E&W Oktober 2009 - GEW
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BILDUNGSPOLITIK<br />
Doch die OECD-Forscher hatten diesmal<br />
vorgesorgt. Die ständigen Klagen<br />
konservativer deutscher Bildungspolitiker,<br />
dass das duale System in den Statistiken<br />
nicht gebührend gewürdigt würde,<br />
wiesen sie mithilfe einer Sonderauswertung<br />
zurück. Selbst wenn man bei den<br />
internationalen Qualifikationsvergleichen<br />
die höherwertigen Berufsausbildungen<br />
in Technik und Pflege – die in<br />
der Bundesrepublik in Betrieben oder<br />
Fachschulen erfolgt, im Ausland dagegen<br />
oft an Hochschulen – mit einbeziehe,<br />
ergebe sich für Deutschland kein positiveres<br />
Gesamtbild.<br />
Dabei ist Ischingers Mahnung klar und<br />
deutlich: „Wenn Deutschland gestärkt<br />
aus dieser Wirtschaftskrise hervorgehen<br />
will, dann ist jetzt der Zeitpunkt gekommen,<br />
in Bildung und höhere Qualifikation<br />
zu investieren.“ 2006 gab die Bundesrepublik<br />
nach OECD-Rechnung 4,8<br />
Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes<br />
(BIP) für Bildung aus – das waren 0,3<br />
Das Thema Bildung<br />
hat in den<br />
vergangenen<br />
Jahren an Bedeutunggewonnen.<br />
Das wird<br />
auch im Bundestagswahlkampf<br />
sehr<br />
deutlich. Nachdem<br />
die Große<br />
Ulrich Thöne Koalition zu Beginn<br />
der Legislaturperiode mit einer kapitalen<br />
Fehlentscheidung (Föderalismusreform)<br />
die Verantwortung für Bildung<br />
nahezu vollständig dem Wettbewerb<br />
der Bundesländer übergeben hat,<br />
überbieten sich jetzt alle Parteien mit<br />
bildungspolitischen Versprechungen.<br />
Sogar erhebliche Korrekturen an der<br />
gerade vollzogenen Grundgesetzänderung<br />
(z. B. beim Kooperationsverbot,<br />
das dem Bund eine finanzielle Unterstützung<br />
der Länder bei Bildungsvorhaben<br />
wie dem Ganztagsschulprojekt<br />
untersagt) werden von namhaften Vertretern<br />
der Regierungsparteien ins Spiel<br />
gebracht. Es vergeht auch keine Talk-<br />
Runde oder Podiumsdiskussion, in der<br />
nicht mehr Geld für mehr Erzieherinnen,<br />
mehr Lehrkräfte, kleinere Klassen<br />
und Kita-Gruppen oder bessere Ausbil-<br />
24 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2009</strong><br />
Ohrfeige für deutsche Bildungspolitik<br />
Kommentar zum OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick <strong>2009</strong>“<br />
Foto: Kay Herschelmann<br />
Prozent weniger als 2005. Eingerechnet<br />
sind dabei öffentliche wie private Ausgaben.<br />
Im OECD-Schnitt stieg der Anteil<br />
im gleichen Zeitraum von 5,4 Prozent<br />
auf 5,5 Prozent (s. Kommentar).<br />
Zehn-Prozent-Ziel fraglich<br />
Doch Schavan wie Tesch wurden in Berlin<br />
nicht müde, mehrfach das beim<br />
Dresdner Bildungsgipfel im <strong>Oktober</strong><br />
2008 von Bund und Ländern verabredete<br />
Ziel herauszustellen, bis 2015 die Ausgaben<br />
für Bildung auf sieben Prozent<br />
und die für Forschung auf drei Prozent<br />
BIP-Anteil zu erhöhen. Dabei müssten<br />
Schavan wie Tesch doch wissen, was derzeit<br />
hinter den Kulissen – in der GemeinsamenWissenschaftsministerkonferenz<br />
von Bund und Ländern (GWK)<br />
und in der Finanzministerkonferenz<br />
(FMK) – diskutiert wird. Baden-Württemberg<br />
stellt das Zehn-Prozent-Ziel<br />
klar infrage. Und bei den Finanzministern<br />
gibt es ernste Überlegungen, durch<br />
dungs- und Studienbedingungen versprochen<br />
werden. Die magische Zahl<br />
von sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
(BIP) für Bildung wird beschworen.<br />
So weit, so gut und erfreulich;<br />
wenn da nicht die hässliche Wirklichkeit<br />
im Wege stünde. Die jüngste<br />
Studie der OECD „Bildung auf einen<br />
Blick <strong>2009</strong>“ bescheinigt der Politik in<br />
Deutschland, anders gehandelt zu haben<br />
als behauptet. Mit großer medialer<br />
Unterstützung hat Kanzlerin Angela<br />
Merkel (CDU) 2008 in Dresden einen<br />
„Bildungsgipfel“ zelebriert, um die Bevölkerung<br />
zu beruhigen. Die Botschaft<br />
der Bundesregierung und 16 Länderchefs:<br />
Die protestierenden Eltern und<br />
Jugendlichen haben ja recht: „Die Bedingungen<br />
für Bildung müssen verbessert<br />
werden. Wir arbeiten dran!“ Die<br />
Realität: Als eines von ganz wenigen<br />
Ländern hatte Deutschland, laut<br />
OECD-Studie, die Bildungsausgaben<br />
sogar noch einmal gesenkt! Während<br />
die USA (nicht nur Finnland!) 7,4 Prozent<br />
ihres BIP für Bildung ausgeben<br />
(OECD-Durchschnitt 5,5 Prozent),<br />
waren es in Deutschland 2006 nur 4,8<br />
Prozent, die privat und öffentlich für<br />
Bildung zur Verfügung standen (s.<br />
oben). Gegenüber 2005 sanken die<br />
Ausgaben um 0,3 Prozent. Gewiss,<br />
Änderungen der statistischen Erhebungskriterien<br />
– etwa durch Einbezug<br />
der Pensionsausgaben für Beamte und<br />
einer Wertstellung der Grundstücke für<br />
Hochschulen und Schulen – die Bildungsaufwendungen<br />
des Staates wenigstens<br />
optisch zu erhöhen. Laut Beschluss<br />
des Bildungsgipfels soll Ende<br />
<strong>Oktober</strong> <strong>2009</strong> eine hochkarätig besetzte<br />
Bund-Länder-Arbeitsgruppe berichten,<br />
wie man das Zehn-Prozent-Ziel erreichen<br />
will. Man darf gespannt sein, was<br />
die Leiter der Länder-Staatskanzleien<br />
und der Chef des Bundeskanzleramtes,<br />
Thomas de Mazière (CDU), vorzuschlagen<br />
haben.<br />
Spötter befürchten allerdings: Sinkt das<br />
BIP insgesamt in Folge der Wirtschaftskrise<br />
ohnehin weiter, dann ließe sich der<br />
Zehn-Prozent-Anteil für Bildung und<br />
Forschung sogar ohne statistische Rechentricks<br />
und auch ohne finanzielle<br />
Mehraufwendungen erreichen.<br />
Max Loewe, Bildungsjournalist<br />
Geld ist nicht alles, aber ohne ausreichende<br />
finanzielle Mittel geht es in der<br />
Bildung nicht voran.<br />
Die Frage einer auskömmlichen Finanzierung<br />
guter öffentlicher Bildung für<br />
alle Menschen rückt angesichts der<br />
enormen Lasten der Krisenbewältigung,<br />
die den öffentlichen Haushalten<br />
aufgebürdet werden, in den Mittelpunkt<br />
– übrigens weltweit, wenn auch<br />
mit unterschiedlichen Akzenten.<br />
In den vergangenen Jahren hat in dieser<br />
Gesellschaft eine immense Reichtumsumverteilung<br />
von unten nach oben<br />
stattgefunden. Nur wer in der Politik<br />
bereit ist, z. B. mit den Mitteln einer<br />
Vermögensteuer und einer Finanztransaktions-<br />
oder Börsenumsatzsteuer<br />
für Korrekturen zu sorgen und so Teile<br />
des gewaltigen privaten Reichtums in<br />
die öffentlichen Kassen zurückzuholen,<br />
wird als Bundesregierung in der Lage<br />
sein, dieses Problem zu lösen. Die<br />
vorherrschende Politik der Finanzminister<br />
der Länder scheint aber darauf zu<br />
setzen, den notwendigen Anstieg der<br />
Bildungsausgaben mit verstärkter Privatisierung<br />
der Bildungseinrichtungen<br />
zu forcieren – eine fatale Fehlkalkulation.<br />
Ulrich Thöne, <strong>GEW</strong>-Vorsitzender