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Nimm zwei! - BRAK-Mitteilungen

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178 Aufsätze <strong>BRAK</strong>-Mitt. 4/2011<br />

Henssler/Kilian, Die Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union in der Rechtsprechung deutscher Gerichte<br />

V. Ergebnis<br />

Nach alldem ist die Kommanditgesellschaft als Organisationsform<br />

für die Rechtsanwälte nach geltendem Recht nicht zulässig,<br />

wenn diese Gesellschaft selbst den Beruf des Rechtsanwalts<br />

ausüben soll. Insoweit ist die Entscheidung des BayAGH also<br />

richtig (Fn. 1). 36 In Anlehnung an praktische Bedürfnisse, insbesondere<br />

die Regeln der Wirtschaftsprüferordnung und des Steu-<br />

erberatungsgesetzes, mag der Gesetzgeber aufgerufen sein, die<br />

entsprechenden Vorschriften in der BRAO so zu ergänzen, dass<br />

ausdrücklich die Ausnahme zu §§ 105, 161 HGB klargestellt<br />

ist.<br />

36 Zur Bindung der Rechtsprechung an Gesetze, deren Verfassungsmäßigkeit<br />

<strong>zwei</strong>felhaft ist, vgl. Henssler in Festschrift, a.a.O., S. 320 ff.<br />

Die Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union (CCBE-Regeln)<br />

in der Rechtsprechung deutscher Gerichte*<br />

I. Die Berufsregeln des CCBE<br />

Seit Mitte der 1970er Jahre ist es eine zentrale, selbst gestellte<br />

Aufgabe des Rates der Anwaltschaften der Europäischen Union,<br />

des CCBE, 1 länderübergreifende Grundstrukturen des<br />

Rechts der anwaltlichen Berufsausübung nicht nur zu ermitteln,<br />

sondern auch förmlich festzustellen. 2 Hierdurch soll das Wesen<br />

eines europäischen Rechtsanwalts definiert und die Stellung<br />

des – trotz aller nationalen Besonderheiten von gemeinsamen<br />

Grundwerten getragenen – Berufsstandes auf europäischer Ebene<br />

gestärkt werden. Manifestes Ergebnis dieser Bemühungen<br />

sind die 1988 erstmals festgestellten Berufsregeln des CCBE,<br />

die seitdem kontinuierlich überarbeitet und modernisiert worden<br />

sind. 3 Sie gehen zurück auf die Deklaration von Perugia<br />

vom 16.9.1976. Bemerkenswert ist, dass der Anstoß zu dieser<br />

Deklaration vom damaligen Generaldirektor der Generaldirektion<br />

XII der Europäischen Kommission, Günter Schuster, ausgegangen<br />

sein soll. Er hatte im Vorfeld der Verabschiedung der<br />

* Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung eines Beitrags, der Anfang<br />

2011 unter demselben Titel in der Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig<br />

erschienen ist. Mit ihm haben die Verfasser aus Anlass des 70.<br />

Geburtstags von Hellwig im November 2010 sein langjähriges berufspolitisches<br />

und berufsrechtliches Wirken insbesondere im CCBE<br />

gewürdigt (vgl. nur Hellwig, <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2002, 52 ff.; ders., <strong>BRAK</strong>-<br />

Mitt. 2004, 19 ff.; ders., <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2008, 92 ff.; ders., <strong>BRAK</strong>-Mitt.<br />

2009, 54 ff.). Von 2000 bis 2004 war Hellwig Leiter der deutschen<br />

Delegation beim CCBE, 2003 Vize-Präsident und 2004 schließlich<br />

Präsident des CCBE; bis heute ist er in der deutschen Delegation aktiv.<br />

Für die Veröffentlichung in den <strong>BRAK</strong>-<strong>Mitteilungen</strong> ist der Beitrag<br />

gekürzt worden.<br />

** Der Verfasser Henssler ist Geschäftsführender Direktor des Dokumentationszentrums<br />

für Europäisches Anwalts- und Notarrecht, Universität<br />

zu Köln. Der Verfasser Kilian ist dem Dokumentationszen-<br />

trum verbunden.<br />

1Der CCBE befasst sich als rein freiwilliger Zusammenschluss der nationalen<br />

