Nimm zwei! - BRAK-Mitteilungen
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196 Pflichten und Haftung des Anwalts <strong>BRAK</strong>-Mitt. 4/2011<br />
danten bestehenden Versicherungsvertragsverhältnisses tätig<br />
geworden. Der Anwaltsvertrag einerseits und der Vertrag des<br />
Mandanten mit dem Rechtsschutzversicherer andererseits seien<br />
rechtlich selbstständige Verträge. Eine Zurechnung nach Maßgabe<br />
der §§ 254, 278 BGB scheide deshalb aus.<br />
Der Rechtsschutzversicherungsvertrag sei auch kein Vertrag mit<br />
Schutzwirkung zugunsten des Anwalts. Eine den Versicherer<br />
möglicherweise treffende Pflicht, vor Erteilung einer Deckungszusage<br />
die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung<br />
zu prüfen, wirke nicht zugunsten des Anwalts. Eine<br />
Deckungszusage sei ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis<br />
zum Schutz des Versicherungsnehmers, das diesem gegenüber<br />
spätere Einwendungen und Einreden des Versicherers ausschließe.<br />
Hieraus könne jedoch der Anwalt nichts zu seinen<br />
Gunsten herleiten. Zweck der Rechtsschutzversicherung sei<br />
nicht, eine Entlastung des Anwalts von seinen Sorgfaltspflichten<br />
gegenüber dem Mandanten herbeizuführen.<br />
Die Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung<br />
und der Literatur (vgl. z.B. OLG Koblenz, NJW 2006, 3150;<br />
OLG Köln, NJW-RR 1994, 955; LG Wuppertal, VersR 2011,<br />
804; Armbrüster, Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., §17 ARB<br />
2008/II, Rdnr. 59; Obarowski, Beckmann/Matuschke-Beckmann,<br />
VersR-Handbuch, 2. Aufl., §37, Rdnr. 491).<br />
Zuzustimmen ist dieser Auffassung insofern, als das Bestehen<br />
einer Rechtsschutzversicherung nicht zu einer Absenkung der<br />
Sorgfaltspflichten des Anwalts führen kann. Der Anwalt ist<br />
auch gegenüber einem rechtsschutzversicherten Mandanten<br />
zur Prüfung des Sachverhalts, zu einer umfassenden und<br />
erschöpfenden Belehrung sowie zu einer sorgfältigen Prozessführung<br />
verpflichtet. Erfüllt der Anwalt seine Pflichten gegenüber<br />
dem Mandanten ordnungsgemäß, weist er ihn also z.B.<br />
auf ein bestehendes hohes Prozessrisiko hin, kann auch der<br />
Rechtsschutzversicherer nicht beim Anwalt regressieren (OLG<br />
Celle, NJW-RR 2010, 1400, m. Anm. Grams, <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2010,<br />
210).<br />
Gleichwohl bleibt unbefriedigend, dass ein Rechtsschutzversicherer,<br />
der ja gerade nach §18 Abs. 1lit. b ARB das Recht<br />
hat, eine Deckungszusage wegen fehlender Erfolgsaussichten<br />
zu verweigern (vorbehaltlich eines Schiedsgutachtens oder<br />
Stichentscheids), trotz vorbehaltloser Deckungszusage die<br />
Möglichkeit haben soll, Kosten in voller Höhe beim Anwalt zu<br />
regressieren, auch wenn für den Versicherer die Aussichtslosigkeit<br />
einer Rechtsverfolgung erkennbar war. Diesem Unbehagen<br />
hat auch das OLG Celle (a.a.O.) Ausdruck verliehen, ohne<br />
jedoch über die Frage eines Mitverschuldens des Versicherers<br />
entscheiden zu müssen.<br />
Entgegen der allgemeinen Meinung kann man nach der persönlichen<br />
Ansicht des Verfassers schon in Frage stellen, ob §17<br />
Nr. 8 Satz 1 ARB 2001 (bzw. §86 VVG) auf die vorliegende<br />
Konstellation überhaupt anwendbar ist. Entgegen der Auffassung<br />
des OLG Koblenz erleidet der Mandant, wenn er eine<br />
Deckungszusage seines Rechtsschutzversicherers erhält und<br />
erst danach Kosten auslösende Maßnahmen eingeleitet werden,<br />
überhaupt keinen eigenen Schaden, bzgl. dessen ein<br />
Ersatzanspruch auf den Versicherer übergehen kann. Dogmatisch<br />
vorzugswürdig erscheint die Prüfung eines eigenen<br />
Anspruchs des Rechtsschutzversicherers unter dem Gesichtspunkt<br />
einer Schutzwirkung des Mandatsvertrages zugunsten<br />
des Versicherers oder eine Behandlung nach den Grundsätzen<br />
der Drittschadensliquidation. In diesen Konstellationen ist aber<br />
