Nimm zwei! - BRAK-Mitteilungen
Nimm zwei! - BRAK-Mitteilungen
Nimm zwei! - BRAK-Mitteilungen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
198 Pflichten und Haftung des Anwalts <strong>BRAK</strong>-Mitt. 4/2011<br />
anspruchs des Geschädigten würde unzumutbar erschwert,<br />
wenn die bereits bekannten Steuervorteile aus dem Anlagegeschäft<br />
auf den Schadensersatzanspruch angerechnet würden<br />
und es dem Geschädigten überlassen bliebe, die aus der Versteuerung<br />
der Ersatzleistung entstehenden Nachteile zu einem<br />
späteren Zeitpunkt – auf der Grundlage des Feststellungsausspruchs<br />
über die Ersatzpflicht für die weiteren Schäden – geltend<br />
zu machen und damit das Insolvenzrisiko des Schädigers<br />
zu tragen (so auch BGH, WM 2010, 1641).<br />
Im Rahmen von Anwaltshaftungsprozessen geht es sehr oft um<br />
den hypothetischen Kausalverlauf und damit um die fiktive<br />
Schadensentwicklung. Bei durch Anwaltsverschulden verloren<br />
gegangenen Versorgungsanwartschaften hat der IX. ZS ebenfalls<br />
gemeint, trotz der noch nicht feststehenden Höhe der Versorgungslücke<br />
rechtfertige eine umfassende Güter- und Interessenabwägung<br />
es nicht, den Geschädigten auf einen Schadensersatzanspruch<br />
erst bei Erreichen des Rentenalters zu verweisen<br />
(BGH, NJW 2010, 1961). Bei steuerlichen Auswirkungen<br />
dürfte auch der IX. ZS die obigen Grundsätze anwenden.<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Anspruch auf Erstattung des Anwaltshonorars wegen Verzugs<br />
1. Lässt das Berufungsgericht die Revision zu, muss aus dem Berufungsurteil<br />
zu ersehen sein, von welchem Sach- und Streitstand es<br />
ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt<br />
haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung<br />
zugrunde liegen.<br />
2. Ein Schadensersatzanspruch des Gläubigers gegen den Schuldner<br />
auf Ersatz der von ihm bezahlten gesetzlichen Vergütung für<br />
die außergerichtliche Beauftragung seines Rechtsanwalts ist nicht<br />
deshalb ausgeschlossen, weil der Gläubiger hätte Beratungshilfe<br />
in Anspruch nehmen können.<br />
BGH, Versäumnisurteil v. 24.2.2011 – VII ZR 169/10, WvM 2011,<br />
376 = MDR 2011, 697<br />
Anmerkung:<br />
Die Besprechung eines ganz ähnlich gelagerten Falles an gleicher<br />
Stelle (<strong>BRAK</strong>-Mitt. 2010, 128), den das OLG Celle mit<br />
anderem Ergebnis entschieden hatte, löste ungewöhnlich viele<br />
kritische Leserreaktionen aus. Daher sei an dieser Stelle eine<br />
persönliche Anmerkung gestattet: Die Verfasser nehmen erfreut<br />
zur Kenntnis, dass diese Rubrik eine – z.T. schon treue – Leserschaft<br />
hat; Anmerkungen, auch und gerade kritische, nehmen<br />
die Autoren gerne zum Anlass, die eigene Position zu diskutieren<br />
und zu überdenken.<br />
Konkret geht es um die Frage, welche materiell-rechtlichen<br />
Erstattungsansprüche (z.B. wegen Verzugs des Gegners) dem<br />
Anspruchsberechtigten bzgl. des an den eigenen Anwalt zu<br />
zahlenden Honorars zustehen, wenn der Mandant Beratungshilfe<br />
beanspruchen kann. Hat der Anspruchsberechtigte in diesem<br />
Fall überhaupt einen Verzugsschaden zu beklagen? Wenn<br />
ja, können lediglich die niedrigeren Beratungshilfegebühren<br />
oder doch die normalen gesetzlichen Gebühren verlangt werden?<br />
Das OLG Celle ließ einen solchen Anspruch noch daran<br />
scheitern, dass der Anwalt seinem eigenen Mandanten gegenüber<br />
bei Vorliegen der Voraussetzungen für Beratungshilfe<br />
nicht gesetzlich abrechnen dürfe, wenn er ihn nicht über die<br />
Möglichkeit der Beratungshilfe belehrt habe. Dann nämlich<br />
könne der Mandant mit einem entsprechenden Schadensersatzanspruch<br />
aufrechnen. Falls eine entsprechende Beratung<br />
stattgefunden habe und im Verhältnis zum Mandanten dann<br />
