Systemsteuerung im Case Management

Systemsteuerung im Case Management Systemsteuerung im Case Management

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mithin die Doppelantwort: aus Kommunikationen und aus deren Zurechnung als Handlung." (Luhmann 1987, S. 240). Luhmann ‚verbannt’ damit das Individuum aus dem sozialen System, was zwar ein radikaler, aber letztendlich konsequenter Schritt war, auch wenn gerade dies ihm viel Kritik eingetragen hat. 65 Der Schritt kann aber trotz aller Kritik als konsequent bezeichnet werden, da mit dieser Annahme sich Systemoperationen und Systemreproduktion bedeutend einfacher darstellen lassen: als Aneinanderreihung anschlussfähiger Kommunikationen, so dass durch das Prinzip des Folgens von Kommunikation auf Kommunikation des System sich konstituiert und erneuert. Zugleich können damit Problematiken, die z.B. durch die Zurechnung von Individuen zu unterschiedlichen sozialen Systemen 66 aufkommen könnten, ausgeschaltet werden. Die Vorstellung von sozialen Systemen als individuumsfreie „Kommunikationssysteme“ bleibt aber damit dennoch sehr abstrakt und erfordert ein hohes Maß an Reproduktionsleistung des Luhmann’schen Theoriegebäudes. Menschen, Individuen, kommen in diesem erst gar nicht vor, da Luhmann den Menschen nicht als eigenständiges System – schon erst recht nicht als soziales System – ansieht. Aus systemtheoretischer Sicht vermag er einen (ganzen) Menschen nicht als System anzuerkennen, da dieser schon allein aus zwei voneinander getrennten Systemen, dem physischen und dem psychischen System besteht. Diese sind für sich jeweils Umwelt, d.h. ohne direkten (steuernden bzw. informationsvermittelnden) Kontakt, daraus folgert Luhmann, dass daher Menschen nicht als System anzunehmen sind: "Bei solchen Annahmen würde übersehen, daß der Mensch das, was in ihm an physischen, chemischen, lebenden Prozessen abläuft, nicht einmal selbst beobachten kann. Seinem psychischen System ist sein Leben unzugänglich, es muß jucken, schmerzen oder sonstwie auf sich aufmerksam machen, um eine andere Ebene der Systembildung, das Bewußtsein des psychischen Systems, zu Operationen zu reizen." (Luhmann 1987, S. 68). Interaktionen sozialer Systeme können daher nur mit psychischen Systemen erfolgen, die Luhmann – hier auch wieder konsequent – als Konstrukt für Elemente in der Umwelt sozialer Systeme annimmt. Weiterhin sieht Luhmann Soziale Systeme zwar grundsätzlich als offene Systeme 67 , da sie im Austausch mit Ihrer Umwelt existieren. Aufgrund ihrer systembildenden Differenz zu ihrer Umwelt müssen sie aber für ihre internen Operationen die Umwelt ausblenden und konstatieren damit die ihnen eigentümliche Dualität von Umweltoffenheit im ‚Außenverhältnis’ und Geschlossenheit im ‚Innenverhältnis’: "Entscheidend ist also die Frage, wie ein System sich selbst, d.h. durch seine eigenen Operationen von der Umwelt ausgrenzt und diese Ausgrenzung auf Dauer stellt. Solche Systeme sind wegen der Ausgrenzung der Umwelt ‚operational geschlossen‘, d.h. sie sind autonom und ihre Strukturen sind ausschließlich Ergebnis 65 s. z.B. Mühlfeld 1997 – die Kritik an der Systemtheorie Luhmann’scher Prägung wird noch in Kap. 2.2.3 ausführlicher diskutiert werden 66 Ein Individuum kann zugleich Familienmitglied, Mitarbeiter in einem Unternehmen, Mitglied in bei der freiwilligen Feuerwehr und in einer politischen Partei, u.s.w. sein. Bei Betrachtung von Individuen als Elemente soziale Systeme sind diese immer Teil von mehreren, unterschiedlichen und durchaus auch miteinander konkurrierenden Systemen. Die System-Umwelt-Grenze ist dann wesentlich schwieriger zu definieren (ist man bei Betreten der Wohnung dann dem System „Familie“ zuzurechnen?), wie auch die Geschlossenheit der Operationen von Systemen in Bezug auf ihre Umwelt. Die Psychologie hat auf diese ‚Systemüberlappung’ z.B. durch George H. Mead mit der Einführung des Rollenbegriffs regiert. s. Mead 2005 67 Luhmann 1987, S. 22 – vgl. Kap. 2.1.3 Seite 28

