse<br />
Integrationsquote vorgegeben wird und eine sogenannte ‚Maluskomponente’ eine Strafzahlung für<br />
jeden nichtvermittelten Teilnehmer unterhalt der geforderten Quote vorsieht – damit ein typisches<br />
Beispiel für materielle instruktive Steuerung durch negative Sanktionen. Die erste Selektion als<br />
potenzieller Bewerber für solche Leistungen ist stets ‚positiv’, d.h. diese Rückforderung wird von der<br />
BA auch wirklich erhoben. Bei der zweiten Selektion ist es aber durchaus möglich, sein Angebot so<br />
zu gestalten, dass zu einem gewissen Umfang die Maluszahlungen bereits einkalkuliert werden, d.h.<br />
man bereits bei der Angebotserstellung plant, die geforderte Quote zu unterschreiten. Ob die BA dies<br />
ihrerseits aber bereits eingeplant hat (z.B. um Kosten aufgrund von Rückforderungen einzusparen),<br />
bleibt allerdings <strong>im</strong> Bereich der Spekulationen.<br />
311 vgl. z.B. Willke 2001, S. 222<br />
312 beschränkte Ausschreibungen beziehen sich auf § 3 Abs. 2 der Verdingungsordnung für<br />
Leistungen (VOL/A) in der Fassung vom 06.04.2006 – s. Bundesanzeiger (2006). 58 Jg. Nr. 100a<br />
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