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E&W Oktober 2008 - GEW

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Erziehung<br />

und Wissenschaft<br />

Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft <strong>GEW</strong> 10/<strong>2008</strong><br />

Tarif- und Besoldungsrunde 2009: Start der Mitglieder-Kampagne „Auf einWort …“ – Seite 41


GASTKOMMENTAR<br />

Was ist gute Lehre?<br />

So viel Aufmerksamkeit für die Lehre gab es<br />

noch nie. Studienreformer, die sich seit jeher<br />

darüber beklagen, dass man die Lehre gegenüber<br />

der Forschung vernachlässige, reiben<br />

sich zurzeit nur so die Augen. Denn in<br />

der ersten Hälfte dieses Jahres folgte eine<br />

bedeutende Denkschrift der anderen:<br />

● die „Exzellenzinitiative“ des Stifterverbandes,<br />

● das Strategiepapier der Hochschulrektorenkonferenz<br />

(HRK) „Für eine Reform der Lehre ...“,<br />

● die Empfehlungen des Wissenschaftsrats<br />

(WR) zur „Qualitätsverbesserung von Lehre<br />

und Studium“,<br />

● die Stellungnahme der <strong>GEW</strong> „Die Lehre in<br />

den Mittelpunkt“.<br />

Bei allen inhaltlichen und politischen Unterschieden<br />

– in ihren Einschätzungen und in ihrer<br />

Kritik liegen Wissenschaftsorganisationen<br />

und Gewerkschaft<br />

recht nah beieinander:<br />

im Nachholbedarf bei der<br />

Quantität und Qualität der<br />

Hochschulausbildung, in den<br />

Praxisdefiziten der neuen<br />

Studienstrukturen sowie in<br />

der allzu augenfälligen Vernachlässigung<br />

der Lehre<br />

beim ersten Durchlauf der Exzellenzinitiative.<br />

„Qualität<br />

der Lehre“, zunächst als Devi-<br />

se stärkerer staatlicher Kontrolle<br />

seit Anfang der 1990er- Ludwig Huber<br />

Jahre im Gespräch, ist denn<br />

auch das häufigste gemeinsame<br />

Leitwort in den Papieren<br />

von HRK, WR und <strong>GEW</strong>.<br />

Gemeinsamkeiten auch bei<br />

den wesentlichen Maßnahmen, die gefordert<br />

werden: etwa Orientierung der Ausbildung an<br />

Kompetenzen, hochschuldidaktische Aus- und<br />

Weiterbildung der Lehrenden, Differenzierung<br />

oder Flexibilisierung der Lehrdeputate, bessere<br />

Betreuungsrelationen (in der Tat ein Kernpunkt!)<br />

und vor allem immer wieder „Sicherung“<br />

der Qualität durch Evaluationen aller Art.<br />

Aber gerade diese haben auch ihre Kehrseite.<br />

So entstehen immer aufwändigere Apparate<br />

des „Qualitätsmanagements“ – vielleicht der<br />

Preis größerer Autonomie der einzelnen Hochschule.<br />

Aber bleibt bei so viel bürokratischem<br />

Aufwand noch Raum für „gute“ Lehre? Es liegt<br />

auf der Hand, dass „die“ gute Lehre nicht in einer<br />

allgemein gültigen Definition, sondern nur<br />

in ihren jeweils konkreten Bezügen bestimmt<br />

werden kann. Lehre könnte z.B. als „gut“ definiert<br />

werden in Hinblick auf<br />

● augenblickliche Erfahrung, weiteres Lernen,<br />

spätere Praxis;<br />

2 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

„Lehre ist gut, wenn<br />

sie zum Weiterlernen<br />

motiviert.“<br />

● Motivation, Verstehen, Fähigkeitsentwicklung<br />

usw.;<br />

● adäquate Repräsentation der jeweiligen<br />

(Fach-)Wissenschaft.<br />

Als Kriterium für Qualität gilt beispielsweise<br />

den einen eine angemessene Vorbereitung<br />

auf berufliche Tätigkeit, den anderen die adäquate<br />

Vermittlung des aktuellen Wissens, den<br />

dritten wiederum die Verlässlichkeit und Aussagekraft<br />

von Studienabschlüssen. Der WR<br />

etwa bestimmt Qualität vom Ziel her.<br />

(s. auch Seiten 10/12).<br />

Die HRK definiert dagegen gute Lehre in jedem<br />

Fall als eine Qualität des Prozesses: „… gute<br />

Lehre [ist] heute studierendenzentriert.“ Dazu<br />

gehöre, „die Studierenden als selbstständige<br />

eigenverantwortliche Lerner anzusprechen<br />

und herauszufordern“ und für „systematisches<br />

und regelmäßiges Feedback für<br />

Studierende“ zu sorgen. Ähnlich<br />

argumentiert die <strong>GEW</strong>. Sie fordert,<br />

die Studierenden als<br />

„selbstständige Produzenten ihres<br />

Wissens“ anzusprechen und<br />

sie bei der Gestaltung des Lehr-<br />

Lern-Prozesses mitbestimmen<br />

zu lassen (s. auch Seite 10).<br />

Aus der Lerntheorie und -forschung<br />

wissen wir: Selbst aktiv<br />

zu sein, entdeckend zu lernen,<br />

Foto: privat<br />

Zeit und Orientierung dafür zu<br />

erhalten, regelmäßig Rückmeldung<br />

zu bekommen, sind stufen-<br />

und fachübergreifend die<br />

wichtigsten lernförderlichen<br />

Faktoren. Außerdem: von ihrer<br />

Sache begeisterte und an den<br />

Studierenden interessierte<br />

Lehrende. Noch einfacher könnte man sagen:<br />

Lehre ist gut, wenn sie jeweils ein Weiterlernen<br />

ermöglicht, es unterstützt – und vor allem<br />

dazu motiviert. So sinnvoll – und selten erfüllt<br />

– diese Gütekriterien sind: Was Gewerkschaft<br />

und Wissenschaftsverbände benennen, sind<br />

doch nur formale Qualitätsmerkmale. Sie sagen<br />

noch nichts darüber aus, ob an den Hochschulen<br />

wirklich das für Gesellschaft, Wissenschaft<br />

und für die Person selbst Notwendige<br />

gelernt wird. Was die Studierenden lernen,<br />

welche fach- bzw. professionsspezifischen<br />

Kompetenzen sie erwerben und an welchen<br />

Inhalten und Aufgaben sie sich weiterentwickeln<br />

können, setzt vor allem Verständigung<br />

unter den jeweils Beteiligten voraus:<br />

in jeder Hochschule vor Ort, unter den Lehrenden<br />

und vor allem gemeinsam mit den Studierenden.<br />

Ludwig Huber, emer. Professor für<br />

Erziehungswissenschaften, Uni Bielefeld<br />

Prämie<br />

des Monats<br />

Seite 5<br />

Stromfressern auf die Spur kommen:<br />

Sie werben im <strong>Oktober</strong> ein neues<br />

<strong>GEW</strong>-Mitglied und erhalten von uns<br />

ein Energiemessgerät. Mit Kostenkalkulation<br />

und -vorhersage. Seite 5<br />

Impressum<br />

Erziehung und Wissenschaft<br />

Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 60. Jg.<br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

im Deutschen Gewerkschaftsbund.<br />

Vorsitzender: Ulrich Thöne.<br />

Redaktion: Ulf Rödde (verantwortlich),<br />

Helga Haas-Rietschel.<br />

Redaktionsassistenz: Renate Körner.<br />

Postanschrift der Redaktion:<br />

Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M.,<br />

Telefon (0 69) 7 89 73-0, Telefax (0 69) 7 89 73-202.<br />

Internet: www.gew.de<br />

Redaktionsschluss ist der 10. eines jeden Monats.<br />

Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich, jeweils<br />

am 5. des Monats mit Ausnahme der Sommerferien.<br />

Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann,<br />

Heddernheimer Landstraße 144, 60439 Frankfurt<br />

Druck: apm AG, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt.<br />

Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag<br />

enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis<br />

jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl.<br />

MwSt. Für die Mitglieder der Landesverbände Bayern,<br />

Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Rheinland-Pfalz, Saar, Sachsen, Schleswig-Holstein und<br />

Thüringen werden die jeweiligen Landeszeitungen der<br />

E&W beigelegt. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />

und Rezensionsexemplare wird keine Verantwortung<br />

übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten<br />

Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />

Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar.<br />

Verlag mit Anzeigenabteilung: Stamm Verlag GmbH,<br />

Goldammerweg 16, 45134 Essen;<br />

Verantw. f. Anzeigen: Mathias Müller,<br />

Tel. (0201) 84300-0,Telefax (0201) 472590,<br />

anzeigen@stamm.de; www.stamm.de;<br />

zz. gültige Anzeigenpreisliste Nr. 36 vom 1. 1. 2007;<br />

Anzeigenschluss am 5. des Vormonats.<br />

E&W wird auf chlorfrei<br />

gebleichtem Papier gedruckt.<br />

ISSN 0342-0671


Hat der Prof es drauf? Klar ist: Hochschullehrkräfte müssen<br />

ihrem Lehrauftrag besser gerecht werden. „Lehre ist gut,<br />

wenn sie zum Weiterlernen motiviert“, schreibt Ludwig Huber<br />

im Gastkommentar. Die <strong>GEW</strong> fordert, dass Studierende<br />

Lehr- und Lernprozesse mitgestalten. Der Wissenschaftsrat<br />

will alle „in die Pflicht nehmen“, um die Hochschulmisere<br />

zu beenden. Fest steht: Hochschulen sind chronisch unterfinanziert,<br />

Professoren fehlen, die Betreuung ist schlecht,<br />

die Ausstattung mangelhaft. All das geht zu Lasten der<br />

Qualität des Studiums und der Studierenden. Beiträge von<br />

Ulf Banscherus, Klara Fall, Anja Gadow, Jeanette Goddar,<br />

Armin Himmelrath, Andreas Keller, Peter Strohschneider.<br />

Schwerpunkt „Gute Lehre“ ab Seite 6<br />

Gastkommentar<br />

Was ist gute Lehre? Seite 2<br />

Impressum Seite 2<br />

Auf einen Blick Seite 4<br />

Prämie des Monats Seite 5<br />

Titel: Gute Lehre<br />

1. Hat der Prof es drauf? Seite 6<br />

2. WR-Empfehlungen:<br />

„Bauchladen der Unverbindlichkeiten“ Seite 10<br />

3. Interview mit Peter Strohschneider:<br />

„Wir nehmen alle in die Pflicht“ Seite 12<br />

4. Was macht einen guten Hochschullehrer aus? Seite 13<br />

5. Zu wenig Profs für Studis Seite 14<br />

6. Enger Spielraum für Studienreform Seite 16<br />

7. <strong>GEW</strong>-Qualitätsoffensive: Ein Job für Profis Seite 18<br />

Bildungspolitik<br />

1. OECD-Migrationsbericht <strong>2008</strong>: Es kommt keiner mehr Seite 20<br />

2. „Bildung auf einen Blick“:<br />

Mehr Metzger statt mehr Ingenieure? Seite 22<br />

3. Kommentar: Bildungsrepublik Deutschland? Seite 23<br />

4. Graswurzelrevolution:<br />

Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein Seite 24<br />

5. Ganztagsschulstudie: Bessere Qualität – mehr Pädagogen Seite 33<br />

6. Kommentar: Warten auf Taten Seite 34<br />

START – Zeitung für junge Lehrkräfte ab Seite 25<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

Mehr Metzger statt mehr Ingenieure – die jüngste<br />

OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ stellt<br />

erneut fest: Deutschland bildet zu wenig Akademiker<br />

aus. Doch das konservative Lager führt<br />

seine Abwehrkämpfe fort und kritisiert, die OECD<br />

stelle die Ausbildungsleistung des dualen Systems<br />

nicht gebührend heraus. Karlheinz Rosenzweig<br />

fragt: „Wollen die Konservativen den fehlenden<br />

Pädagogennachwuchs künftig mit einer<br />

Überproduktion von Metzgern, Malern und<br />

Bäckern kompensieren?“ Zum OECD-Bericht ein<br />

Kommentar von Ulrich Thöne: „Bildungsrepublik<br />

Deutschland?“ Seiten 22/23<br />

E&W-Hintergrund: Qualifikationsrahmen<br />

1. Gemeinsame Währung in nationaler Münze Seite 34<br />

2. Kommentar: Kind europäischer Bildungspolitik Seite 36<br />

3. Interview mit Harry Neß: „Weniger auf Abschlüsse fixiert“ Seite 37<br />

Hochschule und Forschung<br />

1. <strong>GEW</strong>-Wissenschaftskonferenz: Demokratische Alternative Seite 38<br />

2. BAföG-Hotline: Studis, aufgepasst! Seite 39<br />

3. Keine Leuchttürme der Mitbestimmung Seite 39<br />

4. Interview mit Klaus-Jürgen Tillmann:<br />

„Der Markt ist leergefegt“ Seite 40<br />

Tarif- und Besoldungsrunde 2009<br />

1. „Auf ein Wort ...“ Seite 41<br />

2. <strong>GEW</strong>-Empfehlungen zur Forderungsdiskussion Seite 42<br />

Gesellschaftspolitik<br />

1. Gesetzwidrigen Handel mit Daten bekämpfen Seite 43<br />

2. Interview mit Ludwig Bilz: Wenn Schule krank macht Seite 44<br />

BFW Seite 45<br />

Recht und Rechtsschutz Seite 49<br />

Marktplatz Seite 50<br />

Leserforum Seite 51<br />

Diesmal Seite 56<br />

Titelgestaltung: Werbeagentur Zimmermann<br />

Cartoon: Thomas Plaßmann<br />

Den gesetzwidrigen Handel<br />

mit Daten kritisiert DGB-Vorsitzender<br />

Michael Sommer.<br />

Sommer prangert in seinem<br />

Beitrag an, dass Gewerkschaftsmitglieder<br />

ins Visier<br />

der US-Terroristenjäger geraten<br />

könnten. Seite 43<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 3<br />

Foto: DGB


AUF EINEN BLICK<br />

Über 3000 Beschäftigte<br />

des<br />

öffentlichen<br />

Dienstes in Berlin<br />

zeigten der rotrotenLandesregierung,<br />

dass<br />

sie sich in der<br />

Tarifauseinandersetzung<br />

nicht<br />

mit einem<br />

Gnadenerweis<br />

abspeisen<br />

lassen.<br />

Protest mit Bart<br />

Jetzt unterschreiben!<br />

Gegen die unterschiedliche Bezahlung<br />

von Männern und Frauen haben am<br />

22. September<br />

in Berlin Gewerkschafterinnen<br />

mit angeklebtenBärten<br />

protestiert.<br />

Die „Aktion<br />

Schnauzbart“<br />

macht darauf<br />

aufmerksam,<br />

dass Frauen in<br />

Deutschland<br />

durchschnittlich<br />

22 Prozent<br />

weniger<br />

verdienen als<br />

Männer.<br />

3000 Beschäftigte demonstrieren für mehr Geld – Streiks gehen weiter<br />

Für das Volksbegehren „Eine Schule für Alle“ sammelt die gleichnamige Initiative in<br />

Hamburg noch bis zum 9. <strong>Oktober</strong> Unterschriften. Knapp 62 000 wahlberechtigte<br />

Bürgerinnen und Bürger aus der Hansestadt müssen unterschreiben, um den Weg<br />

für einen Volksentscheid, den letzten Schritt der Volksgesetzgebung, freizumachen.<br />

Ziel der Initiative ist, eine gemeinsame Schule für alle Kinder bis zum Ende der<br />

Pflichtschulzeit durchzusetzen (s. E&W 9/<strong>2008</strong>, Seiten 4, 38 und 39). Alle Infos finden<br />

Sie im Netz unter: www.eineschule.de.<br />

Wer nicht in Hamburg lebt, der Initiative jedoch den Rücken stärken will, kann dies<br />

durch sein Votum für die bundesweite Unterschriftenaktion „Keine halben Sachen:<br />

Eine Schule für Alle“ im Internet tun. Den Unterstützeraufruf haben als Erstunterzeichner<br />

viele prominente Wissenschaftler, Vertreter von Verbänden und Gewerkschaften<br />

sowie Journalisten unterschrieben. Die Liste auf der Website www.aufrufeineschule.de<br />

wird von Tag zu Tag länger. Die Unterschriftenaktion erreichen Sie auch<br />

über die Homepage der <strong>GEW</strong>: www.gew.de.<br />

Foto: dpa<br />

4 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />

Der Berliner Senat hatte vor den Ferien die Tarifverhandlungen<br />

für den öffentlichen Dienst abgebrochen<br />

und nach Gutsherrenart für <strong>2008</strong> und 2009 je eine Einmalzahlung<br />

von 300 Euro verfügt – pro Tag netto ungefähr<br />

50 Cent. Deshalb haben über 3000 Beschäftigte<br />

am 15. September die Streikaktionen im Land Berlin<br />

wieder aufgenommen! Die Demonstration führte zum<br />

Gebäude des Bundesrates, wo die Streikenden den anderen<br />

Bundesländern ihre Arbeitskraft anboten, denn,<br />

so ihr Motto: „Etwas Besseres als Berlin finden wir überall!“<br />

Am selben Tag begann die Urabstimmung unter den<br />

angestellten Lehrkräften über ihre Bereitschaft zu unbefristeten<br />

Streiks. Der Auftakt war verheißungsvoll.<br />

Anfang <strong>Oktober</strong> wird die <strong>GEW</strong> Berlin das Ergebnis bekannt<br />

geben. Die Beschäftigten des öffentlichen<br />

Dienstes werden sich mit dem „Gnadenerweis“ des rotroten<br />

Senats nicht zufrieden geben. Für <strong>Oktober</strong> sind<br />

längerfristige Streiks geplant.<br />

Weitere und alle aktuellen Infos finden Sie im Internet unter:<br />

www.gew-berlin.de/.<br />

Von der Leyen gescheitert: Kommerzielle Kitas werden nicht stärker gefördert<br />

Eine stärkere staatliche Förderung kommerzieller Kindergärten ist vorerst vom Tisch (s. E&W 9/<strong>2008</strong> und Kita-Magazin<br />

2/<strong>2008</strong>). Die Entscheidung über die mögliche Förderung privater Kita-Unternehmen liegt weiterhin<br />

bei den Bundesländern. Damit scheiterte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihren<br />

Plänen, die Länder per Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zu zwingen, privat-gewerbliche<br />

Träger besser zu fördern. Nicht nur Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände,<br />

Kirchen, Kommunen oder Betriebskindergärten wollte von der Leyen bezuschussen<br />

lassen, sondern auch profitorientierte Kita-Konzerne sollten staatliche<br />

Subventionen bekommen. Der Bundesrat hat ihre Pläne jetzt gestoppt. Die <strong>GEW</strong> begrüßt<br />

diese Entscheidung, hatte sie doch massiv vor einer Kommerzialisierung der<br />

frühkindlichen Bildung gewarnt: „Mit unseren Kindern dürfen keine Geschäfte gemacht<br />

werden. Öffentliche Subventionen für gewerbliche Kita-Unternehmen hätten<br />

einen Profitmarkt zulasten der Kinder geöffnet. Es ist gut, dass diese Pläne vom Tisch<br />

sind“, sagte Norbert Hocke, Leiter des Vorstandsbereichs Jugendhilfe und Sozialarbeit<br />

der <strong>GEW</strong>.<br />

Zurzeit können die Bundesländer selbst entscheiden, ob sie kommerzielle Träger<br />

von Tageseinrichtungen für Kinder mit staatlichen Zuschüssen subventionieren<br />

wollen. Bisher nutzen nur sechs Bundesländer diese Möglichkeit. Die <strong>GEW</strong> hatte<br />

von der Leyens Pläne bereits in der Expertenanhörung des Deutschen Bundestags<br />

scharf kritisiert.


#<br />

Bitte in Druckschrift ausfüllen.<br />

Ihre Daten sind entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes geschützt.<br />

...für jedes neu geworbene <strong>GEW</strong>-Mitglied erwartet Sie ein Energiemessgerät.<br />

Antrag auf<br />

Mitgliedschaft<br />

Vorname/Name<br />

Straße/Nr.<br />

Land/PLZ/Ort<br />

Geburtsdatum/Nationalität<br />

Bisher gewerkschaftlich organisiert bei von bis (Monat/Jahr)<br />

Jedes Mitglied der <strong>GEW</strong> ist verpflichtet,den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und<br />

seine Zahlungen daraufhin regelmäßig zu überprüfen.<br />

Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag erkenne ich die Satzung der <strong>GEW</strong> an und ermächtige<br />

die <strong>GEW</strong> zugleich widerruflich,den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag vierteljährlich<br />

von meinem Konto abzubuchen.<br />

Ort/Datum Unterschrift<br />

Daten desWerbers<br />

Vorname/Name<br />

Straße/Nr.<br />

PLZ/Ort<br />

Mitmachen<br />

lohnt sich!<br />

Ich habe die oben genannte Person als neues <strong>GEW</strong>-Mitglied geworben.<br />

Ihr Mitgliedsbeitrag:<br />

- Beamtinnen und Beamte zahlen 0,75 Prozent der 6. Stufe.<br />

- Angestellte zahlen 0,7 Prozent der Entgeltgruppe und Stufe, nach der vergütet wird.<br />

- Der Mindestbeitrag beträgt immer 0,6 Prozent der untersten Stufe der Entgeltgruppe 1 des TVöD.<br />

- Arbeitslose zahlen ein Drittel des Mindestbeitrages.<br />

- Studierende zahlen einen Festbetrag von 2,50 Euro.<br />

- Mitglieder im Referendariat oder Praktikum zahlen einen Festbetrag von 4 Euro.<br />

- Mitglieder im Ruhestand zahlen 0,66 Prozent ihrer Ruhestandsbezüge.<br />

Weitere Informationen sind der Beitragsordnung zu entnehmen.<br />

Telefon Fax<br />

E-Mail<br />

Berufsbezeichnung/-ziel beschäftigt seit Fachgruppe<br />

Name/Ort der Bank<br />

Kontonummer BLZ<br />

Besoldungs-/Entgeltgruppe gültig seit Stufe Bruttoeinkommen € monatlich<br />

Betrieb/Dienststelle Träger<br />

Straße/Nr. des Betriebes/der Dienststelle PLZ/Ort<br />

<strong>GEW</strong>-Landesverband<br />

Telefon Fax<br />

E-Mail<br />

Prämie des<br />

Monats <strong>Oktober</strong><br />

Ein Energiemessgerät für den<br />

häuslichen Gebrauch.<br />

Mit Kostenkalkulation<br />

und -vorhersage<br />

E+W-Prämie des<br />

Monats <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong>/<br />

Energiemessgerät<br />

Dieses Angebot gilt nur<br />

für <strong>GEW</strong>-Mitglieder.<br />

Beschäftigungsverhältnis<br />

angestellt<br />

beamtet<br />

Honorarkraft<br />

in Rente<br />

pensioniert<br />

Altersübergangsgeld<br />

arbeitslos<br />

beurlaubt ohne Bezüge<br />

teilzeitbeschäftigt mit<br />

Prozent<br />

im Studium<br />

ABM<br />

Vorbereitungsdienst/<br />

Berufspraktikum<br />

befristet bis<br />

Sonstiges<br />

Bitte den Antrag vollständig<br />

ausfüllen und<br />

an folgende Adresse<br />

senden:<br />

Gewerkschaft<br />

Erziehung<br />

und Wissenschaft<br />

Brigitte Stamm<br />

Reifenberger Straße 21<br />

60489 Frankfurt a.M.<br />

Fax:069/78973-102<br />

Vielen Dank!<br />

Ihre <strong>GEW</strong>


„Hat der Pro<br />

Warum das Studium mit einem Fehlstart beginnen kann<br />

6 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Zwei von drei Akademikern<br />

in spe fällt es schwer, sich im<br />

Studium zurecht zu finden.<br />

Erforderlich ist eine professionellere<br />

Begleitung der<br />

Studierenden.


f es drauf?“<br />

Dass das Studium mit einem Fehlstart<br />

beginnen oder gar zum Abbruch<br />

führen kann, hat viel damit zu tun,<br />

dass die Lern- und Arbeitsbedingungen<br />

an den Hochschulen zu wünschen<br />

übrig lassen. Doch das liegt nicht nur<br />

am fehlenden Geld und Personal. Den<br />

„Profs“ mangelt es oft an jenen Kompetenzen,<br />

die sie den Studierenden vermitteln<br />

sollten. Denn: Áuch das Lehren<br />

will gelernt sein.<br />

Was für ein Start in ein<br />

neues Leben! Als<br />

Katrin zum Sommersemester<br />

nach<br />

Berlin zog, war restlos<br />

alles ungewohnt:<br />

die Stadt. Das WG-Zimmer. Der Campus.<br />

Der Tagesablauf. Nicht mehr Schülerin,<br />

sondern Studentin. Dass sie sich<br />

in Berlin nicht sofort zurechtfand, überraschte<br />

die 20-Jährige kaum. Was sie irritierte:<br />

Nach vier Wochen an der Freien<br />

Universität (FU) Berlin hatte sie immer<br />

noch keinen Überblick über das Gelände,<br />

die Räume, die Büros. „Es gibt vielleicht<br />

Menschen mit mehr Orientierungssinn“,<br />

sagt sie – „aber ist es normal,<br />

dass ich nach einem Monat noch nicht<br />

weiß, was wo ist?“ Gab es denn keine<br />

Einführungstage? „Doch, drei“, berichtet<br />

sie, „ohne die wäre alles noch viel<br />

schlimmer gewesen. Aber genug war das<br />

nicht.“<br />

Platzkampf im Hörsaal<br />

Schon nach wenigen Tagen als Erstsemesterin<br />

ereilte Katrin der erste<br />

„Schock“: In einem rappelvollen Hörsaal<br />

musste sie sich Plätze in den Laborpraktika<br />

erkämpfen. „Da wurden nacheinander<br />

200 Namen aufgerufen. Jeder<br />

musste sagen, was er belegen will. Und<br />

was belegt war, gab es eben nicht mehr<br />

im Angebot“, erinnert sie sich. Die Aufregung<br />

ist ihr noch anzumerken. „Wir<br />

müssen Praktika machen“, schimpft sie,<br />

„die sind in Biologie verpflichtend. So<br />

kann man uns doch nicht behandeln.“<br />

Ihr erstes Resümee nach vier Wochen<br />

Studium: „Ziemlich enttäuschend.“ Im<br />

Vergleich mit anderen Kommilitonen<br />

sei sie jedoch noch ganz gut dran: „Es<br />

gibt Leute, die jetzt schon glauben, dass<br />

sie ihr Studium in der Regelzeit nicht<br />

schaffen werden.“<br />

Willkommen an einer von acht Elite-<br />

Universitäten der Republik: der Freien<br />

Universität Berlin, mit 34000 Studierenden<br />

eine der größten Deutschlands<br />

und so beliebt, dass sie in jedem Jahr<br />

noch viel mehr Studierende aufnehmen<br />

könnte. Ist Katrin mit ihren Startschwierigkeiten<br />

eine Ausnahme? Wohl kaum.<br />

Mehr als jeder zweite Studierende, bestätigt<br />

eine Erhebung der Zentralen Studienberatung<br />

der FU, fühlt sich zu wenig<br />

unterstützt und beraten. Zwei von<br />

drei Akademikern in spe leiden unter<br />

Orientierungsproblemen. Hans-Werner<br />

Rückert, Leiter der Studienberatung,<br />

sagt: „Wir brauchen dringend eine professionellere<br />

Begleitung der Studierenden.“<br />

Da es diese nicht gibt, ist die Lage – an<br />

der FU und anderen Hochschulen – wie<br />

sie eben ist: Jeder Dritte des ersten Bachelor-Jahrgangs<br />

von 2004/05 war zwei<br />

Jahre später nicht mehr – jedenfalls<br />

nicht in demselben Fach – eingeschrieben.<br />

Jeder Dritte begründete das damit,<br />

sich „verwählt“ zu haben. Jeder Vierte<br />

fühlte sich „überfordert“, jeder Fünfte<br />

„enttäuscht“. An der Humboldt-Universität<br />

(HU), im Osten Berlins, kam<br />

vor einem Jahr eine von Studierenden<br />

organisierte „Studierbarkeits-Umfrage“<br />

unter 2100 angehenden Bachelors zu<br />

ganz ähnlichen Einschätzungen.<br />

Schlechte Noten erteilt<br />

Fragt man Studierende, was ihnen fehlt,<br />

ist die Liste lang. Vor allem aber mangelt<br />

es an vernünftigen Lernbedingungen.<br />

An der Humboldt-Uni erteilten sie der<br />

Qualität von Lehre und Betreuung auf<br />

der 1-6-Notenskala im Schnitt eine Drei<br />

bis Vier. Besonders schlecht fielen die<br />

Urteile nicht für die Geistes- und Sozialwissenschaften<br />

aus, sondern gerade in<br />

jenen Fächern, die die Bundesregierung<br />

gern als Zukunftsfelder bezeichnet: Mathe,<br />

Naturwissenschaften, Informatik.<br />

Wirtschaftswissenschaften (WiWi) und<br />

Jura ließen sich mit Blick auf den mitten<br />

in der Sommerpause <strong>2008</strong> erschienenen<br />

10. Studierendensurvey im Auftrag des<br />

Bundesbildungsministeriums (BMBF)<br />

noch hinzufügen. Nur rund 15 Prozent<br />

der Jura- und WiWi-Studenten erklärten,<br />

„ab und zu bis oft“ Kontakt zu den<br />

Professoren zu haben.<br />

Am unzufriedensten mit den Studienbedingungen,<br />

so fand das Hochschulinformationssystem<br />

(HIS) in Hannover<br />

gemeinsam mit der Arbeitsgruppe<br />

Hochschulforschung der Uni Konstanz<br />

2006 heraus, ist der pädagogische Nachwuchs<br />

von morgen: Lehramtsstudierende,<br />

also jene Gruppe, die an der Uni die<br />

Kompetenzen erwerben soll, die sie bei<br />

den Hochschullehrkräften vermissen.<br />

Kaum mehr als jeder vierte (28 Prozent)<br />

angehende Lehrer bewertet die Organisation<br />

des Studiums mit „gut” oder<br />

„sehr gut.“ 60 Prozent klagen dagegen<br />

über vollgestopfte Hörsäle.<br />

Frank, Student an der für ihre Praxisanteile<br />

häufig gelobten Universität Potsdam,<br />

erstaunt das nicht: „Wir sitzen mit<br />

hundert Leuten im schulpraktischen Seminar<br />

– und bereiten zu zweit oder dritt<br />

eine Schulstunde im Semester vor. So<br />

lernt man doch nichts.“<br />

Vorlesung mit Headset<br />

Die andere Seite des Lehrpults bestätigt<br />

die Misere. Nach mehr als 30 Jahren<br />

Lehrerbildung an der Universität Duisburg-Essen<br />

zog Professor Klaus Klemm<br />

bei seiner Emeritierung im Sommer<br />

2007 eine düstere Bilanz (s. E&W<br />

12/2007): Trotz aller Debatten über<br />

PISA und die Defizite der deutschen<br />

Schule habe sich die Lehrerausbildung<br />

seit den 1970er-Jahren nicht verbessert –<br />

auch und insbesondere nicht durch die<br />

Einführung des verschulten Bachelor-<br />

Studiums. „Ich halte Vorlesungen vor<br />

180 Leuten mit einem Headset auf dem<br />

Kopf: Wenn sie Glück haben, hören die<br />

Studierenden mich – aber ich höre sie<br />

nicht mehr“, klagte Klemm. Auch Noten,<br />

bilanzierte er weiter, würden nach<br />

Aktenlage erteilt. Die individuelle Einschätzung<br />

von Kompetenzen sei kaum<br />

noch möglich. Klemms Hochschul-<br />

Kollege Rolf Dobischat, seit zwei Jahren<br />

auch Präsident des Deutschen Studentenwerks<br />

(DSW), fügt – nicht ohne<br />

Selbstkritik – hinzu: „Dass die Unis die<br />

Ressourcen fressenden Bedingungen<br />

der neuen Studiengänge nicht überblickt<br />

haben, war vielleicht ihr größter<br />

Fehler der vergangenen Jahre.“ Das fin-<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 7


GUTE LEHRE<br />

det offenbar auch die Hochschulrektorenkonferenz<br />

(HRK), die nach jeder Sitzung<br />

aufs Neue darauf hinweist: Weder<br />

für die Entwicklung noch für die Umsetzung<br />

oder Organisation der Bologna-<br />

Studiengänge hätten die Hochschulen<br />

je Geld gesehen. 2,6 Milliarden Euro<br />

würde es nach HRK-Rechnung bis 2020<br />

in jedem Jahr kosten, der Reform „bessere<br />

Lernkontexte“ nachzuliefern.<br />

Mehr Geld hilft<br />

Tatsächlich könnte man mit zusätzlichem<br />

Geld einiges erreichen. Die Anzahl<br />

von 62 Studierenden, die statistisch<br />

jede Hochschullehrkraft betreut, könnte<br />

so verringert werden. Die HRK wünscht<br />

sich ein Verhältnis von 25:1. Zusätzliche<br />

Tutoren, Mentoren und Studienberater<br />

könnten die Betreuung weiter verbessern.<br />

Überfällige Schritte, kommentiert<br />

der freie zusammenschluss von studentInnenschaften<br />

(fzs): „Vor allem, wer<br />

frisch von der Schule kommt, ist mit der<br />

Koordination des Studiums überfordert“,<br />

sagt Imke Buß, die Bologna-Expertin<br />

des fzs, „mehr Unterstützung,<br />

mehr Betreuung wären wichtig.“ Buß<br />

sagt aber auch: Gute Lehre ist mehr als<br />

ein besserer Betreuungsschlüssel pro<br />

Student. „Universitäre Lehre muss auch<br />

so genannte soft skills vermitteln:<br />

Teamarbeit, Problemlösungskompetenz,<br />

Kommunikationsfähigkeit. Das setzt allerdings<br />

andere Lehr- und Lernformen<br />

voraus, als dass Professoren aus ihren eigenen<br />

Büchern vorlesen.“<br />

Lehrkompetenz erwerben<br />

„Volle Seminare müssen nicht die<br />

schlechtesten sein“, meint Ronny, bis Ende<br />

des Sommersemesters <strong>2008</strong> Politik-<br />

Student an der FU Berlin. Entscheidend<br />

sei: „Hat der Prof es drauf oder nicht?“<br />

Ob das so ist, war bei der Besetzung von<br />

Professuren früher ganz und ist auch<br />

heute noch ziemlich egal. „In Ansätzen<br />

Verbesserungen“ attestiert Andreas Keller<br />

den Hochschulen bei der Berücksichtigung<br />

von Lehrkompetenzen in Berufungsverfahren.<br />

Im Grundsatz, so das<br />

<strong>GEW</strong>-Vorstandmitglied für Hochschule<br />

und Forschung, gelte immer noch: „Forschung<br />

geht unzulässig weit vor.“ Die<br />

<strong>GEW</strong> will das ändern. Die Bildungsgewerkschaft<br />

fordert in einem im Sommer<br />

<strong>2008</strong> verabschiedeten Positionspapier,<br />

Lehrende müssten systematisch und<br />

nachweislich Lehrkompetenzen erwerben.<br />

Nur so könnten in Hörsäle und Seminarräume<br />

innovative Lehr- und Lernformen<br />

einziehen (s. Seite 14). Gemeint<br />

sind Methoden, die nicht das Curriculum,<br />

sondern den Menschen und seinen<br />

Kompetenzerwerb in den Mittelpunkt<br />

8 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Schock für Erstsemester: In rappelvollen<br />

Hörsälen ein Gerangel um die Plätze.<br />

Wer nicht überpünktlich ist, hat Pech und<br />

landet auf der Treppe.<br />

des Studiums stellen: etwa durch Problemorientiertes<br />

Lernen (POL), Teamarbeit<br />

oder das Lernen in Projekten.<br />

Rückenwind erhalten Deutschlands Studierende<br />

auch vom Wissenschaftsrat<br />

(WR). Seit diesem Sommer verlangt<br />

Deutschlands höchstes Beratungsgremium<br />

aus Wissenschaftlern und Vertretern<br />

von Bund und Ländern nicht nur 1,1<br />

Milliarden Euro mehr im Jahr für eine<br />

bessere Lehre – sondern einen regelrechten<br />

Kulturwandel: Professoren sollen<br />

sich auch über Lehrleistungen bewähren.<br />

Außerdem soll Lehre Teil der<br />

Aus- und Weiterbildung der Hochschullehrkräfte<br />

sein. Dass man Lehren lernen<br />

kann, beweisen die bundesweit 60 hochschuldidaktischen<br />

Zentren.


