E&W Oktober 2008 - GEW
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Erziehung<br />
und Wissenschaft<br />
Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft <strong>GEW</strong> 10/<strong>2008</strong><br />
Tarif- und Besoldungsrunde 2009: Start der Mitglieder-Kampagne „Auf einWort …“ – Seite 41
GASTKOMMENTAR<br />
Was ist gute Lehre?<br />
So viel Aufmerksamkeit für die Lehre gab es<br />
noch nie. Studienreformer, die sich seit jeher<br />
darüber beklagen, dass man die Lehre gegenüber<br />
der Forschung vernachlässige, reiben<br />
sich zurzeit nur so die Augen. Denn in<br />
der ersten Hälfte dieses Jahres folgte eine<br />
bedeutende Denkschrift der anderen:<br />
● die „Exzellenzinitiative“ des Stifterverbandes,<br />
● das Strategiepapier der Hochschulrektorenkonferenz<br />
(HRK) „Für eine Reform der Lehre ...“,<br />
● die Empfehlungen des Wissenschaftsrats<br />
(WR) zur „Qualitätsverbesserung von Lehre<br />
und Studium“,<br />
● die Stellungnahme der <strong>GEW</strong> „Die Lehre in<br />
den Mittelpunkt“.<br />
Bei allen inhaltlichen und politischen Unterschieden<br />
– in ihren Einschätzungen und in ihrer<br />
Kritik liegen Wissenschaftsorganisationen<br />
und Gewerkschaft<br />
recht nah beieinander:<br />
im Nachholbedarf bei der<br />
Quantität und Qualität der<br />
Hochschulausbildung, in den<br />
Praxisdefiziten der neuen<br />
Studienstrukturen sowie in<br />
der allzu augenfälligen Vernachlässigung<br />
der Lehre<br />
beim ersten Durchlauf der Exzellenzinitiative.<br />
„Qualität<br />
der Lehre“, zunächst als Devi-<br />
se stärkerer staatlicher Kontrolle<br />
seit Anfang der 1990er- Ludwig Huber<br />
Jahre im Gespräch, ist denn<br />
auch das häufigste gemeinsame<br />
Leitwort in den Papieren<br />
von HRK, WR und <strong>GEW</strong>.<br />
Gemeinsamkeiten auch bei<br />
den wesentlichen Maßnahmen, die gefordert<br />
werden: etwa Orientierung der Ausbildung an<br />
Kompetenzen, hochschuldidaktische Aus- und<br />
Weiterbildung der Lehrenden, Differenzierung<br />
oder Flexibilisierung der Lehrdeputate, bessere<br />
Betreuungsrelationen (in der Tat ein Kernpunkt!)<br />
und vor allem immer wieder „Sicherung“<br />
der Qualität durch Evaluationen aller Art.<br />
Aber gerade diese haben auch ihre Kehrseite.<br />
So entstehen immer aufwändigere Apparate<br />
des „Qualitätsmanagements“ – vielleicht der<br />
Preis größerer Autonomie der einzelnen Hochschule.<br />
Aber bleibt bei so viel bürokratischem<br />
Aufwand noch Raum für „gute“ Lehre? Es liegt<br />
auf der Hand, dass „die“ gute Lehre nicht in einer<br />
allgemein gültigen Definition, sondern nur<br />
in ihren jeweils konkreten Bezügen bestimmt<br />
werden kann. Lehre könnte z.B. als „gut“ definiert<br />
werden in Hinblick auf<br />
● augenblickliche Erfahrung, weiteres Lernen,<br />
spätere Praxis;<br />
2 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
„Lehre ist gut, wenn<br />
sie zum Weiterlernen<br />
motiviert.“<br />
● Motivation, Verstehen, Fähigkeitsentwicklung<br />
usw.;<br />
● adäquate Repräsentation der jeweiligen<br />
(Fach-)Wissenschaft.<br />
Als Kriterium für Qualität gilt beispielsweise<br />
den einen eine angemessene Vorbereitung<br />
auf berufliche Tätigkeit, den anderen die adäquate<br />
Vermittlung des aktuellen Wissens, den<br />
dritten wiederum die Verlässlichkeit und Aussagekraft<br />
von Studienabschlüssen. Der WR<br />
etwa bestimmt Qualität vom Ziel her.<br />
(s. auch Seiten 10/12).<br />
Die HRK definiert dagegen gute Lehre in jedem<br />
Fall als eine Qualität des Prozesses: „… gute<br />
Lehre [ist] heute studierendenzentriert.“ Dazu<br />
gehöre, „die Studierenden als selbstständige<br />
eigenverantwortliche Lerner anzusprechen<br />
und herauszufordern“ und für „systematisches<br />
und regelmäßiges Feedback für<br />
Studierende“ zu sorgen. Ähnlich<br />
argumentiert die <strong>GEW</strong>. Sie fordert,<br />
die Studierenden als<br />
„selbstständige Produzenten ihres<br />
Wissens“ anzusprechen und<br />
sie bei der Gestaltung des Lehr-<br />
Lern-Prozesses mitbestimmen<br />
zu lassen (s. auch Seite 10).<br />
Aus der Lerntheorie und -forschung<br />
wissen wir: Selbst aktiv<br />
zu sein, entdeckend zu lernen,<br />
Foto: privat<br />
Zeit und Orientierung dafür zu<br />
erhalten, regelmäßig Rückmeldung<br />
zu bekommen, sind stufen-<br />
und fachübergreifend die<br />
wichtigsten lernförderlichen<br />
Faktoren. Außerdem: von ihrer<br />
Sache begeisterte und an den<br />
Studierenden interessierte<br />
Lehrende. Noch einfacher könnte man sagen:<br />
Lehre ist gut, wenn sie jeweils ein Weiterlernen<br />
ermöglicht, es unterstützt – und vor allem<br />
dazu motiviert. So sinnvoll – und selten erfüllt<br />
– diese Gütekriterien sind: Was Gewerkschaft<br />
und Wissenschaftsverbände benennen, sind<br />
doch nur formale Qualitätsmerkmale. Sie sagen<br />
noch nichts darüber aus, ob an den Hochschulen<br />
wirklich das für Gesellschaft, Wissenschaft<br />
und für die Person selbst Notwendige<br />
gelernt wird. Was die Studierenden lernen,<br />
welche fach- bzw. professionsspezifischen<br />
Kompetenzen sie erwerben und an welchen<br />
Inhalten und Aufgaben sie sich weiterentwickeln<br />
können, setzt vor allem Verständigung<br />
unter den jeweils Beteiligten voraus:<br />
in jeder Hochschule vor Ort, unter den Lehrenden<br />
und vor allem gemeinsam mit den Studierenden.<br />
Ludwig Huber, emer. Professor für<br />
Erziehungswissenschaften, Uni Bielefeld<br />
Prämie<br />
des Monats<br />
Seite 5<br />
Stromfressern auf die Spur kommen:<br />
Sie werben im <strong>Oktober</strong> ein neues<br />
<strong>GEW</strong>-Mitglied und erhalten von uns<br />
ein Energiemessgerät. Mit Kostenkalkulation<br />
und -vorhersage. Seite 5<br />
Impressum<br />
Erziehung und Wissenschaft<br />
Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 60. Jg.<br />
Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
im Deutschen Gewerkschaftsbund.<br />
Vorsitzender: Ulrich Thöne.<br />
Redaktion: Ulf Rödde (verantwortlich),<br />
Helga Haas-Rietschel.<br />
Redaktionsassistenz: Renate Körner.<br />
Postanschrift der Redaktion:<br />
Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M.,<br />
Telefon (0 69) 7 89 73-0, Telefax (0 69) 7 89 73-202.<br />
Internet: www.gew.de<br />
Redaktionsschluss ist der 10. eines jeden Monats.<br />
Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich, jeweils<br />
am 5. des Monats mit Ausnahme der Sommerferien.<br />
Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann,<br />
Heddernheimer Landstraße 144, 60439 Frankfurt<br />
Druck: apm AG, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt.<br />
Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag<br />
enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis<br />
jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl.<br />
MwSt. Für die Mitglieder der Landesverbände Bayern,<br />
Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Rheinland-Pfalz, Saar, Sachsen, Schleswig-Holstein und<br />
Thüringen werden die jeweiligen Landeszeitungen der<br />
E&W beigelegt. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />
und Rezensionsexemplare wird keine Verantwortung<br />
übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten<br />
Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />
Meinung der Redaktion oder des Herausgebers dar.<br />
Verlag mit Anzeigenabteilung: Stamm Verlag GmbH,<br />
Goldammerweg 16, 45134 Essen;<br />
Verantw. f. Anzeigen: Mathias Müller,<br />
Tel. (0201) 84300-0,Telefax (0201) 472590,<br />
anzeigen@stamm.de; www.stamm.de;<br />
zz. gültige Anzeigenpreisliste Nr. 36 vom 1. 1. 2007;<br />
Anzeigenschluss am 5. des Vormonats.<br />
E&W wird auf chlorfrei<br />
gebleichtem Papier gedruckt.<br />
ISSN 0342-0671
Hat der Prof es drauf? Klar ist: Hochschullehrkräfte müssen<br />
ihrem Lehrauftrag besser gerecht werden. „Lehre ist gut,<br />
wenn sie zum Weiterlernen motiviert“, schreibt Ludwig Huber<br />
im Gastkommentar. Die <strong>GEW</strong> fordert, dass Studierende<br />
Lehr- und Lernprozesse mitgestalten. Der Wissenschaftsrat<br />
will alle „in die Pflicht nehmen“, um die Hochschulmisere<br />
zu beenden. Fest steht: Hochschulen sind chronisch unterfinanziert,<br />
Professoren fehlen, die Betreuung ist schlecht,<br />
die Ausstattung mangelhaft. All das geht zu Lasten der<br />
Qualität des Studiums und der Studierenden. Beiträge von<br />
Ulf Banscherus, Klara Fall, Anja Gadow, Jeanette Goddar,<br />
Armin Himmelrath, Andreas Keller, Peter Strohschneider.<br />
Schwerpunkt „Gute Lehre“ ab Seite 6<br />
Gastkommentar<br />
Was ist gute Lehre? Seite 2<br />
Impressum Seite 2<br />
Auf einen Blick Seite 4<br />
Prämie des Monats Seite 5<br />
Titel: Gute Lehre<br />
1. Hat der Prof es drauf? Seite 6<br />
2. WR-Empfehlungen:<br />
„Bauchladen der Unverbindlichkeiten“ Seite 10<br />
3. Interview mit Peter Strohschneider:<br />
„Wir nehmen alle in die Pflicht“ Seite 12<br />
4. Was macht einen guten Hochschullehrer aus? Seite 13<br />
5. Zu wenig Profs für Studis Seite 14<br />
6. Enger Spielraum für Studienreform Seite 16<br />
7. <strong>GEW</strong>-Qualitätsoffensive: Ein Job für Profis Seite 18<br />
Bildungspolitik<br />
1. OECD-Migrationsbericht <strong>2008</strong>: Es kommt keiner mehr Seite 20<br />
2. „Bildung auf einen Blick“:<br />
Mehr Metzger statt mehr Ingenieure? Seite 22<br />
3. Kommentar: Bildungsrepublik Deutschland? Seite 23<br />
4. Graswurzelrevolution:<br />
Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein Seite 24<br />
5. Ganztagsschulstudie: Bessere Qualität – mehr Pädagogen Seite 33<br />
6. Kommentar: Warten auf Taten Seite 34<br />
START – Zeitung für junge Lehrkräfte ab Seite 25<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
Mehr Metzger statt mehr Ingenieure – die jüngste<br />
OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ stellt<br />
erneut fest: Deutschland bildet zu wenig Akademiker<br />
aus. Doch das konservative Lager führt<br />
seine Abwehrkämpfe fort und kritisiert, die OECD<br />
stelle die Ausbildungsleistung des dualen Systems<br />
nicht gebührend heraus. Karlheinz Rosenzweig<br />
fragt: „Wollen die Konservativen den fehlenden<br />
Pädagogennachwuchs künftig mit einer<br />
Überproduktion von Metzgern, Malern und<br />
Bäckern kompensieren?“ Zum OECD-Bericht ein<br />
Kommentar von Ulrich Thöne: „Bildungsrepublik<br />
Deutschland?“ Seiten 22/23<br />
E&W-Hintergrund: Qualifikationsrahmen<br />
1. Gemeinsame Währung in nationaler Münze Seite 34<br />
2. Kommentar: Kind europäischer Bildungspolitik Seite 36<br />
3. Interview mit Harry Neß: „Weniger auf Abschlüsse fixiert“ Seite 37<br />
Hochschule und Forschung<br />
1. <strong>GEW</strong>-Wissenschaftskonferenz: Demokratische Alternative Seite 38<br />
2. BAföG-Hotline: Studis, aufgepasst! Seite 39<br />
3. Keine Leuchttürme der Mitbestimmung Seite 39<br />
4. Interview mit Klaus-Jürgen Tillmann:<br />
„Der Markt ist leergefegt“ Seite 40<br />
Tarif- und Besoldungsrunde 2009<br />
1. „Auf ein Wort ...“ Seite 41<br />
2. <strong>GEW</strong>-Empfehlungen zur Forderungsdiskussion Seite 42<br />
Gesellschaftspolitik<br />
1. Gesetzwidrigen Handel mit Daten bekämpfen Seite 43<br />
2. Interview mit Ludwig Bilz: Wenn Schule krank macht Seite 44<br />
BFW Seite 45<br />
Recht und Rechtsschutz Seite 49<br />
Marktplatz Seite 50<br />
Leserforum Seite 51<br />
Diesmal Seite 56<br />
Titelgestaltung: Werbeagentur Zimmermann<br />
Cartoon: Thomas Plaßmann<br />
Den gesetzwidrigen Handel<br />
mit Daten kritisiert DGB-Vorsitzender<br />
Michael Sommer.<br />
Sommer prangert in seinem<br />
Beitrag an, dass Gewerkschaftsmitglieder<br />
ins Visier<br />
der US-Terroristenjäger geraten<br />
könnten. Seite 43<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 3<br />
Foto: DGB
AUF EINEN BLICK<br />
Über 3000 Beschäftigte<br />
des<br />
öffentlichen<br />
Dienstes in Berlin<br />
zeigten der rotrotenLandesregierung,<br />
dass<br />
sie sich in der<br />
Tarifauseinandersetzung<br />
nicht<br />
mit einem<br />
Gnadenerweis<br />
abspeisen<br />
lassen.<br />
Protest mit Bart<br />
Jetzt unterschreiben!<br />
Gegen die unterschiedliche Bezahlung<br />
von Männern und Frauen haben am<br />
22. September<br />
in Berlin Gewerkschafterinnen<br />
mit angeklebtenBärten<br />
protestiert.<br />
Die „Aktion<br />
Schnauzbart“<br />
macht darauf<br />
aufmerksam,<br />
dass Frauen in<br />
Deutschland<br />
durchschnittlich<br />
22 Prozent<br />
weniger<br />
verdienen als<br />
Männer.<br />
3000 Beschäftigte demonstrieren für mehr Geld – Streiks gehen weiter<br />
Für das Volksbegehren „Eine Schule für Alle“ sammelt die gleichnamige Initiative in<br />
Hamburg noch bis zum 9. <strong>Oktober</strong> Unterschriften. Knapp 62 000 wahlberechtigte<br />
Bürgerinnen und Bürger aus der Hansestadt müssen unterschreiben, um den Weg<br />
für einen Volksentscheid, den letzten Schritt der Volksgesetzgebung, freizumachen.<br />
Ziel der Initiative ist, eine gemeinsame Schule für alle Kinder bis zum Ende der<br />
Pflichtschulzeit durchzusetzen (s. E&W 9/<strong>2008</strong>, Seiten 4, 38 und 39). Alle Infos finden<br />
Sie im Netz unter: www.eineschule.de.<br />
Wer nicht in Hamburg lebt, der Initiative jedoch den Rücken stärken will, kann dies<br />
durch sein Votum für die bundesweite Unterschriftenaktion „Keine halben Sachen:<br />
Eine Schule für Alle“ im Internet tun. Den Unterstützeraufruf haben als Erstunterzeichner<br />
viele prominente Wissenschaftler, Vertreter von Verbänden und Gewerkschaften<br />
sowie Journalisten unterschrieben. Die Liste auf der Website www.aufrufeineschule.de<br />
wird von Tag zu Tag länger. Die Unterschriftenaktion erreichen Sie auch<br />
über die Homepage der <strong>GEW</strong>: www.gew.de.<br />
Foto: dpa<br />
4 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />
Der Berliner Senat hatte vor den Ferien die Tarifverhandlungen<br />
für den öffentlichen Dienst abgebrochen<br />
und nach Gutsherrenart für <strong>2008</strong> und 2009 je eine Einmalzahlung<br />
von 300 Euro verfügt – pro Tag netto ungefähr<br />
50 Cent. Deshalb haben über 3000 Beschäftigte<br />
am 15. September die Streikaktionen im Land Berlin<br />
wieder aufgenommen! Die Demonstration führte zum<br />
Gebäude des Bundesrates, wo die Streikenden den anderen<br />
Bundesländern ihre Arbeitskraft anboten, denn,<br />
so ihr Motto: „Etwas Besseres als Berlin finden wir überall!“<br />
Am selben Tag begann die Urabstimmung unter den<br />
angestellten Lehrkräften über ihre Bereitschaft zu unbefristeten<br />
Streiks. Der Auftakt war verheißungsvoll.<br />
Anfang <strong>Oktober</strong> wird die <strong>GEW</strong> Berlin das Ergebnis bekannt<br />
geben. Die Beschäftigten des öffentlichen<br />
Dienstes werden sich mit dem „Gnadenerweis“ des rotroten<br />
Senats nicht zufrieden geben. Für <strong>Oktober</strong> sind<br />
längerfristige Streiks geplant.<br />
Weitere und alle aktuellen Infos finden Sie im Internet unter:<br />
www.gew-berlin.de/.<br />
Von der Leyen gescheitert: Kommerzielle Kitas werden nicht stärker gefördert<br />
Eine stärkere staatliche Förderung kommerzieller Kindergärten ist vorerst vom Tisch (s. E&W 9/<strong>2008</strong> und Kita-Magazin<br />
2/<strong>2008</strong>). Die Entscheidung über die mögliche Förderung privater Kita-Unternehmen liegt weiterhin<br />
bei den Bundesländern. Damit scheiterte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit ihren<br />
Plänen, die Länder per Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zu zwingen, privat-gewerbliche<br />
Träger besser zu fördern. Nicht nur Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände,<br />
Kirchen, Kommunen oder Betriebskindergärten wollte von der Leyen bezuschussen<br />
lassen, sondern auch profitorientierte Kita-Konzerne sollten staatliche<br />
Subventionen bekommen. Der Bundesrat hat ihre Pläne jetzt gestoppt. Die <strong>GEW</strong> begrüßt<br />
diese Entscheidung, hatte sie doch massiv vor einer Kommerzialisierung der<br />
frühkindlichen Bildung gewarnt: „Mit unseren Kindern dürfen keine Geschäfte gemacht<br />
werden. Öffentliche Subventionen für gewerbliche Kita-Unternehmen hätten<br />
einen Profitmarkt zulasten der Kinder geöffnet. Es ist gut, dass diese Pläne vom Tisch<br />
sind“, sagte Norbert Hocke, Leiter des Vorstandsbereichs Jugendhilfe und Sozialarbeit<br />
der <strong>GEW</strong>.<br />
Zurzeit können die Bundesländer selbst entscheiden, ob sie kommerzielle Träger<br />
von Tageseinrichtungen für Kinder mit staatlichen Zuschüssen subventionieren<br />
wollen. Bisher nutzen nur sechs Bundesländer diese Möglichkeit. Die <strong>GEW</strong> hatte<br />
von der Leyens Pläne bereits in der Expertenanhörung des Deutschen Bundestags<br />
scharf kritisiert.
#<br />
Bitte in Druckschrift ausfüllen.<br />
Ihre Daten sind entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes geschützt.<br />
...für jedes neu geworbene <strong>GEW</strong>-Mitglied erwartet Sie ein Energiemessgerät.<br />
Antrag auf<br />
Mitgliedschaft<br />
Vorname/Name<br />
Straße/Nr.<br />
Land/PLZ/Ort<br />
Geburtsdatum/Nationalität<br />
Bisher gewerkschaftlich organisiert bei von bis (Monat/Jahr)<br />
Jedes Mitglied der <strong>GEW</strong> ist verpflichtet,den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und<br />
seine Zahlungen daraufhin regelmäßig zu überprüfen.<br />
Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag erkenne ich die Satzung der <strong>GEW</strong> an und ermächtige<br />
die <strong>GEW</strong> zugleich widerruflich,den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag vierteljährlich<br />
von meinem Konto abzubuchen.<br />
Ort/Datum Unterschrift<br />
Daten desWerbers<br />
Vorname/Name<br />
Straße/Nr.<br />
PLZ/Ort<br />
Mitmachen<br />
lohnt sich!<br />
Ich habe die oben genannte Person als neues <strong>GEW</strong>-Mitglied geworben.<br />
Ihr Mitgliedsbeitrag:<br />
- Beamtinnen und Beamte zahlen 0,75 Prozent der 6. Stufe.<br />
- Angestellte zahlen 0,7 Prozent der Entgeltgruppe und Stufe, nach der vergütet wird.<br />
- Der Mindestbeitrag beträgt immer 0,6 Prozent der untersten Stufe der Entgeltgruppe 1 des TVöD.<br />
- Arbeitslose zahlen ein Drittel des Mindestbeitrages.<br />
- Studierende zahlen einen Festbetrag von 2,50 Euro.<br />
- Mitglieder im Referendariat oder Praktikum zahlen einen Festbetrag von 4 Euro.<br />
- Mitglieder im Ruhestand zahlen 0,66 Prozent ihrer Ruhestandsbezüge.<br />
Weitere Informationen sind der Beitragsordnung zu entnehmen.<br />
Telefon Fax<br />
E-Mail<br />
Berufsbezeichnung/-ziel beschäftigt seit Fachgruppe<br />
Name/Ort der Bank<br />
Kontonummer BLZ<br />
Besoldungs-/Entgeltgruppe gültig seit Stufe Bruttoeinkommen € monatlich<br />
Betrieb/Dienststelle Träger<br />
Straße/Nr. des Betriebes/der Dienststelle PLZ/Ort<br />
<strong>GEW</strong>-Landesverband<br />
Telefon Fax<br />
E-Mail<br />
Prämie des<br />
Monats <strong>Oktober</strong><br />
Ein Energiemessgerät für den<br />
häuslichen Gebrauch.<br />
Mit Kostenkalkulation<br />
und -vorhersage<br />
E+W-Prämie des<br />
Monats <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong>/<br />
Energiemessgerät<br />
Dieses Angebot gilt nur<br />
für <strong>GEW</strong>-Mitglieder.<br />
Beschäftigungsverhältnis<br />
angestellt<br />
beamtet<br />
Honorarkraft<br />
in Rente<br />
pensioniert<br />
Altersübergangsgeld<br />
arbeitslos<br />
beurlaubt ohne Bezüge<br />
teilzeitbeschäftigt mit<br />
Prozent<br />
im Studium<br />
ABM<br />
Vorbereitungsdienst/<br />
Berufspraktikum<br />
befristet bis<br />
Sonstiges<br />
Bitte den Antrag vollständig<br />
ausfüllen und<br />
an folgende Adresse<br />
senden:<br />
Gewerkschaft<br />
Erziehung<br />
und Wissenschaft<br />
Brigitte Stamm<br />
Reifenberger Straße 21<br />
60489 Frankfurt a.M.<br />
Fax:069/78973-102<br />
Vielen Dank!<br />
Ihre <strong>GEW</strong>
„Hat der Pro<br />
Warum das Studium mit einem Fehlstart beginnen kann<br />
6 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Zwei von drei Akademikern<br />
in spe fällt es schwer, sich im<br />
Studium zurecht zu finden.<br />
Erforderlich ist eine professionellere<br />
Begleitung der<br />
Studierenden.
f es drauf?“<br />
Dass das Studium mit einem Fehlstart<br />
beginnen oder gar zum Abbruch<br />
führen kann, hat viel damit zu tun,<br />
dass die Lern- und Arbeitsbedingungen<br />
an den Hochschulen zu wünschen<br />
übrig lassen. Doch das liegt nicht nur<br />
am fehlenden Geld und Personal. Den<br />
„Profs“ mangelt es oft an jenen Kompetenzen,<br />
die sie den Studierenden vermitteln<br />
sollten. Denn: Áuch das Lehren<br />
will gelernt sein.<br />
Was für ein Start in ein<br />
neues Leben! Als<br />
Katrin zum Sommersemester<br />
nach<br />
Berlin zog, war restlos<br />
alles ungewohnt:<br />
die Stadt. Das WG-Zimmer. Der Campus.<br />
Der Tagesablauf. Nicht mehr Schülerin,<br />
sondern Studentin. Dass sie sich<br />
in Berlin nicht sofort zurechtfand, überraschte<br />
die 20-Jährige kaum. Was sie irritierte:<br />
Nach vier Wochen an der Freien<br />
Universität (FU) Berlin hatte sie immer<br />
noch keinen Überblick über das Gelände,<br />
die Räume, die Büros. „Es gibt vielleicht<br />
Menschen mit mehr Orientierungssinn“,<br />
sagt sie – „aber ist es normal,<br />
dass ich nach einem Monat noch nicht<br />
weiß, was wo ist?“ Gab es denn keine<br />
Einführungstage? „Doch, drei“, berichtet<br />
sie, „ohne die wäre alles noch viel<br />
schlimmer gewesen. Aber genug war das<br />
nicht.“<br />
Platzkampf im Hörsaal<br />
Schon nach wenigen Tagen als Erstsemesterin<br />
ereilte Katrin der erste<br />
„Schock“: In einem rappelvollen Hörsaal<br />
musste sie sich Plätze in den Laborpraktika<br />
erkämpfen. „Da wurden nacheinander<br />
200 Namen aufgerufen. Jeder<br />
musste sagen, was er belegen will. Und<br />
was belegt war, gab es eben nicht mehr<br />
im Angebot“, erinnert sie sich. Die Aufregung<br />
ist ihr noch anzumerken. „Wir<br />
müssen Praktika machen“, schimpft sie,<br />
„die sind in Biologie verpflichtend. So<br />
kann man uns doch nicht behandeln.“<br />
Ihr erstes Resümee nach vier Wochen<br />
Studium: „Ziemlich enttäuschend.“ Im<br />
Vergleich mit anderen Kommilitonen<br />
sei sie jedoch noch ganz gut dran: „Es<br />
gibt Leute, die jetzt schon glauben, dass<br />
sie ihr Studium in der Regelzeit nicht<br />
schaffen werden.“<br />
Willkommen an einer von acht Elite-<br />
Universitäten der Republik: der Freien<br />
Universität Berlin, mit 34000 Studierenden<br />
eine der größten Deutschlands<br />
und so beliebt, dass sie in jedem Jahr<br />
noch viel mehr Studierende aufnehmen<br />
könnte. Ist Katrin mit ihren Startschwierigkeiten<br />
eine Ausnahme? Wohl kaum.<br />
Mehr als jeder zweite Studierende, bestätigt<br />
eine Erhebung der Zentralen Studienberatung<br />
der FU, fühlt sich zu wenig<br />
unterstützt und beraten. Zwei von<br />
drei Akademikern in spe leiden unter<br />
Orientierungsproblemen. Hans-Werner<br />
Rückert, Leiter der Studienberatung,<br />
sagt: „Wir brauchen dringend eine professionellere<br />
Begleitung der Studierenden.“<br />
Da es diese nicht gibt, ist die Lage – an<br />
der FU und anderen Hochschulen – wie<br />
sie eben ist: Jeder Dritte des ersten Bachelor-Jahrgangs<br />
von 2004/05 war zwei<br />
Jahre später nicht mehr – jedenfalls<br />
nicht in demselben Fach – eingeschrieben.<br />
Jeder Dritte begründete das damit,<br />
sich „verwählt“ zu haben. Jeder Vierte<br />
fühlte sich „überfordert“, jeder Fünfte<br />
„enttäuscht“. An der Humboldt-Universität<br />
(HU), im Osten Berlins, kam<br />
vor einem Jahr eine von Studierenden<br />
organisierte „Studierbarkeits-Umfrage“<br />
unter 2100 angehenden Bachelors zu<br />
ganz ähnlichen Einschätzungen.<br />
Schlechte Noten erteilt<br />
Fragt man Studierende, was ihnen fehlt,<br />
ist die Liste lang. Vor allem aber mangelt<br />
es an vernünftigen Lernbedingungen.<br />
An der Humboldt-Uni erteilten sie der<br />
Qualität von Lehre und Betreuung auf<br />
der 1-6-Notenskala im Schnitt eine Drei<br />
bis Vier. Besonders schlecht fielen die<br />
Urteile nicht für die Geistes- und Sozialwissenschaften<br />
aus, sondern gerade in<br />
jenen Fächern, die die Bundesregierung<br />
gern als Zukunftsfelder bezeichnet: Mathe,<br />
Naturwissenschaften, Informatik.<br />
Wirtschaftswissenschaften (WiWi) und<br />
Jura ließen sich mit Blick auf den mitten<br />
in der Sommerpause <strong>2008</strong> erschienenen<br />
10. Studierendensurvey im Auftrag des<br />
Bundesbildungsministeriums (BMBF)<br />
noch hinzufügen. Nur rund 15 Prozent<br />
der Jura- und WiWi-Studenten erklärten,<br />
„ab und zu bis oft“ Kontakt zu den<br />
Professoren zu haben.<br />
Am unzufriedensten mit den Studienbedingungen,<br />
so fand das Hochschulinformationssystem<br />
(HIS) in Hannover<br />
gemeinsam mit der Arbeitsgruppe<br />
Hochschulforschung der Uni Konstanz<br />
2006 heraus, ist der pädagogische Nachwuchs<br />
von morgen: Lehramtsstudierende,<br />
also jene Gruppe, die an der Uni die<br />
Kompetenzen erwerben soll, die sie bei<br />
den Hochschullehrkräften vermissen.<br />
Kaum mehr als jeder vierte (28 Prozent)<br />
angehende Lehrer bewertet die Organisation<br />
des Studiums mit „gut” oder<br />
„sehr gut.“ 60 Prozent klagen dagegen<br />
über vollgestopfte Hörsäle.<br />
Frank, Student an der für ihre Praxisanteile<br />
häufig gelobten Universität Potsdam,<br />
erstaunt das nicht: „Wir sitzen mit<br />
hundert Leuten im schulpraktischen Seminar<br />
– und bereiten zu zweit oder dritt<br />
eine Schulstunde im Semester vor. So<br />
lernt man doch nichts.“<br />
Vorlesung mit Headset<br />
Die andere Seite des Lehrpults bestätigt<br />
die Misere. Nach mehr als 30 Jahren<br />
Lehrerbildung an der Universität Duisburg-Essen<br />
zog Professor Klaus Klemm<br />
bei seiner Emeritierung im Sommer<br />
2007 eine düstere Bilanz (s. E&W<br />
12/2007): Trotz aller Debatten über<br />
PISA und die Defizite der deutschen<br />
Schule habe sich die Lehrerausbildung<br />
seit den 1970er-Jahren nicht verbessert –<br />
auch und insbesondere nicht durch die<br />
Einführung des verschulten Bachelor-<br />
Studiums. „Ich halte Vorlesungen vor<br />
180 Leuten mit einem Headset auf dem<br />
Kopf: Wenn sie Glück haben, hören die<br />
Studierenden mich – aber ich höre sie<br />
nicht mehr“, klagte Klemm. Auch Noten,<br />
bilanzierte er weiter, würden nach<br />
Aktenlage erteilt. Die individuelle Einschätzung<br />
von Kompetenzen sei kaum<br />
noch möglich. Klemms Hochschul-<br />
Kollege Rolf Dobischat, seit zwei Jahren<br />
auch Präsident des Deutschen Studentenwerks<br />
(DSW), fügt – nicht ohne<br />
Selbstkritik – hinzu: „Dass die Unis die<br />
Ressourcen fressenden Bedingungen<br />
der neuen Studiengänge nicht überblickt<br />
haben, war vielleicht ihr größter<br />
Fehler der vergangenen Jahre.“ Das fin-<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 7
GUTE LEHRE<br />
det offenbar auch die Hochschulrektorenkonferenz<br />
(HRK), die nach jeder Sitzung<br />
aufs Neue darauf hinweist: Weder<br />
für die Entwicklung noch für die Umsetzung<br />
oder Organisation der Bologna-<br />
Studiengänge hätten die Hochschulen<br />
je Geld gesehen. 2,6 Milliarden Euro<br />
würde es nach HRK-Rechnung bis 2020<br />
in jedem Jahr kosten, der Reform „bessere<br />
Lernkontexte“ nachzuliefern.<br />
Mehr Geld hilft<br />
Tatsächlich könnte man mit zusätzlichem<br />
Geld einiges erreichen. Die Anzahl<br />
von 62 Studierenden, die statistisch<br />
jede Hochschullehrkraft betreut, könnte<br />
so verringert werden. Die HRK wünscht<br />
sich ein Verhältnis von 25:1. Zusätzliche<br />
Tutoren, Mentoren und Studienberater<br />
könnten die Betreuung weiter verbessern.<br />
Überfällige Schritte, kommentiert<br />
der freie zusammenschluss von studentInnenschaften<br />
(fzs): „Vor allem, wer<br />
frisch von der Schule kommt, ist mit der<br />
Koordination des Studiums überfordert“,<br />
sagt Imke Buß, die Bologna-Expertin<br />
des fzs, „mehr Unterstützung,<br />
mehr Betreuung wären wichtig.“ Buß<br />
sagt aber auch: Gute Lehre ist mehr als<br />
ein besserer Betreuungsschlüssel pro<br />
Student. „Universitäre Lehre muss auch<br />
so genannte soft skills vermitteln:<br />
Teamarbeit, Problemlösungskompetenz,<br />
Kommunikationsfähigkeit. Das setzt allerdings<br />
andere Lehr- und Lernformen<br />
voraus, als dass Professoren aus ihren eigenen<br />
Büchern vorlesen.“<br />
Lehrkompetenz erwerben<br />
„Volle Seminare müssen nicht die<br />
schlechtesten sein“, meint Ronny, bis Ende<br />
des Sommersemesters <strong>2008</strong> Politik-<br />
Student an der FU Berlin. Entscheidend<br />
sei: „Hat der Prof es drauf oder nicht?“<br />
Ob das so ist, war bei der Besetzung von<br />
Professuren früher ganz und ist auch<br />
heute noch ziemlich egal. „In Ansätzen<br />
Verbesserungen“ attestiert Andreas Keller<br />
den Hochschulen bei der Berücksichtigung<br />
von Lehrkompetenzen in Berufungsverfahren.<br />
Im Grundsatz, so das<br />
<strong>GEW</strong>-Vorstandmitglied für Hochschule<br />
und Forschung, gelte immer noch: „Forschung<br />
geht unzulässig weit vor.“ Die<br />
<strong>GEW</strong> will das ändern. Die Bildungsgewerkschaft<br />
fordert in einem im Sommer<br />
<strong>2008</strong> verabschiedeten Positionspapier,<br />
Lehrende müssten systematisch und<br />
nachweislich Lehrkompetenzen erwerben.<br />
Nur so könnten in Hörsäle und Seminarräume<br />
innovative Lehr- und Lernformen<br />
einziehen (s. Seite 14). Gemeint<br />
sind Methoden, die nicht das Curriculum,<br />
sondern den Menschen und seinen<br />
Kompetenzerwerb in den Mittelpunkt<br />
8 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Schock für Erstsemester: In rappelvollen<br />
Hörsälen ein Gerangel um die Plätze.<br />
Wer nicht überpünktlich ist, hat Pech und<br />
landet auf der Treppe.<br />
des Studiums stellen: etwa durch Problemorientiertes<br />
Lernen (POL), Teamarbeit<br />
oder das Lernen in Projekten.<br />
Rückenwind erhalten Deutschlands Studierende<br />
auch vom Wissenschaftsrat<br />
(WR). Seit diesem Sommer verlangt<br />
Deutschlands höchstes Beratungsgremium<br />
aus Wissenschaftlern und Vertretern<br />
von Bund und Ländern nicht nur 1,1<br />
Milliarden Euro mehr im Jahr für eine<br />
bessere Lehre – sondern einen regelrechten<br />
Kulturwandel: Professoren sollen<br />
sich auch über Lehrleistungen bewähren.<br />
Außerdem soll Lehre Teil der<br />
Aus- und Weiterbildung der Hochschullehrkräfte<br />
sein. Dass man Lehren lernen<br />
kann, beweisen die bundesweit 60 hochschuldidaktischen<br />
Zentren.