ein Verschulden des Rechtsschutzversicherers durchaus nach<br />
§254 BGB zu berücksichtigen (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB,<br />
70. Aufl. §254, Rdnr. 51 m.w.N.).<br />
Rechtsanwalt Holger Grams<br />
Rechtsprechungsleitsätze<br />
Haftung<br />
Rechtsprechungsleitsätze<br />
Pflicht zur Streitwertbeschwerde zugunsten des Mandanten;<br />
Haftung bei nacheinander tätigen Anwälten<br />
Der Rechtsanwalt muss mit Rücksicht auf seine Verpflichtung, im<br />
Interesse des Mandanten vermeidbare Mehrkosten zu vermeiden,<br />
Streitwertbeschwerde gegen eine überhöhte gerichtliche Streitwertfestsetzung<br />
einlegen. Der nur erstinstanzlich bevollmächtigte<br />
Anwalt hat auch für Mehrkosten einzustehen, die in den Rechtsmittelinstanzen<br />
entstehen, wenn der Fehler (hier: Addition des<br />
Streitwerts von Klage und Widerklage, die denselben Gegenstand<br />
betreffen) dort wiederholt wird.<br />
OLG Hamm, Urt. v. 31.3.2011 – 28 U 63/10<br />
Anmerkung:<br />
Von diesem sehr langen, aber in mehrfacher Hinsicht lesenswerten<br />
Urteil können aus Platzgründen nur die wesentlichen<br />
Kernpunkte dargestellt werden. Die Anwaltskanzlei, die die<br />
Mandantin nur in I. Instanz eines Rechtsstreits gegen eine Bank<br />
vertreten hatte, klagte Honoraransprüche für diese I. Instanz auf<br />
der Grundlage eines Streitwertbeschlusses über ca. 2,7 Mio.<br />
Euro ein. Die Mandantin erhob Widerklage wegen eines Kostenschadens<br />
infolge eines überhöhten Streitwerts.<br />
Das OLG entschied, dass der Streitwert in allen drei Instanzen<br />
des Vorprozesses (also auch vom BGH) zu hoch festgesetzt<br />
worden sei, weil übersehen worden sei, dass der Streitwert der<br />
Klage auf Rückgewähr von Grundschulden und der Widerklage<br />
auf Duldung der Zwangsvollstreckung aus diesen Grundschulden<br />
nach §45 Abs. 1Satz 1u. 3 GKG nicht hätten addiert werden<br />
dürfen, weil die Ansprüche denselben Gegenstand betrafen,<br />
sich gegenseitig ausschlossen und die Zuerkennung des<br />
einen Anspruchs notwendigerweise mit der Aberkennung des<br />
anderen verbunden gewesen sei (BGHZ 185, 310).<br />
Der Anwalt sei zur Wahrung der Interessen seines Mandanten<br />
verpflichtet, vermeidbare Mehrkosten zu verhindern. Hier habe<br />
dies die Pflicht begründet, bereits gegen die vorläufige Streitwertfestsetzung<br />
zumindest Gegenvorstellung zu erheben und<br />
jedenfalls gegen die endgültige erstinstanzliche Streitwertfestsetzung<br />
Beschwerde einzulegen. Werde vorher das Mandat<br />
beendet, habe der Anwalt anlässlich der Mandatsbeendigung<br />
eine Hinweispflicht auf den überhöhten Streitwert und das einschlägige<br />
Rechtsmittel.<br />
Dies gelte auch dann, wenn der Mandant anschließend anderweitig<br />
anwaltlich vertreten sei. Dass möglicherweise auch die<br />
nachfolgend mandatierten Anwälte insofern eine gleichgelagerte<br />
Pflichtverletzung begangen hätten, unterbreche nicht den<br />
Zurechnungszusammenhang. Diese hätten allenfalls den gleichen<br />
Fehler begangen. Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs<br />
komme nur in Betracht, wenn ein Dritter in<br />
völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den<br />
Geschehensablauf eingreife und dadurch eine weitere Ursache<br />
setze, die den Schaden erst endgültig herbeiführe (BGH, NJW<br />
1993, 2797).<br />
Der Zurechnungszusammenhang werde auch nicht dadurch<br />
unterbrochen, dass LG, OLG und BGH den Streitwert unzutreffend<br />
festgesetzt hätten. Es sei gerade die Aufgabe des Anwalts,<br />
den Mandanten vor gerichtlichen Fehlentscheidungen zu<br />
schützen (BGHZ 174, 205). Der Schadensbeitrag der Gerichte<br />
überwiege den des Anwalts nicht so weit, dass letzterer dahinter<br />
zurücktrete.<br />
Auch die erst in den weiteren Instanzen angefallenen Mehrkosten<br />
seien adäquat kausal auf die erstinstanzlich unterlassene<br />
Streitwertbeschwerde zurückzuführen und vom Schutzzweck