Auch an der FU tut sich inzwischen etwas:<br />

Nach der nahezu ausschließlichen<br />

Konzentration auf die Exzellenzinitiative<br />

legte das Präsidium im vergangenen<br />

Winter einen Zehn-Punkte-Plan zur<br />

Verbesserung der Lehre vor. Dieser kündigt<br />

unter anderem an, Studierende in<br />

Einführungswochen und mit mehr Studienberatung<br />

frühzeitig und besser da-<br />

rauf vorzubereiten, was sie erwartet.<br />

Mentoring und Studienfachberatung<br />

sollen qualifizierter werden, jeder Lehrende<br />

soll künftig jede Woche eine<br />

Sprechstunde halten. Der Hintergrund<br />

der löblichen Initiative ist, so darf man<br />

vermuten, handfester finanzieller Natur:<br />

Seit das Land Berlin 30 Prozent der<br />

Zuschüsse an seine Universitäten nach<br />

Leistung vergibt, wird es wenigstens teuer,<br />

wenn der Lehrerfolg ausbleibt. Eine<br />

siebenstellige Summe ging der FU in<br />

diesem Jahr deshalb flöten, weil sie im<br />

Vergleich zur Konkurrenz an HU und<br />

Technischer Universität (TU) in der<br />

Lehre zurückblieb.*<br />

Jeannette Goddar, freie Journalistin<br />

GUTE LEHRE<br />

* Gemessen wurde das<br />

unter anderem an der<br />

Zahl der Absolventinnen<br />

und Absolventen in<br />

der Regelstudienzeit.<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 9<br />

Fotos: David Ausserhofer


GUTE LEHRE<br />

Der Wissenschaftsratkritisiert<br />

die Hochschulen:<br />

Es fehle<br />

„an institutioneller<br />

und personeller<br />

Verantwortung<br />

für die Lehre“, der<br />

Unterricht<br />

genieße an vielen<br />

Hochschulen<br />

„noch immer<br />

keinen hohen<br />

Stellenwert“.<br />

*Die aktuellen Lehrempfehlungen<br />

des<br />

Wissenschaftsrats<br />

finden Sie im Internet<br />

unter:<br />

http://www.wissenschaftsrat.de/texte/8639-08.pdf<br />

„Bauchladen der<br />

Unverbindlichkeiten“<br />

Kritiker halten WR-Empfehlungen für nicht scharf genug<br />

Lange hat es gedauert, jetzt liegen sie<br />

endlich vor: Die „Empfehlungen zur<br />

Qualitätsverbesserung von Lehre und<br />

Studium“* des Wissenschaftsrats<br />

(WR) – fast eine Generalabrechnung<br />

mit den Lehrleistungen der Hochschulen.<br />

Doch einigen Kritikern ist<br />

das noch nicht scharf genug.<br />

Die Bilanz war vernichtend:<br />

„Es fehlt an institutioneller<br />

und personeller Verantwortung<br />

für die Lehre“, der<br />

Unterricht „genießt an vielen<br />

Hochschulen noch immer<br />

keinen hohen Stellenwert“. Dass<br />

gute Forschung zu guter Lehre führe, sei<br />

ein Trugschluss, so der WR. Zugleich gebe<br />

es jedoch keine Anreize für Professorinnen<br />

und Professoren, gute Seminare<br />

und Vorlesungen anzubieten: „Besondere<br />

Anstrengungen und Leistungen in<br />

der Lehre zahlen sich für den einzelnen<br />

Wissenschaftler karrieremäßig kaum<br />

aus. Sie schaffen weder höhere Reputati-<br />

10 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

on, noch werden sie materiell belohnt.<br />

Auch spielen sie nur eine geringe Rolle<br />

im Rahmen von Berufungsverfahren.“<br />

Das klingt brandaktuell, stammt in<br />

Wirklichkeit aber aus einem anderen<br />

Jahrhundert: Am 19. Januar 1996 verabschiedete<br />

der WR seine Drucksache<br />

Nummer 2365/96 mit dieser niederschmetternden<br />

Bilanz.<br />

„Betreuung verbessern“<br />

Heute, mehr als zwölf Jahre später, fällt<br />

das WR-Urteil in den aktuellen Lehrempfehlungen<br />

keine Spur besser aus:<br />

Die Betreuungsverhältnisse müssten<br />

„dringend verbessert werden“. Das gehe<br />

nur mit deutlich mehr Mitteln, denn der<br />

„erforderliche Ausbau des Lehrangebots<br />

lässt sich in den bisherigen Personalstrukturen<br />

nicht hinreichend effektiv<br />

und effizient umsetzen“. Bessere Betreuung,<br />

einen Ausbau der Studienkapazitäten,<br />

Professuren mit bis zu<br />

zwölf Semesterwochenstunden Lehranteil<br />

sind nicht umsonst zu haben:<br />

Mehr als 1,1 Milliarden Euro, so der<br />

WR, müsse die Bildungspolitik den<br />

Universitäten und Fachhochschulen pro<br />

Jahr zusätzlich zur Verfügung stellen,<br />

„und zwar kontinuierlich und verlässlich,<br />

nicht in Form von Projektmitteln“<br />

– deutlicher hätte die Mahnung kaum<br />

ausfallen können. „Das ist natürlich nur<br />

eine Empfehlung, aber ich hoffe schon,<br />

dass daraus eine klare politische Verbindlichkeit<br />

entsteht“, sagt Peter Strohschneider,<br />

Vorsitzender des Wissenschaftsrats<br />

im E&W-Interview (s. Seite 12).<br />

Dass die Empfehlungen sich wirklich<br />

positiv auswirken, wird jedoch von einigen<br />

Kritikern bezweifelt. „Die Lehre in<br />

den Mittelpunkt des Interesses zu<br />

rücken und dafür mehr Geld zu fordern,<br />

ist grundsätzlich richtig, die Empfehlungen<br />

bleiben aber insgesamt mau“,<br />

sagt Nele Hirsch, bildungspolitische<br />

Sprecherin der Fraktion Die Linke im<br />

Bundestag. Bessere Arbeitsbedingungen<br />

an den Hochschulen und eine gute soziale<br />

Absicherung der Studierenden habe<br />

der WR systematisch vernachlässigt:<br />

„Keine Kritik an den massiven sozialen<br />

Auswirkungen der Studiengebühren,<br />

keine Kritik an prekären Arbeitsverhält-<br />

Foto: Foto: David Ausserhofer


10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 11


GUTE LEHRE<br />

nissen, dann noch die Zustimmung zur<br />

Systemakkreditierung ohne genaueren<br />

Blick auf die einzelnen Studiengänge –<br />

das alles trägt nicht zu einer besseren<br />

Lehre bei.“ Eine Einschätzung, die auch<br />

Hochschul-Insider teilen: „Doktoranden<br />

machen normalerweise die ganze<br />

Vorbereitung, alle Korrekturen und einen<br />

großen Teil der Verwaltungsarbeit“,<br />

sagt Carolyn Sailor (Name geändert), die<br />

aus Kanada als Wirtschaftswissenschaftlerin<br />

an eine norddeutsche Universität<br />

kam und vor allem „über die Faulheit der<br />

deutschen Professoren“ staunt: „Kein<br />

Wunder, dass die Vorlesungen der Profs<br />

schlecht sind, schließlich haben sie die<br />

Stunden ja nicht selber vorbereitet und<br />

zeigen in Seminaren und Vorlesungen<br />

Folien ihrer Doktoranden.“ Auch die<br />

Entschuldigung, dass die Forschungsarbeit<br />

so zeitaufwändig sei, lässt Sailor<br />

nicht gelten: „Die Professoren übernehmen<br />

einen Großteil der Forschungsergebnisse<br />

von ihren Mitarbeitern und<br />

geben sie als eigene Arbeiten aus.“ Das<br />

Fazit der Gastwissenschaftlerin: „Die bekommen<br />

ein volles Gehalt für eine Arbeit,<br />

die eigentlich ein Teilzeitjob ist.“<br />

Die Lehrempfehlungen des WR fallen<br />

der 33-Jährigen deshalb trotz klarer Forderungen<br />

nicht scharf genug aus.<br />

„Nur Mainstream“<br />

Auch Wolfgang Lieb, früherer SPD-<br />

Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium,<br />

hält die WR-Empfehlungen<br />

allenfalls für „einen ganzen Bauchladen<br />

unverbindlicher Vorschläge, aus<br />

dem sich jeder bedienen kann, ohne<br />

dass sich viel ändern dürfte“. Der WR<br />

sei „alles andere als eine Speerspitze des<br />

Fortschritts“, die aktuellen Vorschläge<br />

nur „wissenschaftlicher Mainstream“,<br />

ätzt Lieb, der heute als Herausgeber der<br />

Homepage www.nachdenkseiten.de die<br />

aktuelle Politik kritisch begleitet. Immerhin<br />

sei es schon „ein Gewinn an<br />

sich“, dass die Qualität der Lehre endlich<br />

debattiert wird. Die Aussage, dass<br />

„im Zentrum aller Bemühungen die Sicherung<br />

der Studierbarkeit“ stehen soll,<br />

sei überfällig gewesen, genauso wie die<br />

Nennung einer konkreten Kostensumme.<br />

Allein um das Betreuungsverhältnis<br />

einigermaßen auf internationales Niveau<br />

zu bringen, sind laut WR mindestens<br />

357 Millionen Euro pro Jahr nötig.<br />

„Das hört sich gewaltig an“, räumt Wolfgang<br />

Lieb ein, tritt jedoch sofort auf die<br />

Euphorie-Bremse: „Verteilt auf die 391<br />

staatlichen und staatlich anerkannten<br />

Hochschulen wären das pro Hochschule<br />

aber nur knapp 900000 Euro für zusätzliche<br />

Hochschullehrer.“<br />

Armin Himmelrath, freier Journalist<br />

12 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

„Wir nehmen alle<br />

in die Pflicht“<br />

Interview mit WR-Chef Peter Strohschneider<br />

Mit Prof. Peter Strohschneider, dem<br />

Vorsitzenden des Wissenschaftsrats<br />

(WR), sprach E&W über die aktuellen<br />

Empfehlungen zur Verbesserung<br />

der Lehre an den Hochschulen und seine<br />

Wünsche an den Bildungsgipfel.<br />

E&W: 1996 hatte der Wissenschaftsrat<br />

schon einmal Empfehlungen zur Evaluation<br />

in der Lehre verabschiedet. Die damaligen<br />

Befunde klingen noch erschreckend<br />

aktuell – von<br />

der mangelnden Betreuung<br />

an Massenunis bis<br />

zum schlechten Image des<br />

akademischen Unterrichts<br />

bei den Professoren. Haben<br />

wir ein Jahrzehnt der<br />

Stagnation hinter uns?<br />

Peter Strohschneider:<br />

Natürlich ist unsere aktuelle<br />

Diagnose nicht<br />

revolutionär, schließlich<br />

sind viele Probleme<br />

in der Lehre schon<br />

länger bekannt. Aber<br />

die Gesamtsituation ist<br />

heute anders: Unser Papier<br />

verfolgt erstmals einen<br />

integrierten Ansatz,<br />

Peter Strohschneider,<br />

Vorsitzender des Wissenschaftsrats<br />

der Studierende, Lehrende, Hochschulen,<br />

Fächer und Politik gleichermaßen<br />

in die Pflicht nimmt. Und dann haben<br />

wir uns ja auch auf eine konkret benötigte<br />

Summe geeinigt – das ist nicht<br />

zu unterschätzen.<br />

E&W: Sie fordern 1,104 Milliarden Euro<br />

pro Jahr für die Verbesserung der Lehre. Wie<br />

groß ist Ihre Angst, dass davon am Ende nur<br />

ein Bruchteil übrig bleibt?<br />

Strohschneider: Immerhin waren alle<br />

Bildungs- und Wissenschaftsminister an<br />

den Beschlüssen beteiligt. Ich habe den<br />

Eindruck, dass unsere Zahlen in der aktuellen<br />

Debatte im Vorfeld des Bildungsgipfels<br />

durchaus berücksichtigt<br />

werden. Wir geben ja meistens Empfehlungen<br />

ohne juristische oder finanzielle<br />

Verbindlichkeit ab – aber ich bin sehr<br />

zuversichtlich, dass daraus eine klare<br />

politische Verbindlichkeit entsteht.<br />

E&W: Was erwarten Sie konkret von Bund<br />

und Ländern beim Bildungsgipfel?<br />

Strohschneider: Entscheidend wird<br />

sein, dass die verschiedenen Bedarfe im<br />

Hochschulbereich nicht gegeneinander<br />

ausgespielt werden. Ich bezeichne das<br />

gerne als „Trilemma". Die Verbesserung<br />

der Forschungsfähigkeit der Universitäten<br />

– Stichwort Fortführung der Exzellenzinitiative<br />

–, der quantitative Ausbau<br />

der Hochschulen – Stichwort Hochschulpakt<br />

– und eine bessere Qualität<br />

der Lehre: All dies ist gleichermaßen<br />

zwingend, all dies kostet<br />

Geld, und keines<br />

dieser Ziele darf zu<br />

Lasten eines anderen<br />

gehen. Alles in allem<br />

eine große politische<br />

Herausforderung, aber<br />

für Deutschland und<br />

seine Zukunft hängt<br />

viel davon ab, dass sie<br />

gemeistert wird.<br />

E&W: Auf besonderen<br />

Widerstand stößt die von<br />

Ihnen vorgeschlagene<br />

Foto: imago<br />

Einführung von Lehrprofessuren,<br />

vor allem<br />

auch innerhalb der Hochschulen.<br />

Haben Sie dafür<br />

eine Erklärung?<br />

Strohschneider: Die<br />

meisten Kolleginnen und Kollegen haben<br />

in den vergangenen Jahren und<br />

Jahrzehnten die Erfahrung gemacht,<br />

dass der Kapazitätsausbau an den<br />

Hochschulen zu stetig steigenden<br />

Lehrdeputaten geführt hat. Als ich<br />

1975 mit meinem Studium angefangen<br />

habe, lag die Lehrverpflichtung noch<br />

bei sechs Wochenstunden, später wurde<br />

sie auf acht und in jüngster Zeit in<br />

manchen Ländern auf neun Stunden<br />

erhöht.<br />

Offenbar haben manche Kritiker nur<br />

die Zahl „Zwölf“ bei uns gesehen, die<br />

anderen Kriterien aber nicht so richtig<br />

wahrgenommen. Denn wir schlagen ja<br />

gar keine Lehrprofessoren vor, sondern<br />

nur Professuren mit einem größeren Gewicht<br />

auf der Lehre – aber eben auch mit<br />

Forschungstätigkeit. Das wird in der Debatte<br />

gerne übersehen.<br />

Interview: Armin Himmelrath,<br />

freier Journalist


Was macht einen guten<br />

Hochschullehrer aus?<br />

Aus der Perspektive einer Studentin<br />

Eine Professorin oder ein Professor<br />

sollte neben der wissenschaftlichen,<br />

fachlichen und didaktischen<br />

Kompetenz für sein<br />

Fach begeistern können. Sie<br />

oder er sollte es auch nicht als<br />

lästig empfinden, wenn Studierende<br />

Fragen haben oder fachliche<br />

Probleme besprechen wollen.<br />

Vielmehr sollten der Austausch<br />

und die Auseinandersetzung<br />

mit dem akademischen<br />

Nachwuchs als Bereicherung<br />

empfunden werden. Wichtig ist,<br />

dass sich Professoren für jeden<br />

einzelnen Studierenden interessieren.<br />

Deshalb wünsche ich mir,<br />

dass sie sich in den Sprechstunden<br />

Zeit für das Gespräch nehmen,<br />

dem Gegenüber Orientierung<br />

geben, wenn sie oder er es<br />

braucht. Nur: Solche Gespräche<br />

dürfen nicht nach zwei Semestern<br />

oder erst kurz vor Ende der<br />

Regelstudienzeit stattfinden! Didaktische<br />

Fortbildung sollte verpflichtend<br />

für Dozenten werden,<br />

nur so kann einer „Arbeitsblindheit“<br />

vorgebeugt werden.<br />

Gute Lehre kann es darüber hinaus<br />

nur geben, wenn das Curriculum<br />

solide strukturiert ist<br />

und die Studien- und Arbeitsbedingungen<br />

stimmen.<br />

Zum Beispiel brauchen<br />

alle Lehrenden<br />

und Lernenden eine<br />

ruhige Arbeitsatmo-<br />

sphäre. Laute, zugige,<br />

zu kleine Seminarräume,<br />

überfüllte Vorlesungssäle<br />

gefährden<br />

den Lehr- und Lernerfolg.<br />

Außerdem verschlechtert<br />

sich zunehmend<br />

die Betreuungsrelationzwischen<br />

Professoren<br />

und Studierenden. Eine<br />

individuelle Förde-<br />

rung der Studierenden, das bedeutet<br />

auch, alle inhaltlich mitzunehmen,<br />

wird nahezu unmöglich<br />

bei Gruppengrößen von bis<br />

zu 200 jungen Menschen pro<br />

Vorlesung. Hochschullehrkräfte<br />

wie Studierende sollten Zeit ha-<br />

❞ Wichtig ist,<br />

dass sich Professoren<br />

für jeden<br />

einzelnen Studierendeninteressieren.❝<br />

GUTE LEHRE<br />

Anja Gadow studiert Pharma-<br />

Chemietechnik im 3. Mastersemester<br />

an der TFH-Berlin.<br />

ben, ihre Arbeit und ihr Tun<br />

selbstkritisch zu reflektieren.<br />

Sonst stellen sich Lehr- und<br />

Lernerfolg nicht ein. Der Zeitfaktor<br />

ist derzeit nicht nur für die<br />

Studierenden das größte Problem.<br />

Die Umstellung auf die<br />

Bachelor- und Master-Studiengänge<br />

und die damit einhergehende<br />

Verschulung des Studiums<br />

lässt allen Beteiligten<br />

kaum Luft für Diskussionen und<br />

Nachdenklichkeit. Die Folge:<br />

Studierende lernen<br />

nicht mehr des Lernens<br />

wegen, sondern<br />

hangeln sich von Prüfung<br />

zu Prüfung. An-<br />

ders lässt sich das Arbeitspensum<br />

kaum<br />

bewältigen. Gleichzeitig<br />

haben sich die gesellschaftlichenRahmenbedingungenverschlechtert:<br />

Wer sein<br />

Studium selber finanziert,<br />

zusätzlich noch<br />

mit Studiengebühren<br />

belastet ist, muss jobben<br />

und gerät mit einem<br />

Vollzeitstudium unter starken<br />

Druck. Das jedoch haben<br />

Hochschullehrkräfte oft nicht<br />

im Blick.<br />

Anja Gadow, Vertreterin des<br />

freien zusammenschlusses von<br />

studentInnenschaften<br />

Foto: privat<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 13


GUTE LEHRE<br />

Zu wenig Profs für Studis<br />

14 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Hochschulen sind chronisch unterfinanziert<br />

In Jura, auch in den Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaften, kommen auf einen<br />

Professor 104 Studierende. In den<br />

Naturwissenschaften sind es 45. Da<br />

bleibt kaum Zeit für individuelle Betreuung.<br />

Kein Zweifel: Die deutschen<br />

Hochschulen sind unterfinanziert.<br />

Doch über das Ausmaß streiten Kultus-<br />

und Finanzminister ebenso wie<br />

Wissenschaftsrat (WR) und Hochschulrektorenkonferenz<br />

(HRK) seit<br />

Jahren.<br />

Der jüngste Bildungsbericht<br />

der Organisation für wirtschaftlicheZusammenarbeit<br />

und Entwicklung<br />

(OECD) hält fest (s. Seite<br />

22), dass in Deutschland<br />

zwischen 2000 und 2005 die Hochschulausgaben<br />

des Staates zwar um<br />

sechs Prozent gestiegen sind – zu wenig<br />

aber, um mit den wachsenden Studentenzahlen<br />

sowie den Preis- und Tariferhöhungen<br />

der vergangenen Jahre mithalten<br />

zu können. Folge: Pro Studierendem<br />

sind die Ausgaben im gleichen<br />

Zeitraum um zwei Prozent gesunken –<br />

eine Negativ-Entwicklung, die nur in<br />

ganz wenigen anderen OECD-Industrienationen<br />

zu beobachten ist.<br />

Dabei weisen Hochschulen wie Gewerkschaften<br />

und Studierendenorganisationen<br />

seit Jahrzehnten auf die chronische<br />

Unterfinanzierung hin – nicht erst seit<br />

der deutschen Einheit. Nach der Analyse<br />

des WR kamen Anfang der 1970er-<br />

Jahre hochgerechnet auf 660 000 Studierende<br />

knapp 21 000 Professoren. Heute,<br />

bei knapp zwei Millionen Studierenden,<br />

gibt es 37 500 Profs. Gerechnet<br />

über alle Fächer kommen heute an den<br />

Universitäten auf einen Professor 60,4<br />

Studierende. An den Fachhochschulen<br />

beträgt die Relation 1 zu 38,5. Dabei ist<br />

unstrittig, dass die neuen Bachelor- und<br />

Master- einen weitaus höheren Betreuungsaufwand<br />

als die alten Studiengänge<br />

erfordern. Doch dies wurde bisher weder<br />

beim Bund-Länder-Hochschulpakt<br />

noch bei den Stellenplänen in den Länder-Haushalten<br />

gebührend berücksichtigt.<br />

WR und HRK rechnen anders<br />

Allein für die dringend notwendige Verbesserung<br />

der Lehre und eine intensivere<br />

Beratung und Betreuung der Studierenden<br />

hält der WR in seinen jüngsten<br />

Empfehlungen (s. Seite 10) Mehrausgaben<br />

von 1,1 Milliarden Euro pro<br />

Jahr für erforderlich. Dabei hat der Verband<br />

noch äußerst vorsichtig nach dem<br />

Zwei-Kammer-Prinzip gerechnet. Denn<br />

was die wissenschaftliche Kommission<br />

erarbeitet, muss bei der Endabstimmung<br />

auch von der Verwaltungskommission<br />

gebilligt werden. Hier sitzen<br />

nicht nur lang gediente Wissenschaftsminister<br />

– sondern als ständiger Gast<br />

auch ein Vertreter der Finanzministerkonferenz.<br />

Stellvertretend für die 16<br />

Bundesländer ist beim Hamburger Finanzsenator<br />

seit Jahren eine eigene Arbeitsstelle<br />

angesiedelt, die sich speziell<br />

um Fragen der Bildungsfinanzierung<br />

kümmert.<br />

Die HRK beziffert den jährlichen Fehlbedarf<br />

bei der Finanzierung von Universitäten<br />

und Fachhochschulen mit 2,6<br />

Milliarden Euro pro Jahr. Darin sind<br />

nicht nur die vom WR geforderten Verbesserungen<br />

in der Lehre sowie mehr<br />

Stellen für die Betreuung enthalten,<br />

sondern auch überfällige Investitionen<br />

in Hörsäle, Labors, Seminarräume und<br />

Bibliotheken – einschließlich einer besseren<br />

Ausstattung. Auch geht die Berechnung<br />

der Rektoren von weiter steigenden<br />

Studierendenzahlen aus und<br />

fordert zugleich zusätzliche Entlastung<br />

aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge<br />

nach der Schulzeitverkürzung.<br />

Politik will „untertunneln“<br />

Die Finanzminister verweisen dagegen<br />

seit Jahren auf die infolge der Geburtenentwicklung<br />

sinkenden Schülerzahlen –<br />

was aus ihrer Perspektive langfristig auch<br />

zu rückläufigen Studienanfängerzahlen<br />

führen wird. In der Zwischenzeit soll<br />

nach ihrer Auffassung improvisiert und<br />

der Studentenberg „untertunnelt“ werden.<br />

Dabei gibt ihnen die Tendenz der<br />

vergangenen Jahre, oberflächlich betrachtet,<br />

zunächst einmal Recht. Zwar<br />

verließen 2007 im Vergleich zu 2003<br />

rund 17 Prozent mehr Abiturienten die<br />

Schule. Doch an den Hochschulen<br />

schrieben sich fünf Prozent weniger<br />

Anfänger ein. Die Politik ignoriert dabei<br />

großzügig, dass dieser Trend nicht<br />

nur durch Abschreckungseffekte wie<br />

Studiengebühren und unzureichendes<br />

BAföG verursacht wurde, sondern auch<br />

durch die drastische Ausweitung örtlicher<br />

Zulassungsbeschränkungen. Im<br />

Zuge der erweiterten Hochschulautonomie<br />

haben es immer mehr Wissenschaftsministerien<br />

hinnehmen müssen<br />

– oder auch aktiv gebilligt – dass vor allem<br />

die Universitäten ihre Türen mit einem<br />

lokalen Numerus clausus (NC)<br />

dicht gemacht haben. Das heißt: Der<br />

vielfach beschworene „Studentenberg“<br />

kam erst gar nicht in die Hochschulen<br />

hinein. Nach der politisch gewollten<br />

Zerschlagung der Dortmunder Zentral-


10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 15


GUTE LEHRE<br />

stelle für die Vergabe von Studienplätzen<br />

(ZVS) gibt es in Deutschland<br />

auch keine verlässlichen Daten mehr<br />

darüber, wie hoch der Anteil abgewiesener<br />

Bewerber tatsächlich ist.<br />

Tauziehen um mehr Geld<br />

Folgt man der Prognose der Kultusministerkonferenz<br />

(KMK), hätten allein<br />

in den vergangenen Jahren zwischen<br />

60 000 und 180 000 mehr junge Menschen<br />

studieren müssen als sich tatsächlich<br />

an den Hochschulen neu eingeschrieben<br />

haben – je nachdem, ob man<br />

von einer Abiturienten-Übertrittsquote<br />

ins Studium von 75 oder 85 Prozent ausgeht.<br />

Völlig unklar ist, wie dies die<br />

Hochschulen angesichts der jahrelangen<br />

Sparpolitik hätten verkraften sollen.<br />

Aber auch die Kultus- und Wissenschaftsminister<br />

der Länder haben in den<br />

vergangenen Jahren leidvolle Erfahrungen<br />

im Tauziehen um mehr Geld für<br />

ihre Ressorts machen müssen. 2003 hatten<br />

sie in einer Analyse der Bund-<br />

Länder-Kommisson für Bildungsplanung<br />

und Forschungsförderung (BLK)<br />

auf den wachsenden Bedarf an akademisch<br />

ausgebildeten Fachkräften hingewiesen<br />

und verlangt, die in Zukunft<br />

durch den Geburten- sowie Schülerrückgang<br />

eingesparten Mittel langfristig<br />

für Qualitätsverbesserungen in der Bildung<br />

zu nutzen. Doch die Finanzminister<br />

mauerten eisern und bestanden darauf,<br />

dass das eingesparte Geld für die<br />

Haushaltssanierung eingeplant werden<br />

sollte. Auch in der Ministerpräsidentenkonferenz<br />

wurde die Vorlage der Bildungsminister<br />

damals abgetan und<br />

nicht einmal diskutiert. Fünf Jahre später<br />

kommt es jetzt zur Wiedervorlage –<br />

beim Bildungsgipfel von Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel (CDU) und den Länder-Regierungschefs<br />

am 22. <strong>Oktober</strong> in<br />

Dresden.<br />

Klara Fall, Bildungsjournalistin<br />

Länderausgaben je<br />

Studierendem<br />

11 900 Euro pro Jahr geben die 16 Länder im Schnitt je<br />

Studierendem innerhalb der Regelstudienzeit aus. Nach<br />

Fächerangebot und Hochschulstruktur gibt es erhebliche<br />

Unterschiede: Am teuersten sind die Studienplätze im<br />

Saarland mit 15700 Euro, am günstigsten in Rheinland-<br />

Pfalz mit 9200 Euro.<br />

In Nordrhein-Westfalen kostet ein Studienplatz 11500, in<br />

Bayern 11 900 und in Baden-Württemberg 13700 Euro.<br />

Klara Fall<br />

16 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Enger Spielraum fü<br />

Rückblick auf zehn Jahre Akkreditierung an deutschen Hochschulen<br />

Der Spielraum für eine qualitative Studienreform erwies sich enger als erhofft. Haupthindernis:<br />

die Strukturvorgaben der Kultusminister-Konferenz.<br />

Vor rund zehn Jahren wurden die<br />

Weichen gestellt, um die Akkreditierung<br />

in Deutschland als zentrales<br />

Instrument der Qualitätssicherung<br />

im Hochschulbereich zu etablieren.<br />

Das neue System sollte nicht nur die<br />

verkrusteten Strukturen der bisherigen<br />

ministeriellen Genehmigung von<br />

Studiengängen aufbrechen, sondern<br />

auch einen Beitrag zur Sicherung der<br />

Studienreform leisten. Hat sich diese<br />

Hoffnung erfüllt?<br />

Weite Teile der Gewerkschaften<br />

und<br />

der Studierendenvertretungenverknüpften<br />

mit der<br />

Beteiligung an Akkreditierungsverfahren<br />

große Hoffnungen:<br />

Indem man gewerkschaftlich orientierte<br />

und studentische Gutachter einbezog,<br />

schien es möglich, Reformimpulse<br />

in die Hochschulen hineinzugeben<br />

und damit die weitgehend erfolglosen<br />

hochschulinternen Auseinandersetzungen<br />

der Vergangenheit zumindest<br />

teilweise zu beenden.<br />

Die Erfahrungen mit dem Akkreditierungssystem<br />

sind allerdings überaus<br />

ambivalent. So ist bereits auf der konzeptionellen<br />

Ebene fraglich, ob das Instrument<br />

der Akkreditierung überhaupt<br />

geeignet ist, eine qualitative Studienreform<br />

in Gang zu setzen. Handelt<br />

es sich doch im Kern darum, die Einhaltung<br />

von Qualitätsstandards zu<br />

überprüfen, konkret um die Strukturvorgaben<br />

der Kultusministerkonferenz<br />

(KMK).<br />

Zentral: lebenslanges Lernen<br />

Weiterhin setzt das Akkreditierungssystem<br />

auf das Modell der „Peer Review“<br />

(Begutachtung von wissenschaftlichen<br />

Arbeiten, Anträgen usw. durch unabhängige<br />

Experten – Anm. d. Red.) als<br />

etablierter Form der wissenschaftsimmanenten<br />

Qualitätsbewertung. Mit<br />

den KMK-Strukturvorgaben und der<br />

zumindest latenten Tendenz zur Orientierung<br />

am fachlichen Mainstream, die<br />

damit untrennbar verbunden ist, erwies<br />

sich der Spielraum für eine qualitative<br />

Studienreform vielfach als erheblich enger<br />

als erhofft. Häufig bot die Akkreditierung<br />

keinen Raum für innovative<br />

Ansätze. Diese wurden sogar auf dem<br />

Wege von erteilten Auflagen durch die<br />

Politik in das Regelungsgefüge zurück<br />

gezwungen. Somit wird deutlich, dass<br />

das Akkreditierungssystem nicht in ers-<br />

Foto: David Ausserhofer


GUTE LEHRE<br />

r Studienreform<br />

ter Linie der Studienreform dient,<br />

sondern dazu, KMK-Strukturvorgaben<br />

durchzusetzen.<br />

In einigen Fällen konnten Akkreditierungsverfahren<br />

dennoch die<br />

erhofften Reformimpulse initiieren.<br />

Vor allem dann, wenn die beteiligten<br />

Gutachter quasi aus der<br />

Rolle gefallen sind und sich weniger<br />

als „Schiedsrichter“, sondern<br />

mehr als „Mentoren“ verstanden<br />

haben, die im Dialog mit den lokalen<br />

Fachverantwortlichen nach<br />

den besten Lösungen für Studienkonzepte<br />

suchen. Diese Fälle sind<br />

aber eher der Zufälligkeit einer<br />

konkreten Personenkonstellation<br />

geschuldet und im Akkreditierungssystem<br />

gar nicht vorgesehen.<br />

Ein weiteres zentrales Motiv der<br />

aktuellen Studienreformdiskussion<br />

ist das lebenslange Lernen,<br />

vielfach Angebote wissenschaftlicher<br />

Weiterbildung. Weiterbildende<br />

Studiengänge sind deshalb<br />

auch Bestandteil der KMK-Strukturvorgaben<br />

und damit Gegenstand<br />

des Akkreditierungssystems.<br />

Dieses tut sich aber aus mehreren<br />

Gründen schwer mit dem besonderen<br />

Profil der neuen Studiengänge.<br />

Einerseits liegt das daran, dass die<br />

KMK ausschließlich weiterbildende<br />

Masterstudiengänge im Blick<br />

hat und übersieht, dass für viele<br />

Berufstätige bereits das Erststudium<br />

(und somit der Bachelor) ein<br />

weiterbildendes Studium bedeutet.<br />

Darauf haben sich einige<br />

Hochschulen bereits eingestellt<br />

und bieten in Einzelfällen berufsbegleitende<br />

(Teilzeit-) Studiengänge<br />

mit Bachelorabschluss an. Ein<br />

zentrales Problem ist allerdings,<br />

dass diese Angebote die vielfältigen<br />

Vorgaben zum Qualifikationsniveau,<br />

Studienvolumen und Prüfungssystem<br />

kaum erfüllen können.<br />

Denn diese sind weitgehend<br />

am traditionellen und vollständig<br />

anachronistischen Konzept des<br />

Vollzeit- und Erststudiums ausgerichtet,<br />

das die heutige Studienrealität<br />

mit Job und Familie nicht angemessen<br />

abbildet. Gleiches gilt<br />

übrigens auch für die meisten Masterstudiengänge.<br />

Für weiterbilden-<br />

de Studiengänge ist in der Konsequenz<br />

das an den Erfordernissen<br />

des Erststudiums ausgerichtete Akkreditierungssiegel<br />

nur schwer zu<br />

erreichen. Die KMK sollte deshalb<br />

dem besonderen Profilanspruch<br />

weiterbildender Studiengänge gerecht<br />

werden und ihre Strukturvorgaben<br />

entsprechend modifizieren.<br />

Erwartungen enttäuscht<br />

Insgesamt hat das Akkreditierungssystem<br />

in den bald zehn Jahren<br />

seines Bestehens viele Erwartungen<br />

enttäuscht. Es hat sich herausgestellt,<br />

dass die Beteiligung<br />

an übergeordneten hochschulpolitischen<br />

Gremien – vom Hochschulrat<br />

bis zur Gutachtergruppe<br />

in Akkreditierungsverfahren – die<br />

lokalen Diskussionen und Auseinandersetzungen<br />

um Ansätze qualitativer<br />

Studienreform allenfalls ergänzen,<br />

aber nicht ersetzen kann.<br />

Gewerkschafts- und Studierendenvertreter<br />

sollten deshalb neue Weg<br />

gehen und sich im Ringen um die<br />

besten Ansätze in den Hochschulen<br />

Gehör verschaffen. Die Akkreditierung<br />

von Studiengängen soll<br />

durch die Begutachtung der gesamten<br />

Institution Hochschule im<br />

Rahmen einer Systemakkreditierung<br />

ergänzt werden. Damit wird<br />

der gewerkschaftliche und studentische<br />

Einfluss noch viel wichtiger<br />

werden. Denn wenn sich der Betrachtungsfokus<br />

verschiebt, verringert<br />

das auch den Handlungsspielraum<br />

der einzelnen Gutachter,<br />

konkrete Studienbedingungen<br />

zu verbessern. Umso wichtiger<br />

werden die Reforminitiativen vor<br />

Ort, die aber mit der schrittweisen<br />

Schwächung der demokratischen<br />

Gremien kaum noch ein geeignetes<br />

Artikulationsforum finden. Ein<br />

Ausweg aus diesem Dilemma ist<br />

derzeit nicht absehbar – und wohl<br />

kaum auf dem Feld der Qualitätssicherung<br />

zu finden.<br />

Ulf Banscherus, Mitglied des<br />

Graduiertenkollegs „Lebenslanges<br />

Lernen“ der Hans-Böckler-Stiftung<br />

an der TU Dresden, von 2005 bis<br />

2007 studentischer Vertreter<br />

im Akkreditierungsrat<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 17


„Gute Lehre muss<br />

sich lohnen“, sagt<br />

<strong>GEW</strong>-Hochschulexperte<br />

Andreas<br />

Keller.<br />

Das Positionspapier<br />

„Qualitätsoffensive für<br />

gute Hochschullehre“<br />

der <strong>GEW</strong> ist im Internet<br />

abzurufen unter:<br />

www.gew.de/<strong>GEW</strong>_<br />

Gute_Lehre_ist_ein_<br />

Job_fuer_Profis.html<br />

Ein Job für Profis<br />

Im vierten Anlauf hat der Wissenschaftsrat<br />

(WR) im Juli „Empfehlungen<br />

zur Qualität von Lehre und Studium“<br />

vorgelegt. Ihm ist die <strong>GEW</strong><br />

mit einem Positionspapier für eine<br />

„Qualitätsoffensive für gute Hochschullehre“<br />

zuvorgekommen, das die<br />

Bildungsgewerkschaft unter dem Motto<br />

„Die Lehre in den Mittelpunkt“ in<br />

Fulda verabschiedet hat.<br />

Eins vorweg: Die Debatte um<br />

die Qualität der Hochschullehre<br />

eignet sich nicht für ein<br />

Ablenkungsmanöver. Ein wesentlicher<br />

Grund für zu hohe<br />

Studienabbrecherquoten und<br />

zu lange Studienzeiten ist die anhaltende<br />

Unterfinanzierung der Hochschulen.<br />

Für den Ausbau der Studienplätze<br />

benötigen Universitäten und Fachhochschulen<br />

nach Angaben der Hochschulrektorenkonferenz<br />

(HRK) jährlich zusätzlich<br />

2,6 Milliarden Euro, für die Verbesserung<br />

der Lehre laut WR weitere 1,1<br />

Milliarden Euro.<br />

Mehr als überfällige Debatte<br />

Gleichwohl ist die Debatte um die Qualität<br />

der Lehre mehr als überfällig. Nicht<br />

wer im Hörsaal brilliert, sondern wer<br />

möglichst viele Publikationen mit hohem<br />

„Impact-Faktor“ (dieser gibt an,<br />

18 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Plädoyer für eine „Qualitätsoffensive für gute Hochschullehre“<br />

