Systemsteuerung im Case Management
Systemsteuerung im Case Management Systemsteuerung im Case Management
Routinen zu ihrer Lösung bereitstehen oder soweit neue Routinen an die vorhandenen angegliedert werden können. Die Notlagen müssen sich unter einem Entscheidungsmodus zu Fallgruppen zusammenschließen lassen." (Luhmann 1973, S. 34) Wenn Hilfe sich zu Säulen (Programme) verfestigt, muss sich der Bedarf, will er bearbeitbar bleiben, an diesen Strukturen orientieren, so dass „… die Logik institutioneller und professioneller Angebotsstrukturen sich schon in der Fallbestimmung durchgesetzt hat und deren Eigenlogik damit deformiert.“ 585 Merten kritisiert weiterhin, dass durch diese Art der abgegrenzten Hilfeleistung sich konsequenter Weise auch bei den die leitenden Fachkräften Spezialisierungen etabliert hätten, die aber ihrerseits den Blick für das Ganze (des gesamten Hilfebedarfs) verstellen würden. 586 Zudem wird die vom Gesetzgeber erwünschte Verknüpfung der Jugendhilfeplanung mit weiteren Elementen der Sozialplanung 587 noch vielerorts nicht oder nur mangelhaft realisiert, so dass statt der geforderten Kooperations- eher Abgrenzungsstrategien vorzufinden sind. 588 Jugendhilfeplanung erzeugt so oft nur programmierte Angebote, die sich primär an Gesamtheiten (Zielgruppen der Jugendhilfe) als an dem Bedarf der Einzelfälle orientieren. Planung ist daher auch (nur) auf das Gesamtangebot bezogen und die planungsbestimmenden Größen aus dem Bereich Nutzung kommen aus der Inanspruchnahme einer bestimmten Leistung oder Leistungsgruppe insgesamt. Eine qualitative Rückkopplung des Bedarfs der ‚Fälle’ in die Angebotsplanung erfolgt so eher weniger 589 und verstärkt eher die programmierte Bereitstellung von Hilfen: "Daher wird auch Hilfe weitgehend in der Form programmiert, daß immer, wenn im voraus spezifizierte Bedingungen vorliegen, im voraus spezifizierte oder doch umgrenzte Leistungen gewährt werden." (Luhmann 1973, S. 35) Diese planerische Einengung des Möglichen von Hilfeleistungen wird dann konsequent in der Leistungsbeschaffung durch detaillierte Vorgaben umgesetzt, die aufgrund der Eigentümlichkeit der Beschaffungsprozesse, z.B. durch eine eindeutige Leistungsbeschreibung gem. VOL/A, dann weiter ‚zementiert’ wird: „Doch kleinteilige Leistungsbeschreibungen […] führen derzeit eher dazu, dass keine maßgeschneiderte, integrierte und entsprechend flexible Leistung bezahlt wird, sondern die eher standardisierte, in Verträgen detailliert festgelegte und damit im Grunde ‚von der Stange‘ erbrachte. Dies scheint der Gesetzgeber tatsächlich so zu wollen. Dass ihm das mittelfristig erheblich mehr kostet als ein fachlich vernünftiges Verfahren, scheint er noch nicht zu realisieren.“ (Hinte 2002, S. 115) Auch dieses eher skeptische Resümee von Hinte findet sich bereits in der frühen Analyse von 585 Merten 2002, S. 12 586 ebd. 587 s. § 80 Abs. 4 SGB VIII: „Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen darauf hinwirken, dass die Jugendhilfeplanung und andere örtliche und überörtliche Planungen aufeinander abgestimmt werden und die Planungen insgesamt den Bedürfnissen und Interessen der jungen Menschen und ihren Familien Rechnung tragen.“ 588 s. Lukas 2006 S. 223 ff. 589 Brülle beklagt ebenfalls, dass eine „systematische Rückkopplung“ zu den Steuerungsverantwortlich zumeist fehlt und deren Steuerung daher „starr und nicht offen für Lernprozesse“ blieben: Brülle 1998, S. 86 Seite 184
