Ich sehne mich oft nach den Bergen - ZwygArt
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PC 80-60699-1<br />
«<strong>Ich</strong> <strong>sehne</strong><br />
<strong>mich</strong> <strong>oft</strong> <strong>nach</strong><br />
<strong>den</strong> <strong>Bergen</strong>»<br />
Sein Schaffen ist einzigartig. Elend,<br />
Korruption, Finanzkrise – Dr. Beat<br />
riChner, 62, kämpft für die Ärmsten in<br />
Kambodscha. Der Zürcher über rettende<br />
Spen<strong>den</strong>, Heimweh und sein neues<br />
Buch, das Prozesse auslösen könnte.<br />
Text Christine Zwygart<br />
Fotos Monika FlüCkiger<br />
Klare Luft, stille Landschaft,<br />
imposante Berge. Auf der Oberfläche<br />
des Stazersees spiegeln<br />
sich die Tannen des nahen Waldes – und<br />
plötzlich ertönen zarte Töne. Eine Solo-<br />
Suite von Bach für Cello, Beat Richner<br />
sitzt auf dem Steg am Ufer und spielt.<br />
«Die Bergwelt gibt mir ein Gefühl von<br />
Geborgenheit und Standfestigkeit»,<br />
sagt der 62-Jährige. Als Kind war er <strong>oft</strong><br />
im Bündnerland, heute ist er für<br />
drei Konzerte aus Kambodscha in die<br />
Schweiz zurückgekehrt.<br />
Vermissen Sie unsere Schweizer<br />
Landschaft manchmal in der Fremde?<br />
O ja. Kambodscha ist ziemlich flach.<br />
<strong>Ich</strong> <strong>sehne</strong> <strong>mich</strong> <strong>oft</strong> <strong>nach</strong> <strong>den</strong> <strong>Bergen</strong>,<br />
im Schlaf träume ich sogar davon.<br />
Und was fehlt Ihnen im Alltag sonst noch<br />
aus der Heimat?<br />
Die europäische Kultur. Die Schweiz ist<br />
ein Rechtsstaat, das Leben hier ist<br />
paradiesisch. In Kambodscha kämpfen<br />
viele Menschen je<strong>den</strong> Tag um ihre<br />
Existenz. In unseren Spitälern sehen<br />
wir dieses Elend und die Armut, das<br />
Gefühl der Ohnmacht potenziert sich.<br />
Sie wer<strong>den</strong> für Ihr Engagement auch<br />
kritisiert. Haben Sie manchmal Angst um<br />
Ihr eigenes Leben?<br />
30 schweizer illustrierte<br />
Nicht direkt. Auch wenn ich <strong>mich</strong> in<br />
Phnom Penh <strong>nach</strong> wie vor nicht frei<br />
bewegen kann; das wäre zu gefährlich.<br />
Mehr zu schaffen macht mir jedoch, dass<br />
diejenigen, die <strong>mich</strong> kritisieren und<br />
attackieren, seit 18 Jahren nicht imstande<br />
oder nicht willens sind, ein Gesundheitssystem<br />
zu errichten, das Wirkung hat.<br />
Wie siehts zurzeit in Ihren Spitälern aus?<br />
Juli bis Oktober sind strenge Monsun-<br />
Monate. Dengue-Fieber und Malaria<br />
nehmen zu, weil der Staat die Brutstätten<br />
der Mücken nicht vernichtet –<br />
obwohl internationale Organisationen<br />
das Geld dafür auszahlen. Eine Umfrage<br />
in unseren Spitälern hat gezeigt:<br />
Nur 20 Prozent der Familien erhalten<br />
Tabletten, die das Wasser reinigen<br />
sollen. Das Geld verschwindet in <strong>den</strong><br />
Ministerien, die Korruption blüht.<br />
Spüren Sie die Finanzkrise?<br />
In Kambodscha schlossen 60 Prozent<br />
der Textilfabriken, 120 000 Menschen<br />
haben ihren Job verloren. Die Lage ist<br />
dramatisch, die Regierung tut nichts.<br />
Damit die Spen<strong>den</strong> für unsere Spitäler<br />
nicht einbrechen, leiste ich einen<br />
enormen Effort. Deshalb bin ich jetzt<br />
auch in der Schweiz und gebe Konzerte<br />
– wegen der Finanz-Grippe (lacht).<br />
Mussten Sie auch schon sparen?<br />
Anfang Juni informierte ich die<br />
leiten<strong>den</strong> Ärzte, dass wir wohl die<br />
Saläre aller 2100 Mitarbeiter um u<br />
Idyllischer Moment Beat «Beatocello»<br />
Richner am Ufer des Stazersees, der<br />
zwischen Pontresina und St. Moritz liegt.