wie häufig eine wissenschaftliche Zeitschrift<br />

in der Fachliteratur zitiert wird –<br />

Anm. d. Red.) vorlegt, macht an unseren<br />

Hochschulen heute Karriere. Die<br />

neu gekürten „Exzellenzuniversitäten“<br />

verdanken ihren Titel ausschließlich der<br />

Forschung – ob sie auch gute Lehre für<br />

ihre Studierenden leisten, spielte bei ihrer<br />

Kür keine Rolle. Mit dieser einseitigen<br />

Ausrichtung der Wissenschaftspolitik<br />

an der Forschung muss Schluss sein.<br />

Gute Lehre muss sich lohnen – wir brauchen<br />

eine strukturelle Verankerung von<br />

Anreizen im Hochschulfinanzierungssystem.<br />

Orientierung an Studierenden<br />

Die Lehre gehört in den Mittelpunkt der<br />

Hochschulen, die Studierenden ins<br />

Zentrum der Hochschullehre! Struktur<br />

von Studiengängen und Hochschuldidaktik<br />

dürfen sich nicht länger am Stoff<br />

orientieren, den die Lehrenden in den<br />

Lernprozess einspeisen, sondern an den<br />

Lernergebnissen der Studierenden. Wir<br />

brauchen eine „studierendenzentrierte<br />

Lehre“, in deren Mittelpunkt der Kompetenzerwerb<br />

steht, den die Studierenden<br />

für ihre künftige berufliche und gesellschaftliche<br />

Praxis benötigen – auch<br />

um später den Berufsalltag kritisch reflektieren<br />

zu können.<br />

Doch das lässt sich nicht mit Methoden<br />

des 19. Jahrhunderts verwirklichen. Das<br />

einseitige Sender-Empfänger-Format,<br />

wie wir es aus vielen traditionellen Vorlesungen<br />

kennen, ist seit Erfindung der<br />

Buchdruckerkunst überholt. Wenn das<br />

Studium ein Prozess ist, in dem sich Studierende<br />

Wissen und Kompetenzen aktiv<br />

aneignen, müssen diesem auch innovative<br />

Lehr- und Lernformen Rechnung<br />

tragen – etwa:<br />

● problemorientiertes Lernen als Voraussetzung<br />

dafür, Studium und Lehre<br />

an den in der Praxis benötigten Kompetenzen<br />

auszurichten;<br />

● Projektstudium, um über die scharfe<br />

Abgrenzung von Lehrveranstaltungen<br />

und Semestern hinaus die eigenständige<br />

Problemlösung im Team zu vermitteln;<br />

● forschendes Lernen, um die Studierenden<br />

frühzeitig an die eigenständige<br />

Gestaltung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses<br />

heranzuführen.<br />

Was im Einzelnen gute Lehre ist, kann<br />

nicht einseitig bestimmt werden – weder<br />

von der Kultusbürokratie noch von<br />

Fachvertretern an den Universitäten.<br />

Sie ist vielmehr das Ergebnis eines Prozesses,<br />

in den unterschiedliche Perspektiven<br />

einfließen müssen: die der<br />

Lernenden ebenso wie die der Lehrenden,<br />

die der beruflichen Praxis wie die<br />

der Wissenschaft, als Berufspraxisvertreter<br />

die der Gewerkschaften wie die<br />

der Arbeitgeber. Die <strong>GEW</strong> versteht<br />

Studienreform und Qualitätssicherung<br />

des Studiums als Aushandlungspro-


zess, in dem unterschiedliche<br />

Sichtweisen und Interessen ausgeglichen<br />

werden.<br />

Lehrkompetenz erwerben<br />

Gute Lehre ist ein Job für Profis.<br />

Doch niemand kommt als guter<br />

Hochschullehrer auf die Welt –<br />

und eine glänzende Forscherin ist<br />

nicht automatisch eine geeignete<br />

Lehrerin. Kompetenz in der Lehre<br />

kann und muss daher erworben<br />

werden – wenn die Hochschulen<br />

nicht nur in der Forschung exzellent<br />

sein wollen. Vermittlung und<br />

Entwicklung von Lehrbefähigung<br />

sollten deshalb wie die Forschung<br />

von Anfang an Gegenstand wissenschaftlicher<br />

Aus- und Weiterbildung<br />

sein. Die Bildungsgewerkschaft<br />

fordert eine „Qualitätsoffensive<br />

für gute Hochschullehre“:<br />

● Wir brauchen einen „Hochschulpakt<br />

II“, der nicht nur den geburtenstarken<br />

Jahrgängen der<br />

1990er-Jahre eine faire Ausbildungschance<br />

gibt, sondern so viele<br />

Studienplätze schafft, dass der Anteil<br />

eines Altersjahrgangs, der ein<br />

Studium aufnimmt, von derzeit<br />

35 auf mindestens 40 Prozent ansteigt.<br />

Mittelfristig sollte auch<br />

Deutschland eine Studienanfängerquote<br />

von 55 Prozent (OECD-<br />

Durchschnitt) erreichen. Mit einer<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

GUTE LEHRE<br />

zusätzlichen Qualitätskomponente<br />

hat der „Hochschulpakt II“ für<br />

die vom WR empfohlene Verbesserung<br />

des Betreuungsverhältnisses<br />

zu sorgen.<br />

● Dem von der Kultusministerkonferenz<br />

(KMK) prognostizierten<br />

„Studentenberg“ darf nicht<br />

mit unterbezahlten Lehrknechten<br />

und -mägden begegnet werden –<br />

Exzellenz in der Lehre und Prekarisierung<br />

von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungenvertragen<br />

sich nicht. Überall dort, wo<br />

heute scheinselbstständige Lehrbeauftragte<br />

faktisch kontinuierlich<br />

Lehraufgaben wahrnehmen,<br />

müssen reguläre Beschäftigungsverhältnisse<br />

geschaffen werden.<br />

● Für <strong>GEW</strong>-Mitglieder ist der<br />

Grundsatz des lebensbegleitenden<br />

Lernens Teil ihres beruflichen<br />

Selbstverständnisses – dies gilt für<br />

Lehrende an Hochschulen und<br />

Schulen ebenso wie für Erzieherinnen<br />

und Weiterbildner. Selbstbildung,<br />

kollegiale und professionelle<br />

Weiterbildung sind zentral für<br />

die Entwicklung der Hochschullehre.<br />

Wir erwarten aber im Gegenzug<br />

von den Hochschulen,<br />

dass sie für ein ausreichendes Fortund<br />

Weiterbildungsangebot sorgen,<br />

in dem Lehrkompetenzen<br />

entwickelt und vermittelt werden.<br />

Die Hochschulen müssen ihre<br />

Rolle als Arbeitgeber ernst nehmen<br />

und die Lehre als eine ihrer<br />

Hauptaufgaben zum Dreh- und<br />

Angelpunkt ihrer Personalentwicklung<br />

machen. Die <strong>GEW</strong>-Kolleginnen<br />

und -Kollegen in den Personalräten<br />

sind bereit, dabei konstruktiv<br />

mitzuwirken.<br />

● Die Bildungsgewerkschaft<br />

schlägt vor, analog zur Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft (DFG),<br />

eine Deutsche Lehrgemeinschaft<br />

(DLG) einzurichten, die innovative<br />

Lehr- und Lernformen durch<br />

die Vergabe von Drittmitteln für<br />

die Lehre fördert. Die DLG sollte<br />

gemeinsam von Hochschulen,<br />

Lehrenden und Studierenden verwaltet<br />

und von Bund und Ländern<br />

finanziert werden. Bei der Vergabe<br />

der Drittmittel für die Lehre sollten<br />

die Studierenden als originäre<br />

Expertinnen und Experten für<br />

gute Lehre ein paritätisches Mitbestimmungsrecht<br />

erhalten.<br />

Andreas Keller, Leiter des<br />

<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs<br />

Hochschule und Forschung<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 19


BILDUNGSPOLITIK<br />

Die OECD kritisiert,<br />

dass<br />

Deutschland zu<br />

wenig in die<br />

Ausbildung der<br />

Zuwanderer und<br />

ihres Nachwuchses<br />

investiert.<br />

Es kommt keiner mehr<br />

20 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

OECD-Bericht „Migrationsausblick“ <strong>2008</strong><br />

Die Zahl der Zuwanderer geht in<br />

Deutschland zurück. Das stellt die Organisation<br />

für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

und Entwicklung (OECD)<br />

in ihrem aktuellen Migrationsausblick<br />

fest. Die Bildungsgewerkschaft erwartet<br />

deshalb von der Politik „erheblich<br />

mehr Anstrengungen“, Einwanderung<br />

zu erleichtern und Integration zu<br />

verbessern.<br />

Erinnert sich noch jemand?<br />

Vier Jahre ist es her, dass der<br />

damalige Bundesinnenminister<br />

Otto Schily (SPD) stolz<br />

als Erfolg verkündete: Mit<br />

Beginn des Jahres 2005 träte<br />

in Deutschland das „modernste Zuwanderungsrecht<br />

Europas“ in Kraft.<br />

Mit Blick auf den aktuellen von der<br />

OECD vorgelegten „Internationalen<br />

Migrationsausblick“ („Migration Out-<br />

look“) darf man wohl attestieren: Modern<br />

ist demnach, wenn keiner kommt.<br />

Im Vergleich zum Durchschnitt der Industriestaaten<br />

fällt Deutschland bei der<br />

Zuwanderung immer weiter zurück.<br />

2006 ließen sich noch 216 000 Menschen<br />

aus anderen Ländern in der Bundesrepublik<br />

nieder, 30 000 oder elf Prozent<br />

weniger als im Jahr zuvor. Auf dem<br />

gesamten Gebiet der 30 weltweit führenden<br />

Industriestaaten stieg die Zahl<br />

der Einwanderer in der gleichen Zeit<br />

um fünf Prozent.<br />

Weniger Zuzüge als Deutschland – im<br />

Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl – verzeichneten<br />

lediglich Japan, Portugal,<br />

Finnland und Frankreich. Zuwanderung<br />

nach Deutschland sei „von einem<br />

vergleichsweise niedrigen Niveau noch<br />

weiter gefallen“, kommentierte die<br />

OECD.<br />

Dass sich der Trend als kurzsichtig entpuppen<br />

dürfte, demonstriert eine weitere<br />

Rechnung: Wenn es so weitergeht,<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

leben in Deutschland bereits in zwölf<br />

Jahren 2,5 Prozent weniger erwerbsfähige<br />

Bewohner als heute. In 20 von 27<br />

OECD-Staaten wird die Erwerbsbevölkerung<br />

in der gleichen Zeit voraussichtlich<br />

weiter wachsen.<br />

Mehr Saisonarbeiter<br />

Gezählt werden für den jährlichen Bericht<br />

allerdings nur Menschen, die sich<br />

dauerhaft niederlassen. Separat betrachtet<br />

werden jene, die nur für kurze Zeit<br />

kommen: Und da ist Deutschland, wie<br />

in den besten Zeiten der Anwerbung<br />

weitgehend rechtloser „Gastarbeiter“<br />

vor 50 Jahren, Spitze: Mit 380.000 Saison-<br />

und Zeitarbeitern kamen 2006 fast<br />

doppelt so viele wie im OECD-Schnitt.<br />

Das Prinzip, ständig Menschen vor der<br />

Spargelernte oder bei anderen Personalengpässen<br />

ein- und kurze Zeit später<br />

wieder ausreisen zu lassen, bezeichnete<br />

OECD-Generalsekretär Angel Gurría<br />

„als weder effizient noch praktikabel“.<br />

Effizient wäre nach Ansicht der OECD,<br />

Zuwanderer so auszubilden, dass Arbeitgeber<br />

dauerhaft auf erfahrenes Personal<br />

zugreifen können. Das allerdings<br />

koste Geld. Dass in Deutschland weniger<br />

Mittel als in anderen Staaten in Bildung<br />

im Allgemeinen und in die Förderung<br />

von Kindern und Jugendlichen aus<br />

Migrantenfamilien im Speziellen investiert<br />

wird, belegen die einschlägigen<br />

Bildungsstudien der OECD (s. PISA-<br />

Studien 2000, 2003, 2006) ebenfalls.<br />

„Unterkühlte Migrationspolitik“<br />

Die <strong>GEW</strong> forderte anlässlich des Berichts<br />

eine „fremdenfreundliche Einwanderungspolitik“.<br />

Die „unterkühlte<br />

und mit Ängsten besetzte Migrationspolitik“<br />

habe Deutschland im Wettbewerb<br />

um qualifizierte Arbeitskräfte<br />

deutlich ins Hintertreffen gebracht, erklärte<br />

die Leiterin des <strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs<br />

Schule, Marianne Demmer.<br />

Zu den geforderten Signalen für eine<br />

offene Gesellschaft gehören demnach:<br />

die (Wieder-)Einführung der doppelten<br />

Staatsangehörigkeit ebenso wie die unbürokratische<br />

Anerkennung im Ausland<br />

erworbener Schulabschlüsse und<br />

Diplome. Außerdem sei es an der Zeit,<br />

Menschen ohne Papiere zu legalisieren<br />

und auch Flüchtlingen die Einbürgerung<br />

anzubieten.<br />

Jeannette Goddar, freie Journalistin


BILDUNGSPOLITIK<br />

Mehr Metzger statt mehr Ingenieure?<br />

Die Hiobsbotschaft des OECD-Berichts<br />

„Bildung auf einen Blick“<br />

<strong>2008</strong> kam passend zum Bildungsgipfel<br />

der Kanzlerin am 22. <strong>Oktober</strong> in<br />

Dresden. Der von Angela Merkel<br />

(CDU) ausgerufenen „Bildungsrepublik<br />

Deutschland“ gehen die Akademiker<br />

aus. Das Land der Dichter und<br />

Denker kann mit seinem Bildungssystem<br />

den Nachwuchsbedarf an hochqualifizierten<br />

Fachkräften nicht selbst<br />

decken.<br />

Dabei gleichen sich seit vielen<br />

Jahren die turnusgemäß<br />

vorgelegten Bildungsberichte<br />

der Organisation<br />

für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit und Entwicklung<br />

(OECD) – ohne dass die deutsche<br />

Bildungspolitik bisher ernsthaft zu<br />

grundlegenden Konsequenzen bereit<br />

war: zu wenig Abiturienten und Studierende,<br />

zu wenig erfolgreiche Hochschulabsolventen<br />

– dafür aber zu viele<br />

22 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“: Deutschland bildet zu wenig Akademiker aus<br />

Abbrecher in Schulen, Hochschulen<br />

und auch in der beruflichen Bildung. Es<br />

fehlt an Chancengleichheit für Migrantenkinder<br />

wie für Schüler aus armen<br />

und bildungsfernen Elternhäusern.<br />

Auch in diesem Jahr fällt der internationale<br />

OECD-Leistungsvergleich der Bildungssysteme<br />

der 30 wichtigsten Industriestaaten<br />

für Deutschland nicht<br />

schmeichelhaft aus. Und selbst bei der<br />

bisherigen deutschen Paradedisziplin,<br />

der hohen Promotionsquote, ist der Anteil<br />

gegenüber dem Vorjahr – entgegen<br />

dem OECD-Trend – leicht gesunken.<br />

Während 2005 in Deutschland 5,1 Prozent<br />

des Brutto-Inlands-Produktes (BIP)<br />

für die Finanzierung von Bildung ausgegeben<br />

wurde, waren dies im Schnitt der<br />

anderen OECD-Industrienationen 6,1<br />

Prozent. Zugleich sind in den vergangenen<br />

Jahren in Deutschland, anders als in<br />

den meisten OECD-Staaten, die Bildungsausgaben<br />

langsamer gewachsen<br />

als die öffentlichen Ausgaben insgesamt.<br />

Stieg zwischen 2000 und 2005<br />

der Anteil der Bildungsausgaben im<br />

OECD-Schnitt von 12,8 Prozent auf<br />

Cartoon: Thomas Plaßmann<br />

13,2 Prozent der Gesamtausgaben des<br />

Staates, ist er in der Bundesrepublik von<br />

9,9 auf 9,7 Prozent gesunken. Das heißt:<br />

Die deutsche Haushaltspolitik setzt bisher<br />

keine Priorität zu Gunsten der Bildung.<br />

Dabei wächst weltweit „der Hunger<br />

nach Wissen“: In allen Industrienationen<br />

gibt es einen Trend zur Höherqualifizierung<br />

und zu mehr akademischen<br />

Abschlüssen. Der Anteil junger Menschen,<br />

die ein Studium an einer Universität<br />

oder Fachhochschule aufnehmen,<br />

ist zwischen 2003 und 2006 von 53<br />

Prozent auf 56 Prozent gestiegen. In<br />

Deutschland ging er dagegen im gleichen<br />

Zeitraum von 37 auf 35 Prozent<br />

zurück. Die Hoffnung der deutschen<br />

Bildungspolitiker, durch die neuen Bachelor-<br />

und Masterstudiengänge mehr<br />

junge Menschen für ein Studium zu gewinnen,<br />

hat sich als Trugschluss erwiesen.<br />

Studiengebühren und die geringen<br />

Chancen, während des fachlich oft<br />

überfrachteten Bachelor-Studiums ein<br />

wenig nebenher jobben zu können, hinterlassen<br />

ihre Spuren. Hinzu kommen<br />

ein immer schärfer gewordener örtlicher<br />

Numerus Clausus und das bekannte Zulassungschaos<br />

in den Mangelstudienfächern<br />

nach der politisch gewollten<br />

Zerschlagung der Dortmunder Zentralstelle<br />

für die Studienplatzvergabe<br />

(ZVS).<br />

Konservative wehren ab<br />

Doch das konservative Lager reagiert<br />

auf die erneute OECD-Mahnung wie<br />

immer abwehrend – als gäbe es weder<br />

einen Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern,<br />

noch an Lehrkräften,<br />

Ärzten oder anderen akademisch<br />

ausgebildeten Fachkräften. Für Bayerns<br />

Wissenschaftsminister Thomas Goppel<br />

(CSU) wie auch für den Philologenverband<br />

ist die deutsche Bildungswelt<br />

nach wie vor in Ordnung – wenn doch<br />

nur die OECD endlich in ihren Statistiken<br />

die Ausbildungsleistung des dualen<br />

Systems der betrieblichen Berufsausbildung<br />

gebührender herausstellen würde.<br />

Ihre Vorstellung: Das Gymnasium wie<br />

auch die Universitäten in Deutschland<br />

sollen weiterhin nur einer kleinen Elite<br />

vorbehalten sein – einschließlich der<br />

eigenen Kinder versteht sich. Doch<br />

will der Philologenverband tatsächlich<br />

den fehlenden Pädagogen-Nachwuchs<br />

künftig durch eine „Überproduktion“


von Bäckern, Metzgern und Malern in<br />

der beruflichen Ausbildung kompensieren?<br />

Kein Heilmittel<br />

Zumindest ist bei den Organisatoren<br />

des Bildungsgipfels im Kanzleramt inzwischen<br />

die Botschaft angekommen,<br />

dass die ständigen Hinweise der konservativen<br />

Seite auf das hohe Niveau der<br />

betrieblichen Berufsausbildung allein<br />

kein Heilmittel gegen den zunehmenden<br />

Akademikermangel sind. Die sinkende<br />

Studienneigung unter den jungen<br />

Menschen mit Hochschulreife soll<br />

beim Bildungsgipfel thematisiert werden.<br />

Vorsichtig räumen derzeit auch hohe<br />

Regierungsvertreter ein, dass vor<br />

allem einige unionsgeführte Flächenländer<br />

im Westen Nachholbedarf beim<br />

Studienplatzausbau haben.<br />

Die Bildungsexperten der OECD-Wirtschaftsorganisation<br />

verweisen zudem<br />

darauf, dass das duale System seinen<br />

früheren Vorteil eingebüßt hat, für einen<br />

reibungslosen Übergang der jungen<br />

Menschen ins Berufsleben zu sorgen.<br />

Heute gibt es unter den 25- bis 29-jährigen<br />

Deutschen mehr junge Menschen<br />

ohne Beschäftigung oder Ausbildung<br />

als im Schnitt in den anderen EU-Staaten.<br />

Kaum Aussicht auf Besserung<br />

Auch bei der früher immer wieder von<br />

deutscher Seite stolz angeführten Bilanz<br />

der Sek II-Abschlüsse (Hochschulzulassung<br />

oder abgeschlossene berufliche<br />

Ausbildung) fällt die Bundesrepublik<br />

seit Neuerem im EU-Vergleich stark<br />

zurück. Der Sek II-Abschluss gilt inzwischen<br />

bei den EU-Strategen in Brüssel<br />

als Mindest-Basisqualifikation für späteren<br />

beruflichen Erfolg.<br />

Wer die kritische Bilanz des neuen<br />

OECD-Bildungsberichtes mit den Vorbereitungspapieren<br />

des Bildungsgipfels<br />

in Dresden vergleicht, findet wenig Aussicht<br />

auf Besserung. Es ist richtig, die<br />

Hochschulen für Berufstätige auch ohne<br />

Abitur zu öffnen, um ihnen Weiterbildung<br />

oder nachträglich ein Vollstudium<br />

zu ermöglichen. Wenn sich die Quote<br />

der Hochschulabsolventen wirklich erhöhen<br />

soll, muss man jedoch früher ansetzen<br />

und etwa die in vielen Bundesländern<br />

künstlich hoch gehaltenen Hürden<br />

beim Übergang von der Sekundarstufe I<br />

in die gymnasiale Oberstufe abbauen.<br />

Auch passt es nicht zusammen, wenn<br />

Kultusminister auf der einen Seite die<br />

zurückgehende Studierneigung der Abiturienten<br />

beklagen, gleichzeitig aber an<br />

Gebühren festhalten.<br />

Karlheinz Rosenzweig, Bildungsjournalist<br />

Bildungsrepublik Deutschland?<br />

Kommentar zum OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“<br />

Deutschland eine „Bildungsrepublik“?<br />

Mitnichten. Mangelt es doch<br />

hierzulande ganz offensichtlich<br />

an akademischem<br />

Nachwuchs.<br />

Das hat der aktuelle<br />

OECD-Bericht „Bildung<br />

auf einen Blick“<br />

erneut bestätigt: zu wenig<br />

Abiturienten, zu<br />

wenig Studierende –<br />

und zu wenige absolvieren<br />

ihr Studium mit<br />

Erfolg (s. Seite 22).<br />

Dennoch hält die Kultusministerkonferenz<br />

Ulrich Thöne<br />

(KMK) weiterhin an<br />

den Grundfesten eines inhumanen<br />

Auslesesystems, das vielen jungen<br />

Menschen den Weg an die Hochschule<br />

versperrt, fest. Die Politik ignoriert<br />

weiterhin, dass viele Kinder und Jugendliche<br />

ausgesondert werden. Nahezu<br />

90 Prozent der Studierenden<br />

stammen aus bildungsbürgerlichen<br />

Schichten. Kinder aus Migrantenfamilien<br />

und bildungsfer-<br />

❞ Will Deutschland<br />

Bildungsrepublik<br />

werden, muss sich<br />

noch vieles ändern –<br />

vor allem in den<br />

Köpfen der<br />

Kultus- und Finanzminister.❝<br />

nen Milieus haben nach<br />

wie vor kaum eine<br />

Chance. Ihnen wird<br />

nach wie vor viel zu wenig<br />

Förderung zuteil.<br />

Von Chancengleichheit<br />

ist das deutsche Bildungssystem<br />

daher weit<br />

entfernt. Bildung bleibt<br />

in Deutschland ein exklusives<br />

Gut, private<br />

Schulen und Hochschulen boomen<br />

und die Idee der Elite lebt weiter.<br />

Wer die Zahl der Studierfähigen erhöhen<br />

und zugleich die der Schulabbrecher<br />

glaubhaft senken will, muss<br />

an Strukturen rütteln, muss weg von<br />

einem hoch selektiven hin zu einem<br />

inklusiven Bildungssystem, in dem alle<br />

Kinder individuell gefördert werden<br />

können. Das wäre ein Qualitätssiegel<br />

für gute Bildung.<br />

Offenkundig ist nach OECD-Angaben<br />

ebenfalls, dass Deutschland viel<br />

zu wenig Geld in die Bildung investiert<br />

im Vergleich zu anderen OECD-<br />

Ländern (nur 5,1 Prozent des Brutto-<br />

Inlands-Produkts [BIP], s. Seite 22).<br />

„Deutschland spart sich dumm“, titelte<br />

die taz daher zu Recht. Bund, Länder<br />

und Gemeinden geben jährlich in<br />

Relation zum Schnitt vergleichbarer<br />

OECD-Staaten etwa 30 bis 35 Milliarden<br />

Euro weniger<br />

für die Bildung aus.<br />

Dennoch erlauben wir<br />

uns bei der Föderalismusreform<br />

II eine Debatte<br />

über die Neuordnung<br />

der Finanzverfassung<br />

zwischen Bund<br />

und Ländern, die eine<br />

ausreichende<br />

Bildungsfinanzierung<br />

Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />

bisher überhaupt nicht<br />

auf der Agenda hat.<br />

Medienereignisse wie<br />

der „Bildungsgipfel“<br />

werden Worthülsen und bleiben folgenlos,<br />

wenn wir nicht endlich verbindlich<br />

festlegen, mehr in Bildung<br />

zu investieren. Die Föderalismusreform<br />

II könnte deshalb ein wichtiger<br />

Ansatzpunkt sein, die Qualität<br />

von Bildung zu verbessern.<br />

Es gibt weitere: Der vorgeschlagene<br />

Hochschulpakt II darf den Studentenberg<br />

„nicht untertun-<br />

neln“, sondern muss ihn<br />

„erklimmen“. Wer wie die<br />

KMK statt derzeit zwei<br />

Millionen 2014 2,7 Millionen<br />

junge Menschen an<br />

den Hochschulen ausbilden<br />

will, muss zusätzliche<br />

personelle und räumliche<br />

Kapazitäten bereitstellen.<br />

Damit mehr Abiturienten<br />

studieren können, brauchen<br />

wir auch eine einheitliche elternunabhängigeAusbildungsförderung.<br />

Diese ließe sich beispielsweise<br />

über ausbildungsbezogene Leistungen<br />

des Familienlastenausgleichs finanzieren.<br />

Außerdem muss es auch in<br />

Deutschland möglich sein, den<br />

Hochschulzugang mit einem qualifizierten<br />

Berufsabschluss zu erwerben.<br />

Und schließlich: Studien-, Kita- und<br />

Weiterbildungsgebühren sind weitere<br />

Bildungsbarrieren. Sie entpuppen<br />

sich als Instrumente einer Fehlsteuerung<br />

des Bildungssystems. So kann<br />

aus Deutschland keine Bildungsrepublik<br />

werden. Will sie sich aber zu einer<br />

entwickeln, muss sich noch vieles ändern<br />

– vor allem in den Köpfen der<br />

Kultus- und Finanzminister.<br />

Ulrich Thöne, <strong>GEW</strong>-Vorsitzender<br />

BILDUNGSPOLITIK<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 23


BILDUNGSPOLITIK<br />

Ute Erdsiek-Rave<br />

(SPD), Ministerin<br />

für Bildung und<br />

Frauen in Schleswig-Holstein<br />

Matthias Heidn,<br />

<strong>GEW</strong>-LandesvorsitzenderSchleswig-Holstein<br />

Buchtipp:<br />

Christel Jungmann: „Die<br />

Gemeinschaftsschule.<br />

Konzept und Erfolg<br />

eines Schulmodells“,<br />

Waxmann-Verlag,<br />

Münster, September<br />

<strong>2008</strong>.<br />

Foto: imago<br />

Foto: <strong>GEW</strong> LV<br />

Graswurzelrevolution<br />

24 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein – ländliches Erfolgsmodell<br />

Als die schleswig-holsteinische Landesregierung<br />

aufgrund des Geburtenrückgangs<br />

2007 beschloss, Gemeinschafts-<br />

und Regionalschulen einzuführen,<br />

brauste ein Sturm der Entrüstung<br />

durch das Land zwischen den<br />

Meeren (s. E&W 4/2007). Knapp<br />

zwei Jahre nachdem die heiß diskutierte<br />

Schulreform von der CDU/SPD-<br />

Koalition verabschiedet wurde, kehrt<br />

zumindest in ländlichen Regionen<br />

Ruhe ein.<br />

Eltern, aber auch die CDU haben<br />

begriffen, dass Gemeinschaftsschulen<br />

ein qualifiziertes<br />

Angebot sind – gerade in<br />

ländlichen Gebieten“, sagt Joachim<br />

Lohmann. Der frühere<br />

Bundesvorsitzende der Gemeinnützigen<br />

Gesellschaft Gesamtschulen (GGG) hat<br />

Erstaunliches ermittelt: Anders als die 25<br />

Gesamtschulen, die überwiegend in<br />

größeren Kommunen angesiedelt sind,<br />

finden sich fast zwei Drittel der mittlerweile<br />

55 zugelassenen Gemeinschaftsschulen<br />

auf dem Land. Lohmanns Erklärung:<br />

„Die politische Rechte im ländlichen<br />

Raum erweist sich als aufgeschlossener<br />

als die der Städte, wo noch die<br />

schulpolitische Konfrontation nachwirkt.“<br />

Eltern orientieren sich<br />

Wenn sie die Wahl haben, orientieren<br />

sich städtische Eltern in der Regel am<br />

vermeintlichen „oben“: Besser sei es,<br />

das Kind geht zum Gymnasium als auf<br />

die Gemeinschaftsschule. Auf dem<br />

Land zwingt die demographische Entwicklung<br />

– anders gesagt: sinkende<br />

Schülerzahlen – die Schulträger zum<br />

Zusammenrücken: Für das dreigliedrige<br />

Schulsystem gibt es in ländlichen Gegenden<br />

Schleswig-Holsteins schlicht<br />

nicht mehr genug Kinder. Kommunalpolitiker<br />

vor Ort greifen deshalb immer<br />

öfter zur pragmatischen Lösung anstatt<br />

auf parteipolitischer Abwehrargumentation<br />

zu beharren.<br />

Spätestens 2010 werden Haupt- und<br />

Realschulen zu Regionalschulen zusammengelegt<br />

mit einer integrierten Orientierungsstufe<br />

für die Klassen 5 und 6 sowie<br />

einer anschließenden leistungs- und<br />

abschlussbezogenen Differenzierung<br />

für die 7. bis 9. bzw. 10. Klassenstufe. Alternativ<br />

können auf Antrag der Schulträger<br />

Gemeinschaftsschulen entstehen,<br />

die in der Sekundarstufe I mindestens<br />

300 Schüler dauerhaft aufnehmen sollen.<br />

Gemeinschaftsschulen können eine<br />

gymnasiale Oberstufe anbieten; Gymnasien<br />

bleiben als eigene Schulform<br />

aber weiterhin unangetastet. Sie können<br />

sich jedoch, wie in Burg auf Fehmarn, in<br />

eine Gemeinschaftsschule umwandeln.<br />

Zum Schuljahr <strong>2008</strong>/2009 sind 48 Gemeinschaftsschulen<br />

und 35 Regionalschulen<br />

gestartet. Bildungsministerin<br />

Ute Erdsiek-Rave (SPD) zeigt sich begeistert:<br />

„Wir haben in Schleswig-Holstein<br />

einen Durchbruch für größere Durchlässigkeit<br />

und längeres gemeinsames<br />

Lernen geschafft.“<br />

Im „Grundsatz gut“ findet das zwar auch<br />

die <strong>GEW</strong> in Schleswig-Holstein, aber<br />

von „schmückenden Wortgirlanden der<br />

Bildungsministerin“ will sie sich dann<br />

doch nicht einlullen lassen. Der Landesverband<br />

kritisiert allerdings die unterschiedliche<br />

Behandlung der Lehrkräfte,<br />

die aus verschiedenen Schulformen<br />

kommen und dann ein gemeinsames<br />

Kollegium an einer Gemeinschaftsschule<br />

bilden. „Es gibt ein Drei-Klassen-<br />

Recht für Hauptschul-, Realschul- und<br />

Gymnasiallehrer an den Gemeinschaftsschulen“,<br />

moniert der Landesvorsitzende<br />

Matthias Heidn. Die Unterrichtsverpflichtungen<br />

differierten zwischen 24,5<br />

und 27,5 Pflichtstunden; bei der Besoldung<br />

liege der Unterschied bei bis zu<br />

400 Euro – trotz gleicher Tätigkeit. Viele<br />

Lehrkräfte, weiß der <strong>GEW</strong>-Landesver-<br />

band, hätten deshalb ihrer Versetzung an<br />

Gemeinschaftsschulen widersprochen<br />

und damit gegen die unterschiedlichen<br />

Unterrichtsverpflichtungen protestiert –<br />

darunter auch viele Pädagoginnen und<br />

Pädagogen, die selbst Anhänger der<br />

Schulreform sind und sich an der Entwicklung<br />

der Gemeinschaftsschulen intensiv<br />

beteiligt hatten.<br />

Aber wie soll eine ambitionierte Reform<br />

mit einer mangelhaften personellen<br />

Ausstattung gelingen? Auch GGGler<br />

Lohmann kritisiert die Regelungen zu<br />

Arbeitszeit und Bezahlung. Ungeklärt<br />

sei zudem die Frage, wem bei fusionierenden<br />

Schulen die Leitung übertragen<br />

werde. Klar müsse sein: „Der Beste<br />

zählt.“ Unmut herrscht nach wie vor<br />

auch in den Kollegien der Gesamtschulen.<br />

Diese werden spätestens zum Schuljahr<br />

2010/2011 zu Gemeinschaftsschulen.<br />

So ist es angeordnet. „Viele Kolleginnen<br />

und Kollegen fühlen sich in ihrer<br />

Arbeit missachtet“, berichtet <strong>GEW</strong>-<br />

Geschäftsführer Bernd Schauer. „Die machen<br />

schließlich seit Jahren integrativen,<br />

gemeinsamen Unterricht!“ Trotz<br />

aller Bedenken: Ein Zurück zum mehrgliedrigen<br />

Schulsystem gibt es nicht<br />

mehr, selbst wenn sich die politischen<br />

Mehrheitsverhältnisse in Schleswig-<br />

Holstein ändern sollten. Der erste<br />

Schritt in Richtung längeres gemeinsames<br />

Lernen ist gelungen. „Und“, lacht<br />

Joachim Lohmann, „das ist ja das Verrückte<br />

an unserer Gesellschaft: Irgendwann<br />

wird die Gemeinschaftsschule<br />

ganz einfach Gemeinschaftsgymnasium<br />

heißen.“ Tina Fritsche, freie Journalistin<br />

Die ersten Schritte in Richtung Gemeinschaftsschule sind in Schleswig-Holstein gelungen.<br />

