Nimm zwei! - BRAK-Mitteilungen
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174 Aufsätze <strong>BRAK</strong>-Mitt. 4/2011<br />
Keller, Ein Blick zurück auf wichtige berufsrechtliche Entscheidungen des Jahres 2010 – Teil 2<br />
te und bloße Vermutungen hinausreichten. Diesen Verdacht<br />
habe der für die Anordnung des Eingriffs oder die nachträgliche<br />
Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen und<br />
dabei die Interessen des Betroffenen angemessen zu berücksichtigen.<br />
Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern<br />
gebiete bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei<br />
zudem die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen<br />
und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.<br />
Die Strafverfolgungsbehörden hätten dabei auch das<br />
Ausmaß der mittelbaren Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit<br />
der Betroffenen zu berücksichtigen. Die Beschlagnahme<br />
der Akte sei an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen. Bei einer Maßnahme<br />
nach §94 StPO müsse der Tatverdacht ebenfalls in einem<br />
angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur<br />
Stärke des Tatverdachts stehen und für die Ermittlungen notwendig<br />
sein, wobei auch hier die mittelbare Beeinträchtigung<br />
der beruflichen Tätigkeit zu berücksichtigen sei. Der angegriffene<br />
Beschluss sei insofern unverhältnismäßig und werde den<br />
dargelegten Maßstäben bei der Prüfung des Tatverdachts vor allem<br />
im Hinblick auf die anwaltliche Tätigkeit nicht gerecht.<br />
Der Tatbestand des §84 Abs. 1 AsylVfG führe in Fällen der<br />
rechtsanwaltlichen Beratung zu Abgrenzungsschwierigkeiten<br />
zwischen dem tatbestandlichen Verhalten einerseits und einer<br />
zulässigen Rechtsberatung andererseits. Die Tathandlung erfasse<br />
das Verleiten oder Unterstützen eines Ausländers bezüglich<br />
einer unrichtigen oder unvollständigen Asylantragsstellung.<br />
Die Tatbestandsalternative der Unterstützung könne dabei in<br />
jeder Handlung bestehen, die einen bereits zur Handlung entschlossenen<br />
Ausländer irgendwie bei der Verwirklichung seines<br />
Vorhabens fördere oder bestärke. Jede Rechtsberatung unkundiger<br />
Asylbewerber im Rahmen der zulässigen Unterstützung<br />
bei der Antragstellung gerate damit in die Nähe einer<br />
strafbaren Handlung nach §84 Abs. 1 AsylVfG. Die besonderen<br />
Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen tatbestandlichem<br />
Handeln und zulässiger Rechtsberatung erforderten jedenfalls<br />
bei dem schwerwiegenden Grundrechtseingriff einer<br />
Durchsuchung, dass diese nur bei konkreten Hinweisen auf<br />
eine strafbare Handlung nach §84 AsylVfG und nach sorgfältiger<br />
Prüfung der objektiven Umstände und des Vorsatzes vorgenommen<br />
werden darf.<br />
VI. Interessenkollision<br />
Einer für alle<br />
Das OLG München 25 entschied, dass ein Interessenwiderstreit<br />
nach §43a Abs. 4 BRAO ausscheidet, wenn mehrere Beklagte,<br />
als Gesamtschuldner in Anspruch genommen und von denselben<br />
Prozessbevollmächtigten vertreten werden. In dem zu entscheidenden<br />
Fall begehrte der Kläger festzustellen, dass die<br />
zwischen den Beklagten und ihren Rechtsanwälten geschlossenen<br />
Anwaltsverträge hinsichtlich der Vertretung in vorausgegangenen<br />
Rechtsstreitigkeiten, in denen Schadensersatzansprüche<br />
des Klägers gegen die Beklagten als Gesamtschuldner<br />
rechtskräftig bejaht worden waren, nichtig sind. Der Senat<br />
konnte indes in der gemeinsamen Vertretung bis zur Rechtskraft<br />
durch dieselben Rechtsanwälte keinen Interessenwiderstreit<br />
erblicken. Der Kläger habe im Vorprozess gegenüber beiden<br />
Beklagten ausdrücklich ein einheitliches Ziel verfolgt. Er<br />
habe gegen beide Beklagten Klage erhoben mit dem Ziel, es<br />
möge festgestellt werden, dass beide Beklagten als Gesamtschuldner<br />
