KREISLÄUFER - HC Kriens-Luzern
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Kolumne 61. Minute<br />
DER MIT DEN WÖLFEN HEULT …<br />
Es rumort mal wieder in den kalten weiten Wäldern der russischen Tundra.<br />
Beim <strong>HC</strong> Traktor Sneirk sind die Supporters in einen Schweigeprotest<br />
getreten. Der Grund: Die Kommanda (das ist unsere Mannschaft) sei zu<br />
erfolgreich …<br />
Eigentlich wissen wir ja alle, dass er<br />
kommt: Der harte russische Winter.<br />
Und bei uns in Sneirk immer zuerst. Ein<br />
weiser Waldarbeiter, den ich mal auf<br />
einer meiner Reisen getroffen habe,<br />
sagte mir: «Der Winter ist gleich bei<br />
euch in Sneirk um die Ecke zu Hause.»<br />
30 Grad unter dem Gefrierpunkt zeigt<br />
das Thermometer draussen vor meinem<br />
Fenster. Und das schon seit sich<br />
der bunte Herbst Ende September verabschiedet<br />
hat. Die Strassenbahn kann<br />
seit Tagen nur noch die gleiche Route<br />
durch die Stadt fahren, weil alle Weichen<br />
vereist sind. Eine dicke Schneeschicht<br />
liegt bereits überall. Von Natur<br />
gibt es hier weit und breit nichts mehr<br />
zu sehen. Nur noch Findus. Deshalb<br />
haben auch die Fischhändler so Freude<br />
an diesem Wetter, weil sie jetzt im<br />
grössten Kühlhaus der Welt zu Hause<br />
sind…<br />
Zu diesen eisigen Temperaturen passen<br />
auch die frostigen Geschichten,<br />
die man sich über unsere Sbornaja er-<br />
<strong>KREISLÄUFER</strong><br />
zählt. Die Storonnik (so nennt man bei<br />
uns die Fans) des <strong>HC</strong> Traktor Sneirk<br />
nämlich sind in einen Schweigeprotest<br />
getreten! Stellen Sie sich das vor! Ausgerechnet<br />
jetzt, wo man doch jede<br />
Gelegenheit wahrnehmen sollte, das<br />
Herz zu erwärmen.<br />
Das geht dann so: Die Storonniks kommen<br />
zwar an die Spiele, ziehen Fellmütze<br />
und Wintermantel aus – aber sie<br />
schweigen das ganze Spiel vor sich<br />
hin. Als hätten sie den Aufruf eines<br />
ehemaligen Staatsministers aus eurem<br />
Land etwas gar wörtlich genommen:<br />
«Ruhe herrscht». Oder hat der nicht<br />
das gerufen damals in den Weltraum?<br />
Das könnte ja auch ein Fehler in der<br />
Übersetzung sein.<br />
Auf jeden Fall ist es eine mehr als nur<br />
komische Vorstellung für unsere Kommanda.<br />
Das Lauteste bei den Spielen<br />
sind jetzt die alten Kolchosen-Traktoren,<br />
die am Rand des Spielfeldes vor<br />
sich hin rosten. Ansonsten hört man<br />
CLUB<br />
nur die Harzkugel über den Boden rollen.<br />
Und sonst nichts. Nada. Einfach<br />
nur tihi (das heisst bei uns Stille). Klar,<br />
von den Traktoren hat unsere Mannschaft<br />
ja auch den Namen. Unsere<br />
Storonniks aber sind nicht etwa aus<br />
Ehrfurcht davor ruhig.<br />
Nein, sie haben nämlich genug gerufen.<br />
Ihnen scheint die Kommanda zu<br />
erfolgreich zu sein. Siegen, das geht<br />
doch von alleine. So wollten sie warten<br />
auf bessere Zeiten mit Niederlagen, um<br />
als richtige Storonniks wieder loslegen<br />
zu können. Quasi ein schweigender<br />
Protest oder ein Streik.<br />
Ich habe es aber als meine Pflicht<br />
angeschaut, ihnen schon jetzt mal an<br />
der Mette die Leviten zu lesen. Solche<br />
Strafpredigten haben sie zwar nicht<br />
so gerne. Aber die Traktoren und die<br />
Menschen müssen damit leben. Ich bin<br />
halt einer, der mit den Wölfen heult. Davon<br />
aber gibt es auch in unseren Wäldern<br />
nicht mehr allzu viele.<br />
Ist doch aber wahr beim Barte meines<br />
Grossvaters: Warum schweigt einer,<br />
der ein echter Storonnik sein will, nur<br />
weil die Kommanda gerade erfolgreich<br />
ist?<br />
Igor Motzikov<br />
61. MINUTE<br />
Das ist der aktuelle Kreisläufer-<br />
Blog zu den Geschehnissen des<br />
Handballclub TRAKTOR SNEIRK,<br />
dem Grossverein aus dem gleichnamigen<br />
Ort in der südrussischen<br />
Provinz Nrezul. Korrespondent für<br />
den Kreisläufer ist Igor Motzikov<br />
(78), orthodoxer Ortsgeistlicher und<br />
Waschmittel-Verkäufer im Aussendienst<br />
für die Braunkohle-Reviere<br />
Kirgisiens.<br />
NOVEMBER 2010<br />
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