Der ländliche Raum erweist sich als aufgeschlossener als der städtische.<br />

Foto: dpa


Start! Zeitung für junge Lehrkräfte<br />

2/<strong>2008</strong><br />

Kein Auskommen mit dem Einkommen<br />

Willkommen im Prekariat des Schulalltags.<br />

Die Rede ist von Referendaren<br />

und jungen Lehrkräften, deren Start in<br />

den Beruf kaum ihre Existenz sichert.<br />

Eine Betroffene schlägt Alarm: Das<br />

Geld, das sie monatlich zur Verfügung<br />

habe, reiche hinten und vorne nicht,<br />

klagt die junge Frau in einem Internetforum.<br />

Sie fragt Forenmitglieder, was sie<br />

tun könne, damit am Ende des Monats<br />

kein fettes Minus mehr auf dem Konto<br />

steht. Die Forengemeinde weiß Rat:<br />

„Handy abschaffen“, „Haushaltsbuch<br />

führen“, „auf den Urlaub verzichten“.<br />

Was sich wie ein Auszug aus einem<br />

Webforum für Hartz-IV-Empfänger<br />

liest, ist in Wahrheit eine Debatte unter<br />

angehenden Lehrerinnen und Lehrern.<br />

Bernd N. kennt die Nöte der Referendare.<br />

Vor kurzem war er selbst noch einer.<br />

Zwei Jahre hat er an einer Berliner<br />

Grundschule unterrichtet. Rund 900<br />

Euro im Monat blieben ihm netto<br />

übrig. Zu wenig, wie er meint, weshalb<br />

ihm sein Vater finanziell unter die Arme<br />

greifen musste. „Natürlich weiß man<br />

vorher, dass man als Referendar kaum<br />

mehr Geld haben wird als während des<br />

Studiums“, sagt der Lehrer für Geschichte<br />

und Sozialkunde. Die zehn<br />

Stunden wöchentlicher Unterrichtsverpflichtung<br />

im Referendariat erschienen<br />

ihm auf den ersten Blick nicht wie ein<br />

Fulltime-Job, so dass er hoffte, nebenher<br />

etwas dazuverdienen zu können.<br />

Doch Bernd N. hatte sich getäuscht.<br />

„Die regelmäßigen Lehrproben und die<br />

tägliche Unterrichtsvorbereitung lassen<br />

einem dafür keine Zeit.“ Auch ist das<br />

Leben als angehender Junglehrer teurer<br />

als während des Studiums: keine Er-<br />

Während des<br />

Referendariats haben<br />

angehende Lehrkräfte<br />

noch nie üppig<br />

verdient. Aber statt<br />

etwas zu verbessern,<br />

wurden Ausbildungsvergütungenmehrfach<br />

gekürzt.<br />

Foto: David Ausserhofer


2<br />

Titelgeschichte<br />

Nützliche<br />

Internetlinks:<br />

www.<br />

referendar.de,<br />

www.tresselt.de/<br />

besoldung.htm<br />

Grundvergütung im Referendariat<br />

Die Höhe der Grundvergütung richtet sich nach dem Schultyp,in dem unterrichtet wird.In Bayern lag sie beispielsweise<br />

2007 zwischen 1021,78 Euro (Lehramt für Grund- und Hauptschule, Realschule) und 1083,62 Euro (Gymnasium). Zwischen<br />

den Bundesländern gibt es ebenfalls Unterschiede,auch wenn diese bislang zumindest in Westdeutschland marginal<br />

sind. In Baden-Württemberg etwa kann ein unverheirateter angehender Grundschullehrer derzeit mit 1063,57<br />

Euro brutto im Monat rechnen, 1020,79 Euro sind es in Bremen, 1001,98 Euro in Rheinland-Pfalz. Größere Differenzen<br />

gibt es zwischen West und Ost: In Brandenburg etwa erhalten unverheiratete Referendare ohne Kinder monatlich<br />

lediglich 931,38 Euro.Die Einstufung erfolgt anhand bundeseinheitlicher Besoldungstabellen,für Beschäftigte in einem<br />

Angestelltenverhältnis gelten nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) ähnliche Regelungen.<br />

Jürgen Amendt<br />

mäßigungen mehr beim Kino-Besuch,<br />

kein Studententicket für die öffentlichen<br />

Verkehrsmittel; dafür Mehrausgaben<br />

für Krankenversicherung.<br />

Vater Staat zahlt nicht gut<br />

Ähnliche Erfahrungen machte auch Petra<br />

R. Die angehende Lehrerin für Französisch<br />

und Englisch an einem Berliner<br />

Gymnasium weiß zwar, dass sie als Auszubildende<br />

keinen hohen Verdienst erwarten<br />

kann. Wie sie arbeiten viele Referendare<br />

aber bereits weitgehend selbstständig,<br />

tragen Verantwortung und haben<br />

ein Studium erfolgreich absolviert. „Dafür<br />

ist die Höhe der Vergütung definitiv nicht<br />

angemessen“, bemängelt Petra R.<br />

Auch sie kommt mit dem, was sie von<br />

Vater Staat bekommt, nicht aus. Deshalb<br />

steckt sie einen Teil ihres Erbes in die Ausbildung.<br />

Zwar würde sie mit einer gehörigen<br />

Portion Sparwillen so gerade über die<br />

Runden kommen, aber auf ein Leben in<br />

einem Zehn-Quadratmeter-WG-Zimmer<br />

mit Möbeln vom Flohmarkt hat die<br />

junge Frau keine Lust mehr.<br />

Nie besonders üppig<br />

„Die Ausbildungsvergütungen für Referendare<br />

waren noch nie besonders üppig,<br />

aber statt etwas zu verbessern, wurden<br />

sie mehrfach gekürzt“, sagt <strong>GEW</strong>-<br />

Vorstandsmitglied Ilse Schaad. „Nun<br />

kommt hinzu, dass die Länder jetzt auch<br />

bei den Referendaren unterschiedliche<br />

Beträge festlegen. In Zukunft werden die<br />

finanziellen Ungerechtigkeiten zunehmen“,<br />

befürchtet die Tarifexpertin.<br />

Petra R. hat noch ein halbes Schuljahr<br />

vor sich. Das, was danach kommt,<br />

macht ihr Angst. Denn bislang blieb<br />

vielen ausgebildeten Pädagoginnen und<br />

Pädagogen nur die Hoffnung auf eine<br />

Stelle im Vertretungspool der Berliner<br />

Senatsschulverwaltung. „In dieser ‚Lehrerfeuerwehr‘<br />

werden oft nur Halbtagsstellen<br />

angeboten und man verdient weniger<br />

als das, was man als Referendar erhalten<br />

hat“, kritisiert die Pädagogin.<br />

Große Pläne für die Zukunft kann man<br />

so nicht schmieden. „An die Gründung<br />

einer Familie ist kaum zu denken“, sagt<br />

Petra R. Viele frisch gebackene Lehrkräfte<br />

haben deshalb Berlin in den vergangenen<br />

Jahren den Rücken gekehrt.<br />

„Länder wie Hamburg und Baden-<br />

Württemberg locken schließlich mit<br />

deutlich besseren Konditionen“, beschreibt<br />

Ilse Schaad das Buhlen der Länder<br />

um pädagogische Fachkräfte (s.<br />

E&W 9/<strong>2008</strong>). Verantwortlich dafür, so<br />

Schaad, sei die Föderalismusreform I,<br />

die den Wettbewerb unter den Ländern<br />

noch verschärft hat.<br />

Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner<br />

(SPD) will jetzt die Notbremse ziehen<br />

und künftig Lehrerinnen und Lehrer<br />

mit Aussicht auf Verbeamtung in der<br />

Hauptstadt halten. Die <strong>GEW</strong>-Tarifexpertin<br />

sieht darin zwar Chancen für<br />

den pädagogischen Nachwuchs, kritisiert<br />

die Beschäftigungspolitik in der<br />

Hauptstadt aber insgesamt als konzeptionslos.<br />

Doch durch den zunehmenden<br />

Lehrermangel in vielen Bundesländern<br />

habe sich immerhin die Verhandlungsposition<br />

für die Junglehrkräfte<br />

verbessert. Zurzeit ist die Lage in<br />

der Hauptstadt jedoch eine andere:<br />

Ausgebildete Pädagogen werden lediglich<br />

als Angestellte beschäftigt – und<br />

das meist nur auf Zeit.<br />

Jürgen Amendt, Redakteur<br />

„Neues Deutschland“<br />

Einfach mal so nebenher kellnern –<br />

so unkompliziert ist es mit dem „Zubrot“ für<br />

angehende Lehrkräfte nicht.<br />

Nebenjob<br />

Die Nebentätigkeit ist gesetzlich geregelt:<br />

Es gilt die so genannte Fünftel-Regelung.<br />

Sie bedeutet, dass ein<br />

Fünftel der für Beamtinnen und Beamte<br />

festgelegten Arbeitszeit als Nebentätigkeit<br />

ausgeübt werden darf.<br />

Die Beamtenarbeitszeit liegt zwischen<br />

40 und 42 Stunden. Ein Fünftel<br />

von 40 wären acht Zeitstunden.<br />

Wenn in Nebentätigkeit unterrichtet<br />

wird, entspricht dies fünf Unterrichtsstunden.<br />

Foto: imago


Fit für die Klasse<br />

Unter dem Stichwort „Heißes Eisen<br />

aus dem Schulalltag“ beschäftigt sich<br />

Start mit Problemen, die Berufsanfängern<br />

unter die Haut gehen. Zum Beispiel,<br />

wenn sie zum ersten Mal alleine<br />

vor einer Klasse stehen und das<br />

„Chaos“ managen müssen.<br />

Natürlich gibt es mal Chaos. Gerade in<br />

den neunten Klassen, in denen die<br />

Schüler um die Wette pubertieren. Melanie<br />

Seibert kennt das. „Man bekommt<br />

einen kleinen Schweißausbruch und<br />

fragt sich: Was mach’ ich jetzt bloß?“<br />

Doch die Referendarin hat gelernt, damit<br />

umzugehen. „Am Anfang habe ich<br />

gedacht, mein Unterricht sei nicht gut.<br />

Inzwischen weiß ich, dass ich das nicht<br />

persönlich nehmen darf.“ Wie Melanie<br />

Seibert geht es vielen jungen Lehrkräften.<br />

Die meisten fühlen sich auf diese<br />

Situation durch das Studium nicht gut<br />

vorbereitet. Dabei gehört die Französischreferendarin<br />

am bilingualem Bonner<br />

Friedrich-Ebert-Gymnasium zu je-<br />

Foto: Jürgen Bindrim<br />

nen, die es kaum abwarten können,<br />

allein vor der Klasse zu stehen. Anderen<br />

dagegen macht die Aussicht, die<br />

Führung von zwei Dutzend Kindern<br />

übernehmen zu müssen, zunächst<br />

Angst. „Unsicher kommen sie mit ausgefeilten<br />

Unterrichtskonzepten ins Seminar,<br />

weil sie sich wie ein Konstrukteur<br />

fühlen, der sein selbstgebautes Gerät<br />

noch nie ausprobiert hat und nicht<br />

weiß, wie er es zum Laufen bringen<br />

kann“, sagt Ulrich Gospodar, Fachseminarleiter<br />

in Berlin Kreuzberg.<br />

Classroom-Management<br />

Klassenführung ist sowohl in der Ausund<br />

Fortbildung als auch in der Unterrichtsforschung<br />

immer noch ein vernachlässigtes<br />

Thema. Dabei lassen internationale<br />

Studien keinen Zweifel.<br />

„Classroom-Management ist der Knackpunkt<br />

für Unterrichtsqualität“, so Margit<br />

Maunz, Schulberaterin im Regierungspräsidium<br />

Tübingen. „Auch ein<br />

hervorragend vorbereiteter Unterricht<br />

scheitert, wenn die Klasse nicht mitzieht.“<br />

Fazit: ohne wirksame Klassenführung<br />

kein Unterrichtserfolg, weniger<br />

Leistungsfortschritt – und gestresste<br />

Lehrkräfte.<br />

Der Schulforscher Andreas Helmke von<br />

der Universität Koblenz-Landau versteht<br />

unter Klassenführung alle Maßnahmen,<br />

bei denen Schülerinnen und Schüler engagiert<br />

und konzentriert lernen können.<br />

Entscheidend für ein wirksames Classroom-Management<br />

ist laut Helmke:<br />

● ein solides Wissen in punkto Lehren,<br />

Lernen und Diagnostik;<br />

● die Einführung von Ritualen;<br />

● feste Regeln, deren Einhaltung<br />

beachtet wird;<br />

● konsequenter Umgang mit Störungen;<br />

● effizientes Nutzen der Unterrichtszeit.<br />

Schulberaterin Maunz rät, sofort klar zu<br />

machen, dass Schüler und Lehrer eine<br />

Arbeitsgemeinschaft sind, in der beide<br />

Seiten Verantwortung übernehmen<br />

müssen. In den letzten Jahren habe sich<br />

die Perspektive auf den Unterricht um<br />

180 Grad gedreht. „Entscheidend ist<br />

heute nicht mehr, dass ein Pädagoge ein<br />

ordentliches Unterrichtsprogramm abspult,<br />

sondern was dabei herauskommt“,<br />

sagt Maunz. „Deshalb sollte<br />

man zu Beginn des Schuljahres klar machen:<br />

Das ist unser Ziel, das müssen wir<br />

erreichen, das erwarte ich, diese oder<br />

jene Konsequenzen hat es, wenn es<br />

nicht läuft.“<br />

Drei-Tage-Crash-Kurs<br />

Ganz pragmatisch versucht Ulrich<br />

Gospodar, seine Nachwuchslehrkräfte<br />

in einem Drei-Tage-Crashkurs fit für die<br />

Klasse zu machen. „Ein Lehrer sollte<br />

Sicherheit ausstrahlen, die Schüler<br />

respektvoll behandeln und sie gleich zu<br />

Beginn zum Staunen bringen.“ Wie das<br />

geht? Zwei Biologiereferendarinnen riet<br />

der Seminarleiter, in einer Zoohandlung<br />

kleine Fische zu kaufen und diese<br />

in der ersten Biostunde von den Kindern<br />

auseinandernehmen zu lassen.<br />

Gospodar: „Sie glauben nicht, wie sehr<br />

die Schüler plötzlich von Bio fasziniert<br />

waren.“<br />

Anja Dilk, freie Journalistin<br />

Zum ersten Mal<br />

alleine vor der<br />

Klasse –<br />

oh Schreck!<br />

Referendarin<br />

Melanie Seibert:<br />

„Am Anfang habe<br />

ich gedacht, mein<br />

Unterricht sei nicht<br />

gut. Inzwischen<br />

weiß ich, dass ich<br />

das nicht persönlich<br />

nehmen darf.“<br />

Literatur für den<br />

Berufsanfang<br />

Maja Dammann:<br />

Schulstart für Lehrer.<br />

Ein Praxisbuch,<br />

Darmstadt 2006<br />

Andreas Helmke:<br />

Unterrichtsqualität<br />

– erfassen, bewerten,<br />

verbessern.<br />

Verlag Klett-Kallmeyer<br />

2005, 316<br />

Seiten, 19,90 Euro<br />

Gustav Keller:<br />

Disziplinmanagement<br />

in der Schulklasse.Unterrichtsstörungenvorbeugen<br />

– Unterrichtsstörungenbewältigen.<br />

Huber-Verlag<br />

Bern <strong>2008</strong>,<br />

17,95 Euro<br />

3<br />

Praxisthema


4<br />

Praxis und Politik<br />

Individuelle Förderung<br />

bedeutet<br />

zwar anfangs<br />

mehr Aufwand für<br />

Planung und<br />

Vorbereitung des<br />

Unterrichts. Doch<br />

langfristig macht<br />

sie zufriedener im<br />

Job und vermindert<br />

die Arbeitsbelastung.<br />

* „Fördern und Fordern<br />

– eine Herausforderung<br />

für Bildungspolitik,<br />

Eltern,<br />

Schule und Lehrkräfte“.Gemeinsame<br />

Erklärung der<br />

Bildungs- und Lehrergewerkschaften<br />

und der Kultusministerkonferenz<br />

vom 19. <strong>Oktober</strong><br />

2006:<br />

http://www.gew.de<br />

/Gemeinsame_<br />

Erklaerung_<br />

verabschiedet_<br />

Foerdern_und_<br />

Fordern.html.<br />

** Andreas Schleicher,PISA-Koordinator<br />

der OECD; WDR-<br />

Radio vom 5. Februar<br />

2007<br />

*** www.eumail.info:EU-Projekt<br />

„European<br />

Mixed-Abilitiy and<br />

Individualised Learning“/„Individualisierendes<br />

Lernen<br />

in heterogenen<br />

Gruppen“.<br />

Individuelle Förderung: Was ist das?<br />

„Individuelle Förderung“ ist in allen<br />

Bundesländern Thema. Unter dem<br />

Titel „Fördern und Fordern“ verständigten<br />

sich auf Bundesebene die Kultusminister<br />

mit den Lehrergewerkschaften<br />

auf ein gemeinsames Bekenntnis<br />

zur Förderung*. Dass das<br />

deutsche Bildungssystem hier große<br />

Defizite hat, ist, so scheint es, in den<br />

Köpfen angekommen. Doch wie sieht<br />

es damit im Schulalltag aus?<br />

Stets, wenn ein Begriff aus der reformpädagogischen<br />

Ecke kam, inflationär gebraucht<br />

und schließlich zum selbstverständlichen<br />

Lippenbekenntnis von Politikern<br />

aller Couleur wird, ist genaues<br />

Hinhören angesagt.<br />

Kompetente Pädagoginnen und Pädagogen<br />

mögen darunter ein umfassendes<br />

Programm für mehr Individualisierung<br />

und Inklusion sehen. Allerdings: Manche<br />

Politiker verstehen darunter vor allem<br />

die Zuweisung junger Menschen an<br />

die für sie „richtige“ Schulform. Und oft<br />

wird unter Förderung lediglich verstanden,<br />

bestimmte Defizite von benachteiligten<br />

Schülergruppen zu kompensieren,<br />

etwa durch Sprachkurse für Kinder<br />

und Jugendliche aus Einwandererfamilien.<br />

Perspektivwechsel<br />

Individuelle Förderung – zu Ende gedacht<br />

– ist jedoch ein pädagogisches<br />

Grundprinzip, das sich an alle jungen<br />

Menschen richtet und von ihren<br />

Stärken – und nicht nur von ihren<br />

Schwächen – ausgeht. „Alle gewöhnlichen<br />

Schüler haben außergewöhnliche<br />

Fähigkeiten“, hat das Andreas Schleicher,<br />

der internationale PISA-Koordinator<br />

der OECD, in einem Radio-Interview<br />

einmal auf den Punkt gebracht**.<br />

Doch das zu erkennen, erfordert einen<br />

pädagogischen Perspektivwechsel. Den<br />

Blick auf die Lernenden zu verändern<br />

und sie zu Subjekten des eigenen Lernprozesses<br />

zu machen, war z. B. ein zentrales<br />

Ergebnis eines von der <strong>GEW</strong> geförderten<br />

Projektes zum individualisierenden<br />

Lernen***. Gemeint sind eine<br />

andere pädagogische Grundhaltung<br />

und eine veränderte Unterrichts- und<br />

Lernkultur. Das Projekt macht hierzu<br />

zahlreiche Vorschläge, die zum Teil sofort<br />

ausprobiert werden können und<br />

mit „Bordmitteln“ zu realisieren sind.<br />

Keine Frage, Lehrkräfte und Unterricht<br />

spielen eine zentrale Rolle bei der indi-


Foto: David Außerhofer<br />

viduellen Förderung. Leider wird die<br />

Diskussion in der Öffentlichkeit oft auf<br />

diese Aspekte verengt. Dabei wird übersehen,<br />

dass Schule als Organisation,<br />

dass die Rahmenbedingungen und das<br />

Schulsystem sowie die Bildungsziele<br />

entscheidenden Einfluss haben. Dieser<br />

Blick aufs Ganze fehlt den meisten<br />

Maßnahmen der Bundesländer. So<br />

kommt es, dass auf dem Papier mittlerweile<br />

zwar viel „gefördert“ wird, aber im<br />

Alltag kaum etwas davon spürbar ist,<br />

weil Geld und Personal fehlen oder<br />

schulische Fördermittel sogar gekürzt<br />

werden.<br />

Im Kleinen beginnen<br />

Viele angehende Lehrkräfte fragen sich<br />

auch, ob der damit verbundene Arbeitsaufwand<br />

nicht viel zu hoch ist. Aber: In-<br />

dividuelle Förderung heißt nicht, für jedes<br />

Kind ein eigenes Arbeitsblatt zu entwickeln.<br />

Gleichwohl bringt sie anfangs<br />

einen Mehraufwand an Planung und<br />

Vorbereitung mit sich. Doch langfristig<br />

– so berichten zumindest viele Lehrkräfte<br />

aus skandinavischen, auch aus reformfreudigen<br />

deutschen Schulen – mache<br />

sie zufriedener im Job und vermindere<br />

die Arbeitsbelastung. Dass individuelle<br />

Förderung aber keinesfalls nur<br />

aus pädagogischen Tricks oder einem<br />

Methodenkoffer für den Unterricht<br />

besteht, zeigen erfolgreich fördernde<br />

Schulen. Charakteristisch sind z. B. folgende<br />

Merkmale:<br />

● Diagnose,<br />

● ein Wandel vom Unterrichten zum<br />

Lernen hin,<br />

● innere Differenzierung,<br />

● selbstgesteuerte und kooperative<br />

Lernprozesse,<br />

● flexible Lernorte und -zeiten,<br />

● Lernbegleitung und -beratung,<br />

● Schülerselbstbewertung und Schülerrückmeldung,<br />

● Eigenverantwortung der Lernenden,<br />

● individuelle Leistungsrückmeldung,<br />

● intensive Zusammenarbeit mit Eltern.<br />

Diese Aufzählung soll nicht „erschlagen“.<br />

Individuelles Fördern kann auch<br />

im Kleinen anfangen:<br />

● zum Beispiel durch die Überprüfung<br />

des eigenen Förderverhaltens oder<br />

die methodische Öffnung im Fachunterricht;<br />

● durch gemeinsames Erarbeiten eines<br />

differenzierten Aufgaben- und Materialpools<br />

im Team;<br />

● durch interne Fortbildung oder eine<br />

selbstkritische wie selbstbewusste Bestandsaufnahme<br />

der Schule: Wie gut<br />

fördern wir? Wo können wir uns professionelle<br />

Hilfe organisieren?<br />

Grenzen des Förderns<br />

Das Förderprinzip stößt indessen dort<br />

an seine Grenzen, wo die Rahmenbedingungen<br />

nicht stimmen und selektive<br />

Schulstrukturen ihm zuwider laufen.<br />

Für diese Grenzen sind die Politiker verantwortlich<br />

und dafür auch zu kritisieren.<br />

Andernfalls ruhen sie sich auf ihren<br />

Ankündigungen aus und schieben Päda-<br />

gogen und Einzelschulen den Schwarzen<br />

Peter zu für Mängel, die diese nicht<br />

verursachen: zu wenig Zeit, zu große<br />

Lerngruppen, zu wenig Lehrpersonal,<br />

zu wenig zusätzliche Profis wie Sozialpädagogen,<br />

fehlende Fortbildungsangebote<br />

oder die unzureichende Vorbereitung<br />

in der Ausbildung.<br />

Keine ferne Zukunft<br />

Individuelle Förderung ist erfolgreich,<br />

wenn die Arbeits- und Lernbedingungen<br />

stimmen und sie im Unterricht und<br />

im Schulleben als pädagogisches Prinzip<br />

fest verankert ist. Schulstruktur und<br />

Lernkultur sind nicht getrennt voneinander<br />

zu betrachten. Gewiss, individuelles<br />

Fördern als pädagogisches<br />

Grundprinzip ist am besten in einem inklusiven<br />

System zu verwirklichen. Das<br />

klingt nach ferner Zukunft. Aber eine<br />

Kultur des Vertrauens als Grundlage für<br />

eine erfolgreiche Förderung aller Kinder<br />

lässt sich bereits heute entwickeln.<br />

Denn: Veränderung beginnt zunächst in<br />

den Köpfen. Und in den Herzen – unabhängig<br />

von der Schulform.<br />

Martina Schmerr, Referentin des<br />

<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Schule<br />

Zeitschriften-Tipps:<br />

Individuell lernen – kooperativ arbeiten.<br />

Friedrich Jahresheft. Friedrich-Verlag<br />

<strong>2008</strong>. Hg. von Christine<br />

Biermann, Michael Fink, Martin<br />

Hänze, Dietlinde H. Heckt, Meinert<br />

A. Meyer, Lutz Stäudel<br />

Diagnostizieren und fördern: Stärken<br />

entdecken – Können entwickeln.<br />

Friedrich Jahresheft. Friedrich-Verlag<br />

2006. Hg. von Gerold Becker, Marianne<br />

Horstkemper, Erika Risse, Lutz<br />

Stäudel, Rolf Werning und Felix<br />

Winter<br />

Fordern und Fördern. Schwerpunktheft<br />

„Lernende Schule“. Heft<br />

29/2005. Friedrich Verlag<br />

Der Umgang mit Heterogenität ist<br />

auch Schwerpunkt der E&W-Ausgaben<br />

7-8/2005 und 6/2002.<br />

Weitere Infos:<br />

www.netzwerkheterogenitaet.de:<br />

Das „Netzwerk<br />

Lehren und Lernen<br />

in heterogenen<br />

Gruppen“, eine<br />

Initiative des <strong>GEW</strong>-<br />

Hauptvorstands,<br />

trägt Informationen,Praxisanregungen<br />

und gute<br />

Beispiele zum Umgang<br />

mit Heterogenitätzusammen.<br />

http://www.<br />

ganztaegiglernen.org/<br />

www/web709.<br />

aspx:<br />

Individuelle Förderung<br />

ist einer der<br />

Schwerpunkte<br />

des Bundesprogramms<br />

„Ideen für<br />

mehr! Ganztägig<br />

lernen“.<br />

5<br />

Praxis und Politik


6<br />

Service und Alltag<br />

Zu viel Stress im<br />

Job? Es hilft,<br />

Freiräume zur Entlastung<br />

und Regeneration<br />

zu erkennen<br />

und zu nutzen.<br />

Stress bewältigen<br />

Zu weich für die harte Schulwelt? Jede<br />

zweite Lehrkraft fühlt sich durch den<br />

Job übermäßig belastet. Ein knappes<br />

Drittel klagt über Depressionen,<br />

Ängste, Schlafstörungen . . . Und das<br />

nicht erst nach 20 Dienstjahren. Bereits<br />

beim Start in den Beruf leiden<br />

viele unter Selbst- und Fremdüberforderung<br />

im Arbeitsalltag.<br />

Besonders belastend empfinden junge<br />

Lehrkräfte große Klassen mit Schülerinnen<br />

und Schülern, die zudem immer<br />

mehr Verhaltensauffälligkeiten zeigen.<br />

Gefragt sind hier Kompetenzen im<br />

Umgang mit Konflikten sowie erzieherische<br />

Fähigkeiten. Diese werden allerdings<br />

weder im Studium erworben<br />

noch im Referendariat ausreichend eingeübt.<br />

Hinzu kommt der alltägliche<br />

Zeitdruck: Es wird von Klassenzimmer<br />

zu Klassenzimmer, von der Hofaufsicht<br />

in die Unterrichtsstunde, dann zur<br />

Konferenz gehetzt. Die wenigen Freiräume<br />

zur Entlastung und Regenera-<br />

tion gilt es zu erkennen und zu nutzen.<br />

Das fängt bereits bei der Unterrichtsplanung<br />

und dem Umgang mit der<br />

Klasse an.<br />

Es ist hilfreich, klare Regeln mit ebenso<br />

klaren Konsequenzen mit den einzelnen<br />

Klassen auszuhandeln (s. Seite 3).<br />

Entspannungssequenzen für die Schüler<br />

helfen oft, Unruhe abzubauen und<br />

Motivation aufrechtzuerhalten – ebenso<br />

wie Bewegungsübungen.<br />

Unterrichtsphasen mit Stillarbeiten sollten<br />

der eigenen Regeneration dienen.<br />

Rückzug: Im Verlauf eines Schultages<br />

macht es mitunter Sinn, sich in Pausen<br />

oder in Freistunden an einen ruhigen<br />

Ort zurückzuziehen und sich zu entspannen.<br />

Bewusst abschalten<br />

Nach dem Unterricht ist es wichtig, bewusst<br />

„abzuschalten“, sich gedanklich<br />

von der Schule, den Schülern und ihren<br />

Problemen zu lösen. Dies kann durch<br />

Sport oder einen kurzen Mittagsschlaf<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

geschehen – wichtig ist auf jeden Fall,<br />

Anspannung abzubauen.<br />

Viele Junglehrkräfte scheuen oft den zusätzlichen<br />

Aufwand für die (Unterrichts-)Planung.<br />

Sie übersehen dabei,<br />

dass jede dafür investierte Minute Zinsen<br />

in Form von mehr Freizeit bringt.<br />

Man neigt dazu, langweilige oder belastende<br />

Tätigkeiten aufzuschieben – bis<br />

diese so drängend werden, dass sie unter<br />

Druck, Stress und Hektik erledigt werden<br />

müssen. Gerade die Möglichkeit,<br />

sich im Lehrerberuf seine Zeit zu einem<br />

Teil frei einteilen zu können, verführt<br />

dazu. Für das Drittel der Lehrkräfte, das<br />

unter chronischer „Aufschieberitis“ leidet,<br />

ist es hilfreich, zum selbstbestimmten<br />

Zeitmanager zu werden – anstatt immerzu<br />

Terminen hinterher zu hecheln.<br />

Es macht Sinn, Aufgaben nach ihrer<br />

Wichtigkeit und Dringlichkeit in A-, B-,<br />

C-, D-Prioritäten zu kategorisieren und<br />

diese danach abzuarbeiten. Störungen<br />

sollte man währenddessen vermeiden,<br />

denn: 90 Minuten konzentrierte, ununterbrochene<br />

Arbeit sind sehr viel effektiver<br />

als sechs mal 15 Minuten mit<br />

jeweils einigen Minuten Unterbrechungen.<br />

Externe Hilfe<br />

Hilfreich ist es außerdem, Privates von<br />

Schulischem sowohl räumlich als auch<br />

zeitlich zu trennen.<br />

Lehrerinnen und Lehrer sind oft Einzelkämpfer,<br />

die in der Schule, aber auch<br />

an den Nachmittagen, alleine vor sich<br />

hinarbeiten. Es findet zu wenig Austausch<br />

über fachliche und pädagogische<br />

Fragen statt. Teamarbeit und Kooperation<br />

sind in den meisten Lehrerkollegien<br />

unterentwickelt. Umso wichtiger<br />

ist es, sich frühzeitig z. B. in selbstorganisierten<br />

Beratungsgruppen Unterstützung<br />

zu holen (s. auch START 1/<strong>2008</strong>).<br />

Wenn Probleme und Konflikte innerhalb<br />

der Kollegengruppe nicht mehr<br />

gelöst werden können, sollte man sich<br />

durch externe Fachleute Hilfe holen,<br />

etwa durch Supervision oder Coaching.<br />

Werner Gross,Psychologe am Psychologischen<br />

Forum Offenbach (PFO)


Mehr Wertschätzung<br />

Start: Wie bist du auf die <strong>GEW</strong> aufmerksam<br />

geworden?<br />

Jens Grosslaub: Durch ein Informationsschreiben<br />

der Jungen <strong>GEW</strong>.<br />

Start: Wieso bist du eingetreten?<br />

Grosslaub: Aus pragmatischen Gründen.<br />

Als Gewerkschaftsmitglied bin ich<br />

gegen berufliche Risiken versichert und<br />

kann auf den beruflichen Rechtsschutz<br />

der <strong>GEW</strong> bauen. Vor allem in der Jungen<br />

<strong>GEW</strong> habe ich vor Ort eine Gruppe, die<br />

mich in Fragen des Berufsalltags berät.<br />

Start: Warum ist gewerkschaftliches Engagement<br />

für dich wichtig?<br />

Grosslaub: Ich hatte sowohl im Studium<br />

als auch im Referendariat oft das Gefühl,<br />

alleine zu sein. Das wollte ich ändern.<br />

Start: Bist du mit der Betreuung in deinem<br />

Landesverband zufrieden?<br />

Grosslaub: Sehr – vor allem, was die Arbeit<br />

der Jungen <strong>GEW</strong> betrifft. Sie bietet inhaltlich<br />

interessante, gut organisierte Seminare<br />

zu Themen des Berufsanfangs an.<br />

Start: Mit welchen Fragen beschäftigt ihr<br />

euch zum Beispiel?<br />

Grosslaub: Mit ganz lebenspraktischen<br />

Dingen. Mit Blick auf das Referenda-<br />

Praxishilfen und Buchtipp<br />

Auf geht’s<br />

Nach dem Studium mischen sich Vorfreude<br />

auf den „echten“ Einstieg in den<br />

Lehrerberuf mit Befürchtungen: Bin ich<br />

den stressigen Anforderungen gewachsen?<br />

War meine Berufswahl die richtige?<br />

Bekomme ich nach dem Referendariat<br />

eine feste Anstellung? Hier helfen nicht<br />

nur aufmunternde Worte, sondern vor<br />

allem konkrete Tipps. Die Broschürenreihe<br />

„Praxishilfe“ gibt diese für angehende<br />

Lehrkräfte zu folgenden Themen:<br />

Unterrichtsvorbereitung, Umgang mit<br />

Belastungen, wichtige und notwendige<br />

Kooperationsbeziehungen.<br />

Unterrichtsstörungen<br />

Die Broschüre zum Thema „Unterrichtsstörungen“<br />

stellt z. B. typische Unterrichtsstörungen<br />

dar, analysiert diese<br />

und zeigt Lösungswege auf.<br />

riat: Was kann mein Fachleiter von mir<br />

verlangen? Was ist eine Lehrprobe? Wie<br />

viel Stunden darf ich als Referendar unterrichten?<br />

Was verdiene ich als Berufsanfänger?<br />

Start: Wie kommst du mit den gewerkschaftlichen<br />

Organisationsformen klar – was<br />

könnte besser sein?<br />

Grosslaub: Es müsste alles ein wenig<br />

einfacher strukturiert sein.<br />

Start: Wie meinst du das?<br />

Grosslaub: Wenn ich mir etwa die gesamte<br />

Struktur der <strong>GEW</strong> anschaue,<br />

wirkt diese zunächst wenig transparent.<br />

Unklar ist für neue Mitglieder, wer für<br />

was zuständig ist.<br />

Start: Könnt ihr Jüngeren euch gut einbringen<br />

in die gewerkschaftliche Arbeit?<br />

Grosslaub: Weniger. Das Problem für<br />

uns Jüngere ist bei Hauptvorstandssitzungen<br />

zum Beispiel, dass die Älteren<br />

nicht nur weiterhin einflussreiche Funktionen<br />

innehaben, sondern meist auch<br />

ihre inhaltlichen Positionen durchsetzen.<br />

Start: Die „Alten“ haben in der <strong>GEW</strong> das<br />

Sagen?<br />

Grosslaub: Ja, obwohl ein Generatio-<br />

Zeitmanagement<br />

Die Materialie „Zeitmanagement“<br />

nennt einige Regeln, mit denen „Zeitdiebe“<br />

bekämpft werden können.<br />

Schließlich geht es darum, trotz der vielen<br />

Anforderungen im Unterrichtsalltag<br />

und des eigenen hohen Anspruchs an<br />

den Beruf die freie Zeit wirklich unbeschwert<br />

genießen zu können.<br />

Die Broschüren „Unterrichtsstörungen“<br />

und „Zeitmanagement“ gibt es im Netz<br />

unter: www.gew.de (Download Publikationen<br />

Schule). Die Druckversionen der gesamten<br />

Broschürenreihe „Praxishilfen”<br />

sind zu beziehen bei: Neue Deutsche<br />

Schule Verlagsgesellschaft mbH, Nünningstr.<br />

11, 45141 Essen, Fax: 0201/<br />

2940314. Bei einer Mindestabnahme von<br />

50 Exemplaren je Titel liegt der Stückpreis<br />

pro Heft bei 0,85 Euro (zuzüglich Versandkosten).<br />

nenwechsel ansteht. Aber die Alten wollen<br />

nicht loslassen und halten an ihren<br />

Ämtern fest.<br />

Start: Wie macht sich das bemerkbar?<br />

Grosslaub: Im Alltag etwa in den Kollegien<br />

vor Ort. Es ist einfach so, dass<br />

viele Lehrkräfte, die im Personalrat tätig<br />

sind, ihre Freistellung behalten wollen.<br />

Und manche daher nicht bereit sind,<br />

ihre Posten vor der Pensionierung abzugeben.<br />

Start: Was wünschst du dir als <strong>GEW</strong>-Mitglied?<br />

Grosslaub: Von den Älteren mehr<br />

Wertschätzung, von uns Jüngeren mehr<br />

Selbstbewusstsein. Wir sollten in den<br />

Gremien vermitteln, dass wir bereit<br />

sind, die Gewerkschaft weiterzuführen.<br />

Und das auch können. Ich wünsche mir<br />

jedenfalls, dass man uns Jüngere innerhalb<br />

der Organisation stärker beachtet,<br />

uns ermutigt und sagt, jetzt probiert einfach<br />

mal etwas Neues aus.<br />

Interview: Helga Haas-Rietschel,<br />

Redakteurin der „Erziehung & Wissenschaft“<br />

Buchtipp<br />

Lehrerentlastung<br />

„Lehrerentlastung“ von Heinz Klippert<br />

zeigt, was Lehrkräfte tun können, um den<br />

vielfältigen Belastungen in ihrem Beruf zu<br />

begegnen: Zum Beispiel das eigene Verhalten<br />

zu ändern, sich eine „Entlastung<br />

durch Schülerqualifizierung“ zu schaffen<br />

oder eine bessere Zusammenarbeit in den<br />

Kollegien zu ermöglichen. Trotz der Tatsache,<br />

dass Lehrkräfte, Schüler und Eltern<br />

im Fokus stehen, versäumt es Klippert in<br />

seinem Buch nicht, auf die Mängel des<br />

Bildungssystems hinzuweisen und diese<br />

mit entsprechenden Forderungen an die<br />

Politik zu verknüpfen. Ein Überblick über<br />

die umfangreiche Lehrerbelastungsforschung<br />

fehlt allerdings.<br />

Christel Faber, Referentin für Junge<br />

<strong>GEW</strong> beim <strong>GEW</strong>-Hauptvorstand<br />

Foto: Privat<br />

Jens Grosslaub,<br />

32, Lehrer an<br />

einer Gesamtschule,<br />

Mitglied<br />

der Jungen <strong>GEW</strong><br />

Saarland.<br />

Wege zur<br />

wirksamen Arbeitserleichterung<br />

in<br />

Schule und Unterricht<br />

von Heinz<br />

Klippert, erschienen<br />

im Beltz Verlag<br />

2006, 26,90 Euro<br />

7<br />

Junge <strong>GEW</strong><br />

Impressum Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hauptvorstand, Postfach 90 04 09 60444 Frankfurt/M. Tel.: (069) 7 89 73-0<br />

