Systemsteuerung im Case Management

Entscheidungen grundsätzlich ihre eigenen sind, hat doch die Umwelt einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf sie. Dass dies durchaus auch für Großunternehmen
gilt, zeigt z.B. die Kampagne um die geplante Versenkung der Ölplattform ‚Brent
Sparr“ 269 , wo nach einer intensiven Berichterstattung und drastischen
Umsatzrückgängen nach Boykottaufrufen der Betreiber Shell von der Versenkung
Abstand nahm.
Festzuhalten ist demnach, dass auch soziale (und psychische) Systeme auf
Steuerung und auf Macht reagieren.
Der andere Problembereich der Verwendung der Systemtheorie bei der Erklärung
von Systemsteuerung im Case Management ist der ‚Faktor Mensch’. Indem
Luhmann soziale Systeme als Aneinanderreihung von Kommunikationen
beschreibt 270 , verweist er den Menschen in die Umgebung sozialer Systeme.
Luhmann will damit den Menschen nicht degradieren, sondern sieht diese
Konstruktion sogar als Vorteil: "Gewonnen wird mit der Unterscheidung von System
und Umwelt aber die Möglichkeit, den Menschen als Teil der gesellschaftlichen
Umwelt zugleich komplexer und ungebundener zu begreifen, als dies möglich wäre,
wenn er als Teil der Gesellschaft aufgefaßt werden müßte; denn Umwelt ist im
Vergleich zum System eben derjenige Bereich der Unterscheidung, der höhere
Komplexität und geringeres Geordnetsein aufweist. Dem Menschen werden so
höhere Freiheiten im Verhältnis zu seiner Umwelt konzediert, insbesondere
Freiheiten zu unvernünftigem und unmoralischem Verhalten." (Luhmann 1987, S.
289)
Diese Sicht des Menschen soll Luhmann nicht abgesprochen werden, allerdings ist
mit der Verweisung des Menschen in die Umwelt sozialer Systeme auch zugleich
deren Einfluss auf diese genau geschmälert. Luhmann bestreitet dies zwar mit dem
Hinweis, dass die Umwelt „… für das System nicht weniger wichtig als das System
selbst“ ist (ebd.) und sogar manches enthalten kann, was für das System wichtiger
ist, als dessen eigene Bestandteile, aber die Kategorie der Wichtigkeit ist letztendlich
eine andere als die der Steuerung. Luft ist für einen lebenden Organismus auch
wichtiger zur (autopoietischen) Reproduktion als eines seiner Gliedmaße und
(Geschäfts-) Aufträge wichtiger für eine Organisation als deren Geschäftsleitung –
nur ist es letztendlich die Geschäftleitung, die die systemrelevanten Entscheidungen
trifft und nicht die (externen) Aufträge. Auch wenn man jetzt wieder in die Nähe der
bisherigen Ausführungen von Macht und Einflussnahme kommen könnte, soll mit
diesem Beispiel nur plastisch aufgezeigt werden, dass „innen“ eine andere Qualität
wie „außen“ hat und die Verweisung des Menschen in die Umwelt sozialer Systeme
den Einfluss eben solcher Menschen auf Entscheidungen sozialer Systeme aus
Sicht des Verfassers nur unzureichend abbildet.
Neben dem Machtthema ist diese Verweisung des Menschen in die Umwelt sozialer
Systeme ein weiterer großer Kritikpunkt an der Systemtheorie. Mühlfeld spricht in
diesem Zusammenhang sogar vom Menschen als „ärgerliche Tatsache“ 271 der
Systemtheorie. Ähnlich argumentieren andere Autoren wie z.B. Sigrist oder
269 vgl. z.B. http://www.welt.de/print-welt/article660351/Shell_-
_der_Oelmulti_in_den_Wochen_danach.html oder auch http://de.wikipedia.org/wiki/Brent_Spar
270 vgl. Kap. 2.2.2.1
271 Mühlfeld 1997
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