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dem<br />
Unterzeichnung des<br />
Reformvertrags der<br />
Europäischen Union<br />
in Lissabon im Dezember<br />
2007.<br />
Foto: imago<br />
KONTRA<br />
Marktfreiheit hat Vorrang<br />
Ein demokratisches,<br />
soziales und<br />
friedliches Europa<br />
ist mein Ziel. Der<br />
Lissabon-Vertrag<br />
schreibt jedoch<br />
Bedingungen fest,<br />
die dem entgegenstehen.<br />
Europa und die<br />
Welt befinden<br />
sich in der schwersten<br />
Finanz- und Wirtschaftskrise nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg. Eine wesentliche<br />
Ursache hierfür ist der freie Kapitalverkehr.<br />
Er erlaubt es bis heute den Vermögenden,<br />
ihr Geld in Steueroasen anzulegen.<br />
Mit diesem Geld wurde in der<br />
Vergangenheit und wird auch weiterhin<br />
auf den Finanzmärkten auf der Basis immer<br />
verrückterer Renditeerwartungen<br />
spekuliert.<br />
Der Lissabon-Vertrag erlaubt es nicht,<br />
diesen Kapitalverkehr zu kontrollieren.<br />
Damit schreibt er ein obsolet gewordenes<br />
Finanz- und Wirtschaftssystem fest.<br />
Schon im geltenden Artikel 56 des EG-<br />
Vertrages heißt es: „Im Rahmen der Bestimmungen<br />
dieses Kapitels sind alle<br />
Beschränkungen des Kapitalverkehrs<br />
zwischen den Mitgliedsstaaten sowie<br />
zwischen den Mitgliedsstaaten und dritten<br />
Ländern verboten.“ Derselbe Artikel<br />
verbietet auch alle Beschränkungen<br />
des Zahlungsverkehrs zwischen den<br />
Mitgliedsstaaten und mit dritten Ländern.<br />
Der Lissabon-Vertrag ändert daran<br />
nichts. Jeder, der es mit einer Neuordnung<br />
der Finanzmärkte ernst meint,<br />
muss dieses Vertragswerk schon aus diesem<br />
Grund ablehnen.<br />
Noch gravierender: Gegenüber der<br />
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs<br />
(EuGH) stellt der Lissabon-<br />
Vertrag nicht sicher, die Menschenwürde<br />
nach europäischem Recht absolut zu<br />
schützen, damit sie bei einer Abwägung<br />
gegenüber anderen Rechten und<br />
Grundfreiheiten nicht unterliegt. Nach<br />
dem Grundgesetz ist die Würde des<br />
Menschen aber nicht nur unantastbar.<br />
Sie darf auch weder durch ein Gesetz<br />
eingeschränkt noch mit anderen Rechtsgütern<br />
abgewogen werden.<br />
Fest verankern will man dagegen die<br />
Marktfreiheiten des Kapitals als „Grund-<br />
Foto: imago<br />
freiheiten“. Das betrifft auch und gerade<br />
den Bildungsbereich. Der Lissabon-Vertrag<br />
reduziert Bildung auf ihre wirtschaftliche<br />
Verwertbarkeit. Bildungspolitik<br />
dient lediglich als Instrument, um<br />
auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu<br />
bleiben. Berufsbildung will die EU deshalb<br />
„genau auf die Qualifikationsbedürfnisse<br />
der Arbeitgeber ausrichten“.<br />
Jede aus ökonomischer Sicht „überflüssige<br />
Bildung“ soll abgebaut werden.<br />
Bildung wird so zur Ware. Der Lissabon-<br />
Vertrag sieht Abkommen über den „Handel<br />
mit Dienstleistungen des Sozial-, Bildungs-<br />
und des Gesundheitssektors“ vor.<br />
Die Dienstleistungsrichtlinie der EU erhöht<br />
zudem den Privatisierungsdruck.<br />
So genannte „Public Private Partnerships“<br />
in Schulen und Hochschulen öffnen<br />
Profitinteressen Tür und Tor. Ich lehne<br />
diese Privatisierungen ab. Bildung<br />
muss ein öffentliches Gut bleiben, das in<br />
öffentlicher Verantwortung gestaltet und<br />
ausreichend finanziert wird.<br />
Ein weiterer Grund für die Ablehnung<br />
des Vertragswerks liegt in der dort festgeschriebenen<br />
Politik der Aufrüstungsverpflichtung<br />
für die Mitgliedsstaaten und<br />
der weltweiten militärischen Interventionen.<br />
Ich trete für ein kollektives Sicherheitssystem<br />
ein, das auf Abrüstung und<br />
das friedliche Beilegen von Konflikten<br />
setzt. Deshalb bin ich für die Beibehaltung<br />
des im Grundgesetz festgelegten<br />
Prinzips der Parlamentsarmee und für die<br />
Landesverteidigung. Das Grundgesetz<br />
verlangt die Zustimmung des Bundestages<br />
vor dem Einsatz deutscher Streitkräfte.<br />
Der Lissabon-Vertrag sieht Auslandseinsätze<br />
von Streitkräften der Mitgliedstaaten<br />
vor. „Beschlüsse über die Einleitung<br />
einer Mission“ sollen einstimmig<br />
vom Rat erlassen werden. Damit besteht<br />
die Gefahr, dass der Parlamentsvorbehalt<br />
des Bundestags, das Prinzip der Parlamentsarmee,<br />
ausgehebelt wird.<br />
Weil der Lissabon-Vertrag ein Finanzund<br />
Wirtschaftssystem festschreibt, dessen<br />
Scheitern spätestens durch die jetzige<br />
Krise erwiesen ist, weil er eine liberale<br />
Wirtschaftsordnung über Menschenwürde<br />
und soziale Grundrechte stellt<br />
und in der Außen- und Sicherheitspolitik<br />
den Einsatz militärischer Mittel der<br />
parlamentarischen Kontrolle entzieht,<br />
lehne ich den Lissabon-Vertrag ab.<br />
EUROPA<br />
Oskar<br />
Lafontaine,<br />
Parteivorsitzender<br />
DIE LINKE<br />
5/2009 Erziehung und Wissenschaft 27