Fax: (069) 7 89 73-2 01 E-Mail: info@gew.de Internet: www.gew.de Redaktion: Christel Faber, Helga Haas-Rietschel, Jana Kolberg, Andreas Sanchez,<br />

Martina Schmerr, Alexandra Schwarz. Verantwortlich: Ulf Rödde Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann GmbH, Frankfurt/M. Druck: apm AG, Darmstadt


8<br />

Gemeinsam stark<br />

Bitte in Druckschrift ausfüllen.<br />

Ihre Daten sind entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes geschützt.<br />

✃<br />

Bitte per Fax an 069/78973-102 oder <strong>GEW</strong>-Hauptvorstand, Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt<br />

Antrag auf<br />

Mitgliedschaft<br />

Vorname/Name<br />

Straße/Nr.<br />

Land/PLZ/Ort<br />

Geburtsdatum/Nationalität<br />

Bisher gewerkschaftlich organisiert bei von bis (Monat/Jahr)<br />

Jedes Mitglied der <strong>GEW</strong> ist verpflichtet,den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und<br />

seine Zahlungen daraufhin regelmäßig zu überprüfen.<br />

Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag erkenne ich die Satzung der <strong>GEW</strong> an und<br />

ermächtige die <strong>GEW</strong> zugleich widerruflich, den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag<br />

vierteljährlich von meinem Konto abzubuchen.<br />

Ort/Datum Unterschrift<br />

Daten des Werbers<br />

Ich habe die oben stehende Person als neues <strong>GEW</strong>-Mitglied geworben.<br />

Vorname/Name<br />

Straße/Nr.<br />

PLZ/Ort<br />

Ihr Mitgliedsbeitrag:<br />

-Beamtinnen und Beamten zahlen 0,75 Prozent der 6. Stufe.<br />

-Angestellte zahlen 0,7 Prozent der Entgeltgruppe und Stufe, nach der vergütet wird.<br />

-Der Mindestbeitrag beträgt immer 0,6 Prozent der untersten Stufe der Entgeltgruppe 1 des TVöD.<br />

-Arbeitslose zahlen ein Drittel des Mindestbeitrages.<br />

-Studierende zahlen einen Festbetrag von 2,50 Euro.<br />

-Mitglieder im Referendariat oder Praktikum zahlen einen Festbetrag von 4 Euro.<br />

-Mitglieder im Ruhestand zahlen 0,66 Prozent ihrer Ruhestandsbezüge.<br />

Telefon Fax<br />

E-Mail<br />

Berufsbezeichnung/-ziel beschäftigt seit Fachgruppe<br />

Name/Ort der Bank<br />

Kontonummer BLZ<br />

Besoldungs-/Entgeltgruppe gültig seit Stufe Bruttoeinkommen € monatlich<br />

Betrieb/Dienststelle Träger<br />

Straße/Nr. des Betriebes/der Dienststelle PLZ/Ort<br />

<strong>GEW</strong>-Landesverband<br />

Telefon Fax<br />

E-Mail<br />

Beschäftigungsverhältnis<br />

angestellt<br />

beamtet<br />

Honorarkraft<br />

in Rente<br />

pensioniert<br />

Altersübergangsgeld<br />

arbeitslos<br />

beurlaubt ohne Bezüge<br />

teilzeitbeschäftigt mit<br />

Std./Woche<br />

im Studium<br />

ABM<br />

Vorbereitungsdienst/<br />

Berufspraktikum<br />

befristet bis<br />

Sonstiges<br />

Bitte den Antrag vollständig<br />

ausfüllen und<br />

an folgende Adresse<br />

senden:<br />

Gewerkschaft<br />

Erziehung<br />

und Wissenschaft<br />

Brigitte Stamm<br />

Reifenberger Straße 21<br />

60489 Frankfurt a. M.<br />

Fax: 069/78973-102<br />

Vielen Dank!<br />

Ihre <strong>GEW</strong><br />

Cartoon: Thomas Plaßmann


Bessere Qualität –<br />

mehr Pädagogen<br />

Ganztagsschulstudie: Individuelle Förderung ausbauen<br />

Die Angebote von Ganztagsschulen<br />

werden stärker genutzt, es müssen aber<br />

mehr personelle Ressourcen für individuelle<br />

Förderung der Schüler bereitgestellt<br />

werden*. Das sind Schlussfolgerungen<br />

aus der zweiten Erhebungswelle<br />

der jetzt veröffentlichten Studie zur<br />

Entwicklung von Ganztagsschulen<br />

(StEG). Das Ganztagsschulprogramm<br />

des Bundes, das den Ausbau<br />

von Ganztagsschulen finanziell fördert,<br />

läuft 2009 aus. Wie es danach<br />

weitergeht, ist unklar.<br />

Obwohl Ganztagsangebote<br />

zunehmend bei allen<br />

sozialen Schichten auf<br />

positive Resonanz stoßen<br />

und Eltern mit dem<br />

Ganztagsbetrieb insgesamt<br />

zufrieden sind, sehen sie Veränderungsbedarf<br />

hinsichtlich der pädagogischen<br />

Qualität: „Eltern wollen, dass<br />

ihre Kinder mehr und besser individuell<br />

gefördert werden“, stellt Eckhard Klieme<br />

vom Deutschen Institut für Internationale<br />

Pädagogische Forschung (DIPF),<br />

Frankfurt am Main, bei der Präsentation<br />

der StEG-Studie in Berlin fest. „Ganztagsschulen<br />

haben zwar erkannt, dass sie<br />

einen Bildungsauftrag haben. Allerdings<br />

setzen sie diese Erkenntnis noch<br />

zu wenig in pädagogische Praxis um“,<br />

folgert Klieme. Qualitätsunterschiede<br />

zwischen offenen und gebundenen<br />

Ganztagsschulformen ließen sich in der<br />

Praxis kaum feststellen. Man müsse<br />

wohl zur Kenntnis nehmen, dass die gebundenen<br />

Ganztagsschulen „ihr Potenzial<br />

bislang nicht ausgeschöpft haben“,<br />

kommentiert der Leiter der Studie dieses<br />

für ihn überraschende Ergebnis. Ein<br />

weiteres konzeptionelles Defizit aller<br />

Ganztagstypen: Unterricht und Nachmittagsangebote<br />

sind auch 2007 noch<br />

zu wenig verzahnt. Von der Möglichkeit,<br />

Zeit flexibler zu gestalten, so Hans-<br />

Günter Holtappels, Institut für Schulentwicklungsforschung<br />

(IFS) in Dortmund,<br />

werde „zu wenig Gebrauch gemacht“.<br />

Unabhängig von der sozialen Herkunft<br />

nutzen vor allem Grundschüler die Förderangebote<br />

heute häufiger als früher.<br />

Trotzdem werden diese – laut StEG – sowohl<br />

in der Primar- als auch in der Sekundarstufe<br />

nur von einem Drittel der<br />

Lernenden in Anspruch genommen.<br />

Zwar sind unter denen, die sich dauerhaft<br />

an den Lernangeboten beteiligen,<br />

sehr viele Kinder aus Migrantenfamilien.<br />

Ob aber Leistungsschwächere insgesamt<br />

intensivere Unterstützung bräuchten,<br />

dazu gebe die Studie, so Klieme,<br />

„derzeit keine Hinweise“. Zumindest<br />

zeigt die Untersuchung, dass es dem<br />

Ganztagsbetrieb vor allem an Personal<br />

mangelt. Ein Großteil der befragten<br />

Schulleitungen ist heute mit der personellen<br />

Ausstattung weniger zufrieden<br />

als bei der ersten Erhebung 2005.<br />

Zusammenarbeit verbessern<br />

Unzufrieden sind auch sozialpädagogische<br />

und externe Fachkräfte. Die meisten<br />

vermissen inhaltlich-konzeptionelle<br />

Absprachen im Schulalltag und plädieren<br />

für längere Anwesenheiten der Lehrkräfte.<br />

„Lediglich bei erzieherischen<br />

Problemen“ habe sich, so Thomas Rauschenbach<br />

vom Deutschen Jugendins-<br />

titut (DJI) in München, „die Zusammenarbeit<br />

verstärkt“. 72 Prozent der befragten<br />

Lehrkräfte sprechen sich für einen<br />

eigenen Arbeitsplatz in der Schule<br />

aus. Würden die finanziellen Mittel<br />

dafür bereitgestellt, könnte sich so auch<br />

die Kooperation zwischen schulischen<br />

und außerschulischen Partnern verbessern.<br />

Ein zusätzlich strukturelles Defizit:<br />

Nur etwas mehr als die Hälfte der<br />

außerschulischen Fachkräfte kooperieren<br />

mit den Schulen auf der Basis eines<br />

gemeinsamen Vertrages.<br />

Zu einer Fortführung des Ganztagsschulprogramms<br />

wollten sich die Bildungsforscher<br />

nicht äußern, das „sei Sache<br />

der Politik“ (s. Kommentar Seite<br />

34). Ob der Bildungsgipfel den Ball aufnimmt?<br />

Man darf gespannt sein, ob aus<br />

der Ankündigung von Bundesbildungsministerin<br />

Annette Schavan (CDU), der<br />

Bund sei bereit, sich am weiteren Ausbau<br />

der Ganztagsschulen – gemeint ist<br />

nicht Beton! – zu beteiligen, am 22. <strong>Oktober</strong><br />

in Dresden etwas anderes folgt als<br />

bloße Weiterfinanzierung des pädagogischen<br />

Begleitprogramms.<br />

Helga Haas-Rietschel, Redakteurin der<br />

„Erziehung &Wissenschaft“<br />

BILDUNGSPOLITIK<br />

* Die Bildungsforscher<br />

Eckhard Klieme, Hans-<br />

Günter Holtappels und<br />

Thomas Rauschenbach<br />

befragten für das Bundesministerium<br />

für Bildung<br />

und Forschung<br />

(BMBF) 323 von ursprünglich<br />

373 Schulen<br />

zu Ausbau, Nutzung<br />

und Entwicklung von<br />

Ganztagsangeboten.<br />

Davon waren 2007 22<br />

Prozent gebundene, 21<br />

Prozent teilgebundene<br />

und 57 Prozent offene<br />

Ganztagsschulen. Interviewt<br />

wurden 53929<br />

Schüler, Eltern, Schulleitungen,<br />

Lehrkräfte<br />

sowie außerschulische<br />

pädagogische Fachkräfte<br />

und Kooperationspartner.<br />

2005 sind die<br />

Ganztagsschuldaten<br />

zum ersten Mal erhoben<br />

worden.<br />

Eltern wollen bessere Qualität der Ganztagsangebote, sozialpädagogische Fachkräfte eine engere Kooperation<br />

mit den Lehrkräften, Lehrkräfte einen Arbeitsplatz in der Schule – Ergebnisse der aktuellen Ganztagsschulstudie<br />

(StEG) .<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 33<br />

Foto: dpa


BILDUNGSPOLITIK/E&W-HINTERGRUND<br />

34 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Warten auf Taten<br />

Kommentar zur Ganztagsschulstudie<br />

Bereits vor<br />

fast 30 Jahren<br />

hat die <strong>GEW</strong><br />

mit Arbeitgebern<br />

und Eltern<br />

im Westen<br />

der Republik<br />

einen gemeinsamen<br />

Aufruf verfasst<br />

und die<br />

Marianne Demmer Einführung<br />

von Ganztagsschulen<br />

gefordert. Mit wenig Resonanz.<br />

20 Jahre später, im Jahr 2002,<br />

gab es nur für knapp zehn Prozent<br />

der Schülerinnen und Schüler an allgemein<br />

bildenden Schulen ein Ganztagsangebot,<br />

überwiegend an Integrierten<br />

Gesamtschulen, einigen Privat-<br />

und Förderschulen. An Grund-,<br />

Realschulen und Gymnasien waren<br />

es lediglich jeweils um die vier Prozent<br />

der Schüler, die einen Ganztagsplatz<br />

hatten.<br />

Jahrzehntelang gelang es den Konservativen,<br />

ein traditionelles Familienbild<br />

zu konservieren (Frau zu Hause,<br />

Mann berufstätig, Mutter als Hilfslehrerin<br />

der Nation), den berufstätigen<br />

Müttern ein schlechtes Gewissen<br />

einzureden („Rabenmütter“),<br />

sie mangels Ganztagsangeboten in<br />

schlecht bezahlte Teilzeitjobs mit<br />

niedriger Rentenerwartung zu drängen<br />

und so die flächendeckende Einführung<br />

von Ganztagsschulen zu verhindern.<br />

Erst eine neue Generation gut ausgebildeter<br />

junger Frauen mit geringer<br />

Gebärneigung (auch in konservativen<br />

Kreisen), schlechte PISA-Ergebnisse,<br />

ein Bildungssystem mit der<br />

weltweit größten Chancenungleichheit<br />

und drohender Fachkräftemangel<br />

brachten das Thema Ganztagsschulen<br />

wieder auf die schulpolitische<br />

Tagesordnung. 2001 gewann die<br />

SPD damit die Landtagswahlen in<br />

Rheinland-Pfalz. 2003 legte die damalige<br />

sozialdemokratische Bundesbildungsministerin<br />

Edelgard Bulmahn<br />

das vier Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm<br />

„Zukunft Bildung<br />

und Betreuung“ (IZBB) auf,<br />

Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />

mit dem sie auch die unwilligen unionsregierten<br />

Bundesländer lockte,<br />

endlich Ganztagsangebote auf den<br />

Weg zu bringen.<br />

2009 läuft das IZBB-Programm aus.<br />

Prozentual können derzeit fast 20<br />

Prozent der Schulpflichtigen auch<br />

nachmittags in ihrer Einrichtung<br />

sein. Allerdings ist die Situation in<br />

den Bundesländern höchst unterschiedlich.<br />

Die niedrigste Versorgungsrate<br />

mit rund vier Prozent hat<br />

Bayern, die höchste erreichen mit<br />

über 30 Prozent Berlin, Hamburg,<br />

Sachsen und Thüringen. Doch auch<br />

dort ist der Bedarf an Ganztagsschulen<br />

bei weitem nicht gedeckt. Er dürfte<br />

derzeit bei deutlich über 50 Prozent<br />

liegen, Tendenz steigend. Angleichung<br />

der Bundesländer und weiterer<br />

Ausbau des Ganztags sollten also<br />

auf der politischen Agenda stehen.<br />

Das erfordert freilich einen gemeinsamen<br />

Kraftakt von Bund und Ländern.<br />

Jedoch: Bundesbildungsministerin<br />

Annette Schavan (CDU) lehnt eine<br />

weitere Förderung des Ausbaus<br />

der Ganztagsangebote aus Bundesmitteln<br />

mit dem Hinweis auf die Föderalismusreform<br />

ab, mit der sich der<br />

Bund bekanntlich selbst fesselte.<br />

Fazit: Hängepartie bei der Ganztagsschulentwicklung.<br />

Und nicht nur bezogen<br />

auf die Menge.<br />

Die zweite große Herausforderung<br />

ist die Verbesserung der Qualität. Eine<br />

bessere personelle Ausstattung ist<br />

notwendig, um für die Schülerinnen<br />

und Schüler eine maßgeschneiderte<br />

individuelle Förderung garantieren<br />

zu können. Aber auch die Zusammenarbeit<br />

von Lehrkräften und Sozialpädagogen<br />

muss sich im Interesse<br />

guter rhythmisierter Ganztagskonzepte<br />

deutlich verbessern (s. Bericht<br />

Seite 33). Morgens Lehrer und<br />

Unterricht, nachmittags die anderen,<br />

das sind Not- aber keine Dauerlösungen.<br />

Die Mühen der Ebenen<br />

sind zu bewältigen. Die Politik ist am<br />

Zug. Wir warten auf Taten, nicht auf<br />

Gipfel.<br />

Marianne Demmer,<br />

Leiterin des<br />

<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Schule<br />

Gemeinsa<br />

in nationa<br />

Bildung zwischen Europa und Klein<br />

Das Wissen und Können, das ein<br />

Mensch nach und nach im Leben erwirbt,<br />

soll überall in Europa erfassbar<br />

und vergleichbar sein. Europäischer<br />

und Deutscher Qualifikationsrahmen<br />

(EQR und DQR) sollen dies ermöglichen.<br />

Was hat das mit dem Bildungsgeschehen<br />

vor Ort zu tun?<br />

Vier Beispiele:<br />

Bonner Hauptschüler bekommen<br />

die frisch erworbene<br />

Computer-, Wirtschaftsund<br />

Sozialkompetenz im<br />

„Europäischen Zertifikat<br />

zur Berufsqualifikation“ bescheinigt.<br />

Jens aus Chemnitz, der eine Ausbildung<br />

zum Trockenbauer macht, hat zwei Wochen<br />

bei den Experten für Natursteinmauerwerk<br />

in Nordirland gearbeitet.<br />

Seine neu erworbenen Kenntnisse sind<br />

im „Europass“ dokumentiert.<br />

Die TU Braunschweig bietet den Studierenden<br />

250 Partnerhochschulen an –<br />

von Belgien bis in die Türkei – mit denen<br />

die wechselseitige Anrechnung von<br />

Leistungspunkten nach dem „European<br />

Glossar<br />

Europäischer Qualifikationsrahmen für<br />

lebenslanges Lernen (EQR)<br />

Mit dem EQR – verabschiedet im Januar<br />

<strong>2008</strong> – gibt die EU-Kommission einen<br />

Rahmen für die Anerkennung von Qualifikationen<br />

im Bereich der allgemeinen und<br />

beruflichen Bildung vor. Europaweit soll<br />

damit eine größere Transparenz der Befähigungsnachweise<br />

hergestellt werden.<br />

Berücksichtigt wird der Bologna-Prozess,<br />

der u. a. zu einem Qualifikationsrahmen<br />

und zu einem Punktebewertungssystem –<br />

zum European Credit Transfer and Accumulation<br />

System (ECTS) – für die Hochschulen<br />

geführt hat. Intendiert ist, dass der<br />

EQR zum gemeinsamen Bezugsrahmen<br />

sowohl für berufliche als auch tertiäre Bildung<br />

wird. Mit seinen acht Niveaustufen<br />

soll der EQR ein Übersetzungsinstrument


me Währung<br />

ler Münze<br />

staaterei<br />

E&W-HINTERGRUND<br />

Künftig mehr Mobilität in der Bildung? Mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen<br />

kommt Bewegung ins Spiel: Kompetenz soll bis 2012 europaweit<br />

vergleichbar sein.<br />

Credit Transfer System“ (ECTS)<br />

vereinbart ist.<br />

Im „Ankom-Projekt“ wird ausgelotet,<br />

wie man berufliche Kompetenzen<br />

auf Hochschulstudiengänge<br />

anrechnen kann. Es geht auf den<br />

vier Feldern Gesundheit und Soziales,<br />

Ingenieur-, IT- und Wirtschaftswissenschaften<br />

nicht nur um die<br />

zwischen den Bildungs- und Qualifikationssystemen<br />

der Mitgliedsstaaten<br />

sein. Die EU-Mitgliedsstaaten<br />

sollen ihre nationalen<br />

Qualifikationssysteme bis 2010 an<br />

den EQR koppeln.<br />

Deutscher Qualifikationsrahmen<br />

(DQR)<br />

Nach Beschluss der Bundesregierung<br />

2007 soll der DQR die Voraussetzungen<br />

dafür schaffen, den<br />

EQR umzusetzen. Der DQR<br />

stellt eine Relation der in<br />

Deutschland erworbenen und angebotenen<br />

Kompetenzen und<br />

Qualifikationen zu den acht Niveaustufen<br />

des EQR her und definiert<br />

dafür Deskriptoren (Beschreibungen<br />

der Lernergebnisse),<br />

die den Besonderheiten des<br />

deutschen Systems Rechnung tragen<br />

müssen.<br />

Feststellung des Wertes von Qualifikationen,<br />

die durch Prüfungen<br />

nachgewiesen sind, sondern auch<br />

um jene, die im beruflichen Alltag<br />

„nebenher“ erworben werden.<br />

Ambitionierter Anspruch<br />

Der „Bologna-Prozess“ hinterlässt<br />

seit 1999 Spuren im deutschen Bil-<br />

ECVET (European Credit System for<br />

Vocational Education)<br />

Als Ergänzung zum EQR wird auf<br />

EU-Ebene an einem Punktesystem<br />

für die Berufliche Bildung gearbeitet,<br />

mit dem sämtliche Kompetenzen bewertet<br />

werden sollen. Die EU-Kommission<br />

hat bereits im April <strong>2008</strong> eine<br />

Empfehlung an das Europäische Parlament<br />

und den EU-Rat beschlossen.<br />

ECTS (European Credit Transfer and<br />

Accumulation System)<br />

Das ECTS soll sicherstellen, dass die<br />

Leistungen von Studierenden an europäischen<br />

Hochschulen vergleichbar<br />

und bei einem Wechsel von einer<br />

Einrichtung zur anderen, auch grenzüberschreitend,<br />

anrechenbar sind.<br />

Stephanie Odenwald, Leiterin des <strong>GEW</strong>-<br />

Organisationsbereichs<br />

Berufliche Bildung und Weiterbildung<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 35


E&W-HINTERGRUND<br />

Weitere Infos:<br />

Grundsätzliches zum<br />

DQR:<br />

http://www.bmbf.de/de<br />

/12189.php<br />

DQR-Vorschlag Gewerkschaften<br />

und Arbeitgeber:http://berufsbildungspolitik.verdi.de/berufsbildung/dqr/data/<br />

8juli_entwurf-dqr_<br />

tabellen.doc sowie<br />

www.innovet-eu.com<br />

unter<br />

Downloads/EQF,NQR,<br />

DQR – Positionen und<br />

Beiträge zur Meinungsbildung<br />

dungswesen – in Schule und Berufsbildung,<br />

Hochschule und Weiterbildung.<br />

Das Ziel, die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten<br />

und dynamischsten wissensbasierten<br />

Wirtschaftsraum der Welt<br />

zu machen“, ist ein ambitionierter und<br />

zugleich problematischer Anspruch.<br />

Nun kommt Bewegung ins Spiel: Nach<br />

langen Vorarbeiten hat das EU-Parlament<br />

den „Europäischen Qualifikationsrahmen“<br />

beschlossen, mit dem berufliche<br />

Kompetenz bis 2012 europaweit<br />

vergleichbar sein soll. Auf acht Referenzniveaus<br />

wird Handlungskompetenz<br />

beschrieben. Die Spanne reicht, salopp<br />

gesagt, von dem, was ein Pflichtschulabschluss<br />

dokumentiert bis zum<br />

Ergebnis akademischer Weihen. Jetzt<br />

sollen die Mitgliedsländer diese gemeinsame<br />

Währung in nationale Münze umwandeln.<br />

Föderalismus-Falle<br />

Ein erster Durchbruch für einen „Deutschen<br />

Qualifikationsrahmen“ gelang im<br />

Sommer: Gewerkschaften, Arbeitgeber<br />

und Bundesländer einigten sich auf eine<br />

ebenfalls acht Stufen umfassende Matrix.<br />

Was dieser Schritt tatsächlich wert ist,<br />

muss sich noch erweisen. Denn abgesehen<br />

von vielen Fragen, die das Selbstverständnis<br />

einer öffentlich verantworteten<br />

Bildung für alle betreffen (vgl. Interview<br />

Seite 37), droht der Föderalismus<br />

zur Falle zu werden. Jedenfalls<br />

dann, wenn man die Antwort ernst<br />

nimmt, mit der die Bundesregierung am<br />

30. <strong>Oktober</strong> 2007 auf eine Anfrage der<br />

FDP-Fraktion reagierte.<br />

Die Liberalen wollten wissen, ob sich<br />

der DQR auf die Ausgestaltung schulischer<br />

Bildungsinhalte und -gänge auswirkt,<br />

ob er die Vergleichbarkeit der<br />

Schulabschlüsse und die deutschlandweite<br />

Mobilität fördern wird. Die Antwort<br />

der Bundesregierung lautete<br />

schlicht: „Für diese Fragen tragen die<br />

Länder Verantwortung.“<br />

Im Klartext heißt das: Auf EU-Ebene<br />

strebt Deutschland größere Durchlässigkeit,<br />

Transparenz und Gleichwertigkeit<br />

in der Bildung an. Im Inland dagegen<br />

feiert die Kirchturmpolitik fröhliche<br />

Urständ’. Es besteht die Gefahr einer<br />

Parallelentwicklung: Hier die Bundesländer,<br />

die weiter ihrer Gartenzwergmentalität<br />

frönen, dort private und betriebliche<br />

Bildungsinstitute, die erzielte<br />

Lernergebnisse in europäischen Zertifikaten<br />

und Bildungspässen bestätigen –<br />

an landesabhängigen Vorschriften vorbei.<br />

36 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Helga Ballauf, freie Journalistin<br />

Kind europäischer Bildungspolitik<br />

Kommentar: Deutscher Qualifikationsrahmen in der Diskussion<br />

Der Deutsche Qualifikationsrahmen<br />

(DQR) ist ein Kind der europäischen<br />

Bildungspolitik und ihrer neuen<br />

Steuerungsphilosophie. Nach den<br />

europäischen Vorgaben (Europäischer<br />

Qualifikationsrahmen [EQR])<br />

sollen die EU-Mitgliedsstaaten freiwillig<br />

Zielvereinbarungen festlegen<br />

und diese auf nationaler Ebene umsetzen.<br />

Klar ist:<br />

Von Brüssel<br />

geht eine Dynamik<br />

aus, die<br />

nicht unterschätzt<br />

werden<br />

darf. Das zeigt<br />

der Bologna-<br />

Prozess, der<br />

das Studium in<br />

Deutschland<br />

innerhalb eines<br />

knappen Stephanie Odenwald<br />

Jahrzehnts<br />

nachhaltig verändert hat: verschärfter<br />

Zeitdruck, Aufteilung in Bachelor-<br />

und Master-Studiengänge, konsequente<br />

Modularisierung der Studienfächer.<br />

Mit Blick auf die Berufliche<br />

Bildung sind ähnliche Entwicklungen<br />

denkbar: Kurzausbildungsgänge,<br />

kleinteilige Ausbildung in Modulen<br />

für Billig-Arbeitskräfte. Die Folgen<br />

des DQR für Bildung und Beruf darf<br />

man nicht unterschätzen. Fatal wäre,<br />

wenn die Diskussion über den DQR<br />

nur auf Expertenkreise beschränkt<br />

bliebe. Sie muss in allen Bildungseinrichtungen<br />

– gerade auch in den<br />

Schulen – geführt werden. Zwar ist<br />

das Thema Europa im Unterricht<br />

präsent, machen die Schüler Auslandserfahrungen,<br />

werden Kinder<br />

und Jugendliche im Schulalltag fit für<br />

Europa gemacht. Trotzdem ist der<br />

DQR noch weit weg von der Schulrealität.<br />

Aber: Die politischen Entscheidungen<br />

fallen heute. Zum Beispiel,<br />

wie Lernergebnisse und erworbene<br />

Kompetenzen aus den verschiedenen<br />

Bildungsgängen im DQR<br />

berücksichtigt und eingestuft werden.<br />

Bereits 2012 sollen diese in Abgangszeugnisse<br />

und Zertifikate einfließen.<br />

An der Expertendebatte über die Inhalte<br />

des DQR sind nach einigem<br />

Tauziehen sowohl Vertreter des<br />

DGB, darunter die <strong>GEW</strong>, als auch<br />

der verschiedenen Bildungsinstitutionen<br />

beteiligt. Zurzeit wird diskutiert,<br />

wie die geplanten Acht-Niveau-<br />

Stufen (s. auch Kasten Seiten 34/35)<br />

nach Wissen, Fertigkeiten, sozialen<br />

und individuellen Kompetenzen aufgeschlüsselt<br />

werden. Dieses Raster<br />

entscheidet über Bildungskarrieren.<br />

Deshalb ist<br />

Wachsamkeit<br />

geboten. Denn<br />

nicht nur die<br />

Experten sollten<br />

wissen, was<br />

gemeint ist,<br />

sondern die<br />

Praktiker sollen<br />

damit ar-<br />

Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />

beiten können.<br />

Die <strong>GEW</strong> will,<br />

dass die Gleichwertigkeitallgemeiner<br />

und beruflicher Bildung<br />

durchgängiges Prinzip im Bildungssystem<br />

wird. Folglich darf nicht nur<br />

kognitives Wissen beschrieben werden.<br />

Eine weitere Forderung: Alle<br />

Niveaustufen sollen für Absolventinnen<br />

und Absolventen der unterschiedlichen<br />

Bildungswege offen<br />

sein. Nach wie vor ist jedoch die<br />

Kluft zwischen akademischer und<br />

beruflicher Ausbildung nicht überwunden.<br />

Gerade einmal ein Prozent<br />

der Studierenden ist nach einer beruflichen<br />

Qualifikation an die Hochschule<br />

gekommen. Die im Grundsatzpapier<br />

deklarierte Durchlässigkeit<br />

muss auch Folgen für die Bildungspraxis<br />

haben. Deshalb sind die<br />

Barrieren und selektiven Schulstrukturen<br />

im Bildungssystem abzubauen<br />

und zu überwinden. Sonst bleiben<br />

Mobilität und Chancengleichheit eine<br />

Fata Morgana. Die <strong>GEW</strong> hält deshalb<br />

eine intensive und nicht unter<br />

Zeitdruck stehende Auseinandersetzung<br />

für unabdingbar. Doch Bundesbildungsministerium<br />

(BMBF) und<br />

Kultusministerkonferenz (KMK) verfolgen<br />

das ehrgeizige Ziel, bereits im<br />

Frühjahr 2009 den DQR in der Praxis<br />

zu erproben.<br />

Stephanie Odenwald, Leiterin des<br />

<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Berufliche<br />

Bildung und Weiterbildung


E&W-HINTERGRUND<br />

„Weniger auf Abschlüsse fixiert“<br />

Interview mit Bildungsforscher Harry Neß über europaweite Kompetenzmessung<br />

Der Europäische und der Deutsche<br />

Qualifikationsrahmen (EQR, DQR)<br />

können traditionelle Bildungsstrukturen<br />

aufbrechen. Sie können Individuen<br />

befähigen, ihr gesamtes Potenzial<br />

zu erkennen und in Beruf, Familie<br />

und Gesellschaft einzubringen. Davon<br />

ist Harry Neß überzeugt. Der Wissenschaftler<br />

am Deutschen Institut für Internationale<br />

Pädagogische Forschung<br />

(DIPF) kennt sich bei der Zertifizierung<br />

nicht-formalen und informellen<br />

Lernens aus. Er hat maßgeblich den<br />

Profilpass mitentwickelt, ein Instrument<br />

zur Selbstbilanzierung von<br />

Kompetenzen.<br />

E&W: Befürworter des DQR sprechen allein<br />

dem Vorliegen eines achtstufigen Qualifikationsrahmens<br />

„bildungsreformerische Kraft“<br />

zu. Teilen Sie das?<br />

Harry Neß: Dass alle europäischen<br />

Staaten eine gemeinsame Sprache für<br />

die Anerkennung von Qualifikationen<br />

suchen, ist bereits ein Wert an sich. Das<br />

hilft beim Abbau von manch standespolitischer<br />

Borniertheit, das bricht die<br />

strikte Trennung von Bildung und Beschäftigung,<br />

von hochschulischer, allgemeiner<br />

und beruflicher Bildung auf. Ein<br />

einheitliches Übersetzungsinstrument<br />

für Kompetenzen und Qualifikationen<br />

wird Rückwirkungen auf Curricula und<br />

Prüfungen in Deutschland haben. Die<br />

Effekte werden bis ins allgemein bildende<br />

Schulwesen reichen.<br />

E&W: Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter<br />

im nationalen Arbeitskreis zum DQR<br />

haben einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt:<br />

acht Stufen – vom Hilfsarbeiter bis zur<br />

Universitätsdozentin?<br />

Neß: Es ist gut, dass die Sozialpartner<br />

eine gemeinsame Haltung gefunden haben,<br />

um ihr Gewicht gegenüber den anderen<br />

Akteuren, dem Bundesbildungsministerium<br />

(BMBF), dem Bundesinstitut<br />

für Berufliche Bildung (BIBB) und<br />

der Kultusministerkonferenz (KMK),<br />

zu stärken. Vernünftig ist, an die acht<br />

Stufen des EQR anzuknüpfen, Prozesse<br />

des lebenslangen Lernens zu beschreiben<br />

und weniger auf Abschlüsse fixiert<br />

zu sein. Außerdem ist es differenziert<br />

gedacht, Fachkompetenz in Wissen und<br />

Fertigkeiten zu unterteilen sowie perso-<br />

nale Kompetenz in Sozial- und Selbstkompetenz<br />

aufzuschlüsseln.<br />

E&W: Richtig anschaulich ist die Matrix<br />

nicht: Hängt nicht alles an der Frage, auf<br />

welcher Stufe sich eine Facharbeiterin oder<br />

ein Hochschulabsolvent einordnen lässt?<br />

Neß: Ich plädiere dafür, Abschlüsse erst<br />

im zweiten Schritt zuzuordnen. EQR<br />

und DQR sind keine Kategorien der Bildungsforschung.<br />

Es sind Übersetzungsinstrumente,<br />

deren Form und Inhalt politisch<br />

entschieden wird. Fragen gibt es<br />

noch genug: Auf welche Stufe gehört<br />

das Übergangssystem zwischen Schule<br />

und Beruf? Wohin gehört ein Techniker<br />

mit Fachschulabschluss, der im Betrieb<br />

wie ein Masterabsolvent arbeitet? Und<br />

vor allem: Wie lässt sich individuelle<br />

Differenz in streng hierarchischen Niveaustufen<br />

einordnen? Ich meine die<br />

Fälle, in denen hohe Fachkompetenz<br />

nicht unbedingt mit starker Sozialkompetenz<br />

einhergeht – und umgekehrt. Da<br />

ist noch viel Klärungsbedarf. Bis hin zur<br />

Frage, ob sich so etwas wie Reflexionsfähigkeit<br />

oder Selbstkompetenz überhaupt<br />

objektiv messen lassen...<br />

E&W: Welche Vorteile haben EQR und<br />

DQR?<br />

Neß: Sie können dazu beitragen, das<br />

formale und das informelle Lernen besser<br />

zu verzahnen. Das führt zu einer<br />

Aufwertung von Berufserfahrung, von<br />

Ehrenamt oder Familientätigkeit und<br />

erleichtert berufliche Wiederein- und<br />

Umstiege.<br />

E&W: Die Absicht, es komme auf die Qualifikationen<br />

an und nicht auf den Weg, auf dem<br />

sie erworben wurden, birgt auch Risiken...<br />

Neß: ...dann, wenn dem Individuum<br />

die Verantwortung für das Lernen und<br />

die Ergebnisse ganz alleine aufgebürdet<br />

wird. Um das zu verhindern, ist bundesweit<br />

dreierlei nötig: Eine regionale Vernetzung<br />

der Bildungsinstitutionen, eine<br />

flächendeckende Bildungsberatung und<br />

staatlich verantwortete Dokumentations-,<br />

Anerkennungs- und Bewertungsverfahren.<br />

E&W: Gibt es Instrumente, um beispielsweise<br />

den Wert von Zertifikaten oder Portfolios<br />

zu messen, in denen Einzelne informelle<br />

Kompetenzen dokumentieren?<br />

Neß: Parallel zur Einigung auf einen nationalen<br />

Qualifikationsrahmen muss<br />

dafür Entwicklungsarbeit geleistet werden.<br />

Es gibt bereits Forschungsprojekte<br />

zur Kompetenzerfassung, zu Portfolio-<br />

Foto: dpa<br />

verfahren und zur Bildungsberatung. Wir<br />

können auf Erfahrungen aus Irland,<br />

Frankreich oder Australien zurückgreifen.<br />

Bei uns gibt es bereits branchenbezogene<br />

Qualifikationsrahmen, etwa in der<br />

Chemieindustrie oder in der sozialen Arbeit.<br />

Ich bin überzeugt, dass die verantwortlichen<br />

Akteure sehen, dass der DQR<br />

nicht ohne wissenschaftliche Expertise<br />

einfach als Verwaltungsakt verordnet werden<br />

kann. Es ist noch eine riesige – auch<br />

finanzielle – Kraftanstrengung nötig, um<br />

die nächsten Schritte zu gehen.<br />

E&W: Funkt der Föderalismus dazwischen?<br />

Neß: Gegenüber der EU sind Bund und<br />

Länder gemeinsam zuständig. Für ein<br />

gutes Unterstützungssystem zum DQR<br />

muss die Kultusministerkonferenz<br />

(KMK), müssen die Länder sorgen. Was<br />

allgemein bildende Schulen angeht,<br />

bleibt noch viel zu tun. Ich vertraue<br />

nach der Föderalismusreform auf die<br />

Selbstverpflichtung der Bundesländer.<br />

Nicht nur aus demographischen Aspekten<br />

wird man demnächst viel stärker auf<br />

die Menschen zugehen müssen, um sie<br />

im Beschäftigungssystem zu halten.<br />

E&W: Noch beschränkt sich die Debatte um<br />

EQR und DQR auf Expertenkreise.<br />

Neß: Es ist tatsächlich häufig ein Versäumnis<br />

der EU-Politik, die Menschen<br />

nicht frühzeitig bei Veränderungsprozessen<br />

mitzunehmen. Für die Max-Traeger-Stiftung<br />

befragen wir im Spätherbst<br />

engagierte Lehrkräfte zu ihren Erwartungen<br />

und zu den vermuteten Konsequenzen<br />

des DQR für ihre Arbeit. Da<br />

werden dann erstmals die Betroffenen<br />

einbezogen.<br />

Interview: Helga Ballauf, freie Journalistin<br />

„Dass alle europäischenStaaten<br />

eine gemeinsame<br />

Sprache für<br />

die Anerkennung<br />

von Qualifikationen<br />

suchen, ist<br />

bereits ein Wert<br />

an sich.“<br />

Harry Neß,<br />

Bildungsforscher<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 37<br />

Foto: privat


HOCHSCHULE UND FORSCHUNG<br />

Einer deregulierten<br />

Hochschule<br />

will die <strong>GEW</strong> eine<br />

demokratische<br />

Alternative entgegensetzen:<br />

„Mehr Autonomie<br />

für die Hochschulen<br />

muss einhergehen<br />

mit einer<br />

inneren Demokratisierung<br />

durch<br />

mehr Beteiligung<br />

der Hochschulmitglieder.“<br />

(*) Eine Gemeinschaftsveranstaltung<br />

der Hans-<br />

Böckler-Stiftung (HBS),<br />

des Deutschen Studentenwerkes<br />

(DSW) und<br />

der <strong>GEW</strong>.<br />

Demokratische Alternative<br />

Der vorherrschenden betriebswirtschaftlichen<br />

Interpretation von Hochschulautonomie<br />

setzen die Gewerkschaften<br />

das Leitbild einer demokratisch<br />

verfassten Hochschule entgegen.<br />

Alternativen zur „unternehmerischen<br />

Hochschule“ sind auf der<br />

zweiten <strong>GEW</strong>-Wissenschaftskonferenz(*)<br />

unter dem Motto „Innovation<br />

durch Partizipation – Steuerung von<br />

Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />

im 21. Jahrhundert“ im<br />

niedersächsischen Papenburg ausgelotet<br />

worden.<br />

38 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

<strong>GEW</strong>-Wissenschaftskonferenz: Innovation durch Partizipation<br />

