„Hat der Pro Warum das Studium mit einem Fehlstart beginnen kann 6 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong> Zwei von drei Akademikern in spe fällt es schwer, sich im Studium zurecht zu finden. Erforderlich ist eine professionellere Begleitung der Studierenden.
f es drauf?“ Dass das Studium mit einem Fehlstart beginnen oder gar zum Abbruch führen kann, hat viel damit zu tun, dass die Lern- und Arbeitsbedingungen an den Hochschulen zu wünschen übrig lassen. Doch das liegt nicht nur am fehlenden Geld und Personal. Den „Profs“ mangelt es oft an jenen Kompetenzen, die sie den Studierenden vermitteln sollten. Denn: Áuch das Lehren will gelernt sein. Was für ein Start in ein neues Leben! Als Katrin zum Sommersemester nach Berlin zog, war restlos alles ungewohnt: die Stadt. Das WG-Zimmer. Der Campus. Der Tagesablauf. Nicht mehr Schülerin, sondern Studentin. Dass sie sich in Berlin nicht sofort zurechtfand, überraschte die 20-Jährige kaum. Was sie irritierte: Nach vier Wochen an der Freien Universität (FU) Berlin hatte sie immer noch keinen Überblick über das Gelände, die Räume, die Büros. „Es gibt vielleicht Menschen mit mehr Orientierungssinn“, sagt sie – „aber ist es normal, dass ich nach einem Monat noch nicht weiß, was wo ist?“ Gab es denn keine Einführungstage? „Doch, drei“, berichtet sie, „ohne die wäre alles noch viel schlimmer gewesen. Aber genug war das nicht.“ Platzkampf im Hörsaal Schon nach wenigen Tagen als Erstsemesterin ereilte Katrin der erste „Schock“: In einem rappelvollen Hörsaal musste sie sich Plätze in den Laborpraktika erkämpfen. „Da wurden nacheinander 200 Namen aufgerufen. Jeder musste sagen, was er belegen will. Und was belegt war, gab es eben nicht mehr im Angebot“, erinnert sie sich. Die Aufregung ist ihr noch anzumerken. „Wir müssen Praktika machen“, schimpft sie, „die sind in Biologie verpflichtend. So kann man uns doch nicht behandeln.“ Ihr erstes Resümee nach vier Wochen Studium: „Ziemlich enttäuschend.“ Im Vergleich mit anderen Kommilitonen sei sie jedoch noch ganz gut dran: „Es gibt Leute, die jetzt schon glauben, dass sie ihr Studium in der Regelzeit nicht schaffen werden.“ Willkommen an einer von acht Elite- Universitäten der Republik: der Freien Universität Berlin, mit 34000 Studierenden eine der größten Deutschlands und so beliebt, dass sie in jedem Jahr noch viel mehr Studierende aufnehmen könnte. Ist Katrin mit ihren Startschwierigkeiten eine Ausnahme? Wohl kaum. Mehr als jeder zweite Studierende, bestätigt eine Erhebung der Zentralen Studienberatung der FU, fühlt sich zu wenig unterstützt und beraten. Zwei von drei Akademikern in spe leiden unter Orientierungsproblemen. Hans-Werner Rückert, Leiter der Studienberatung, sagt: „Wir brauchen dringend eine professionellere Begleitung der Studierenden.“ Da es diese nicht gibt, ist die Lage – an der FU und anderen Hochschulen – wie sie eben ist: Jeder Dritte des ersten Bachelor-Jahrgangs von 2004/05 war zwei Jahre später nicht mehr – jedenfalls nicht in demselben Fach – eingeschrieben. Jeder Dritte begründete das damit, sich „verwählt“ zu haben. Jeder Vierte fühlte sich „überfordert“, jeder Fünfte „enttäuscht“. An der Humboldt-Universität (HU), im Osten Berlins, kam vor einem Jahr eine von Studierenden organisierte „Studierbarkeits-Umfrage“ unter 2100 angehenden Bachelors zu ganz ähnlichen Einschätzungen. Schlechte Noten erteilt Fragt man Studierende, was ihnen fehlt, ist die Liste lang. Vor allem aber mangelt es an vernünftigen Lernbedingungen. An der Humboldt-Uni erteilten sie der Qualität von Lehre und Betreuung auf der 1-6-Notenskala im Schnitt eine Drei bis Vier. Besonders schlecht fielen die Urteile nicht für die Geistes- und Sozialwissenschaften aus, sondern gerade in jenen Fächern, die die Bundesregierung gern als Zukunftsfelder bezeichnet: Mathe, Naturwissenschaften, Informatik. Wirtschaftswissenschaften (WiWi) und Jura ließen sich mit Blick auf den mitten in der Sommerpause <strong>2008</strong> erschienenen 10. Studierendensurvey im Auftrag des Bundesbildungsministeriums (BMBF) noch hinzufügen. Nur rund 15 Prozent der Jura- und WiWi-Studenten erklärten, „ab und zu bis oft“ Kontakt zu den Professoren zu haben. Am unzufriedensten mit den Studienbedingungen, so fand das Hochschulinformationssystem (HIS) in Hannover gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Hochschulforschung der Uni Konstanz 2006 heraus, ist der pädagogische Nachwuchs von morgen: Lehramtsstudierende, also jene Gruppe, die an der Uni die Kompetenzen erwerben soll, die sie bei den Hochschullehrkräften vermissen. Kaum mehr als jeder vierte (28 Prozent) angehende Lehrer bewertet die Organisation des Studiums mit „gut” oder „sehr gut.“ 60 Prozent klagen dagegen über vollgestopfte Hörsäle. Frank, Student an der für ihre Praxisanteile häufig gelobten Universität Potsdam, erstaunt das nicht: „Wir sitzen mit hundert Leuten im schulpraktischen Seminar – und bereiten zu zweit oder dritt eine Schulstunde im Semester vor. So lernt man doch nichts.“ Vorlesung mit Headset Die andere Seite des Lehrpults bestätigt die Misere. Nach mehr als 30 Jahren Lehrerbildung an der Universität Duisburg-Essen zog Professor Klaus Klemm bei seiner Emeritierung im Sommer 2007 eine düstere Bilanz (s. E&W 12/2007): Trotz aller Debatten über PISA und die Defizite der deutschen Schule habe sich die Lehrerausbildung seit den 1970er-Jahren nicht verbessert – auch und insbesondere nicht durch die Einführung des verschulten Bachelor- Studiums. „Ich halte Vorlesungen vor 180 Leuten mit einem Headset auf dem Kopf: Wenn sie Glück haben, hören die Studierenden mich – aber ich höre sie nicht mehr“, klagte Klemm. Auch Noten, bilanzierte er weiter, würden nach Aktenlage erteilt. Die individuelle Einschätzung von Kompetenzen sei kaum noch möglich. Klemms Hochschul- Kollege Rolf Dobischat, seit zwei Jahren auch Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW), fügt – nicht ohne Selbstkritik – hinzu: „Dass die Unis die Ressourcen fressenden Bedingungen der neuen Studiengänge nicht überblickt haben, war vielleicht ihr größter Fehler der vergangenen Jahre.“ Das fin- 10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 7
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