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E&W Oktober 2008 - GEW

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GUTE LEHRE<br />

nissen, dann noch die Zustimmung zur<br />

Systemakkreditierung ohne genaueren<br />

Blick auf die einzelnen Studiengänge –<br />

das alles trägt nicht zu einer besseren<br />

Lehre bei.“ Eine Einschätzung, die auch<br />

Hochschul-Insider teilen: „Doktoranden<br />

machen normalerweise die ganze<br />

Vorbereitung, alle Korrekturen und einen<br />

großen Teil der Verwaltungsarbeit“,<br />

sagt Carolyn Sailor (Name geändert), die<br />

aus Kanada als Wirtschaftswissenschaftlerin<br />

an eine norddeutsche Universität<br />

kam und vor allem „über die Faulheit der<br />

deutschen Professoren“ staunt: „Kein<br />

Wunder, dass die Vorlesungen der Profs<br />

schlecht sind, schließlich haben sie die<br />

Stunden ja nicht selber vorbereitet und<br />

zeigen in Seminaren und Vorlesungen<br />

Folien ihrer Doktoranden.“ Auch die<br />

Entschuldigung, dass die Forschungsarbeit<br />

so zeitaufwändig sei, lässt Sailor<br />

nicht gelten: „Die Professoren übernehmen<br />

einen Großteil der Forschungsergebnisse<br />

von ihren Mitarbeitern und<br />

geben sie als eigene Arbeiten aus.“ Das<br />

Fazit der Gastwissenschaftlerin: „Die bekommen<br />

ein volles Gehalt für eine Arbeit,<br />

die eigentlich ein Teilzeitjob ist.“<br />

Die Lehrempfehlungen des WR fallen<br />

der 33-Jährigen deshalb trotz klarer Forderungen<br />

nicht scharf genug aus.<br />

„Nur Mainstream“<br />

Auch Wolfgang Lieb, früherer SPD-<br />

Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium,<br />

hält die WR-Empfehlungen<br />

allenfalls für „einen ganzen Bauchladen<br />

unverbindlicher Vorschläge, aus<br />

dem sich jeder bedienen kann, ohne<br />

dass sich viel ändern dürfte“. Der WR<br />

sei „alles andere als eine Speerspitze des<br />

Fortschritts“, die aktuellen Vorschläge<br />

nur „wissenschaftlicher Mainstream“,<br />

ätzt Lieb, der heute als Herausgeber der<br />

Homepage www.nachdenkseiten.de die<br />

aktuelle Politik kritisch begleitet. Immerhin<br />

sei es schon „ein Gewinn an<br />

sich“, dass die Qualität der Lehre endlich<br />

debattiert wird. Die Aussage, dass<br />

„im Zentrum aller Bemühungen die Sicherung<br />

der Studierbarkeit“ stehen soll,<br />

sei überfällig gewesen, genauso wie die<br />

Nennung einer konkreten Kostensumme.<br />

Allein um das Betreuungsverhältnis<br />

einigermaßen auf internationales Niveau<br />

zu bringen, sind laut WR mindestens<br />

357 Millionen Euro pro Jahr nötig.<br />

„Das hört sich gewaltig an“, räumt Wolfgang<br />

Lieb ein, tritt jedoch sofort auf die<br />

Euphorie-Bremse: „Verteilt auf die 391<br />

staatlichen und staatlich anerkannten<br />

Hochschulen wären das pro Hochschule<br />

aber nur knapp 900000 Euro für zusätzliche<br />

Hochschullehrer.“<br />

Armin Himmelrath, freier Journalist<br />

12 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

„Wir nehmen alle<br />

in die Pflicht“<br />

Interview mit WR-Chef Peter Strohschneider<br />

Mit Prof. Peter Strohschneider, dem<br />

Vorsitzenden des Wissenschaftsrats<br />

(WR), sprach E&W über die aktuellen<br />

Empfehlungen zur Verbesserung<br />

der Lehre an den Hochschulen und seine<br />

Wünsche an den Bildungsgipfel.<br />

E&W: 1996 hatte der Wissenschaftsrat<br />

schon einmal Empfehlungen zur Evaluation<br />

in der Lehre verabschiedet. Die damaligen<br />

Befunde klingen noch erschreckend<br />

aktuell – von<br />

der mangelnden Betreuung<br />

