Systemsteuerung im Case Management

Systemsteuerung im Case Management Systemsteuerung im Case Management

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einzuführen. 337 Care Management bezeichnet dabei nach Wendt „… das Management der Versorgung in einem Dienst bzw. seitens eines Fachamtes …“ 338 und kann organisatorisch „… dem Case Management sowohl übergeordnet wie auch ihm unter- bzw. nachgeordnet werden“ 339 . Case Management wäre demnach nur das individuelle Management der Fälle und Care Management das der Versorgung. Vergleicht man diese Darstellung nun mit den bereits angesprochenen Aussagen, dass Case Management nur durch Integration von Fall- und Systemsteuerung zu eben Case Management wird, so entsteht doch etliche Verwirrung. Vor allem öffnet die o.a. Aussage, das Care Management dem Case Management auch durchaus übergeordnet sein kann, der breiten, bis zur Beliebigkeit ausdehnbaren Gestaltung von Case Management auf der Systemebene Tür und Tor. Ein nachrangiges Case Management hätte demnach nur das fallweise zu koordinieren, was das Care Management bereits bereitgestellt hat, d.h. das Mögliche im Einzelfall hat sich nach dem zu richten, was möglich ist, was das System in seiner mehr oder minder weisen Voraussicht anbietet. Die Nähe einer solchen Sichtweise zur bereits frühen Aussage von Luhmann „Im großen und ganzen bestimmt die Optik der Programme das, was an sozialer Hilfe geschieht, bzw. nicht geschieht.“ 340 ist unübersehbar. Aber selbst dann, wenn das Care Management dem Case Management klar nachgeordnet ist, bietet das ‚Begriffssplitting’ in Care und Case Management eher Nachteile: Es ermöglicht Interpretationen, die Implementierung der beiden Elemente zu trennen, zunächst Case Management einzuführen und dann später Care Management ‚draufzusatteln’, oder aber die bereits angesprochene Sichtweise, ja bereits das angebotssteuernde Care Management zu praktizieren, das nun durch ein individuelles Case Management ergänzt wird. Zudem kommt der Begriff des Care Managements in die Nähe zu Programmen der strukturierten medizinischen Versorgung, die mit Begrifflichkeiten wie Managed Care, Care Maps, Clinical Pathways und Desease Management bezeichnet werden. Nur dass diese Verfahren zumeist gerade das Gegenteil von Case Management wollen: Nicht der Einzelfall in seiner Individualität und den daraus resultierenden individuell unterschiedlichen Bedürfnissen (wie Ressourcen) steht im Mittelpunkt des Interesses, sondern das genaue Gegenteil: Die Summe der Fälle oder genauer, der ‚durchschnittliche Fall’. Managed Care versucht gerade - eben als Care Management – mittels am ‚Durchschnittsfall’ entwickelten Ablaufpläne Programmierungen für den Krankheitsfall und den zu seiner Bewältigung erforderlichen Ressourcenallokation zu entwickeln. 341 Es gibt daher auch Stimmen, die, so wie der Verfasser, eine 337 vgl. z.B. Wendt 2001 S. 50 f., Wendt 2005a S. 15 f., Wendt 2006b, S. 8, Wendt 2006a S. 69 ff. und Neuffer 2006b, S. 53, der eine klare Trennung von Care und Case Management befürwortet 338 Wendt 2001, S. 51 – Er stützt sich dabei auch auf die in Großbritannien verwandte Terminologie, wo prinzipiell nur von „Care Management“ gesprochen wird, es sich aber um Case Management handelt. Die Begrifflichkeit „Care“ wurde nur deshalb gewählt, da der Begriff des „Case“ als zu unpersönlich angesehen wurde. Vgl. dazu auch Hansen 2005, S. 107 – zu entsprechenden Care Management Konzepten in Großbritannien vgl. Department of Health 1991 339 ebd. 340 Luhmann 1973, S. 33 341 vgl. Zander 2000, Wissert 2006 als Überblick Wendt 2001 S. 200 ff. Seite 102