Mehr Autonomie für<br />

die Hochschulen<br />

muss einhergehen<br />

mit einer inneren<br />

Demokratisierung<br />

durch mehr Beteiligung<br />

der Hochschulmitglieder“, brachte<br />

<strong>GEW</strong>-Hochschulexperte Andreas Keller<br />

den gewerkschaftlichen Anspruch an<br />

die Organisation einer Hochschule auf<br />

den Punkt. Der Trend geht allerdings in<br />

eine andere Richtung. Sowohl die öffentliche<br />

Hand als auch die akademische<br />

Selbstverwaltung haben zu Gunsten<br />

der Hochschulleitungen und<br />

Hochschulräte an Einfluss verloren.<br />

Seit der vierten Novelle des Hochschul-<br />

rahmengesetzes (HRG) 1998 bestimmen<br />

die Länder die Organisationsstrukturen<br />

ihrer Hochschulen weitgehend<br />

selbst. Fast alle setzen dabei auf Hochschulräte,<br />

deren Mitglieder zumindest<br />

zu einem Teil nicht aus den Hochschulen,<br />

sondern aus Wirtschaft, Wissenschaft<br />

und Kultur kommen. „Die Gewerkschaften<br />

haben die Entwicklung<br />

von Hochschulräten leider verschlafen“,<br />

kritisierte Manfred Wannöffel, Leiter<br />

der Gemeinsamen Arbeitsstelle Ruhr<br />

Universität Bochum – IG Metall. Stattdessen<br />

hat die Privatwirtschaft den Freiraum<br />

nach dem Rückzug des Staates aus<br />

der Detailsteuerung der Hochschulen<br />

für sich genutzt, zeigt z. B. die Studie<br />

Foto: David Ausserhofer


„Hochschulräte als neues Steuerungsinstrument?“<br />

der Hans-Böckler-Stiftung<br />

(HBS).<br />

Externe Hochschulräte<br />

Im Schnitt kommt jeweils ein Drittel der<br />

externen Hochschulräte aus der Wirtschaft<br />

und aus der Wissenschaft. Das<br />

geht aus der Untersuchung von Jörg Bogumil<br />

und Rolf Heinze hervor. Nur drei<br />

Prozent sind Gewerkschaftsvertreter. An<br />

Fachhochschulen, Technischen Universitäten<br />

und Privathochschulen liegt der<br />

Anteil der Repräsentanten der Wirtschaft<br />

sogar bei knapp der Hälfte. Dort<br />

dominieren die Vertreter kleiner und<br />

mittlerer Unternehmen mit regionalem<br />

Bezug. „Gerade bei den technischen<br />

Fachhochschulen stellen diese regionalen<br />

Unternehmen einen bedeutenden<br />

Faktor als Arbeitgeber für Absolventen<br />

dar, deren Einbezug in den Hochschulrat<br />

aus diesem Blickwinkel nachvollziehbar<br />

ist“, heißt es in der Studie.<br />

Arbeitgeber und Dienstherr<br />

Nachhaltig den Arbeitgebereinfluss zu<br />

sichern, ist die Intention der „Leitlinien<br />

für die deregulierte Hochschule“, die der<br />

Stifterverband für die deutsche Wissenschaft<br />

vorgelegt hat. „Wenn der Staat sich<br />

zurückzieht, bieten wir den Hochschulleitungen<br />

Hilfe, den Freiraum zu füllen“,<br />

erläuterte Mathias Winde, Programmleiter<br />

Hochschulreform beim Stifterverband.<br />

Hochschulen sollen demnach<br />

künftig Arbeitgeber, Dienstherr und Tarifpartner<br />

aller Mitarbeiter sein und die<br />

Höhe der Gehälter selbst festsetzen können.<br />

Mitbestimmung spielt in den „Leitlinien“<br />

keine Rolle. „Die Ausgestaltung<br />

der Partizipation ist je nach Zielsetzung<br />

der Hochschule unterschiedlich ausgeprägt“,<br />

heißt es lapidar.<br />

Dagegen ist der <strong>GEW</strong>-Entwurf für ein<br />

neues wissenschaftspolitisches Programm,<br />

das auf dem Gewerkschaftstag<br />

Ende April 2009 in Nürnberg beschlossen<br />

werden soll, von der Überzeugung<br />

geprägt, „dass nicht die Anpassung an<br />

die unternehmerische Hochschule,<br />

sondern die Orientierung auf ein Leitbild<br />

für eine alternative Hochschulentwicklung<br />

der richtige Weg ist.“ Mit der<br />

unternehmerischen Einrichtung werde<br />

nicht mehr Autonomie der Hochschule<br />

als Ganzes erreicht, sondern die jeweilige<br />

Hochschulleitung gegenüber<br />

den Gremien und Mitarbeitern gestärkt.<br />

Staatliche Aufgaben blieben daher:<br />

die Verantwortung für die Finanzierung<br />

der Hochschulen, die Gewährleistung<br />

des freien Hochschulzugangs,<br />

das Prüfungs- und Prüfungsorganisationsrecht,<br />

die soziale Absicherung des<br />

Studiums und die gesetzliche Regelung<br />

der Aufgaben der Hochschulen, ihrer<br />

Personalstruktur sowie der Mitbestimmung.<br />

Den Einfluss demokratisch<br />

nicht legitimierter Hochschulräte will<br />

die <strong>GEW</strong> zu Gunsten eines Hochschulkuratoriums<br />

zurückdrängen. „Die<br />

Wirtschaft soll beteiligt sein, aber auch<br />

andere gesellschaftliche Gruppen“, erklärte<br />

Keller.<br />

Als Bündnispartner für mehr Mitbestimmung<br />

hat Keller die Länderparlamente<br />

auserkoren. Sie sollen den durch<br />

die Föderalismusreform entstandenen<br />

Gestaltungsspielraum zur Stärkung der<br />

Mitbestimmung an den Hochschulen<br />

nutzen. Denn zum 1. <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong><br />

Keine Leuchttürme der Mitbestimmung<br />

Die Exzellenzinitiative hat die deutsche<br />

Hochschul- und Forschungslandschaft<br />

kräftig umgekrempelt. Die geförderten<br />

„Leuchttürme“ entwickeln,<br />

was die Mitbestimmung angeht, allerdings<br />

noch wenig Strahlkraft, wie Beispiele<br />

aus Karlsruhe und Berlin zeigen.<br />

„Wir schaffen einen Forschungsstandort<br />

mit großer internationaler Ausstrahlung<br />

– und zugleich ein Zukunftsmodell<br />

für Deutschland“, freute sich<br />

Bundesbildungsministerin Annette<br />

Schavan (CDU) zum Abschluss der<br />

Gründungsgespräche zum Karlsruhe<br />

Institute of Technology (KIT) Ende Februar<br />

<strong>2008</strong>. Die Mitbestimmung<br />

scheint die Ministerin nicht gemeint zu<br />

haben. Es zeichnet sich ab, dass die Be-<br />

schäftigten bei der Fusion des Forschungszentrums<br />

Karlsruhe (FZK) und<br />

der Technischen Hochschule Karlsruhe<br />

mit Verschlechterungen rechnen müssen.<br />

Das KIT soll wie ein privates Unternehmen<br />

geführt werden, aber als<br />

Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />

organisiert sein. Die Mitbestimmungsrechte<br />

der wissenschaftlichen und<br />

nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter in<br />

Laboren, Werkstätten und der Verwaltung<br />

würden dadurch ins Hintertreffen<br />

geraten, erwartet FZK-Betriebsratsvorsitzender<br />

Wolfgang Eppler. Zusammen<br />

mit den Gewerkschaften verlangt Eppler,<br />

alle Beschäftigten dem Betriebsverfassungsrecht<br />

zu unterwerfen, das stärkere<br />

Mitbestimmungsrechte vorsieht.<br />

HOCHSCHULE UND FORSCHUNG<br />

Studis, aufgepasst!<br />

Gemeinsam mit der Frankfurter Rundschau bietet die<br />

<strong>GEW</strong> am 31. <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong> von 14 bis 17 Uhr eine BAföG-<br />

Hotline für Studierende zu folgenden Themen an:<br />

● Unter welchen Bedingungen erhalte ich BAföG?<br />

● Welche Ausbildungen werden gefördert?<br />

● Wie viel darf ich dazu verdienen?<br />

Weitere Informationen: Tel. 069/2199-3084/-3085/-3088<br />

E-Mail: Bildung@fr-online.de<br />

läuft das Hochschulrahmengesetz<br />

(HRG) aus. Abgesehen von Zulassung<br />

und Abschlüssen entscheiden dann die<br />

Länder über das Dienstrecht. Die <strong>GEW</strong><br />

verlangt, dass über alle Fragen, die den<br />

verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich<br />

von Forschung und Lehre nicht<br />

betreffen, paritätisch besetzte Gremien<br />

entscheiden.<br />

Udo van Lengen,<br />

Redakteur Zweiwochendienst<br />

Keine Mitspracherechte hätten auch<br />

die Promovenden an der Dahlem Research<br />

School der FU Berlin, so André<br />

Lottmann, Mitglied der <strong>GEW</strong>-Projektgruppe<br />

Doktoranden. Lottmann promoviert<br />

an der mit Exzellenzgeldern<br />

geförderten Graduiertenschule, an der<br />

rund 300 der etwa 700 Promovenden<br />

eingeschrieben sind. „Von Vorteil ist<br />

aber, dass wir nicht die Individualpromotion<br />

durchlaufen und dadurch weniger<br />

abhängig von Doktorvater oder -<br />

mutter sind.“ Die Gruppe der Promovierenden<br />

in der <strong>GEW</strong> befürwortet eine<br />

Vereinigung aller Doktoranden unter<br />

dem Dach von Graduiertenzentren.<br />

Udo van Lengen,<br />

Redakteur Zweiwochendienst<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 39<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

<strong>GEW</strong>-Hochschuldokumentation<br />

„Vom Studentenberg<br />

zum Schuldenberg?“<br />

lautete das Motto der<br />

ersten <strong>GEW</strong>-Wissenschaftskonferenz.<br />

Ihre<br />

Beiträge dokumentiert<br />

ein Sammelband, der in<br />

der Reihe „<strong>GEW</strong>-Materialien<br />

aus Hochschule<br />

und Forschung“ <strong>2008</strong><br />

erschienen ist.<br />

Andrea Adams/Andreas<br />

Keller (Hrsg.): Vom Studentenberg<br />

zum Schuldenberg?<br />

Perspektiven der<br />

Hochschul- und Studienfinanzierung.<br />

wbv (Bielefeld)<br />

<strong>2008</strong>, 29,80 Euro.<br />

<strong>GEW</strong>-Mitglieder profitieren<br />

vom Herausgeberrabatt<br />

in Höhe von 30 Prozent:<br />

Bestellungen bitte an<br />

Christine Sturm,<br />

Tel. 069/789 73-312,<br />

E-Mail:<br />

christine.sturm@gew.de.


HOCHSCHULE UND FORSCHUNG<br />

„Der Markt ist leergefegt“<br />

Interview mit Klaus-Jürgen Tillmann zum „Datenreport <strong>2008</strong>"<br />

Alle vier Jahre legt die Deutsche Gesellschaft<br />

für Erziehungswissenschaft<br />

(DGfE) die aktuellen Strukturdaten<br />

für ihre Disziplin vor. Veränderungsprozesse,<br />

wie sie durch die Einführung<br />

der Bachelor-Master-Studiengänge in<br />

Gang kamen, werden damit auch<br />

quantitativ dokumentiert. E&W<br />

sprach mit Klaus-Jürgen Tillmann,<br />

einem der Herausgeber des Reports,<br />

den Max-Traeger- und Hans-Böckler-<br />

Stiftung finanziert haben.<br />

E&W: Der letzte Datenreport ist 2004 erschienen,<br />

jetzt gibt es die Fortschreibung in einem<br />

neuen Band. Wie hat sich die Erziehungswissenschaft<br />

seither entwickelt?<br />

Klaus-Jürgen Tillmann: Wenn wir auf<br />

die studentische Nachfrage schauen,<br />

zeigt sich eine Stabilisierung auf hohem<br />

Niveau. Die Zahl der Absolventen im<br />

Hauptfach (Dipl-Päd.) ist mit knapp<br />

5000 pro Jahr ziemlich fest. Hinzu kommen<br />

noch rund 25 000 angehende Lehrerinnen<br />

und Lehrer, so dass wir insgesamt<br />

seit Jahren etwa 30 000 erziehungswissenschaftlich<br />

Ausgebildete auf den<br />

Arbeitsmarkt entlassen.<br />

40 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

E&W: Das Fach ist damit eines der beliebtesten<br />

insgesamt. Spiegelt sich das denn auch in<br />

der Ausstattung der Hochschulen wider?<br />

Tillmann: Nein, überhaupt nicht. Parallel<br />

zu der hohen Studierendenzahl<br />

erleben wir seit 15 Jahren einen kontinuierlichen<br />

Personalabbau. Zwischen<br />

1998 und 2006 sank die Zahl der Professuren<br />

von 1133 auf 843. Wenn man den<br />

heutigen Stand mit dem Anfang der<br />

1980er-Jahre vergleicht, haben wir sogar<br />

40 Prozent weniger Professuren. Wir erleben<br />

eine dramatische Entwicklung,<br />

bei der wir Jahr für Jahr weniger Ressourcen<br />

für die Betreuung der Studierenden<br />

zur Verfügung haben. Wenn<br />

man dann noch die zunehmende Betreuungsintensität<br />

durch die Einführung<br />

von Bachelor und Master<br />

berücksichtigt, zeigt sich: Es gibt wohl<br />

kein anderes Fach, in dem so massiv<br />

Personal abgebaut worden ist.<br />

E&W: Das klingt so, als würde die Erziehungswissenschaft<br />

zu einer reinen Ausbildungsdisziplin<br />

ohne wissenschaftliche Weiterentwicklung<br />

verkümmern.<br />

Tillmann: Das ist ja ein weit verbreitetes<br />

Vorurteil, dass man in der Pädagogik<br />

kaum forsche. Aber das Gegenteil ist<br />

richtig: In den vergangenen zehn Jahren<br />

ist die Forschungsleistung massiv angestiegen,<br />

seit 1995 ist etwa die Zahl der<br />

eingeworbenen Drittmittel verdreifacht<br />

und die der Promotionen nahezu verdoppelt<br />

worden. Die Leistungen in Forschung<br />

und Lehre sind absolut vorzeigbar.<br />

E&W: Wo liegen die größten Herausforderungen<br />

für die Zukunft?<br />

Tillmann: Vor allem im anstehenden<br />

Generationenwechsel. Allein zwischen<br />

2007 und 2010 werden aus Altersgründen<br />

bundesweit 173 Professuren frei. Ich<br />

bezweifle aber, dass es in allen Bereichen<br />

der Erziehungswissenschaft – nicht zuletzt<br />

wegen der Kürzungen in den vergangenen<br />

Jahren und den damit verbundenen<br />

Abschreckungseffekten – ausreichend<br />

viele qualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />

und -wissenschaftler<br />

gibt. In der Schulpädagogik erleben wir<br />

schon jetzt einen sprunghaften Anstieg<br />

der Ausschreibungen. Dem stehen inzwischen<br />

viel zu wenig qualifizierte Bewerberinnen<br />

und Bewerber gegenüber.<br />

Salopp gesagt: Der Markt ist weitgehend<br />

leergefegt.<br />

Interview: Armin Himmelrath,<br />

freier Journalist<br />

Foto: David Ausserhofer<br />

Trotz der hohen<br />

Studierendenzahl<br />

findet seit 15 Jahren<br />

in den Erziehungswissenschaften<br />

ein kontinuierlicherPersonalabbau<br />

statt.<br />

Prof. Klaus-<br />

Jürgen Tillmann<br />

Info<br />

Klaus-Jürgen Tillmann,<br />

Thomas Rauschenbach,<br />

Rudolf Tippelt, Horst<br />

Weishaupt (Hrsg.): DatenreportErziehungswissenschaft<br />

<strong>2008</strong>, Budrich-VerlagLeverkusen-Opladen<br />

<strong>2008</strong>, 186<br />

Seiten, 19,90 Euro<br />

Zum „Datenreport Erziehungswissenschaft“<br />

veranstaltet die Max-<br />

Traeger-Stiftung, die<br />

auch die Veröffentlichung<br />

des Reports<br />

finanziert hat, am<br />

30. Januar 2009 ein<br />

Fachgespräch.<br />

Weitere Informationen:<br />

<strong>GEW</strong>-Hauptvorstand,<br />

Vorstandsbereich Hochschule<br />

und Forschung,<br />

E-Mail:<br />

Andreas.Keller@gew.de.<br />

Foto: Privat


TARIF- UND BESOLDUNGSRUNDE 2009<br />

Auf ein Wort, liebe Kollegin, lieber Kollege ...<br />

Die Tarif- und Besoldungsrunde<br />

2009 steht vor der<br />

Tür. Auch die Beschäftigten<br />

in den Ländern brauchen gerade<br />

wegen der Preisentwicklung,<br />

z. B. in den Bereichen<br />

Energie und Lebensmittel, einen deutlichen<br />

Einkommenszuwachs. Für den Bund und<br />

die Kommunen konnte <strong>2008</strong> ein gutes Ergebnis<br />

durchgesetzt werden. Die Erhöhung von<br />

50 Euro plus 3,1 Prozent zum 1. Januar<br />

<strong>2008</strong> – in den neuen Bundesländern erst ab<br />

dem 1. April <strong>2008</strong> – und um weitere 2,8<br />

Prozent zum 1. Januar 2009 plus 225 Euro<br />

Einmalzahlung war nur möglich, weil die gewerkschaftlich<br />

gut organisierten Beschäftigten<br />

bei Bund und Kommunen in zwei Warnstreikwellen<br />

von Anfang an ihre Stärke und<br />

ihren Aktionswillen gezeigt haben.<br />

In der Tarif- und Besoldungsrunde 2009<br />

sind nun die fast zwei Millionen Beschäftigten<br />

bei den Ländern aufgerufen, sich für deutliche<br />

Verbesserungen ihres Einkommens einzusetzen.<br />

Fast die Hälfte aller Landesbeschäftigten<br />

arbeitet in Schulen – als Lehrkräfte<br />

(zirka 820 000) oder als Sozialpädagogen<br />

(rund 120 000). Knapp zwei Drittel der Beschäftigten<br />

stehen in einem Beamtenverhältnis,<br />

ein gutes Drittel sind Angestellte. Schon<br />

diese Zahlen machen deutlich: Ein gutes Ergebnis<br />

kann nur erzielt werden, wenn von<br />

Anfang an Tarifbeschäftigte und Beamtinnen<br />

und Beamte gemeinsam in die Tarifauseinandersetzung<br />

einbezogen werden.<br />

Vor allem aber hängt ein gutes Ergebnis davon<br />

ab, dass der Organisationsgrad der<br />

<strong>GEW</strong> deutlich erhöht wird. Die <strong>GEW</strong> hat<br />

die Verhandlungsführung für die Beschäftigten<br />

in den Schulen.<br />

Um diesen Verhandlungsauftrag mit dem<br />

größtmöglichen Erfolg für die Beschäftigten<br />

an Schulen erfüllen zu können, braucht die<br />

<strong>GEW</strong> mehr Mitglieder. Aus aktuellen Untersuchungen<br />

wissen wir, dass es eine hohe Bereitschaft<br />

gibt, sich in der <strong>GEW</strong> zu organisieren.<br />

Viele Noch-Nicht-Mitglieder wollen<br />

persönlich von „ihren“ <strong>GEW</strong>-Kolleginnen<br />

und -Kollegen auf eine Mitgliedschaft in der<br />

<strong>GEW</strong> angesprochen werden. Kein Brief, kein<br />

Flyer ist so wirksam wie die direkte Ansprache<br />

durch ein <strong>GEW</strong>-Mitglied.<br />

Vorteilsregelungen<br />

Ganz besonders Nicht-Organisierte beschweren<br />

sind nach Abschluss von Tarifrunden gerne<br />

massiv über schlechte Ergebnisse. Jeder<br />

kennt solche Gespräche im Lehrerzimmer.<br />

Nur selten machen <strong>GEW</strong>-Mitglieder ihrem<br />

Ärger Luft, dass gerade der geringe Organisationsgrad<br />

und die überproportional vielen<br />

Trittbrettfahrer in Schulen eigentlich die Ver-<br />

antwortung dafür tragen. Deshalb ist die<br />

Forderung nach Tarifverträgen mit Vorteilsregelungen<br />

nur für Gewerkschaftsmitglieder<br />

verständlich. Sie ist so alt wie die Gewerkschaften<br />

selbst.<br />

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe derartiger<br />

tariflicher Regelungen, z. B. bei der IG Metall,<br />

bei ver.di und der IG BCE – mit Erfolg.<br />

Im öffentlichen Dienst dehnen die öffentlichen<br />

Arbeitgeber die Tarifabschlüsse als „freiwillige“<br />

Leistung auch auf Nicht-Organisierte<br />

aus. Wer hinter diesem Verfahren eine<br />

Absicht vermutet, liegt richtig. Natürlich ist<br />

es für die Arbeitgeber günstiger, schwache Ergebnisse,<br />

die eine schlecht organisierte Belegschaft<br />

schlucken muss, allen zu gewähren, als<br />

sich einer starken Interessensvertretung gegenüberzusehen.<br />

Moralische Unterstützung<br />

Vieler für die Forderungen der <strong>GEW</strong> nützt<br />

da nämlich nichts.<br />

Deshalb ist es jetzt an der Zeit, die Diskussion<br />

in den Kollegien offensiv zu führen.<br />

<strong>GEW</strong> fordert mehr Geld<br />

Die Bundestarifkommission (BTK) der<br />

<strong>GEW</strong> hat am 8. und 9. September die Empfehlungen<br />

für die Mitgliederdiskussion beschlossen.<br />

Im Mittelpunkt wird sicher die<br />

Forderung nach einer kräftigen linearen Einkommenssteigerung<br />

stehen (s. Seite 42).<br />

Jetzt soll in der Mitgliedschaft darüber diskutiert<br />

werden. Die Forderungen mitbestimmen<br />

können nur Mitglieder. Grund genug, jetzt<br />

Mitglieder zu gewinnen.<br />

Hessen verhandelt gesondert<br />

Die Tarifverhandlungen werden für 14 Länder<br />

zentral geführt. In Hessen wird gesondert<br />

verhandelt, solange das Land den vom Landesparlament<br />

beschlossenen Wiedereintritt in<br />

die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL)<br />

noch nicht vollzogen hat. In Berlin wird zurzeit<br />

vom Regierenden Bürgermeister jede vernünftige<br />

Verhandlungslösung blockiert. Danach<br />

geht es darum, die Ergebnisse zeit- und<br />

inhaltsgleich für die Beamtinnen und Beamten<br />

in jedem einzelnen Land durchzusetzen.<br />

Dafür ist es am besten, dass gleich von Anfang<br />

an auch die Beamtinnen und Beamten zeigen,<br />

dass mit ihnen gerechnet werden muss.<br />

Die <strong>GEW</strong> wird, um mehr Durchsetzungskraft<br />

zu gewinnen, während der gesamten Tarifrunde<br />

2009 – die jetzt mit der Forderungsdiskussion<br />

beginnt – eine breit angelegte Mitgliederwerbekampagne<br />

durchführen. Mit den Flugblättern<br />

„Auf ein Wort, liebe Kollegin, lieber<br />

Kollege, ...“ sollen Gelegenheiten geschaffen werden,<br />

mit Noch-Nicht-Mitgliedern persönlich in<br />

Kontakt zu treten.<br />

Im <strong>Oktober</strong> werden deshalb alle Mitglieder in<br />

den Ländern ein Schreiben erhalten mit der Bitte,<br />

sich aktiv an dieser Kampagne zu beteiligen.<br />

Diesem Schreiben, das an Noch-Nicht-Mitgliederverteiltwerdensoll,sindzweiFlugblätter<br />

aus der Serie „Auf ein Wort...“ beigefügt.<br />

Regelmäßig werden in den Folgemonaten<br />

weitere Flugblätter in der E&W erscheinen.<br />

Auf der Internetseite www.gew-tarifrunde.de<br />

sind jeweils die aktuellen Informationen zu<br />

finden.<br />

Ilse Schaad, Leiterin des <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs<br />

Angestellten- und Beamtenpolitik<br />

Tariftelegramm<br />

für die Länder<br />

In der Tarifrunde <strong>2008</strong> für den Bund<br />

und die Kommunen hat die <strong>GEW</strong><br />

ihre dort beschäftigten Mitglieder<br />

direkt aus den Verhandlungen heraus<br />

aktuell informiert.<br />

Dies soll in der kommenden Tarifrunde<br />

auch für die Beschäftigten in<br />

den Ländern erfolgen.<br />

Wie funktioniert das?<br />

Alle Mitglieder, die in den Ländern<br />

beschäftigt sind und deren Einverständnis<br />

für den E-Mail-Versand<br />

vorliegt, erhalten demnächst das<br />

erste Tariftelegramm Länder.<br />

Wer nicht in diesem Verteiler erfasst<br />

ist, vielleicht weil uns die E-Mail-<br />

Adresse nicht bekannt ist, kann sich<br />

bei der <strong>GEW</strong> melden und wird dann<br />

in den Verteiler aufgenommen.<br />

Wer keine weiteren Mails bekommen<br />

möchte, kann einfach auf die<br />

erste Mail reagieren und alle weiteren<br />

abbestellen. Ilse Schaad<br />

Ilse Schaad<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 41<br />

Foto: Privat


TARIF- UND BESOLDUNGSRUNDE 2009<br />

Vor allem: mehr Geld<br />

42 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Empfehlung der Bundestarifkommission zur Forderungsdiskussion<br />

Die Tarifrunde 2009 ist für die Vergütung<br />

der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

sowie die Besoldung der<br />

Beamtinnen und Beamten gleichermaßen<br />

von grundsätzlicher Bedeutung.<br />

Deshalb ruft die <strong>GEW</strong> die Mitglieder<br />

im Länderbereich – Angestellte<br />

und Beamte – zur gemeinsamen Forderungsdiskussion<br />

auf.<br />

In der Tarifrunde 2009 geht es an erster<br />

Stelle um eine kräftige lineare<br />

Anhebung des Tabellenentgelts,<br />

die sowohl im Westen als auch im<br />

Osten zeitgleich in Kraft tritt.<br />

Zwanzig Jahre nach Herstellung der<br />

deutschen Einheit ist längst kein Platz<br />

mehr für Abhängmanöver, die die Arbeitgeber<br />

offensichtlich immer noch für<br />

vertretbar und wünschenswert halten.<br />

Wie für den Tarifbereich des Bundes<br />

und der Kommunen muss es auch für<br />

die Länder eine Verlängerung der am 1.<br />

November auslaufenden Aufstiegsregelungen<br />

geben. Auch hier fehlt es nämlich<br />

an einer Entgeltordnung, die das<br />

Übergangsrecht überflüssig macht.<br />

Für Beschäftigte, die erst nach dem 31.<br />

<strong>Oktober</strong> 2006 eingestellt wurden, müssen<br />

im Vorgriff auf die Verhandlungen<br />

für ein neues Eingruppierungsrecht im<br />

Länderbereich nach der Tarifrunde<br />

2009 verbindliche Schritte zur baldigen<br />

Aufnahme von Verhandlungen über die<br />

Tarifierung der Eingruppierung von<br />

Lehrkräften vereinbart werden.<br />

Stufenzuordnung verbessern<br />

Zum Abbau der Entgeltdiskriminierung<br />

von Beschäftigten mit langen Ausbildungszeiten<br />

ist die Stufenzuordnung<br />

für neu einzustellende Beschäftigte<br />

deutlich zu verbessern. Bisher haben die<br />

Arbeitgeber den weiten Ermessensspielraum,<br />

den der Tarifvertrag der Länder<br />

(TV-L) bei der Stufenzuordnung gewährt,<br />

unkontrolliert weidlich genutzt.<br />

Einige Bundesländer nehmen heute<br />

noch den Bundesangestelltentarif<br />

(BAT) als Eingruppierungsgrundlage<br />

und leiten dann in den TV-L über, um in<br />

Zeiten sich verschärfenden Lehrermangels<br />

die notwendigen Fachkräfte im<br />

Zweifel auch mit aggressiven Werbekampagnen<br />

in anderen Bundesländern<br />

zu gewinnen. Das kann nicht das Modell<br />

der Zukunft sein, weil es zu Lasten<br />

der Bildungsqualität „ärmerer“ Länder<br />

geht. Deshalb brauchen wir verlässliche<br />

und verbesserte Tarifregelungen.<br />

Hängepartie beenden<br />

In der kommenden Tarifrunde muss<br />

auch die verantwortungslose Hängepartie<br />

für Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen,<br />

die<br />

in die Vergütungsgruppe<br />

II b eingruppiert<br />

sind, beendet<br />

werden.<br />

Übergeleitete<br />

Lehrkräfte,<br />

die in die Vergütungsgruppe<br />

II b eingruppiert<br />

sind, sind in<br />

den Strukturausgleich einzubeziehen.<br />

Die Bundestarifkommission (BTK) der<br />

<strong>GEW</strong> empfiehlt ferner die Streichung<br />

der Regelungen zur Leistungsbezahlung<br />

und die Einarbeitung des hierfür zur<br />

Erzieherinnen und Sozialpädagogen:<br />

höher eingruppieren!<br />

Verfügung stehenden Geldvolumens in<br />

die Entgelttabellen. Sollte dies zunächst<br />

nicht erreicht werden, ist ein weiterer<br />

Ausbau der Leistungsbezahlung zu verhindern.<br />

Die BTK empfiehlt, dass bis<br />

zum Abschluss der Tarifrunde 2009 keine<br />

Tarifverträge zum Leistungsentgelt<br />

auf Landesebene abgeschlossen werden.<br />

Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />

älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

und deren Übergang in die<br />

Altersrente – unter anderem durch verstärkte<br />

Neueinstellungen und Fortführung<br />

des Altersteilzeittarifvertrages –<br />

müssen zeitnah ebenfalls in Angriff genommen<br />

werden.<br />

Im Wissenschaftsbereich sind die Mitglieder<br />

aufgefordert, ihre spezifischen<br />

Belange insbesondere zum Geltungsbereich<br />

und zur Ausgestaltung von Arbeitsverträgen<br />

(Stufenzuordnung, Befristung)<br />

zu diskutieren und Strategien<br />

zur Durchsetzung zu entwickeln.<br />

Die Übertragung der Tarifergebnisse auf<br />

die Beamtinnen und Beamten ist – wie<br />

gerade die Tarifrunde 2006 und deren<br />

Umsetzung zum 1. Januar <strong>2008</strong> gezeigt<br />

hat – kein Selbstläufer. Die Beamtinnen<br />

und Beamten haben noch nie mehr bekommen<br />

als die Tarifbeschäftigten –<br />

eher das Gegenteil. Deshalb muss die<br />

Mitgliederdiskussion sich auch damit<br />

beschäftigen, wie in Zeiten feudaler<br />

Länderstrukturen nach der Föderalismusreform<br />

die zeit- und inhaltsgleiche<br />

Übertragung in allen Ländern durchgesetzt<br />

werden kann.<br />

Ilse Schaad, Leiterin des <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs<br />