Auch an der FU tut sich inzwischen etwas:<br />
Nach der nahezu ausschließlichen<br />
Konzentration auf die Exzellenzinitiative<br />
legte das Präsidium im vergangenen<br />
Winter einen Zehn-Punkte-Plan zur<br />
Verbesserung der Lehre vor. Dieser kündigt<br />
unter anderem an, Studierende in<br />
Einführungswochen und mit mehr Studienberatung<br />
frühzeitig und besser da-<br />
rauf vorzubereiten, was sie erwartet.<br />
Mentoring und Studienfachberatung<br />
sollen qualifizierter werden, jeder Lehrende<br />
soll künftig jede Woche eine<br />
Sprechstunde halten. Der Hintergrund<br />
der löblichen Initiative ist, so darf man<br />
vermuten, handfester finanzieller Natur:<br />
Seit das Land Berlin 30 Prozent der<br />
Zuschüsse an seine Universitäten nach<br />
Leistung vergibt, wird es wenigstens teuer,<br />
wenn der Lehrerfolg ausbleibt. Eine<br />
siebenstellige Summe ging der FU in<br />
diesem Jahr deshalb flöten, weil sie im<br />
Vergleich zur Konkurrenz an HU und<br />
Technischer Universität (TU) in der<br />
Lehre zurückblieb.*<br />
Jeannette Goddar, freie Journalistin<br />
GUTE LEHRE<br />
* Gemessen wurde das<br />
unter anderem an der<br />
Zahl der Absolventinnen<br />
und Absolventen in<br />
der Regelstudienzeit.<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 9<br />
Fotos: David Ausserhofer
GUTE LEHRE<br />
Der Wissenschaftsratkritisiert<br />
die Hochschulen:<br />
Es fehle<br />
„an institutioneller<br />
und personeller<br />
Verantwortung<br />
für die Lehre“, der<br />
Unterricht<br />
genieße an vielen<br />
Hochschulen<br />
„noch immer<br />
keinen hohen<br />
Stellenwert“.<br />
*Die aktuellen Lehrempfehlungen<br />
des<br />
Wissenschaftsrats<br />
finden Sie im Internet<br />
unter:<br />
http://www.wissenschaftsrat.de/texte/8639-08.pdf<br />
„Bauchladen der<br />
Unverbindlichkeiten“<br />
Kritiker halten WR-Empfehlungen für nicht scharf genug<br />
Lange hat es gedauert, jetzt liegen sie<br />
endlich vor: Die „Empfehlungen zur<br />
Qualitätsverbesserung von Lehre und<br />
Studium“* des Wissenschaftsrats<br />
(WR) – fast eine Generalabrechnung<br />
mit den Lehrleistungen der Hochschulen.<br />
Doch einigen Kritikern ist<br />
das noch nicht scharf genug.<br />
Die Bilanz war vernichtend:<br />
„Es fehlt an institutioneller<br />
und personeller Verantwortung<br />
für die Lehre“, der<br />
Unterricht „genießt an vielen<br />
Hochschulen noch immer<br />
keinen hohen Stellenwert“. Dass<br />
gute Forschung zu guter Lehre führe, sei<br />
ein Trugschluss, so der WR. Zugleich gebe<br />
es jedoch keine Anreize für Professorinnen<br />
und Professoren, gute Seminare<br />
und Vorlesungen anzubieten: „Besondere<br />
Anstrengungen und Leistungen in<br />
der Lehre zahlen sich für den einzelnen<br />
Wissenschaftler karrieremäßig kaum<br />
aus. Sie schaffen weder höhere Reputati-<br />
10 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
on, noch werden sie materiell belohnt.<br />
Auch spielen sie nur eine geringe Rolle<br />
im Rahmen von Berufungsverfahren.“<br />
Das klingt brandaktuell, stammt in<br />
Wirklichkeit aber aus einem anderen<br />
Jahrhundert: Am 19. Januar 1996 verabschiedete<br />
der WR seine Drucksache<br />
Nummer 2365/96 mit dieser niederschmetternden<br />
Bilanz.<br />
„Betreuung verbessern“<br />
Heute, mehr als zwölf Jahre später, fällt<br />
das WR-Urteil in den aktuellen Lehrempfehlungen<br />
keine Spur besser aus:<br />
Die Betreuungsverhältnisse müssten<br />
„dringend verbessert werden“. Das gehe<br />
nur mit deutlich mehr Mitteln, denn der<br />
„erforderliche Ausbau des Lehrangebots<br />
lässt sich in den bisherigen Personalstrukturen<br />
nicht hinreichend effektiv<br />
und effizient umsetzen“. Bessere Betreuung,<br />
einen Ausbau der Studienkapazitäten,<br />
Professuren mit bis zu<br />
zwölf Semesterwochenstunden Lehranteil<br />
sind nicht umsonst zu haben:<br />
Mehr als 1,1 Milliarden Euro, so der<br />
WR, müsse die Bildungspolitik den<br />
Universitäten und Fachhochschulen pro<br />
Jahr zusätzlich zur Verfügung stellen,<br />
„und zwar kontinuierlich und verlässlich,<br />
nicht in Form von Projektmitteln“<br />
– deutlicher hätte die Mahnung kaum<br />
ausfallen können. „Das ist natürlich nur<br />
eine Empfehlung, aber ich hoffe schon,<br />
dass daraus eine klare politische Verbindlichkeit<br />
entsteht“, sagt Peter Strohschneider,<br />
Vorsitzender des Wissenschaftsrats<br />
im E&W-Interview (s. Seite 12).<br />
Dass die Empfehlungen sich wirklich<br />
positiv auswirken, wird jedoch von einigen<br />
Kritikern bezweifelt. „Die Lehre in<br />
den Mittelpunkt des Interesses zu<br />
rücken und dafür mehr Geld zu fordern,<br />
ist grundsätzlich richtig, die Empfehlungen<br />
bleiben aber insgesamt mau“,<br />
sagt Nele Hirsch, bildungspolitische<br />
Sprecherin der Fraktion Die Linke im<br />
Bundestag. Bessere Arbeitsbedingungen<br />
an den Hochschulen und eine gute soziale<br />
Absicherung der Studierenden habe<br />
der WR systematisch vernachlässigt:<br />
„Keine Kritik an den massiven sozialen<br />
Auswirkungen der Studiengebühren,<br />
keine Kritik an prekären Arbeitsverhält-<br />
Foto: Foto: David Ausserhofer
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 11
GUTE LEHRE<br />
nissen, dann noch die Zustimmung zur<br />
Systemakkreditierung ohne genaueren<br />
Blick auf die einzelnen Studiengänge –<br />
das alles trägt nicht zu einer besseren<br />
Lehre bei.“ Eine Einschätzung, die auch<br />
Hochschul-Insider teilen: „Doktoranden<br />
machen normalerweise die ganze<br />
Vorbereitung, alle Korrekturen und einen<br />
großen Teil der Verwaltungsarbeit“,<br />
sagt Carolyn Sailor (Name geändert), die<br />
aus Kanada als Wirtschaftswissenschaftlerin<br />
an eine norddeutsche Universität<br />
kam und vor allem „über die Faulheit der<br />
deutschen Professoren“ staunt: „Kein<br />
Wunder, dass die Vorlesungen der Profs<br />
schlecht sind, schließlich haben sie die<br />
Stunden ja nicht selber vorbereitet und<br />
zeigen in Seminaren und Vorlesungen<br />
Folien ihrer Doktoranden.“ Auch die<br />
Entschuldigung, dass die Forschungsarbeit<br />
so zeitaufwändig sei, lässt Sailor<br />
nicht gelten: „Die Professoren übernehmen<br />
einen Großteil der Forschungsergebnisse<br />
von ihren Mitarbeitern und<br />
geben sie als eigene Arbeiten aus.“ Das<br />
Fazit der Gastwissenschaftlerin: „Die bekommen<br />
ein volles Gehalt für eine Arbeit,<br />
die eigentlich ein Teilzeitjob ist.“<br />
Die Lehrempfehlungen des WR fallen<br />
der 33-Jährigen deshalb trotz klarer Forderungen<br />
nicht scharf genug aus.<br />
„Nur Mainstream“<br />
Auch Wolfgang Lieb, früherer SPD-<br />
Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium,<br />
hält die WR-Empfehlungen<br />
allenfalls für „einen ganzen Bauchladen<br />
unverbindlicher Vorschläge, aus<br />
dem sich jeder bedienen kann, ohne<br />
dass sich viel ändern dürfte“. Der WR<br />
sei „alles andere als eine Speerspitze des<br />
Fortschritts“, die aktuellen Vorschläge<br />
nur „wissenschaftlicher Mainstream“,<br />
ätzt Lieb, der heute als Herausgeber der<br />
Homepage www.nachdenkseiten.de die<br />
aktuelle Politik kritisch begleitet. Immerhin<br />
sei es schon „ein Gewinn an<br />
sich“, dass die Qualität der Lehre endlich<br />
debattiert wird. Die Aussage, dass<br />
„im Zentrum aller Bemühungen die Sicherung<br />
der Studierbarkeit“ stehen soll,<br />
sei überfällig gewesen, genauso wie die<br />
Nennung einer konkreten Kostensumme.<br />
Allein um das Betreuungsverhältnis<br />
einigermaßen auf internationales Niveau<br />
zu bringen, sind laut WR mindestens<br />
357 Millionen Euro pro Jahr nötig.<br />
„Das hört sich gewaltig an“, räumt Wolfgang<br />
Lieb ein, tritt jedoch sofort auf die<br />
Euphorie-Bremse: „Verteilt auf die 391<br />
staatlichen und staatlich anerkannten<br />
Hochschulen wären das pro Hochschule<br />
aber nur knapp 900000 Euro für zusätzliche<br />
Hochschullehrer.“<br />
Armin Himmelrath, freier Journalist<br />
12 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
„Wir nehmen alle<br />
in die Pflicht“<br />
Interview mit WR-Chef Peter Strohschneider<br />
Mit Prof. Peter Strohschneider, dem<br />
Vorsitzenden des Wissenschaftsrats<br />
(WR), sprach E&W über die aktuellen<br />
Empfehlungen zur Verbesserung<br />
der Lehre an den Hochschulen und seine<br />
Wünsche an den Bildungsgipfel.<br />
E&W: 1996 hatte der Wissenschaftsrat<br />
schon einmal Empfehlungen zur Evaluation<br />
in der Lehre verabschiedet. Die damaligen<br />
Befunde klingen noch erschreckend<br />
aktuell – von<br />
der mangelnden Betreuung<br />
an Massenunis bis<br />
zum schlechten Image des<br />
akademischen Unterrichts<br />
bei den Professoren. Haben<br />
wir ein Jahrzehnt der<br />
Stagnation hinter uns?<br />
Peter Strohschneider:<br />
Natürlich ist unsere aktuelle<br />
Diagnose nicht<br />
revolutionär, schließlich<br />
sind viele Probleme<br />
in der Lehre schon<br />
länger bekannt. Aber<br />
die Gesamtsituation ist<br />
heute anders: Unser Papier<br />
verfolgt erstmals einen<br />
integrierten Ansatz,<br />
Peter Strohschneider,<br />
Vorsitzender des Wissenschaftsrats<br />
der Studierende, Lehrende, Hochschulen,<br />
Fächer und Politik gleichermaßen<br />
in die Pflicht nimmt. Und dann haben<br />
wir uns ja auch auf eine konkret benötigte<br />
Summe geeinigt – das ist nicht<br />
zu unterschätzen.<br />
E&W: Sie fordern 1,104 Milliarden Euro<br />
pro Jahr für die Verbesserung der Lehre. Wie<br />
groß ist Ihre Angst, dass davon am Ende nur<br />
ein Bruchteil übrig bleibt?<br />
Strohschneider: Immerhin waren alle<br />
Bildungs- und Wissenschaftsminister an<br />
den Beschlüssen beteiligt. Ich habe den<br />
Eindruck, dass unsere Zahlen in der aktuellen<br />
Debatte im Vorfeld des Bildungsgipfels<br />
durchaus berücksichtigt<br />
werden. Wir geben ja meistens Empfehlungen<br />
ohne juristische oder finanzielle<br />
Verbindlichkeit ab – aber ich bin sehr<br />
zuversichtlich, dass daraus eine klare<br />
politische Verbindlichkeit entsteht.<br />
E&W: Was erwarten Sie konkret von Bund<br />
und Ländern beim Bildungsgipfel?<br />
Strohschneider: Entscheidend wird<br />
sein, dass die verschiedenen Bedarfe im<br />
Hochschulbereich nicht gegeneinander<br />
ausgespielt werden. Ich bezeichne das<br />
gerne als „Trilemma". Die Verbesserung<br />
der Forschungsfähigkeit der Universitäten<br />
– Stichwort Fortführung der Exzellenzinitiative<br />
–, der quantitative Ausbau<br />
der Hochschulen – Stichwort Hochschulpakt<br />
– und eine bessere Qualität<br />
der Lehre: All dies ist gleichermaßen<br />
zwingend, all dies kostet<br />
Geld, und keines<br />
dieser Ziele darf zu<br />
Lasten eines anderen<br />
gehen. Alles in allem<br />
eine große politische<br />
Herausforderung, aber<br />
für Deutschland und<br />
seine Zukunft hängt<br />
viel davon ab, dass sie<br />
gemeistert wird.<br />
E&W: Auf besonderen<br />
Widerstand stößt die von<br />
Ihnen vorgeschlagene<br />
Foto: imago<br />
Einführung von Lehrprofessuren,<br />
vor allem<br />
auch innerhalb der Hochschulen.<br />
Haben Sie dafür<br />
eine Erklärung?<br />
Strohschneider: Die<br />
meisten Kolleginnen und Kollegen haben<br />
in den vergangenen Jahren und<br />
Jahrzehnten die Erfahrung gemacht,<br />
dass der Kapazitätsausbau an den<br />
Hochschulen zu stetig steigenden<br />
Lehrdeputaten geführt hat. Als ich<br />
1975 mit meinem Studium angefangen<br />
habe, lag die Lehrverpflichtung noch<br />
bei sechs Wochenstunden, später wurde<br />
sie auf acht und in jüngster Zeit in<br />
manchen Ländern auf neun Stunden<br />
erhöht.<br />
Offenbar haben manche Kritiker nur<br />
die Zahl „Zwölf“ bei uns gesehen, die<br />
anderen Kriterien aber nicht so richtig<br />
wahrgenommen. Denn wir schlagen ja<br />
gar keine Lehrprofessoren vor, sondern<br />
nur Professuren mit einem größeren Gewicht<br />
auf der Lehre – aber eben auch mit<br />
Forschungstätigkeit. Das wird in der Debatte<br />
gerne übersehen.<br />
Interview: Armin Himmelrath,<br />
freier Journalist
Was macht einen guten<br />
Hochschullehrer aus?<br />
Aus der Perspektive einer Studentin<br />
Eine Professorin oder ein Professor<br />
sollte neben der wissenschaftlichen,<br />
fachlichen und didaktischen<br />
Kompetenz für sein<br />
Fach begeistern können. Sie<br />
oder er sollte es auch nicht als<br />
lästig empfinden, wenn Studierende<br />
Fragen haben oder fachliche<br />
Probleme besprechen wollen.<br />
Vielmehr sollten der Austausch<br />
und die Auseinandersetzung<br />
mit dem akademischen<br />
Nachwuchs als Bereicherung<br />
empfunden werden. Wichtig ist,<br />
dass sich Professoren für jeden<br />
einzelnen Studierenden interessieren.<br />
Deshalb wünsche ich mir,<br />
dass sie sich in den Sprechstunden<br />
Zeit für das Gespräch nehmen,<br />
dem Gegenüber Orientierung<br />
geben, wenn sie oder er es<br />
braucht. Nur: Solche Gespräche<br />
dürfen nicht nach zwei Semestern<br />
oder erst kurz vor Ende der<br />
Regelstudienzeit stattfinden! Didaktische<br />
Fortbildung sollte verpflichtend<br />
für Dozenten werden,<br />
nur so kann einer „Arbeitsblindheit“<br />
vorgebeugt werden.<br />
Gute Lehre kann es darüber hinaus<br />
nur geben, wenn das Curriculum<br />
solide strukturiert ist<br />
und die Studien- und Arbeitsbedingungen<br />
stimmen.<br />
Zum Beispiel brauchen<br />
alle Lehrenden<br />
und Lernenden eine<br />
ruhige Arbeitsatmo-<br />
sphäre. Laute, zugige,<br />
zu kleine Seminarräume,<br />
überfüllte Vorlesungssäle<br />
gefährden<br />
den Lehr- und Lernerfolg.<br />
Außerdem verschlechtert<br />
sich zunehmend<br />
die Betreuungsrelationzwischen<br />
Professoren<br />
und Studierenden. Eine<br />
individuelle Förde-<br />
rung der Studierenden, das bedeutet<br />
auch, alle inhaltlich mitzunehmen,<br />
wird nahezu unmöglich<br />
bei Gruppengrößen von bis<br />
zu 200 jungen Menschen pro<br />
Vorlesung. Hochschullehrkräfte<br />
wie Studierende sollten Zeit ha-<br />
❞ Wichtig ist,<br />
dass sich Professoren<br />
für jeden<br />
einzelnen Studierendeninteressieren.❝<br />
GUTE LEHRE<br />
Anja Gadow studiert Pharma-<br />
Chemietechnik im 3. Mastersemester<br />
an der TFH-Berlin.<br />
ben, ihre Arbeit und ihr Tun<br />
selbstkritisch zu reflektieren.<br />
Sonst stellen sich Lehr- und<br />
Lernerfolg nicht ein. Der Zeitfaktor<br />
ist derzeit nicht nur für die<br />
Studierenden das größte Problem.<br />
Die Umstellung auf die<br />
Bachelor- und Master-Studiengänge<br />
und die damit einhergehende<br />
Verschulung des Studiums<br />
lässt allen Beteiligten<br />
kaum Luft für Diskussionen und<br />
Nachdenklichkeit. Die Folge:<br />
Studierende lernen<br />
nicht mehr des Lernens<br />
wegen, sondern<br />
hangeln sich von Prüfung<br />
zu Prüfung. An-<br />
ders lässt sich das Arbeitspensum<br />
kaum<br />
bewältigen. Gleichzeitig<br />
haben sich die gesellschaftlichenRahmenbedingungenverschlechtert:<br />
Wer sein<br />
Studium selber finanziert,<br />
zusätzlich noch<br />
mit Studiengebühren<br />
belastet ist, muss jobben<br />
und gerät mit einem<br />
Vollzeitstudium unter starken<br />
Druck. Das jedoch haben<br />
Hochschullehrkräfte oft nicht<br />
im Blick.<br />
Anja Gadow, Vertreterin des<br />
freien zusammenschlusses von<br />
studentInnenschaften<br />
Foto: privat<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 13
GUTE LEHRE<br />
Zu wenig Profs für Studis<br />
14 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Hochschulen sind chronisch unterfinanziert<br />
In Jura, auch in den Wirtschafts- und<br />
Sozialwissenschaften, kommen auf einen<br />
Professor 104 Studierende. In den<br />
Naturwissenschaften sind es 45. Da<br />
bleibt kaum Zeit für individuelle Betreuung.<br />
Kein Zweifel: Die deutschen<br />
Hochschulen sind unterfinanziert.<br />
Doch über das Ausmaß streiten Kultus-<br />
und Finanzminister ebenso wie<br />
Wissenschaftsrat (WR) und Hochschulrektorenkonferenz<br />
(HRK) seit<br />
Jahren.<br />
Der jüngste Bildungsbericht<br />
der Organisation für wirtschaftlicheZusammenarbeit<br />
und Entwicklung<br />
(OECD) hält fest (s. Seite<br />
22), dass in Deutschland<br />
zwischen 2000 und 2005 die Hochschulausgaben<br />
des Staates zwar um<br />
sechs Prozent gestiegen sind – zu wenig<br />
aber, um mit den wachsenden Studentenzahlen<br />
sowie den Preis- und Tariferhöhungen<br />
der vergangenen Jahre mithalten<br />
zu können. Folge: Pro Studierendem<br />
sind die Ausgaben im gleichen<br />
Zeitraum um zwei Prozent gesunken –<br />
eine Negativ-Entwicklung, die nur in<br />
ganz wenigen anderen OECD-Industrienationen<br />
zu beobachten ist.<br />
Dabei weisen Hochschulen wie Gewerkschaften<br />
und Studierendenorganisationen<br />
seit Jahrzehnten auf die chronische<br />
Unterfinanzierung hin – nicht erst seit<br />
der deutschen Einheit. Nach der Analyse<br />
des WR kamen Anfang der 1970er-<br />
Jahre hochgerechnet auf 660 000 Studierende<br />
knapp 21 000 Professoren. Heute,<br />
bei knapp zwei Millionen Studierenden,<br />
gibt es 37 500 Profs. Gerechnet<br />
über alle Fächer kommen heute an den<br />
Universitäten auf einen Professor 60,4<br />
Studierende. An den Fachhochschulen<br />
beträgt die Relation 1 zu 38,5. Dabei ist<br />
unstrittig, dass die neuen Bachelor- und<br />
Master- einen weitaus höheren Betreuungsaufwand<br />
als die alten Studiengänge<br />
erfordern. Doch dies wurde bisher weder<br />
beim Bund-Länder-Hochschulpakt<br />
noch bei den Stellenplänen in den Länder-Haushalten<br />
gebührend berücksichtigt.<br />
WR und HRK rechnen anders<br />
Allein für die dringend notwendige Verbesserung<br />
der Lehre und eine intensivere<br />
Beratung und Betreuung der Studierenden<br />
hält der WR in seinen jüngsten<br />
Empfehlungen (s. Seite 10) Mehrausgaben<br />
von 1,1 Milliarden Euro pro<br />
Jahr für erforderlich. Dabei hat der Verband<br />
noch äußerst vorsichtig nach dem<br />
Zwei-Kammer-Prinzip gerechnet. Denn<br />
was die wissenschaftliche Kommission<br />
erarbeitet, muss bei der Endabstimmung<br />
auch von der Verwaltungskommission<br />
gebilligt werden. Hier sitzen<br />
nicht nur lang gediente Wissenschaftsminister<br />
– sondern als ständiger Gast<br />
auch ein Vertreter der Finanzministerkonferenz.<br />
Stellvertretend für die 16<br />
Bundesländer ist beim Hamburger Finanzsenator<br />
seit Jahren eine eigene Arbeitsstelle<br />
angesiedelt, die sich speziell<br />
um Fragen der Bildungsfinanzierung<br />
kümmert.<br />
Die HRK beziffert den jährlichen Fehlbedarf<br />
bei der Finanzierung von Universitäten<br />
und Fachhochschulen mit 2,6<br />
Milliarden Euro pro Jahr. Darin sind<br />
nicht nur die vom WR geforderten Verbesserungen<br />
in der Lehre sowie mehr<br />
Stellen für die Betreuung enthalten,<br />
sondern auch überfällige Investitionen<br />
in Hörsäle, Labors, Seminarräume und<br />
Bibliotheken – einschließlich einer besseren<br />
Ausstattung. Auch geht die Berechnung<br />
der Rektoren von weiter steigenden<br />
Studierendenzahlen aus und<br />
fordert zugleich zusätzliche Entlastung<br />
aufgrund der doppelten Abiturjahrgänge<br />
nach der Schulzeitverkürzung.<br />
Politik will „untertunneln“<br />
Die Finanzminister verweisen dagegen<br />
seit Jahren auf die infolge der Geburtenentwicklung<br />
sinkenden Schülerzahlen –<br />
was aus ihrer Perspektive langfristig auch<br />
zu rückläufigen Studienanfängerzahlen<br />
führen wird. In der Zwischenzeit soll<br />
nach ihrer Auffassung improvisiert und<br />
der Studentenberg „untertunnelt“ werden.<br />
Dabei gibt ihnen die Tendenz der<br />
vergangenen Jahre, oberflächlich betrachtet,<br />
zunächst einmal Recht. Zwar<br />
verließen 2007 im Vergleich zu 2003<br />
rund 17 Prozent mehr Abiturienten die<br />
Schule. Doch an den Hochschulen<br />
schrieben sich fünf Prozent weniger<br />
Anfänger ein. Die Politik ignoriert dabei<br />
großzügig, dass dieser Trend nicht<br />
nur durch Abschreckungseffekte wie<br />
Studiengebühren und unzureichendes<br />
BAföG verursacht wurde, sondern auch<br />
durch die drastische Ausweitung örtlicher<br />
Zulassungsbeschränkungen. Im<br />
Zuge der erweiterten Hochschulautonomie<br />
haben es immer mehr Wissenschaftsministerien<br />
hinnehmen müssen<br />
– oder auch aktiv gebilligt – dass vor allem<br />
die Universitäten ihre Türen mit einem<br />
lokalen Numerus clausus (NC)<br />
dicht gemacht haben. Das heißt: Der<br />
vielfach beschworene „Studentenberg“<br />
kam erst gar nicht in die Hochschulen<br />
hinein. Nach der politisch gewollten<br />
Zerschlagung der Dortmunder Zentral-
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 15
GUTE LEHRE<br />
stelle für die Vergabe von Studienplätzen<br />
(ZVS) gibt es in Deutschland<br />
auch keine verlässlichen Daten mehr<br />
darüber, wie hoch der Anteil abgewiesener<br />
Bewerber tatsächlich ist.<br />
Tauziehen um mehr Geld<br />
Folgt man der Prognose der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK), hätten allein<br />
in den vergangenen Jahren zwischen<br />
60 000 und 180 000 mehr junge Menschen<br />
studieren müssen als sich tatsächlich<br />
an den Hochschulen neu eingeschrieben<br />
haben – je nachdem, ob man<br />
von einer Abiturienten-Übertrittsquote<br />
ins Studium von 75 oder 85 Prozent ausgeht.<br />
Völlig unklar ist, wie dies die<br />
Hochschulen angesichts der jahrelangen<br />
Sparpolitik hätten verkraften sollen.<br />
Aber auch die Kultus- und Wissenschaftsminister<br />
der Länder haben in den<br />
vergangenen Jahren leidvolle Erfahrungen<br />
im Tauziehen um mehr Geld für<br />
ihre Ressorts machen müssen. 2003 hatten<br />
sie in einer Analyse der Bund-<br />
Länder-Kommisson für Bildungsplanung<br />
und Forschungsförderung (BLK)<br />
auf den wachsenden Bedarf an akademisch<br />
ausgebildeten Fachkräften hingewiesen<br />
und verlangt, die in Zukunft<br />
durch den Geburten- sowie Schülerrückgang<br />
eingesparten Mittel langfristig<br />
für Qualitätsverbesserungen in der Bildung<br />
zu nutzen. Doch die Finanzminister<br />
mauerten eisern und bestanden darauf,<br />
dass das eingesparte Geld für die<br />
Haushaltssanierung eingeplant werden<br />
sollte. Auch in der Ministerpräsidentenkonferenz<br />
wurde die Vorlage der Bildungsminister<br />
damals abgetan und<br />
nicht einmal diskutiert. Fünf Jahre später<br />
kommt es jetzt zur Wiedervorlage –<br />
beim Bildungsgipfel von Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel (CDU) und den Länder-Regierungschefs<br />
am 22. <strong>Oktober</strong> in<br />
Dresden.<br />
Klara Fall, Bildungsjournalistin<br />
Länderausgaben je<br />
Studierendem<br />
11 900 Euro pro Jahr geben die 16 Länder im Schnitt je<br />
Studierendem innerhalb der Regelstudienzeit aus. Nach<br />
Fächerangebot und Hochschulstruktur gibt es erhebliche<br />
Unterschiede: Am teuersten sind die Studienplätze im<br />
Saarland mit 15700 Euro, am günstigsten in Rheinland-<br />
Pfalz mit 9200 Euro.<br />
In Nordrhein-Westfalen kostet ein Studienplatz 11500, in<br />
Bayern 11 900 und in Baden-Württemberg 13700 Euro.<br />
Klara Fall<br />
16 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Enger Spielraum fü<br />
Rückblick auf zehn Jahre Akkreditierung an deutschen Hochschulen<br />
Der Spielraum für eine qualitative Studienreform erwies sich enger als erhofft. Haupthindernis:<br />
die Strukturvorgaben der Kultusminister-Konferenz.<br />
Vor rund zehn Jahren wurden die<br />
Weichen gestellt, um die Akkreditierung<br />
in Deutschland als zentrales<br />
Instrument der Qualitätssicherung<br />
im Hochschulbereich zu etablieren.<br />
Das neue System sollte nicht nur die<br />
verkrusteten Strukturen der bisherigen<br />
ministeriellen Genehmigung von<br />
Studiengängen aufbrechen, sondern<br />
auch einen Beitrag zur Sicherung der<br />
Studienreform leisten. Hat sich diese<br />
Hoffnung erfüllt?<br />
Weite Teile der Gewerkschaften<br />
und<br />
der Studierendenvertretungenverknüpften<br />
mit der<br />
Beteiligung an Akkreditierungsverfahren<br />
große Hoffnungen:<br />
Indem man gewerkschaftlich orientierte<br />
und studentische Gutachter einbezog,<br />
schien es möglich, Reformimpulse<br />
in die Hochschulen hineinzugeben<br />
und damit die weitgehend erfolglosen<br />
hochschulinternen Auseinandersetzungen<br />
der Vergangenheit zumindest<br />
teilweise zu beenden.<br />
Die Erfahrungen mit dem Akkreditierungssystem<br />
sind allerdings überaus<br />
ambivalent. So ist bereits auf der konzeptionellen<br />
Ebene fraglich, ob das Instrument<br />
der Akkreditierung überhaupt<br />
geeignet ist, eine qualitative Studienreform<br />
in Gang zu setzen. Handelt<br />
es sich doch im Kern darum, die Einhaltung<br />
von Qualitätsstandards zu<br />
überprüfen, konkret um die Strukturvorgaben<br />
der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK).<br />
Zentral: lebenslanges Lernen<br />
Weiterhin setzt das Akkreditierungssystem<br />
auf das Modell der „Peer Review“<br />
(Begutachtung von wissenschaftlichen<br />
Arbeiten, Anträgen usw. durch unabhängige<br />
Experten – Anm. d. Red.) als<br />
etablierter Form der wissenschaftsimmanenten<br />
Qualitätsbewertung. Mit<br />
den KMK-Strukturvorgaben und der<br />
zumindest latenten Tendenz zur Orientierung<br />
am fachlichen Mainstream, die<br />
damit untrennbar verbunden ist, erwies<br />
sich der Spielraum für eine qualitative<br />
Studienreform vielfach als erheblich enger<br />
als erhofft. Häufig bot die Akkreditierung<br />
keinen Raum für innovative<br />
Ansätze. Diese wurden sogar auf dem<br />
Wege von erteilten Auflagen durch die<br />
Politik in das Regelungsgefüge zurück<br />
gezwungen. Somit wird deutlich, dass<br />
das Akkreditierungssystem nicht in ers-<br />
Foto: David Ausserhofer
GUTE LEHRE<br />
r Studienreform<br />
ter Linie der Studienreform dient,<br />
sondern dazu, KMK-Strukturvorgaben<br />
durchzusetzen.<br />
In einigen Fällen konnten Akkreditierungsverfahren<br />
dennoch die<br />
erhofften Reformimpulse initiieren.<br />
Vor allem dann, wenn die beteiligten<br />
Gutachter quasi aus der<br />
Rolle gefallen sind und sich weniger<br />
als „Schiedsrichter“, sondern<br />
mehr als „Mentoren“ verstanden<br />
haben, die im Dialog mit den lokalen<br />
Fachverantwortlichen nach<br />
den besten Lösungen für Studienkonzepte<br />
suchen. Diese Fälle sind<br />
aber eher der Zufälligkeit einer<br />
konkreten Personenkonstellation<br />
geschuldet und im Akkreditierungssystem<br />
gar nicht vorgesehen.<br />
Ein weiteres zentrales Motiv der<br />
aktuellen Studienreformdiskussion<br />
ist das lebenslange Lernen,<br />
vielfach Angebote wissenschaftlicher<br />
Weiterbildung. Weiterbildende<br />
Studiengänge sind deshalb<br />
auch Bestandteil der KMK-Strukturvorgaben<br />
und damit Gegenstand<br />
des Akkreditierungssystems.<br />
Dieses tut sich aber aus mehreren<br />
Gründen schwer mit dem besonderen<br />
Profil der neuen Studiengänge.<br />
Einerseits liegt das daran, dass die<br />
KMK ausschließlich weiterbildende<br />
Masterstudiengänge im Blick<br />
hat und übersieht, dass für viele<br />
Berufstätige bereits das Erststudium<br />
(und somit der Bachelor) ein<br />
weiterbildendes Studium bedeutet.<br />
Darauf haben sich einige<br />
Hochschulen bereits eingestellt<br />
und bieten in Einzelfällen berufsbegleitende<br />
(Teilzeit-) Studiengänge<br />
mit Bachelorabschluss an. Ein<br />
zentrales Problem ist allerdings,<br />
dass diese Angebote die vielfältigen<br />
Vorgaben zum Qualifikationsniveau,<br />
Studienvolumen und Prüfungssystem<br />
kaum erfüllen können.<br />
Denn diese sind weitgehend<br />
am traditionellen und vollständig<br />
anachronistischen Konzept des<br />
Vollzeit- und Erststudiums ausgerichtet,<br />
das die heutige Studienrealität<br />
mit Job und Familie nicht angemessen<br />
abbildet. Gleiches gilt<br />
übrigens auch für die meisten Masterstudiengänge.<br />
Für weiterbilden-<br />
de Studiengänge ist in der Konsequenz<br />
das an den Erfordernissen<br />
des Erststudiums ausgerichtete Akkreditierungssiegel<br />
nur schwer zu<br />
erreichen. Die KMK sollte deshalb<br />
dem besonderen Profilanspruch<br />
weiterbildender Studiengänge gerecht<br />
werden und ihre Strukturvorgaben<br />
entsprechend modifizieren.<br />
Erwartungen enttäuscht<br />
Insgesamt hat das Akkreditierungssystem<br />
in den bald zehn Jahren<br />
seines Bestehens viele Erwartungen<br />
enttäuscht. Es hat sich herausgestellt,<br />
dass die Beteiligung<br />
an übergeordneten hochschulpolitischen<br />
Gremien – vom Hochschulrat<br />
bis zur Gutachtergruppe<br />
in Akkreditierungsverfahren – die<br />
lokalen Diskussionen und Auseinandersetzungen<br />
um Ansätze qualitativer<br />
Studienreform allenfalls ergänzen,<br />
aber nicht ersetzen kann.<br />
Gewerkschafts- und Studierendenvertreter<br />
sollten deshalb neue Weg<br />
gehen und sich im Ringen um die<br />
besten Ansätze in den Hochschulen<br />
Gehör verschaffen. Die Akkreditierung<br />
von Studiengängen soll<br />
durch die Begutachtung der gesamten<br />
Institution Hochschule im<br />
Rahmen einer Systemakkreditierung<br />
ergänzt werden. Damit wird<br />
der gewerkschaftliche und studentische<br />
Einfluss noch viel wichtiger<br />
werden. Denn wenn sich der Betrachtungsfokus<br />
verschiebt, verringert<br />
das auch den Handlungsspielraum<br />
der einzelnen Gutachter,<br />
konkrete Studienbedingungen<br />
zu verbessern. Umso wichtiger<br />
werden die Reforminitiativen vor<br />
Ort, die aber mit der schrittweisen<br />
Schwächung der demokratischen<br />
Gremien kaum noch ein geeignetes<br />
Artikulationsforum finden. Ein<br />
Ausweg aus diesem Dilemma ist<br />
derzeit nicht absehbar – und wohl<br />
kaum auf dem Feld der Qualitätssicherung<br />
zu finden.<br />
Ulf Banscherus, Mitglied des<br />
Graduiertenkollegs „Lebenslanges<br />
Lernen“ der Hans-Böckler-Stiftung<br />
an der TU Dresden, von 2005 bis<br />
2007 studentischer Vertreter<br />
im Akkreditierungsrat<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 17
„Gute Lehre muss<br />
sich lohnen“, sagt<br />
<strong>GEW</strong>-Hochschulexperte<br />