auf Schadensersatz zu haften haben. Wenn es allein<br />
um die Abwehr von Ansprüchen gehe und daher zunächst die<br />
25 <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2010, 277.<br />
gesondert zu klärenden ausgleichsrechtlichen Belange der beklagten<br />
Gesamtschuldner untereinander überhaupt keine Rolle<br />
spielten, habe – soweit die Sache streitig ausgefochten werde –<br />
jeder der Gesamtschuldner naturgemäß und typischerweise einen<br />
mit den Interessen seines Streitpartners übereinstimmendes<br />
und eindeutiges Interesse, die Klage abzuwehren. Wenn nämlich<br />
die Abwehr des vom Gegner erhobenen Anspruchs gelingen<br />
sollte, könnte es – jedenfalls im Zusammenhang mit der<br />
abgewehrten Klage – auch zu keinen Ausgleichsansprüchen<br />
der als Gesamtschuldner beklagten Parteien untereinander<br />
kommen.<br />
VII. Tätigkeitsverbot<br />
1. Testamentsbeurkundung + Vertretung = §45 BRAO<br />
Das AG Frankfurt a.M. 26 entschied, dass ein Rechtsanwalt und<br />
Notar gegen §45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO verstößt, wenn er zunächst<br />
ein Testament beurkundet und später für die im Testament<br />
benannte Alleinerbin in einem Prozess Pflichtteilsansprüche<br />
abwehrt, unabhängig davon, ob ein konkreter Interessengegensatz<br />
vorliegt. Ohne Zweifel sei der Rechtsanwalt<br />
in derselben Rechtssache tätig geworden, in der er bereits als<br />
Notar durch die Beurkundung des Testaments tätig geworden<br />
war. Es handele sich hier um denselben Sachverhalt, der<br />
durch den Erbfall vorgegeben sei. Damit sei der Tatbestand<br />
des §45 Abs. 1 Nr. 1 erfüllt. Nach der Beurkundung einer<br />
letztwilligen Verfügung sei der Notar gehindert, als Rechtsanwalt<br />
die Interessen einzelner Erben bei der Erbauseinandersetzung<br />
zu vertreten oder im Falle der Geltendmachung von<br />
Pflichtteils- und Vermächtnisansprüchen Mandate für oder gegen<br />
die Erben zu übernehmen. Eine konkrete Schädigung der<br />
Interessen der Mandanten sei ebenso wenig erforderlich wie<br />
eine Parteimehrheit oder ein konkreter Interessengegensatz.<br />
Die Reichweite der Norm sei beim Rollentausch vom Amtsträger<br />
zum Anwalt weiter als diejenigen von §356 StGB und<br />
von §43a Abs. 4 BRAO, die eine Interessenkollision voraussetzten.<br />
2. Vertragsbeurkundung + Vertretung = §45 BRAO<br />
Der BGH 27 urteilte, dass ein Anwalt, der zuvor als Notar den<br />
GmbH-Gesellschaftsvertrag beurkundet hat, einen Gesellschafter<br />
bei der Abwehr eines auf Einzahlung der Stammeinlage gerichteten<br />
Anspruchs nicht vertreten darf. Dies verstoße gegen<br />
§45 Abs. 1 Nr. 1BRAO und führe zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrags.<br />
Die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags ergebe sich aus<br />
§134 BGB i.V.m. §45 Abs. 1 Nr. 1BRAO. Das Tätigwerden als<br />
Notar bei der Beurkundung des Gesellschaftsvertrags und die<br />
anwaltliche Beratung des Gesellschafters bei der Abwehr des<br />
Zahlungsanspruches stelle ein Tätigwerden in derselben<br />
Rechtssache dar. Maßgebend für die Beurteilung sei der sachlich-rechtliche<br />
Inhalt der anvertrauten Interessen, der bei natürlicher<br />
Betrachtungsweise auf ein innerlich zusammengehöriges<br />
einheitliches Lebensverhältnis zurückzuführen sei. Der Umstand,<br />
dass sich das Tätigkeitsverbot des §45 Abs. 1 Nr. 1<br />
BRAO nur gegen den Rechtsanwalt richtet, stehe der Rechtsfolge<br />
der Nichtigkeit nicht entgegen. Maßgeblich sei der Schutzzweck<br />
des Verbots, der hier im Schutz des Vertrauens in die<br />
Rechtspflege und in der Eindämmung von Interessenkollisionen<br />
liege. Dieses Verbot liefe weitgehend leer, wenn der<br />
Rechtsanwalt aus einer verbotswidrigen Tätigkeit eine Anwaltsvergütung<br />
beanspruchen könne.<br />
26 <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2010, 223.<br />
27 <strong>BRAK</strong>-Mitt. 2011, 38.