Angestellten- und Beamtenpolitik<br />

Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ist beim Tarifabschluss im<br />

März <strong>2008</strong> vereinbart worden, die Verhandlungen über eine neue Entgeltordnung<br />

im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes unverzüglich aufzunehmen.<br />

Derzeit gilt für diesen Bereich immer noch das alte Eingruppierungsrecht<br />

des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT). Die Vergütungsgruppen im BAT sind<br />

bisher ohne Bewährungsaufstiege in Entgeltgruppen des TVöD übergeleitet worden.<br />

Dies hat zu einer eklatanten Schlechterstellung der Beschäftigten geführt.<br />

Zum Auftakt der Tarifrunde 2009 verlangt die Bundestarifkommission (BTK)<br />

der <strong>GEW</strong> deshalb in ihrem Forderungskatalog, Erzieherinnen und Erzieher in<br />

der Regel in Entgeltgruppe 9, Sozialpädagogen in Entgeltgruppe 10 einzugruppieren<br />

(s. Seiten 41/42).<br />

Bernhard Eibeck, Referent im <strong>GEW</strong>-Organisationsbereich Jugendhilfe und Sozialarbeit


Gesetzwidrigen Handel<br />

mit Daten bekämpfen<br />

Gewerkschaftsmitglieder können ins Visier der US-Terroristenjäger geraten<br />

Dieser Tage ist viel die Rede davon,<br />

wie Bund und Länder den illegalen<br />

Handel mit den persönlichen Daten<br />

von zigmillionen Bundesbürgern<br />

bekämpfen wollen. Die Ansätze<br />

sind sicher richtig: Zustimmung<br />

der Betroffenen und eine Kennzeichnungspflicht,<br />

mit der man die<br />

Herkunft der Daten verfolgen kann<br />

sowie schärfere Sanktionen sind das<br />

Mindeste, was eine Regierung tun<br />

kann und muss.<br />

Sie tut es allerdings zu spät.<br />

Denn die Daten dürften<br />

inzwischen weltweit vagabundieren<br />

und sind damit<br />

selbst dann eine Gefahr für<br />

die Betroffenen, wenn<br />

dem nationalen Handel mit gesetzwidrig<br />

erworbenen und genutzten Daten<br />

tatsächlich erfolgreich der Kampf angesagt<br />

wird.<br />

Viel zu lange war die Politik beim Datenschutz<br />

untätig, obwohl es Anlässe<br />

genug gegeben hätte, um das Recht<br />

auf informationelle Selbstbestimmung<br />

und den Schutz<br />

der Privatsphäre konsequent<br />

in Deutschland durchzusetzen.<br />

Die Mitarbeiterüberwachung<br />

bei Lidl oder die<br />

„Kontrolle“ von Telefonverbindungen<br />

durch die Tele-<br />

kom bei ihren eigenen Aufsichtsräten<br />

sind nur zwei skandalöse Beispiele.<br />

Bund und Länder haben mit Stillschweigen<br />

reagiert anstatt zu handeln.<br />

Wir brauchen dringend ein Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz.<br />

Das alles zeigt: Beim Datenschutz sind<br />

die Regierenden selbst Teil des Problems.<br />

Es kommt ja noch die staatliche<br />

Datensammel- und Datenspeicherungswut<br />

hinzu – und das keineswegs nur im<br />

Bereich der Kriminalitätsbekämpfung.<br />

Dabei wird völlig außer Acht gelassen,<br />

dass die Prinzipen der Datenvermeidung<br />

und -sparsamkeit gesetzlich verankert<br />

sind. In der Realität hat man sich<br />

von diesen Grundsätzen längst verabschiedet.<br />

❞ Beim Datenschutz<br />

sind die<br />

Regierenden<br />

selbst Teil des<br />

Problems. ❝<br />

An staatlichen Datenmissbrauch grenzt<br />

ein Vertrag zwischen Deutschland und<br />

den USA, der den irreführenden Namen<br />

„Datenschutzabkommen“ trägt<br />

und in Kürze ratifiziert werden soll. In<br />

Wirklichkeit geht es um einen intensiven<br />

Datenaustausch im Rahmen der<br />

Terrorbekämpfung. In Artikel 12 des<br />

Vertrags heißt es:<br />

„Personenbezogene Daten, aus denen<br />

die Rasse oder ethnische Herkunft, politische<br />

Anschauung, religiöse oder sonstige<br />

Überzeugungen oder die Mitgliedschaft<br />

in Gewerkschaften hervorgeht<br />

oder die die Gesundheit und das Sexualleben<br />

betreffen, dürfen nur zur Verfügung<br />

gestellt werden, wenn sie für<br />

Zwecke dieses Abkommens besonders<br />

relevant sind.“<br />

Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass in<br />

diesem Zusammenhang die Mitgliedschaft<br />

in einer Gewerkschaft nichts verloren<br />

hat. Oder sollen 6,5 Millionen Gewerkschaftsmitglieder<br />

als potenzielle Terroristen<br />

abgestempelt und ins Visier der<br />

US-Terroristenjäger genommen werden?<br />

Das kann und darf nicht sein. Im<br />

Übrigen stellt sich die Frage, woher die<br />

deutschen Sicherheitsbehörden<br />

Kenntnis über Gewerkschaftsmitglieder<br />

haben. Eine<br />

befriedigende Antwort darauf<br />

hat der DGB bisher nicht erhalten.<br />

Es ist nur zu hoffen,<br />

dass es keinen illegalen staatlichen<br />

Zugang zu den DGB-<br />

Mitgliederdateien gibt.<br />

Geradezu ungeheuerlich ist folgende<br />

Behauptung der Bundesregierung in der<br />

Antwort auf eine Anfrage der Fraktion<br />

Die Linke: „Die Relevanz der Gewerkschaftszugehörigkeit<br />

einer Person für<br />

die Bekämpfung des internationalen<br />

Terrorismus ist in besonderen Fällen<br />

nicht vollständig auszuschließen.“ Welche<br />

Relevanz das sein soll, konnte die<br />

Bundesregierung dem DGB bisher<br />

ebenfalls nicht erklären.<br />

Riesendatenskandal droht<br />

Stattdessen weist sie darauf hin, dass der<br />

kritisierte Artikel 12 geradezu ein<br />

Schutzparagraph sei, weil damit höchst<br />

intime und persönliche Daten sozusa-<br />

Michael Sommer, DGB-Vorsitzender<br />

gen nur im Ausnahmefall weitergegeben<br />

und besonders geschützt werden<br />

sollen. Man kann es – wie Berlins Innensenator<br />

Ehrhart Körting (SPD) – allerdings<br />

auch anders sehen: nämlich als<br />

Aufforderung an die Sicherheitsbehörden,<br />

sich auch um Gewerkschaftszugehörigkeit<br />

oder das Sexualleben von<br />

Terrorverdächtigen zu kümmern. Fast<br />

sicher scheint: Wenn der Vertrag erst<br />

einmal ratifiziert ist, werden die US-<br />

Terroristenjäger gewiss darauf drängen,<br />

genau diese Informationen zu bekommen.<br />

Davor graust offenbar selbst<br />

dem Bundesdatenschutzbeauftragen<br />

Peter Schaar, weil die Datenschutzbestimmungen<br />

in den USA aus seiner<br />

Sicht „zu lax“ sind.<br />

Der DGB hat – bisher erfolglos – gegen<br />

diesen Passus in Artikel 12 des Vertrags<br />

bei Bundesinnenminister Wolfgang<br />

Schäuble (CDU) und Bundesjustizministerin<br />

Brigitte Zypries (SPD) protestiert<br />

und darauf gedrängt, Regierung und<br />

Bundestag sollten gemeinsam für den<br />

nötigen Datenschutz sorgen. Das würde<br />

notfalls auch ohne Vertragsänderung gehen.<br />

Aber bisher scheint die Große Koalition<br />

nichts unternehmen zu wollen.<br />

So droht ein Riesendatenskandal, für<br />

den allein die Politik die Verantwortung<br />

trägt.<br />

Michael Sommer, DGB-Vorsitzender<br />

GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 43<br />

Foto: DGB


GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />

Wenn Schule krank macht<br />

Interview mit Ludwig Bilz, TU Dresden, zur WHO-Studie „Gesundheit von Schulkindern“<br />

E&W: In der Öffentlichkeit wird viel über<br />

Aufmerksamkeitsstörungen oder wachsende<br />

Gewalt bei Schülerinnen und Schülern diskutiert.<br />

Sie haben in Ihrer Studie „Gesundheit,<br />

Ungleichheit und jugendliche Lebenswelten“,<br />

die im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) entstanden ist, die versteckten<br />

psychischen Störungen untersucht. Warum?<br />

Ludwig Bilz: Lehrkräfte und Wissenschaftler<br />

haben emotionale Störungen<br />

im schulischen Umfeld bisher kaum im<br />

Blick gehabt. Wir wollten diese Forschungslücke<br />

mit unserer Untersuchung<br />

schließen. Depressionen, Ängste<br />

und psychosomatische Erkrankungen<br />

sind im Jugendalter viel verbreiteter als<br />

bislang vermutet. Sie haben in den vergangenen<br />

Jahren sogar zugenommen.<br />

Bis zum Ende der Adoleszenz leiden etwa<br />

20 Prozent der Kinder und Jugendlichen<br />

unter einer klinisch relevanten<br />

psychischen Störung.<br />

E&W: Viele halten das für altersbedingte Phänomene,<br />

die sich mit der Zeit auswachsen.<br />

Bilz: Genau das ist falsch. Die Störungen<br />

gehen weit über pubertäre Stimmungsschwankungen<br />

hinaus. Sie haben<br />

die Tendenz, chronisch zu werden.<br />

Häufig treten dabei Ängste, Depressionen<br />

und körperliche Beschwerden gemeinsam<br />

auf. Wir sprechen von „internalisierenden<br />

Störungen“, weil sich die<br />

Symptome dieser Probleme eher innerhalb<br />

einer Person manifestieren und für<br />

das Umfeld kaum erkennbar sind. Die<br />

Jugendlichen wirken angepasst, unauffällig.<br />

Wer sagt, „das muss jeder durchmachen“,<br />

„ist doch normal“, liegt völlig<br />

falsch. Zudem: Wer im Jugendalter mit<br />

psychischen Problemen kämpft, hat ein<br />

wesentlich höheres Risiko, auch als Erwachsener<br />

Ängste oder Depressionen<br />

zu entwickeln. Umso wichtiger ist die<br />

Prävention.<br />

E&W: In Ihrer Studie haben Sie den Einfluss<br />

der Schule auf die Entstehung emotionaler<br />

Probleme untersucht.<br />

Bilz: Die Schule ist neben dem Elternhaus<br />

das wichtigste soziale Umfeld für<br />

Kinder und Jugendliche. Hier müssen<br />

sie zentrale Entwicklungsaufgaben bewältigen.<br />

Deshalb ist es nur folgerichtig<br />

zu fragen: Inwieweit nimmt die Schule<br />

Einfluss auf die psychische Gesundheit<br />

der Schüler?<br />

E&W: Wie sind Sie vorgegangen?<br />

Bilz: Unsere Untersuchung ist Teil der<br />

Health Behaviour in School-aged Children-<br />

44 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Studie (HBSC), die unter WHO-Schirmherrschaft<br />

in mehr als 40 Ländern die Gesundheit<br />

von Schülern unter die Lupe<br />

nimmt. In Deutschland sind fünf Bundesländer<br />

beteiligt. Unsere Forschungsgruppe<br />

betreut die Erhebung in Sachsen.<br />

Thematisch haben wir uns den Schwerpunkt<br />

Schule und psychische Gesundheit<br />

gesetzt und mehr als 4000 sächsische<br />

Schülerinnen und Schüler befragt. Dabei<br />

interessierte uns zum einen, welche Risikofaktoren<br />

für die Entstehung psychischer<br />

Probleme entscheidend sind und<br />

welche Rolle die Schule dabei spielt. Zum<br />

anderen wollten wir wissen, über welche<br />

Mechanismen diese Risikofaktoren es<br />

schaffen, Einfluss auf die psychische Entwicklung<br />

der Schüler zu nehmen.<br />

E&W: Welche Faktoren sind maßgeblich?<br />

Bilz: Für zwei Entwicklungsaufgaben<br />

auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist<br />

die Schule entscheidend: Erstens müssen<br />

Jugendliche mit den schulischen<br />

Leistungsanforderungen zurechtkommen.<br />

Wir wollten deshalb wissen, wie<br />

die Schüler die Lernbedingungen an ihrer<br />

Schule einschätzen. Geht der Lehrer<br />

zu schnell vor, wie abwechslungsreich<br />

ist der Unterricht, wie anschaulich erklärt<br />

er? Fühlen sich die Schüler überfordert?<br />

Die zweite wichtige Entwicklungsaufgabe<br />

im schulischen Umfeld: Lernen, mit<br />

Gleichaltrigen zurechtzukommen. Wir<br />

haben deshalb nach dem Klima in der<br />

Klasse gefragt. Wie sehr unterstützen<br />

sich die Schüler gegenseitig, gibt es Kinder<br />

und Jugendliche, die sich ausgeschlossen<br />

fühlen, gar gemobbt werden?<br />

E&W: Zeigt Ihre Studie einen Zusammenhang<br />

zwischen Schule und der Entstehung<br />

psychischer Probleme?<br />

Bilz: Einen sehr deutlichen sogar. Vor<br />

allem wenn Jugendliche von ihren Mitschülern<br />

gemobbt werden, begünstigt<br />

das die Entwicklung von Ängsten und<br />

Depressionen. Zweitwichtigster Risikofaktor<br />

ist schulische Überforderung, gefolgt<br />

von schlechter Unterrichtsqualität.<br />

Schüler, die Opfer von Mobbing<br />

werden oder sich überfordert fühlen, leiden<br />

noch Jahre später viel häufiger unter<br />

psychischen Problemen als ihre Klassenkameraden.<br />

E&W: Warum?<br />

Bilz: Wir haben Hinweise dafür gefunden,<br />

dass das Selbstkonzept eine wichtige<br />

Rolle spielt. Schlechte Lernbedin-<br />

gungen oder Mobbing tragen dazu bei,<br />

dass ein Schüler allmählich beginnt,<br />

schlecht über sich zu denken und seine<br />

schulischen und sozialen Kompetenzen<br />

immer geringer einzuschätzen. So ein<br />

negativ verzerrtes Selbstbild ist oft der<br />

erste Schritt zur Depression. Nicht<br />

schlechte Noten machen depressiv, sondern<br />

das Gefühl, zu versagen.<br />

E&W: Was können Lehrkräfte tun?<br />

Bilz: Bei Mobbing sollten sie schnell<br />

und konsequent einschreiten. Wenn<br />

Lehrerinnen und Lehrer nicht sofort<br />

reagieren, deuten Schüler das schnell als<br />

Billigung. Pädagoginnen und Pädagogen<br />

sollten zudem die Opfer stärker in<br />

den Blick nehmen und für ein gutes<br />

Klassenklima sorgen. Zum Beispiel, indem<br />

sie zusammen mit den Schülern<br />

Umgangsregeln erarbeiten. Darüber hinaus<br />

hat die Studie gezeigt, dass gute<br />

Lernbedingungen enorm wichtig sind.<br />

Ein Unterricht, der Schüler individuell<br />

fördert, unterstützt nicht nur schulische<br />

Lernerfolge, sondern auch die psychische<br />

Gesundheit der Kinder.<br />

E&W: Noch reden viel zu wenige über psychische<br />

Probleme im Klassenzimmer.<br />

Bilz: Deshalb müssen wir den Umgang<br />

mit psychischen Störungen enttabuisieren.<br />

Zum Beispiel, indem wir sie zum<br />

Unterrichtsthema machen. Was ist eine<br />

Panikattacke? Mit welchen Symptomen<br />

geht eine Depression einher? Wie sieht<br />

eine Behandlung aus? An wen kann ich<br />

mich wenden, wo mir Unterstützung<br />

holen?<br />

E&W: Sollen Lehrkräfte die Schülerinnen<br />

und Schüler auch noch psychologisch betreuen?<br />

Bilz: Nein, wir dürfen den Lehrenden<br />

nicht alles zuschieben. Natürlich brauchen<br />

die Schulen dringend mehr Unterstützung,<br />

von Psychologen etwa. Bislang<br />

gibt es für 15.000 Schüler in<br />

Deutschland im Schnitt gerade mal einen<br />

Schulpsychologen (s. E&W 6/<strong>2008</strong>,<br />

Seite 33). Trotzdem müssen wir zur<br />

Kenntnis nehmen, dass das, was in den<br />

Schulen passiert, eine zentrale Bedeutung<br />

für die psychische Entwicklung<br />

von Kindern hat. Wenn wir über die<br />

Qualität von Schule sprechen, sollten<br />

wir deshalb nicht nur über Lese- oder<br />

Mathematikkompetenzen reden, sondern<br />

endlich auch die psychische Entwicklung<br />

der Schüler in den Blick nehmen.<br />

Anja Dilk, freie Journalistin<br />

Ludwig Bilz,<br />

TU Dresden<br />

Der Bericht zur aktuellen<br />

deutschen Erhebung<br />

ist unter dem Titel „Gesundheit,<br />

Ungleichheit<br />

und jugendliche Lebenswelten.<br />

Ergebnisse<br />

der zweiten internationalen<br />

Vergleichsstudie<br />

im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO“ im Juventa-Verlag<br />

erschienen.<br />

Informationen zur Studie<br />

gibt es im Netz unterwww.hbsc-germany.de<br />

(dt.) oder<br />

www.hbsc.org (int.)<br />

Foto: privat


Eine zweite Chance<br />

BFW unterstützt junge Behinderte in Nepal<br />

Behinderte Kinder haben in Nepal<br />

kaum eine Chance auf ein normales<br />

Leben. Mit Hilfe des Bildungs- und<br />

Förderungswerks der <strong>GEW</strong> (BFW)<br />

unterstützt die Kaarster Nepal-Initiative<br />

deshalb junge behinderte Nepalesen<br />

in Schule und Studium.<br />

Für Rasma Adhikari wäre der Bildungsweg<br />

beinahe zu Ende gewesen,<br />

bevor er überhaupt<br />

richtig begonnen hatte. Ein<br />

Mädchen mit Behinderung<br />

hat in Nepal keine guten Perspektiven,<br />

weder auf einen Beruf noch<br />

auf einen Ehemann. „Da genügt schon<br />

eine Hautauffälligkeit und die Betroffenen<br />

werden mit Batteriesäure bespritzt“,<br />

erzählt Rainer Strauss über die Diskriminierung<br />

von Behinderten in der nepalesischen<br />

Gesellschaft. Der Vorsitzende<br />

der Kaarster Nepal-Initiative hat Rasma<br />

Adhikari vor knapp zwei Jahren kennen<br />

gelernt, damals war sie 18 Jahre. Sie begegnete<br />

ihm als eine junge Frau mit<br />

großem Ehrgeiz, mit Wünschen und<br />

Zielen – aber ohne Hoffnung, später<br />

einmal einen Beruf ausüben zu können.<br />

Warum? Rasma Adhikari hat einen angeborenen<br />

Hüftfehler, ein Bein ist zu<br />

kurz, deshalb hinkt sie – und gilt damit<br />

in Nepal als „behindert“. In Deutschland<br />

wäre das ein einfacher Fall für den<br />

Orthopäden: Schuhe mit Einlagen.<br />

Nicht so bei Rasma. „Nach der elften<br />

Klasse hätte sie aufgrund ihrer ‚Behinderung‘<br />

die Schule abbrechen und zur Familie<br />

aufs Land zurückkehren müssen“,<br />

sagt Strauss. Über die Nepal-Initiative<br />

ließ der 66-jährige Rentner seine Kontakte<br />

spielen und suchte Unterstützung<br />

für seinen Schützling. Die fand er im<br />

Bildungs- und Förderungswerk der<br />

<strong>GEW</strong>. Das BFW hilft Rasma Adhikari<br />

mit etwa 1000 Euro im Jahr für Studiengebühren,<br />

Unterkunft, Verpflegung<br />

und Taschengeld. „Rasma hat jetzt ihr<br />

Examen gemacht, das entspricht unserem<br />

Abitur, als nächstes bereitet sie sich<br />

auf das Studium vor“, berichtet Strauss.<br />

Die inzwischen 20-Jährige habe „die<br />

Herausforderung angenommen“, mit<br />

dem Stigma „körperlich behindert“ in<br />

Nepal ein normales Leben zu führen.<br />

Rasma will Sozialpädagogik studieren<br />

und später einmal in einem Heim für<br />

behinderte Kinder arbeiten. „Sie will denen<br />

helfen, denen es genauso geht wie<br />

ihr“, sagt Strauss.<br />

Enger Kontakt<br />

Weit weg vom niederrheinischen Kaarst,<br />

in Pokhara, einer Stadt am Fuße des Annapurnamassives,<br />

kümmert sich Sabine<br />

Sharma um die junge Studentin. Die belgische<br />

Lehrerin ist vor einigen Jahren<br />

nach Nepal umgezogen und leitet in der<br />

Das BFW der <strong>GEW</strong>:<br />

Helfen, wo Hilfe nötig ist<br />

Mit Ihrem Beitritt in die Sterbegeldversicherung unterstützen Sie wichtige<br />

Projekte.<br />

Das Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong> im DGB (BFW) ist ein<br />

gemeinnütziger Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die sozialen Belange<br />

der <strong>GEW</strong>-Mitglieder zu fördern. Durch die Zuwendungen seiner Mitglieder<br />

konnte das<br />

BFW der <strong>GEW</strong><br />

seine satzungsgemäßen Aufgaben erfüllen:<br />

● Förderung der staatsbürgerlichen und beruflichen Bildung von<br />

<strong>GEW</strong>-Mitgliedern,<br />

● Herausgabe und Förderung wissenschaftlicher und publizistischer Arbeiten<br />

im Bildungssektor,<br />

● Förderung der Völkerverständigung durch internationalen<br />

Erfahrungsaustausch,<br />

● Jugend- und Senioren-Arbeit,<br />

● Unterstützung von Schulen und Schülern im Ausland in besonderen<br />

Notlagen.<br />

drittgrößten Stadt des Landes eine der<br />

beiden Partnerorganisationen der Nepal-<br />

Initiative. Sie hat für Rasma ein eigenes<br />

Konto eingerichtet, damit sämtliche eingehenden<br />

Spenden nur für die junge Frau<br />

verwendet werden. „Wir achten da sehr<br />

genau drauf“, betont Sharma, „denn gerade<br />

wegen der großen sozialen Abhängigkeit<br />

der Kinder vom Elternhaus müssen<br />

wir immer sicherstellen, dass das Geld<br />

nur dem Spenderwillen entsprechend<br />

eingesetzt wird.“<br />

Für Strauss ist der enge Kontakt mit Partnern<br />

vor Ort besonders wichtig: „Man<br />

braucht die Leute vor Ort“, sagt er. „So<br />

können wir sichergehen, dass das Spendengeld<br />

auch eins zu eins ankommt.“<br />

Mehr als 80 Schülerinnen, Schüler und<br />

Studierende fördert der Verein in Nepal<br />

auf diese Weise, mehrfach mit Hilfe des<br />

BFW. Mindestens zweimal im Jahr reist<br />

Strauss selbst in das Land, um seine „Patenkinder“<br />

zu besuchen.<br />

Sein großes Engagement entstand aus<br />

einem Zufall. In einem Citroen 2CV<br />

war ein Freund vor etlichen Jahren bis<br />

Nepal gefahren, seine Begeisterung<br />

nach der Rückkehr hat Strauss angesteckt<br />

und dessen Interesse für das Land<br />

und seine Menschen geweckt. Nun organisiert<br />

er mit großem Engagement<br />

Hilfen für Kinder und junge Menschen,<br />

die in Nepal sonst ohne Chancen<br />

wären. Junge Menschen wie Rasma.<br />

Felix Helbig, freier Journalist<br />

<strong>GEW</strong>-INTERN<br />

Bildungs- und Förderungswerk<br />

der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />

Ein behindertes<br />

Mädchen hat in<br />

Nepal keine guten<br />

Perspektiven.<br />

Dank der Unterstützung<br />

des BFW<br />

kann Rasma<br />

Adhikari heute<br />

studieren.<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 45<br />

Foto: Privat


<strong>GEW</strong>-INTERN<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

wer verantwortlich vorsorgen will, kommt nicht daran vorbei, auch über die finanzielle Absicherung im Todesfall nachzudenken.<br />

Brechen Sie ein Tabu und treffen Sie Vorsorge für den Fall der Fälle.<br />

Ein Todesfall ist immer eine hohe psychische Belastung für alle Hinterbliebenen. Neben der Trauer müssen eine Reihe organisatorischer Aufgaben bewältigt<br />

werden. Von der Gestaltung der Trauerfeier bis hin zur Wohnungsauflösung. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Kosten für eine würdige Bestattung<br />

5 000 EUR oft weit übersteigen. Sichern Sie Ihre Angehörigen rechtzeitig ab durch den Abschluss einer Sterbegeldversicherung. Denn seit<br />

dem 01.01.2004 wurde das von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlte Sterbegeld komplett gestrichen.<br />

Eigenverantwortung ist jetzt unverzichtbar – Wir helfen Ihnen dabei.<br />

Sie können jetzt mit der BFW-Sterbegeldversicherung Ihre Lücke in der Vorsorge schließen; dabei kommen Ihnen die besonders günstigen Beiträge<br />

für <strong>GEW</strong>-Mitglieder zugute. Diese und weitere Vorteile gelten auch für Ihre Angehörigen:<br />

Vorteile auf einen Blick:<br />

Bildungs- und Förderungswerk<br />

der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />

● Niedrige Beiträge durch Gruppenvertrag ● Garantierte Aufnahme bis 80 Jahre<br />

● Steuerbegünstigung der Beiträge ● Doppelzahlung bei Unfalltod<br />

● Keine Gesundheitsprüfung, ● Leistungsverbesserung durch Überschussbeteiligung<br />

Warum sollten Sie eine Sterbegeldversicherung beim Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong> abschließen?<br />

In der Bereitstellung finanzieller Mittel für ein würdiges Begräbnis sieht das BFW der <strong>GEW</strong> seine Hauptaufgabe. Durch den Gruppenvertrag mit der<br />

DBV-Winterthur Versicherung bieten wir <strong>GEW</strong>-Mitgliedern und deren Angehörigen seit über 35 Jahren besonders günstige Versicherungsbeiträge.<br />

Wählen Sie eine Versicherungssumme zwischen 500 € und 12 500 €.<br />

Senden Sie uns den folgenden Antrag am besten noch heute zurück.<br />

Beitragstabelle Monatsbeiträge je 500 EUR Versicherungssumme Tarif VG9/<strong>2008</strong><br />

Eintritts Männer Frauen<br />

-alter EUR EUR<br />

15 0,59 EUR 0,51 EUR<br />

16 0,61 EUR 0,52 EUR<br />

17 0,62 EUR 0,53 EUR<br />

18 0,63 EUR 0,54 EUR<br />

19 0,65 EUR 0,56 EUR<br />

20 0,66 EUR 0,57 EUR<br />

21 0,67 EUR 0,58 EUR<br />

22 0,69 EUR 0,59 EUR<br />

23 0,71 EUR 0,60 EUR<br />

24 0,72 EUR 0,62 EUR<br />

25 0,74 EUR 0,63 EUR<br />

26 0,76 EUR 0,65 EUR<br />

27 0,78 EUR 0,66 EUR<br />

28 0,80 EUR 0,68 EUR<br />

29 0,82 EUR 0,69 EUR<br />

30 0,84 EUR 0,71 EUR<br />

31 0,86 EUR 0,73 EUR<br />

Eintrittsalter: Beginnjahr der Versicherung minus Geburtsjahr der zu versichernden Person.<br />

Bei Eintrittsalter 15-74 ist die Unfallzusatzversicherung obligatorisch eingeschlossen.<br />

Für andere Versicherungssummen als 500 Euro ist der Betrag entsprechend zu vervielfältigen.<br />

Die Monatsbeiträge sind versicherungstechnisch mit sieben Nachkommastellen gerechnet. Aus Vereinfachungsgründen sind aber nur zwei Nachkommastellen<br />

in der Beitragstabelle ausgewiesen. Deshalb kann es zu Rundungsdifferenzen kommen, die sich allerdings nur im Cent-Bereich bewegen.<br />

Endalter Beitragszahlung: 85 Jahre, aber mindestens fünf Jahre.<br />

46 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Eintritts Männer Frauen<br />

-alter EUR EUR<br />

32 0,89 EUR 0,75 EUR<br />

33 0,91 EUR 0,77 EUR<br />

34 0,94 EUR 0,79 EUR<br />

35 0,97 EUR 0,81 EUR<br />

36 1,00 EUR 0,83 EUR<br />

37 1,03 EUR 0,86 EUR<br />

38 1,06 EUR 0,88 EUR<br />

39 1,09 EUR 0,91 EUR<br />

40 1,13 EUR 0,94 EUR<br />

41 1,17 EUR 0,96 EUR<br />

42 1,21 EUR 0,99 EUR<br />

43 1,25 EUR 1,03 EUR<br />

44 1,30 EUR 1,06 EUR<br />

45 1,34 EUR 1,09 EUR<br />

46 1,39 EUR 1,13 EUR<br />

47 1,45 EUR 1,17 EUR<br />

48 1,50 EUR 1,21 EUR<br />

Eintritts Männer Frauen<br />

-alter EUR EUR<br />

49 1,56 EUR 1,26 EUR<br />

50 1,63 EUR 1,30 EUR<br />

51 1,69 EUR 1,35 EUR<br />

52 1,76 EUR 1,40 EUR<br />

53 1,84 EUR 1,46 EUR<br />

54 1,92 EUR 1,52 EUR<br />

55 2,00 EUR 1,58 EUR<br />

56 2,09 EUR 1,65 EUR<br />

57 2,18 EUR 1,72 EUR<br />

58 2,28 EUR 1,80 EUR<br />

59 2,39 EUR 1,88 EUR<br />

60 2,51 EUR 1,97 EUR<br />

61 2,63 EUR 2,07 EUR<br />

62 2,76 EUR 2,17 EUR<br />

63 2,91 EUR 2,29 EUR<br />

64 3,06 EUR 2,41 EUR<br />

65 3,23 EUR 2,55 EUR<br />

Eintritts Männer Frauen<br />

-alter EUR EUR<br />

66 3,42 EUR 2,70 EUR<br />

67 3,62 EUR 2,86 EUR<br />

68 3,84 EUR 3,05 EUR<br />

69 4,08 EUR 3,25 EUR<br />

70 4,35 EUR 3,48 EUR<br />

71 4,64 EUR 3,73 EUR<br />

72 4,97 EUR 4,02 EUR<br />

73 5,34 EUR 4,35 EUR<br />

74 5,75 EUR 4,73 EUR<br />

75 6,19 EUR 5,14 EUR<br />

76 6,75 EUR 5,66 EUR<br />

77 7,41 EUR 6,30 EUR<br />

78 8,22 EUR 7,09 EUR<br />

79 9,24 EUR 8,11 EUR<br />

80 10,61 EUR 9,49 EUR


Version G -01. <strong>2008</strong><br />

Beitrittserklärung bitte zurücksenden an:<br />

Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong> e.V., Postfach 90 04 09, 60444 Frankfurt<br />

Beitrittserklärung zur Gruppen-Sterbegeldversicherung<br />

(bis Alter 80) - Tarif VG9/<strong>2008</strong><br />

Zu versichernde Person<br />

Versicherungsumfang<br />

Einzugsauftrag<br />

(bitte in jedem Fall ausfüllen)<br />

Produktbeschreibung<br />

Unfalltod-<br />

Zusatzversicherung<br />

Beitragszahlung<br />

Name / Vorname<br />

Straße / Hausnummer<br />

Versicherungsbeginn<br />

PLZ / Wohnort<br />

Geburtsdatum<br />

Telefonnummer für Rückfragen<br />

Ich beantrage eine Versicherungssumme von: (bitte ankreuzen)<br />

Versicherungssumme in €<br />

3.000<br />

5.000<br />

7.000<br />

10.000<br />

12.500<br />

Monatlicher Beitrag in €<br />

Ich wähle folgende Summe unter 12.500 Euro: Euro .....................<br />

zzgl. BFW-Mitgliedsbeitrag 0,05<br />

Mindestsumme 500,-- Euro<br />

Lastschriftbetrag ................<br />

Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die Beiträge für diese Gruppen-Sterbegeld-Versicherung bis auf schriftlichen Widerruf und der<br />

monatliche BFW-Mitgliedsbeitrag von € 0,05 im Lastschriftverfahren monatlich eingezogen werden.<br />

Konto-Nummer Bankleitzahl<br />

Y Y<br />

Bank / Sparkasse / Postbank Konto-Inhaber<br />

Y<br />

Die Versicherungsleistung wird beim Tod der versicherten Person fällig.<br />

Das Höchsteintrittsalter beträgt 80 Jahre. Der Versicherer verzichtet auf<br />

eine Gesundheitsprüfung; stattdessen gilt beim Tod der versicherten<br />

Person im 1. Versicherungsjahr folgende Staffelung der Versicherungssumme:<br />

Bei Tod im 1. Monat: Rückzahlung des eingezahlten Beitrages;<br />

bei Tod im 2. Monat: Zahlung von 1/12 der Versicherungssumme; bei Tod<br />

im 3. Monat Zahlung von 2/12 der Versicherungssumme usw.; allmonat-<br />

Eine Unfalltod-Zusatzversicherung ist stets eingeschlossen, außer bei<br />

den Eintrittsaltern ab 75 Jahren. Bei Tod infolge eines Unfalls vor dem<br />

Ende des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person ihr 75.<br />

Die Beiträge sind bis zum Ende des Monats zu entrichten, in dem die<br />

versicherte Person stirbt; längstens jedoch bis zum Ende des Ver-<br />

Überschussbeteiligung Die von der DBV-Winterthur Lebensversicherung AG laufend erwirtschafteten<br />

Überschüsse werden in Form von Grund- und Zinsüberschussanteilen<br />

weitergegeben. Die Grundüberschussanteile werden mit<br />

den von mir zu zahlenden Versicherungsbeiträgen verrechnet.<br />

Zuwendungserklärung Die während meiner Mitgliedschaft auf die Sterbegeldversicherung<br />

anfallenden Grundüberschussanteile werden mit<br />

den von mir zu zahlenden Versicherungsbeiträgen verrechnet.<br />

Bis auf meinen jederzeit möglichen Widerruf wende ich dem<br />

BFW der <strong>GEW</strong> laufend Beträge in Höhe der jeweils verrechneten<br />

Überschussanteile zu. Dadurch kommen diese Beträge wirt-<br />

Unterschriften<br />

Bildungs- und Förderungswerk<br />

der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />

Bevor Sie diese Beitrittserklärung unterschreiben, lesen Sie bitte auf der<br />

Rückseite die Einwilligungserklärung der zu versichernden Person. Die Einwilligungserklärung<br />

enthält u.a. die Klausel nach dem Bundesdaten-<br />

Ort / Datum Unterschrift der zu versichernden Person<br />

Y Y Y<br />

Bitte kreuzen Sie an:<br />

weiblich männlich<br />

lich um 1/12 der Versicherungssumme steigend bis zur vollen Versicherungssumme<br />

ab Beginn des 2. Versicherungsjahres. Stirbt die<br />

versicherte Person vor Ablauf des ersten Versicherungsjahres infolge<br />

eines im ersten Versicherungsjahr eingetretenen Unfalls, wird stets<br />

die volle Versicherungsleistung erbracht.<br />

Interne Angaben<br />

Gruppenvertragsnummer Personenkreis Versicherungsscheinnummer Versicherungssumme Versicherungsbeginn<br />

4 7 9 0 0 5 8 6 6 1 4 7 0 1 2 0 0 8<br />

Y<br />

Ihr Servicetelefon<br />

069/78 97 32 05<br />

Bitte ankreuzen:<br />

Mitglied<br />

Familienangehörige/r<br />

Lebensjahr vollendet hat, wird die volle Versicherungssumme zusätzlich<br />

zur Sterbegeldleistung gezahlt.<br />

sicherungsjahres, in dem die versicherte Person das rechnungsmäßige<br />

85. Lebensjahr vollendet.<br />

Die Zinsüberschussanteile werden verzinslich angesammelt<br />

und zusammen mit der Versicherungsleistung ausgezahlt.<br />

schaftlich nicht mir, sondern dem BFW der <strong>GEW</strong> zu 64 % für<br />

satzungsgemäße Aufgaben und zu 36 % zur Förderung der<br />

Sterbegeldeinrichtung (Kostendeckungsmittel) zugute. Über<br />

die Höhe der Zuwendungen gibt das BFW der <strong>GEW</strong> auf Anfrage<br />

jederzeit Auskunft. Bei Widerruf der Zuwendungserklärung<br />

beträgt der monatliche BFW-Mitgliedsbeitrag 2,50 €.<br />

schutzgesetz (BDSG) und Hinweise zum Widerspruchsrecht; sie ist<br />

wichtiger Bestandteil des Vertrages. Sie machen mit Ihrer Unterschrift<br />

die Einwilligungserklärung zum Inhalt dieser Beitrittserklärung.<br />

Unterschrift der Kontoinhaberin/des Kontoinhabers<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 47


