E&W Oktober 2008 - GEW
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von Bäckern, Metzgern und Malern in<br />
der beruflichen Ausbildung kompensieren?<br />
Kein Heilmittel<br />
Zumindest ist bei den Organisatoren<br />
des Bildungsgipfels im Kanzleramt inzwischen<br />
die Botschaft angekommen,<br />
dass die ständigen Hinweise der konservativen<br />
Seite auf das hohe Niveau der<br />
betrieblichen Berufsausbildung allein<br />
kein Heilmittel gegen den zunehmenden<br />
Akademikermangel sind. Die sinkende<br />
Studienneigung unter den jungen<br />
Menschen mit Hochschulreife soll<br />
beim Bildungsgipfel thematisiert werden.<br />
Vorsichtig räumen derzeit auch hohe<br />
Regierungsvertreter ein, dass vor<br />
allem einige unionsgeführte Flächenländer<br />
im Westen Nachholbedarf beim<br />
Studienplatzausbau haben.<br />
Die Bildungsexperten der OECD-Wirtschaftsorganisation<br />
verweisen zudem<br />
darauf, dass das duale System seinen<br />
früheren Vorteil eingebüßt hat, für einen<br />
reibungslosen Übergang der jungen<br />
Menschen ins Berufsleben zu sorgen.<br />
Heute gibt es unter den 25- bis 29-jährigen<br />
Deutschen mehr junge Menschen<br />
ohne Beschäftigung oder Ausbildung<br />
als im Schnitt in den anderen EU-Staaten.<br />
Kaum Aussicht auf Besserung<br />
Auch bei der früher immer wieder von<br />
deutscher Seite stolz angeführten Bilanz<br />
der Sek II-Abschlüsse (Hochschulzulassung<br />
oder abgeschlossene berufliche<br />
Ausbildung) fällt die Bundesrepublik<br />
seit Neuerem im EU-Vergleich stark<br />
zurück. Der Sek II-Abschluss gilt inzwischen<br />
bei den EU-Strategen in Brüssel<br />
als Mindest-Basisqualifikation für späteren<br />
beruflichen Erfolg.<br />
Wer die kritische Bilanz des neuen<br />
OECD-Bildungsberichtes mit den Vorbereitungspapieren<br />
des Bildungsgipfels<br />
in Dresden vergleicht, findet wenig Aussicht<br />
auf Besserung. Es ist richtig, die<br />
Hochschulen für Berufstätige auch ohne<br />
Abitur zu öffnen, um ihnen Weiterbildung<br />
oder nachträglich ein Vollstudium<br />
zu ermöglichen. Wenn sich die Quote<br />
der Hochschulabsolventen wirklich erhöhen<br />
soll, muss man jedoch früher ansetzen<br />
und etwa die in vielen Bundesländern<br />
künstlich hoch gehaltenen Hürden<br />
beim Übergang von der Sekundarstufe I<br />
in die gymnasiale Oberstufe abbauen.<br />
Auch passt es nicht zusammen, wenn<br />
Kultusminister auf der einen Seite die<br />
zurückgehende Studierneigung der Abiturienten<br />
beklagen, gleichzeitig aber an<br />
Gebühren festhalten.<br />
Karlheinz Rosenzweig, Bildungsjournalist<br />
Bildungsrepublik Deutschland?<br />
Kommentar zum OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“<br />
Deutschland eine „Bildungsrepublik“?<br />
Mitnichten. Mangelt es doch<br />
hierzulande ganz offensichtlich<br />
an akademischem<br />
Nachwuchs.<br />
Das hat der aktuelle<br />
OECD-Bericht „Bildung<br />
auf einen Blick“<br />
erneut bestätigt: zu wenig<br />
Abiturienten, zu<br />
wenig Studierende –<br />
und zu wenige absolvieren<br />
ihr Studium mit<br />
Erfolg (s. Seite 22).<br />
Dennoch hält die Kultusministerkonferenz<br />
Ulrich Thöne<br />
(KMK) weiterhin an<br />
den Grundfesten eines inhumanen<br />
Auslesesystems, das vielen jungen<br />
Menschen den Weg an die Hochschule<br />
versperrt, fest. Die Politik ignoriert<br />
weiterhin, dass viele Kinder und Jugendliche<br />
ausgesondert werden. Nahezu<br />
90 Prozent der Studierenden<br />