Andreas<br />
Keller.<br />
Das Positionspapier<br />
„Qualitätsoffensive für<br />
gute Hochschullehre“<br />
der <strong>GEW</strong> ist im Internet<br />
abzurufen unter:<br />
www.gew.de/<strong>GEW</strong>_<br />
Gute_Lehre_ist_ein_<br />
Job_fuer_Profis.html<br />
Ein Job für Profis<br />
Im vierten Anlauf hat der Wissenschaftsrat<br />
(WR) im Juli „Empfehlungen<br />
zur Qualität von Lehre und Studium“<br />
vorgelegt. Ihm ist die <strong>GEW</strong><br />
mit einem Positionspapier für eine<br />
„Qualitätsoffensive für gute Hochschullehre“<br />
zuvorgekommen, das die<br />
Bildungsgewerkschaft unter dem Motto<br />
„Die Lehre in den Mittelpunkt“ in<br />
Fulda verabschiedet hat.<br />
Eins vorweg: Die Debatte um<br />
die Qualität der Hochschullehre<br />
eignet sich nicht für ein<br />
Ablenkungsmanöver. Ein wesentlicher<br />
Grund für zu hohe<br />
Studienabbrecherquoten und<br />
zu lange Studienzeiten ist die anhaltende<br />
Unterfinanzierung der Hochschulen.<br />
Für den Ausbau der Studienplätze<br />
benötigen Universitäten und Fachhochschulen<br />
nach Angaben der Hochschulrektorenkonferenz<br />
(HRK) jährlich zusätzlich<br />
2,6 Milliarden Euro, für die Verbesserung<br />
der Lehre laut WR weitere 1,1<br />
Milliarden Euro.<br />
Mehr als überfällige Debatte<br />
Gleichwohl ist die Debatte um die Qualität<br />
der Lehre mehr als überfällig. Nicht<br />
wer im Hörsaal brilliert, sondern wer<br />
möglichst viele Publikationen mit hohem<br />
„Impact-Faktor“ (dieser gibt an,<br />
18 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Plädoyer für eine „Qualitätsoffensive für gute Hochschullehre“<br />
wie häufig eine wissenschaftliche Zeitschrift<br />
in der Fachliteratur zitiert wird –<br />
Anm. d. Red.) vorlegt, macht an unseren<br />
Hochschulen heute Karriere. Die<br />
neu gekürten „Exzellenzuniversitäten“<br />
verdanken ihren Titel ausschließlich der<br />
Forschung – ob sie auch gute Lehre für<br />
ihre Studierenden leisten, spielte bei ihrer<br />
Kür keine Rolle. Mit dieser einseitigen<br />
Ausrichtung der Wissenschaftspolitik<br />
an der Forschung muss Schluss sein.<br />
Gute Lehre muss sich lohnen – wir brauchen<br />
eine strukturelle Verankerung von<br />
Anreizen im Hochschulfinanzierungssystem.<br />
Orientierung an Studierenden<br />
Die Lehre gehört in den Mittelpunkt der<br />
Hochschulen, die Studierenden ins<br />
Zentrum der Hochschullehre! Struktur<br />
von Studiengängen und Hochschuldidaktik<br />
dürfen sich nicht länger am Stoff<br />
orientieren, den die Lehrenden in den<br />
Lernprozess einspeisen, sondern an den<br />
Lernergebnissen der Studierenden. Wir<br />
brauchen eine „studierendenzentrierte<br />
Lehre“, in deren Mittelpunkt der Kompetenzerwerb<br />
steht, den die Studierenden<br />
für ihre künftige berufliche und gesellschaftliche<br />
Praxis benötigen – auch<br />
um später den Berufsalltag kritisch reflektieren<br />
zu können.<br />
Doch das lässt sich nicht mit Methoden<br />
des 19. Jahrhunderts verwirklichen. Das<br />
einseitige Sender-Empfänger-Format,<br />
wie wir es aus vielen traditionellen Vorlesungen<br />
kennen, ist seit Erfindung der<br />
Buchdruckerkunst überholt. Wenn das<br />
Studium ein Prozess ist, in dem sich Studierende<br />
Wissen und Kompetenzen aktiv<br />
aneignen, müssen diesem auch innovative<br />
Lehr- und Lernformen Rechnung<br />
tragen – etwa:<br />
● problemorientiertes Lernen als Voraussetzung<br />
dafür, Studium und Lehre<br />
an den in der Praxis benötigten Kompetenzen<br />
auszurichten;<br />
● Projektstudium, um über die scharfe<br />
Abgrenzung von Lehrveranstaltungen<br />
und Semestern hinaus die eigenständige<br />
Problemlösung im Team zu vermitteln;<br />
● forschendes Lernen, um die Studierenden<br />
frühzeitig an die eigenständige<br />
Gestaltung des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses<br />
heranzuführen.<br />
Was im Einzelnen gute Lehre ist, kann<br />
nicht einseitig bestimmt werden – weder<br />
von der Kultusbürokratie noch von<br />
Fachvertretern an den Universitäten.<br />
Sie ist vielmehr das Ergebnis eines Prozesses,<br />
in den unterschiedliche Perspektiven<br />
einfließen müssen: die der<br />
Lernenden ebenso wie die der Lehrenden,<br />
die der beruflichen Praxis wie die<br />
der Wissenschaft, als Berufspraxisvertreter<br />
die der Gewerkschaften wie die<br />
der Arbeitgeber. Die <strong>GEW</strong> versteht<br />
Studienreform und Qualitätssicherung<br />
des Studiums als Aushandlungspro-
zess, in dem unterschiedliche<br />
Sichtweisen und Interessen ausgeglichen<br />
werden.<br />
Lehrkompetenz erwerben<br />
Gute Lehre ist ein Job für Profis.<br />
Doch niemand kommt als guter<br />
Hochschullehrer auf die Welt –<br />
und eine glänzende Forscherin ist<br />
nicht automatisch eine geeignete<br />
Lehrerin. Kompetenz in der Lehre<br />
kann und muss daher erworben<br />
werden – wenn die Hochschulen<br />
nicht nur in der Forschung exzellent<br />
sein wollen. Vermittlung und<br />
Entwicklung von Lehrbefähigung<br />
sollten deshalb wie die Forschung<br />
von Anfang an Gegenstand wissenschaftlicher<br />
Aus- und Weiterbildung<br />
sein. Die Bildungsgewerkschaft<br />
fordert eine „Qualitätsoffensive<br />
für gute Hochschullehre“:<br />
● Wir brauchen einen „Hochschulpakt<br />
II“, der nicht nur den geburtenstarken<br />
Jahrgängen der<br />
1990er-Jahre eine faire Ausbildungschance<br />
gibt, sondern so viele<br />
Studienplätze schafft, dass der Anteil<br />
eines Altersjahrgangs, der ein<br />
Studium aufnimmt, von derzeit<br />
35 auf mindestens 40 Prozent ansteigt.<br />
Mittelfristig sollte auch<br />
Deutschland eine Studienanfängerquote<br />
von 55 Prozent (OECD-<br />
Durchschnitt) erreichen. Mit einer<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
GUTE LEHRE<br />
zusätzlichen Qualitätskomponente<br />
hat der „Hochschulpakt II“ für<br />
die vom WR empfohlene Verbesserung<br />
des Betreuungsverhältnisses<br />
zu sorgen.<br />
● Dem von der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) prognostizierten<br />
„Studentenberg“ darf nicht<br />
mit unterbezahlten Lehrknechten<br />
und -mägden begegnet werden –<br />
Exzellenz in der Lehre und Prekarisierung<br />
von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungenvertragen<br />
sich nicht. Überall dort, wo<br />
heute scheinselbstständige Lehrbeauftragte<br />
faktisch kontinuierlich<br />
Lehraufgaben wahrnehmen,<br />
müssen reguläre Beschäftigungsverhältnisse<br />
geschaffen werden.<br />
● Für <strong>GEW</strong>-Mitglieder ist der<br />
Grundsatz des lebensbegleitenden<br />
Lernens Teil ihres beruflichen<br />
Selbstverständnisses – dies gilt für<br />
Lehrende an Hochschulen und<br />
Schulen ebenso wie für Erzieherinnen<br />
und Weiterbildner. Selbstbildung,<br />
kollegiale und professionelle<br />
Weiterbildung sind zentral für<br />
die Entwicklung der Hochschullehre.<br />
Wir erwarten aber im Gegenzug<br />
von den Hochschulen,<br />
dass sie für ein ausreichendes Fortund<br />
Weiterbildungsangebot sorgen,<br />
in dem Lehrkompetenzen<br />
entwickelt und vermittelt werden.<br />
Die Hochschulen müssen ihre<br />
Rolle als Arbeitgeber ernst nehmen<br />
und die Lehre als eine ihrer<br />
Hauptaufgaben zum Dreh- und<br />
Angelpunkt ihrer Personalentwicklung<br />
machen. Die <strong>GEW</strong>-Kolleginnen<br />
und -Kollegen in den Personalräten<br />
sind bereit, dabei konstruktiv<br />
mitzuwirken.<br />
● Die Bildungsgewerkschaft<br />
schlägt vor, analog zur Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft (DFG),<br />
eine Deutsche Lehrgemeinschaft<br />
(DLG) einzurichten, die innovative<br />
Lehr- und Lernformen durch<br />
die Vergabe von Drittmitteln für<br />
die Lehre fördert. Die DLG sollte<br />
gemeinsam von Hochschulen,<br />
Lehrenden und Studierenden verwaltet<br />
und von Bund und Ländern<br />
finanziert werden. Bei der Vergabe<br />
der Drittmittel für die Lehre sollten<br />
die Studierenden als originäre<br />
Expertinnen und Experten für<br />
gute Lehre ein paritätisches Mitbestimmungsrecht<br />
erhalten.<br />
Andreas Keller, Leiter des<br />
<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs<br />
Hochschule und Forschung<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 19
BILDUNGSPOLITIK<br />
Die OECD kritisiert,<br />
dass<br />
Deutschland zu<br />
wenig in die<br />
Ausbildung der<br />
Zuwanderer und<br />
ihres Nachwuchses<br />
investiert.<br />
Es kommt keiner mehr<br />
20 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
OECD-Bericht „Migrationsausblick“ <strong>2008</strong><br />
Die Zahl der Zuwanderer geht in<br />
Deutschland zurück. Das stellt die Organisation<br />
für wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
und Entwicklung (OECD)<br />
in ihrem aktuellen Migrationsausblick<br />
fest. Die Bildungsgewerkschaft erwartet<br />
deshalb von der Politik „erheblich<br />
mehr Anstrengungen“, Einwanderung<br />
zu erleichtern und Integration zu<br />
verbessern.<br />
Erinnert sich noch jemand?<br />
Vier Jahre ist es her, dass der<br />
damalige Bundesinnenminister<br />
Otto Schily (SPD) stolz<br />
als Erfolg verkündete: Mit<br />
Beginn des Jahres 2005 träte<br />
in Deutschland das „modernste Zuwanderungsrecht<br />
Europas“ in Kraft.<br />
Mit Blick auf den aktuellen von der<br />
OECD vorgelegten „Internationalen<br />
Migrationsausblick“ („Migration Out-<br />
look“) darf man wohl attestieren: Modern<br />
ist demnach, wenn keiner kommt.<br />
Im Vergleich zum Durchschnitt der Industriestaaten<br />
fällt Deutschland bei der<br />
Zuwanderung immer weiter zurück.<br />
2006 ließen sich noch 216 000 Menschen<br />
aus anderen Ländern in der Bundesrepublik<br />
nieder, 30 000 oder elf Prozent<br />
weniger als im Jahr zuvor. Auf dem<br />
gesamten Gebiet der 30 weltweit führenden<br />
Industriestaaten stieg die Zahl<br />
der Einwanderer in der gleichen Zeit<br />
um fünf Prozent.<br />
Weniger Zuzüge als Deutschland – im<br />
Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl – verzeichneten<br />
lediglich Japan, Portugal,<br />
Finnland und Frankreich. Zuwanderung<br />
nach Deutschland sei „von einem<br />
vergleichsweise niedrigen Niveau noch<br />
weiter gefallen“, kommentierte die<br />
OECD.<br />
Dass sich der Trend als kurzsichtig entpuppen<br />
dürfte, demonstriert eine weitere<br />
Rechnung: Wenn es so weitergeht,<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
leben in Deutschland bereits in zwölf<br />
Jahren 2,5 Prozent weniger erwerbsfähige<br />
Bewohner als heute. In 20 von 27<br />
OECD-Staaten wird die Erwerbsbevölkerung<br />
in der gleichen Zeit voraussichtlich<br />
weiter wachsen.<br />
Mehr Saisonarbeiter<br />
Gezählt werden für den jährlichen Bericht<br />
allerdings nur Menschen, die sich<br />
dauerhaft niederlassen. Separat betrachtet<br />
werden jene, die nur für kurze Zeit<br />
kommen: Und da ist Deutschland, wie<br />
in den besten Zeiten der Anwerbung<br />
weitgehend rechtloser „Gastarbeiter“<br />
vor 50 Jahren, Spitze: Mit 380.000 Saison-<br />
und Zeitarbeitern kamen 2006 fast<br />
doppelt so viele wie im OECD-Schnitt.<br />
Das Prinzip, ständig Menschen vor der<br />
Spargelernte oder bei anderen Personalengpässen<br />
ein- und kurze Zeit später<br />
wieder ausreisen zu lassen, bezeichnete<br />
OECD-Generalsekretär Angel Gurría<br />
„als weder effizient noch praktikabel“.<br />
Effizient wäre nach Ansicht der OECD,<br />
Zuwanderer so auszubilden, dass Arbeitgeber<br />
dauerhaft auf erfahrenes Personal<br />
zugreifen können. Das allerdings<br />
koste Geld. Dass in Deutschland weniger<br />
Mittel als in anderen Staaten in Bildung<br />
im Allgemeinen und in die Förderung<br />
von Kindern und Jugendlichen aus<br />
Migrantenfamilien im Speziellen investiert<br />
wird, belegen die einschlägigen<br />
Bildungsstudien der OECD (s. PISA-<br />
Studien 2000, 2003, 2006) ebenfalls.<br />
„Unterkühlte Migrationspolitik“<br />
Die <strong>GEW</strong> forderte anlässlich des Berichts<br />
eine „fremdenfreundliche Einwanderungspolitik“.<br />
Die „unterkühlte<br />
und mit Ängsten besetzte Migrationspolitik“<br />
habe Deutschland im Wettbewerb<br />
um qualifizierte Arbeitskräfte<br />
deutlich ins Hintertreffen gebracht, erklärte<br />
die Leiterin des <strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs<br />
Schule, Marianne Demmer.<br />
Zu den geforderten Signalen für eine<br />
offene Gesellschaft gehören demnach:<br />
die (Wieder-)Einführung der doppelten<br />
Staatsangehörigkeit ebenso wie die unbürokratische<br />
Anerkennung im Ausland<br />
erworbener Schulabschlüsse und<br />
Diplome. Außerdem sei es an der Zeit,<br />
Menschen ohne Papiere zu legalisieren<br />
und auch Flüchtlingen die Einbürgerung<br />
anzubieten.<br />
Jeannette Goddar, freie Journalistin
BILDUNGSPOLITIK<br />
Mehr Metzger statt mehr Ingenieure?<br />
Die Hiobsbotschaft des OECD-Berichts<br />
„Bildung auf einen Blick“<br />
<strong>2008</strong> kam passend zum Bildungsgipfel<br />
der Kanzlerin am 22. <strong>Oktober</strong> in<br />
Dresden. Der von Angela Merkel<br />
(CDU) ausgerufenen „Bildungsrepublik<br />
Deutschland“ gehen die Akademiker<br />
aus. Das Land der Dichter und<br />
Denker kann mit seinem Bildungssystem<br />
den Nachwuchsbedarf an hochqualifizierten<br />
Fachkräften nicht selbst<br />
decken.<br />
Dabei gleichen sich seit vielen<br />
Jahren die turnusgemäß<br />
vorgelegten Bildungsberichte<br />
der Organisation<br />
für wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Entwicklung<br />
(OECD) – ohne dass die deutsche<br />
Bildungspolitik bisher ernsthaft zu<br />
grundlegenden Konsequenzen bereit<br />
war: zu wenig Abiturienten und Studierende,<br />
zu wenig erfolgreiche Hochschulabsolventen<br />
– dafür aber zu viele<br />
22 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“: Deutschland bildet zu wenig Akademiker aus<br />
Abbrecher in Schulen, Hochschulen<br />
und auch in der beruflichen Bildung. Es<br />
fehlt an Chancengleichheit für Migrantenkinder<br />
wie für Schüler aus armen<br />
und bildungsfernen Elternhäusern.<br />
Auch in diesem Jahr fällt der internationale<br />
OECD-Leistungsvergleich der Bildungssysteme<br />
der 30 wichtigsten Industriestaaten<br />
für Deutschland nicht<br />
schmeichelhaft aus. Und selbst bei der<br />
bisherigen deutschen Paradedisziplin,<br />
der hohen Promotionsquote, ist der Anteil<br />
gegenüber dem Vorjahr – entgegen<br />
dem OECD-Trend – leicht gesunken.<br />
Während 2005 in Deutschland 5,1 Prozent<br />
des Brutto-Inlands-Produktes (BIP)<br />
für die Finanzierung von Bildung ausgegeben<br />
wurde, waren dies im Schnitt der<br />
anderen OECD-Industrienationen 6,1<br />
Prozent. Zugleich sind in den vergangenen<br />
Jahren in Deutschland, anders als in<br />
den meisten OECD-Staaten, die Bildungsausgaben<br />
langsamer gewachsen<br />
als die öffentlichen Ausgaben insgesamt.<br />
Stieg zwischen 2000 und 2005<br />
der Anteil der Bildungsausgaben im<br />
OECD-Schnitt von 12,8 Prozent auf<br />
Cartoon: Thomas Plaßmann<br />
13,2 Prozent der Gesamtausgaben des<br />
Staates, ist er in der Bundesrepublik von<br />
9,9 auf 9,7 Prozent gesunken. Das heißt:<br />
Die deutsche Haushaltspolitik setzt bisher<br />
keine Priorität zu Gunsten der Bildung.<br />
Dabei wächst weltweit „der Hunger<br />
nach Wissen“: In allen Industrienationen<br />
gibt es einen Trend zur Höherqualifizierung<br />
und zu mehr akademischen<br />
Abschlüssen. Der Anteil junger Menschen,<br />
die ein Studium an einer Universität<br />
oder Fachhochschule aufnehmen,<br />
ist zwischen 2003 und 2006 von 53<br />
Prozent auf 56 Prozent gestiegen. In<br />
Deutschland ging er dagegen im gleichen<br />
Zeitraum von 37 auf 35 Prozent<br />
zurück. Die Hoffnung der deutschen<br />
Bildungspolitiker, durch die neuen Bachelor-<br />
und Masterstudiengänge mehr<br />
junge Menschen für ein Studium zu gewinnen,<br />
hat sich als Trugschluss erwiesen.<br />
Studiengebühren und die geringen<br />
Chancen, während des fachlich oft<br />
überfrachteten Bachelor-Studiums ein<br />
wenig nebenher jobben zu können, hinterlassen<br />
ihre Spuren. Hinzu kommen<br />
ein immer schärfer gewordener örtlicher<br />
Numerus Clausus und das bekannte Zulassungschaos<br />
in den Mangelstudienfächern<br />
nach der politisch gewollten<br />
Zerschlagung der Dortmunder Zentralstelle<br />
für die Studienplatzvergabe<br />
(ZVS).<br />
Konservative wehren ab<br />
Doch das konservative Lager reagiert<br />
auf die erneute OECD-Mahnung wie<br />
immer abwehrend – als gäbe es weder<br />
einen Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern,<br />
noch an Lehrkräften,<br />
Ärzten oder anderen akademisch<br />
ausgebildeten Fachkräften. Für Bayerns<br />
Wissenschaftsminister Thomas Goppel<br />
(CSU) wie auch für den Philologenverband<br />
ist die deutsche Bildungswelt<br />
nach wie vor in Ordnung – wenn doch<br />
nur die OECD endlich in ihren Statistiken<br />
die Ausbildungsleistung des dualen<br />
Systems der betrieblichen Berufsausbildung<br />
gebührender herausstellen würde.<br />
Ihre Vorstellung: Das Gymnasium wie<br />
auch die Universitäten in Deutschland<br />
sollen weiterhin nur einer kleinen Elite<br />
vorbehalten sein – einschließlich der<br />
eigenen Kinder versteht sich. Doch<br />
will der Philologenverband tatsächlich<br />
den fehlenden Pädagogen-Nachwuchs<br />
künftig durch eine „Überproduktion“
von Bäckern, Metzgern und Malern in<br />
der beruflichen Ausbildung kompensieren?<br />
Kein Heilmittel<br />
Zumindest ist bei den Organisatoren<br />
des Bildungsgipfels im Kanzleramt inzwischen<br />
die Botschaft angekommen,<br />
dass die ständigen Hinweise der konservativen<br />
Seite auf das hohe Niveau der<br />
betrieblichen Berufsausbildung allein<br />
kein Heilmittel gegen den zunehmenden<br />
Akademikermangel sind. Die sinkende<br />
Studienneigung unter den jungen<br />
Menschen mit Hochschulreife soll<br />
beim Bildungsgipfel thematisiert werden.<br />
Vorsichtig räumen derzeit auch hohe<br />
Regierungsvertreter ein, dass vor<br />
allem einige unionsgeführte Flächenländer<br />
im Westen Nachholbedarf beim<br />
Studienplatzausbau haben.<br />
Die Bildungsexperten der OECD-Wirtschaftsorganisation<br />
verweisen zudem<br />
darauf, dass das duale System seinen<br />
früheren Vorteil eingebüßt hat, für einen<br />
reibungslosen Übergang der jungen<br />
Menschen ins Berufsleben zu sorgen.<br />
Heute gibt es unter den 25- bis 29-jährigen<br />
Deutschen mehr junge Menschen<br />
ohne Beschäftigung oder Ausbildung<br />
als im Schnitt in den anderen EU-Staaten.<br />
Kaum Aussicht auf Besserung<br />
Auch bei der früher immer wieder von<br />
deutscher Seite stolz angeführten Bilanz<br />
der Sek II-Abschlüsse (Hochschulzulassung<br />
oder abgeschlossene berufliche<br />
Ausbildung) fällt die Bundesrepublik<br />
seit Neuerem im EU-Vergleich stark<br />
zurück. Der Sek II-Abschluss gilt inzwischen<br />
bei den EU-Strategen in Brüssel<br />
als Mindest-Basisqualifikation für späteren<br />
beruflichen Erfolg.<br />
Wer die kritische Bilanz des neuen<br />
OECD-Bildungsberichtes mit den Vorbereitungspapieren<br />
des Bildungsgipfels<br />
in Dresden vergleicht, findet wenig Aussicht<br />
auf Besserung. Es ist richtig, die<br />
Hochschulen für Berufstätige auch ohne<br />
Abitur zu öffnen, um ihnen Weiterbildung<br />
oder nachträglich ein Vollstudium<br />
zu ermöglichen. Wenn sich die Quote<br />
der Hochschulabsolventen wirklich erhöhen<br />
soll, muss man jedoch früher ansetzen<br />
und etwa die in vielen Bundesländern<br />
künstlich hoch gehaltenen Hürden<br />
beim Übergang von der Sekundarstufe I<br />
in die gymnasiale Oberstufe abbauen.<br />
Auch passt es nicht zusammen, wenn<br />
Kultusminister auf der einen Seite die<br />
zurückgehende Studierneigung der Abiturienten<br />
beklagen, gleichzeitig aber an<br />
Gebühren festhalten.<br />
Karlheinz Rosenzweig, Bildungsjournalist<br />
Bildungsrepublik Deutschland?<br />
Kommentar zum OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“<br />
Deutschland eine „Bildungsrepublik“?<br />
Mitnichten. Mangelt es doch<br />
hierzulande ganz offensichtlich<br />
an akademischem<br />
Nachwuchs.<br />
Das hat der aktuelle<br />
OECD-Bericht „Bildung<br />
auf einen Blick“<br />
erneut bestätigt: zu wenig<br />
Abiturienten, zu<br />
wenig Studierende –<br />
und zu wenige absolvieren<br />
ihr Studium mit<br />
Erfolg (s. Seite 22).<br />
Dennoch hält die Kultusministerkonferenz<br />
Ulrich Thöne<br />
(KMK) weiterhin an<br />
den Grundfesten eines inhumanen<br />
Auslesesystems, das vielen jungen<br />
Menschen den Weg an die Hochschule<br />
versperrt, fest. Die Politik ignoriert<br />
weiterhin, dass viele Kinder und Jugendliche<br />
ausgesondert werden. Nahezu<br />
90 Prozent der Studierenden<br />
stammen aus bildungsbürgerlichen<br />
Schichten. Kinder aus Migrantenfamilien<br />
und bildungsfer-<br />
❞ Will Deutschland<br />
Bildungsrepublik<br />
werden, muss sich<br />
noch vieles ändern –<br />
vor allem in den<br />
Köpfen der<br />
Kultus- und Finanzminister.❝<br />
nen Milieus haben nach<br />
wie vor kaum eine<br />
Chance. Ihnen wird<br />
nach wie vor viel zu wenig<br />
Förderung zuteil.<br />
Von Chancengleichheit<br />
ist das deutsche Bildungssystem<br />
daher weit<br />
entfernt. Bildung bleibt<br />
in Deutschland ein exklusives<br />
Gut, private<br />
Schulen und Hochschulen boomen<br />
und die Idee der Elite lebt weiter.<br />
Wer die Zahl der Studierfähigen erhöhen<br />
und zugleich die der Schulabbrecher<br />
glaubhaft senken will, muss<br />
an Strukturen rütteln, muss weg von<br />
einem hoch selektiven hin zu einem<br />
inklusiven Bildungssystem, in dem alle<br />
Kinder individuell gefördert werden<br />
können. Das wäre ein Qualitätssiegel<br />
für gute Bildung.<br />
Offenkundig ist nach OECD-Angaben<br />
ebenfalls, dass Deutschland viel<br />
zu wenig Geld in die Bildung investiert<br />
im Vergleich zu anderen OECD-<br />
Ländern (nur 5,1 Prozent des Brutto-<br />
Inlands-Produkts [BIP], s. Seite 22).<br />
„Deutschland spart sich dumm“, titelte<br />
die taz daher zu Recht. Bund, Länder<br />
und Gemeinden geben jährlich in<br />
Relation zum Schnitt vergleichbarer<br />
OECD-Staaten etwa 30 bis 35 Milliarden<br />
Euro weniger<br />
für die Bildung aus.<br />
Dennoch erlauben wir<br />
uns bei der Föderalismusreform<br />
II eine Debatte<br />
über die Neuordnung<br />
der Finanzverfassung<br />
zwischen Bund<br />
und Ländern, die eine<br />
ausreichende<br />
Bildungsfinanzierung<br />
Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />
bisher überhaupt nicht<br />
auf der Agenda hat.<br />
Medienereignisse wie<br />
der „Bildungsgipfel“<br />
werden Worthülsen und bleiben folgenlos,<br />
wenn wir nicht endlich verbindlich<br />
festlegen, mehr in Bildung<br />
zu investieren. Die Föderalismusreform<br />
II könnte deshalb ein wichtiger<br />
Ansatzpunkt sein, die Qualität<br />
von Bildung zu verbessern.<br />
Es gibt weitere: Der vorgeschlagene<br />
Hochschulpakt II darf den Studentenberg<br />
„nicht untertun-<br />
neln“, sondern muss ihn<br />
„erklimmen“. Wer wie die<br />
KMK statt derzeit zwei<br />
Millionen 2014 2,7 Millionen<br />
junge Menschen an<br />
den Hochschulen ausbilden<br />
will, muss zusätzliche<br />
personelle und räumliche<br />
Kapazitäten bereitstellen.<br />
Damit mehr Abiturienten<br />
studieren können, brauchen<br />
wir auch eine einheitliche elternunabhängigeAusbildungsförderung.<br />
Diese ließe sich beispielsweise<br />
über ausbildungsbezogene Leistungen<br />
des Familienlastenausgleichs finanzieren.<br />
Außerdem muss es auch in<br />
Deutschland möglich sein, den<br />
Hochschulzugang mit einem qualifizierten<br />
Berufsabschluss zu erwerben.<br />
Und schließlich: Studien-, Kita- und<br />
Weiterbildungsgebühren sind weitere<br />
Bildungsbarrieren. Sie entpuppen<br />
sich als Instrumente einer Fehlsteuerung<br />
des Bildungssystems. So kann<br />
aus Deutschland keine Bildungsrepublik<br />
werden. Will sie sich aber zu einer<br />
entwickeln, muss sich noch vieles ändern<br />
– vor allem in den Köpfen der<br />
Kultus- und Finanzminister.<br />
Ulrich Thöne, <strong>GEW</strong>-Vorsitzender<br />
BILDUNGSPOLITIK<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 23
BILDUNGSPOLITIK<br />
Ute Erdsiek-Rave<br />
(SPD), Ministerin<br />
für Bildung und<br />
Frauen in Schleswig-Holstein<br />
Matthias Heidn,<br />
<strong>GEW</strong>-LandesvorsitzenderSchleswig-Holstein<br />
Buchtipp:<br />
Christel Jungmann: „Die<br />
Gemeinschaftsschule.<br />
Konzept und Erfolg<br />
eines Schulmodells“,<br />
Waxmann-Verlag,<br />
Münster, September<br />
<strong>2008</strong>.<br />
Foto: imago<br />
Foto: <strong>GEW</strong> LV<br />
Graswurzelrevolution<br />
24 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein – ländliches Erfolgsmodell<br />
Als die schleswig-holsteinische Landesregierung<br />
aufgrund des Geburtenrückgangs<br />
2007 beschloss, Gemeinschafts-<br />
und Regionalschulen einzuführen,<br />
brauste ein Sturm der Entrüstung<br />
durch das Land zwischen den<br />
Meeren (s. E&W 4/2007). Knapp<br />
zwei Jahre nachdem die heiß diskutierte<br />
Schulreform von der CDU/SPD-<br />
Koalition verabschiedet wurde, kehrt<br />
zumindest in ländlichen Regionen<br />
Ruhe ein.<br />
Eltern, aber auch die CDU haben<br />
begriffen, dass Gemeinschaftsschulen<br />
ein qualifiziertes<br />
Angebot sind – gerade in<br />
ländlichen Gebieten“, sagt Joachim<br />
Lohmann. Der frühere<br />
Bundesvorsitzende der Gemeinnützigen<br />
Gesellschaft Gesamtschulen (GGG) hat<br />
Erstaunliches ermittelt: Anders als die 25<br />
Gesamtschulen, die überwiegend in<br />
größeren Kommunen angesiedelt sind,<br />
finden sich fast zwei Drittel der mittlerweile<br />
55 zugelassenen Gemeinschaftsschulen<br />
auf dem Land. Lohmanns Erklärung:<br />
„Die politische Rechte im ländlichen<br />
Raum erweist sich als aufgeschlossener<br />
als die der Städte, wo noch die<br />
schulpolitische Konfrontation nachwirkt.“<br />
Eltern orientieren sich<br />
Wenn sie die Wahl haben, orientieren<br />
sich städtische Eltern in der Regel am<br />
vermeintlichen „oben“: Besser sei es,<br />
das Kind geht zum Gymnasium als auf<br />
die Gemeinschaftsschule. Auf dem<br />
Land zwingt die demographische Entwicklung<br />
– anders gesagt: sinkende<br />
Schülerzahlen – die Schulträger zum<br />
Zusammenrücken: Für das dreigliedrige<br />
Schulsystem gibt es in ländlichen Gegenden<br />
Schleswig-Holsteins schlicht<br />
nicht mehr genug Kinder. Kommunalpolitiker<br />
vor Ort greifen deshalb immer<br />
öfter zur pragmatischen Lösung anstatt<br />
auf parteipolitischer Abwehrargumentation<br />
zu beharren.<br />
Spätestens 2010 werden Haupt- und<br />
Realschulen zu Regionalschulen zusammengelegt<br />
mit einer integrierten Orientierungsstufe<br />
für die Klassen 5 und 6 sowie<br />
einer anschließenden leistungs- und<br />
abschlussbezogenen Differenzierung<br />
für die 7. bis 9. bzw. 10. Klassenstufe. Alternativ<br />
können auf Antrag der Schulträger<br />
Gemeinschaftsschulen entstehen,<br />
die in der Sekundarstufe I mindestens<br />
300 Schüler dauerhaft aufnehmen sollen.<br />
Gemeinschaftsschulen können eine<br />
gymnasiale Oberstufe anbieten; Gymnasien<br />
bleiben als eigene Schulform<br />
aber weiterhin unangetastet. Sie können<br />
sich jedoch, wie in Burg auf Fehmarn, in<br />
eine Gemeinschaftsschule umwandeln.<br />
Zum Schuljahr <strong>2008</strong>/2009 sind 48 Gemeinschaftsschulen<br />
und 35 Regionalschulen<br />
gestartet. Bildungsministerin<br />
Ute Erdsiek-Rave (SPD) zeigt sich begeistert:<br />
„Wir haben in Schleswig-Holstein<br />
einen Durchbruch für größere Durchlässigkeit<br />
und längeres gemeinsames<br />
Lernen geschafft.“<br />
Im „Grundsatz gut“ findet das zwar auch<br />
die <strong>GEW</strong> in Schleswig-Holstein, aber<br />
von „schmückenden Wortgirlanden der<br />
Bildungsministerin“ will sie sich dann<br />
doch nicht einlullen lassen. Der Landesverband<br />
kritisiert allerdings die unterschiedliche<br />
Behandlung der Lehrkräfte,<br />
die aus verschiedenen Schulformen<br />
kommen und dann ein gemeinsames<br />
Kollegium an einer Gemeinschaftsschule<br />
bilden. „Es gibt ein Drei-Klassen-<br />
Recht für Hauptschul-, Realschul- und<br />
Gymnasiallehrer an den Gemeinschaftsschulen“,<br />
moniert der Landesvorsitzende<br />
Matthias Heidn. Die Unterrichtsverpflichtungen<br />
differierten zwischen 24,5<br />
und 27,5 Pflichtstunden; bei der Besoldung<br />
liege der Unterschied bei bis zu<br />
400 Euro – trotz gleicher Tätigkeit. Viele<br />
Lehrkräfte, weiß der <strong>GEW</strong>-Landesver-<br />
band, hätten deshalb ihrer Versetzung an<br />
Gemeinschaftsschulen widersprochen<br />
und damit gegen die unterschiedlichen<br />
Unterrichtsverpflichtungen protestiert –<br />
darunter auch viele Pädagoginnen und<br />
Pädagogen, die selbst Anhänger der<br />
Schulreform sind und sich an der Entwicklung<br />
der Gemeinschaftsschulen intensiv<br />
beteiligt hatten.<br />
Aber wie soll eine ambitionierte Reform<br />
mit einer mangelhaften personellen<br />
Ausstattung gelingen? Auch GGGler<br />
Lohmann kritisiert die Regelungen zu<br />
Arbeitszeit und Bezahlung. Ungeklärt<br />
sei zudem die Frage, wem bei fusionierenden<br />
Schulen die Leitung übertragen<br />
werde. Klar müsse sein: „Der Beste<br />
zählt.“ Unmut herrscht nach wie vor<br />
auch in den Kollegien der Gesamtschulen.<br />
Diese werden spätestens zum Schuljahr<br />
2010/2011 zu Gemeinschaftsschulen.<br />
So ist es angeordnet. „Viele Kolleginnen<br />
und Kollegen fühlen sich in ihrer<br />
Arbeit missachtet“, berichtet <strong>GEW</strong>-<br />
Geschäftsführer Bernd Schauer. „Die machen<br />
schließlich seit Jahren integrativen,<br />
gemeinsamen Unterricht!“ Trotz<br />
aller Bedenken: Ein Zurück zum mehrgliedrigen<br />
Schulsystem gibt es nicht<br />
mehr, selbst wenn sich die politischen<br />
Mehrheitsverhältnisse in Schleswig-<br />
Holstein ändern sollten. Der erste<br />
