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Nimm zwei! - BRAK-Mitteilungen

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<strong>BRAK</strong>-Mitt. 4/2011 Aufsätze 179<br />

Henssler/Kilian, Die Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union in der Rechtsprechung deutscher Gerichte<br />

überschreitende Berufsausübung aufzustellen. Im Jahr 1982 beschloss<br />

die Vollversammlung des CCBE, die Möglichkeit der<br />

Feststellung eines Berufskodexes zu untersuchen, der einheitliche<br />

berufsrechtliche Pflichten festschreibt. Die Ausformulierung<br />

eines solchen Kodexes war, dies zeigen die Materialien<br />

seiner Entstehung, 7 keine leichte Aufgabe – angelsächsische<br />

Normsetzungstraditionen rieben sich an einem kontinentaleuropäisch<br />

geprägten Normsetzungsverständnis. 8 Die Generalversammlung<br />

des CCBE, der zu diesem Zeitpunkt zwölf Delegationen<br />

angehörten, verabschiedete den Kodex nach sechsjährigen<br />

Vorarbeiten schließlich am 28.10.1988. Seitdem sind<br />

drei überarbeitete Fassungen in Kraft gesetzt worden (1998,<br />

2002 und 2006).<br />

II. Die Rechtsnatur der CCBE-Regeln<br />

Geltungsanspruch in Deutschland und anderen Staaten hätten<br />

die CCBE-Regeln ohne Weiteres, wenn sie internationales Einheitsrecht<br />

im Bereich des Anwaltsrechts wären. Die Entstehungsgeschichte<br />

der CCBE-Regeln belegt freilich, dass den<br />

Vorschriften eine solche Normqualität nicht zukommen kann:<br />

Echtes Einheitsrecht können die CCBE-Regeln nicht sein, weil<br />

solches nur aus staatsvertraglichen Vereinbarungen folgt, aufgrund<br />

derer das Einheitsrecht in allen Vertragsstaaten geltendes<br />

Recht ist. Die CCBE-Regeln sind daher völkerrechtlich nicht legitimiert.<br />

9 Sie unterscheiden sich auch von den – nach dem<br />

Konzept eines transnationalen Rechts gewonnenen – Kodizes<br />

für Rechtsanwälte, die vor dem ICTY, ICTR oder dem IStGH<br />

auftreten. 10 Die in diesen Kodizes formulierten Berufsregeln<br />

beruhen, mal mehr, mal weniger, auf einer Synthese verschiedener<br />

Berufsregeln, so etwa des CCBE oder der IBA. Ihre Legitimation<br />

ist ebenso beschränkt wie ihr Geltungsanspruch: Sie<br />

gelten nur für das Auftreten von Rechtsanwälten vor einem bestimmten<br />

(internationalen) Gerichtshof und greifen damit ein<br />

angelsächsisches Regelungskonzept auf, nach dem Gerichten<br />

eine inhärente Kompetenz zugebilligt wird, Regeln für die vor<br />

ihnen agierenden Parteivertreter zu bestimmen.<br />

Die CCBE-Regeln haben weder einen solchen Anknüpfungspunkt<br />

noch beschränken sie ihren Geltungsanspruch auf einen<br />

kleinen Teilbereich der anwaltlichen Tätigkeit. Sie sind vielmehr<br />

„lediglich“ Verbandsrecht einer Anwaltsorganisation. Die<br />

Qualifizierung von Normen als Verbandsrecht determiniert<br />

freilich nicht ihre Unverbindlichkeit: Knüpft der Staat die Befugnis<br />

zur Berufsausübung für Angehörige eines bestimmten<br />

Berufs an die Mitgliedschaft in einem Verband und delegiert er<br />

zugleich Normsetzungsbefugnisse auf diesen Verband, kann<br />

das vom Verband gesetzte Recht Verbindlichkeit für alle Berufsangehörigen<br />

erlangen. Anschauliches Beispiel hierfür ist das<br />

deutsche Recht, das eine Zwangsmitgliedschaft für alle Berufsangehörigen<br />

in den Rechtsanwaltskammern anordnet und der<br />

verfassten Anwaltschaft zugleich Satzungsbefugnisse einräumt,<br />

so dass diese selbst Recht setzen kann. Einer Dachorganisation<br />

nationaler Anwaltsorganisationen, die in ihren Heimatstaaten<br />

einen ganz unterschiedlichen Status und inkongruente Rechtsetzungsbefugnisse<br />

haben, kann ohne eine europarechtlich zugewiesene<br />

Rechtsmacht keine vergleichbare Rechtssetzungskompetenz<br />

zukommen.<br />

7Vgl. ausführlich Maçi, a.a.O., S. 18 ff.<br />

8Die endgültige Fassung des Kodex geht maßgeblich auf Arbeiten des<br />

heutigen Beiratsmitglieds der <strong>BRAK</strong>-<strong>Mitteilungen</strong>, Heinz Weil, zurück,<br />

