Systemsteuerung im Case Management

Systemsteuerung im Case Management Systemsteuerung im Case Management

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28.01.2013 Aufrufe

Die daraus ableitbare Anforderung an (System-) Steuerungshandeln ist somit ganz trivial und ganz im klassischen Stimulus-Response Denken das Erreichen einer Veränderung aufgrund einer vorherigen Einwirkung. Betrachtet man diese Erkenntnis in Verbindung mit den Ergebnissen bezüglich der Steuerbarkeit sozialer Systeme durch Einflüsse aus ihrer Umwelt, so zeigt sich deutlich das schon mehrmals angesprochene Problem, dass soziale Systeme die ‚handlungsleitenden’ Entscheidungen selbst treffen, man aber als Steuerung im engeren Sinne nur gelten lassen kann, wenn Handlungen (=Veränderungen) von gerade eben diesen Umwelteinflüssen (= steuernde Einwirkungen durch das Case Management) verursacht wurden. Erhält man somit ein ‚Steuerungs-Paradoxon’ des Case Managements? 284 Um dies beantworten zu können, muss man sich zunächst von den bereits vielfältig dargestellten steuerungsverhinderten Bedingungen sozialer Systeme abwenden und betrachten, ob und unter welchen Bedingungen Steuerungen dennoch möglich sind. Das Thema Macht spielt in der Systemtheorie nur eine untergeordnete Rolle, da soziale Systeme aufgrund ihrer operationalen Geschlossenheit die machtgestützte Durchsetzung von Interessen erst durch Einwilligung (Unterwerfung) ermöglichen müssen. Wie bereits dargestellt, ist diese Sichtweise Gegenstand wesentlicher Kritikpunkte an ihr. Machtausübung von Alter (oder auch machtbasierte Steuerung) kann aus systemtheoretischer Sicht bei Ego nur zu prinzipiell vier verschiedenen Handlungsalternativen führen, was in Anlehnung an Portele 285 wie folgt dargestellt werden kann: Situation: Alter (A) sagt zu Ego (E): „Tue X!“ Ego (E) will … X X nicht Durch Rückkopplung wird der Regelungsprozess zudem dem aktuellen IST-Zustand des Systems angepasst, d.h. bei großer Abweichung ist die Beeinflussung größer, bei kleiner entsprechend kleiner. 284 Um dieses noch auszuweiten ist zu beachten, dass die im Case Management betreuten Klienten ebenfalls als Systeme (psychische S.) zu betrachten sind und sich daher ebenfalls aufgrund der o.a. Betrachtungen einer direkten Steuerung entziehen. Im Bereich der Fallsteuerung könnte man sich aber ‚zur Not’ mit dem Terminus der Hilfe zur Selbsthilfe aus dem o.a. Dilemma befreien, wobei man auch hier kritisch fragen könnte, was dann noch von einer ‚Fallsteuerung’ übrig bleibt. 285 vgl. Portele, Gerhard (1989): Autonomie, Macht, Liebe – Konsequenzen der Selbstreferentialität. Frankfurt/Main (Suhrkamp) – zit. nach Ploil 2008 S. 10 ff. X E tut was er will E tut was A will E tut was er will E bleibt autonom E tut nicht was er will E tut was A will E unterwirft sich Unterwerfung ist aber Entscheidung von E: E bleibt autonom Seite 82 Ego (E) tut … X nicht E tut nicht was er will E tut nicht was A will E verweigert sich Handlung konträr z. Willen ist aber frei: E bleibt autonom E tut was er will E tut nicht was A will E tut was er will E bleibt autonom Abb. 4: Handlungsalternativen auf Machtausübung