auch die höheren Gebühren abgerechnet werden könnten,<br />
dürfe das aber nicht zum Nachteil des Gegners ausschlagen,<br />
weil dann mehr als die erforderlichen Kosten verlangt würden<br />
(siehe OLG Celle, NJW-RR 2010, 133).<br />
Rechtsprechungsleitsätze<br />
Der BGH gibt nun den angesprochenen Leserzuschriften recht.<br />
Diese haben durchgängig kritisiert, dass weder das OLG Celle<br />
noch die Urteils-Besprechung §9Satz 1BerHG berücksichtigt<br />
habe. Der VII. ZS des BGH führt aus, dass nach dieser gesetzlichen<br />
Wertung der Schuldner keinen Vorteil ziehen soll aus der<br />
Möglichkeit der Beratungshilfe und der Tatsache, dass durch<br />
den Einsatz öffentlicher Mittel die Rechtsverfolgung verbilligt<br />
worden sei.<br />
Somit sind in diesen Fällen <strong>zwei</strong> Möglichkeiten eröffnet. Der<br />
Anspruchsberechtigte selbst kann seinem Anwalt die gesetzlichen<br />
Gebühren zahlen und dann beim Gegner liquidieren,<br />
ohne dass dieser ihm entgegenhalten kann, er hätte mit Beratungshilfe<br />
operieren müssen, oder es wird tatsächlich ein Beratungshilfeschein<br />
beantragt und der Anwalt geht dann selbst<br />
gegen den Gegner des Mandanten aus gem. §9BerHG übergegangenem<br />
Recht vor. Der Mandant wäre in diesem Fall wohl<br />
nur noch nach Rückabtretung (wieder) aktivlegitimiert.<br />
Fristen<br />
Delegation der Fristberechnung<br />
Rechtsanwalt Bertin Chab<br />
Den Rechtsanwalt trifft ein eigenes Verschulden an der Versäumung<br />
der Rechtsmittelfrist, wenn er die Fristprüfung seiner Bürokraft<br />
überlässt, obwohl es sich um eine in der Praxis selten vorkommende<br />
Entscheidungsform handelt.<br />
Saarländisches OLG, Beschl. v. 19.4.2011 – 9 UF 106/10<br />
Anmerkung:<br />
Ein ganz wesentlicher Aspekt bei der Büroorganisation ist die<br />
Frage, welche Aufgaben an wen delegiert werden dürfen. Die<br />
Fristenberechnung kann dazugehören. Generell dürfen gut ausgebildete<br />
und langjährig zuverlässige Mitarbeiter Fristen<br />
berechnen, sofern es sich um „Routinefristen“ handelt. Welche<br />
Fristen das konkret sind, ist nicht ganz eindeutig. Berufungsund<br />
Einspruchsfrist im Zivilverfahren gehören dazu, nicht hingegen<br />
Fristen im Übergangszeitraum nach Gesetzesänderungen<br />
(BGH, NJW-RR 2004, 350), allenfalls mithilfe weiterer<br />
„organisatorischer Vorkehrungen“ (BGH – X ZR 57/10 v.<br />
28.9.2010).<br />
Hier war eine Teilversäumnis- und Schlussentscheidung ergangen.<br />
Durch das Teilversäumnisurteil wurde der Mandant zur<br />
Zahlung von Trennungsunterhalt verurteilt, im Übrigen wurde<br />
der Antrag durch – unechte – Versäumnisentscheidung zurückgewiesen.<br />
Hierdurch war der Mandant also nicht beschwert.<br />
Gegen das Teilversäumnisurteil hätte gemäß §§ 113, 58 FamFG<br />
innerhalb von <strong>zwei</strong> Wochen Beschwerde eingelegt werden<br />
müssen. Die Bürovorsteherin hatte jedoch bei der Notierung<br />
eine Monatsfrist zugrunde gelegt.<br />
Der BGH bemängelt mehreres: Zum einen habe es sich bei der<br />
Teilversäumnis- und Schlussentscheidung um eine selten vorkommende<br />
Entscheidungsform gehandelt, welche <strong>zwei</strong> unterschiedliche<br />
Rechtsbehelfe mit unterschiedlichen Fristen eröffnete,<br />
und damit nicht um eine Routinefrist. Es sei daher eine<br />
rechtliche Prüfung erforderlich gewesen, die nicht delegierbar<br />
war.<br />
Daneben bemängelt der Senat auch noch, dass aus dem auf<br />
der Urteilsausfertigung angebrachten Fristenvermerk nicht zu<br />
ersehen war, von welchem Rechtsbehelf und mithin von welcher<br />
Einlegungsfrist bei der Berechnung ausgegangen worden<br />
war. Diese Anforderung ist, soweit ersichtlich, neu. Zwar werden<br />
bei der Fristnotierung oft Kürzel wie „BF“ oder „EF“ verwendet;<br />
dass dies jedoch nötig ist – und dann ja auch eine ent-