Systemsteuerung im Case Management

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ebenfalls aus der Sozialen Arbeit entwickelt wurde. […] In der Fachdiskussion werden daher Vorbehalte gegen den Gesamtanspruch von Case Management in Bezug auf Fall- und Systemsteuerung laut, da Professionelle in angestammten Feldern der Sozialen Arbeit mit dem Begriff ‚Case‘ nichts anzufangen wissen oder nichts anfangen wollen." (Neuffer 2006b, S. 49) Diese Position stellt aber die deutliche Ausnahme dar und begründet sich mehr in Überlegungen, dass Case Management sich mit seinem systembezogenen Steuerungsanspruch sich zu sehr in bereits erprobte Steuerungskonzepte einmischt und damit eher Widerstände provoziert. 329 Geht man nun von der deutlich unterstrichenen Bedeutung der Systemsteuerung im Gesamtkonzept des Case Managements aus, so ist man zunächst sehr überrascht, in einschlägigen Publikationen lange Zeit nichts oder nur bruchstückhafte Darstellungen zu dem zu finden, was Systemsteuerung eigentlich ist, welche Anforderungen an sie zu stellen sind und wie eine Implementierung aussehen sollte oder könnte. Erst seit wenigen Jahren (beginnend 2004) finden sich erste Publikationen, die sich mit dem Thema Systemsteuerung eingehender beschäftigen. 330 Sucht man dagegen nach Handreichungen, wie die Fallsteuerung im Rahmen des Case Managements vonstatten geht oder gehen könnte, so findet sich in der Literatur eine Vielzahl von Angeboten. 331 Setzt man nun das 1991 erschienene Werk von Wolf Rainer Wendt „Unterstützung fallweise“ 332 als Beginn des Case Managements in Deutschland, so hat die Entwicklung systemsteuernder Konzepte ein ‚time gap’ von rund 13 Jahren zu verzeichnen. Die Erklärung dieses bemerkenswerten Umstands fällt indes schwer. Man könnte meinen, dass Systemsteuerung derart selbsterklärend ist, dass sich eine dezidierte Beschäftigung damit erübrigt – neue Publikationen machen aber deutlich, dass gerade hier ein dringender Nachholbedarf besteht. So konstatiert z.B. Mennemann: „Auf der Systemebene gibt es kaum Vorgaben und auch kaum Erfahrungen. Hier ist das Methodenset nach wie vor sehr unpräzise und offen.“ 333 Und Toepler, der über die Ergebnisse zur Einführung von Case Management in der Unfallversicherung berichtet, kommt zu dem Ergebnis: „Im Rahmen der Untersuchung konnte jedoch keine regelhafte Nutzung der CM-Erfahrungen zur Optimierung des Versorgungsangebotes festgestellt werden …“ 334 . Auch Hampe- Grosser führt pessimistisch an: "Untersucht man die beteiligten Fachkräfte auf ihre Anbindung im Hilfenetz, so zeigt sich, dass eine Steuerung in der Regel nicht 329 Neuffer wendet sich zudem gegen die zunehmende ‚Vermanagerisierung’ des Case Managements, dass sich mehr mit dem ‚managen’ von Fällen und Systemen beschäftigt und die für erfolgreiche Soziale Arbeit unerlässliche Beziehungsarbeit vernachlässigt – vgl. dazu auch Neuffer 2006a - eine ähnliche Position vertritt Hille – vgl. Hille 2006, ähnliche Argumentationen finden sich auch bei Weber bei der Darstellung von Case bzw. Care Management im Krankenhaus – vgl. Weber 2006 330 im Wesentlichen können als dezidiertere Beschäftigungen nur die Arbeiten von Mennemann, Löcherbach und eingeschränkt Neuffer gezählt werden (zumindest soweit dem Verfasser bekannt): Mennemann 2005, Mennemann 2006, Löcherbach 2007, sowie ein Vortrag von ihm im November 2004: Löcherbach 27.11.2004 und Neuffer 2006c 331 vgl. z.B. Neuffer 2005, Ewers et al. 2000, Brinkmann 2006a, Kleve et al. 2006a und die in Fußnote 323 genannten Autoren 332 s. Wendt 1991 333 Mennemann 2005, S. 21 334 Toepler 2007, S. 80 Seite 100

