Nimm zwei! - BRAK-Mitteilungen
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184 Aufsätze <strong>BRAK</strong>-Mitt. 4/2011<br />
Henssler/Kilian, Die Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union in der Rechtsprechung deutscher Gerichte<br />
darstellen. Zunächst zu klären ist, welchem Sachrecht die<br />
Rechtsbeziehung unterfällt. 39 Typischerweise ist in Ermangelung<br />
einer nach Art. 3 Rom I-VO möglichen Rechtswahl das<br />
Statut des Vertrages durch objektive Anknüpfung zu ermitteln.<br />
Der Anwaltsvertrag ist ein auf eine Geschäftsbesorgung gerichteter<br />
Dienstvertrag, der durch die Dienstleistung des Rechtsanwalts<br />
typisiert ist. Anzuknüpfen ist daher nach Art. 4 Abs. 1<br />
lit. b) Rom I-VO, so dass das Recht der (tatsächlichen) Niederlassung<br />
des Rechtsanwalts anwendbar ist. 40 Wird der Anwaltsvertrag<br />
mit einer Sozietät geschlossen, die Niederlassungen in<br />
mehreren Rechtsordnungen betreibt, ist nach Art. 19 Abs. 2<br />
Rom I-VO diejenige Niederlassung maßgeblich, welche die<br />
vertraglichen Leistungen erbringt. 41 Werden mehrere Niederlassungen<br />
im Rahmen desselben Mandats tätig, führt dies bei<br />
einer hinreichenden Separierbarkeit der einzelnen Tätigkeitsbereiche<br />
zu einer getrennten Anknüpfung der einzelnen Tätigkeitsbereiche<br />
an das Recht der jeweils tätigen Niederlassung. 42<br />
Ist eine Separierung nicht möglich, tritt das Recht des Ortes der<br />
Niederlassung zurück, die reine Hilfsfunktionen für die andere<br />
erbringt. Kann eine solche Gewichtung nicht vorgenommen<br />
werden, muss eine offene Schwerpunktanknüpfung über Art. 4<br />
Abs. 4 Rom I-VO erfolgen. 43<br />
Bei einer Beauftragung eines ausländischen Rechtsanwalts<br />
durch einen deutschen Kollegen ist damit typischerweise das<br />
ausländische Sachrecht berufen. 44 Es ist dann zu klären, wie<br />
in diesem die Haftung für Vergütungsansprüche des Substituten<br />
ausgestaltet ist. Die Entscheidung des OLG Hamburg 45 betraf<br />
einen solchen Fall der Beauftragung ausländischer durch<br />
deutsche Rechtsanwälte, so dass die Lösung über das niederländische<br />
Recht zu suchen war. Das OLG Hamburg ermittelte<br />
seinerzeit, dass eine Haftung für die Vergütung des ausländischen<br />
Rechtsanwalts aus dem nationalen Standesrecht folge. 46<br />
Unterstellt man, dass die fragliche Bestimmung der (damaligen)<br />
Standesregeln nach niederländischem Rechtsverständnis<br />
seinerzeit sonderprivatrechtlichen Gehalt hatte, 47 ist die Entscheidung<br />
des OLG Hamburg nicht zu kritisieren. Sie dürfte<br />
eine über den grenzüberschreitenden anwaltlichen Rechtsverkehr<br />
mit den Niederlanden hinausgehende Bedeutung haben:<br />
Eine Haftung deutscher Rechtsanwälte für die Vergütung beauftragter<br />
ausländischer Kollegen wird sich, wenn ausländisches<br />
Sachrecht zur Anwendung kommt, häufig ergeben – weniger,<br />
weil das ausländische Vertragsrecht eine solche Haftung<br />
anordnet, sondern weil Zivil- und Berufsrecht in vielen<br />
39 Hierzu Kilian in Kilian/Offermann-Burckart/vom Stein, Praxishandbuch<br />
Anwaltsrecht, §17 Rdnr. 35 f.<br />
40 BGHZ 44, 181 ff.; BGH RIW 1991, 513; <strong>BRAK</strong>-Mitt. 1990, 184 =<br />
IPRspr. 1989, Nr. 233b; LG Paderborn, EWS 1995, 248; LG Hamburg,<br />
NJW-RR 2000, 510; SozG Münster, AnwBl. 1992, 238; Henssler,<br />
JZ 1994, 178, 185; von Westphalen, FS Geimer (2002), S. 1485,<br />
1491.<br />
41 Mankowski in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht,<br />
7. Aufl. 2009, Rdnr. 1426; Bendref, AnwBl. 1998, 309.<br />
42 Mankowski in Reithmann/Martiny, a.a.O., Rdnr. 1426. Vor Inkrafttreten<br />
der Rom I-VO folgte dies unmittelbar aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2<br />
EGBGB.<br />
43 Zu den Kriterien für die Bestimmung des relativen Schwerpunkts<br />
Mankowski in Reithmann/Martiny, a.a.O., Rdnr. 1427 ff.<br />
44 Hartung/Römermann-Lörcher, a.a.O., Nr. 5.7. CCBE Rdnr. 4.<br />
45 OLG Hamburg, <strong>BRAK</strong>-Mitt. 1990, 184 = IPRspr. 1989, Nr. 233b,<br />
hierzu näher oben III.6.<br />
46 Die CCBE-Regeln waren auf den Sachverhalt noch nicht anwendbar.<br />
Heute wäre vorrangig zu prüfen, ob Nr. 5.7. CCBE-Regeln („Gedragscode<br />
voor Europese advocaten“) zur „Financiële aansprakelijkheid“<br />