ihrer eigenen Operationen." (Küppers 1999, S. 350) Gerade diese operationale Geschlossenheit ist es, die soziale Systeme auszeichnen und die für unseren Untersuchungsgegenstand von besonderer Bedeutung sein wird, geht es doch um nichts Geringeres als die Frage, in wie weit operational geschlossene Systeme von ihrer Umwelt aus steuerbar sind. Dazu wird im Folgenden noch eingehend eingegangen. 2.2.2.2 Entstehung, Erhalt und Struktur Wie jedes System benötigen auch soziale Systeme zu ihrer Entstehung eine Abgrenzung zur Umwelt, so dass sie als etwas Eigenständiges, etwas von der Umwelt Unterscheidbares betrachtet werden können. In einem Rundgespräch mit Franzisco Varela, Heinz von Foerster und Niklas Luhmann fragt Fritz Simon jeden, was für ihn ein System sei. Auffällig ist bei den Antworten, dass sich alle dieser „ad hoc“ Definitionen auf die Abgrenzung zur Umwelt beziehen: "Varela: Ich möchte sagen, daß grundsätzlich jede operationale Unterscheidung ein System darstellt. Wenn Sie eine Unterscheidung haben, dann haben Sie ein System." (Simon 1988, S. 96) "von Foerster: […] Das System ist etwas, was zusammensteht. Aber was zusammensteht, hängt davon ab, wer hinschaut. Es ist vom Beobachter abhängig, was er als zusammenstehend definiert." (Simon 1988, S. 95) "Luhmann: Als System würde ich einen Komplex von Operationen definieren, der die Fähigkeit hat, sich selbst durch die eigene Reproduktion von der Umwelt abzugrenzen. Also eine Operation, die in der Sequenz des Anschließens weiterer Operationen an zufällig entstandenen Anfangsoperationen die Fähigkeit hat, eine Differenz zwischen System und Umwelt zu produzieren. […] Systeme wiederum sind definiert als etwas, das sich gegen etwas anderes abgrenzen kann." (Simon 1988, S. 95) Dass Systeme sich durch eine Differenz zu ihrer Umwelt konstituieren ist bereits hinreichend dargestellt. Als strenger Konstruktivist führt von Foerster noch den Beobachter ein, der mit seiner Beurteilung, was für ihn zusammensteht, erst ein System konstruiert. Wie ebenfalls bereits dargestellt, ist die zentrale konstruktivistische Grundannahme, dass Menschen keine Realität beobachten können, sondern lediglich konstruieren, was für sie Realität ist oder besser: sein soll. Wenn man z.B. eine Familie als System betrachtet, so zieht man auch hier letztendlich eine willkürliche Grenze, was zur Familie gehört und was nicht: Eltern und Kinder, aber was ist mit der im Haushalt lebenden Großmutter? Und wenn diese nicht im Haushalt lebt, aber aufgrund der Berufstätigkeit der Eltern weitaus intensiverer Kontakte zu den Kindern hält, was dann? Es ist also immer eine Entscheidung erforderlich, wo eine Systemgrenze zu ziehen ist. Hierfür gibt es immer auch gute Gründe, aber gerade soziale Systeme bilden nicht wie eine Zelle eine Membran aus, die sich dann für jeden verständigen Beobachter als Grenze anbietet, so dass die Grenzziehung erst durch eine Entscheidung konstatiert werden kann. Während die Definitionen von Varela und von Foerster die Zeit ausblenden, führt Luhmann diese in seiner Definition ein. Nach einer Anfangsoperation benötigt für Seite 29

ihrer eigenen Operationen." (Küppers 1999, S. 350) Gerade diese operationale<br />