Schritt in Richtung längeres gemeinsames<br />
Lernen ist gelungen. „Und“, lacht<br />
Joachim Lohmann, „das ist ja das Verrückte<br />
an unserer Gesellschaft: Irgendwann<br />
wird die Gemeinschaftsschule<br />
ganz einfach Gemeinschaftsgymnasium<br />
heißen.“ Tina Fritsche, freie Journalistin<br />
Die ersten Schritte in Richtung Gemeinschaftsschule sind in Schleswig-Holstein gelungen.<br />
Der ländliche Raum erweist sich als aufgeschlossener als der städtische.<br />
Foto: dpa
Start! Zeitung für junge Lehrkräfte<br />
2/<strong>2008</strong><br />
Kein Auskommen mit dem Einkommen<br />
Willkommen im Prekariat des Schulalltags.<br />
Die Rede ist von Referendaren<br />
und jungen Lehrkräften, deren Start in<br />
den Beruf kaum ihre Existenz sichert.<br />
Eine Betroffene schlägt Alarm: Das<br />
Geld, das sie monatlich zur Verfügung<br />
habe, reiche hinten und vorne nicht,<br />
klagt die junge Frau in einem Internetforum.<br />
Sie fragt Forenmitglieder, was sie<br />
tun könne, damit am Ende des Monats<br />
kein fettes Minus mehr auf dem Konto<br />
steht. Die Forengemeinde weiß Rat:<br />
„Handy abschaffen“, „Haushaltsbuch<br />
führen“, „auf den Urlaub verzichten“.<br />
Was sich wie ein Auszug aus einem<br />
Webforum für Hartz-IV-Empfänger<br />
liest, ist in Wahrheit eine Debatte unter<br />
angehenden Lehrerinnen und Lehrern.<br />
Bernd N. kennt die Nöte der Referendare.<br />
Vor kurzem war er selbst noch einer.<br />
Zwei Jahre hat er an einer Berliner<br />
Grundschule unterrichtet. Rund 900<br />
Euro im Monat blieben ihm netto<br />
übrig. Zu wenig, wie er meint, weshalb<br />
ihm sein Vater finanziell unter die Arme<br />
greifen musste. „Natürlich weiß man<br />
vorher, dass man als Referendar kaum<br />
mehr Geld haben wird als während des<br />
Studiums“, sagt der Lehrer für Geschichte<br />
und Sozialkunde. Die zehn<br />
Stunden wöchentlicher Unterrichtsverpflichtung<br />
im Referendariat erschienen<br />
ihm auf den ersten Blick nicht wie ein<br />
Fulltime-Job, so dass er hoffte, nebenher<br />
etwas dazuverdienen zu können.<br />
Doch Bernd N. hatte sich getäuscht.<br />
„Die regelmäßigen Lehrproben und die<br />
tägliche Unterrichtsvorbereitung lassen<br />
einem dafür keine Zeit.“ Auch ist das<br />
Leben als angehender Junglehrer teurer<br />
als während des Studiums: keine Er-<br />
Während des<br />
Referendariats haben<br />
angehende Lehrkräfte<br />
noch nie üppig<br />
verdient. Aber statt<br />
etwas zu verbessern,<br />
wurden Ausbildungsvergütungenmehrfach<br />
gekürzt.<br />
Foto: David Ausserhofer
2<br />
Titelgeschichte<br />
Nützliche<br />
Internetlinks:<br />
www.<br />
referendar.de,<br />
www.tresselt.de/<br />
besoldung.htm<br />
Grundvergütung im Referendariat<br />
Die Höhe der Grundvergütung richtet sich nach dem Schultyp,in dem unterrichtet wird.In Bayern lag sie beispielsweise<br />
2007 zwischen 1021,78 Euro (Lehramt für Grund- und Hauptschule, Realschule) und 1083,62 Euro (Gymnasium). Zwischen<br />
den Bundesländern gibt es ebenfalls Unterschiede,auch wenn diese bislang zumindest in Westdeutschland marginal<br />
sind. In Baden-Württemberg etwa kann ein unverheirateter angehender Grundschullehrer derzeit mit 1063,57<br />
Euro brutto im Monat rechnen, 1020,79 Euro sind es in Bremen, 1001,98 Euro in Rheinland-Pfalz. Größere Differenzen<br />
gibt es zwischen West und Ost: In Brandenburg etwa erhalten unverheiratete Referendare ohne Kinder monatlich<br />
lediglich 931,38 Euro.Die Einstufung erfolgt anhand bundeseinheitlicher Besoldungstabellen,für Beschäftigte in einem<br />
Angestelltenverhältnis gelten nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) ähnliche Regelungen.<br />
Jürgen Amendt<br />
mäßigungen mehr beim Kino-Besuch,<br />
kein Studententicket für die öffentlichen<br />
Verkehrsmittel; dafür Mehrausgaben<br />
für Krankenversicherung.<br />
Vater Staat zahlt nicht gut<br />
Ähnliche Erfahrungen machte auch Petra<br />
R. Die angehende Lehrerin für Französisch<br />
und Englisch an einem Berliner<br />
Gymnasium weiß zwar, dass sie als Auszubildende<br />
keinen hohen Verdienst erwarten<br />
kann. Wie sie arbeiten viele Referendare<br />
aber bereits weitgehend selbstständig,<br />
tragen Verantwortung und haben<br />
ein Studium erfolgreich absolviert. „Dafür<br />
ist die Höhe der Vergütung definitiv nicht<br />
angemessen“, bemängelt Petra R.<br />
Auch sie kommt mit dem, was sie von<br />
Vater Staat bekommt, nicht aus. Deshalb<br />
steckt sie einen Teil ihres Erbes in die Ausbildung.<br />
Zwar würde sie mit einer gehörigen<br />
Portion Sparwillen so gerade über die<br />
Runden kommen, aber auf ein Leben in<br />
einem Zehn-Quadratmeter-WG-Zimmer<br />
mit Möbeln vom Flohmarkt hat die<br />
junge Frau keine Lust mehr.<br />
Nie besonders üppig<br />
„Die Ausbildungsvergütungen für Referendare<br />
waren noch nie besonders üppig,<br />
aber statt etwas zu verbessern, wurden<br />
sie mehrfach gekürzt“, sagt <strong>GEW</strong>-<br />
Vorstandsmitglied Ilse Schaad. „Nun<br />
kommt hinzu, dass die Länder jetzt auch<br />
bei den Referendaren unterschiedliche<br />
Beträge festlegen. In Zukunft werden die<br />
finanziellen Ungerechtigkeiten zunehmen“,<br />
befürchtet die Tarifexpertin.<br />
Petra R. hat noch ein halbes Schuljahr<br />
vor sich. Das, was danach kommt,<br />
macht ihr Angst. Denn bislang blieb<br />
vielen ausgebildeten Pädagoginnen und<br />
Pädagogen nur die Hoffnung auf eine<br />
Stelle im Vertretungspool der Berliner<br />
Senatsschulverwaltung. „In dieser ‚Lehrerfeuerwehr‘<br />
werden oft nur Halbtagsstellen<br />
angeboten und man verdient weniger<br />
als das, was man als Referendar erhalten<br />
hat“, kritisiert die Pädagogin.<br />
Große Pläne für die Zukunft kann man<br />
so nicht schmieden. „An die Gründung<br />
einer Familie ist kaum zu denken“, sagt<br />
Petra R. Viele frisch gebackene Lehrkräfte<br />
haben deshalb Berlin in den vergangenen<br />
Jahren den Rücken gekehrt.<br />
„Länder wie Hamburg und Baden-<br />
Württemberg locken schließlich mit<br />
deutlich besseren Konditionen“, beschreibt<br />
Ilse Schaad das Buhlen der Länder<br />
um pädagogische Fachkräfte (s.<br />
E&W 9/<strong>2008</strong>). Verantwortlich dafür, so<br />
Schaad, sei die Föderalismusreform I,<br />
die den Wettbewerb unter den Ländern<br />
noch verschärft hat.<br />
Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner<br />
(SPD) will jetzt die Notbremse ziehen<br />
und künftig Lehrerinnen und Lehrer<br />
mit Aussicht auf Verbeamtung in der<br />
Hauptstadt halten. Die <strong>GEW</strong>-Tarifexpertin<br />
sieht darin zwar Chancen für<br />
den pädagogischen Nachwuchs, kritisiert<br />
die Beschäftigungspolitik in der<br />
Hauptstadt aber insgesamt als konzeptionslos.<br />
Doch durch den zunehmenden<br />
Lehrermangel in vielen Bundesländern<br />
habe sich immerhin die Verhandlungsposition<br />
für die Junglehrkräfte<br />
verbessert. Zurzeit ist die Lage in<br />
der Hauptstadt jedoch eine andere:<br />
Ausgebildete Pädagogen werden lediglich<br />
als Angestellte beschäftigt – und<br />
das meist nur auf Zeit.<br />
Jürgen Amendt, Redakteur<br />
„Neues Deutschland“<br />
Einfach mal so nebenher kellnern –<br />
so unkompliziert ist es mit dem „Zubrot“ für<br />
angehende Lehrkräfte nicht.<br />
Nebenjob<br />
Die Nebentätigkeit ist gesetzlich geregelt:<br />
Es gilt die so genannte Fünftel-Regelung.<br />
Sie bedeutet, dass ein<br />
Fünftel der für Beamtinnen und Beamte<br />
festgelegten Arbeitszeit als Nebentätigkeit<br />
ausgeübt werden darf.<br />
Die Beamtenarbeitszeit liegt zwischen<br />
40 und 42 Stunden. Ein Fünftel<br />
von 40 wären acht Zeitstunden.<br />
Wenn in Nebentätigkeit unterrichtet<br />
wird, entspricht dies fünf Unterrichtsstunden.<br />
Foto: imago
Fit für die Klasse<br />
Unter dem Stichwort „Heißes Eisen<br />
aus dem Schulalltag“ beschäftigt sich<br />
Start mit Problemen, die Berufsanfängern<br />
unter die Haut gehen. Zum Beispiel,<br />
wenn sie zum ersten Mal alleine<br />
vor einer Klasse stehen und das<br />
„Chaos“ managen müssen.<br />
Natürlich gibt es mal Chaos. Gerade in<br />
den neunten Klassen, in denen die<br />
Schüler um die Wette pubertieren. Melanie<br />
Seibert kennt das. „Man bekommt<br />
einen kleinen Schweißausbruch und<br />
fragt sich: Was mach’ ich jetzt bloß?“<br />
Doch die Referendarin hat gelernt, damit<br />
umzugehen. „Am Anfang habe ich<br />
gedacht, mein Unterricht sei nicht gut.<br />
Inzwischen weiß ich, dass ich das nicht<br />
persönlich nehmen darf.“ Wie Melanie<br />
Seibert geht es vielen jungen Lehrkräften.<br />
Die meisten fühlen sich auf diese<br />
Situation durch das Studium nicht gut<br />
vorbereitet. Dabei gehört die Französischreferendarin<br />
am bilingualem Bonner<br />
Friedrich-Ebert-Gymnasium zu je-<br />
Foto: Jürgen Bindrim<br />
nen, die es kaum abwarten können,<br />
allein vor der Klasse zu stehen. Anderen<br />
dagegen macht die Aussicht, die<br />
Führung von zwei Dutzend Kindern<br />
übernehmen zu müssen, zunächst<br />
Angst. „Unsicher kommen sie mit ausgefeilten<br />
Unterrichtskonzepten ins Seminar,<br />
weil sie sich wie ein Konstrukteur<br />
fühlen, der sein selbstgebautes Gerät<br />
noch nie ausprobiert hat und nicht<br />
weiß, wie er es zum Laufen bringen<br />
kann“, sagt Ulrich Gospodar, Fachseminarleiter<br />
in Berlin Kreuzberg.<br />
Classroom-Management<br />
Klassenführung ist sowohl in der Ausund<br />
Fortbildung als auch in der Unterrichtsforschung<br />
immer noch ein vernachlässigtes<br />
Thema. Dabei lassen internationale<br />
Studien keinen Zweifel.<br />
„Classroom-Management ist der Knackpunkt<br />
für Unterrichtsqualität“, so Margit<br />
Maunz, Schulberaterin im Regierungspräsidium<br />
Tübingen. „Auch ein<br />
hervorragend vorbereiteter Unterricht<br />
scheitert, wenn die Klasse nicht mitzieht.“<br />
Fazit: ohne wirksame Klassenführung<br />
kein Unterrichtserfolg, weniger<br />
Leistungsfortschritt – und gestresste<br />
Lehrkräfte.<br />
Der Schulforscher Andreas Helmke von<br />
der Universität Koblenz-Landau versteht<br />
unter Klassenführung alle Maßnahmen,<br />
bei denen Schülerinnen und Schüler engagiert<br />
und konzentriert lernen können.<br />
Entscheidend für ein wirksames Classroom-Management<br />
ist laut Helmke:<br />
● ein solides Wissen in punkto Lehren,<br />
Lernen und Diagnostik;<br />
● die Einführung von Ritualen;<br />
● feste Regeln, deren Einhaltung<br />
beachtet wird;<br />
● konsequenter Umgang mit Störungen;<br />
● effizientes Nutzen der Unterrichtszeit.<br />
Schulberaterin Maunz rät, sofort klar zu<br />
machen, dass Schüler und Lehrer eine<br />
Arbeitsgemeinschaft sind, in der beide<br />
Seiten Verantwortung übernehmen<br />
müssen. In den letzten Jahren habe sich<br />
die Perspektive auf den Unterricht um<br />
180 Grad gedreht. „Entscheidend ist<br />
heute nicht mehr, dass ein Pädagoge ein<br />
ordentliches Unterrichtsprogramm abspult,<br />
sondern was dabei herauskommt“,<br />
sagt Maunz. „Deshalb sollte<br />
man zu Beginn des Schuljahres klar machen:<br />
Das ist unser Ziel, das müssen wir<br />
erreichen, das erwarte ich, diese oder<br />
jene Konsequenzen hat es, wenn es<br />
nicht läuft.“<br />
Drei-Tage-Crash-Kurs<br />
Ganz pragmatisch versucht Ulrich<br />
Gospodar, seine Nachwuchslehrkräfte<br />
in einem Drei-Tage-Crashkurs fit für die<br />
Klasse zu machen. „Ein Lehrer sollte<br />
Sicherheit ausstrahlen, die Schüler<br />
respektvoll behandeln und sie gleich zu<br />
Beginn zum Staunen bringen.“ Wie das<br />
geht? Zwei Biologiereferendarinnen riet<br />
der Seminarleiter, in einer Zoohandlung<br />
kleine Fische zu kaufen und diese<br />
in der ersten Biostunde von den Kindern<br />
auseinandernehmen zu lassen.<br />
Gospodar: „Sie glauben nicht, wie sehr<br />
die Schüler plötzlich von Bio fasziniert<br />
waren.“<br />
Anja Dilk, freie Journalistin<br />
Zum ersten Mal<br />
alleine vor der<br />
Klasse –<br />
oh Schreck!<br />
Referendarin<br />
Melanie Seibert:<br />
„Am Anfang habe<br />
ich gedacht, mein<br />
Unterricht sei nicht<br />
gut. Inzwischen<br />
weiß ich, dass ich<br />
das nicht persönlich<br />
nehmen darf.“<br />
Literatur für den<br />
Berufsanfang<br />
Maja Dammann:<br />
Schulstart für Lehrer.<br />
Ein Praxisbuch,<br />
Darmstadt 2006<br />
Andreas Helmke:<br />
Unterrichtsqualität<br />
– erfassen, bewerten,<br />
verbessern.<br />
Verlag Klett-Kallmeyer<br />
2005, 316<br />
Seiten, 19,90 Euro<br />
Gustav Keller:<br />
Disziplinmanagement<br />
in der Schulklasse.Unterrichtsstörungenvorbeugen<br />
– Unterrichtsstörungenbewältigen.<br />
Huber-Verlag<br />
Bern <strong>2008</strong>,<br />
17,95 Euro<br />
3<br />
Praxisthema
4<br />
Praxis und Politik<br />
Individuelle Förderung<br />
bedeutet<br />
zwar anfangs<br />
mehr Aufwand für<br />
Planung und<br />
Vorbereitung des<br />
Unterrichts. Doch<br />
langfristig macht<br />
sie zufriedener im<br />
Job und vermindert<br />
die Arbeitsbelastung.<br />
* „Fördern und Fordern<br />
– eine Herausforderung<br />
für Bildungspolitik,<br />
Eltern,<br />
Schule und Lehrkräfte“.Gemeinsame<br />
Erklärung der<br />
Bildungs- und Lehrergewerkschaften<br />
und der Kultusministerkonferenz<br />
vom 19. <strong>Oktober</strong><br />
2006:<br />
http://www.gew.de<br />
/Gemeinsame_<br />
Erklaerung_<br />
verabschiedet_<br />
Foerdern_und_<br />
Fordern.html.<br />
** Andreas Schleicher,PISA-Koordinator<br />
der OECD; WDR-<br />
Radio vom 5. Februar<br />
2007<br />
*** www.eumail.info:EU-Projekt<br />
„European<br />
Mixed-Abilitiy and<br />
Individualised Learning“/„Individualisierendes<br />
Lernen<br />
in heterogenen<br />
Gruppen“.<br />
Individuelle Förderung: Was ist das?<br />
„Individuelle Förderung“ ist in allen<br />
Bundesländern Thema. Unter dem<br />
Titel „Fördern und Fordern“ verständigten<br />
sich auf Bundesebene die Kultusminister<br />
mit den Lehrergewerkschaften<br />
auf ein gemeinsames Bekenntnis<br />
zur Förderung*. Dass das<br />
deutsche Bildungssystem hier große<br />
Defizite hat, ist, so scheint es, in den<br />
Köpfen angekommen. Doch wie sieht<br />
es damit im Schulalltag aus?<br />
Stets, wenn ein Begriff aus der reformpädagogischen<br />
Ecke kam, inflationär gebraucht<br />
und schließlich zum selbstverständlichen<br />
Lippenbekenntnis von Politikern<br />
aller Couleur wird, ist genaues<br />
Hinhören angesagt.<br />
Kompetente Pädagoginnen und Pädagogen<br />
mögen darunter ein umfassendes<br />
Programm für mehr Individualisierung<br />
und Inklusion sehen. Allerdings: Manche<br />
Politiker verstehen darunter vor allem<br />
die Zuweisung junger Menschen an<br />
die für sie „richtige“ Schulform. Und oft<br />
wird unter Förderung lediglich verstanden,<br />
bestimmte Defizite von benachteiligten<br />
Schülergruppen zu kompensieren,<br />
etwa durch Sprachkurse für Kinder<br />
und Jugendliche aus Einwandererfamilien.<br />
Perspektivwechsel<br />
Individuelle Förderung – zu Ende gedacht<br />
– ist jedoch ein pädagogisches<br />
Grundprinzip, das sich an alle jungen<br />
Menschen richtet und von ihren<br />
Stärken – und nicht nur von ihren<br />
Schwächen – ausgeht. „Alle gewöhnlichen<br />
Schüler haben außergewöhnliche<br />
Fähigkeiten“, hat das Andreas Schleicher,<br />
der internationale PISA-Koordinator<br />
der OECD, in einem Radio-Interview<br />
einmal auf den Punkt gebracht**.<br />
Doch das zu erkennen, erfordert einen<br />
pädagogischen Perspektivwechsel. Den<br />
Blick auf die Lernenden zu verändern<br />
und sie zu Subjekten des eigenen Lernprozesses<br />
zu machen, war z. B. ein zentrales<br />
Ergebnis eines von der <strong>GEW</strong> geförderten<br />
Projektes zum individualisierenden<br />
Lernen***. Gemeint sind eine<br />
andere pädagogische Grundhaltung<br />
und eine veränderte Unterrichts- und<br />
Lernkultur. Das Projekt macht hierzu<br />
zahlreiche Vorschläge, die zum Teil sofort<br />
ausprobiert werden können und<br />
mit „Bordmitteln“ zu realisieren sind.<br />
Keine Frage, Lehrkräfte und Unterricht<br />
spielen eine zentrale Rolle bei der indi-
Foto: David Außerhofer<br />
viduellen Förderung. Leider wird die<br />
Diskussion in der Öffentlichkeit oft auf<br />
diese Aspekte verengt. Dabei wird übersehen,<br />
dass Schule als Organisation,<br />
dass die Rahmenbedingungen und das<br />
Schulsystem sowie die Bildungsziele<br />
entscheidenden Einfluss haben. Dieser<br />
Blick aufs Ganze fehlt den meisten<br />
Maßnahmen der Bundesländer. So<br />
kommt es, dass auf dem Papier mittlerweile<br />
zwar viel „gefördert“ wird, aber im<br />
Alltag kaum etwas davon spürbar ist,<br />
weil Geld und Personal fehlen oder<br />
schulische Fördermittel sogar gekürzt<br />
werden.<br />
Im Kleinen beginnen<br />
Viele angehende Lehrkräfte fragen sich<br />
auch, ob der damit verbundene Arbeitsaufwand<br />
nicht viel zu hoch ist. Aber: In-<br />
dividuelle Förderung heißt nicht, für jedes<br />
Kind ein eigenes Arbeitsblatt zu entwickeln.<br />
Gleichwohl bringt sie anfangs<br />
einen Mehraufwand an Planung und<br />
Vorbereitung mit sich. Doch langfristig<br />
– so berichten zumindest viele Lehrkräfte<br />
aus skandinavischen, auch aus reformfreudigen<br />
deutschen Schulen – mache<br />
sie zufriedener im Job und vermindere<br />
die Arbeitsbelastung. Dass individuelle<br />
Förderung aber keinesfalls nur<br />
aus pädagogischen Tricks oder einem<br />
Methodenkoffer für den Unterricht<br />
besteht, zeigen erfolgreich fördernde<br />
Schulen. Charakteristisch sind z. B. folgende<br />
Merkmale:<br />
● Diagnose,<br />
● ein Wandel vom Unterrichten zum<br />
Lernen hin,<br />
● innere Differenzierung,<br />
● selbstgesteuerte und kooperative<br />
Lernprozesse,<br />
● flexible Lernorte und -zeiten,<br />
● Lernbegleitung und -beratung,<br />
● Schülerselbstbewertung und Schülerrückmeldung,<br />
● Eigenverantwortung der Lernenden,<br />
● individuelle Leistungsrückmeldung,<br />
● intensive Zusammenarbeit mit Eltern.<br />
Diese Aufzählung soll nicht „erschlagen“.<br />
Individuelles Fördern kann auch<br />
im Kleinen anfangen:<br />
● zum Beispiel durch die Überprüfung<br />
des eigenen Förderverhaltens oder<br />
die methodische Öffnung im Fachunterricht;<br />
● durch gemeinsames Erarbeiten eines<br />
differenzierten Aufgaben- und Materialpools<br />
im Team;<br />
● durch interne Fortbildung oder eine<br />
selbstkritische wie selbstbewusste Bestandsaufnahme<br />
der Schule: Wie gut<br />
fördern wir? Wo können wir uns professionelle<br />
Hilfe organisieren?<br />
Grenzen des Förderns<br />
Das Förderprinzip stößt indessen dort<br />
an seine Grenzen, wo die Rahmenbedingungen<br />
nicht stimmen und selektive<br />
Schulstrukturen ihm zuwider laufen.<br />
Für diese Grenzen sind die Politiker verantwortlich<br />
und dafür auch zu kritisieren.<br />
Andernfalls ruhen sie sich auf ihren<br />
Ankündigungen aus und schieben Päda-<br />
gogen und Einzelschulen den Schwarzen<br />
Peter zu für Mängel, die diese nicht<br />
verursachen: zu wenig Zeit, zu große<br />
Lerngruppen, zu wenig Lehrpersonal,<br />
zu wenig zusätzliche Profis wie Sozialpädagogen,<br />
fehlende Fortbildungsangebote<br />
oder die unzureichende Vorbereitung<br />
in der Ausbildung.<br />
Keine ferne Zukunft<br />
Individuelle Förderung ist erfolgreich,<br />
wenn die Arbeits- und Lernbedingungen<br />
stimmen und sie im Unterricht und<br />
im Schulleben als pädagogisches Prinzip<br />
fest verankert ist. Schulstruktur und<br />
Lernkultur sind nicht getrennt voneinander<br />
zu betrachten. Gewiss, individuelles<br />
Fördern als pädagogisches<br />
Grundprinzip ist am besten in einem inklusiven<br />
System zu verwirklichen. Das<br />
klingt nach ferner Zukunft. Aber eine<br />
Kultur des Vertrauens als Grundlage für<br />
eine erfolgreiche Förderung aller Kinder<br />
lässt sich bereits heute entwickeln.<br />
Denn: Veränderung beginnt zunächst in<br />
den Köpfen. Und in den Herzen – unabhängig<br />
von der Schulform.<br />
Martina Schmerr, Referentin des<br />
<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Schule<br />
Zeitschriften-Tipps:<br />
Individuell lernen – kooperativ arbeiten.<br />
Friedrich Jahresheft. Friedrich-Verlag<br />
<strong>2008</strong>. Hg. von Christine<br />
Biermann, Michael Fink, Martin<br />
Hänze, Dietlinde H. Heckt, Meinert<br />
A. Meyer, Lutz Stäudel<br />
Diagnostizieren und fördern: Stärken<br />
entdecken – Können entwickeln.<br />
Friedrich Jahresheft. Friedrich-Verlag<br />
2006. Hg. von Gerold Becker, Marianne<br />
Horstkemper, Erika Risse, Lutz<br />
Stäudel, Rolf Werning und Felix<br />
Winter<br />
Fordern und Fördern. Schwerpunktheft<br />
„Lernende Schule“. Heft<br />
29/2005. Friedrich Verlag<br />
Der Umgang mit Heterogenität ist<br />
auch Schwerpunkt der E&W-Ausgaben<br />
7-8/2005 und 6/2002.<br />
Weitere Infos:<br />
www.netzwerkheterogenitaet.de:<br />
Das „Netzwerk<br />
Lehren und Lernen<br />
in heterogenen<br />
Gruppen“, eine<br />
Initiative des <strong>GEW</strong>-<br />
Hauptvorstands,<br />
trägt Informationen,Praxisanregungen<br />
und gute<br />
Beispiele zum Umgang<br />
mit Heterogenitätzusammen.<br />
http://www.<br />
ganztaegiglernen.org/<br />
www/web709.<br />
aspx:<br />
Individuelle Förderung<br />
ist einer der<br />
Schwerpunkte<br />
des Bundesprogramms<br />
„Ideen für<br />
mehr! Ganztägig<br />
lernen“.<br />
5<br />
Praxis und Politik
6<br />
Service und Alltag<br />
Zu viel Stress im<br />
Job? Es hilft,<br />
Freiräume zur Entlastung<br />
und Regeneration<br />
zu erkennen<br />
und zu nutzen.<br />
Stress bewältigen<br />
Zu weich für die harte Schulwelt? Jede<br />
zweite Lehrkraft fühlt sich durch den<br />
Job übermäßig belastet. Ein knappes<br />
Drittel klagt über Depressionen,<br />
Ängste, Schlafstörungen . . . Und das<br />
nicht erst nach 20 Dienstjahren. Bereits<br />
beim Start in den Beruf leiden<br />
viele unter Selbst- und Fremdüberforderung<br />
im Arbeitsalltag.<br />
Besonders belastend empfinden junge<br />
Lehrkräfte große Klassen mit Schülerinnen<br />
und Schülern, die zudem immer<br />
mehr Verhaltensauffälligkeiten zeigen.<br />
Gefragt sind hier Kompetenzen im<br />
Umgang mit Konflikten sowie erzieherische<br />
Fähigkeiten. Diese werden allerdings<br />
weder im Studium erworben<br />
noch im Referendariat ausreichend eingeübt.<br />
Hinzu kommt der alltägliche<br />
Zeitdruck: Es wird von Klassenzimmer<br />
zu Klassenzimmer, von der Hofaufsicht<br />
in die Unterrichtsstunde, dann zur<br />
Konferenz gehetzt. Die wenigen Freiräume<br />
zur Entlastung und Regenera-<br />
tion gilt es zu erkennen und zu nutzen.<br />
Das fängt bereits bei der Unterrichtsplanung<br />
und dem Umgang mit der<br />
Klasse an.<br />
Es ist hilfreich, klare Regeln mit ebenso<br />
klaren Konsequenzen mit den einzelnen<br />
Klassen auszuhandeln (s. Seite 3).<br />
Entspannungssequenzen für die Schüler<br />
helfen oft, Unruhe abzubauen und<br />
Motivation aufrechtzuerhalten – ebenso<br />
wie Bewegungsübungen.<br />
Unterrichtsphasen mit Stillarbeiten sollten<br />
der eigenen Regeneration dienen.<br />
Rückzug: Im Verlauf eines Schultages<br />
macht es mitunter Sinn, sich in Pausen<br />
oder in Freistunden an einen ruhigen<br />
Ort zurückzuziehen und sich zu entspannen.<br />
Bewusst abschalten<br />
Nach dem Unterricht ist es wichtig, bewusst<br />
„abzuschalten“, sich gedanklich<br />
von der Schule, den Schülern und ihren<br />
Problemen zu lösen. Dies kann durch<br />
Sport oder einen kurzen Mittagsschlaf<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
geschehen – wichtig ist auf jeden Fall,<br />
Anspannung abzubauen.<br />
Viele Junglehrkräfte scheuen oft den zusätzlichen<br />
Aufwand für die (Unterrichts-)Planung.<br />
Sie übersehen dabei,<br />
dass jede dafür investierte Minute Zinsen<br />
in Form von mehr Freizeit bringt.<br />
Man neigt dazu, langweilige oder belastende<br />
Tätigkeiten aufzuschieben – bis<br />
diese so drängend werden, dass sie unter<br />
Druck, Stress und Hektik erledigt werden<br />
müssen. Gerade die Möglichkeit,<br />
sich im Lehrerberuf seine Zeit zu einem<br />
Teil frei einteilen zu können, verführt<br />
dazu. Für das Drittel der Lehrkräfte, das<br />
unter chronischer „Aufschieberitis“ leidet,<br />
ist es hilfreich, zum selbstbestimmten<br />
Zeitmanager zu werden – anstatt immerzu<br />
Terminen hinterher zu hecheln.<br />
Es macht Sinn, Aufgaben nach ihrer<br />
Wichtigkeit und Dringlichkeit in A-, B-,<br />
C-, D-Prioritäten zu kategorisieren und<br />
diese danach abzuarbeiten. Störungen<br />
sollte man währenddessen vermeiden,<br />
denn: 90 Minuten konzentrierte, ununterbrochene<br />
Arbeit sind sehr viel effektiver<br />
als sechs mal 15 Minuten mit<br />
jeweils einigen Minuten Unterbrechungen.<br />
Externe Hilfe<br />
Hilfreich ist es außerdem, Privates von<br />
Schulischem sowohl räumlich als auch<br />
zeitlich zu trennen.<br />
Lehrerinnen und Lehrer sind oft Einzelkämpfer,<br />
die in der Schule, aber auch<br />
an den Nachmittagen, alleine vor sich<br />
hinarbeiten. Es findet zu wenig Austausch<br />
über fachliche und pädagogische<br />
Fragen statt. Teamarbeit und Kooperation<br />
sind in den meisten Lehrerkollegien<br />
unterentwickelt. Umso wichtiger<br />
ist es, sich frühzeitig z. B. in selbstorganisierten<br />
Beratungsgruppen Unterstützung<br />
zu holen (s. auch START 1/<strong>2008</strong>).<br />
Wenn Probleme und Konflikte innerhalb<br />
der Kollegengruppe nicht mehr<br />
gelöst werden können, sollte man sich<br />
durch externe Fachleute Hilfe holen,<br />
etwa durch Supervision oder Coaching.<br />
Werner Gross,Psychologe am Psychologischen<br />
Forum Offenbach (PFO)
Mehr Wertschätzung<br />
Start: Wie bist du auf die <strong>GEW</strong> aufmerksam<br />
geworden?<br />
Jens Grosslaub: Durch ein Informationsschreiben<br />
der Jungen <strong>GEW</strong>.<br />
Start: Wieso bist du eingetreten?<br />
Grosslaub: Aus pragmatischen Gründen.<br />
Als Gewerkschaftsmitglied bin ich<br />
gegen berufliche Risiken versichert und<br />
kann auf den beruflichen Rechtsschutz<br />
der <strong>GEW</strong> bauen. Vor allem in der Jungen<br />
<strong>GEW</strong> habe ich vor Ort eine Gruppe, die<br />
mich in Fragen des Berufsalltags berät.<br />
Start: Warum ist gewerkschaftliches Engagement<br />
für dich wichtig?<br />
Grosslaub: Ich hatte sowohl im Studium<br />
als auch im Referendariat oft das Gefühl,<br />
alleine zu sein. Das wollte ich ändern.<br />
Start: Bist du mit der Betreuung in deinem<br />
Landesverband zufrieden?<br />
Grosslaub: Sehr – vor allem, was die Arbeit<br />
der Jungen <strong>GEW</strong> betrifft. Sie bietet inhaltlich<br />
interessante, gut organisierte Seminare<br />
zu Themen des Berufsanfangs an.<br />
Start: Mit welchen Fragen beschäftigt ihr<br />
euch zum Beispiel?<br />
Grosslaub: Mit ganz lebenspraktischen<br />
Dingen. Mit Blick auf das Referenda-<br />
Praxishilfen und Buchtipp<br />
Auf geht’s<br />
Nach dem Studium mischen sich Vorfreude<br />
auf den „echten“ Einstieg in den<br />
Lehrerberuf mit Befürchtungen: Bin ich<br />
den stressigen Anforderungen gewachsen?<br />
War meine Berufswahl die richtige?<br />
Bekomme ich nach dem Referendariat<br />
eine feste Anstellung? Hier helfen nicht<br />
nur aufmunternde Worte, sondern vor<br />
allem konkrete Tipps. Die Broschürenreihe<br />
„Praxishilfe“ gibt diese für angehende<br />
Lehrkräfte zu folgenden Themen:<br />
Unterrichtsvorbereitung, Umgang mit<br />
Belastungen, wichtige und notwendige<br />
Kooperationsbeziehungen.<br />
Unterrichtsstörungen<br />
Die Broschüre zum Thema „Unterrichtsstörungen“<br />
stellt z. B. typische Unterrichtsstörungen<br />
dar, analysiert diese<br />
und zeigt Lösungswege auf.<br />
riat: Was kann mein Fachleiter von mir<br />
verlangen? Was ist eine Lehrprobe? Wie<br />
viel Stunden darf ich als Referendar unterrichten?<br />
Was verdiene ich als Berufsanfänger?<br />
Start: Wie kommst du mit den gewerkschaftlichen<br />
Organisationsformen klar – was<br />
könnte besser sein?<br />
Grosslaub: Es müsste alles ein wenig<br />
einfacher strukturiert sein.<br />
Start: Wie meinst du das?<br />
Grosslaub: Wenn ich mir etwa die gesamte<br />
Struktur der <strong>GEW</strong> anschaue,<br />
wirkt diese zunächst wenig transparent.<br />
Unklar ist für neue Mitglieder, wer für<br />
was zuständig ist.<br />
Start: Könnt ihr Jüngeren euch gut einbringen<br />
in die gewerkschaftliche Arbeit?<br />
Grosslaub: Weniger. Das Problem für<br />
uns Jüngere ist bei Hauptvorstandssitzungen<br />
zum Beispiel, dass die Älteren<br />
nicht nur weiterhin einflussreiche Funktionen<br />
innehaben, sondern meist auch<br />
ihre inhaltlichen Positionen durchsetzen.<br />
Start: Die „Alten“ haben in der <strong>GEW</strong> das<br />
Sagen?<br />
Grosslaub: Ja, obwohl ein Generatio-<br />
Zeitmanagement<br />
Die Materialie „Zeitmanagement“<br />
nennt einige Regeln, mit denen „Zeitdiebe“<br />
bekämpft werden können.<br />
Schließlich geht es darum, trotz der vielen<br />
Anforderungen im Unterrichtsalltag<br />
und des eigenen hohen Anspruchs an<br />
den Beruf die freie Zeit wirklich unbeschwert<br />
genießen zu können.<br />
Die Broschüren „Unterrichtsstörungen“<br />
und „Zeitmanagement“ gibt es im Netz<br />
unter: www.gew.de (Download Publikationen<br />
Schule). Die Druckversionen der gesamten<br />
Broschürenreihe „Praxishilfen”<br />
sind zu beziehen bei: Neue Deutsche<br />
Schule Verlagsgesellschaft mbH, Nünningstr.<br />
11, 45141 Essen, Fax: 0201/<br />
2940314. Bei einer Mindestabnahme von<br />
50 Exemplaren je Titel liegt der Stückpreis<br />
pro Heft bei 0,85 Euro (zuzüglich Versandkosten).<br />
nenwechsel ansteht. Aber die Alten wollen<br />
nicht loslassen und halten an ihren<br />
Ämtern fest.<br />
Start: Wie macht sich das bemerkbar?<br />
Grosslaub: Im Alltag etwa in den Kollegien<br />
vor Ort. Es ist einfach so, dass<br />
viele Lehrkräfte, die im Personalrat tätig<br />
sind, ihre Freistellung behalten wollen.<br />
Und manche daher nicht bereit sind,<br />
ihre Posten vor der Pensionierung abzugeben.<br />
Start: Was wünschst du dir als <strong>GEW</strong>-Mitglied?<br />
Grosslaub: Von den Älteren mehr<br />