PC 80-60699-1<br />
«<strong>Ich</strong> hadere mit der Schweiz. Der<br />
Staat läuft Gefahr, zu verlottern,<br />
weil alle dem Geld <strong>nach</strong>rennen.<br />
Vor allem die Elite»<br />
u<br />
20 Prozent kürzen müssen. Damit<br />
hätten wir 1,2 Millionen Franken einsparen<br />
können. Im letzten Moment<br />
erhielten wir eine Einzelspende von<br />
3 Millionen. Was für eine Erleichterung!<br />
Denn für die Motivation der Mitarbeiter<br />
wäre das nicht gut, wenn ich die<br />
Löhne zusammenstreichen müsste.<br />
Wer ist der grosszügige Spender?<br />
Er bleibt anonym. <strong>Ich</strong> weiss nur, dass<br />
er aus Grossbritannien stammt.<br />
kommen die Touristen noch immer<br />
in Scharen <strong>nach</strong> kambodscha?<br />
Die Zahlen sind um 60 Prozent eingebrochen<br />
– wohl wegen der Wirtschaftskrise.<br />
Dennoch besuchten mein letztes<br />
Konzert in Siem Reap noch immer<br />
260 Personen. Das ist viel.<br />
Sie arbeiten und leben seit 1991 in kambodscha.<br />
<strong>Ich</strong> habe gehört, Sie schreiben<br />
nun ein Buch über Ihre Erlebnisse?<br />
Jawohl, das Buch sollte Ende November<br />
erscheinen. <strong>Ich</strong> befasse <strong>mich</strong> darin<br />
mit der Gesundheitspolitik, dem Sinn<br />
der Kindermedizin und <strong>den</strong> Problemen<br />
der Entwicklungshilfe. Viele Kapitel<br />
spielen auch in der Schweiz, da ich<br />
zwei-, dreimal pro Jahr für eine Woche<br />
hier bin. Und dann erzähle ich auch viel<br />
Autobiografisches – immerhin bin ich<br />
seit 18 Jahren in Kambodscha. Das ist<br />
fast ein Drittel meines Lebens.<br />
Sie zeigen das Spannungsfeld<br />
zwischen dem reichtum in der Schweiz<br />
und der Armut in kambodscha auf.<br />
Genau. Unser Stiftungspräsi<strong>den</strong>t hat<br />
eben die ersten 64 Seiten gelesen. <strong>Ich</strong><br />
schreibe schon sehr kritisch, und<br />
deshalb warnte ich ihn vorab: Jede<br />
Seite könnte einen Prozess auslösen!<br />
Doch er meinte: Das Buch provoziere<br />
höchstens ein paar rote Köpfe in<br />
Politik- und Wirtschaftskreisen. Und<br />
das ist gut so. Denn ohne Druck<br />
verändert sich nichts.<br />
Wer<strong>den</strong> Sie mit dem Alter milder oder<br />
härter in Ihren Urteilen?<br />
Die Fakten wer<strong>den</strong> immer grotesker<br />
und absurder. Wenn ich mit meinem<br />
Urteil härter würde, müsste ich eine<br />
Revolution anzetteln. Aber das mache<br />
ich nicht. Deshalb versuche ich die<br />
Fakten so aufzuzeigen, dass jeder<br />
versteht, dass in Kambodscha ein<br />
passiver Völkermord verübt wird – und<br />
alle etwas dazu beitragen, um die<br />
Gerechtigkeit zurückzugewinnen.<br />
Gelingt Ihnen das?<br />
Ja, schon. Sonst hätten wir in <strong>den</strong><br />
letzten 18 Jahren nicht 350 Millionen<br />
Franken Spen<strong>den</strong>gelder gesammelt.<br />
Das ist viel für ein Projekt, das nicht in<br />
der Schweiz angesiedelt ist. Doch die<br />
Touristen sehen die Armut auf ihren<br />
Reisen. Sie sehen, dass diese Menschen<br />
für medizinische Behandlung nichts<br />
bezahlen können.<br />
Länder wie Amerika und deutschland<br />
interessieren sich für Ihr Modell, wie man<br />
in einem drittweltland ein Spital betreiben<br />
kann. das macht doch Hoffnung.<br />
Internationale Gelder sollen nicht in<br />
die Kassen der korrupten Regierungen<br />
fliessen, sondern direkt in die Projekte.<br />
Dieser Grundsatz findet immer mehr<br />
Anerkennung. Und das freut <strong>mich</strong><br />
natürlich. Kürzlich besuchte der neue<br />
thailändische Premierminister Kambodscha,<br />
und auch er interessiert sich<br />
für unser Modell und besuchte <strong>mich</strong>.<br />
Was ist typisch schweizerisch an Ihnen?<br />
Das ist schwer zu sagen. <strong>Ich</strong> hadere<br />
manchmal sehr mit der Schweiz. Denn<br />
der Staat läuft Gefahr, zu verlottern,<br />
weil alle dem Geld <strong>nach</strong>rennen.<br />
Vor allem die Elite. Und doch habe ich<br />
immer Heimweh (lacht).<br />
Was wer<strong>den</strong> Sie aus der Schweiz zurück<br />
<strong>nach</strong> kambodscha mitnehmen?<br />
Die Berge in meiner Erinnerung. Und<br />
die enorme Solidarität, die ich in<br />
meinen Konzerten im Engadin und in<br />
Zürich spürte. �<br />
PersönliCh<br />
Beat riChner<br />
Geboren in Zürich am 13. März 1947<br />
(Fische) ukArrIErE Medizin-Studium.<br />
1974/75 arbeitete er bis zum Einfall der<br />
Roten Khmer in Kambodscha. Flucht in<br />
die Schweiz, Arbeit im Kinderspital<br />
Zürich. 1980 Eröffnung einer eigenen<br />
Praxis. 1991 kehrte er <strong>nach</strong> Kambodscha<br />
zurück: Heute leitet Richner dort fünf<br />
Spitäler uMUSIk Als Beatocello spielt er<br />
je<strong>den</strong> Samstag in Siem Reap auf seinem<br />
Cello und sammelt so Geld für die<br />
Spitäler uSpEndEn PC 80-60699-1<br />
iMPressuM<br />
Nr. 33, 98. Jahrgang. Erscheint montags<br />
BeglauBigte auflage 232 519 Exemplare<br />
ISSN 0036-7362<br />
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