Abgrenzung zwischen Case Management und allen anderen ablaufstrukturierenden Konzepten (gerade in der Pflege) fordern. 342 Daher wird vom Verfasser vorgeschlagen, Case Management nur noch solche Konzepte zu nennen, die • den Einzelfall mit seinen individuellen Bedürfnissen und seinem daraus resultierenden auf den Einzelfall spezifisch zugeschnittenen Erfordernissen von Hilfe- und Unterstützungsleistungen im Fokus haben, • die die Hilfe- und Unterstützungsleistungen fallweise und vor allem fallbezogen nach den individuellen Bedürfnissen des Einzelfalls koordinieren, • die die Koordination der Hilfe- und Unterstützungsleistungen nicht alleine aus der Sicht des verfügbaren Angebotes sondern aus der Sicht der Erfordernisse des Einzelfalls bewerkstelligen und • die einzelfallübergreifend aber aus der Erfahrung der Fälle heraus Leistungen und Vernetzungen des Hilfe- und Unterstützungsangebotes koordinieren, einfordern, implementieren und verändern. Der Begriff des Care Managements wäre dann allen anderen Konzepten vorbehalten, die ebenfalls Handlungsabläufe strukturieren, dies aber aus dem Fokus der Versorgung (und nicht des Einzelfalls heraus) heraus tun. Case Management strukturiert primär den Fall und sekundär daraus die Versorgung – Care Management strukturiert hingegen primär die Versorgung und aus ihr heraus die so versorgten Fälle. Die reine Nutzung dessen, was (an Hilfe und Unterstützung) vorhanden ist, wäre demnach noch lange kein Case Management. Der Fall würde hier zwar individuell bearbeitet, aber individuell nur insoweit, welche der insgesamt verfügbaren Hilfe- und Unterstützungsleistungen sachlich und zeitlich fallspezifisch genutzt werden können. Letzten Endes muss so der Fall zum Hilfesystem passen, wenn er von diesem bearbeitet werden will. Es kommt also schon und sogar wesentlich darauf an, ob der Fall das System steuert (Case Management) oder das System den Fall (Care Management). 343 Die Position von Löcherbach, der von einer „gegenseitigen Durchdringung“ 344 spricht, wo es eben nicht darauf ankomme, ob der Fall das System steuere oder umgekehrt, ist daher entschieden abzulehnen, da so Steuerung zur Beliebigkeit verkommt. So ansprechend Ansätze der wechselseitigen Verschränkung von Ebenen – Löcherbach spricht hierbei sogar von einer „doppelten Durchdringung“ (ebd.) – auch sein mögen, sie ignorieren Tatsachen wie Konkurrenz- und Abgrenzungsdenken zwischen den vielfältigen Akteuren der Sozialen Arbeit 345 (oder generell in den unterschiedlichen Handlungsfeldern des Case Managements), die wenn überhaupt, dann nur durch ein akzentuiertes Steuerungshandeln als der klaren Perspektive der 342 vgl. Ribbert-Elias 2006, S. 148, Porz et al. 2005, S. 92 und allgemeiner zu Problemen bei der Implementation von Case Management im Gesundheitswesen Ewers 2006 S. 65 f. 343 vgl. hierzu Faß 2006, S. 141 344 Löcherbach 2007 S. 21 f. 345 vgl. dazu auch die kritischen Ausführungen von Hille zur „systemimmanenten Disfunktionalität der Sozialen Arbeit“ (Hille 2006, S. 58), ähnliche Beschreibungen von Hindernissen bei der Vernetzung von Hilfen finden sich auch bei Gissel-Palkovic (Gissel-Palkovich 2006a S. 99 f.) und Neuffer (Neuffer 2006b, S. 47) Seite 103

Abgrenzung zwischen <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> und allen anderen ablaufstrukturierenden<br />

Konzepten (gerade in der Pflege) fordern. 342<br />

Daher wird vom Verfasser vorgeschlagen, <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> nur noch solche<br />

Konzepte zu nennen, die<br />

• den Einzelfall mit seinen individuellen Bedürfnissen und seinem daraus<br />

resultierenden auf den Einzelfall spezifisch zugeschnittenen Erfordernissen von<br />