Wertschätzung, von uns Jüngeren mehr<br />
Selbstbewusstsein. Wir sollten in den<br />
Gremien vermitteln, dass wir bereit<br />
sind, die Gewerkschaft weiterzuführen.<br />
Und das auch können. Ich wünsche mir<br />
jedenfalls, dass man uns Jüngere innerhalb<br />
der Organisation stärker beachtet,<br />
uns ermutigt und sagt, jetzt probiert einfach<br />
mal etwas Neues aus.<br />
Interview: Helga Haas-Rietschel,<br />
Redakteurin der „Erziehung & Wissenschaft“<br />
Buchtipp<br />
Lehrerentlastung<br />
„Lehrerentlastung“ von Heinz Klippert<br />
zeigt, was Lehrkräfte tun können, um den<br />
vielfältigen Belastungen in ihrem Beruf zu<br />
begegnen: Zum Beispiel das eigene Verhalten<br />
zu ändern, sich eine „Entlastung<br />
durch Schülerqualifizierung“ zu schaffen<br />
oder eine bessere Zusammenarbeit in den<br />
Kollegien zu ermöglichen. Trotz der Tatsache,<br />
dass Lehrkräfte, Schüler und Eltern<br />
im Fokus stehen, versäumt es Klippert in<br />
seinem Buch nicht, auf die Mängel des<br />
Bildungssystems hinzuweisen und diese<br />
mit entsprechenden Forderungen an die<br />
Politik zu verknüpfen. Ein Überblick über<br />
die umfangreiche Lehrerbelastungsforschung<br />
fehlt allerdings.<br />
Christel Faber, Referentin für Junge<br />
<strong>GEW</strong> beim <strong>GEW</strong>-Hauptvorstand<br />
Foto: Privat<br />
Jens Grosslaub,<br />
32, Lehrer an<br />
einer Gesamtschule,<br />
Mitglied<br />
der Jungen <strong>GEW</strong><br />
Saarland.<br />
Wege zur<br />
wirksamen Arbeitserleichterung<br />
in<br />
Schule und Unterricht<br />
von Heinz<br />
Klippert, erschienen<br />
im Beltz Verlag<br />
2006, 26,90 Euro<br />
7<br />
Junge <strong>GEW</strong><br />
Impressum Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hauptvorstand, Postfach 90 04 09 60444 Frankfurt/M. Tel.: (069) 7 89 73-0<br />
Fax: (069) 7 89 73-2 01 E-Mail: info@gew.de Internet: www.gew.de Redaktion: Christel Faber, Helga Haas-Rietschel, Jana Kolberg, Andreas Sanchez,<br />
Martina Schmerr, Alexandra Schwarz. Verantwortlich: Ulf Rödde Gestaltung: Werbeagentur Zimmermann GmbH, Frankfurt/M. Druck: apm AG, Darmstadt
8<br />
Gemeinsam stark<br />
Bitte in Druckschrift ausfüllen.<br />
Ihre Daten sind entsprechend den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes geschützt.<br />
✃<br />
Bitte per Fax an 069/78973-102 oder <strong>GEW</strong>-Hauptvorstand, Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt<br />
Antrag auf<br />
Mitgliedschaft<br />
Vorname/Name<br />
Straße/Nr.<br />
Land/PLZ/Ort<br />
Geburtsdatum/Nationalität<br />
Bisher gewerkschaftlich organisiert bei von bis (Monat/Jahr)<br />
Jedes Mitglied der <strong>GEW</strong> ist verpflichtet,den satzungsgemäßen Beitrag zu entrichten und<br />
seine Zahlungen daraufhin regelmäßig zu überprüfen.<br />
Mit meiner Unterschrift auf diesem Antrag erkenne ich die Satzung der <strong>GEW</strong> an und<br />
ermächtige die <strong>GEW</strong> zugleich widerruflich, den von mir zu leistenden Mitgliedsbeitrag<br />
vierteljährlich von meinem Konto abzubuchen.<br />
Ort/Datum Unterschrift<br />
Daten des Werbers<br />
Ich habe die oben stehende Person als neues <strong>GEW</strong>-Mitglied geworben.<br />
Vorname/Name<br />
Straße/Nr.<br />
PLZ/Ort<br />
Ihr Mitgliedsbeitrag:<br />
-Beamtinnen und Beamten zahlen 0,75 Prozent der 6. Stufe.<br />
-Angestellte zahlen 0,7 Prozent der Entgeltgruppe und Stufe, nach der vergütet wird.<br />
-Der Mindestbeitrag beträgt immer 0,6 Prozent der untersten Stufe der Entgeltgruppe 1 des TVöD.<br />
-Arbeitslose zahlen ein Drittel des Mindestbeitrages.<br />
-Studierende zahlen einen Festbetrag von 2,50 Euro.<br />
-Mitglieder im Referendariat oder Praktikum zahlen einen Festbetrag von 4 Euro.<br />
-Mitglieder im Ruhestand zahlen 0,66 Prozent ihrer Ruhestandsbezüge.<br />
Telefon Fax<br />
E-Mail<br />
Berufsbezeichnung/-ziel beschäftigt seit Fachgruppe<br />
Name/Ort der Bank<br />
Kontonummer BLZ<br />
Besoldungs-/Entgeltgruppe gültig seit Stufe Bruttoeinkommen € monatlich<br />
Betrieb/Dienststelle Träger<br />
Straße/Nr. des Betriebes/der Dienststelle PLZ/Ort<br />
<strong>GEW</strong>-Landesverband<br />
Telefon Fax<br />
E-Mail<br />
Beschäftigungsverhältnis<br />
angestellt<br />
beamtet<br />
Honorarkraft<br />
in Rente<br />
pensioniert<br />
Altersübergangsgeld<br />
arbeitslos<br />
beurlaubt ohne Bezüge<br />
teilzeitbeschäftigt mit<br />
Std./Woche<br />
im Studium<br />
ABM<br />
Vorbereitungsdienst/<br />
Berufspraktikum<br />
befristet bis<br />
Sonstiges<br />
Bitte den Antrag vollständig<br />
ausfüllen und<br />
an folgende Adresse<br />
senden:<br />
Gewerkschaft<br />
Erziehung<br />
und Wissenschaft<br />
Brigitte Stamm<br />
Reifenberger Straße 21<br />
60489 Frankfurt a. M.<br />
Fax: 069/78973-102<br />
Vielen Dank!<br />
Ihre <strong>GEW</strong><br />
Cartoon: Thomas Plaßmann
Bessere Qualität –<br />
mehr Pädagogen<br />
Ganztagsschulstudie: Individuelle Förderung ausbauen<br />
Die Angebote von Ganztagsschulen<br />
werden stärker genutzt, es müssen aber<br />
mehr personelle Ressourcen für individuelle<br />
Förderung der Schüler bereitgestellt<br />
werden*. Das sind Schlussfolgerungen<br />
aus der zweiten Erhebungswelle<br />
der jetzt veröffentlichten Studie zur<br />
Entwicklung von Ganztagsschulen<br />
(StEG). Das Ganztagsschulprogramm<br />
des Bundes, das den Ausbau<br />
von Ganztagsschulen finanziell fördert,<br />
läuft 2009 aus. Wie es danach<br />
weitergeht, ist unklar.<br />
Obwohl Ganztagsangebote<br />
zunehmend bei allen<br />
sozialen Schichten auf<br />
positive Resonanz stoßen<br />
und Eltern mit dem<br />
Ganztagsbetrieb insgesamt<br />
zufrieden sind, sehen sie Veränderungsbedarf<br />
hinsichtlich der pädagogischen<br />
Qualität: „Eltern wollen, dass<br />
ihre Kinder mehr und besser individuell<br />
gefördert werden“, stellt Eckhard Klieme<br />
vom Deutschen Institut für Internationale<br />
Pädagogische Forschung (DIPF),<br />
Frankfurt am Main, bei der Präsentation<br />
der StEG-Studie in Berlin fest. „Ganztagsschulen<br />
haben zwar erkannt, dass sie<br />
einen Bildungsauftrag haben. Allerdings<br />
setzen sie diese Erkenntnis noch<br />
zu wenig in pädagogische Praxis um“,<br />
folgert Klieme. Qualitätsunterschiede<br />
zwischen offenen und gebundenen<br />
Ganztagsschulformen ließen sich in der<br />
Praxis kaum feststellen. Man müsse<br />
wohl zur Kenntnis nehmen, dass die gebundenen<br />
Ganztagsschulen „ihr Potenzial<br />
bislang nicht ausgeschöpft haben“,<br />
kommentiert der Leiter der Studie dieses<br />
für ihn überraschende Ergebnis. Ein<br />
weiteres konzeptionelles Defizit aller<br />
Ganztagstypen: Unterricht und Nachmittagsangebote<br />
sind auch 2007 noch<br />
zu wenig verzahnt. Von der Möglichkeit,<br />
Zeit flexibler zu gestalten, so Hans-<br />
Günter Holtappels, Institut für Schulentwicklungsforschung<br />
(IFS) in Dortmund,<br />
werde „zu wenig Gebrauch gemacht“.<br />
Unabhängig von der sozialen Herkunft<br />
nutzen vor allem Grundschüler die Förderangebote<br />
heute häufiger als früher.<br />
Trotzdem werden diese – laut StEG – sowohl<br />
in der Primar- als auch in der Sekundarstufe<br />
nur von einem Drittel der<br />
Lernenden in Anspruch genommen.<br />
Zwar sind unter denen, die sich dauerhaft<br />
an den Lernangeboten beteiligen,<br />
sehr viele Kinder aus Migrantenfamilien.<br />
Ob aber Leistungsschwächere insgesamt<br />
intensivere Unterstützung bräuchten,<br />
dazu gebe die Studie, so Klieme,<br />
„derzeit keine Hinweise“. Zumindest<br />
zeigt die Untersuchung, dass es dem<br />
Ganztagsbetrieb vor allem an Personal<br />
mangelt. Ein Großteil der befragten<br />
Schulleitungen ist heute mit der personellen<br />
Ausstattung weniger zufrieden<br />
als bei der ersten Erhebung 2005.<br />
Zusammenarbeit verbessern<br />
Unzufrieden sind auch sozialpädagogische<br />
und externe Fachkräfte. Die meisten<br />
vermissen inhaltlich-konzeptionelle<br />
Absprachen im Schulalltag und plädieren<br />
für längere Anwesenheiten der Lehrkräfte.<br />
„Lediglich bei erzieherischen<br />
Problemen“ habe sich, so Thomas Rauschenbach<br />
vom Deutschen Jugendins-<br />
titut (DJI) in München, „die Zusammenarbeit<br />
verstärkt“. 72 Prozent der befragten<br />
Lehrkräfte sprechen sich für einen<br />
eigenen Arbeitsplatz in der Schule<br />
aus. Würden die finanziellen Mittel<br />
dafür bereitgestellt, könnte sich so auch<br />
die Kooperation zwischen schulischen<br />
und außerschulischen Partnern verbessern.<br />
Ein zusätzlich strukturelles Defizit:<br />
Nur etwas mehr als die Hälfte der<br />
außerschulischen Fachkräfte kooperieren<br />
mit den Schulen auf der Basis eines<br />
gemeinsamen Vertrages.<br />
Zu einer Fortführung des Ganztagsschulprogramms<br />
wollten sich die Bildungsforscher<br />
nicht äußern, das „sei Sache<br />
der Politik“ (s. Kommentar Seite<br />
34). Ob der Bildungsgipfel den Ball aufnimmt?<br />
Man darf gespannt sein, ob aus<br />
der Ankündigung von Bundesbildungsministerin<br />
Annette Schavan (CDU), der<br />
Bund sei bereit, sich am weiteren Ausbau<br />
der Ganztagsschulen – gemeint ist<br />
nicht Beton! – zu beteiligen, am 22. <strong>Oktober</strong><br />
in Dresden etwas anderes folgt als<br />
bloße Weiterfinanzierung des pädagogischen<br />
Begleitprogramms.<br />
Helga Haas-Rietschel, Redakteurin der<br />
„Erziehung &Wissenschaft“<br />
BILDUNGSPOLITIK<br />
* Die Bildungsforscher<br />
Eckhard Klieme, Hans-<br />
Günter Holtappels und<br />
Thomas Rauschenbach<br />
befragten für das Bundesministerium<br />
für Bildung<br />
und Forschung<br />
(BMBF) 323 von ursprünglich<br />
373 Schulen<br />
zu Ausbau, Nutzung<br />
und Entwicklung von<br />
Ganztagsangeboten.<br />
Davon waren 2007 22<br />
Prozent gebundene, 21<br />
Prozent teilgebundene<br />
und 57 Prozent offene<br />
Ganztagsschulen. Interviewt<br />
wurden 53929<br />
Schüler, Eltern, Schulleitungen,<br />
Lehrkräfte<br />
sowie außerschulische<br />
pädagogische Fachkräfte<br />
und Kooperationspartner.<br />
2005 sind die<br />
Ganztagsschuldaten<br />
zum ersten Mal erhoben<br />
worden.<br />
Eltern wollen bessere Qualität der Ganztagsangebote, sozialpädagogische Fachkräfte eine engere Kooperation<br />
mit den Lehrkräften, Lehrkräfte einen Arbeitsplatz in der Schule – Ergebnisse der aktuellen Ganztagsschulstudie<br />
(StEG) .<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 33<br />
Foto: dpa
BILDUNGSPOLITIK/E&W-HINTERGRUND<br />
34 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Warten auf Taten<br />
Kommentar zur Ganztagsschulstudie<br />
Bereits vor<br />
fast 30 Jahren<br />
hat die <strong>GEW</strong><br />
mit Arbeitgebern<br />
und Eltern<br />
im Westen<br />
der Republik<br />
einen gemeinsamen<br />
Aufruf verfasst<br />
und die<br />
Marianne Demmer Einführung<br />
von Ganztagsschulen<br />
gefordert. Mit wenig Resonanz.<br />
20 Jahre später, im Jahr 2002,<br />
gab es nur für knapp zehn Prozent<br />
der Schülerinnen und Schüler an allgemein<br />
bildenden Schulen ein Ganztagsangebot,<br />
überwiegend an Integrierten<br />
Gesamtschulen, einigen Privat-<br />
und Förderschulen. An Grund-,<br />
Realschulen und Gymnasien waren<br />
es lediglich jeweils um die vier Prozent<br />
der Schüler, die einen Ganztagsplatz<br />
hatten.<br />
Jahrzehntelang gelang es den Konservativen,<br />
ein traditionelles Familienbild<br />
zu konservieren (Frau zu Hause,<br />
Mann berufstätig, Mutter als Hilfslehrerin<br />
der Nation), den berufstätigen<br />
Müttern ein schlechtes Gewissen<br />
einzureden („Rabenmütter“),<br />
sie mangels Ganztagsangeboten in<br />
schlecht bezahlte Teilzeitjobs mit<br />
niedriger Rentenerwartung zu drängen<br />
und so die flächendeckende Einführung<br />
von Ganztagsschulen zu verhindern.<br />
Erst eine neue Generation gut ausgebildeter<br />
junger Frauen mit geringer<br />
Gebärneigung (auch in konservativen<br />
Kreisen), schlechte PISA-Ergebnisse,<br />
ein Bildungssystem mit der<br />
weltweit größten Chancenungleichheit<br />
und drohender Fachkräftemangel<br />
brachten das Thema Ganztagsschulen<br />
wieder auf die schulpolitische<br />
Tagesordnung. 2001 gewann die<br />
SPD damit die Landtagswahlen in<br />
Rheinland-Pfalz. 2003 legte die damalige<br />
sozialdemokratische Bundesbildungsministerin<br />
Edelgard Bulmahn<br />
das vier Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm<br />
„Zukunft Bildung<br />
und Betreuung“ (IZBB) auf,<br />
Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />
mit dem sie auch die unwilligen unionsregierten<br />
Bundesländer lockte,<br />
endlich Ganztagsangebote auf den<br />
Weg zu bringen.<br />
2009 läuft das IZBB-Programm aus.<br />
Prozentual können derzeit fast 20<br />
Prozent der Schulpflichtigen auch<br />
nachmittags in ihrer Einrichtung<br />
sein. Allerdings ist die Situation in<br />
den Bundesländern höchst unterschiedlich.<br />
Die niedrigste Versorgungsrate<br />
mit rund vier Prozent hat<br />
Bayern, die höchste erreichen mit<br />
über 30 Prozent Berlin, Hamburg,<br />
Sachsen und Thüringen. Doch auch<br />
dort ist der Bedarf an Ganztagsschulen<br />
bei weitem nicht gedeckt. Er dürfte<br />
derzeit bei deutlich über 50 Prozent<br />
liegen, Tendenz steigend. Angleichung<br />
der Bundesländer und weiterer<br />
Ausbau des Ganztags sollten also<br />
auf der politischen Agenda stehen.<br />
Das erfordert freilich einen gemeinsamen<br />
Kraftakt von Bund und Ländern.<br />
Jedoch: Bundesbildungsministerin<br />
Annette Schavan (CDU) lehnt eine<br />
weitere Förderung des Ausbaus<br />
der Ganztagsangebote aus Bundesmitteln<br />
mit dem Hinweis auf die Föderalismusreform<br />
ab, mit der sich der<br />
Bund bekanntlich selbst fesselte.<br />
Fazit: Hängepartie bei der Ganztagsschulentwicklung.<br />
Und nicht nur bezogen<br />
auf die Menge.<br />
Die zweite große Herausforderung<br />
ist die Verbesserung der Qualität. Eine<br />
bessere personelle Ausstattung ist<br />
notwendig, um für die Schülerinnen<br />
und Schüler eine maßgeschneiderte<br />
individuelle Förderung garantieren<br />
zu können. Aber auch die Zusammenarbeit<br />
von Lehrkräften und Sozialpädagogen<br />
muss sich im Interesse<br />
guter rhythmisierter Ganztagskonzepte<br />
deutlich verbessern (s. Bericht<br />
Seite 33). Morgens Lehrer und<br />
Unterricht, nachmittags die anderen,<br />
das sind Not- aber keine Dauerlösungen.<br />
Die Mühen der Ebenen<br />
sind zu bewältigen. Die Politik ist am<br />
Zug. Wir warten auf Taten, nicht auf<br />
Gipfel.<br />
Marianne Demmer,<br />
Leiterin des<br />
<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Schule<br />
Gemeinsa<br />
in nationa<br />
Bildung zwischen Europa und Klein<br />
Das Wissen und Können, das ein<br />
Mensch nach und nach im Leben erwirbt,<br />
soll überall in Europa erfassbar<br />
und vergleichbar sein. Europäischer<br />
und Deutscher Qualifikationsrahmen<br />
(EQR und DQR) sollen dies ermöglichen.<br />
Was hat das mit dem Bildungsgeschehen<br />
vor Ort zu tun?<br />
Vier Beispiele:<br />
Bonner Hauptschüler bekommen<br />
die frisch erworbene<br />
Computer-, Wirtschaftsund<br />
Sozialkompetenz im<br />
„Europäischen Zertifikat<br />
zur Berufsqualifikation“ bescheinigt.<br />
Jens aus Chemnitz, der eine Ausbildung<br />
zum Trockenbauer macht, hat zwei Wochen<br />
bei den Experten für Natursteinmauerwerk<br />
in Nordirland gearbeitet.<br />
Seine neu erworbenen Kenntnisse sind<br />
im „Europass“ dokumentiert.<br />
Die TU Braunschweig bietet den Studierenden<br />
250 Partnerhochschulen an –<br />
von Belgien bis in die Türkei – mit denen<br />
die wechselseitige Anrechnung von<br />
Leistungspunkten nach dem „European<br />
Glossar<br />
Europäischer Qualifikationsrahmen für<br />
lebenslanges Lernen (EQR)<br />
Mit dem EQR – verabschiedet im Januar<br />
<strong>2008</strong> – gibt die EU-Kommission einen<br />
Rahmen für die Anerkennung von Qualifikationen<br />
im Bereich der allgemeinen und<br />
beruflichen Bildung vor. Europaweit soll<br />
damit eine größere Transparenz der Befähigungsnachweise<br />
hergestellt werden.<br />
Berücksichtigt wird der Bologna-Prozess,<br />
der u. a. zu einem Qualifikationsrahmen<br />
und zu einem Punktebewertungssystem –<br />
zum European Credit Transfer and Accumulation<br />
System (ECTS) – für die Hochschulen<br />
geführt hat. Intendiert ist, dass der<br />
EQR zum gemeinsamen Bezugsrahmen<br />
sowohl für berufliche als auch tertiäre Bildung<br />
wird. Mit seinen acht Niveaustufen<br />
soll der EQR ein Übersetzungsinstrument
me Währung<br />
ler Münze<br />
staaterei<br />
E&W-HINTERGRUND<br />
Künftig mehr Mobilität in der Bildung? Mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen<br />
kommt Bewegung ins Spiel: Kompetenz soll bis 2012 europaweit<br />
vergleichbar sein.<br />
Credit Transfer System“ (ECTS)<br />
vereinbart ist.<br />
Im „Ankom-Projekt“ wird ausgelotet,<br />
wie man berufliche Kompetenzen<br />
auf Hochschulstudiengänge<br />
anrechnen kann. Es geht auf den<br />
vier Feldern Gesundheit und Soziales,<br />
Ingenieur-, IT- und Wirtschaftswissenschaften<br />
nicht nur um die<br />
zwischen den Bildungs- und Qualifikationssystemen<br />
der Mitgliedsstaaten<br />
sein. Die EU-Mitgliedsstaaten<br />
sollen ihre nationalen<br />
Qualifikationssysteme bis 2010 an<br />
den EQR koppeln.<br />
Deutscher Qualifikationsrahmen<br />
(DQR)<br />
Nach Beschluss der Bundesregierung<br />
2007 soll der DQR die Voraussetzungen<br />
dafür schaffen, den<br />
EQR umzusetzen. Der DQR<br />
stellt eine Relation der in<br />
Deutschland erworbenen und angebotenen<br />
Kompetenzen und<br />
Qualifikationen zu den acht Niveaustufen<br />
des EQR her und definiert<br />
dafür Deskriptoren (Beschreibungen<br />
der Lernergebnisse),<br />
die den Besonderheiten des<br />
deutschen Systems Rechnung tragen<br />
müssen.<br />
Feststellung des Wertes von Qualifikationen,<br />
die durch Prüfungen<br />
nachgewiesen sind, sondern auch<br />
um jene, die im beruflichen Alltag<br />
„nebenher“ erworben werden.<br />
Ambitionierter Anspruch<br />
Der „Bologna-Prozess“ hinterlässt<br />
seit 1999 Spuren im deutschen Bil-<br />
ECVET (European Credit System for<br />
Vocational Education)<br />
Als Ergänzung zum EQR wird auf<br />
EU-Ebene an einem Punktesystem<br />
für die Berufliche Bildung gearbeitet,<br />
mit dem sämtliche Kompetenzen bewertet<br />
werden sollen. Die EU-Kommission<br />
hat bereits im April <strong>2008</strong> eine<br />
Empfehlung an das Europäische Parlament<br />
und den EU-Rat beschlossen.<br />
ECTS (European Credit Transfer and<br />
Accumulation System)<br />
Das ECTS soll sicherstellen, dass die<br />
Leistungen von Studierenden an europäischen<br />
Hochschulen vergleichbar<br />
und bei einem Wechsel von einer<br />
Einrichtung zur anderen, auch grenzüberschreitend,<br />
anrechenbar sind.<br />
Stephanie Odenwald, Leiterin des <strong>GEW</strong>-<br />
Organisationsbereichs<br />
Berufliche Bildung und Weiterbildung<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 35
E&W-HINTERGRUND<br />
Weitere Infos:<br />
Grundsätzliches zum<br />
DQR:<br />
http://www.bmbf.de/de<br />
/12189.php<br />
DQR-Vorschlag Gewerkschaften<br />
und Arbeitgeber:http://berufsbildungspolitik.verdi.de/berufsbildung/dqr/data/<br />
8juli_entwurf-dqr_<br />
tabellen.doc sowie<br />
www.innovet-eu.com<br />
unter<br />
Downloads/EQF,NQR,<br />
DQR – Positionen und<br />
Beiträge zur Meinungsbildung<br />
dungswesen – in Schule und Berufsbildung,<br />
Hochschule und Weiterbildung.<br />
Das Ziel, die EU bis 2010 „zum wettbewerbsfähigsten<br />
und dynamischsten wissensbasierten<br />
Wirtschaftsraum der Welt<br />
zu machen“, ist ein ambitionierter und<br />
zugleich problematischer Anspruch.<br />
Nun kommt Bewegung ins Spiel: Nach<br />
langen Vorarbeiten hat das EU-Parlament<br />
den „Europäischen Qualifikationsrahmen“<br />
beschlossen, mit dem berufliche<br />
Kompetenz bis 2012 europaweit<br />
vergleichbar sein soll. Auf acht Referenzniveaus<br />
wird Handlungskompetenz<br />
beschrieben. Die Spanne reicht, salopp<br />
gesagt, von dem, was ein Pflichtschulabschluss<br />
dokumentiert bis zum<br />
Ergebnis akademischer Weihen. Jetzt<br />
sollen die Mitgliedsländer diese gemeinsame<br />
Währung in nationale Münze umwandeln.<br />
Föderalismus-Falle<br />
Ein erster Durchbruch für einen „Deutschen<br />
Qualifikationsrahmen“ gelang im<br />
Sommer: Gewerkschaften, Arbeitgeber<br />
und Bundesländer einigten sich auf eine<br />
ebenfalls acht Stufen umfassende Matrix.<br />
Was dieser Schritt tatsächlich wert ist,<br />
muss sich noch erweisen. Denn abgesehen<br />
von vielen Fragen, die das Selbstverständnis<br />
einer öffentlich verantworteten<br />
Bildung für alle betreffen (vgl. Interview<br />
Seite 37), droht der Föderalismus<br />
zur Falle zu werden. Jedenfalls<br />
dann, wenn man die Antwort ernst<br />
nimmt, mit der die Bundesregierung am<br />
30. <strong>Oktober</strong> 2007 auf eine Anfrage der<br />
FDP-Fraktion reagierte.<br />
Die Liberalen wollten wissen, ob sich<br />
der DQR auf die Ausgestaltung schulischer<br />
Bildungsinhalte und -gänge auswirkt,<br />
ob er die Vergleichbarkeit der<br />
Schulabschlüsse und die deutschlandweite<br />
Mobilität fördern wird. Die Antwort<br />
der Bundesregierung lautete<br />
schlicht: „Für diese Fragen tragen die<br />
Länder Verantwortung.“<br />
Im Klartext heißt das: Auf EU-Ebene<br />
strebt Deutschland größere Durchlässigkeit,<br />
Transparenz und Gleichwertigkeit<br />
in der Bildung an. Im Inland dagegen<br />
feiert die Kirchturmpolitik fröhliche<br />
Urständ’. Es besteht die Gefahr einer<br />
Parallelentwicklung: Hier die Bundesländer,<br />
die weiter ihrer Gartenzwergmentalität<br />
frönen, dort private und betriebliche<br />
Bildungsinstitute, die erzielte<br />
Lernergebnisse in europäischen Zertifikaten<br />
und Bildungspässen bestätigen –<br />
an landesabhängigen Vorschriften vorbei.<br />
36 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Helga Ballauf, freie Journalistin<br />
Kind europäischer Bildungspolitik<br />
Kommentar: Deutscher Qualifikationsrahmen in der Diskussion<br />
Der Deutsche Qualifikationsrahmen<br />
(DQR) ist ein Kind der europäischen<br />
Bildungspolitik und ihrer neuen<br />
Steuerungsphilosophie. Nach den<br />
europäischen Vorgaben (Europäischer<br />
Qualifikationsrahmen [EQR])<br />
sollen die EU-Mitgliedsstaaten freiwillig<br />
Zielvereinbarungen festlegen<br />
und diese auf nationaler Ebene umsetzen.<br />
Klar ist:<br />
Von Brüssel<br />
geht eine Dynamik<br />
aus, die<br />
nicht unterschätzt<br />
werden<br />
darf. Das zeigt<br />
der Bologna-<br />
Prozess, der<br />
das Studium in<br />
Deutschland<br />
innerhalb eines<br />
knappen Stephanie Odenwald<br />
Jahrzehnts<br />
nachhaltig verändert hat: verschärfter<br />
Zeitdruck, Aufteilung in Bachelor-<br />
und Master-Studiengänge, konsequente<br />
Modularisierung der Studienfächer.<br />
Mit Blick auf die Berufliche<br />
Bildung sind ähnliche Entwicklungen<br />
denkbar: Kurzausbildungsgänge,<br />
kleinteilige Ausbildung in Modulen<br />
für Billig-Arbeitskräfte. Die Folgen<br />
des DQR für Bildung und Beruf darf<br />
man nicht unterschätzen. Fatal wäre,<br />
wenn die Diskussion über den DQR<br />
nur auf Expertenkreise beschränkt<br />
bliebe. Sie muss in allen Bildungseinrichtungen<br />
– gerade auch in den<br />
Schulen – geführt werden. Zwar ist<br />
das Thema Europa im Unterricht<br />
präsent, machen die Schüler Auslandserfahrungen,<br />
werden Kinder<br />
und Jugendliche im Schulalltag fit für<br />
Europa gemacht. Trotzdem ist der<br />
DQR noch weit weg von der Schulrealität.<br />
Aber: Die politischen Entscheidungen<br />
fallen heute. Zum Beispiel,<br />
wie Lernergebnisse und erworbene<br />
Kompetenzen aus den verschiedenen<br />
Bildungsgängen im DQR<br />
berücksichtigt und eingestuft werden.<br />
Bereits 2012 sollen diese in Abgangszeugnisse<br />
und Zertifikate einfließen.<br />
An der Expertendebatte über die Inhalte<br />
des DQR sind nach einigem<br />
Tauziehen sowohl Vertreter des<br />
DGB, darunter die <strong>GEW</strong>, als auch<br />
der verschiedenen Bildungsinstitutionen<br />
beteiligt. Zurzeit wird diskutiert,<br />
wie die geplanten Acht-Niveau-<br />
Stufen (s. auch Kasten Seiten 34/35)<br />
nach Wissen, Fertigkeiten, sozialen<br />
und individuellen Kompetenzen aufgeschlüsselt<br />
werden. Dieses Raster<br />
entscheidet über Bildungskarrieren.<br />
Deshalb ist<br />
Wachsamkeit<br />
geboten. Denn<br />
nicht nur die<br />
Experten sollten<br />
wissen, was<br />
gemeint ist,<br />
sondern die<br />
Praktiker sollen<br />
damit ar-<br />
Foto: Christian v. Polentz / transit Berlin<br />
beiten können.<br />
Die <strong>GEW</strong> will,<br />
dass die Gleichwertigkeitallgemeiner<br />
und beruflicher Bildung<br />
durchgängiges Prinzip im Bildungssystem<br />
wird. Folglich darf nicht nur<br />
kognitives Wissen beschrieben werden.<br />
Eine weitere Forderung: Alle<br />
Niveaustufen sollen für Absolventinnen<br />
und Absolventen der unterschiedlichen<br />
Bildungswege offen<br />
sein. Nach wie vor ist jedoch die<br />
Kluft zwischen akademischer und<br />
beruflicher Ausbildung nicht überwunden.<br />
Gerade einmal ein Prozent<br />
der Studierenden ist nach einer beruflichen<br />
Qualifikation an die Hochschule<br />
gekommen. Die im Grundsatzpapier<br />
deklarierte Durchlässigkeit<br />
muss auch Folgen für die Bildungspraxis<br />
haben. Deshalb sind die<br />
Barrieren und selektiven Schulstrukturen<br />
im Bildungssystem abzubauen<br />
und zu überwinden. Sonst bleiben<br />
Mobilität und Chancengleichheit eine<br />
Fata Morgana. Die <strong>GEW</strong> hält deshalb<br />
eine intensive und nicht unter<br />
Zeitdruck stehende Auseinandersetzung<br />
für unabdingbar. Doch Bundesbildungsministerium<br />
(BMBF) und<br />
Kultusministerkonferenz (KMK) verfolgen<br />
das ehrgeizige Ziel, bereits im<br />
Frühjahr 2009 den DQR in der Praxis<br />
zu erproben.<br />
Stephanie Odenwald, Leiterin des<br />
<strong>GEW</strong>-Organisationsbereichs Berufliche<br />
Bildung und Weiterbildung
E&W-HINTERGRUND<br />
„Weniger auf Abschlüsse fixiert“<br />
Interview mit Bildungsforscher Harry Neß über europaweite Kompetenzmessung<br />
Der Europäische und der Deutsche<br />
Qualifikationsrahmen (EQR, DQR)<br />
können traditionelle Bildungsstrukturen<br />
aufbrechen. Sie können Individuen<br />
befähigen, ihr gesamtes Potenzial<br />
zu erkennen und in Beruf, Familie<br />
und Gesellschaft einzubringen. Davon<br />
ist Harry Neß überzeugt. Der Wissenschaftler<br />
am Deutschen Institut für Internationale<br />
Pädagogische Forschung<br />
(DIPF) kennt sich bei der Zertifizierung<br />
nicht-formalen und informellen<br />
Lernens aus. Er hat maßgeblich den<br />
Profilpass mitentwickelt, ein Instrument<br />
zur Selbstbilanzierung von<br />
Kompetenzen.<br />
E&W: Befürworter des DQR sprechen allein<br />
dem Vorliegen eines achtstufigen Qualifikationsrahmens<br />
„bildungsreformerische Kraft“<br />
zu. Teilen Sie das?<br />
Harry Neß: Dass alle europäischen<br />
Staaten eine gemeinsame Sprache für<br />
die Anerkennung von Qualifikationen<br />
suchen, ist bereits ein Wert an sich. Das<br />
hilft beim Abbau von manch standespolitischer<br />
Borniertheit, das bricht die<br />
strikte Trennung von Bildung und Beschäftigung,<br />
von hochschulischer, allgemeiner<br />
und beruflicher Bildung auf. Ein<br />
einheitliches Übersetzungsinstrument<br />
für Kompetenzen und Qualifikationen<br />
wird Rückwirkungen auf Curricula und<br />
Prüfungen in Deutschland haben. Die<br />
Effekte werden bis ins allgemein bildende<br />
Schulwesen reichen.<br />
E&W: Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter<br />
im nationalen Arbeitskreis zum DQR<br />
haben einen gemeinsamen Vorschlag vorgelegt:<br />
acht Stufen – vom Hilfsarbeiter bis zur<br />
Universitätsdozentin?<br />
Neß: Es ist gut, dass die Sozialpartner<br />
eine gemeinsame Haltung gefunden haben,<br />
um ihr Gewicht gegenüber den anderen<br />
Akteuren, dem Bundesbildungsministerium<br />
(BMBF), dem Bundesinstitut<br />
für Berufliche Bildung (BIBB) und<br />
der Kultusministerkonferenz (KMK),<br />
zu stärken. Vernünftig ist, an die acht<br />
Stufen des EQR anzuknüpfen, Prozesse<br />
des lebenslangen Lernens zu beschreiben<br />
und weniger auf Abschlüsse fixiert<br />
zu sein. Außerdem ist es differenziert<br />
gedacht, Fachkompetenz in Wissen und<br />
Fertigkeiten zu unterteilen sowie perso-<br />
nale Kompetenz in Sozial- und Selbstkompetenz<br />
aufzuschlüsseln.<br />
E&W: Richtig anschaulich ist die Matrix<br />
nicht: Hängt nicht alles an der Frage, auf<br />
welcher Stufe sich eine Facharbeiterin oder<br />
ein Hochschulabsolvent einordnen lässt?<br />
Neß: Ich plädiere dafür, Abschlüsse erst<br />
im zweiten Schritt zuzuordnen. EQR<br />
und DQR sind keine Kategorien der Bildungsforschung.<br />
Es sind Übersetzungsinstrumente,<br />
deren Form und Inhalt politisch<br />
entschieden wird. Fragen gibt es<br />
noch genug: Auf welche Stufe gehört<br />
das Übergangssystem zwischen Schule<br />
und Beruf? Wohin gehört ein Techniker<br />
mit Fachschulabschluss, der im Betrieb<br />
wie ein Masterabsolvent arbeitet? Und<br />
vor allem: Wie lässt sich individuelle<br />
Differenz in streng hierarchischen Niveaustufen<br />
einordnen? Ich meine die<br />
Fälle, in denen hohe Fachkompetenz<br />
nicht unbedingt mit starker Sozialkompetenz<br />
einhergeht – und umgekehrt. Da<br />
ist noch viel Klärungsbedarf. Bis hin zur<br />
Frage, ob sich so etwas wie Reflexionsfähigkeit<br />
oder Selbstkompetenz überhaupt<br />
objektiv messen lassen...<br />
E&W: Welche Vorteile haben EQR und<br />
DQR?<br />
Neß: Sie können dazu beitragen, das<br />
formale und das informelle Lernen besser<br />
zu verzahnen. Das führt zu einer<br />
Aufwertung von Berufserfahrung, von<br />
Ehrenamt oder Familientätigkeit und<br />
erleichtert berufliche Wiederein- und<br />
Umstiege.<br />
E&W: Die Absicht, es komme auf die Qualifikationen<br />
an und nicht auf den Weg, auf dem<br />
sie erworben wurden, birgt auch Risiken...<br />