stammen aus bildungsbürgerlichen<br />
Schichten. Kinder aus Migrantenfamilien<br />
und bildungsfer-<br />
❞ Will Deutschland<br />
Bildungsrepublik<br />
werden, muss sich<br />
noch vieles ändern –<br />
vor allem in den<br />
Köpfen der<br />
Kultus- und Finanzminister.❝<br />
nen Milieus haben nach<br />
wie vor kaum eine<br />
Chance. Ihnen wird<br />
nach wie vor viel zu wenig<br />
Förderung zuteil.<br />
Von Chancengleichheit<br />
ist das deutsche Bildungssystem<br />
daher weit<br />
entfernt. Bildung bleibt<br />
in Deutschland ein exklusives<br />
Gut, private<br />
Schulen und Hochschulen boomen<br />
und die Idee der Elite lebt weiter.<br />
Wer die Zahl der Studierfähigen erhöhen<br />
und zugleich die der Schulabbrecher<br />
glaubhaft senken will, muss<br />
an Strukturen rütteln, muss weg von<br />
einem hoch selektiven hin zu einem<br />
inklusiven Bildungssystem, in dem alle<br />
Kinder individuell gefördert werden<br />
können. Das wäre ein Qualitätssiegel<br />
für gute Bildung.<br />
Offenkundig ist nach OECD-Angaben<br />
ebenfalls, dass Deutschland viel<br />
zu wenig Geld in die Bildung investiert<br />
im Vergleich zu anderen OECD-<br />
Ländern (nur 5,1 Prozent des Brutto-<br />
Inlands-Produkts [BIP], s. Seite 22).<br />
„Deutschland spart sich dumm“, titelte<br />
die taz daher zu Recht. Bund, Länder<br />
und Gemeinden geben jährlich in<br />
Relation zum Schnitt vergleichbarer<br />
OECD-Staaten etwa 30 bis 35 Milliarden<br />
Euro weniger<br />
für die Bildung aus.<br />
Dennoch erlauben wir<br />
uns bei der Föderalismusreform<br />
II eine Debatte<br />
über die Neuordnung<br />
der Finanzverfassung<br />
zwischen Bund<br />
und Ländern, die eine<br />
ausreichende<br />
Bildungsfinanzierung<br />
Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />
bisher überhaupt nicht<br />
auf der Agenda hat.<br />
Medienereignisse wie<br />
der „Bildungsgipfel“<br />
werden Worthülsen und bleiben folgenlos,<br />
wenn wir nicht endlich verbindlich<br />
festlegen, mehr in Bildung<br />
zu investieren. Die Föderalismusreform<br />
II könnte deshalb ein wichtiger<br />
Ansatzpunkt sein, die Qualität<br />
von Bildung zu verbessern.<br />
Es gibt weitere: Der vorgeschlagene<br />
Hochschulpakt II darf den Studentenberg<br />
„nicht untertun-<br />
neln“, sondern muss ihn<br />
„erklimmen“. Wer wie die<br />
KMK statt derzeit zwei<br />
Millionen 2014 2,7 Millionen<br />
junge Menschen an<br />
den Hochschulen ausbilden<br />
will, muss zusätzliche<br />
personelle und räumliche<br />
Kapazitäten bereitstellen.<br />
Damit mehr Abiturienten<br />
studieren können, brauchen<br />
wir auch eine einheitliche elternunabhängigeAusbildungsförderung.<br />
Diese ließe sich beispielsweise<br />
über ausbildungsbezogene Leistungen<br />
des Familienlastenausgleichs finanzieren.<br />
Außerdem muss es auch in<br />
Deutschland möglich sein, den<br />
Hochschulzugang mit einem qualifizierten<br />
Berufsabschluss zu erwerben.<br />
Und schließlich: Studien-, Kita- und<br />
Weiterbildungsgebühren sind weitere<br />
Bildungsbarrieren. Sie entpuppen<br />
sich als Instrumente einer Fehlsteuerung<br />
des Bildungssystems. So kann<br />
aus Deutschland keine Bildungsrepublik<br />
werden. Will sie sich aber zu einer<br />
entwickeln, muss sich noch vieles ändern<br />
– vor allem in den Köpfen der<br />
Kultus- und Finanzminister.<br />
Ulrich Thöne, <strong>GEW</strong>-Vorsitzender<br />
BILDUNGSPOLITIK<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 23