an Massenunis bis<br />

zum schlechten Image des<br />

akademischen Unterrichts<br />

bei den Professoren. Haben<br />

wir ein Jahrzehnt der<br />

Stagnation hinter uns?<br />

Peter Strohschneider:<br />

Natürlich ist unsere aktuelle<br />

Diagnose nicht<br />

revolutionär, schließlich<br />

sind viele Probleme<br />

in der Lehre schon<br />

länger bekannt. Aber<br />

die Gesamtsituation ist<br />

heute anders: Unser Papier<br />

verfolgt erstmals einen<br />

integrierten Ansatz,<br />

Peter Strohschneider,<br />

Vorsitzender des Wissenschaftsrats<br />

der Studierende, Lehrende, Hochschulen,<br />

Fächer und Politik gleichermaßen<br />

in die Pflicht nimmt. Und dann haben<br />

wir uns ja auch auf eine konkret benötigte<br />

Summe geeinigt – das ist nicht<br />

zu unterschätzen.<br />

E&W: Sie fordern 1,104 Milliarden Euro<br />

pro Jahr für die Verbesserung der Lehre. Wie<br />

groß ist Ihre Angst, dass davon am Ende nur<br />

ein Bruchteil übrig bleibt?<br />

Strohschneider: Immerhin waren alle<br />

Bildungs- und Wissenschaftsminister an<br />

den Beschlüssen beteiligt. Ich habe den<br />

Eindruck, dass unsere Zahlen in der aktuellen<br />

Debatte im Vorfeld des Bildungsgipfels<br />

durchaus berücksichtigt<br />

werden. Wir geben ja meistens Empfehlungen<br />

ohne juristische oder finanzielle<br />

Verbindlichkeit ab – aber ich bin sehr<br />

zuversichtlich, dass daraus eine klare<br />

politische Verbindlichkeit entsteht.<br />

E&W: Was erwarten Sie konkret von Bund<br />

und Ländern beim Bildungsgipfel?<br />

Strohschneider: Entscheidend wird<br />

sein, dass die verschiedenen Bedarfe im<br />

Hochschulbereich nicht gegeneinander<br />

ausgespielt werden. Ich bezeichne das<br />

gerne als „Trilemma". Die Verbesserung<br />

der Forschungsfähigkeit der Universitäten<br />

– Stichwort Fortführung der Exzellenzinitiative<br />

–, der quantitative Ausbau<br />

der Hochschulen – Stichwort Hochschulpakt<br />

– und eine bessere Qualität<br />

der Lehre: All dies ist gleichermaßen<br />

zwingend, all dies kostet<br />

Geld, und keines<br />

dieser Ziele darf zu<br />

Lasten eines anderen<br />

gehen. Alles in allem<br />

eine große politische<br />

Herausforderung, aber<br />

für Deutschland und<br />

seine Zukunft hängt<br />

viel davon ab, dass sie<br />

gemeistert wird.<br />

E&W: Auf besonderen<br />

Widerstand stößt die von<br />

Ihnen vorgeschlagene<br />

Foto: imago<br />

Einführung von Lehrprofessuren,<br />

vor allem<br />

auch innerhalb der Hochschulen.<br />

Haben Sie dafür<br />

eine Erklärung?<br />

Strohschneider: Die<br />

meisten Kolleginnen und Kollegen haben<br />

in den vergangenen Jahren und<br />

Jahrzehnten die Erfahrung gemacht,<br />

dass der Kapazitätsausbau an den<br />

Hochschulen zu stetig steigenden<br />

Lehrdeputaten geführt hat. Als ich<br />

1975 mit meinem Studium angefangen<br />

habe, lag die Lehrverpflichtung noch<br />

bei sechs Wochenstunden, später wurde<br />

sie auf acht und in jüngster Zeit in<br />

manchen Ländern auf neun Stunden<br />

erhöht.<br />

Offenbar haben manche Kritiker nur<br />

die Zahl „Zwölf“ bei uns gesehen, die<br />

anderen Kriterien aber nicht so richtig<br />

wahrgenommen. Denn wir schlagen ja<br />

gar keine Lehrprofessoren vor, sondern<br />

nur Professuren mit einem größeren Gewicht<br />

auf der Lehre – aber eben auch mit<br />

Forschungstätigkeit. Das wird in der Debatte<br />

gerne übersehen.<br />

Interview: Armin Himmelrath,<br />

freier Journalist

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