Neß: ...dann, wenn dem Individuum<br />
die Verantwortung für das Lernen und<br />
die Ergebnisse ganz alleine aufgebürdet<br />
wird. Um das zu verhindern, ist bundesweit<br />
dreierlei nötig: Eine regionale Vernetzung<br />
der Bildungsinstitutionen, eine<br />
flächendeckende Bildungsberatung und<br />
staatlich verantwortete Dokumentations-,<br />
Anerkennungs- und Bewertungsverfahren.<br />
E&W: Gibt es Instrumente, um beispielsweise<br />
den Wert von Zertifikaten oder Portfolios<br />
zu messen, in denen Einzelne informelle<br />
Kompetenzen dokumentieren?<br />
Neß: Parallel zur Einigung auf einen nationalen<br />
Qualifikationsrahmen muss<br />
dafür Entwicklungsarbeit geleistet werden.<br />
Es gibt bereits Forschungsprojekte<br />
zur Kompetenzerfassung, zu Portfolio-<br />
Foto: dpa<br />
verfahren und zur Bildungsberatung. Wir<br />
können auf Erfahrungen aus Irland,<br />
Frankreich oder Australien zurückgreifen.<br />
Bei uns gibt es bereits branchenbezogene<br />
Qualifikationsrahmen, etwa in der<br />
Chemieindustrie oder in der sozialen Arbeit.<br />
Ich bin überzeugt, dass die verantwortlichen<br />
Akteure sehen, dass der DQR<br />
nicht ohne wissenschaftliche Expertise<br />
einfach als Verwaltungsakt verordnet werden<br />
kann. Es ist noch eine riesige – auch<br />
finanzielle – Kraftanstrengung nötig, um<br />
die nächsten Schritte zu gehen.<br />
E&W: Funkt der Föderalismus dazwischen?<br />
Neß: Gegenüber der EU sind Bund und<br />
Länder gemeinsam zuständig. Für ein<br />
gutes Unterstützungssystem zum DQR<br />
muss die Kultusministerkonferenz<br />
(KMK), müssen die Länder sorgen. Was<br />
allgemein bildende Schulen angeht,<br />
bleibt noch viel zu tun. Ich vertraue<br />
nach der Föderalismusreform auf die<br />
Selbstverpflichtung der Bundesländer.<br />
Nicht nur aus demographischen Aspekten<br />
wird man demnächst viel stärker auf<br />
die Menschen zugehen müssen, um sie<br />
im Beschäftigungssystem zu halten.<br />
E&W: Noch beschränkt sich die Debatte um<br />
EQR und DQR auf Expertenkreise.<br />
Neß: Es ist tatsächlich häufig ein Versäumnis<br />
der EU-Politik, die Menschen<br />
nicht frühzeitig bei Veränderungsprozessen<br />
mitzunehmen. Für die Max-Traeger-Stiftung<br />
befragen wir im Spätherbst<br />
engagierte Lehrkräfte zu ihren Erwartungen<br />
und zu den vermuteten Konsequenzen<br />
des DQR für ihre Arbeit. Da<br />
werden dann erstmals die Betroffenen<br />
einbezogen.<br />
Interview: Helga Ballauf, freie Journalistin<br />
„Dass alle europäischenStaaten<br />
eine gemeinsame<br />
Sprache für<br />
die Anerkennung<br />
von Qualifikationen<br />
suchen, ist<br />
bereits ein Wert<br />
an sich.“<br />
Harry Neß,<br />
Bildungsforscher<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 37<br />
Foto: privat
HOCHSCHULE UND FORSCHUNG<br />
Einer deregulierten<br />
Hochschule<br />
will die <strong>GEW</strong> eine<br />
demokratische<br />
Alternative entgegensetzen:<br />
„Mehr Autonomie<br />
für die Hochschulen<br />
muss einhergehen<br />
mit einer<br />
inneren Demokratisierung<br />
durch<br />
mehr Beteiligung<br />
der Hochschulmitglieder.“<br />
(*) Eine Gemeinschaftsveranstaltung<br />
der Hans-<br />
Böckler-Stiftung (HBS),<br />
des Deutschen Studentenwerkes<br />
(DSW) und<br />
der <strong>GEW</strong>.<br />
Demokratische Alternative<br />
Der vorherrschenden betriebswirtschaftlichen<br />
Interpretation von Hochschulautonomie<br />
setzen die Gewerkschaften<br />
das Leitbild einer demokratisch<br />
verfassten Hochschule entgegen.<br />
Alternativen zur „unternehmerischen<br />
Hochschule“ sind auf der<br />
zweiten <strong>GEW</strong>-Wissenschaftskonferenz(*)<br />
unter dem Motto „Innovation<br />
durch Partizipation – Steuerung von<br />
Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />
im 21. Jahrhundert“ im<br />
niedersächsischen Papenburg ausgelotet<br />
worden.<br />
38 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
<strong>GEW</strong>-Wissenschaftskonferenz: Innovation durch Partizipation<br />
Mehr Autonomie für<br />
die Hochschulen<br />
muss einhergehen<br />
mit einer inneren<br />
Demokratisierung<br />
durch mehr Beteiligung<br />
der Hochschulmitglieder“, brachte<br />
<strong>GEW</strong>-Hochschulexperte Andreas Keller<br />
den gewerkschaftlichen Anspruch an<br />
die Organisation einer Hochschule auf<br />
den Punkt. Der Trend geht allerdings in<br />
eine andere Richtung. Sowohl die öffentliche<br />
Hand als auch die akademische<br />
Selbstverwaltung haben zu Gunsten<br />
der Hochschulleitungen und<br />
Hochschulräte an Einfluss verloren.<br />
Seit der vierten Novelle des Hochschul-<br />
rahmengesetzes (HRG) 1998 bestimmen<br />
die Länder die Organisationsstrukturen<br />
ihrer Hochschulen weitgehend<br />
selbst. Fast alle setzen dabei auf Hochschulräte,<br />
deren Mitglieder zumindest<br />
zu einem Teil nicht aus den Hochschulen,<br />
sondern aus Wirtschaft, Wissenschaft<br />
und Kultur kommen. „Die Gewerkschaften<br />
haben die Entwicklung<br />
von Hochschulräten leider verschlafen“,<br />
kritisierte Manfred Wannöffel, Leiter<br />
der Gemeinsamen Arbeitsstelle Ruhr<br />
Universität Bochum – IG Metall. Stattdessen<br />
hat die Privatwirtschaft den Freiraum<br />
nach dem Rückzug des Staates aus<br />
der Detailsteuerung der Hochschulen<br />
für sich genutzt, zeigt z. B. die Studie<br />
Foto: David Ausserhofer
„Hochschulräte als neues Steuerungsinstrument?“<br />
der Hans-Böckler-Stiftung<br />
(HBS).<br />
Externe Hochschulräte<br />
Im Schnitt kommt jeweils ein Drittel der<br />
externen Hochschulräte aus der Wirtschaft<br />
und aus der Wissenschaft. Das<br />
geht aus der Untersuchung von Jörg Bogumil<br />
und Rolf Heinze hervor. Nur drei<br />
Prozent sind Gewerkschaftsvertreter. An<br />
Fachhochschulen, Technischen Universitäten<br />
und Privathochschulen liegt der<br />
Anteil der Repräsentanten der Wirtschaft<br />
sogar bei knapp der Hälfte. Dort<br />
dominieren die Vertreter kleiner und<br />
mittlerer Unternehmen mit regionalem<br />
Bezug. „Gerade bei den technischen<br />
Fachhochschulen stellen diese regionalen<br />
Unternehmen einen bedeutenden<br />
Faktor als Arbeitgeber für Absolventen<br />
dar, deren Einbezug in den Hochschulrat<br />
aus diesem Blickwinkel nachvollziehbar<br />
ist“, heißt es in der Studie.<br />
Arbeitgeber und Dienstherr<br />
Nachhaltig den Arbeitgebereinfluss zu<br />
sichern, ist die Intention der „Leitlinien<br />
für die deregulierte Hochschule“, die der<br />
Stifterverband für die deutsche Wissenschaft<br />
vorgelegt hat. „Wenn der Staat sich<br />
zurückzieht, bieten wir den Hochschulleitungen<br />
Hilfe, den Freiraum zu füllen“,<br />
erläuterte Mathias Winde, Programmleiter<br />
Hochschulreform beim Stifterverband.<br />
Hochschulen sollen demnach<br />
künftig Arbeitgeber, Dienstherr und Tarifpartner<br />
aller Mitarbeiter sein und die<br />
Höhe der Gehälter selbst festsetzen können.<br />
Mitbestimmung spielt in den „Leitlinien“<br />
keine Rolle. „Die Ausgestaltung<br />
der Partizipation ist je nach Zielsetzung<br />
der Hochschule unterschiedlich ausgeprägt“,<br />
heißt es lapidar.<br />
Dagegen ist der <strong>GEW</strong>-Entwurf für ein<br />
neues wissenschaftspolitisches Programm,<br />
das auf dem Gewerkschaftstag<br />
Ende April 2009 in Nürnberg beschlossen<br />
werden soll, von der Überzeugung<br />
geprägt, „dass nicht die Anpassung an<br />
die unternehmerische Hochschule,<br />
sondern die Orientierung auf ein Leitbild<br />
für eine alternative Hochschulentwicklung<br />
der richtige Weg ist.“ Mit der<br />
unternehmerischen Einrichtung werde<br />
nicht mehr Autonomie der Hochschule<br />
als Ganzes erreicht, sondern die jeweilige<br />
Hochschulleitung gegenüber<br />
den Gremien und Mitarbeitern gestärkt.<br />
Staatliche Aufgaben blieben daher:<br />
die Verantwortung für die Finanzierung<br />
der Hochschulen, die Gewährleistung<br />
des freien Hochschulzugangs,<br />
das Prüfungs- und Prüfungsorganisationsrecht,<br />
die soziale Absicherung des<br />
Studiums und die gesetzliche Regelung<br />
der Aufgaben der Hochschulen, ihrer<br />
Personalstruktur sowie der Mitbestimmung.<br />
Den Einfluss demokratisch<br />
nicht legitimierter Hochschulräte will<br />
die <strong>GEW</strong> zu Gunsten eines Hochschulkuratoriums<br />
zurückdrängen. „Die<br />
Wirtschaft soll beteiligt sein, aber auch<br />
andere gesellschaftliche Gruppen“, erklärte<br />
Keller.<br />
Als Bündnispartner für mehr Mitbestimmung<br />
hat Keller die Länderparlamente<br />
auserkoren. Sie sollen den durch<br />
die Föderalismusreform entstandenen<br />
Gestaltungsspielraum zur Stärkung der<br />
Mitbestimmung an den Hochschulen<br />
nutzen. Denn zum 1. <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong><br />
Keine Leuchttürme der Mitbestimmung<br />
Die Exzellenzinitiative hat die deutsche<br />
Hochschul- und Forschungslandschaft<br />
kräftig umgekrempelt. Die geförderten<br />
„Leuchttürme“ entwickeln,<br />
was die Mitbestimmung angeht, allerdings<br />
noch wenig Strahlkraft, wie Beispiele<br />
aus Karlsruhe und Berlin zeigen.<br />
„Wir schaffen einen Forschungsstandort<br />
mit großer internationaler Ausstrahlung<br />
– und zugleich ein Zukunftsmodell<br />
für Deutschland“, freute sich<br />
Bundesbildungsministerin Annette<br />
Schavan (CDU) zum Abschluss der<br />
Gründungsgespräche zum Karlsruhe<br />
Institute of Technology (KIT) Ende Februar<br />
<strong>2008</strong>. Die Mitbestimmung<br />
scheint die Ministerin nicht gemeint zu<br />
haben. Es zeichnet sich ab, dass die Be-<br />
schäftigten bei der Fusion des Forschungszentrums<br />
Karlsruhe (FZK) und<br />
der Technischen Hochschule Karlsruhe<br />
mit Verschlechterungen rechnen müssen.<br />
Das KIT soll wie ein privates Unternehmen<br />
geführt werden, aber als<br />
Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />
organisiert sein. Die Mitbestimmungsrechte<br />
der wissenschaftlichen und<br />
nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter in<br />
Laboren, Werkstätten und der Verwaltung<br />
würden dadurch ins Hintertreffen<br />
geraten, erwartet FZK-Betriebsratsvorsitzender<br />
Wolfgang Eppler. Zusammen<br />
mit den Gewerkschaften verlangt Eppler,<br />
alle Beschäftigten dem Betriebsverfassungsrecht<br />
zu unterwerfen, das stärkere<br />
Mitbestimmungsrechte vorsieht.<br />
HOCHSCHULE UND FORSCHUNG<br />
Studis, aufgepasst!<br />
Gemeinsam mit der Frankfurter Rundschau bietet die<br />
<strong>GEW</strong> am 31. <strong>Oktober</strong> <strong>2008</strong> von 14 bis 17 Uhr eine BAföG-<br />
Hotline für Studierende zu folgenden Themen an:<br />
● Unter welchen Bedingungen erhalte ich BAföG?<br />
● Welche Ausbildungen werden gefördert?<br />
● Wie viel darf ich dazu verdienen?<br />
Weitere Informationen: Tel. 069/2199-3084/-3085/-3088<br />
E-Mail: Bildung@fr-online.de<br />
läuft das Hochschulrahmengesetz<br />
(HRG) aus. Abgesehen von Zulassung<br />
und Abschlüssen entscheiden dann die<br />
Länder über das Dienstrecht. Die <strong>GEW</strong><br />
verlangt, dass über alle Fragen, die den<br />
verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich<br />
von Forschung und Lehre nicht<br />
betreffen, paritätisch besetzte Gremien<br />
entscheiden.<br />
Udo van Lengen,<br />
Redakteur Zweiwochendienst<br />
Keine Mitspracherechte hätten auch<br />
die Promovenden an der Dahlem Research<br />
School der FU Berlin, so André<br />
Lottmann, Mitglied der <strong>GEW</strong>-Projektgruppe<br />
Doktoranden. Lottmann promoviert<br />
an der mit Exzellenzgeldern<br />
geförderten Graduiertenschule, an der<br />
rund 300 der etwa 700 Promovenden<br />
eingeschrieben sind. „Von Vorteil ist<br />
aber, dass wir nicht die Individualpromotion<br />
durchlaufen und dadurch weniger<br />
abhängig von Doktorvater oder -<br />
mutter sind.“ Die Gruppe der Promovierenden<br />
in der <strong>GEW</strong> befürwortet eine<br />
Vereinigung aller Doktoranden unter<br />
dem Dach von Graduiertenzentren.<br />
Udo van Lengen,<br />
Redakteur Zweiwochendienst<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 39<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
<strong>GEW</strong>-Hochschuldokumentation<br />
„Vom Studentenberg<br />
zum Schuldenberg?“<br />
lautete das Motto der<br />
ersten <strong>GEW</strong>-Wissenschaftskonferenz.<br />
Ihre<br />
Beiträge dokumentiert<br />
ein Sammelband, der in<br />
der Reihe „<strong>GEW</strong>-Materialien<br />
aus Hochschule<br />
und Forschung“ <strong>2008</strong><br />
erschienen ist.<br />
Andrea Adams/Andreas<br />
Keller (Hrsg.): Vom Studentenberg<br />
zum Schuldenberg?<br />
Perspektiven der<br />
Hochschul- und Studienfinanzierung.<br />
wbv (Bielefeld)<br />
<strong>2008</strong>, 29,80 Euro.<br />
<strong>GEW</strong>-Mitglieder profitieren<br />
vom Herausgeberrabatt<br />
in Höhe von 30 Prozent:<br />
Bestellungen bitte an<br />
Christine Sturm,<br />
Tel. 069/789 73-312,<br />
E-Mail:<br />
christine.sturm@gew.de.
HOCHSCHULE UND FORSCHUNG<br />
„Der Markt ist leergefegt“<br />
Interview mit Klaus-Jürgen Tillmann zum „Datenreport <strong>2008</strong>"<br />
Alle vier Jahre legt die Deutsche Gesellschaft<br />
für Erziehungswissenschaft<br />
(DGfE) die aktuellen Strukturdaten<br />
für ihre Disziplin vor. Veränderungsprozesse,<br />
wie sie durch die Einführung<br />
der Bachelor-Master-Studiengänge in<br />
Gang kamen, werden damit auch<br />
quantitativ dokumentiert. E&W<br />
sprach mit Klaus-Jürgen Tillmann,<br />
einem der Herausgeber des Reports,<br />
den Max-Traeger- und Hans-Böckler-<br />
Stiftung finanziert haben.<br />
E&W: Der letzte Datenreport ist 2004 erschienen,<br />
jetzt gibt es die Fortschreibung in einem<br />
neuen Band. Wie hat sich die Erziehungswissenschaft<br />
seither entwickelt?<br />
Klaus-Jürgen Tillmann: Wenn wir auf<br />
die studentische Nachfrage schauen,<br />
zeigt sich eine Stabilisierung auf hohem<br />
Niveau. Die Zahl der Absolventen im<br />
Hauptfach (Dipl-Päd.) ist mit knapp<br />
5000 pro Jahr ziemlich fest. Hinzu kommen<br />
noch rund 25 000 angehende Lehrerinnen<br />
und Lehrer, so dass wir insgesamt<br />
seit Jahren etwa 30 000 erziehungswissenschaftlich<br />
Ausgebildete auf den<br />
Arbeitsmarkt entlassen.<br />
40 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
E&W: Das Fach ist damit eines der beliebtesten<br />
insgesamt. Spiegelt sich das denn auch in<br />
der Ausstattung der Hochschulen wider?<br />
Tillmann: Nein, überhaupt nicht. Parallel<br />
zu der hohen Studierendenzahl<br />
erleben wir seit 15 Jahren einen kontinuierlichen<br />
Personalabbau. Zwischen<br />
1998 und 2006 sank die Zahl der Professuren<br />
von 1133 auf 843. Wenn man den<br />
heutigen Stand mit dem Anfang der<br />
1980er-Jahre vergleicht, haben wir sogar<br />
40 Prozent weniger Professuren. Wir erleben<br />
eine dramatische Entwicklung,<br />
bei der wir Jahr für Jahr weniger Ressourcen<br />
für die Betreuung der Studierenden<br />
zur Verfügung haben. Wenn<br />
man dann noch die zunehmende Betreuungsintensität<br />
durch die Einführung<br />
von Bachelor und Master<br />
berücksichtigt, zeigt sich: Es gibt wohl<br />
kein anderes Fach, in dem so massiv<br />
Personal abgebaut worden ist.<br />
E&W: Das klingt so, als würde die Erziehungswissenschaft<br />
zu einer reinen Ausbildungsdisziplin<br />
ohne wissenschaftliche Weiterentwicklung<br />
verkümmern.<br />
Tillmann: Das ist ja ein weit verbreitetes<br />
Vorurteil, dass man in der Pädagogik<br />
kaum forsche. Aber das Gegenteil ist<br />
richtig: In den vergangenen zehn Jahren<br />
ist die Forschungsleistung massiv angestiegen,<br />
seit 1995 ist etwa die Zahl der<br />
eingeworbenen Drittmittel verdreifacht<br />
und die der Promotionen nahezu verdoppelt<br />
worden. Die Leistungen in Forschung<br />
und Lehre sind absolut vorzeigbar.<br />
E&W: Wo liegen die größten Herausforderungen<br />
für die Zukunft?<br />
Tillmann: Vor allem im anstehenden<br />
Generationenwechsel. Allein zwischen<br />
2007 und 2010 werden aus Altersgründen<br />
bundesweit 173 Professuren frei. Ich<br />
bezweifle aber, dass es in allen Bereichen<br />
der Erziehungswissenschaft – nicht zuletzt<br />
wegen der Kürzungen in den vergangenen<br />
Jahren und den damit verbundenen<br />
Abschreckungseffekten – ausreichend<br />
viele qualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />
und -wissenschaftler<br />
gibt. In der Schulpädagogik erleben wir<br />
schon jetzt einen sprunghaften Anstieg<br />
der Ausschreibungen. Dem stehen inzwischen<br />
viel zu wenig qualifizierte Bewerberinnen<br />
und Bewerber gegenüber.<br />
Salopp gesagt: Der Markt ist weitgehend<br />
leergefegt.<br />
Interview: Armin Himmelrath,<br />
freier Journalist<br />
Foto: David Ausserhofer<br />
Trotz der hohen<br />
Studierendenzahl<br />
findet seit 15 Jahren<br />
in den Erziehungswissenschaften<br />
ein kontinuierlicherPersonalabbau<br />
statt.<br />
Prof. Klaus-<br />
Jürgen Tillmann<br />
Info<br />
Klaus-Jürgen Tillmann,<br />
Thomas Rauschenbach,<br />
Rudolf Tippelt, Horst<br />
Weishaupt (Hrsg.): DatenreportErziehungswissenschaft<br />
<strong>2008</strong>, Budrich-VerlagLeverkusen-Opladen<br />
<strong>2008</strong>, 186<br />
Seiten, 19,90 Euro<br />
Zum „Datenreport Erziehungswissenschaft“<br />
veranstaltet die Max-<br />
Traeger-Stiftung, die<br />
auch die Veröffentlichung<br />
des Reports<br />
finanziert hat, am<br />
30. Januar 2009 ein<br />
Fachgespräch.<br />
Weitere Informationen:<br />
<strong>GEW</strong>-Hauptvorstand,<br />
Vorstandsbereich Hochschule<br />
und Forschung,<br />
E-Mail:<br />
Andreas.Keller@gew.de.<br />
Foto: Privat
TARIF- UND BESOLDUNGSRUNDE 2009<br />
Auf ein Wort, liebe Kollegin, lieber Kollege ...<br />
Die Tarif- und Besoldungsrunde<br />
2009 steht vor der<br />
Tür. Auch die Beschäftigten<br />
in den Ländern brauchen gerade<br />
wegen der Preisentwicklung,<br />
z. B. in den Bereichen<br />
Energie und Lebensmittel, einen deutlichen<br />
Einkommenszuwachs. Für den Bund und<br />
die Kommunen konnte <strong>2008</strong> ein gutes Ergebnis<br />
durchgesetzt werden. Die Erhöhung von<br />
50 Euro plus 3,1 Prozent zum 1. Januar<br />
<strong>2008</strong> – in den neuen Bundesländern erst ab<br />
dem 1. April <strong>2008</strong> – und um weitere 2,8<br />
Prozent zum 1. Januar 2009 plus 225 Euro<br />
Einmalzahlung war nur möglich, weil die gewerkschaftlich<br />
gut organisierten Beschäftigten<br />
bei Bund und Kommunen in zwei Warnstreikwellen<br />
von Anfang an ihre Stärke und<br />
ihren Aktionswillen gezeigt haben.<br />
In der Tarif- und Besoldungsrunde 2009<br />
sind nun die fast zwei Millionen Beschäftigten<br />
bei den Ländern aufgerufen, sich für deutliche<br />
Verbesserungen ihres Einkommens einzusetzen.<br />
Fast die Hälfte aller Landesbeschäftigten<br />
arbeitet in Schulen – als Lehrkräfte<br />
(zirka 820 000) oder als Sozialpädagogen<br />
(rund 120 000). Knapp zwei Drittel der Beschäftigten<br />
stehen in einem Beamtenverhältnis,<br />
ein gutes Drittel sind Angestellte. Schon<br />
diese Zahlen machen deutlich: Ein gutes Ergebnis<br />
kann nur erzielt werden, wenn von<br />
Anfang an Tarifbeschäftigte und Beamtinnen<br />
und Beamte gemeinsam in die Tarifauseinandersetzung<br />
einbezogen werden.<br />
Vor allem aber hängt ein gutes Ergebnis davon<br />
ab, dass der Organisationsgrad der<br />
<strong>GEW</strong> deutlich erhöht wird. Die <strong>GEW</strong> hat<br />
die Verhandlungsführung für die Beschäftigten<br />
in den Schulen.<br />
Um diesen Verhandlungsauftrag mit dem<br />
größtmöglichen Erfolg für die Beschäftigten<br />
an Schulen erfüllen zu können, braucht die<br />
<strong>GEW</strong> mehr Mitglieder. Aus aktuellen Untersuchungen<br />
wissen wir, dass es eine hohe Bereitschaft<br />
gibt, sich in der <strong>GEW</strong> zu organisieren.<br />
Viele Noch-Nicht-Mitglieder wollen<br />
persönlich von „ihren“ <strong>GEW</strong>-Kolleginnen<br />
und -Kollegen auf eine Mitgliedschaft in der<br />
<strong>GEW</strong> angesprochen werden. Kein Brief, kein<br />
Flyer ist so wirksam wie die direkte Ansprache<br />
durch ein <strong>GEW</strong>-Mitglied.<br />
Vorteilsregelungen<br />
Ganz besonders Nicht-Organisierte beschweren<br />
sind nach Abschluss von Tarifrunden gerne<br />
massiv über schlechte Ergebnisse. Jeder<br />
kennt solche Gespräche im Lehrerzimmer.<br />
Nur selten machen <strong>GEW</strong>-Mitglieder ihrem<br />
Ärger Luft, dass gerade der geringe Organisationsgrad<br />
und die überproportional vielen<br />
Trittbrettfahrer in Schulen eigentlich die Ver-<br />
antwortung dafür tragen. Deshalb ist die<br />
Forderung nach Tarifverträgen mit Vorteilsregelungen<br />
nur für Gewerkschaftsmitglieder<br />
verständlich. Sie ist so alt wie die Gewerkschaften<br />
selbst.<br />
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe derartiger<br />
tariflicher Regelungen, z. B. bei der IG Metall,<br />
bei ver.di und der IG BCE – mit Erfolg.<br />
Im öffentlichen Dienst dehnen die öffentlichen<br />
Arbeitgeber die Tarifabschlüsse als „freiwillige“<br />
Leistung auch auf Nicht-Organisierte<br />
aus. Wer hinter diesem Verfahren eine<br />
Absicht vermutet, liegt richtig. Natürlich ist<br />
es für die Arbeitgeber günstiger, schwache Ergebnisse,<br />
die eine schlecht organisierte Belegschaft<br />
schlucken muss, allen zu gewähren, als<br />
sich einer starken Interessensvertretung gegenüberzusehen.<br />
Moralische Unterstützung<br />
Vieler für die Forderungen der <strong>GEW</strong> nützt<br />
da nämlich nichts.<br />
Deshalb ist es jetzt an der Zeit, die Diskussion<br />
in den Kollegien offensiv zu führen.<br />
<strong>GEW</strong> fordert mehr Geld<br />
Die Bundestarifkommission (BTK) der<br />
<strong>GEW</strong> hat am 8. und 9. September die Empfehlungen<br />
für die Mitgliederdiskussion beschlossen.<br />
Im Mittelpunkt wird sicher die<br />
Forderung nach einer kräftigen linearen Einkommenssteigerung<br />
stehen (s. Seite 42).<br />
Jetzt soll in der Mitgliedschaft darüber diskutiert<br />
werden. Die Forderungen mitbestimmen<br />
können nur Mitglieder. Grund genug, jetzt<br />
Mitglieder zu gewinnen.<br />
Hessen verhandelt gesondert<br />
Die Tarifverhandlungen werden für 14 Länder<br />
zentral geführt. In Hessen wird gesondert<br />
verhandelt, solange das Land den vom Landesparlament<br />
beschlossenen Wiedereintritt in<br />
die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL)<br />
noch nicht vollzogen hat. In Berlin wird zurzeit<br />
vom Regierenden Bürgermeister jede vernünftige<br />
Verhandlungslösung blockiert. Danach<br />
geht es darum, die Ergebnisse zeit- und<br />
inhaltsgleich für die Beamtinnen und Beamten<br />
in jedem einzelnen Land durchzusetzen.<br />
Dafür ist es am besten, dass gleich von Anfang<br />
an auch die Beamtinnen und Beamten zeigen,<br />
dass mit ihnen gerechnet werden muss.<br />
Die <strong>GEW</strong> wird, um mehr Durchsetzungskraft<br />
zu gewinnen, während der gesamten Tarifrunde<br />
2009 – die jetzt mit der Forderungsdiskussion<br />
beginnt – eine breit angelegte Mitgliederwerbekampagne<br />
durchführen. Mit den Flugblättern<br />
„Auf ein Wort, liebe Kollegin, lieber<br />
Kollege, ...“ sollen Gelegenheiten geschaffen werden,<br />
mit Noch-Nicht-Mitgliedern persönlich in<br />
Kontakt zu treten.<br />
Im <strong>Oktober</strong> werden deshalb alle Mitglieder in<br />
den Ländern ein Schreiben erhalten mit der Bitte,<br />
sich aktiv an dieser Kampagne zu beteiligen.<br />
Diesem Schreiben, das an Noch-Nicht-Mitgliederverteiltwerdensoll,sindzweiFlugblätter<br />
aus der Serie „Auf ein Wort...“ beigefügt.<br />
Regelmäßig werden in den Folgemonaten<br />
weitere Flugblätter in der E&W erscheinen.<br />
Auf der Internetseite www.gew-tarifrunde.de<br />
sind jeweils die aktuellen Informationen zu<br />
finden.<br />
Ilse Schaad, Leiterin des <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs<br />
Angestellten- und Beamtenpolitik<br />
Tariftelegramm<br />
für die Länder<br />
In der Tarifrunde <strong>2008</strong> für den Bund<br />
und die Kommunen hat die <strong>GEW</strong><br />
ihre dort beschäftigten Mitglieder<br />
direkt aus den Verhandlungen heraus<br />
aktuell informiert.<br />
Dies soll in der kommenden Tarifrunde<br />
auch für die Beschäftigten in<br />
den Ländern erfolgen.<br />
Wie funktioniert das?<br />
Alle Mitglieder, die in den Ländern<br />
beschäftigt sind und deren Einverständnis<br />
für den E-Mail-Versand<br />
vorliegt, erhalten demnächst das<br />
erste Tariftelegramm Länder.<br />
Wer nicht in diesem Verteiler erfasst<br />
ist, vielleicht weil uns die E-Mail-<br />
Adresse nicht bekannt ist, kann sich<br />
bei der <strong>GEW</strong> melden und wird dann<br />
in den Verteiler aufgenommen.<br />
Wer keine weiteren Mails bekommen<br />
möchte, kann einfach auf die<br />
erste Mail reagieren und alle weiteren<br />
abbestellen. Ilse Schaad<br />
Ilse Schaad<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 41<br />
Foto: Privat
TARIF- UND BESOLDUNGSRUNDE 2009<br />
Vor allem: mehr Geld<br />
42 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Empfehlung der Bundestarifkommission zur Forderungsdiskussion<br />
Die Tarifrunde 2009 ist für die Vergütung<br />
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />
sowie die Besoldung der<br />
Beamtinnen und Beamten gleichermaßen<br />
von grundsätzlicher Bedeutung.<br />
Deshalb ruft die <strong>GEW</strong> die Mitglieder<br />
im Länderbereich – Angestellte<br />
und Beamte – zur gemeinsamen Forderungsdiskussion<br />
auf.<br />
In der Tarifrunde 2009 geht es an erster<br />
Stelle um eine kräftige lineare<br />
Anhebung des Tabellenentgelts,<br />
die sowohl im Westen als auch im<br />
Osten zeitgleich in Kraft tritt.<br />
Zwanzig Jahre nach Herstellung der<br />
deutschen Einheit ist längst kein Platz<br />
mehr für Abhängmanöver, die die Arbeitgeber<br />
offensichtlich immer noch für<br />
vertretbar und wünschenswert halten.<br />
Wie für den Tarifbereich des Bundes<br />
und der Kommunen muss es auch für<br />
die Länder eine Verlängerung der am 1.<br />
November auslaufenden Aufstiegsregelungen<br />
geben. Auch hier fehlt es nämlich<br />
an einer Entgeltordnung, die das<br />
Übergangsrecht überflüssig macht.<br />
Für Beschäftigte, die erst nach dem 31.<br />
<strong>Oktober</strong> 2006 eingestellt wurden, müssen<br />
im Vorgriff auf die Verhandlungen<br />
für ein neues Eingruppierungsrecht im<br />
Länderbereich nach der Tarifrunde<br />
2009 verbindliche Schritte zur baldigen<br />
Aufnahme von Verhandlungen über die<br />
Tarifierung der Eingruppierung von<br />
Lehrkräften vereinbart werden.<br />
Stufenzuordnung verbessern<br />
Zum Abbau der Entgeltdiskriminierung<br />
von Beschäftigten mit langen Ausbildungszeiten<br />
ist die Stufenzuordnung<br />
für neu einzustellende Beschäftigte<br />
deutlich zu verbessern. Bisher haben die<br />
Arbeitgeber den weiten Ermessensspielraum,<br />
den der Tarifvertrag der Länder<br />
(TV-L) bei der Stufenzuordnung gewährt,<br />
unkontrolliert weidlich genutzt.<br />
Einige Bundesländer nehmen heute<br />
noch den Bundesangestelltentarif<br />
(BAT) als Eingruppierungsgrundlage<br />
und leiten dann in den TV-L über, um in<br />
Zeiten sich verschärfenden Lehrermangels<br />
die notwendigen Fachkräfte im<br />
Zweifel auch mit aggressiven Werbekampagnen<br />
in anderen Bundesländern<br />
zu gewinnen. Das kann nicht das Modell<br />
der Zukunft sein, weil es zu Lasten<br />
der Bildungsqualität „ärmerer“ Länder<br />
geht. Deshalb brauchen wir verlässliche<br />
und verbesserte Tarifregelungen.<br />
Hängepartie beenden<br />
In der kommenden Tarifrunde muss<br />
auch die verantwortungslose Hängepartie<br />
für Lehrkräfte an Schulen und Hochschulen,<br />
die<br />
in die Vergütungsgruppe<br />
II b eingruppiert<br />
sind, beendet<br />
werden.<br />
Übergeleitete<br />
Lehrkräfte,<br />
die in die Vergütungsgruppe<br />
II b eingruppiert<br />
sind, sind in<br />
den Strukturausgleich einzubeziehen.<br />
Die Bundestarifkommission (BTK) der<br />
<strong>GEW</strong> empfiehlt ferner die Streichung<br />
der Regelungen zur Leistungsbezahlung<br />
und die Einarbeitung des hierfür zur<br />
Erzieherinnen und Sozialpädagogen:<br />
höher eingruppieren!<br />
Verfügung stehenden Geldvolumens in<br />
die Entgelttabellen. Sollte dies zunächst<br />
nicht erreicht werden, ist ein weiterer<br />
Ausbau der Leistungsbezahlung zu verhindern.<br />
Die BTK empfiehlt, dass bis<br />
zum Abschluss der Tarifrunde 2009 keine<br />
Tarifverträge zum Leistungsentgelt<br />
auf Landesebene abgeschlossen werden.<br />
Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen<br />
älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />
und deren Übergang in die<br />
Altersrente – unter anderem durch verstärkte<br />
Neueinstellungen und Fortführung<br />
des Altersteilzeittarifvertrages –<br />
müssen zeitnah ebenfalls in Angriff genommen<br />
werden.<br />
Im Wissenschaftsbereich sind die Mitglieder<br />
aufgefordert, ihre spezifischen<br />
Belange insbesondere zum Geltungsbereich<br />
und zur Ausgestaltung von Arbeitsverträgen<br />
(Stufenzuordnung, Befristung)<br />
zu diskutieren und Strategien<br />
zur Durchsetzung zu entwickeln.<br />
Die Übertragung der Tarifergebnisse auf<br />
die Beamtinnen und Beamten ist – wie<br />
gerade die Tarifrunde 2006 und deren<br />
Umsetzung zum 1. Januar <strong>2008</strong> gezeigt<br />
hat – kein Selbstläufer. Die Beamtinnen<br />
und Beamten haben noch nie mehr bekommen<br />
als die Tarifbeschäftigten –<br />
eher das Gegenteil. Deshalb muss die<br />
Mitgliederdiskussion sich auch damit<br />
beschäftigen, wie in Zeiten feudaler<br />
Länderstrukturen nach der Föderalismusreform<br />
die zeit- und inhaltsgleiche<br />
Übertragung in allen Ländern durchgesetzt<br />
werden kann.<br />
Ilse Schaad, Leiterin des <strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs<br />
Angestellten- und Beamtenpolitik<br />
Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) ist beim Tarifabschluss im<br />
März <strong>2008</strong> vereinbart worden, die Verhandlungen über eine neue Entgeltordnung<br />