Hilfe- und Unterstützungsleistungen <strong>im</strong> Fokus haben,<br />

• die die Hilfe- und Unterstützungsleistungen fallweise und vor allem fallbezogen<br />

nach den individuellen Bedürfnissen des Einzelfalls koordinieren,<br />

• die die Koordination der Hilfe- und Unterstützungsleistungen nicht alleine aus der<br />

Sicht des verfügbaren Angebotes sondern aus der Sicht der Erfordernisse des<br />

Einzelfalls bewerkstelligen und<br />

• die einzelfallübergreifend aber aus der Erfahrung der Fälle heraus Leistungen<br />

und Vernetzungen des Hilfe- und Unterstützungsangebotes koordinieren,<br />

einfordern, <strong>im</strong>plementieren und verändern.<br />

Der Begriff des Care <strong>Management</strong>s wäre dann allen anderen Konzepten<br />

vorbehalten, die ebenfalls Handlungsabläufe strukturieren, dies aber aus dem Fokus<br />

der Versorgung (und nicht des Einzelfalls heraus) heraus tun. <strong>Case</strong> <strong>Management</strong><br />

strukturiert pr<strong>im</strong>är den Fall und sekundär daraus die Versorgung – Care<br />

<strong>Management</strong> strukturiert hingegen pr<strong>im</strong>är die Versorgung und aus ihr heraus die so<br />

versorgten Fälle. Die reine Nutzung dessen, was (an Hilfe und Unterstützung)<br />

vorhanden ist, wäre demnach noch lange kein <strong>Case</strong> <strong>Management</strong>. Der Fall würde<br />

hier zwar individuell bearbeitet, aber individuell nur insoweit, welche der insgesamt<br />

verfügbaren Hilfe- und Unterstützungsleistungen sachlich und zeitlich fallspezifisch<br />

genutzt werden können. Letzten Endes muss so der Fall zum Hilfesystem passen,<br />

wenn er von diesem bearbeitet werden will.<br />

Es kommt also schon und sogar wesentlich darauf an, ob der Fall das System<br />

steuert (<strong>Case</strong> <strong>Management</strong>) oder das System den Fall (Care <strong>Management</strong>). 343 Die<br />

Position von Löcherbach, der von einer „gegenseitigen Durchdringung“ 344 spricht, wo<br />

es eben nicht darauf ankomme, ob der Fall das System steuere oder umgekehrt, ist<br />

daher entschieden abzulehnen, da so Steuerung zur Beliebigkeit verkommt. So<br />

ansprechend Ansätze der wechselseitigen Verschränkung von Ebenen –<br />

Löcherbach spricht hierbei sogar von einer „doppelten Durchdringung“ (ebd.) – auch<br />

sein mögen, sie ignorieren Tatsachen wie Konkurrenz- und Abgrenzungsdenken<br />

zwischen den vielfältigen Akteuren der Sozialen Arbeit 345 (oder generell in den<br />

unterschiedlichen Handlungsfeldern des <strong>Case</strong> <strong>Management</strong>s), die wenn überhaupt,<br />

dann nur durch ein akzentuiertes Steuerungshandeln als der klaren Perspektive der<br />

342 vgl. Ribbert-Elias 2006, S. 148, Porz et al. 2005, S. 92 und allgemeiner zu Problemen bei der<br />

Implementation von <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> <strong>im</strong> Gesundheitswesen Ewers 2006 S. 65 f.<br />

343 vgl. hierzu Faß 2006, S. 141<br />

344 Löcherbach 2007 S. 21 f.<br />

345 vgl. dazu auch die kritischen Ausführungen von Hille zur „system<strong>im</strong>manenten Disfunktionalität der<br />

Sozialen Arbeit“ (Hille 2006, S. 58), ähnliche Beschreibungen von Hindernissen bei der Vernetzung<br />

von Hilfen finden sich auch bei Gissel-Palkovic (Gissel-Palkovich 2006a S. 99 f.) und Neuffer (Neuffer<br />

2006b, S. 47)<br />

Seite 103

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