Luhmann wieder, der flexible, am konkreten Bedarf orientierte Hilfe sogar (aus Sicht des Systems) als „dyfunktional“ beschreibt: "Schließlich hat gerade die Effektivität und Zuverlässigkeit organisierten Helfens eigene dysfunktionale Folgen. Durch Programmierung der sozialen Hilfe gerät nichtprogrammiertes Helfen in die Hinterhand. Es kann organisationsintern sogar ausgesprochen zur Störung werden, wenn jemand programmlos hilft. […] Gerade darin liegt eine Gefahr, weil nicht jede Art von Notlage organisatorisch zu steuern ist." (Luhmann 1973, S. 36) Als ein möglicher Weg des Ausbrechens aus diesem Dilemma kann die verstärkte Orientierung der Angebotsplanung und –bereitstellung am Sozialraum angesehen werden, wo versucht wird, Hilfen statt in einem Gesamtplan in sozialraumbasierten Teilplänen zu realisieren und damit Planungen dichter am Bedarf anzusiedeln. Marquard beschreibt so z.B. sozialräumliche Planungsmodalitäten am Beispiel der Stadt Freiburg bis hin zur Etablierung einer „sozialräumlichen Fallarbeit“, merkt aber kritisch an, dass bislang hierzu aber noch keine eindeutige Definition vorläge, was darunter konkret zu verstehen sei (und wodurch sie sich von anderen Konzepten unterscheiden würde). 590 Sozialraum als die bestimmende und bedarfsfremde Planung überwindende planerische und gestalterische Bezugsdimension Sozialer Arbeit hat eine derartige Eigendynamik entwickelt, so dass Wolff bereits kritisch anmerkt: "Insgesamt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass mit der Sozialraumorientierung ein neuer Begriff und ein vermeintlich neues Modell eingeführt wurde, bevor Modelle einer integrierten und flexiblen Jugendhilfe überhaupt zu Ende gedacht waren." (Wolff 2002, S. 48) Ein Ansatz zur Verbindung von Sozialraumorientierung und Flexibilität in der Jugendhilfe beschreibt Stiefel im sogenannten „Stuttgarter Modell“. Kernelement dieses Ansatzes ist die Gründung von zehn Stadtteilteams, in dem ASD, WJH und HzE-Träger mitarbeiten, 591 wobei pro Stadtteil einem HzE-Träger die Gesamtverantwortung für alle diesbezüglichen Hilfeleistungen als „Schwerpunktträger“ übertragen wird. 592 Auf diese Weise wird die bisherige Konzentration der Träger auf abgegrenzte Leistungen (Versäulung) überwunden. Nach Stiefel bewirkte dies, eine "[…] Flexibilisierung der Hilfen oder […] Maßanzug statt Konfektionsware‘, was bedeutet, dass Erziehungshilfeträger nicht mehr wie bisher verschiedene Standardangebote (‚Konfektionsware‘, den §§ 27 ff. KHJG folgend) vorhalten, sondern flexibel für jeden Einzelfall eine individuelle Hilfe (‚Maßanzug‘) aus dem im § 27 KJHG festgeschriebenen Anspruchsrechten komponieren." (Stiefel 2002, S. 57) Auf diese Weise war es möglich, die Versäulung von Angeboten sowohl im Denken der Mitarbeiter des ASD wie auch in der Art der Hilfebereitstellung der HzE-Träger aufzulösen. 593 Durch den gezielten Einsatz finanzieller Anreize (gleich materieller instruktiver Steuerung) wurde zudem erreicht, dass die HzE-Träger bestimmte qualitativen Anforderungen des Jugendamtes mit umsetzten, so z.B. Freiwilligenarbeit betrieben („Volunteers“), ein 590 s. Marquard 2005 – vgl. zu sozialräumlichen Konzepten auch Baltz 2002, Boeckh 2005, Debiel 2006, Deinet 2006, Deinet, Krisch 2006, Jordan 1998, Klawe 2005, Lutz 2007, Merten 2002, Müller 2002, Otto, Ziegler 2004, Peters, Koch 2004, Reutlinger et al. 2006, Schäfer 2002, Schipmann 2002, Szlapka 2005 591 s. Stiefel 2002, S. 59, die gebrauchten Abkürzungen sollten bekannt sein (ASD = allgemeiner sozialer Dienst, WJH = wirtschaftliche Jugendhilfe, HzE = Hilfe zur Erziehung) 592 ders. S. 62 593 ders. S. 58 f. Seite 185
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Wenn Hilfe sich zu Säulen (Programme) verfestigt, muss sich der Bedarf, will er<br />