nach niederländischem Verständnis unmittelbar haftungsbegründend<br />
ist.<br />
47 Das OLG Hamburg stützte sich auf eine entsprechende Auskunft der<br />
niederländischen Rechtsanwaltskammer, nach der aus Sicht des niederländischen<br />
Rechts die Urheberschaft einer Norm für ihre zivilrechtliche<br />
Relevanz ohne Bedeutung sei, vgl. <strong>BRAK</strong>-Mitt. 1990, 184.<br />
Rechtsordnungen deutlich weniger trennscharf miteinander<br />
verschränkt sind als im deutschen Recht. Verallgemeinerungen<br />
verbieten sich freilich, eine sorgfältige Prüfung ist in jedem<br />
Einzelfall vorzunehmen.<br />
Im umgekehrten Falle, d.h. bei Beauftragung eines deutschen<br />
Rechtsanwalts durch einen ausländischen Rechtsanwalt, gilt<br />
nach Maßgabe der Rom I-VO das deutsche Sachrecht. Die Entscheidung<br />
des AG Aachen, 48 der eine solche Fallkonstellation<br />
zu Grunde lag, wäre daher auch dann problematisch, wenn<br />
das Gericht nicht fälschlich unmittelbar Art. 5.7 CCBE-Regeln<br />
als Anspruchsgrundlage herangezogen, sondern eine international-privatrechtliche<br />
Lösung gesucht hätte. Hier hätte sich<br />
ergeben, dass die maßgebliche Rechtsbeziehung deutschem<br />
Recht unterfällt, das keine zivilrechtliche Haftung für die Vergütung<br />
des Substituten kennt. Diese Rechtslage kann auch<br />
nicht durch die Satzungsversammlung über §29 BORA verändert<br />
werden. Die für deutsche Rechtsanwälte missliche Konsequenz<br />
kann daher nur durch eine sachgerechte Rechtswahl<br />
nach Art. 3 Rom I-VO vermieden werden, soweit ein Recht gewählt<br />
wird, das die Haftung für die Vergütung aus Sicht des Beauftragten<br />
günstiger als das deutsche Recht ausgestaltet. Wie<br />
stets gilt: All diese mühsamen Umwege vermeidet, wer im<br />
Rechtsverkehr mit ausländischen Rechtsanwälten kautelarjuristische<br />
Umsicht walten lässt und alle wichtigen Fragen der Zusammenarbeit<br />
in kollegialem Austausch einvernehmlich individualvertraglich<br />
regelt. 49<br />
c) Nr. 3.8.1.5. lit b.) CCBE-Regeln als gesetzliches<br />
Aufrechnungsverbot?<br />
Auf einer anderen Ebene sind die Probleme angesiedelt, die die<br />
Entscheidung des OLG Düsseldorf 50 zu Nr. 3.8.1.5 lit. b)<br />
CCBE-Regeln mit sich bringt – soweit man einmal darüber hinwegsieht,<br />
dass sie wegen der Anwendung der CCBE-Regeln auf<br />
einen Inlandssachverhalt nicht zu überzeugen vermag (siehe<br />
zu dieser Frage bereits oben IV. 2.). Bei unterstellter Richtigkeit<br />
der Argumentation, dass Nr. 3.8.1.5. lit. b) CCBE-Regeln eine<br />
Aufrechnung mit der Vergütungsforderung gegen den Anspruch<br />
auf Auszahlung von Fremdgeld verbiete, würde das OLG Düsseldorf<br />
der CCBE-Regel die Qualität eines gesetzlichen Aufrechnungsverbots<br />
zusprechen. Mit einem Federstrich wäre damit<br />
die etablierte Rspr. gegenstandslos, nach der auch bei fehlender<br />
Vereinbarung einer Verrechnungsklausel die Möglichkeit<br />
des Rechtsanwalts, einseitig eine Aufrechnung nach<br />
§§ 387 ff. BGB zu erklären, unberührt bleibt. 51 Eine solche Aufrechnung<br />
durch den Rechtsanwalt ist zivilrechtlich weder explizit<br />
gesetzlich gestattet noch in irgendeiner Weise für bestimmte<br />
Sachverhalte untersagt. Ihre Zulässigkeit folgt im Ergebnis<br />
aus dem Fehlen eines spezifischen gesetzlichen Aufrechnungsverbots<br />
und der Annahme, dass ein solches im Regelfall<br />
auch nicht aus der Eigenart des Schuldverhältnisses zwischen<br />
Rechtsanwalt und Mandant aus §242 BGB folgt. Gesetzliche<br />
Aufrechnungsverbote können sich, da die Vorschriften<br />
der §§ 390–394 BGB keinen abschließenden Katalog von Aufrechnungsverboten<br />
bestimmen, aus beliebigen spezialgesetzlichen<br />
Vorschriften 52 und damit grundsätzlich auch aus berufsrechtlichen<br />
Normen ergeben. Die BRAO enthält sich der Rege-<br />
48 AG Aachen, <strong>BRAK</strong>-Mitt. 1998, 51 = GI 1998, 272 (LS).<br />
49 Hierauf weist auch der CCBE im Explanatory Memorandum 2006,<br />
S. 30, hin.<br />
50 OLG Düsseldorf, AnwBl. 2005, 787 sowie oben III.6.<br />
51 Vgl. Offermann-Burckart in Henssler/Prütting, a.a.O., Nr. 3.8 CCBE,<br />
Rdnr. 10; Koch/Kilian, Anwaltliches Berufsrecht, 2007, Rdnr. B. 451;<br />
Isele, BRAO, 1976, Anhang zu §43 (S. 610).<br />
52 Vgl. Schlüter in MünchKomm-BGB, Band 2, 5. Aufl. 2007, §387<br />
Rdnr. 56.