Die Folgerung aus diesen vier aufgezeigten Möglichkeiten von Ego auf die Forderung von Alter „X zu tun“, ist daher, dass Ego in jedem Fall die autonome Entscheidung hat, auf die Forderung einzugehen oder nicht. 286 Dieser ‚absolutistischen’ Vorstellung der stets bestehenden Autonomie der Handlungsselektion widerspricht Kraus mit der Unterscheidung von instruktiver und destruktiver Macht. 287 Instruktive Macht oder Kontrolle ist der Versuch zur Erwirkung erwünschter Verhaltensweisen und erzeugt so die in der o.a. Tabelle dargestellten Handlungsmöglichkeiten desjenigen (psychischen oder sozialen Systems), auf den die Einwirkung erfolgt. Instruktive Macht ist daher zur Durchsetzung prinzipiell von der Einwilligung (von Ego) abhängig. Davon abzugrenzen ist jedoch die destruktive Macht und Kontrolle, bei der der Ausübende (Alter) die Handlungsmöglichkeiten von Ego zumindest reduzieren kann, destruktive Macht kann also Handlungsalternativen destruieren. Kraus zeigt dies plastisch an dem Beispiel auf, in dem jemand (Alter) auf einen anderen (Ego) eine Waffe richtet. 288 Geht es Alter darum, Ego zu einer bestimmten Handlung zu bewegen, bleibt ihm trotz seiner Waffe nur instruktive Macht, denn letzten Endes entscheidet Ego autonom, ob er der Forderung nachkommen will (oder die Konsequenzen in Kauf nimmt, bzw. sich deren nicht im klaren ist). Die beabsichtigte Wirkung des Alter entfaltet sich mithin nur durch Einwilligung von Ego. Geht es hingegen Alter lediglich darum, Ego am Verlassen (oder Betreten) des Ortes zu hindern und setzen wir voraus, dass Alter auch seine Waffe einsetzen wird, bedarf es nicht mehr der Einwilligung von Ego. Alter kann so mittels destruktiver Macht (zumindest) diese Handlungsalternativen von Ego destruieren. Auf das Case Management übertragen ist somit die Forderung nach qualitativer Leistungsverbesserung einer Hilfe stets nur instruktiv möglich. Die entsprechende destruktive Alternative wäre dann z.B. der Entzug der Beauftragung bzw. die Übertragung der Hilfeerbringung an einen Wettbewerber. Der Hilfeanbieter muss im ersten Fall stets einwilligen, während im zweiten Fall es keiner Einwilligung bedarf. Auch Systemsteuerung im Case Management hat so stets eine ‚destruktive Option’. Allerdings ist dabei festzuhalten, dass destruktive Macht lediglich Handlungsoptionen ausschließen kann, nicht aber den Adressaten zu bestimmten Handlungen veranlassen. Wie die beiden o.a. Beispiele zeigen, besteht allerdings im Ausschluss bestimmter Handlungsoptionen eine hohe Gewissheit der Zielerreichung. Instruktive Macht hingegen erfordert, wie bereits in der Abbildung von Alter und Ego dargestellt, stets die Einwilligung des Adressaten. Eine Erreichung des mittels instruktiver Machtsausübung angestrebten Ziels ist daher niemals sicher, da in diesem Fall zuvor eine autonome Entscheidung des Adressaten erforderlich ist. Wie hinlänglich bereits in den Ausführungen zur Systemtheorie aufgezeigt, hängen aber 286 vgl. dazu auch Kraus 2003 287 vgl. dazu Kraus 2007 und Kraus 2003 288 (ders.) S. 88 – Kraus führt im weiteren aus, dass mit dem Konstrukt von instruktiver und destruktiver Macht der wesentliche Kritikpunkt der ‚Machtblindheit’ systemtheoretischer und konstruktivistischer Ansätze widerlegt werden kann, denn mit diesem Konstrukt ist auch das Vorenthalten materieller und immaterieller Güter (z.B. Bildung) als Machthandeln der Gesellschaft (oder einzelnen Funktionssystemen darin) erklärbar. Die Freiheit des Einzelnen zur autonomen Entscheidung zwischen Handlungsoptionen ist so nur noch im Rahmen der noch vorhandenen Alternativen möglich (die durch destruktive Macht deutlich begrenzt werden können) – s. S. 97 ff. Seite 83