Geschlossenheit ist es, die soziale Systeme auszeichnen und die für unseren<br />

Untersuchungsgegenstand von besonderer Bedeutung sein wird, geht es doch um<br />

nichts Geringeres als die Frage, in wie weit operational geschlossene Systeme von<br />

ihrer Umwelt aus steuerbar sind. Dazu wird <strong>im</strong> Folgenden noch eingehend<br />

eingegangen.<br />

2.2.2.2 Entstehung, Erhalt und Struktur<br />

Wie jedes System benötigen auch soziale Systeme zu ihrer Entstehung eine<br />

Abgrenzung zur Umwelt, so dass sie als etwas Eigenständiges, etwas von der<br />

Umwelt Unterscheidbares betrachtet werden können. In einem Rundgespräch mit<br />

Franzisco Varela, Heinz von Foerster und Niklas Luhmann fragt Fritz S<strong>im</strong>on jeden,<br />

was für ihn ein System sei. Auffällig ist bei den Antworten, dass sich alle dieser „ad<br />

hoc“ Definitionen auf die Abgrenzung zur Umwelt beziehen:<br />

"Varela: Ich möchte sagen, daß grundsätzlich jede operationale Unterscheidung ein<br />

System darstellt. Wenn Sie eine Unterscheidung haben, dann haben Sie ein<br />

System." (S<strong>im</strong>on 1988, S. 96)<br />

"von Foerster: […] Das System ist etwas, was zusammensteht. Aber was<br />

zusammensteht, hängt davon ab, wer hinschaut. Es ist vom Beobachter abhängig,<br />

was er als zusammenstehend definiert." (S<strong>im</strong>on 1988, S. 95)<br />

"Luhmann: Als System würde ich einen Komplex von Operationen definieren, der die<br />

Fähigkeit hat, sich selbst durch die eigene Reproduktion von der Umwelt<br />

abzugrenzen. Also eine Operation, die in der Sequenz des Anschließens weiterer<br />

Operationen an zufällig entstandenen Anfangsoperationen die Fähigkeit hat, eine<br />

Differenz zwischen System und Umwelt zu produzieren. […] Systeme wiederum sind<br />

definiert als etwas, das sich gegen etwas anderes abgrenzen kann." (S<strong>im</strong>on 1988,<br />

S. 95)<br />

Dass Systeme sich durch eine Differenz zu ihrer Umwelt konstituieren ist bereits<br />

hinreichend dargestellt. Als strenger Konstruktivist führt von Foerster noch den<br />

Beobachter ein, der mit seiner Beurteilung, was für ihn zusammensteht, erst ein<br />

System konstruiert. Wie ebenfalls bereits dargestellt, ist die zentrale<br />

konstruktivistische Grundannahme, dass Menschen keine Realität beobachten<br />

können, sondern lediglich konstruieren, was für sie Realität ist oder besser: sein soll.<br />

Wenn man z.B. eine Familie als System betrachtet, so zieht man auch hier<br />

letztendlich eine willkürliche Grenze, was zur Familie gehört und was nicht: Eltern<br />

und Kinder, aber was ist mit der <strong>im</strong> Haushalt lebenden Großmutter? Und wenn diese<br />

nicht <strong>im</strong> Haushalt lebt, aber aufgrund der Berufstätigkeit der Eltern weitaus<br />

intensiverer Kontakte zu den Kindern hält, was dann? Es ist also <strong>im</strong>mer eine<br />

Entscheidung erforderlich, wo eine Systemgrenze zu ziehen ist. Hierfür gibt es<br />

<strong>im</strong>mer auch gute Gründe, aber gerade soziale Systeme bilden nicht wie eine Zelle<br />

eine Membran aus, die sich dann für jeden verständigen Beobachter als Grenze<br />

anbietet, so dass die Grenzziehung erst durch eine Entscheidung konstatiert werden<br />

kann.<br />

Während die Definitionen von Varela und von Foerster die Zeit ausblenden, führt<br />

Luhmann diese in seiner Definition ein. Nach einer Anfangsoperation benötigt für<br />

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