im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes unverzüglich aufzunehmen.<br />
Derzeit gilt für diesen Bereich immer noch das alte Eingruppierungsrecht<br />
des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT). Die Vergütungsgruppen im BAT sind<br />
bisher ohne Bewährungsaufstiege in Entgeltgruppen des TVöD übergeleitet worden.<br />
Dies hat zu einer eklatanten Schlechterstellung der Beschäftigten geführt.<br />
Zum Auftakt der Tarifrunde 2009 verlangt die Bundestarifkommission (BTK)<br />
der <strong>GEW</strong> deshalb in ihrem Forderungskatalog, Erzieherinnen und Erzieher in<br />
der Regel in Entgeltgruppe 9, Sozialpädagogen in Entgeltgruppe 10 einzugruppieren<br />
(s. Seiten 41/42).<br />
Bernhard Eibeck, Referent im <strong>GEW</strong>-Organisationsbereich Jugendhilfe und Sozialarbeit
Gesetzwidrigen Handel<br />
mit Daten bekämpfen<br />
Gewerkschaftsmitglieder können ins Visier der US-Terroristenjäger geraten<br />
Dieser Tage ist viel die Rede davon,<br />
wie Bund und Länder den illegalen<br />
Handel mit den persönlichen Daten<br />
von zigmillionen Bundesbürgern<br />
bekämpfen wollen. Die Ansätze<br />
sind sicher richtig: Zustimmung<br />
der Betroffenen und eine Kennzeichnungspflicht,<br />
mit der man die<br />
Herkunft der Daten verfolgen kann<br />
sowie schärfere Sanktionen sind das<br />
Mindeste, was eine Regierung tun<br />
kann und muss.<br />
Sie tut es allerdings zu spät.<br />
Denn die Daten dürften<br />
inzwischen weltweit vagabundieren<br />
und sind damit<br />
selbst dann eine Gefahr für<br />
die Betroffenen, wenn<br />
dem nationalen Handel mit gesetzwidrig<br />
erworbenen und genutzten Daten<br />
tatsächlich erfolgreich der Kampf angesagt<br />
wird.<br />
Viel zu lange war die Politik beim Datenschutz<br />
untätig, obwohl es Anlässe<br />
genug gegeben hätte, um das Recht<br />
auf informationelle Selbstbestimmung<br />
und den Schutz<br />
der Privatsphäre konsequent<br />
in Deutschland durchzusetzen.<br />
Die Mitarbeiterüberwachung<br />
bei Lidl oder die<br />
„Kontrolle“ von Telefonverbindungen<br />
durch die Tele-<br />
kom bei ihren eigenen Aufsichtsräten<br />
sind nur zwei skandalöse Beispiele.<br />
Bund und Länder haben mit Stillschweigen<br />
reagiert anstatt zu handeln.<br />
Wir brauchen dringend ein Arbeitnehmer-Datenschutzgesetz.<br />
Das alles zeigt: Beim Datenschutz sind<br />
die Regierenden selbst Teil des Problems.<br />
Es kommt ja noch die staatliche<br />
Datensammel- und Datenspeicherungswut<br />
hinzu – und das keineswegs nur im<br />
Bereich der Kriminalitätsbekämpfung.<br />
Dabei wird völlig außer Acht gelassen,<br />
dass die Prinzipen der Datenvermeidung<br />
und -sparsamkeit gesetzlich verankert<br />
sind. In der Realität hat man sich<br />
von diesen Grundsätzen längst verabschiedet.<br />
❞ Beim Datenschutz<br />
sind die<br />
Regierenden<br />
selbst Teil des<br />
Problems. ❝<br />
An staatlichen Datenmissbrauch grenzt<br />
ein Vertrag zwischen Deutschland und<br />
den USA, der den irreführenden Namen<br />
„Datenschutzabkommen“ trägt<br />
und in Kürze ratifiziert werden soll. In<br />
Wirklichkeit geht es um einen intensiven<br />
Datenaustausch im Rahmen der<br />
Terrorbekämpfung. In Artikel 12 des<br />
Vertrags heißt es:<br />
„Personenbezogene Daten, aus denen<br />
die Rasse oder ethnische Herkunft, politische<br />
Anschauung, religiöse oder sonstige<br />
Überzeugungen oder die Mitgliedschaft<br />
in Gewerkschaften hervorgeht<br />
oder die die Gesundheit und das Sexualleben<br />
betreffen, dürfen nur zur Verfügung<br />
gestellt werden, wenn sie für<br />
Zwecke dieses Abkommens besonders<br />
relevant sind.“<br />
Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass in<br />
diesem Zusammenhang die Mitgliedschaft<br />
in einer Gewerkschaft nichts verloren<br />
hat. Oder sollen 6,5 Millionen Gewerkschaftsmitglieder<br />
als potenzielle Terroristen<br />
abgestempelt und ins Visier der<br />
US-Terroristenjäger genommen werden?<br />
Das kann und darf nicht sein. Im<br />
Übrigen stellt sich die Frage, woher die<br />
deutschen Sicherheitsbehörden<br />
Kenntnis über Gewerkschaftsmitglieder<br />
haben. Eine<br />
befriedigende Antwort darauf<br />
hat der DGB bisher nicht erhalten.<br />
Es ist nur zu hoffen,<br />
dass es keinen illegalen staatlichen<br />
Zugang zu den DGB-<br />
Mitgliederdateien gibt.<br />
Geradezu ungeheuerlich ist folgende<br />
Behauptung der Bundesregierung in der<br />
Antwort auf eine Anfrage der Fraktion<br />
Die Linke: „Die Relevanz der Gewerkschaftszugehörigkeit<br />
einer Person für<br />
die Bekämpfung des internationalen<br />
Terrorismus ist in besonderen Fällen<br />
nicht vollständig auszuschließen.“ Welche<br />
Relevanz das sein soll, konnte die<br />
Bundesregierung dem DGB bisher<br />
ebenfalls nicht erklären.<br />
Riesendatenskandal droht<br />
Stattdessen weist sie darauf hin, dass der<br />
kritisierte Artikel 12 geradezu ein<br />
Schutzparagraph sei, weil damit höchst<br />
intime und persönliche Daten sozusa-<br />
Michael Sommer, DGB-Vorsitzender<br />
gen nur im Ausnahmefall weitergegeben<br />
und besonders geschützt werden<br />
sollen. Man kann es – wie Berlins Innensenator<br />
Ehrhart Körting (SPD) – allerdings<br />
auch anders sehen: nämlich als<br />
Aufforderung an die Sicherheitsbehörden,<br />
sich auch um Gewerkschaftszugehörigkeit<br />
oder das Sexualleben von<br />
Terrorverdächtigen zu kümmern. Fast<br />
sicher scheint: Wenn der Vertrag erst<br />
einmal ratifiziert ist, werden die US-<br />
Terroristenjäger gewiss darauf drängen,<br />
genau diese Informationen zu bekommen.<br />
Davor graust offenbar selbst<br />
dem Bundesdatenschutzbeauftragen<br />
Peter Schaar, weil die Datenschutzbestimmungen<br />
in den USA aus seiner<br />
Sicht „zu lax“ sind.<br />
Der DGB hat – bisher erfolglos – gegen<br />
diesen Passus in Artikel 12 des Vertrags<br />
bei Bundesinnenminister Wolfgang<br />
Schäuble (CDU) und Bundesjustizministerin<br />
Brigitte Zypries (SPD) protestiert<br />
und darauf gedrängt, Regierung und<br />
Bundestag sollten gemeinsam für den<br />
nötigen Datenschutz sorgen. Das würde<br />
notfalls auch ohne Vertragsänderung gehen.<br />
Aber bisher scheint die Große Koalition<br />
nichts unternehmen zu wollen.<br />
So droht ein Riesendatenskandal, für<br />
den allein die Politik die Verantwortung<br />
trägt.<br />
Michael Sommer, DGB-Vorsitzender<br />
GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 43<br />
Foto: DGB
GESELLSCHAFTSPOLITIK<br />
Wenn Schule krank macht<br />
Interview mit Ludwig Bilz, TU Dresden, zur WHO-Studie „Gesundheit von Schulkindern“<br />
E&W: In der Öffentlichkeit wird viel über<br />
Aufmerksamkeitsstörungen oder wachsende<br />
Gewalt bei Schülerinnen und Schülern diskutiert.<br />
Sie haben in Ihrer Studie „Gesundheit,<br />
Ungleichheit und jugendliche Lebenswelten“,<br />
die im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) entstanden ist, die versteckten<br />
psychischen Störungen untersucht. Warum?<br />
Ludwig Bilz: Lehrkräfte und Wissenschaftler<br />
haben emotionale Störungen<br />
im schulischen Umfeld bisher kaum im<br />
Blick gehabt. Wir wollten diese Forschungslücke<br />
mit unserer Untersuchung<br />
schließen. Depressionen, Ängste<br />
und psychosomatische Erkrankungen<br />
sind im Jugendalter viel verbreiteter als<br />
bislang vermutet. Sie haben in den vergangenen<br />
Jahren sogar zugenommen.<br />
Bis zum Ende der Adoleszenz leiden etwa<br />
20 Prozent der Kinder und Jugendlichen<br />
unter einer klinisch relevanten<br />
psychischen Störung.<br />
E&W: Viele halten das für altersbedingte Phänomene,<br />
die sich mit der Zeit auswachsen.<br />
Bilz: Genau das ist falsch. Die Störungen<br />
gehen weit über pubertäre Stimmungsschwankungen<br />
hinaus. Sie haben<br />
die Tendenz, chronisch zu werden.<br />
Häufig treten dabei Ängste, Depressionen<br />
und körperliche Beschwerden gemeinsam<br />
auf. Wir sprechen von „internalisierenden<br />
Störungen“, weil sich die<br />
Symptome dieser Probleme eher innerhalb<br />
einer Person manifestieren und für<br />
das Umfeld kaum erkennbar sind. Die<br />
Jugendlichen wirken angepasst, unauffällig.<br />
Wer sagt, „das muss jeder durchmachen“,<br />
„ist doch normal“, liegt völlig<br />
falsch. Zudem: Wer im Jugendalter mit<br />
psychischen Problemen kämpft, hat ein<br />
wesentlich höheres Risiko, auch als Erwachsener<br />
Ängste oder Depressionen<br />
zu entwickeln. Umso wichtiger ist die<br />
Prävention.<br />
E&W: In Ihrer Studie haben Sie den Einfluss<br />
der Schule auf die Entstehung emotionaler<br />
Probleme untersucht.<br />
Bilz: Die Schule ist neben dem Elternhaus<br />
das wichtigste soziale Umfeld für<br />
Kinder und Jugendliche. Hier müssen<br />
sie zentrale Entwicklungsaufgaben bewältigen.<br />
Deshalb ist es nur folgerichtig<br />
zu fragen: Inwieweit nimmt die Schule<br />
Einfluss auf die psychische Gesundheit<br />
der Schüler?<br />
E&W: Wie sind Sie vorgegangen?<br />
Bilz: Unsere Untersuchung ist Teil der<br />
Health Behaviour in School-aged Children-<br />
44 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Studie (HBSC), die unter WHO-Schirmherrschaft<br />
in mehr als 40 Ländern die Gesundheit<br />
von Schülern unter die Lupe<br />
nimmt. In Deutschland sind fünf Bundesländer<br />
beteiligt. Unsere Forschungsgruppe<br />
betreut die Erhebung in Sachsen.<br />
Thematisch haben wir uns den Schwerpunkt<br />
Schule und psychische Gesundheit<br />
gesetzt und mehr als 4000 sächsische<br />
Schülerinnen und Schüler befragt. Dabei<br />
interessierte uns zum einen, welche Risikofaktoren<br />
für die Entstehung psychischer<br />
Probleme entscheidend sind und<br />
welche Rolle die Schule dabei spielt. Zum<br />
anderen wollten wir wissen, über welche<br />
Mechanismen diese Risikofaktoren es<br />
schaffen, Einfluss auf die psychische Entwicklung<br />
der Schüler zu nehmen.<br />
E&W: Welche Faktoren sind maßgeblich?<br />
Bilz: Für zwei Entwicklungsaufgaben<br />
auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist<br />
die Schule entscheidend: Erstens müssen<br />
Jugendliche mit den schulischen<br />
Leistungsanforderungen zurechtkommen.<br />
Wir wollten deshalb wissen, wie<br />
die Schüler die Lernbedingungen an ihrer<br />
Schule einschätzen. Geht der Lehrer<br />
zu schnell vor, wie abwechslungsreich<br />
ist der Unterricht, wie anschaulich erklärt<br />
er? Fühlen sich die Schüler überfordert?<br />
Die zweite wichtige Entwicklungsaufgabe<br />
im schulischen Umfeld: Lernen, mit<br />
Gleichaltrigen zurechtzukommen. Wir<br />
haben deshalb nach dem Klima in der<br />
Klasse gefragt. Wie sehr unterstützen<br />
sich die Schüler gegenseitig, gibt es Kinder<br />
und Jugendliche, die sich ausgeschlossen<br />
fühlen, gar gemobbt werden?<br />
E&W: Zeigt Ihre Studie einen Zusammenhang<br />
zwischen Schule und der Entstehung<br />
psychischer Probleme?<br />
Bilz: Einen sehr deutlichen sogar. Vor<br />
allem wenn Jugendliche von ihren Mitschülern<br />
gemobbt werden, begünstigt<br />
das die Entwicklung von Ängsten und<br />
Depressionen. Zweitwichtigster Risikofaktor<br />
ist schulische Überforderung, gefolgt<br />
von schlechter Unterrichtsqualität.<br />
Schüler, die Opfer von Mobbing<br />
werden oder sich überfordert fühlen, leiden<br />
noch Jahre später viel häufiger unter<br />
psychischen Problemen als ihre Klassenkameraden.<br />
E&W: Warum?<br />
Bilz: Wir haben Hinweise dafür gefunden,<br />
dass das Selbstkonzept eine wichtige<br />
Rolle spielt. Schlechte Lernbedin-<br />
gungen oder Mobbing tragen dazu bei,<br />
dass ein Schüler allmählich beginnt,<br />
schlecht über sich zu denken und seine<br />
schulischen und sozialen Kompetenzen<br />
immer geringer einzuschätzen. So ein<br />
negativ verzerrtes Selbstbild ist oft der<br />
erste Schritt zur Depression. Nicht<br />
schlechte Noten machen depressiv, sondern<br />
das Gefühl, zu versagen.<br />
E&W: Was können Lehrkräfte tun?<br />
Bilz: Bei Mobbing sollten sie schnell<br />
und konsequent einschreiten. Wenn<br />
Lehrerinnen und Lehrer nicht sofort<br />
reagieren, deuten Schüler das schnell als<br />
Billigung. Pädagoginnen und Pädagogen<br />
sollten zudem die Opfer stärker in<br />
den Blick nehmen und für ein gutes<br />
Klassenklima sorgen. Zum Beispiel, indem<br />
sie zusammen mit den Schülern<br />
Umgangsregeln erarbeiten. Darüber hinaus<br />
hat die Studie gezeigt, dass gute<br />
Lernbedingungen enorm wichtig sind.<br />
Ein Unterricht, der Schüler individuell<br />
fördert, unterstützt nicht nur schulische<br />
Lernerfolge, sondern auch die psychische<br />
Gesundheit der Kinder.<br />
E&W: Noch reden viel zu wenige über psychische<br />
Probleme im Klassenzimmer.<br />
Bilz: Deshalb müssen wir den Umgang<br />
mit psychischen Störungen enttabuisieren.<br />
Zum Beispiel, indem wir sie zum<br />
Unterrichtsthema machen. Was ist eine<br />
Panikattacke? Mit welchen Symptomen<br />
geht eine Depression einher? Wie sieht<br />
eine Behandlung aus? An wen kann ich<br />
mich wenden, wo mir Unterstützung<br />
holen?<br />
E&W: Sollen Lehrkräfte die Schülerinnen<br />
und Schüler auch noch psychologisch betreuen?<br />
Bilz: Nein, wir dürfen den Lehrenden<br />
nicht alles zuschieben. Natürlich brauchen<br />
die Schulen dringend mehr Unterstützung,<br />
von Psychologen etwa. Bislang<br />
gibt es für 15.000 Schüler in<br />
Deutschland im Schnitt gerade mal einen<br />
Schulpsychologen (s. E&W 6/<strong>2008</strong>,<br />
Seite 33). Trotzdem müssen wir zur<br />
Kenntnis nehmen, dass das, was in den<br />
Schulen passiert, eine zentrale Bedeutung<br />
für die psychische Entwicklung<br />
von Kindern hat. Wenn wir über die<br />
Qualität von Schule sprechen, sollten<br />
wir deshalb nicht nur über Lese- oder<br />
Mathematikkompetenzen reden, sondern<br />
endlich auch die psychische Entwicklung<br />
der Schüler in den Blick nehmen.<br />
Anja Dilk, freie Journalistin<br />
Ludwig Bilz,<br />
TU Dresden<br />
Der Bericht zur aktuellen<br />
deutschen Erhebung<br />
ist unter dem Titel „Gesundheit,<br />
Ungleichheit<br />
und jugendliche Lebenswelten.<br />
Ergebnisse<br />
der zweiten internationalen<br />
Vergleichsstudie<br />
im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation<br />
WHO“ im Juventa-Verlag<br />
erschienen.<br />
Informationen zur Studie<br />
gibt es im Netz unterwww.hbsc-germany.de<br />
(dt.) oder<br />
www.hbsc.org (int.)<br />
Foto: privat
Eine zweite Chance<br />
BFW unterstützt junge Behinderte in Nepal<br />
Behinderte Kinder haben in Nepal<br />
kaum eine Chance auf ein normales<br />
Leben. Mit Hilfe des Bildungs- und<br />
Förderungswerks der <strong>GEW</strong> (BFW)<br />
unterstützt die Kaarster Nepal-Initiative<br />
deshalb junge behinderte Nepalesen<br />
in Schule und Studium.<br />
Für Rasma Adhikari wäre der Bildungsweg<br />
beinahe zu Ende gewesen,<br />
bevor er überhaupt<br />
richtig begonnen hatte. Ein<br />
Mädchen mit Behinderung<br />
hat in Nepal keine guten Perspektiven,<br />
weder auf einen Beruf noch<br />
auf einen Ehemann. „Da genügt schon<br />
eine Hautauffälligkeit und die Betroffenen<br />
werden mit Batteriesäure bespritzt“,<br />
erzählt Rainer Strauss über die Diskriminierung<br />
von Behinderten in der nepalesischen<br />
Gesellschaft. Der Vorsitzende<br />
der Kaarster Nepal-Initiative hat Rasma<br />
Adhikari vor knapp zwei Jahren kennen<br />
gelernt, damals war sie 18 Jahre. Sie begegnete<br />
ihm als eine junge Frau mit<br />
großem Ehrgeiz, mit Wünschen und<br />
Zielen – aber ohne Hoffnung, später<br />
einmal einen Beruf ausüben zu können.<br />
Warum? Rasma Adhikari hat einen angeborenen<br />
Hüftfehler, ein Bein ist zu<br />
kurz, deshalb hinkt sie – und gilt damit<br />
in Nepal als „behindert“. In Deutschland<br />
wäre das ein einfacher Fall für den<br />
Orthopäden: Schuhe mit Einlagen.<br />
Nicht so bei Rasma. „Nach der elften<br />
Klasse hätte sie aufgrund ihrer ‚Behinderung‘<br />
die Schule abbrechen und zur Familie<br />
aufs Land zurückkehren müssen“,<br />
sagt Strauss. Über die Nepal-Initiative<br />
ließ der 66-jährige Rentner seine Kontakte<br />
spielen und suchte Unterstützung<br />
für seinen Schützling. Die fand er im<br />
Bildungs- und Förderungswerk der<br />
<strong>GEW</strong>. Das BFW hilft Rasma Adhikari<br />
mit etwa 1000 Euro im Jahr für Studiengebühren,<br />
Unterkunft, Verpflegung<br />
und Taschengeld. „Rasma hat jetzt ihr<br />
Examen gemacht, das entspricht unserem<br />
Abitur, als nächstes bereitet sie sich<br />
auf das Studium vor“, berichtet Strauss.<br />
Die inzwischen 20-Jährige habe „die<br />
Herausforderung angenommen“, mit<br />
dem Stigma „körperlich behindert“ in<br />
Nepal ein normales Leben zu führen.<br />
Rasma will Sozialpädagogik studieren<br />
und später einmal in einem Heim für<br />
behinderte Kinder arbeiten. „Sie will denen<br />
helfen, denen es genauso geht wie<br />
ihr“, sagt Strauss.<br />
Enger Kontakt<br />
Weit weg vom niederrheinischen Kaarst,<br />
in Pokhara, einer Stadt am Fuße des Annapurnamassives,<br />
kümmert sich Sabine<br />
Sharma um die junge Studentin. Die belgische<br />
Lehrerin ist vor einigen Jahren<br />
nach Nepal umgezogen und leitet in der<br />
Das BFW der <strong>GEW</strong>:<br />
Helfen, wo Hilfe nötig ist<br />
Mit Ihrem Beitritt in die Sterbegeldversicherung unterstützen Sie wichtige<br />
Projekte.<br />
Das Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong> im DGB (BFW) ist ein<br />
gemeinnütziger Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die sozialen Belange<br />
der <strong>GEW</strong>-Mitglieder zu fördern. Durch die Zuwendungen seiner Mitglieder<br />
konnte das<br />
BFW der <strong>GEW</strong><br />
seine satzungsgemäßen Aufgaben erfüllen:<br />
● Förderung der staatsbürgerlichen und beruflichen Bildung von<br />
<strong>GEW</strong>-Mitgliedern,<br />
● Herausgabe und Förderung wissenschaftlicher und publizistischer Arbeiten<br />
im Bildungssektor,<br />
● Förderung der Völkerverständigung durch internationalen<br />
Erfahrungsaustausch,<br />
● Jugend- und Senioren-Arbeit,<br />
● Unterstützung von Schulen und Schülern im Ausland in besonderen<br />
Notlagen.<br />
drittgrößten Stadt des Landes eine der<br />
beiden Partnerorganisationen der Nepal-<br />
Initiative. Sie hat für Rasma ein eigenes<br />
Konto eingerichtet, damit sämtliche eingehenden<br />
Spenden nur für die junge Frau<br />
verwendet werden. „Wir achten da sehr<br />
genau drauf“, betont Sharma, „denn gerade<br />
wegen der großen sozialen Abhängigkeit<br />
der Kinder vom Elternhaus müssen<br />
wir immer sicherstellen, dass das Geld<br />
nur dem Spenderwillen entsprechend<br />
eingesetzt wird.“<br />
Für Strauss ist der enge Kontakt mit Partnern<br />
vor Ort besonders wichtig: „Man<br />
braucht die Leute vor Ort“, sagt er. „So<br />
können wir sichergehen, dass das Spendengeld<br />
auch eins zu eins ankommt.“<br />
Mehr als 80 Schülerinnen, Schüler und<br />
Studierende fördert der Verein in Nepal<br />
auf diese Weise, mehrfach mit Hilfe des<br />
BFW. Mindestens zweimal im Jahr reist<br />
Strauss selbst in das Land, um seine „Patenkinder“<br />
zu besuchen.<br />
Sein großes Engagement entstand aus<br />
einem Zufall. In einem Citroen 2CV<br />
war ein Freund vor etlichen Jahren bis<br />
Nepal gefahren, seine Begeisterung<br />
nach der Rückkehr hat Strauss angesteckt<br />
und dessen Interesse für das Land<br />
und seine Menschen geweckt. Nun organisiert<br />
er mit großem Engagement<br />
Hilfen für Kinder und junge Menschen,<br />
die in Nepal sonst ohne Chancen<br />
wären. Junge Menschen wie Rasma.<br />
Felix Helbig, freier Journalist<br />
<strong>GEW</strong>-INTERN<br />
Bildungs- und Förderungswerk<br />
der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />
Ein behindertes<br />
Mädchen hat in<br />
Nepal keine guten<br />
Perspektiven.<br />
Dank der Unterstützung<br />
des BFW<br />
kann Rasma<br />
Adhikari heute<br />
studieren.<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 45<br />
Foto: Privat
<strong>GEW</strong>-INTERN<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
wer verantwortlich vorsorgen will, kommt nicht daran vorbei, auch über die finanzielle Absicherung im Todesfall nachzudenken.<br />
Brechen Sie ein Tabu und treffen Sie Vorsorge für den Fall der Fälle.<br />
Ein Todesfall ist immer eine hohe psychische Belastung für alle Hinterbliebenen. Neben der Trauer müssen eine Reihe organisatorischer Aufgaben bewältigt<br />
werden. Von der Gestaltung der Trauerfeier bis hin zur Wohnungsauflösung. Aus Erfahrung wissen wir, dass die Kosten für eine würdige Bestattung<br />
5 000 EUR oft weit übersteigen. Sichern Sie Ihre Angehörigen rechtzeitig ab durch den Abschluss einer Sterbegeldversicherung. Denn seit<br />
dem 01.01.2004 wurde das von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlte Sterbegeld komplett gestrichen.<br />
Eigenverantwortung ist jetzt unverzichtbar – Wir helfen Ihnen dabei.<br />
Sie können jetzt mit der BFW-Sterbegeldversicherung Ihre Lücke in der Vorsorge schließen; dabei kommen Ihnen die besonders günstigen Beiträge<br />
für <strong>GEW</strong>-Mitglieder zugute. Diese und weitere Vorteile gelten auch für Ihre Angehörigen:<br />
Vorteile auf einen Blick:<br />
Bildungs- und Förderungswerk<br />
der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />
● Niedrige Beiträge durch Gruppenvertrag ● Garantierte Aufnahme bis 80 Jahre<br />
● Steuerbegünstigung der Beiträge ● Doppelzahlung bei Unfalltod<br />
● Keine Gesundheitsprüfung, ● Leistungsverbesserung durch Überschussbeteiligung<br />
Warum sollten Sie eine Sterbegeldversicherung beim Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong> abschließen?<br />
In der Bereitstellung finanzieller Mittel für ein würdiges Begräbnis sieht das BFW der <strong>GEW</strong> seine Hauptaufgabe. Durch den Gruppenvertrag mit der<br />
DBV-Winterthur Versicherung bieten wir <strong>GEW</strong>-Mitgliedern und deren Angehörigen seit über 35 Jahren besonders günstige Versicherungsbeiträge.<br />
Wählen Sie eine Versicherungssumme zwischen 500 € und 12 500 €.<br />
Senden Sie uns den folgenden Antrag am besten noch heute zurück.<br />
Beitragstabelle Monatsbeiträge je 500 EUR Versicherungssumme Tarif VG9/<strong>2008</strong><br />
Eintritts Männer Frauen<br />
-alter EUR EUR<br />
15 0,59 EUR 0,51 EUR<br />
16 0,61 EUR 0,52 EUR<br />
17 0,62 EUR 0,53 EUR<br />
18 0,63 EUR 0,54 EUR<br />
19 0,65 EUR 0,56 EUR<br />
20 0,66 EUR 0,57 EUR<br />
21 0,67 EUR 0,58 EUR<br />
22 0,69 EUR 0,59 EUR<br />
23 0,71 EUR 0,60 EUR<br />
24 0,72 EUR 0,62 EUR<br />
25 0,74 EUR 0,63 EUR<br />
26 0,76 EUR 0,65 EUR<br />
27 0,78 EUR 0,66 EUR<br />
28 0,80 EUR 0,68 EUR<br />
29 0,82 EUR 0,69 EUR<br />
30 0,84 EUR 0,71 EUR<br />
31 0,86 EUR 0,73 EUR<br />
Eintrittsalter: Beginnjahr der Versicherung minus Geburtsjahr der zu versichernden Person.<br />
Bei Eintrittsalter 15-74 ist die Unfallzusatzversicherung obligatorisch eingeschlossen.<br />
Für andere Versicherungssummen als 500 Euro ist der Betrag entsprechend zu vervielfältigen.<br />
Die Monatsbeiträge sind versicherungstechnisch mit sieben Nachkommastellen gerechnet. Aus Vereinfachungsgründen sind aber nur zwei Nachkommastellen<br />
in der Beitragstabelle ausgewiesen. Deshalb kann es zu Rundungsdifferenzen kommen, die sich allerdings nur im Cent-Bereich bewegen.<br />
Endalter Beitragszahlung: 85 Jahre, aber mindestens fünf Jahre.<br />
46 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Eintritts Männer Frauen<br />
-alter EUR EUR<br />
32 0,89 EUR 0,75 EUR<br />
33 0,91 EUR 0,77 EUR<br />
34 0,94 EUR 0,79 EUR<br />
35 0,97 EUR 0,81 EUR<br />
36 1,00 EUR 0,83 EUR<br />
37 1,03 EUR 0,86 EUR<br />
38 1,06 EUR 0,88 EUR<br />
39 1,09 EUR 0,91 EUR<br />
40 1,13 EUR 0,94 EUR<br />
41 1,17 EUR 0,96 EUR<br />
42 1,21 EUR 0,99 EUR<br />
43 1,25 EUR 1,03 EUR<br />
44 1,30 EUR 1,06 EUR<br />
45 1,34 EUR 1,09 EUR<br />
46 1,39 EUR 1,13 EUR<br />
47 1,45 EUR 1,17 EUR<br />
48 1,50 EUR 1,21 EUR<br />
Eintritts Männer Frauen<br />
-alter EUR EUR<br />
49 1,56 EUR 1,26 EUR<br />
50 1,63 EUR 1,30 EUR<br />
51 1,69 EUR 1,35 EUR<br />
52 1,76 EUR 1,40 EUR<br />
53 1,84 EUR 1,46 EUR<br />
54 1,92 EUR 1,52 EUR<br />
55 2,00 EUR 1,58 EUR<br />
56 2,09 EUR 1,65 EUR<br />
57 2,18 EUR 1,72 EUR<br />
58 2,28 EUR 1,80 EUR<br />
59 2,39 EUR 1,88 EUR<br />
60 2,51 EUR 1,97 EUR<br />
61 2,63 EUR 2,07 EUR<br />
62 2,76 EUR 2,17 EUR<br />
63 2,91 EUR 2,29 EUR<br />
64 3,06 EUR 2,41 EUR<br />
65 3,23 EUR 2,55 EUR<br />
Eintritts Männer Frauen<br />
-alter EUR EUR<br />
66 3,42 EUR 2,70 EUR<br />
67 3,62 EUR 2,86 EUR<br />
68 3,84 EUR 3,05 EUR<br />
69 4,08 EUR 3,25 EUR<br />
70 4,35 EUR 3,48 EUR<br />
71 4,64 EUR 3,73 EUR<br />
72 4,97 EUR 4,02 EUR<br />
73 5,34 EUR 4,35 EUR<br />
74 5,75 EUR 4,73 EUR<br />
75 6,19 EUR 5,14 EUR<br />
76 6,75 EUR 5,66 EUR<br />
77 7,41 EUR 6,30 EUR<br />
78 8,22 EUR 7,09 EUR<br />
79 9,24 EUR 8,11 EUR<br />
80 10,61 EUR 9,49 EUR
Version G -01. <strong>2008</strong><br />
Beitrittserklärung bitte zurücksenden an:<br />
Bildungs- und Förderungswerk der <strong>GEW</strong> e.V., Postfach 90 04 09, 60444 Frankfurt<br />
Beitrittserklärung zur Gruppen-Sterbegeldversicherung<br />
(bis Alter 80) - Tarif VG9/<strong>2008</strong><br />
Zu versichernde Person<br />
Versicherungsumfang<br />
Einzugsauftrag<br />
(bitte in jedem Fall ausfüllen)<br />
Produktbeschreibung<br />
Unfalltod-<br />
Zusatzversicherung<br />
Beitragszahlung<br />
Name / Vorname<br />
Straße / Hausnummer<br />
Versicherungsbeginn<br />
PLZ / Wohnort<br />
Geburtsdatum<br />
Telefonnummer für Rückfragen<br />
Ich beantrage eine Versicherungssumme von: (bitte ankreuzen)<br />
Versicherungssumme in €<br />
3.000<br />
5.000<br />
7.000<br />
10.000<br />
12.500<br />
Monatlicher Beitrag in €<br />
Ich wähle folgende Summe unter 12.500 Euro: Euro .....................<br />
zzgl. BFW-Mitgliedsbeitrag 0,05<br />
Mindestsumme 500,-- Euro<br />
Lastschriftbetrag ................<br />
Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die Beiträge für diese Gruppen-Sterbegeld-Versicherung bis auf schriftlichen Widerruf und der<br />
monatliche BFW-Mitgliedsbeitrag von € 0,05 im Lastschriftverfahren monatlich eingezogen werden.<br />
Konto-Nummer Bankleitzahl<br />
Y Y<br />
Bank / Sparkasse / Postbank Konto-Inhaber<br />
Y<br />
Die Versicherungsleistung wird beim Tod der versicherten Person fällig.<br />
Das Höchsteintrittsalter beträgt 80 Jahre. Der Versicherer verzichtet auf<br />
eine Gesundheitsprüfung; stattdessen gilt beim Tod der versicherten<br />
Person im 1. Versicherungsjahr folgende Staffelung der Versicherungssumme:<br />
Bei Tod im 1. Monat: Rückzahlung des eingezahlten Beitrages;<br />
bei Tod im 2. Monat: Zahlung von 1/12 der Versicherungssumme; bei Tod<br />
im 3. Monat Zahlung von 2/12 der Versicherungssumme usw.; allmonat-<br />
Eine Unfalltod-Zusatzversicherung ist stets eingeschlossen, außer bei<br />
den Eintrittsaltern ab 75 Jahren. Bei Tod infolge eines Unfalls vor dem<br />
Ende des Versicherungsjahres, in dem die versicherte Person ihr 75.<br />
Die Beiträge sind bis zum Ende des Monats zu entrichten, in dem die<br />
versicherte Person stirbt; längstens jedoch bis zum Ende des Ver-<br />
Überschussbeteiligung Die von der DBV-Winterthur Lebensversicherung AG laufend erwirtschafteten<br />
Überschüsse werden in Form von Grund- und Zinsüberschussanteilen<br />
weitergegeben. Die Grundüberschussanteile werden mit<br />
den von mir zu zahlenden Versicherungsbeiträgen verrechnet.<br />
Zuwendungserklärung Die während meiner Mitgliedschaft auf die Sterbegeldversicherung<br />
anfallenden Grundüberschussanteile werden mit<br />
den von mir zu zahlenden Versicherungsbeiträgen verrechnet.<br />
Bis auf meinen jederzeit möglichen Widerruf wende ich dem<br />
BFW der <strong>GEW</strong> laufend Beträge in Höhe der jeweils verrechneten<br />
Überschussanteile zu. Dadurch kommen diese Beträge wirt-<br />
Unterschriften<br />
Bildungs- und Förderungswerk<br />
der <strong>GEW</strong> im DGB e.V.<br />
Bevor Sie diese Beitrittserklärung unterschreiben, lesen Sie bitte auf der<br />
Rückseite die Einwilligungserklärung der zu versichernden Person. Die Einwilligungserklärung<br />
enthält u.a. die Klausel nach dem Bundesdaten-<br />
Ort / Datum Unterschrift der zu versichernden Person<br />
Y Y Y<br />
Bitte kreuzen Sie an:<br />
weiblich männlich<br />
lich um 1/12 der Versicherungssumme steigend bis zur vollen Versicherungssumme<br />
ab Beginn des 2. Versicherungsjahres. Stirbt die<br />
versicherte Person vor Ablauf des ersten Versicherungsjahres infolge<br />
eines im ersten Versicherungsjahr eingetretenen Unfalls, wird stets<br />
die volle Versicherungsleistung erbracht.<br />
Interne Angaben<br />
Gruppenvertragsnummer Personenkreis Versicherungsscheinnummer Versicherungssumme Versicherungsbeginn<br />
4 7 9 0 0 5 8 6 6 1 4 7 0 1 2 0 0 8<br />
Y<br />
Ihr Servicetelefon<br />
069/78 97 32 05<br />
Bitte ankreuzen:<br />
Mitglied<br />
Familienangehörige/r<br />
Lebensjahr vollendet hat, wird die volle Versicherungssumme zusätzlich<br />
zur Sterbegeldleistung gezahlt.<br />
sicherungsjahres, in dem die versicherte Person das rechnungsmäßige<br />
85. Lebensjahr vollendet.<br />
Die Zinsüberschussanteile werden verzinslich angesammelt<br />
und zusammen mit der Versicherungsleistung ausgezahlt.<br />
schaftlich nicht mir, sondern dem BFW der <strong>GEW</strong> zu 64 % für<br />
satzungsgemäße Aufgaben und zu 36 % zur Förderung der<br />
Sterbegeldeinrichtung (Kostendeckungsmittel) zugute. Über<br />
die Höhe der Zuwendungen gibt das BFW der <strong>GEW</strong> auf Anfrage<br />
jederzeit Auskunft. Bei Widerruf der Zuwendungserklärung<br />
beträgt der monatliche BFW-Mitgliedsbeitrag 2,50 €.<br />
schutzgesetz (BDSG) und Hinweise zum Widerspruchsrecht; sie ist<br />
wichtiger Bestandteil des Vertrages. Sie machen mit Ihrer Unterschrift<br />
die Einwilligungserklärung zum Inhalt dieser Beitrittserklärung.<br />
Unterschrift der Kontoinhaberin/des Kontoinhabers<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 47
Version G - 01.<strong>2008</strong><br />