möglich ist. Die Kontexte der einzelnen Professionen sind vielfach und autonom. Beinahe ließe sich von Parallelgesellschaften sprechen. Die Steuerung des Hilfenetzwerkes scheint aussichtslos - und wer im Verbund könnte auch von sich behaupten, die Option des Steuernden von den anderen Beteiligten erhalten zu haben." (Hampe-Grosser 2007, S. 446) Selbst Wendt selbst stellt fest: "Eine funktionelle Verknüpfung von allen Dimensionen des Case Managements auf der Ebene der Systemsteuerung (Zugang und Auslese der Klientel, Bedarfserhebung im Sozialraum, Versorgungsplanung, Kontrolle der Durchführung, Evaluation und Rechenschaftslegung) mit allen Dimensionen von Case Management auf der Ebene des Handlens im Einzelfall (Fallaufnahme, Bedarfsklärung, Hilfe- und Behandlungsplanung, Begleitung bei der Leistungserbringung, Evaluation und Dokumentation) erfolgt allerdings noch selten. Oft werden nur einzelne Schritte im Case Management vollzogen." (Wendt 2005a, S. 17) Die mögliche Erklärung der ‚Offensichtlichkeit’ von Systemsteuerung greift also nicht. Wurde also Systemsteuerung deshalb bisher so wenig thematisiert, weil sie ein sehr schweres Unterfangen ist und durchaus, wie ja der nicht völlig von der Hand zu weisende Einwand von Neuffer (a.a.O.) zeigt, mit etlichen Widerständen zu rechnen hat, oder war es eher die Absicht, Case Management ‚schrittweise’ einzuführen, und die Systemaspekte erst nach Verfestigung der Fallführung anzupacken? Die Beantwortung dieser Fragen bleiben pure Spekulation und soll daher nicht weiter verfolgt werden. Festzuhalten ist aber die Tatsache, dass das Case Management in Deutschland sich zuerst von der Fallsteuerungsebene her etabliert hat und die Systemsteuerung ‚hinterherhinkt’. Man könnte daher durchaus aus Sicht des Verfassers von der Systemsteuerung als dem ‚vernachlässigten Kind’ des Case Managements sprechen. ‚Konsequenterweise’ möchte man fast sagen, lassen sich auch zahlreiche Beispiele finden, in denen zwar von Case Management gesprochen wird, eine wirkliche Systemsteuerungskomponente aber nicht identifizierbar ist. 335 Der Ausspruch von Wolf Rainer Wendt“ „Aber oft ist dort, wo Case Management drauf steht, Case Management nicht drin.“ 336 bewahrheitet sich so in vielfältiger Weise. Die Unterbetonung des systemsteuernden Anteils und vor allem auch Anspruchs des Case Management in den einschlägigen Darstellungen können durchaus solchen ‚singulären’ Entwicklungen Vorschub geleistet haben. Solange nur betont wird, wie wichtig, sogar wie essentiell Systemsteuerung für das Case Management ist, ohne explizit auszuführen, was denn alles implementiert werden muss, um diesem Anspruch auch tatsächlich gerecht werden zu können, ist es erkennbar einfacher, nur die fallsteuernde Komponente des Case Managements zu implementieren und den ‚Rest’ bei Gelegenheit nachzuholen. Gleichfalls kann der möglichen Darstellung, mittels bewährter Instrumente wie z.B. Sozialplanung, die systemsteuernde Anteile ja bereits zu leisten, mangels klarer Kriterien der Systemsteuerung zumindest deutlich schlechter widersprochen werden. Nach Ansicht des Verfassers ist es ebenfalls eher nachteilig, in die systemsteuernden Aktivitäten noch zusätzlich den Begriff des Care Managements 335 vgl. z.B. die Darstellungen von Fichtel 2000, Lauer 2006, Müller 2006, Roters, Möller 2006, Schu 2005, Sellin 2005, Wahler, Wahler 2000, Weicht 2000, Wissert 2005 336 Wendt 2005a, S. 14 Seite 101

möglich ist. Die Kontexte der einzelnen Professionen sind vielfach und autonom.<br />

Beinahe ließe sich von Parallelgesellschaften sprechen. Die Steuerung des<br />

Hilfenetzwerkes scheint aussichtslos - und wer <strong>im</strong> Verbund könnte auch von sich<br />

behaupten, die Option des Steuernden von den anderen Beteiligten erhalten zu<br />

haben." (Hampe-Grosser 2007, S. 446) Selbst Wendt selbst stellt fest: "Eine<br />

funktionelle Verknüpfung von allen D<strong>im</strong>ensionen des <strong>Case</strong> <strong>Management</strong>s auf der<br />

