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Systemsteuerung im Case Management

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Wieso ist aber die Gewinnung zusätzlicher Komplexität nützlich, wo bisher doch<br />

vielfältig die Versuche beschrieben wurden, wie Systeme diese zu reduzieren<br />

versuchen? Komplexität hat stets zwei ‚Gesichter’, sie stellt Kontingenz, die<br />

unübersehbare Vielfalt des Möglichen dar und ist damit ein Faktor von Unsicherheit<br />

für Operationen. Wenn alles möglich ist, was soll dann gewählt werden? Systeme<br />

reduzieren daher die Unsicherheit und gewinnen dabei auch ihre Identität.<br />

Reduzierung schränkt aber gleichzeitig auch ein und macht weniger flexibel für<br />

Reaktionen auf Veränderungen der Umwelt. Zur Überwindung dieser letztendlich<br />

selbst erzeugten Einschränkung kommen dann andere Systeme ins Spiel, die bei<br />

Interpenetration sich ihre eigene Komplexität wechselseitig zur Verfügung stellen<br />

und so neue Spielräume für Operationen schaffen.<br />

Allerdings ist zu beachten, dass aufgrund der bereits dargestellten Tatsache, dass<br />

auch bei Interpenetration die interpenetrierenden Systeme weiterhin füreinander<br />

Umwelt bleiben, die bereitgestellte Komplexität des anderen Systems nur<br />

systemintern vom ‚aufnehmenden’ System verarbeitet werden kann. Die spezifische<br />

und damit unterschiedliche Sinnkonstruktion der Systeme bleibt erhalten. Die<br />

Sinnzuweisung von Gegebenheiten des bereitstellenden Systems wird bei der<br />

Übernahme durch das übernehmende System daher nicht mitübernommen.<br />

Luhmann beschreibt dies so, dass die zur Verfügung gestellte Komplexität für das<br />

aufnehmende System „unfassbare Komplexität, also Unordnung“ 146 bleibt. Durch<br />

den Zwang zur (systemeigenen) Sinnzuweisung kann damit auch nicht die gesamte<br />

(durch Interpenetration) verfügbare Komplexität übernommen werden, sondern nur<br />

ein Teil davon (der mit der Sinnstruktur des übernehmenden Systems kompatibel<br />

ist). 147<br />

In der systemtheoretischen Literatur wie auch von Luhmann selbst ist hierzu auch<br />

der Begriff der „strukturellen Kopplung“ zu finden: "Der Begriff bezeichnet ein<br />

System-Umwelt-Verhältnis (genauer: die Umweltangepasstheit des Systems) und<br />

damit auch die Möglichkeit der Umweltoffenheit operativ geschlossener Systeme,<br />

die Voraussetzung interner Strukturbildung ist (‚order-from-noise‘-Prinzip). Systeme<br />

operieren insofern umweltangepasst, als ihre internen Strukturen, an denen sich die<br />

Operationen orientieren, kompatibel sind mit den Strukturen in der Umwelt dieses<br />

Systems, d.h. mit Strukturen anderer Systeme. […] Eine strukturelle Kopplung kann<br />

man verstehen als eine Institution - Institution <strong>im</strong> Sinne generalisierter<br />

Verhaltserwartungen […] -, die von dem gekoppelten System operativ (und damit: je<br />

systemspezifisch) in Anspruch genommen wird, ohne dass die Differenz der<br />

Systeme unterlaufen wird. […] Strukturelle Kopplungen stellen keine ‚Mechanismen‘<br />

oder gar Systeme zwischen Systemen dar, sondern koppeln Systemstrukturen […],<br />

sie fundieren ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit operierender Systeme, indem sie<br />

146 Luhmann 1987, S. 291<br />

147 vgl. Luhmann 1987, S. 311 – dies zeigt sich beispielsweise deutlich bei der Bewertung von<br />

Gutachten (System Unternehmensberatung, Wissenschaft o.ä.) durch die Auftraggeber (System<br />

Unternehmen, Politik, o.ä.). Diese erfolgen stets in Hinblick auf den Sinnzusammenhang des<br />

Auftraggebers, was man meist als Interessen beschreibt, die aber letzten Endes mit auch<br />

Sinnkonstruktion zusammenhängen. So gab es lange Zeit in vielen Unternehmen keine<br />

„Sinnzuweisung“ für den Umweltschutz und diesbezügliche Aussagen in Gutachten wurden daher<br />

zumeist ignoriert. Erst durch Umweltveränderungen (Politik, öffentliche Meinung,<br />

Umweltverträglichkeit als Kaufkriterium) erfolgte in Unternehmen eine Sinnzuweisung für dieses<br />

Thema. Man muss hierzu z.B. nur betrachten, seit wann in der PKW-Werbung das Thema Umwelt<br />

auftaucht.<br />

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