Einwilligungserklärung Die Vereinigung und die zu versichernde Person geben die nachfolgend abgedruckten Einwilligungserklärungen zur Datenverarbeitung<br />
nach dem Bundesdatenschutzgesetz und zur Schweigepflichtentbindung ab.<br />
Widerrufssrecht<br />
Sie können Ihre Erklärung bis zum Ablauf von 30 Tagen<br />
nach Erhalt des Versicherungsscheins und der<br />
Bestimmungen und Informationen zum Vertrag (BIV) ohne<br />
Angabe von Gründen schriftlich widerrufen. Eine<br />
Erklärung in Textform (z.B. per Brief, Fax oder E-Mail) ist<br />
I. Bedeutung dieser Erklärung und Widerrufsmöglichkeit<br />
Ihre personenbezogenen Daten benötigen wir zur Verhinderung<br />
von Versicherungsmissbrauch, zur Überprüfung unserer<br />
Leistungspflicht, zu Ihrer Beratung und Information sowie allgemein<br />
zur Antrags-, Vertrags- und Leistungsabwicklung.<br />
Personenbezogene Daten dürfen nach geltendem Datenschutzrecht<br />
nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden<br />
(Datenverwendung), wenn dies ein Gesetz ausdrücklich<br />
erlaubt oder anordnet oder wenn eine wirksame Einwilligung<br />
des Betroffenen vorliegt.<br />
Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ist die Verwendung<br />
Ihrer allgemeinen personenbezogenen Daten<br />
(z.B. Alter oder Adresse) erlaubt, wenn es der Zweckbestimmung<br />
eines Vertragsverhältnisses oder vertragsähnlichen<br />
Vertrauensverhältnisses dient (§ 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG).<br />
Das gleiche gilt, soweit es zur Wahrung berechtigter Interessen<br />
der verantwortlichen Stelle erforderlich ist und kein Grund zu<br />
der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des<br />
Betroffenen an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung<br />
überwiegt (§ 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG). Die Anwendung<br />
dieser Vorschriften erfordert in der Praxis oft eine umfangreiche<br />
und zeitintensive Einzelfallprüfung. Auf diese kann bei Vorliegen<br />
dieser Einwilligungserklärung verzichtet werden.<br />
Zudem ermöglicht diese Einwilligungserklärung eine Datenverwendung<br />
auch in den Fällen, die nicht von den Vorschriften<br />
des Bundesdatenschutzgesetzes erfasst werden<br />
(Vgl. dazu Ziffer II).<br />
Einen intensiveren Schutz genießen besondere Arten personenbezogener<br />
Daten (insbesondere Ihre Gesundheitsdaten).<br />
Diese dürfen wir im Regelfall nur verwenden, nachdem<br />
Sie hierin ausdrücklich eingewilligt haben (Vgl. dazu Ziffer III.).<br />
Mit den nachfolgenden Einwilligungen zu Ziffer II. und Ziffer<br />
III. ermöglichen Sie zudem eine Datenverwendung auch<br />
solcher Daten, die dem besonderen gesetzlichen Schutz von<br />
Privatgeheimnissen gemäß § 203 Strafgesetzbuch unterliegen.<br />
Diese Einwilligungen sind ab dem Zeitpunkt der Antragstellung<br />
wirksam. Sie wirken unabhängig davon, ob später<br />
der Versicherungsvertrag zustande kommt. Es steht Ihnen<br />
frei, diese Einwilligungserklärungen mit Wirkung für die<br />
Zukunft jederzeit ganz oder teilweise zu widerrufen. Dies<br />
lässt aber die gesetzlichen Datenverarbeitungsbefugnisse<br />
unberührt. Sollten die Einwilligungen ganz oder teilweise<br />
verweigert werden, kann das dazu führen, dass ein Versicherungsvertrag<br />
nicht zustandekommt.<br />
II. Erklärung zur Verwendung Ihrer allgemeinen personenbezogenen<br />
Daten<br />
Hiermit willige ich ein, dass meine personenbezogenen Daten<br />
unter Beachtung der Grundsätze der Datensparsamkeit und<br />
der Datenvermeidung verwendet werden<br />
1.a) zur Vertragsabwicklung und zur Prüfung der Leistungspflicht;<br />
b) zur Weitergabe an den/die für mich zuständigen Vermittler,<br />
soweit dies der ordnungsgemäßen Durchführung meiner<br />
Versicherungsangelegenheiten dient;<br />
Allgemeine Hinweise<br />
Mir ist bekannt, dass die Vereinigung Versicherungsnehmerin<br />
ist. Sie handelt in meinem Auftrag. Ich bevollmächtige die Vereinigung<br />
zur Vertretung bei der Abgabe und Entgegennahme<br />
aller das Versicherungsverhältnis betreffenden Willenserklärungen<br />
(einschließlich der Kündigung der Sterbegeldversicherung<br />
beim Ausscheiden des Mitglieds aus der Vereinigung);<br />
die Vertretungsbefugnis erstreckt sich jedoch nicht<br />
auf die Empfangnahme von Versicherungsleistungen und<br />
die Änderung des Bezugsrechts.<br />
Versicherungsträger<br />
DBV-Winterthur Lebensversicherung Aktiengesellschaft<br />
Sitz: Wiesbaden (AG Wiesbaden - HRB 7501-)<br />
Vorsitzender des Aufsichtsrats: Herbert Falk<br />
48 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Widerrufsbelehrung auf Abschluss eines Versicherungsvertrages<br />
ausreichend. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die<br />
rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu<br />
richten an: DBV-Winterthur Lebensversicherung AG,<br />
Frankfurter Str. 50, 65170 Wiesbaden. Sofern der vorseitig<br />
genannte Versicherungsbeginn vor dem Ablauf der<br />
2. zur gemeinschaftlichen Führung von Datensammlungen<br />
der zur AXA Gruppe gehörenden Unternehmen (zu denen<br />
auch die DBV-Winterthur Gesellschaften zählen und die im<br />
Internet unter www.axa.de einsehbar sind oder mir auf<br />
Wunsch mitgeteilt werden), um die Anliegen im Rahmen der<br />
Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung schnell, effektiv<br />
und kostengünstig bearbeiten zu können (z.B. richtige<br />
Zuordnung Ihrer Post oder Beitragszahlungen). Diese Datensammlungen<br />
enthalten Daten wie Name,Adresse, Geburtsdatum,<br />
Kundennummer, Versicherungsnummer, Kontonummer,<br />
Bankleitzahl,Art der bestehenden Verträge, sonstige<br />
Kontaktdaten;<br />
3. durch andere Unternehmen/Personen (Dienstleister) innerhalb<br />
und außerhalb der AXA Gruppe, denen der Versicherer<br />
oder ein Rückversicherer Aufgaben ganz oder teilweise zur<br />
Erledigung überträgt. Diese Dienstleister werden eingeschaltet,<br />
um die Antrags-, Vertrags- und Leistungsabwicklung<br />
möglichst schnell, effektiv und kostengünstig zu<br />
gestalten. Eine Erweiterung der Zweckbestimmung der<br />
Datenverwendung ist damit nicht verbunden. Die Dienstleister<br />
sind im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung verpflichtet,<br />
ein angemessenes Datenschutzniveau sicher zu stellen,<br />
einen zweckgebundenen und rechtlich zulässigen Umgang<br />
mit den Daten zu gewährleisten sowie den Grundsatz der<br />
Verschwiegenheit zu beachten;<br />
4. zur Verhinderung des Versicherungsmissbrauchs und bei<br />
der Klärung von Ansprüchen aus dem Versicherungsverhältnis<br />
durch Nutzung konzerneigener Datenbestände sowie<br />
Nutzung eines Hinweis- und Informationssystems der Versicherungswirtschaft<br />
mit Daten, die der Gesamtverband<br />
der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) im Auftrag<br />
der Versicherer verschlüsselt.Auf Basis dieses Systems<br />
kann es zu einem auf den konkreten Anlass bezogenen<br />
Austausch personenbezogener Daten zwischen dem<br />
anfragenden und dem angefragten Versicherer kommen;<br />
5. zur Beratung und Information über Versicherungs- und<br />
sonstige Finanzdienstleistungen durch<br />
a) den Versicherer, andere Unternehmen der AXA Gruppe und<br />
den für mich zuständigen Vermittler;<br />
b) Kooperationspartner des Versicherers (die im Internet<br />
unter www.axa.de einsehbar sind oder mir auf Wunsch<br />
mitgeteilt werden); soweit aufgrund von Kooperationen mit<br />
Gewerkschaften/Vereinen Vorteilskonditionen gewährt<br />
werden, bin ich damit einverstanden, dass der Versicherer<br />
zwecks Prüfung, ob eine entsprechende Mitgliedschaft<br />
besteht, mit den Gewerkschaften/Vereinen einen Datenabgleich<br />
vornimmt;<br />
6. zur Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung, indem<br />
der Versicherer Informationen über mein allgemeines<br />
Zahlungsverhalten einholt. Dies kann auch erfolgen durch<br />
ein anderes Unternehmen der AXA Gruppe oder eine Auskunftei<br />
(z.B. Bürgel, Infoscore, Creditreform, SCHUFA);<br />
7. zur Antrags-,Vertrags- und Leistungsabwicklung, indem<br />
Bei höherem Eintrittsalter können die zu zahlenden<br />
Beiträge in ihrem Gesamtbetrag die versicherte<br />
Leistung unter Umständen übersteigen.<br />
Eine Durchschrift der Beitrittserklärung wird mir unverzüglich<br />
nach Unterzeichnung zugesandt.<br />
Auf diesen Vertrag findet das Recht der Bundesrepublik<br />
Deutschland Anwendung.<br />
Soweit Vorteilskonditionen gewährt werden, die vom<br />
Bestehen der Mitgliedschaft zu einer Gewerk-<br />
Vorstand: Dr. Frank Keuper (Vors.), Wolfgang Hanssmann,<br />
Ulrich C. Nießen, Anette Rosenzweig, Dr. Heinz-Peter Roß,<br />
Dr. Heinz-Jürgen Schwering, Dr. Patrick Dahmen (stv.)<br />
Widerrufsfrist liegt, bin ich damit einverstanden, dass der<br />
erste oder einmalige Beitrag (Einlösungsbeitrag) -<br />
abweichend von der gesetzlichen Regelung - vor Ablauf<br />
der Frist fällig d.h. unverzüglich zu zahlen ist.<br />
der Versicherer ein Unternehmen der AXA Gruppe oder<br />
eine Auskunftei eine auf der Grundlage mathematischstatistischer<br />
Verfahren erzeugte Einschätzung meiner<br />
Zahlungsfähigkeit bzw. der Kundenbeziehung (Scoring) einholt.<br />
III. Erklärungen zur Schweigepflichtentbindung und<br />
Verwendung von Gesundheitsdaten<br />
Schweigepflichtentbindung<br />
Zur Bewertung unserer Leistungspflicht kann es erforderlich<br />
werden, dass wir die Angaben prüfen, die zur Begründung<br />
von Ansprüchen gemacht werden oder die sich aus eingereichten<br />
Unterlagen (z.B. Rechnungen,Verordnungen, Gutachten)<br />
oder Mitteilungen beispielsweise eines Krankenhauses<br />
oder Arztes ergeben. Diese Überprüfung unter Einbeziehung<br />
von Gesundheitsdaten erfolgt nur, soweit hierzu<br />
ein Anlass besteht (z.B. Fragen zu Unfalltod oder Selbsttötung).<br />
Um diese Prüfung und Bewertung zu ermöglichen, geben<br />
Sie folgende Erklärung ab:<br />
a) Zum Zweck der Prüfung der Leistungspflicht befreie ich<br />
von ihrer Schweigepflicht Ärzte, Pflegepersonen und Bedienstete<br />
von Krankenhäusern, sonstigen Krankenanstallten,<br />
Pflegeheimen, Personenversicherern, gesetzlichen<br />
Krankenkassen sowie von Berufsgenossenschaften und<br />
Behörden, soweit ich dort in den letzten 10 Jahren vor<br />
Antragstellung untersucht, beraten oder behandelt worden<br />
bin bzw. versichert war oder einen Antrag auf Versicherung<br />
gestellt habe.<br />
b) Die Angehörigen des Versicherers und seiner Dienstleistungsgesellschaften<br />
befreie ich von ihrer Schweigepflicht<br />
insoweit, als Gesundheitsdaten an beratende Ärzte oder<br />
Gutachter weitergegeben werden. Wir werden Gesundheitsdaten<br />
nach den Absätzen a) und b) nur erheben zur Leistungspflichtprüfung.<br />
Datenverwendung<br />
Um die Datenverwendung zu ermöglichen, geben Sie<br />
folgende Erklärungen ab:<br />
a) Ich willige in die Verwendung der von den vorstehenden<br />
Schweigepflichtentbindungserklärungen erfassten Gesundheitsdaten<br />
zur Leistungsprüfung ein. Die Grundsätze der<br />
Datensparsamkeit und Datenvermeidung sind zu beachten.<br />
b) Ich willige ferner ein, dass die von den vorstehenden<br />
Schweigepflichtentbindungserklärungen erfassten Gesundheitsdaten<br />
unter Beachtung der Grundsätze der Datensparsamkeit<br />
und Datenvermeidung im Sinne der Ziffer II. Nr.<br />
1 (Vertragsabwicklung), Nr. 3 (Outsourcing an Dienstleister),<br />
Nr. 4 (Missbrauchsbekämpfung) und Nr. 5 (Beratung und<br />
Information) verwendet werden dürfen.<br />
Zur Missbrauchsbekämpfung im Rahmen einer besonderen<br />
Konzerndatenbank dürfen Gesundheitsdaten nur von<br />
Kranken-, Unfall- und Lebensversicherern eingesehen und<br />
verwendet werden (Ziffer II. 4).<br />
schaft/Vereinigung abhängig sind, erfolgt ein Datenabgleich<br />
mit dieser Organisation ohne Bekanntgabe der Versicherungsinhalte.<br />
Die für Ihre Versicherung zuständige Aufsichtsbehörde ist die<br />
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin),<br />
Postfach 1308, 53003 Bonn, Internet: www.bafin.de.<br />
Unser Unternehmen ist Mitglied im Verein Versicherungsombudsmann<br />
e.V., Postfach 080632, 10006 Berlin.<br />
Anschrift:<br />
Frankfurter Straße 50<br />
65170 Wiesbaden
Recht und<br />
Rechtsschutz<br />
10/<strong>2008</strong> Informationen<br />
Versorgungsabschlag<br />
bei Teilzeit und<br />
Beurlaubung beseitigt<br />
Während der Zeit von Beurlaubung und<br />
Teilzeitbeschäftigung können keine<br />
oder nur anteilig Ansprüche auf Beamtenversorgung<br />
erworben werden. Das<br />
der <strong>GEW</strong>–Bundesstelle<br />
für Rechtsschutz.<br />
Verantwortlich: Paul Michel,<br />
Volker Busch, Gerhard Jens<br />
60. Jahrgang<br />
erscheint selbstverständlich. Durch eine<br />
besondere Systematik der versorgungsrechtlichen<br />
Regelungen konnten allerdings<br />
Versorgungsansprüche überproportional<br />
durch den so genannten Versorgungsabschlag<br />
aufgrund von Teilzeitbeschäftigung<br />
und Beurlaubung gekürzt<br />
werden. In einem aktuellen Urteil hat<br />
das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)<br />
diese Regelung aufgehoben.<br />
Teilzeitbeschäftigung sowie Beurlaubung<br />
sind sowohl in der Vergangenheit<br />
als auch noch heute hauptsächlich von<br />
Frauen in Anspruch genommen worden.<br />
Deshalb waren überwiegend<br />
Frauen von einer überproportionalen<br />
Kürzung des Versorgungsabschlags<br />
betroffen.<br />
Mit dem Urteil vom 23.<br />
<strong>Oktober</strong> 2003 hatte der<br />
Europäische Gerichtshof<br />
(EuGH) in einem<br />
von der <strong>GEW</strong> geführtenRechtsverfahrenentschieden:<br />
Diese überproportionale<br />
Kürzung stelle<br />
eine nicht gerechtfertigte<br />
mittelbare<br />
Diskriminierung<br />
von<br />
Frauen dar und<br />
verstoße somit<br />
gegen europäisches<br />
Recht. Da<br />
sich die Dienstherrn<br />
in den Ländern allerdings<br />
nicht an die<br />
Entscheidung des<br />
EuGH gebunden<br />
fühlten, kam das Verfahren<br />
noch einmal<br />
vor das Bundesverwaltungsgericht<br />
(BVerwG).<br />
Das BVerwG revidierte<br />
daraufhin seine bisherige<br />
Rechtsprechung und<br />
übernahm am 25. Mai<br />
<strong>2008</strong> die Entscheidung<br />
des EuGH.<br />
Allerdings vertrat der EuGH die Ansicht,<br />
dass das europäische Gemeinschaftsrecht<br />
– mithin auch das Verbot<br />
der mittelbaren Diskriminierung – erst<br />
seit dem 17. Mai 1990 existiert. Damals<br />
hatte der EuGH zum ersten Mal diesen<br />
Rechtsgrundsatz definiert.<br />
Da zu befürchten war, dass der Versorgungsabschlag<br />
auch noch für die vor<br />
dem rechtskräftigen Urteil liegenden<br />
Beschäftigungszeiten angewendet werden<br />
könnte, war der Gang zum Bundesverfassungsgericht<br />
(BVerfG) notwendig.<br />
In seinem Beschluss vom 18. Juni <strong>2008</strong><br />
(Az 2 BvL 6/07) haben die Richter die<br />
Position der <strong>GEW</strong> bestätigt, dass der<br />
Versorgungsabschlag gegen das Diskriminierungsverbot<br />
des Art. 3 des Grundgesetzes<br />
(GG) verstoße und somit verfassungswidrig<br />
sei. Damit darf er auch<br />
für die Zeiten vor dem Stichtag des 17.<br />
Mai 1990 nicht mehr abgerechnet werden.<br />
Wer ist betroffen?<br />
Betroffen sind von dieser Regelung nur<br />
die Beamtinnen und Beamten,<br />
● die bereits ab 31. Dezember 1991 in einem<br />
Beamtenverhältnis waren,<br />
● die ab diesem Zeitpunkt Teilzeit<br />
und/oder Beurlaubung in Anspruch<br />
genommen haben,<br />
● die im Ruhestand sind und<br />
● deren Versorgung gemäß Paragraf 85<br />
Abs. 4 BeamtVG festgesetzt wurde.<br />
Wer muss jetzt handeln?<br />
Bei Beamtinnen und Beamten im Ruhestand,<br />
deren Bescheid über die Höhe<br />
der Versorgungsbezüge noch nicht bestandskräftig<br />
ist, kommt es automatisch<br />
zu einer Neuberechnung. Dabei handelt<br />
es sich um jene Pensionäre, die sich<br />
durch Widerspruch oder Klage gegen<br />
den Versorgungsabschlag gewehrt haben.<br />
Pensionierte Beamtinnen und Beamte,<br />
deren Versorgungsbescheide schon bestandskräftig<br />
sind, müssen einen Antrag<br />
auf Neufestsetzung stellen.<br />
Bei allen neuen Bescheiden wird die aktuelle<br />
Rechtsprechung angewendet.<br />
Wer hilft?<br />
<strong>GEW</strong>-Mitglieder können sich bei Fragen<br />
an die zuständigen Landesrechtsschutzstellen<br />
wenden. Für eine Überprüfung<br />
muss eine Kopie des Bescheides<br />
über festgesetzte Versorgungsbezüge<br />
vorgelegt werden.<br />
Ilse Schaad, Leiterin des<br />
<strong>GEW</strong>-Arbeitsbereichs Angestellten- und<br />
Beamtenpolitik/Katrin Löber, Referentin<br />
im selben/Paul Michel, <strong>GEW</strong>-Justitiar<br />
Versorgungsabschlag<br />
bei<br />
Teilzeit und<br />
Beurlaubung<br />
beseitigt<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 49
MARKTPLATZ<br />
Trau Dich!<br />
Rechtsextreme Symbole im Klassenzimmer, kollektives Mobbing im Internet<br />
– solche Konflikte gefährden die demokratische Kultur unserer Gesellschaft.<br />
Aber es geht auch anders: Einzelne junge Menschen, Klassen<br />
oder Jugendgruppen halten dagegen und beweisen<br />
Zivilcourage. Oft schlägt sich dieses Engagement<br />
in ganz konkreten Projekten nieder –<br />
Initiativen, die es verdient haben, sie einer<br />
größeren Öffentlichkeit bekanntzumachen.<br />
Die <strong>GEW</strong> sucht solche Projekte engagierten<br />
Handelns und hat einen Wettbewerb ausgeschrieben.<br />
Gesucht sind Projekte,<br />
● die gesellschaftliche Missstände anprangern<br />
und beenden,<br />
● die die Aufarbeitung der jüngeren Vergangenheit<br />
thematisieren,<br />
● die den Schwachen und Benachteiligten in<br />
unserer Gesellschaft helfen,<br />
● die sich für mehr Demokratie im Alltag junger<br />
Menschen engagieren.<br />
<strong>GEW</strong>-Fußballturnier <strong>2008</strong><br />
Das <strong>GEW</strong>-Fußballturnier <strong>2008</strong> mit Mannschaften aus den Landesverbänden,<br />
dem Hauptvorstand und der Sportkommission findet vom 15.<br />
bis 16. November in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) statt. Ziel der fußballbegeisterten<br />
<strong>GEW</strong>ler ist, den Kreis der teilnehmenden Mannschaften<br />
deutlich zu vergrößern. Deshalb sind alle Landesverbände aufgefordert,<br />
nach kickenden <strong>GEW</strong>lern Ausschau zu halten und sie zu motivieren,<br />
sich zu messen. Die Fußballfreunde freuen sich auf jeden weiteren Kicker<br />
und jede Kickerin. Anmeldung an:<br />
<strong>GEW</strong>-Landesverband Sachsen-Anhalt, Markgrafenstr. 6, 39114 Magdeburg,<br />
E-Mail: helga.assel@gew-lsa.de, Tel. 0391/73 55 430.<br />
50 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Wer kann teilnehmen?<br />
An dem Wettbewerb, den das Bildungs- und<br />
Förderungswerk der <strong>GEW</strong> (BFW) finanziert,<br />
können sich junge Menschen aus Bayern im Alter<br />
von zwölf bis 20 Jahren beteiligen. Das Engagement<br />
Einzelner, ob in Schule, Ausbildungsbetrieb oder Jugendzentrum,<br />
ist dabei ebenso willkommen wie die Beteiligung ganzer Klassen,<br />
Gruppen oder Kurse.<br />
Foto: Fotolia<br />
Was gibt es zu gewinnen?<br />
Die Gewinner des Wettbewerbs haben die Chance, vom 25. bis 28. April<br />
2009 an einem Workshop der politischen Bildung teilzunehmen. Dazu<br />
werden jeweils zwei Team-Mitglieder, eine Lehrkraft oder ein Betreuer der<br />
sechs interessantesten Projekte nach Nürnberg eingeladen. Außerdem<br />
gibt es für jedes Gewinner-Team eine digitale Videokamera – damit die<br />
Projektarbeit in Zukunft noch besser dokumentiert werden kann.<br />
Die Preisverleihung findet auf dem Gewerkschaftstag der <strong>GEW</strong> am 27.<br />
April 2009 in Nürnberg statt. Dort können sich die Projekte zudem in einer<br />
Ausstellung präsentieren.<br />
Interessierte Jugendliche oder Gruppen bewerben sich mit dem Anmeldebogen<br />
und einer Projektbeschreibung (nicht mehr als eine DIN A4-Seite).<br />
Um die Initiative anschaulicher zu machen, können Fotos, Dokumente<br />
und Zeitungsartikel angehängt werden.<br />
Die Bewerbungen müssen bis zum 30. November <strong>2008</strong> eingegangen sein<br />
bei:<br />
<strong>GEW</strong>-Hauptvorstand, Stichwort „Trau dich!“, Reifenberger Str. 21, 60489<br />
Frankfurt a.M.<br />
Den Flyer zum Wettbewerb gibt es im Internet unter:<br />
www.gew.de/Trau_dich.html<br />
Initiative www.arbeiterkind.de<br />
In Deutschland lässt sich die Wahrscheinlichkeit,<br />
ob ein Kind studieren wird, am Bildungsstand der<br />
Eltern ablesen. Laut der aktuellen Sozialstudie des<br />
Deutschen Studentenwerks (DSW) nehmen von<br />
100 Akademikerkindern 84 ein Hochschulstudium<br />
auf. Dagegen studieren von 100 Kindern nicht-akademischer<br />
Herkunft lediglich 23, obwohl doppelt<br />
so viele die Hochschulreife erreichen. Die hohe finanzielle<br />
Belastung eines Studiums ist nur einer<br />
von vielen Gründen, die Abiturienten aus einkommensschwächeren<br />
Elternhäusern häufig von einem<br />
Studium abhalten. Oft deshalb, weil ein großes Informationsdefizit<br />
besteht. Die Internetseite arbeiterkind.de<br />
will dies beheben und junge Leute aus<br />
bildungsferneren Familien zur Aufnahme eines<br />
Hochschulstudiums ermutigen. Auf arbeiterkind.de<br />
können sich Schülerinnen und Schüler über die<br />
Vorteile eines Studiums und die Berufsperspektiven<br />
für Akademiker informieren. Außerdem werden<br />
verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie<br />
sich ein Studium finanzieren lässt. Um Studierende<br />
aus Arbeiterfamilien auch mental zu unterstützen,<br />
bietet die Initiative Beratung durch Mentoren<br />
an.<br />
Wer bei arbeiterkind.de als Mentor, Mentorin mitmachen<br />
will, kann sich über die Kommunikationsplattform<br />
im Internet anmelden, einer lokalen<br />
Gruppe beitreten oder eine neue gründen. E&W<br />
www.arbeiterkind.de<br />
Fachtagung<br />
„Zukunft in die Schule holen“<br />
Gemeinsam mit der SPI-Consult Berlin GmbH, einem<br />
Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen<br />
für den Bereich Arbeitsmarkt- und Berufsbildungspolitik,veranstaltet<br />
die <strong>GEW</strong><br />
eine Fachtagung<br />
unter dem Motto<br />
„Zukunft in<br />
die Schule holen“.<br />
Das Treffen<br />
findet vom<br />
7. November (15<br />
Uhr) bis 8. November<br />
(13 Uhr)<br />
im Abgeordnetenhaus<br />
Berlin statt.<br />
Am Ende der Sekundarstufe I wird von den jungen<br />
Menschen erwartet, dass sie für sich Lebensentwürfe<br />
und Berufsperspektiven entwickelt haben. Wie<br />
entstehen aber die Vorstellungen der Jungen und<br />
Mädchen über ihre Zukunft? Welchen Beitrag<br />
leistet die Schule? Diese und andere Fragen sollen<br />
auf der Tagung diskutiert werden. Wissenschaftler<br />
und Fachleute, die zu dieser Fragestellung neue<br />
Antworten liefern können, kommen zu Wort.<br />
Die Tagung ist kostenlos.<br />
Anmeldeschluss: 15. <strong>Oktober</strong> per Mail<br />
(n.kliesch@spiconsult.de bzw. c.boehm@spiconsult.de)<br />
oder per Fax (030/6900 8579).
„Die gelbe Hand <strong>2008</strong>“<br />
Der Verein „Mach meinen Kumpel nicht an!“ e.V.<br />
hat einen Wettbewerb mit dem Titel „Die gelbe<br />
Hand <strong>2008</strong>“ ausgeschrieben. Berufsschulen, (Ausbildungs-)Betriebe<br />
und Verwaltungen sind aufgerufen,<br />
Beiträge gegen Rechtsextremismus und Rassismus<br />
zu entwickeln und einzureichen. Die Schirmherrschaft<br />
hat Uwe Schünemann, Niedersächsischer<br />
Minister für Inneres, Sport und Integration, übernommen.<br />
Nicht immer ist die Arbeitswelt als Aktionsbereich<br />
gegen Rassismus und Ausgrenzung ausreichend im<br />
Fokus. Dabei gibt es viele Beispiele sehr guter Projekte,<br />
die man auf betrieblicher Ebene für Gleichberechtigung<br />
und gegen Rechts initiieren kann.<br />
Einsendeschluss für die Beiträge ist der 31. <strong>Oktober</strong><br />
<strong>2008</strong>.<br />
Weitere Informationen zum Wettbewerb:<br />
Verein gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus<br />
„Mach meinen Kumpel nicht an!“ e.V., Heike<br />
Mauer, Hans-Böckler-Str. 39, 40476 Düsseldorf,<br />
Tel. 0211/43 01 193, Fax 43 01 134,<br />
E-Mail: info@gelbehand.de,<br />
Internet: www.gelbehand.de/wettbewerb<br />
<strong>GEW</strong> trauert<br />
um Michael Sternheimer<br />
Michael Sternheimer,<br />
langjähriger Dolmetscher<br />
der <strong>GEW</strong><br />
bei den deutsch-israelischen<br />
Seminaren,<br />
ist am 23. August im<br />
Alter von 68 Jahren<br />
nach kurzer, schwerer<br />
Krankheit gestorben.<br />
Michael Sternheimer<br />
war der gute Stern der Seminare: Sprachmittler<br />
– Kulturmittler – zuverlässiger Freund.<br />
Er wurde nie müde, sich für das gemeinsame<br />
Ziel der Verständigung zwischen den israelischen<br />
und deutschen Gewerkschaftskolleginnen<br />
und -kollegen einzusetzen.<br />
1940 wurde Sternheimer in Haifa als Sohn<br />
deutscher Einwanderer geboren, die aus Nazi-<br />
Deutschland vertrieben worden waren. Mit<br />
22 Jahren kam er nach Deutschland, um zu<br />
studieren – und blieb.<br />
Nach der Leitung einer Kindertagesstätte in<br />
Mannheim und einem kurzen Intermezzo als<br />
Geschäftsmann arbeitete er hauptberuflich als<br />
Übersetzer und Dolmetscher – u. a. für die<br />
<strong>GEW</strong> und andere DGB-Gewerkschaften.<br />
Michael Sternheimer war ein außergewöhnlicher<br />
Mensch. Wir werden ihn sehr vermissen!<br />
Foto: Privat<br />
Till Lieberz-Groß, Beauftragte des Vorsitzenden<br />
der <strong>GEW</strong> für die deutsch-israelischen Seminare<br />
Zu kurz gegriffen<br />
(E&W 6/<strong>2008</strong>, Seite 6 ff.: „Bildung<br />
für nachhaltige Entwicklung“)<br />
Herzlichen Glückwunsch zu einem<br />
gesellschaftlich wichtigen Bildungskonzept.<br />
Wir hoffen, dass Titel,<br />
Stundenplan und Karikaturen nur<br />
ironisch gemeint sind, denn: „Bildung<br />
für nachhaltige Entwicklung“<br />
(BNE) ist kein Schulfach, kein neues<br />
zusätzliches Querschnittsthema,<br />
sondern unbescheiden gesagt: das<br />
humanistische Bildungsideal des<br />
21. Jahrhunderts. Ein Hinweis auf<br />
bundesweit vorhandene außerschulische<br />
Partner fehlt in den Beiträgen<br />
allerdings ebenso wie eine Auseinandersetzung<br />
mit internationalen<br />
Schulpartnerschaften. Die konkreten<br />
Hilfestellungen, auf die Schule<br />
im Bereich Bildung für nachhaltige<br />
Entwicklung und Globales Lernen<br />
zurückgreifen kann, kommen zu<br />
kurz. Schade!<br />
Mechthild Lensing, Berlin<br />
Irritiert<br />
(E&W 7-8/<strong>2008</strong>, Titelbild)<br />
Als steter Leser der E&W bin ich irritiert<br />
über das gewählte Umschlagbild<br />
der letzten Ausgabe. Das Kokettieren<br />
mit vermeintlicher Jugendsubkultur<br />
bzw. mit einem kaum als<br />
Demokraten zu bezeichnenden<br />
„Che“ finde ich für eine Bildungsgewerkschaft,<br />
die sich den Werten einer<br />
umfassenden Demokratieförderung<br />
und -erziehung verpflichtet<br />
sieht und fühlt, mehr als unpassend.<br />
Jens Hildebrandt (per E-Mail)<br />
„Begriffsmätzchen“<br />
In obiger Ausgabe liest man auf der<br />
Titelseite „Bildung ist MehrWert“ –<br />
das schmerzt den gebildeten Leser!<br />
Wer Bildung fordert und fördern<br />
möchte, sollte – je nach Absicht –<br />
„Mehrwert“ oder „mehr wert“<br />
schreiben, jedoch auf legasthenisch<br />
anmutende Marketingbegriffsmätzchen<br />
wie „MehrWert“ verzichten.<br />
Martin Mayer, Hamburg<br />
Schlag ins Gesicht<br />
(E&W 9/<strong>2008</strong>: Schwerpunkt<br />
„Bildungsverlierer“)<br />
Mit großer Vorfreude habe ich die<br />
Ausgabe 9/<strong>2008</strong> der E&W zur<br />
Hand genommen, der Titel „Vorrang<br />
für Ausgegrenzte“ ließ mich –<br />
Leiter einer baden-württembergi-<br />
MARKTPLATZ/LESERFORUM<br />
schen Förderschule und damit ständig<br />
mit „Ausgegrenzten“ aller Altersstufen<br />
arbeitend – das Heft erwartungsvoll<br />
und am Stück durchlesen.<br />
Große Überraschung: Über<br />
Förderschulen wird in diesem Heft<br />
keine Zeile geschrieben, nicht einmal<br />
der Begriff taucht auf. Die Förderschule<br />
in ihrem Spannungsfeld<br />
zwischen Ausgrenzung und Förderung<br />
wird konsequent totgeschwiegen.<br />
Die Aussage „Nach der Hauptschule<br />
kommt nur noch die Baumschule“<br />
ist nicht nur salopp-flapsig,<br />
sondern einfach dumm und diskriminierend,<br />
für Eltern von Förderschülern<br />
ein weiterer Schlag ins Gesicht.<br />
Förderschulen führen weitgehend<br />
ein Schattendasein, leiden unter<br />
dem Vorurteil der „Dummen“-,<br />
„Behinderten“- oder bestenfalls<br />
„Hilfs“schule. Ein großer Teil der<br />
(Eltern-)Arbeit an der Förderschule<br />
besteht darin, gegen diese Vorurteile<br />
anzukämpfen.<br />
Rudolf Teuffel, Münsingen<br />
Verantwortung<br />
übernehmen<br />
Wie ein roter Faden zieht sich die<br />
These von der „Benachteiligung der<br />
Bildungsverlierer“ durch das Heft<br />
9/<strong>2008</strong>. Schuld am schlechten<br />
Schulabschluss und den folgenden<br />
schlechten Berufschancen sind<br />
wahlweise „die Gesellschaft“, „die<br />
Schule“, „die Wirtschaft“, „das System“.<br />
Auf die Idee, dass ein<br />
Schüler, der nach neun Jahren<br />
Schule Texte nicht sinnerfassend<br />
lesen kann, eine gehörige Portion<br />
Mitverantwortung trägt, kommt<br />
keiner ihrer Autoren. Auch wenn<br />
„viele Eltern türkischer Herkunft<br />
davon überzeugt sind, dass man<br />
nach der 10. Klasse einfach weitermachen<br />
kann“, ein Schüler, der<br />
nicht lesen und schreiben kann,<br />
kann weder auf einer weiterführenden<br />
Schule noch in einer Lehre<br />
„einfach so weitermachen“.<br />
Gerhard Kohlhepp, Bad Soden<br />
E &W-Briefkasten<br />
Postanschrift der Redaktion:<br />
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />
Postfach 900409, 60444 Frankfurt a. M.,<br />
E-Mail: renate.koerner@gew.de<br />
Ab sofort ist die Rubrik „Anschlagtafel“<br />
wieder auf unserer Website unter<br />
www.gew.de/Anschlagtafel.html<br />
zu fnden.<br />
10/<strong>2008</strong> Erziehung und Wissenschaft 51
Erziehung und Wissenschaft<br />
Diesmal<br />
56 Erziehung und Wissenschaft 10/<strong>2008</strong><br />
Cartoon: Thomas Plaßmann