Anwaltsorganisationen in Plenarversammlungen, ständigen<br />

Komitees, Arbeitsgruppen, dem Präsidium und dem Sekretariat mit<br />

allen Fragen des Anwaltsberufes in den Mitgliedsländern und fungiert<br />

als Bindeglied der nationalen Anwaltschaften zu den Institutionen<br />

der Europäischen Union, des Europäischen Wirtschaftsraums<br />

und zu den internationalen anwaltlichen Organisationen wie IBA,<br />

UIA und AIJA. Der CCBE versteht seine primäre Aufgabe darin, die<br />

Meinungsbildung in den Mitgliedsländern zu harmonisieren und zu<br />

koordinieren, um ein gemeinschaftliches Auftreten der Rechtsanwaltschaft<br />

Europas auf europäischer Ebene sicherzustellen. Als freiwilliger<br />

Zusammenschluss ist der CCBE privatrechtlich und, da sein<br />

Sitz in Brüssel ist, nach belgischem Recht verfasst.<br />

2Zur Geschichte des CCBE Hellwig, FS Busse (2005), S. 107 ff.; Maçi,<br />

L’Historie Du CCBE, Bruxelles 2005.<br />

3 Maçi, a.a.O., S. 67 ff.<br />

Prof. Dr. Martin Henssler / Dr. Matthias Kilian**<br />

Richtlinie 77/249/EWG bei Konsultationen mit dem CCBE darauf<br />

gedrängt, grundlegende gemeinsame Prinzipien des Berufsrechts<br />

in den Mitgliedstaaten zu ermitteln und paneuropäisch<br />

zu definieren. 4 Dieses aus der Kommission heraus formulierte<br />

Anliegen deutet das Ausgangsproblem der grenzüberschreitenden<br />

Tätigkeit von Rechtsanwälten an: Der europäische Gesetzgeber<br />

hat durch Sekundärrecht lediglich den Zugang zu den<br />

Rechtsdienstleistungsmärkten in der Europäischen Union eröffnet,<br />

aber keine Regeln der Berufsausübung auf diesen Märkten<br />

definiert.<br />

Die Genese der CCBE-Regeln stand ganz im Zeichen der ersten<br />

Erfahrungen mit der Dienstleistungsrichtlinie 77/249/EWG, die<br />

für die vorübergehende grenzüberschreitende Dienstleistung<br />

eines Rechtsanwalts den Grundsatz der doppelten Deontologie<br />

bestimmte, den Rechtsanwalt also verpflichtete, bei einer Auslandstätigkeit<br />

sowohl das Berufsrecht seines Herkunftsstaates<br />

als auch (wesentliche) Regeln des Berufsrechts des Aufnahmestaats<br />

zu beachten. Die Richtlinie schuf ein reines Berufszutrittsrecht<br />

und nahm für die Fragen der Berufsausübung eine<br />

Normenhäufung bewusst in Kauf. Für Fälle, in denen das eine<br />

Berufsrecht etwas gestattete, das das andere Berufsrecht untersagte,<br />

musste der anwaltliche Grenzgänger ratlos zurückbleiben,<br />

bestimmte die Dienstleistungsrichtlinie doch keinen Anwendungsvorrang<br />

eines der konfligierenden Berufsrechte. Bis<br />

zum heutigen Tage ist dieses potenzielle Kollisionsproblem bei<br />

Geltung des Grundsatzes der „double deontology“ eine der ungelösten<br />

Fragen des europäischen Anwaltsrechts, 5 fehlt es doch<br />

an einem diese Fragen adressierenden Kollisionsrecht. Die<br />

Konsequenzen sind misslich: Eine Unterwerfung eines Rechtsanwalts<br />

unter jedes Berufsrecht, das aufgrund eines – möglicherweise<br />

noch so schwachen – Berührungspunkts mit der<br />

fraglichen Rechtsordnung einen Regelungsanspruch erhebt,<br />

läuft der Grundidee der Erleichterung eines grenzüberschreitenden<br />

Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt zuwider. 6<br />

Eine naheliegende, weil wenig komplizierte Lösung dieses<br />

Dilemmas ist es, Rechtsanwendungsfragen insgesamt aus dem<br />

Weg zu gehen und ein Einheitsrecht zu etablieren. Aus Sicht<br />

des CCBE als Dachorganisation der nationalen Anwaltschaften<br />

war es daher reizvoll, einheitliche Berufsregeln für die grenz-<br />

4 Maçi, a.a.O., S. 15.<br />

5Näher Kilian in Henssler/Streck, Handbuch des Sozietätsrechts,<br />

2. Aufl. 2011, Rdnr. N 162 m.w.N.<br />

6Vgl. Henssler, AnwBl. 1996, 253, 354; ders., ZZP 115 (2002), 321,<br />

349.

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