Version G - 01.<strong>2008</strong><br />

Einwilligungserklärung Die Vereinigung und die zu versichernde Person geben die nachfolgend abgedruckten Einwilligungserklärungen zur Datenverarbeitung<br />

nach dem Bundesdatenschutzgesetz und zur Schweigepflichtentbindung ab.<br />

Widerrufssrecht<br />

Sie können Ihre Erklärung bis zum Ablauf von 30 Tagen<br />

nach Erhalt des Versicherungsscheins und der<br />

Bestimmungen und Informationen zum Vertrag (BIV) ohne<br />

Angabe von Gründen schriftlich widerrufen. Eine<br />

Erklärung in Textform (z.B. per Brief, Fax oder E-Mail) ist<br />

I. Bedeutung dieser Erklärung und Widerrufsmöglichkeit<br />

Ihre personenbezogenen Daten benötigen wir zur Verhinderung<br />

von Versicherungsmissbrauch, zur Überprüfung unserer<br />

Leistungspflicht, zu Ihrer Beratung und Information sowie allgemein<br />

zur Antrags-, Vertrags- und Leistungsabwicklung.<br />

Personenbezogene Daten dürfen nach geltendem Datenschutzrecht<br />

nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden<br />

(Datenverwendung), wenn dies ein Gesetz ausdrücklich<br />

erlaubt oder anordnet oder wenn eine wirksame Einwilligung<br />

des Betroffenen vorliegt.<br />

Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist die Verwendung<br />

Ihrer allgemeinen personenbezogenen Daten<br />

(z.B. Alter oder Adresse) erlaubt, wenn es der Zweckbestimmung<br />

eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen<br />

Vertrauensverhältnisses dient (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG).<br />

Das gleiche gilt, soweit es zur Wahrung berechtigter Interessen<br />

der verantwortlichen Stelle erforderlich ist und kein Grund zu<br />

der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des<br />

Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung<br />

überwiegt (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG). Die Anwendung<br />

dieser Vorschriften erfordert in der Praxis oft eine umfangreiche<br />

und zeitintensive Einzelfallprüfung. Auf diese kann bei Vorliegen<br />

dieser Einwilligungserklärung verzichtet werden.<br />

Zudem ermöglicht diese Einwilligungserklärung eine Datenverwendung<br />

auch in den Fällen, die nicht von den Vorschriften<br />

des Bundesdatenschutzgesetzes erfasst werden<br />

(Vgl. dazu Ziffer II).<br />

Einen intensiveren Schutz genießen besondere Arten personenbezogener<br />

Daten (insbesondere Ihre Gesundheitsdaten).<br />

Diese dürfen wir im Regelfall nur verwenden, nachdem<br />

Sie hierin ausdrücklich eingewilligt haben (Vgl. dazu Ziffer III.).<br />

Mit den nachfolgenden Einwilligungen zu Ziffer II. und Ziffer<br />

III. ermöglichen Sie zudem eine Datenverwendung auch<br />

solcher Daten, die dem besonderen gesetzlichen Schutz von<br />

Privatgeheimnissen gemäß § 203 Strafgesetzbuch unterliegen.<br />

Diese Einwilligungen sind ab dem Zeitpunkt der Antragstellung<br />

wirksam. Sie wirken unabhängig davon, ob später<br />

der Versicherungsvertrag zustande kommt. Es steht Ihnen<br />

frei, diese Einwilligungserklärungen mit Wirkung für die<br />

Zukunft jederzeit ganz oder teilweise zu widerrufen. Dies<br />

lässt aber die gesetzlichen Datenverarbeitungsbefugnisse<br />

unberührt. Sollten die Einwilligungen ganz oder teilweise<br />

verweigert werden, kann das dazu führen, dass ein Versicherungsvertrag<br />

nicht zustandekommt.<br />

II. Erklärung zur Verwendung Ihrer allgemeinen personenbezogenen<br />

Daten<br />

Hiermit willige ich ein, dass meine personenbezogenen Daten<br />

unter Beachtung der Grundsätze der Datensparsamkeit und<br />

der Datenvermeidung verwendet werden<br />

1.a) zur Vertragsabwicklung und zur Prüfung der Leistungspflicht;<br />

b) zur Weitergabe an den/die für mich zuständigen Vermittler,<br />

soweit dies der ordnungsgemäßen Durchführung meiner<br />

Versicherungsangelegenheiten dient;<br />

Allgemeine Hinweise<br />

Mir ist bekannt, dass die Vereinigung Versicherungsnehmerin<br />

ist. Sie handelt in meinem Auftrag. Ich bevollmächtige die Vereinigung<br />

zur Vertretung bei der Abgabe und Entgegennahme<br />

aller das Versicherungsverhältnis betreffenden Willenserklärungen<br />

(einschließlich der Kündigung der Sterbegeldversicherung<br />

beim Ausscheiden des Mitglieds aus der Vereinigung);<br />

die Vertretungsbefugnis erstreckt sich jedoch nicht<br />

auf die Empfangnahme von Versicherungsleistungen und<br />

die Änderung des Bezugsrechts.<br />

Versicherungsträger<br />

DBV-Winterthur Lebensversicherung Aktiengesellschaft<br />

Sitz: Wiesbaden (AG Wiesbaden - HRB 7501-)<br />

Vorsitzender des Aufsichtsrats: Herbert Falk<br />

48 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Widerrufsbelehrung auf Abschluss eines Versicherungsvertrages<br />

ausreichend. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die<br />

rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu<br />

richten an: DBV-Winterthur Lebensversicherung AG,<br />

Frankfurter Str. 50, 65170 Wiesbaden. Sofern der vorseitig<br />

genannte Versicherungsbeginn vor dem Ablauf der<br />

2. zur gemeinschaftlichen Führung von Datensammlungen<br />

der zur AXA Gruppe gehörenden Unternehmen (zu denen<br />

auch die DBV-Winterthur Gesellschaften zählen und die im<br />

Internet unter www.axa.de einsehbar sind oder mir auf<br />

Wunsch mitgeteilt werden), um die Anliegen im Rahmen der<br />

Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung schnell, effektiv<br />

und kostengünstig bearbeiten zu können (z.B. richtige<br />

Zuordnung Ihrer Post oder Beitragszahlungen). Diese Datensammlungen<br />

enthalten Daten wie Name,Adresse, Geburtsdatum,<br />

Kundennummer, Versicherungsnummer, Kontonummer,<br />

Bankleitzahl,Art der bestehenden Verträge, sonstige<br />

Kontaktdaten;<br />

3. durch andere Unternehmen/Personen (Dienstleister) innerhalb<br />

und außerhalb der AXA Gruppe, denen der Versicherer<br />

oder ein Rückversicherer Aufgaben ganz oder teilweise zur<br />

Erledigung überträgt. Diese Dienstleister werden eingeschaltet,<br />

um die Antrags-, Vertrags- und Leistungsabwicklung<br />

möglichst schnell, effektiv und kostengünstig zu<br />

gestalten. Eine Erweiterung der Zweckbestimmung der<br />

Datenverwendung ist damit nicht verbunden. Die Dienstleister<br />

sind im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung verpflichtet,<br />

ein angemessenes Datenschutzniveau sicher zu stellen,<br />

einen zweckgebundenen und rechtlich zulässigen Umgang<br />

mit den Daten zu gewährleisten sowie den Grundsatz der<br />

Verschwiegenheit zu beachten;<br />

4. zur Verhinderung des Versicherungsmissbrauchs und bei<br />

der Klärung von Ansprüchen aus dem Versicherungsverhältnis<br />

durch Nutzung konzerneigener Datenbestände sowie<br />

Nutzung eines Hinweis- und Informationssystems der Versicherungswirtschaft<br />

mit Daten, die der Gesamtverband<br />

der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) im Auftrag<br />

der Versicherer verschlüsselt.Auf Basis dieses Systems<br />

kann es zu einem auf den konkreten Anlass bezogenen<br />

Austausch personenbezogener Daten zwischen dem<br />

anfragenden und dem angefragten Versicherer kommen;<br />

5. zur Beratung und Information über Versicherungs- und<br />

sonstige Finanzdienstleistungen durch<br />

a) den Versicherer, andere Unternehmen der AXA Gruppe und<br />

den für mich zuständigen Vermittler;<br />

b) Kooperationspartner des Versicherers (die im Internet<br />

unter www.axa.de einsehbar sind oder mir auf Wunsch<br />

mitgeteilt werden); soweit aufgrund von Kooperationen mit<br />

Gewerkschaften/Vereinen Vorteilskonditionen gewährt<br />

werden, bin ich damit einverstanden, dass der Versicherer<br />

zwecks Prüfung, ob eine entsprechende Mitgliedschaft<br />

besteht, mit den Gewerkschaften/Vereinen einen Datenabgleich<br />

vornimmt;<br />

6. zur Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung, indem<br />

der Versicherer Informationen über mein allgemeines<br />

Zahlungsverhalten einholt. Dies kann auch erfolgen durch<br />

ein anderes Unternehmen der AXA Gruppe oder eine Auskunftei<br />

(z.B. Bürgel, Infoscore, Creditreform, SCHUFA);<br />

7. zur Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung, indem<br />

Bei höherem Eintrittsalter können die zu zahlenden<br />

Beiträge in ihrem Gesamtbetrag die versicherte<br />

Leistung unter Umständen übersteigen.<br />

Eine Durchschrift der Beitrittserklärung wird mir unverzüglich<br />

nach Unterzeichnung zugesandt.<br />

Auf diesen Vertrag findet das Recht der Bundesrepublik<br />

Deutschland Anwendung.<br />

Soweit Vorteilskonditionen gewährt werden, die vom<br />

Bestehen der Mitgliedschaft zu einer Gewerk-<br />

Vorstand: Dr. Frank Keuper (Vors.), Wolfgang Hanssmann,<br />

Ulrich C. Nießen, Anette Rosenzweig, Dr. Heinz-Peter Roß,<br />

Dr. Heinz-Jürgen Schwering, Dr. Patrick Dahmen (stv.)<br />

Widerrufsfrist liegt, bin ich damit einverstanden, dass der<br />

erste oder einmalige Beitrag (Einlösungsbeitrag) -<br />

abweichend von der gesetzlichen Regelung - vor Ablauf<br />

der Frist fällig d.h. unverzüglich zu zahlen ist.<br />

der Versicherer ein Unternehmen der AXA Gruppe oder<br />

eine Auskunftei eine auf der Grundlage mathematischstatistischer<br />

Verfahren erzeugte Einschätzung meiner<br />

Zahlungsfähigkeit bzw. der Kundenbeziehung (Scoring) einholt.<br />

III. Erklärungen zur Schweigepflichtentbindung und<br />

Verwendung von Gesundheitsdaten<br />

Schweigepflichtentbindung<br />

Zur Bewertung unserer Leistungspflicht kann es erforderlich<br />

werden, dass wir die Angaben prüfen, die zur Begründung<br />

von Ansprüchen gemacht werden oder die sich aus eingereichten<br />

Unterlagen (z.B. Rechnungen,Verordnungen, Gutachten)<br />

oder Mitteilungen beispielsweise eines Krankenhauses<br />

oder Arztes ergeben. Diese Überprüfung unter Einbeziehung<br />

von Gesundheitsdaten erfolgt nur, soweit hierzu<br />

ein Anlass besteht (z.B. Fragen zu Unfalltod oder Selbsttötung).<br />

Um diese Prüfung und Bewertung zu ermöglichen, geben<br />

Sie folgende Erklärung ab:<br />

a) Zum Zweck der Prüfung der Leistungspflicht befreie ich<br />

von ihrer Schweigepflicht Ärzte, Pflegepersonen und Bedienstete<br />

von Krankenhäusern, sonstigen Krankenanstallten,<br />

Pflegeheimen, Personenversicherern, gesetzlichen<br />

Krankenkassen sowie von Berufsgenossenschaften und<br />

Behörden, soweit ich dort in den letzten 10 Jahren vor<br />

Antragstellung untersucht, beraten oder behandelt worden<br />

bin bzw. versichert war oder einen Antrag auf Versicherung<br />

gestellt habe.<br />

b) Die Angehörigen des Versicherers und seiner Dienstleistungsgesellschaften<br />

befreie ich von ihrer Schweigepflicht<br />

insoweit, als Gesundheitsdaten an beratende Ärzte oder<br />

Gutachter weitergegeben werden. Wir werden Gesundheitsdaten<br />

nach den Absätzen a) und b) nur erheben zur Leistungspflichtprüfung.<br />

Datenverwendung<br />

Um die Datenverwendung zu ermöglichen, geben Sie<br />

folgende Erklärungen ab:<br />

a) Ich willige in die Verwendung der von den vorstehenden<br />

Schweigepflichtentbindungserklärungen erfassten Gesundheitsdaten<br />

zur Leistungsprüfung ein. Die Grundsätze der<br />

Datensparsamkeit und Datenvermeidung sind zu beachten.<br />

b) Ich willige ferner ein, dass die von den vorstehenden<br />

Schweigepflichtentbindungserklärungen erfassten Gesundheitsdaten<br />

unter Beachtung der Grundsätze der Datensparsamkeit<br />

und Datenvermeidung im Sinne der Ziffer II. Nr.<br />

1 (Vertragsabwicklung), Nr. 3 (Outsourcing an Dienstleister),<br />

Nr. 4 (Missbrauchsbekämpfung) und Nr. 5 (Beratung und<br />

Information) verwendet werden dürfen.<br />

Zur Missbrauchsbekämpfung im Rahmen einer besonderen<br />

Konzerndatenbank dürfen Gesundheitsdaten nur von<br />

Kranken-, Unfall- und Lebensversicherern eingesehen und<br />

verwendet werden (Ziffer II. 4).<br />

schaft/Vereinigung abhängig sind, erfolgt ein Datenabgleich<br />

mit dieser Organisation ohne Bekanntgabe der Versicherungsinhalte.<br />

Die für Ihre Versicherung zuständige Aufsichtsbehörde ist die<br />

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin),<br />

Postfach 1308, 53003 Bonn, Internet: www.bafin.de.<br />

Unser Unternehmen ist Mitglied im Verein Versicherungsombudsmann<br />

e.V., Postfach 080632, 10006 Berlin.<br />

Anschrift:<br />

Frankfurter Straße 50<br />

65170 Wiesbaden


Recht und<br />

Rechtsschutz<br />

10/<strong>2008</strong> Informationen<br />

Versorgungsabschlag<br />

bei Teilzeit und<br />

Beurlaubung beseitigt<br />

Während der Zeit von Beurlaubung und<br />

Teilzeitbeschäftigung können keine<br />

oder nur anteilig Ansprüche auf Beamtenversorgung<br />

erworben werden. Das<br />

der <strong>GEW</strong>–Bundesstelle<br />

für Rechtsschutz.<br />

Verantwortlich: Paul Michel,<br />

Volker Busch, Gerhard Jens<br />

60. Jahrgang<br />

erscheint selbstverständlich. Durch eine<br />

besondere Systematik der versorgungsrechtlichen<br />

Regelungen konnten allerdings<br />

Versorgungsansprüche überproportional<br />

durch den so genannten Versorgungsabschlag<br />

aufgrund von Teilzeitbeschäftigung<br />

und Beurlaubung gekürzt<br />

werden. In einem aktuellen Urteil hat<br />

das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)<br />

diese Regelung aufgehoben.<br />

Teilzeitbeschäftigung sowie Beurlaubung<br />

sind sowohl in der Vergangenheit<br />

als auch noch heute hauptsächlich von<br />

Frauen in Anspruch genommen worden.<br />

Deshalb waren überwiegend<br />

Frauen von einer überproportionalen<br />

Kürzung des Versorgungsabschlags<br />

betroffen.<br />

Mit dem Urteil vom 23.<br />

<strong>Oktober</strong> 2003 hatte der<br />

Europäische Gerichtshof<br />

(EuGH) in einem<br />

von der <strong>GEW</strong> geführtenRechtsverfahrenentschieden:<br />

Diese überproportionale<br />

Kürzung stelle<br />

eine nicht gerechtfertigte<br />

mittelbare<br />

Diskriminierung<br />

von<br />

Frauen dar und<br />

verstoße somit<br />

gegen europäisches<br />

Recht. Da<br />

sich die Dienstherrn<br />

in den Ländern allerdings<br />

nicht an die<br />

Entscheidung des<br />

EuGH gebunden<br />

fühlten, kam das Verfahren<br />

noch einmal<br />

vor das Bundesverwaltungsgericht<br />

(BVerwG).<br />

Das BVerwG revidierte<br />

daraufhin seine bisherige<br />

Rechtsprechung und<br />

übernahm am 25. Mai<br />

<strong>2008</strong> die Entscheidung<br />

des EuGH.<br />

Allerdings vertrat der EuGH die Ansicht,<br />

dass das europäische Gemeinschaftsrecht<br />

– mithin auch das Verbot<br />

der mittelbaren Diskriminierung – erst<br />

seit dem 17. Mai 1990 existiert. Damals<br />

hatte der EuGH zum ersten Mal diesen<br />

Rechtsgrundsatz definiert.<br />

Da zu befürchten war, dass der Versorgungsabschlag<br />

auch noch für die vor<br />

dem rechtskräftigen Urteil liegenden<br />

Beschäftigungszeiten angewendet werden<br />

könnte, war der Gang zum Bundesverfassungsgericht<br />

(BVerfG) notwendig.<br />

In seinem Beschluss vom 18. Juni <strong>2008</strong><br />

(Az 2 BvL 6/07) haben die Richter die<br />

Position der <strong>GEW</strong> bestätigt, dass der<br />

Versorgungsabschlag gegen das Diskriminierungsverbot<br />

des Art. 3 des Grundgesetzes<br />

(GG) verstoße und somit verfassungswidrig<br />

sei. Damit darf er auch<br />

für die Zeiten vor dem Stichtag des 17.<br />

Mai 1990 nicht mehr abgerechnet werden.<br />

Wer ist betroffen?<br />

Betroffen sind von dieser Regelung nur<br />

die Beamtinnen und Beamten,<br />

● die bereits ab 31. Dezember 1991 in einem<br />

Beamtenverhältnis waren,<br />

● die ab diesem Zeitpunkt Teilzeit<br />

und/oder Beurlaubung in Anspruch<br />

genommen haben,<br />

● die im Ruhestand sind und<br />

● deren Versorgung gemäß Paragraf 85<br />

Abs. 4 BeamtVG festgesetzt wurde.<br />

Wer muss jetzt handeln?<br />

Bei Beamtinnen und Beamten im Ruhestand,<br />

deren Bescheid über die Höhe<br />

der Versorgungsbezüge noch nicht bestandskräftig<br />

ist, kommt es automatisch<br />

zu einer Neuberechnung. Dabei handelt<br />

es sich um jene Pensionäre, die sich<br />

durch Widerspruch oder Klage gegen<br />

den Versorgungsabschlag gewehrt haben.<br />

Pensionierte Beamtinnen und Beamte,<br />

deren Versorgungsbescheide schon bestandskräftig<br />

sind, müssen einen Antrag<br />

auf Neufestsetzung stellen.<br />

Bei allen neuen Bescheiden wird die aktuelle<br />

Rechtsprechung angewendet.<br />

Wer hilft?<br />

<strong>GEW</strong>-Mitglieder können sich bei Fragen<br />

an die zuständigen Landesrechtsschutzstellen<br />

wenden. Für eine Überprüfung<br />

muss eine Kopie des Bescheides<br />

über festgesetzte Versorgungsbezüge<br />

vorgelegt werden.<br />

Ilse Schaad, Leiterin des<br />

<strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Angestellten- und<br />

Beamtenpolitik/Katrin Löber, Referentin<br />

im selben/Paul Michel, <strong>GEW</strong>-Justitiar<br />

Versorgungsabschlag<br />

bei<br />

Teilzeit und<br />

Beurlaubung<br />

beseitigt<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 49


MARKTPLATZ<br />

Trau Dich!<br />

Rechtsextreme Symbole im Klassenzimmer, kollektives Mobbing im Internet<br />

– solche Konflikte gefährden die demokratische Kultur unserer Gesellschaft.<br />

Aber es geht auch anders: Einzelne junge Menschen, Klassen<br />

oder Jugendgruppen halten dagegen und beweisen<br />

Zivilcourage. Oft schlägt sich dieses Engagement<br />

in ganz konkreten Projekten nieder –<br />

Initiativen, die es verdient haben, sie einer<br />

größeren Öffentlichkeit bekanntzumachen.<br />

Die <strong>GEW</strong> sucht solche Projekte engagierten<br />

Handelns und hat einen Wettbewerb ausgeschrieben.<br />

Gesucht sind Projekte,<br />

● die gesellschaftliche Missstände anprangern<br />

und beenden,<br />

● die die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit<br />

thematisieren,<br />

● die den Schwachen und Benachteiligten in<br />

unserer Gesellschaft helfen,<br />

● die sich für mehr Demokratie im Alltag junger<br />

Menschen engagieren.<br />

<strong>GEW</strong>-Fußballturnier <strong>2008</strong><br />

Das <strong>GEW</strong>-Fußballturnier <strong>2008</strong> mit Mannschaften aus den Landesverbänden,<br />

dem Hauptvorstand und der Sportkommission findet vom 15.<br />

bis 16. November in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) statt. Ziel der fußballbegeisterten<br />

<strong>GEW</strong>ler ist, den Kreis der teilnehmenden Mannschaften<br />

deutlich zu vergrößern. Deshalb sind alle Landesverbände aufgefordert,<br />

nach kickenden <strong>GEW</strong>lern Ausschau zu halten und sie zu motivieren,<br />

sich zu messen. Die Fußballfreunde freuen sich auf jeden weiteren Kicker<br />

und jede Kickerin. Anmeldung an:<br />

<strong>GEW</strong>-Landesverband Sachsen-Anhalt, Markgrafenstr. 6, 39114 Magdeburg,<br />

E-Mail: helga.assel@gew-lsa.de, Tel. 0391/73 55 430.<br />

50 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Wer kann teilnehmen?<br />

An dem Wettbewerb, den das Bildungs- und<br />

Förderungswerk der <strong>GEW</strong> (BFW) finanziert,<br />

können sich junge Menschen aus Bayern im Alter<br />

von zwölf bis 20 Jahren beteiligen. Das Engagement<br />

Einzelner, ob in Schule, Ausbildungsbetrieb oder Jugendzentrum,<br />

ist dabei ebenso willkommen wie die Beteiligung ganzer Klassen,<br />

Gruppen oder Kurse.<br />

Foto: Fotolia<br />

Was gibt es zu gewinnen?<br />

Die Gewinner des Wettbewerbs haben die Chance, vom 25. bis 28. April<br />

2009 an einem Workshop der politischen Bildung teilzunehmen. Dazu<br />

werden jeweils zwei Team-Mitglieder, eine Lehrkraft oder ein Betreuer der<br />

sechs interessantesten Projekte nach Nürnberg eingeladen. Außerdem<br />

gibt es für jedes Gewinner-Team eine digitale Videokamera – damit die<br />

Projektarbeit in Zukunft noch besser dokumentiert werden kann.<br />

Die Preisverleihung findet auf dem Gewerkschaftstag der <strong>GEW</strong> am 27.<br />

April 2009 in Nürnberg statt. Dort können sich die Projekte zudem in einer<br />

Ausstellung präsentieren.<br />

Interessierte Jugendliche oder Gruppen bewerben sich mit dem Anmeldebogen<br />

und einer Projektbeschreibung (nicht mehr als eine DIN A4-Seite).<br />

Um die Initiative anschaulicher zu machen, können Fotos, Dokumente<br />

und Zeitungsartikel angehängt werden.<br />

Die Bewerbungen müssen bis zum 30. November <strong>2008</strong> eingegangen sein<br />

bei:<br />

<strong>GEW</strong>-Hauptvorstand, Stichwort „Trau dich!“, Reifenberger Str. 21, 60489<br />

Frankfurt a.M.<br />

Den Flyer zum Wettbewerb gibt es im Internet unter:<br />

www.gew.de/Trau_dich.html<br />

Initiative www.arbeiterkind.de<br />

In Deutschland lässt sich die Wahrscheinlichkeit,<br />

ob ein Kind studieren wird, am Bildungsstand der<br />

Eltern ablesen. Laut der aktuellen Sozialstudie des<br />

Deutschen Studentenwerks (DSW) nehmen von<br />

100 Akademikerkindern 84 ein Hochschulstudium<br />

auf. Dagegen studieren von 100 Kindern nicht-akademischer<br />

Herkunft lediglich 23, obwohl doppelt<br />

so viele die Hochschulreife erreichen. Die hohe finanzielle<br />

Belastung eines Studiums ist nur einer<br />

von vielen Gründen, die Abiturienten aus einkommensschwächeren<br />

Elternhäusern häufig von einem<br />

Studium abhalten. Oft deshalb, weil ein großes Informationsdefizit<br />

besteht. Die Internetseite arbeiterkind.de<br />

will dies beheben und junge Leute aus<br />

bildungsferneren Familien zur Aufnahme eines<br />

Hochschulstudiums ermutigen. Auf arbeiterkind.de<br />

können sich Schülerinnen und Schüler über die<br />

Vorteile eines Studiums und die Berufsperspektiven<br />

für Akademiker informieren. Außerdem werden<br />

verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie<br />

sich ein Studium finanzieren lässt. Um Studierende<br />

aus Arbeiterfamilien auch mental zu unterstützen,<br />

bietet die Initiative Beratung durch Mentoren<br />

an.<br />

Wer bei arbeiterkind.de als Mentor, Mentorin mitmachen<br />

will, kann sich über die Kommunikationsplattform<br />

im Internet anmelden, einer lokalen<br />

Gruppe beitreten oder eine neue gründen. E&W<br />

www.arbeiterkind.de<br />

Fachtagung<br />

„Zukunft in die Schule holen“<br />

Gemeinsam mit der SPI-Consult Berlin GmbH, einem<br />

Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen<br />

für den Bereich Arbeitsmarkt- und Berufsbildungspolitik,veranstaltet<br />

die <strong>GEW</strong><br />

eine Fachtagung<br />

unter dem Motto<br />

„Zukunft in<br />

die Schule holen“.<br />

Das Treffen<br />

findet vom<br />

7. November (15<br />

Uhr) bis 8. November<br />

(13 Uhr)<br />

im Abgeordnetenhaus<br />

Berlin statt.<br />

Am Ende der Sekundarstufe I wird von den jungen<br />

Menschen erwartet, dass sie für sich Lebensentwürfe<br />

und Berufsperspektiven entwickelt haben. Wie<br />

entstehen aber die Vorstellungen der Jungen und<br />

Mädchen über ihre Zukunft? Welchen Beitrag<br />

leistet die Schule? Diese und andere Fragen sollen<br />

auf der Tagung diskutiert werden. Wissenschaftler<br />

und Fachleute, die zu dieser Fragestellung neue<br />

Antworten liefern können, kommen zu Wort.<br />

Die Tagung ist kostenlos.<br />

Anmeldeschluss: 15. <strong>Oktober</strong> per Mail<br />

(n.kliesch@spiconsult.de bzw. c.boehm@spiconsult.de)<br />

oder per Fax (030/6900 8579).


„Die gelbe Hand <strong>2008</strong>“<br />

Der Verein „Mach meinen Kumpel nicht an!“ e.V.<br />

hat einen Wettbewerb mit dem Titel „Die gelbe<br />

Hand <strong>2008</strong>“ ausgeschrieben. Berufsschulen, (Ausbildungs-)Betriebe<br />

und Verwaltungen sind aufgerufen,<br />

Beiträge gegen Rechtsextremismus und Rassismus<br />

zu entwickeln und einzureichen. Die Schirmherrschaft<br />

hat Uwe Schünemann, Niedersächsischer<br />

Minister für Inneres, Sport und Integration, übernommen.<br />

Nicht immer ist die Arbeitswelt als Aktionsbereich<br />

gegen Rassismus und Ausgrenzung ausreichend im<br />

Fokus. Dabei gibt es viele Beispiele sehr guter Projekte,<br />

die man auf betrieblicher Ebene für Gleichberechtigung<br />

und gegen Rechts initiieren kann.<br />

Einsendeschluss für die Beiträge ist der 31. <strong>Oktober</strong><br />

<strong>2008</strong>.<br />

Weitere Informationen zum Wettbewerb:<br />

Verein gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus<br />

„Mach meinen Kumpel nicht an!“ e.V., Heike<br />

Mauer, Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf,<br />

Tel. 0211/43 01 193, Fax 43 01 134,<br />

E-Mail: info@gelbehand.de,<br />

Internet: www.gelbehand.de/wettbewerb<br />

<strong>GEW</strong> trauert<br />

um Michael Sternheimer<br />

Michael Sternheimer,<br />

langjähriger Dolmetscher<br />

der <strong>GEW</strong><br />

bei den deutsch-israelischen<br />

Seminaren,<br />

ist am 23. August im<br />

Alter von 68 Jahren<br />

nach kurzer, schwerer<br />

Krankheit gestorben.<br />

Michael Sternheimer<br />

war der gute Stern der Seminare: Sprachmittler<br />

– Kulturmittler – zuverlässiger Freund.<br />

Er wurde nie müde, sich für das gemeinsame<br />

Ziel der Verständigung zwischen den israelischen<br />

und deutschen Gewerkschaftskolleginnen<br />

und -kollegen einzusetzen.<br />

1940 wurde Sternheimer in Haifa als Sohn<br />

deutscher Einwanderer geboren, die aus Nazi-<br />

Deutschland vertrieben worden waren. Mit<br />

22 Jahren kam er nach Deutschland, um zu<br />

studieren – und blieb.<br />

Nach der Leitung einer Kindertagesstätte in<br />

Mannheim und einem kurzen Intermezzo als<br />

Geschäftsmann arbeitete er hauptberuflich als<br />

Übersetzer und Dolmetscher – u. a. für die<br />

<strong>GEW</strong> und andere DGB-Gewerkschaften.<br />

Michael Sternheimer war ein außergewöhnlicher<br />

Mensch. Wir werden ihn sehr vermissen!<br />

Foto: Privat<br />

Till Lieberz-Groß, Beauftragte des Vorsitzenden<br />

der <strong>GEW</strong> für die deutsch-israelischen Seminare<br />

Zu kurz gegriffen<br />

(E&W 6/<strong>2008</strong>, Seite 6 ff.: „Bildung<br />

für nachhaltige Entwicklung“)<br />

Herzlichen Glückwunsch zu einem<br />

gesellschaftlich wichtigen Bildungskonzept.<br />

Wir hoffen, dass Titel,<br />

Stundenplan und Karikaturen nur<br />

ironisch gemeint sind, denn: „Bildung<br />

für nachhaltige Entwicklung“<br />

(BNE) ist kein Schulfach, kein neues<br />

zusätzliches Querschnittsthema,<br />

sondern unbescheiden gesagt: das<br />

humanistische Bildungsideal des<br />

21. Jahrhunderts. Ein Hinweis auf<br />

bundesweit vorhandene außerschulische<br />

Partner fehlt in den Beiträgen<br />

allerdings ebenso wie eine Auseinandersetzung<br />

mit internationalen<br />

Schulpartnerschaften. Die konkreten<br />

Hilfestellungen, auf die Schule<br />

im Bereich Bildung für nachhaltige<br />

Entwicklung und Globales Lernen<br />

zurückgreifen kann, kommen zu<br />

kurz. Schade!<br />

Mechthild Lensing, Berlin<br />

Irritiert<br />

(E&W 7-8/<strong>2008</strong>, Titelbild)<br />

Als steter Leser der E&W bin ich irritiert<br />

über das gewählte Umschlagbild<br />

der letzten Ausgabe. Das Kokettieren<br />

mit vermeintlicher Jugendsubkultur<br />

bzw. mit einem kaum als<br />

Demokraten zu bezeichnenden<br />

„Che“ finde ich für eine Bildungsgewerkschaft,<br />

die sich den Werten einer<br />

umfassenden Demokratieförderung<br />

und -erziehung verpflichtet<br />

sieht und fühlt, mehr als unpassend.<br />

Jens Hildebrandt (per E-Mail)<br />

„Begriffsmätzchen“<br />

In obiger Ausgabe liest man auf der<br />

Titelseite „Bildung ist MehrWert“ –<br />

das schmerzt den gebildeten Leser!<br />

Wer Bildung fordert und fördern<br />

möchte, sollte – je nach Absicht –<br />

„Mehrwert“ oder „mehr wert“<br />

schreiben, jedoch auf legasthenisch<br />

anmutende Marketingbegriffsmätzchen<br />

wie „MehrWert“ verzichten.<br />

Martin Mayer, Hamburg<br />

Schlag ins Gesicht<br />

(E&W 9/<strong>2008</strong>: Schwerpunkt<br />

„Bildungsverlierer“)<br />

Mit großer Vorfreude habe ich die<br />

Ausgabe 9/<strong>2008</strong> der E&W zur<br />

Hand genommen, der Titel „Vorrang<br />

für Ausgegrenzte“ ließ mich –<br />

Leiter einer baden-württembergi-<br />

MARKTPLATZ/LESERFORUM<br />

schen Förderschule und damit ständig<br />

mit „Ausgegrenzten“ aller Altersstufen<br />

arbeitend – das Heft erwartungsvoll<br />

und am Stück durchlesen.<br />

Große Überraschung: Über<br />

Förderschulen wird in diesem Heft<br />

keine Zeile geschrieben, nicht einmal<br />

der Begriff taucht auf. Die Förderschule<br />

in ihrem Spannungsfeld<br />

zwischen Ausgrenzung und Förderung<br />

wird konsequent totgeschwiegen.<br />

Die Aussage „Nach der Hauptschule<br />

kommt nur noch die Baumschule“<br />

ist nicht nur salopp-flapsig,<br />

sondern einfach dumm und diskriminierend,<br />

für Eltern von Förderschülern<br />

ein weiterer Schlag ins Gesicht.<br />

Förderschulen führen weitgehend<br />

ein Schattendasein, leiden unter<br />

dem Vorurteil der „Dummen“-,<br />

„Behinderten“- oder bestenfalls<br />

„Hilfs“schule. Ein großer Teil der<br />

(Eltern-)Arbeit an der Förderschule<br />

besteht darin, gegen diese Vorurteile<br />

anzukämpfen.<br />

Rudolf Teuffel, Münsingen<br />

Verantwortung<br />

übernehmen<br />

Wie ein roter Faden zieht sich die<br />

These von der „Benachteiligung der<br />

Bildungsverlierer“ durch das Heft<br />

9/<strong>2008</strong>. Schuld am schlechten<br />

Schulabschluss und den folgenden<br />

schlechten Berufschancen sind<br />

wahlweise „die Gesellschaft“, „die<br />

Schule“, „die Wirtschaft“, „das System“.<br />

Auf die Idee, dass ein<br />

Schüler, der nach neun Jahren<br />

Schule Texte nicht sinnerfassend<br />

lesen kann, eine gehörige Portion<br />

Mitverantwortung trägt, kommt<br />

keiner ihrer Autoren. Auch wenn<br />

„viele Eltern türkischer Herkunft<br />

davon überzeugt sind, dass man<br />

nach der 10. Klasse einfach weitermachen<br />

kann“, ein Schüler, der<br />

nicht lesen und schreiben kann,<br />

kann weder auf einer weiterführenden<br />

Schule noch in einer Lehre<br />

„einfach so weitermachen“.<br />

Gerhard Kohlhepp, Bad Soden<br />

E &W-Briefkasten<br />

Postanschrift der Redaktion:<br />

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

Postfach 900409, 60444 Frankfurt a. M.,<br />

E-Mail: renate.koerner@gew.de<br />

Ab sofort ist die Rubrik „Anschlagtafel“<br />

wieder auf unserer Website unter<br />

www.gew.de/Anschlagtafel.html<br />

zu fnden.<br />

10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 51


Erziehung und Wissenschaft<br />

Diesmal<br />

56 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />

Cartoon: Thomas Plaßmann

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