bearbeitbar bleiben, an diesen Strukturen orientieren, so dass „… die Logik<br />
institutioneller und professioneller Angebotsstrukturen sich schon in der<br />
Fallbest<strong>im</strong>mung durchgesetzt hat und deren Eigenlogik damit deformiert.“ 585 Merten<br />
kritisiert weiterhin, dass durch diese Art der abgegrenzten Hilfeleistung sich<br />
konsequenter Weise auch bei den die leitenden Fachkräften Spezialisierungen<br />
etabliert hätten, die aber ihrerseits den Blick für das Ganze (des gesamten<br />
Hilfebedarfs) verstellen würden. 586<br />
Zudem wird die vom Gesetzgeber erwünschte Verknüpfung der Jugendhilfeplanung<br />
mit weiteren Elementen der Sozialplanung 587 noch vielerorts nicht oder nur<br />
mangelhaft realisiert, so dass statt der geforderten Kooperations- eher<br />
Abgrenzungsstrategien vorzufinden sind. 588<br />
Jugendhilfeplanung erzeugt so oft nur programmierte Angebote, die sich pr<strong>im</strong>är an<br />
Gesamtheiten (Zielgruppen der Jugendhilfe) als an dem Bedarf der Einzelfälle<br />
orientieren. Planung ist daher auch (nur) auf das Gesamtangebot bezogen und die<br />
planungsbest<strong>im</strong>menden Größen aus dem Bereich Nutzung kommen aus der<br />
Inanspruchnahme einer best<strong>im</strong>mten Leistung oder Leistungsgruppe insgesamt. Eine<br />
qualitative Rückkopplung des Bedarfs der ‚Fälle’ in die Angebotsplanung erfolgt so<br />
eher weniger 589 und verstärkt eher die programmierte Bereitstellung von Hilfen:<br />
"Daher wird auch Hilfe weitgehend in der Form programmiert, daß <strong>im</strong>mer, wenn <strong>im</strong><br />
voraus spezifizierte Bedingungen vorliegen, <strong>im</strong> voraus spezifizierte oder doch<br />
umgrenzte Leistungen gewährt werden." (Luhmann 1973, S. 35)<br />
Diese planerische Einengung des Möglichen von Hilfeleistungen wird dann<br />
konsequent in der Leistungsbeschaffung durch detaillierte Vorgaben umgesetzt, die<br />
aufgrund der Eigentümlichkeit der Beschaffungsprozesse, z.B. durch eine eindeutige<br />
Leistungsbeschreibung gem. VOL/A, dann weiter ‚zementiert’ wird: „Doch kleinteilige<br />
Leistungsbeschreibungen […] führen derzeit eher dazu, dass keine<br />
maßgeschneiderte, integrierte und entsprechend flexible Leistung bezahlt wird,<br />
sondern die eher standardisierte, in Verträgen detailliert festgelegte und damit <strong>im</strong><br />
Grunde ‚von der Stange‘ erbrachte. Dies scheint der Gesetzgeber tatsächlich so zu<br />
wollen. Dass ihm das mittelfristig erheblich mehr kostet als ein fachlich vernünftiges<br />
Verfahren, scheint er noch nicht zu realisieren.“ (Hinte 2002, S. 115) Auch dieses<br />
eher skeptische Resümee von Hinte findet sich bereits in der frühen Analyse von<br />
585<br />
Merten 2002, S. 12<br />
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s. § 80 Abs. 4 SGB VIII: „Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen darauf hinwirken, dass die<br />
Jugendhilfeplanung und andere örtliche und überörtliche Planungen aufeinander abgest<strong>im</strong>mt werden<br />
und die Planungen insgesamt den Bedürfnissen und Interessen der jungen Menschen und ihren<br />
Familien Rechnung tragen.“<br />
588<br />
s. Lukas 2006 S. 223 ff.<br />
589 Brülle beklagt ebenfalls, dass eine „systematische Rückkopplung“ zu den<br />
Steuerungsverantwortlich zumeist fehlt und deren Steuerung daher „starr und nicht offen für<br />
Lernprozesse“ blieben: Brülle 1998, S. 86<br />
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