der den Text in einer dreitägigen Klausur gemeinsam mit<br />

einem englischen Kollegen erarbeitete.<br />

9 Knöfel, Grundfragen der internationalen Berufsausübung von<br />

Rechtsanwälten, 2005, S. 231 ff.<br />

10 Knöfel, a.a.O., S. 234 f.<br />

Der CCBE erhebt einen solchen Anspruch auch nicht. In einer<br />

Präambel zu den CCBE-Regeln äußert der CCBE vielmehr den<br />

Wunsch, dass die CCBE-Berufsregeln „in kürzester Zeit durch<br />

nationales und/oder EWR-Recht für die grenzüberschreitende<br />

Tätigkeit des Rechtsanwaltes in der Europäischen Union und<br />

dem Europäischen Wirtschaftsraum verbindlich erklärt werden<br />

und sie bei jeder Reform des nationalen Berufsrechtes im Hinblick<br />

auf dessen allmähliche Harmonisierung berücksichtigt<br />

werden“. Eine durch europäisches Recht geschaffene Verbindlichkeit<br />

der CCBE-Regeln ist bis heute ein bloßes Desiderat geblieben,<br />

obwohl es – etwa im Bereich des Bilanzrechts mit den<br />

IFRS und der IAS-VO – durchaus vergleichbare Vorbilder für<br />

ein solches Komitologie- bzw. Endorsement-Verfahren gibt. 11<br />

Den Mitgliedern des CCBE, den nationalen Anwaltsorganisationen,<br />

ist daher aufgegeben, diese Berufsregeln in den Heimatstaaten<br />

– auf welchem Wege der nationalen Normsetzung auch<br />

immer – Verbindlichkeit zu verschaffen. Im Idealfalle wäre ein<br />

faktisches Einheitsrecht dadurch geschaffen, dass in allen Mitgliedstaaten,<br />

die im CCBE repräsentiert sind, nationales Berufsausübungsrecht<br />

zu Fragen der grenzüberschreitenden Berufsausübung<br />

– oder gar der Berufsausübung schlechthin – etabliert<br />

werden konnte, das den Inhalten der CCBE-Regeln entspricht.<br />

III. Die CCBE-Regeln in der Rechtsprechung deutscher<br />

Gerichte<br />

1. Einleitung<br />

Mit einer gewissen Zufriedenheit hat der CCBE in seinen Publikationen<br />

festgestellt, dass die CCBE-Regeln seit ihrer Verabschiedung<br />

vor mehr als 20 Jahren in zunehmendem Maße als<br />

Rechtsquelle herangezogen werden – nicht nur bei grenzüberschreitenden<br />

Betätigungen von Rechtsanwälten, sondern auch<br />

bei reinen Inlandssachverhalten. 12 Hingewiesen wird seitens<br />

des CCBE etwa auf <strong>zwei</strong> Entscheidungen des Appellationsgerichts<br />

Bordeaux, das in den Jahren 1990 und 1991 Vorschriften<br />

der regionalen Rechtsanwaltskammer aufhob, weil sie nach<br />

Auffassung des Gerichts mit den CCBE-Regeln 2.2. und 2.7.<br />

unvereinbar waren. 13 Die dogmatische Verwurzelung der Entscheidung<br />

des französischen Gerichts blieb freilich auch für<br />

den CCBE im Dunkeln. So ist nicht bekannt, ob das Gericht zu<br />

seiner Entscheidung gelangte, weil es davon ausging, die<br />

CCBE-Regeln seien wirksam in nationales Recht transformiert<br />

worden oder weil das Gericht die Vorschriften unmittelbar anwendete.<br />

Die merkwürdige Gemengelage, der unsichere Umgang<br />

mit den CCBE-Regeln in den Mitgliedstaaten wird durch<br />

eine beiläufige Bemerkung von Vertretern des CCBE besonders<br />

anschaulich, aus der man eine gewisse Überraschung der Urheber<br />

des Kodex meint herauslesen zu können: „The CCBE<br />

Code enjoys a great reputation, which exceeds its concrete limits<br />

,ratione materiae‘ and ,ratione personae‘.“ 14 (Hervorhebung<br />

durch die Verfasser). Dass dieser Hinweis auch den wenigen<br />

Judikaten deutscher Gerichte gelten könnte, soll im Nachfolgenden<br />

aufgezeigt werden. Deutsche Gerichte ziehen die<br />

CCBE-Regeln meist heran, ohne zu problematisieren, welche<br />

Rechtsnormqualität und damit Verbindlichkeit diese Vorschriften<br />

im deutschen Recht überhaupt haben.<br />

11 Die IFRS sind ebenfalls von einer privatrechtlichen Organisation,<br />

dem IASB, verabschiedete Regeln, denen über die Verordnung (EG)<br />

Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom<br />

19.7.2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards<br />

(IAS-VO, ABlEG Nr. L 243 v. 11.9.2002, S. 1) verbindliche<br />

Wirkung zukommt.<br />

12 Maçi, a.a.O., S. 22.<br />

13 Maçi, a.a.O., S. 22.<br />

14 Maçi, a.a.O., S. 22.

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