E&W Oktober 2008 - GEW
E&W Oktober 2008 - GEW
E&W Oktober 2008 - GEW
- TAGS
- oktober
- www.gew.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Gesetzwidrigen Handel<br />
mit Daten bekämpfen<br />
Gewerkschaftsmitglieder können ins Visier der US-Terroristenjäger geraten<br />
Dieser Tage ist viel die Rede davon,<br />
wie Bund und Länder den illegalen<br />
Handel mit den persönlichen Daten<br />
von zigmillionen Bundesbürgern<br />
bekämpfen wollen. Die Ansätze<br />
sind sicher richtig: Zustimmung<br />
der Betroffenen und eine Kennzeichnungspflicht,<br />
mit der man die<br />
Herkunft der Daten verfolgen kann<br />
sowie schärfere Sanktionen sind das<br />
Mindeste, was eine Regierung tun<br />
kann und muss.<br />
Sie tut es allerdings zu spät.<br />
Denn die Daten dürften<br />
inzwischen weltweit vagabundieren<br />
und sind damit<br />
selbst dann eine Gefahr für<br />
die Betroffenen, wenn<br />
dem nationalen Handel mit gesetzwidrig<br />
erworbenen und genutzten Daten<br />
tatsächlich erfolgreich der Kampf angesagt<br />
wird.<br />
Viel zu lange war die Politik beim Datenschutz<br />
untätig, obwohl es Anlässe<br />
genug gegeben hätte, um das Recht<br />
auf informationelle Selbstbestimmung<br />
und den Schutz<br />
der Privatsphäre konsequent<br />
in Deutschland durchzusetzen.<br />
Die Mitarbeiterüberwachung<br />
bei Lidl oder die<br />
„Kontrolle“ von Telefonverbindungen<br />
durch die Tele-<br />
kom bei ihren eigenen Aufsichtsräten<br />
sind nur zwei skandalöse Beispiele.<br />
Bund und Länder haben mit Stillschweigen<br />
reagiert anstatt zu handeln.<br />
Wir brauchen dringend ein Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz.<br />
Das alles zeigt: Beim Datenschutz sind<br />
die Regierenden selbst Teil des Problems.<br />
Es kommt ja noch die staatliche<br />
Datensammel- und Datenspeicherungswut<br />
hinzu – und das keineswegs nur im<br />
Bereich der Kriminalitätsbekämpfung.<br />
Dabei wird völlig außer Acht gelassen,<br />
dass die Prinzipen der Datenvermeidung<br />
und -sparsamkeit gesetzlich verankert<br />
sind. In der Realität hat man sich<br />
von diesen Grundsätzen längst verabschiedet.<br />
❞ Beim Datenschutz<br />
sind die<br />
Regierenden<br />
selbst Teil des<br />
Problems. ❝<br />
An staatlichen Datenmissbrauch grenzt<br />
ein Vertrag zwischen Deutschland und<br />
den USA, der den irreführenden Namen<br />
„Datenschutzabkommen“ trägt<br />
und in Kürze ratifiziert werden soll. In<br />
Wirklichkeit geht es um einen intensiven<br />
Datenaustausch im Rahmen der<br />
Terrorbekämpfung. In Artikel 12 des<br />
Vertrags heißt es:<br />
„Personenbezogene Daten, aus denen<br />
die Rasse oder ethnische Herkunft, politische<br />
Anschauung, religiöse oder sonstige<br />
Überzeugungen oder die Mitgliedschaft<br />
in Gewerkschaften hervorgeht<br />
oder die die Gesundheit und das Sexualleben<br />
betreffen, dürfen nur zur Verfügung<br />
gestellt werden, wenn sie für<br />
Zwecke dieses Abkommens besonders<br />
relevant sind.“<br />
Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass in<br />
diesem Zusammenhang die Mitgliedschaft<br />
in einer Gewerkschaft nichts verloren<br />
hat. Oder sollen 6,5 Millionen Gewerkschaftsmitglieder<br />
als potenzielle Terroristen<br />
abgestempelt und ins Visier der<br />
US-Terroristenjäger genommen werden?<br />
Das kann und darf nicht sein. Im<br />
Übrigen stellt sich die Frage, woher die<br />
deutschen Sicherheitsbehörden<br />
Kenntnis über Gewerkschaftsmitglieder<br />
haben. Eine<br />
befriedigende Antwort darauf<br />
hat der DGB bisher nicht erhalten.<br />
Es ist nur zu hoffen,<br />
dass es keinen illegalen staatlichen<br />
Zugang zu den DGB-<br />
Mitgliederdateien gibt.<br />
Geradezu ungeheuerlich ist folgende<br />
Behauptung der Bundesregierung in der<br />
Antwort auf eine Anfrage der Fraktion<br />
Die Linke: „Die Relevanz der Gewerkschaftszugehörigkeit<br />
einer Person für<br />
die Bekämpfung des internationalen<br />
Terrorismus ist in besonderen Fällen<br />
nicht vollständig auszuschließen.“ Welche<br />
Relevanz das sein soll, konnte die<br />
Bundesregierung dem DGB bisher<br />
ebenfalls nicht erklären.<br />
Riesendatenskandal droht<br />
Stattdessen weist sie darauf hin, dass der<br />
kritisierte Artikel 12 geradezu ein<br />
Schutzparagraph sei, weil damit höchst<br />
intime und persönliche Daten sozusa-<br />
Michael Sommer, DGB-Vorsitzender<br />
gen nur im Ausnahmefall weitergegeben<br />
und besonders geschützt werden<br />
sollen. Man kann es – wie Berlins Innensenator<br />
Ehrhart Körting (SPD) – allerdings<br />
auch anders sehen: nämlich als<br />
Aufforderung an die Sicherheitsbehörden,<br />
sich auch um Gewerkschaftszugehörigkeit<br />
oder das Sexualleben von<br />
Terrorverdächtigen zu kümmern. Fast<br />
sicher scheint: Wenn der Vertrag erst<br />
einmal ratifiziert ist, werden die US-<br />
Terroristenjäger gewiss darauf drängen,<br />
genau diese Informationen zu bekommen.<br />
Davor graust offenbar selbst<br />
dem Bundesdatenschutzbeauftragen<br />
Peter Schaar, weil die Datenschutzbestimmungen<br />
in den USA aus seiner<br />
Sicht „zu lax“ sind.<br />
Der DGB hat – bisher erfolglos – gegen<br />
diesen Passus in Artikel 12 des Vertrags<br />
bei Bundesinnenminister Wolfgang<br />
Schäuble (CDU) und Bundesjustizministerin<br />
Brigitte Zypries (SPD) protestiert<br />
und darauf gedrängt, Regierung und<br />
Bundestag sollten gemeinsam für den<br />
nötigen Datenschutz sorgen. Das würde<br />
notfalls auch ohne Vertragsänderung gehen.<br />
Aber bisher scheint die Große Koalition<br />
nichts unternehmen zu wollen.<br />
So droht ein Riesendatenskandal, für<br />
den allein die Politik die Verantwortung<br />
trägt.<br />
Michael Sommer, DGB-Vorsitzender<br />
GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 43<br />
Foto: DGB