Die daraus ableitbare Anforderung an (System-) Steuerungshandeln ist somit ganz<br />

trivial und ganz <strong>im</strong> klassischen St<strong>im</strong>ulus-Response Denken das Erreichen einer<br />

Veränderung aufgrund einer vorherigen Einwirkung. Betrachtet man diese<br />

Erkenntnis in Verbindung mit den Ergebnissen bezüglich der Steuerbarkeit sozialer<br />

Systeme durch Einflüsse aus ihrer Umwelt, so zeigt sich deutlich das schon<br />

mehrmals angesprochene Problem, dass soziale Systeme die ‚handlungsleitenden’<br />

Entscheidungen selbst treffen, man aber als Steuerung <strong>im</strong> engeren Sinne nur gelten<br />

lassen kann, wenn Handlungen (=Veränderungen) von gerade eben diesen<br />

Umwelteinflüssen (= steuernde Einwirkungen durch das <strong>Case</strong> <strong>Management</strong>)<br />

verursacht wurden. Erhält man somit ein ‚Steuerungs-Paradoxon’ des <strong>Case</strong><br />

<strong>Management</strong>s? 284<br />

Um dies beantworten zu können, muss man sich zunächst von den bereits vielfältig<br />

dargestellten steuerungsverhinderten Bedingungen sozialer Systeme abwenden und<br />

betrachten, ob und unter welchen Bedingungen Steuerungen dennoch möglich sind.<br />

Das Thema Macht spielt in der Systemtheorie nur eine untergeordnete Rolle, da<br />

soziale Systeme aufgrund ihrer operationalen Geschlossenheit die machtgestützte<br />

Durchsetzung von Interessen erst durch Einwilligung (Unterwerfung) ermöglichen<br />

müssen. Wie bereits dargestellt, ist diese Sichtweise Gegenstand wesentlicher<br />

Kritikpunkte an ihr. Machtausübung von Alter (oder auch machtbasierte Steuerung)<br />

kann aus systemtheoretischer Sicht bei Ego nur zu prinzipiell vier verschiedenen<br />

Handlungsalternativen führen, was in Anlehnung an Portele 285 wie folgt dargestellt<br />

werden kann:<br />

Situation:<br />

Alter (A) sagt<br />

zu Ego (E):<br />

„Tue X!“ Ego (E) will …<br />

X<br />

X nicht<br />

Durch Rückkopplung wird der Regelungsprozess zudem dem aktuellen IST-Zustand des Systems<br />

angepasst, d.h. bei großer Abweichung ist die Beeinflussung größer, bei kleiner entsprechend kleiner.<br />

284 Um dieses noch auszuweiten ist zu beachten, dass die <strong>im</strong> <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> betreuten Klienten<br />

ebenfalls als Systeme (psychische S.) zu betrachten sind und sich daher ebenfalls aufgrund der o.a.<br />

Betrachtungen einer direkten Steuerung entziehen. Im Bereich der Fallsteuerung könnte man sich<br />

aber ‚zur Not’ mit dem Terminus der Hilfe zur Selbsthilfe aus dem o.a. Dilemma befreien, wobei man<br />

auch hier kritisch fragen könnte, was dann noch von einer ‚Fallsteuerung’ übrig bleibt.<br />

285 vgl. Portele, Gerhard (1989): Autonomie, Macht, Liebe – Konsequenzen der Selbstreferentialität.<br />

Frankfurt/Main (Suhrkamp) – zit. nach Ploil 2008 S. 10 ff.<br />

X<br />

E tut was er will<br />

E tut was A will<br />

E tut was er will<br />

E bleibt autonom<br />

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E tut was A will<br />

E unterwirft sich<br />

Unterwerfung ist aber<br />

Entscheidung von E:<br />

E bleibt autonom<br />

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Ego (E) tut …<br />

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Handlung konträr z.<br />

Willen ist aber frei:<br />

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Abb. 4: Handlungsalternativen auf Machtausübung

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