Ebene der <strong>Systemsteuerung</strong> (Zugang und Auslese der Klientel, Bedarfserhebung <strong>im</strong><br />

Sozialraum, Versorgungsplanung, Kontrolle der Durchführung, Evaluation und<br />

Rechenschaftslegung) mit allen D<strong>im</strong>ensionen von <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> auf der Ebene<br />

des Handlens <strong>im</strong> Einzelfall (Fallaufnahme, Bedarfsklärung, Hilfe- und<br />

Behandlungsplanung, Begleitung bei der Leistungserbringung, Evaluation und<br />

Dokumentation) erfolgt allerdings noch selten. Oft werden nur einzelne Schritte <strong>im</strong><br />

<strong>Case</strong> <strong>Management</strong> vollzogen." (Wendt 2005a, S. 17) Die mögliche Erklärung der<br />

‚Offensichtlichkeit’ von <strong>Systemsteuerung</strong> greift also nicht. Wurde also<br />

<strong>Systemsteuerung</strong> deshalb bisher so wenig thematisiert, weil sie ein sehr schweres<br />

Unterfangen ist und durchaus, wie ja der nicht völlig von der Hand zu weisende<br />

Einwand von Neuffer (a.a.O.) zeigt, mit etlichen Widerständen zu rechnen hat, oder<br />

war es eher die Absicht, <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> ‚schrittweise’ einzuführen, und die<br />

Systemaspekte erst nach Verfestigung der Fallführung anzupacken? Die<br />

Beantwortung dieser Fragen bleiben pure Spekulation und soll daher nicht weiter<br />

verfolgt werden. Festzuhalten ist aber die Tatsache, dass das <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> in<br />

Deutschland sich zuerst von der Fallsteuerungsebene her etabliert hat und die<br />

<strong>Systemsteuerung</strong> ‚hinterherhinkt’. Man könnte daher durchaus aus Sicht des<br />

Verfassers von der <strong>Systemsteuerung</strong> als dem ‚vernachlässigten Kind’ des <strong>Case</strong><br />

<strong>Management</strong>s sprechen.<br />

‚Konsequenterweise’ möchte man fast sagen, lassen sich auch zahlreiche Beispiele<br />

finden, in denen zwar von <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> gesprochen wird, eine wirkliche<br />

<strong>Systemsteuerung</strong>skomponente aber nicht identifizierbar ist. 335 Der Ausspruch von<br />

Wolf Rainer Wendt“ „Aber oft ist dort, wo <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> drauf steht, <strong>Case</strong><br />

<strong>Management</strong> nicht drin.“ 336 bewahrheitet sich so in vielfältiger Weise. Die<br />

Unterbetonung des systemsteuernden Anteils und vor allem auch Anspruchs des<br />

<strong>Case</strong> <strong>Management</strong> in den einschlägigen Darstellungen können durchaus solchen<br />

‚singulären’ Entwicklungen Vorschub geleistet haben. Solange nur betont wird, wie<br />

wichtig, sogar wie essentiell <strong>Systemsteuerung</strong> für das <strong>Case</strong> <strong>Management</strong> ist, ohne<br />

explizit auszuführen, was denn alles <strong>im</strong>plementiert werden muss, um diesem<br />

Anspruch auch tatsächlich gerecht werden zu können, ist es erkennbar einfacher,<br />

nur die fallsteuernde Komponente des <strong>Case</strong> <strong>Management</strong>s zu <strong>im</strong>plementieren und<br />

den ‚Rest’ bei Gelegenheit nachzuholen. Gleichfalls kann der möglichen Darstellung,<br />

mittels bewährter Instrumente wie z.B. Sozialplanung, die systemsteuernde Anteile<br />

ja bereits zu leisten, mangels klarer Kriterien der <strong>Systemsteuerung</strong> zumindest<br />

deutlich schlechter widersprochen werden.<br />

Nach Ansicht des Verfassers ist es ebenfalls eher nachteilig, in die<br />

systemsteuernden Aktivitäten noch zusätzlich den Begriff des Care <strong>Management</strong>s<br />

335 vgl. z.B. die Darstellungen von Fichtel 2000, Lauer 2006, Müller 2006, Roters, Möller 2006, Schu<br />

2005, Sellin 2005, Wahler, Wahler 2000, Weicht 2000, Wissert 2005<br />

336 Wendt 2005a, S. 14<br />

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