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AD(H)S: - GEW

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<strong>AD</strong>(H)S<br />

deren erkennen, wie leicht man sich<br />

zum Opfer machen lässt, wie verletzlich<br />

man ist. Nie wird sie vergessen, wie Mitschüler<br />

sie auf dem Heimweg mit dem<br />

Fahrrad verfolgten, einmal sogar festbanden<br />

im Wald, um Kochlöffel auf<br />

ihrem Rücken zu zertrümmern. Seegers-Marczinke<br />

weiß, dass man so etwas<br />

nicht leicht wegsteckt. Deshalb spricht<br />

sie regelmäßig mit ihrem Sohn über seine<br />

„Ärgererfahrungen“. Gut, dass sie offen<br />

mit der Lehrerin sprechen kann.<br />

Zum Beispiel darüber, dass Calvin mehr<br />

Strukturen braucht als andere, aber<br />

eben auch ab und zu Auszeiten. Inzwischen<br />

darf er jederzeit den Klassenraum<br />

verlassen, um sich für einige Minuten<br />

zurückzuziehen.<br />

Natürlich, damit ist es nicht getan.<br />

Ebensowenig wie mit dem Medikament.<br />

Es wird nie getan sein. Sie wird<br />

immer wieder probieren, optimieren,<br />

8 Erziehung und Wissenschaft 5/2009<br />

Er hat so viel zu bieten,<br />

ist, wie viele <strong>AD</strong>(H)S-Kinder,<br />

nicht nur ein intellektueller<br />

Überflieger, der Bücher<br />

verschlingt wie ein<br />

Teenager, sondern auch<br />

ein ganz besonderer<br />

Junge.<br />

Neues versuchen müssen. Manchmal<br />

droht Veronica Seegers-Marczinke, daran<br />

zu zerbrechen. Schließlich kämpft<br />

sie zugleich mit ihrem eigenen <strong>AD</strong>HS,<br />

wie soll sie Calvin Strukturen bieten, an<br />

denen es ihr selbst mangelt? Und<br />

schließlich gibt es auch noch Silvan, den<br />

Vierjährigen, der sie ebenfalls braucht.<br />

Und ihren Mann, der nur wenig helfen<br />

kann, weil er bis über die Ohren in seiner<br />

Arbeit als Zoofachhändler steckt.<br />

Immer wieder Neues versuchen<br />

Zum Glück hat die 31-Jährige ihre Phantasie,<br />

die sie immer wieder zu neuen Alltagslösungen<br />

trägt. Listen mit Smilies etwa,<br />

auf denen sich die Kinder hocharbeiten<br />

können. Ein kleiner Tauschhandel<br />

mit Muscheln, die Calvin und Silvan<br />

bekommen, wenn sie Kartoffeln<br />

schälen, den Müll runterbringen oder<br />

besonders freundlich sind. Für drei Mu-<br />

scheln gibt es einen Griff in die Schatzkiste<br />

auf dem Schrank, mit Glitzerstiften,<br />

Tatoos oder Kaugummis. Oder<br />

eben die Wut verbrennen, wenn es nötig<br />

ist. Und immer wieder muss sie mit den<br />

Lehrerinnen und Lehrern in der Schule<br />

sprechen, damit diese ihren Sohn nicht in<br />

die Schublade „Störer“ schieben. Er hat<br />

so viel zu bieten, ist, wie viele <strong>AD</strong>(H)S-<br />

Kinder, nicht nur ein intellektueller Überflieger,<br />

der Bücher verschlingt wie ein Teenager,<br />

sondern auch ein ganz besonderer<br />

Junge. Zwei Tage nachdem er zum ersten<br />

Mal Methylphenidat genommen hatte,<br />

schrieb er seinen Eltern ein Gedicht:<br />

„Frühling, Sommer, Herbst und Winter,<br />

jeden Tag und jede Nacht hütet ihr mich<br />

und gebt mir Ratschläge und gebt mir<br />

Mut in der Schule. Ich lese schon, bevor<br />

ich in der Schule bin, denn euer Leben ist<br />

das Buch, in dem ich lese.“<br />

Anja Dilk, freie Journalistin<br />

Grafik: zplusz

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