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MANUSKRIPTE THESEN INFORMATIONEN - bei Bombastus-Ges.de

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<strong>MANUSKRIPTE</strong><br />

<strong>THESEN</strong><br />

<strong>INFORMATIONEN</strong><br />

HERAUSGEGEBEN VON DER<br />

DEUTSCHEN<br />

BOMBASTUS-GESELLSCHAFT<br />

Nr. 10 – 2·1996


THEOPHRASTUS<br />

BOMBAST VON<br />

HOHENHEIM<br />

GENANNT<br />

PARACELSUS<br />

ERBE und Erben<br />

I. DRESDNER SYMPOSIUM<br />

28.–29. SEPTEMBER 1996<br />

KONFERENZ- UND TAGUNGSRAUM<br />

IM HAUS DER KIRCHE


2<br />

EDITORIAL<br />

Erbe und Erben – Leitthema <strong>de</strong>s 1. Dresdner Symposiums, das sich seit<br />

über 50Jahren wie<strong>de</strong>r Wirken und Wirkung <strong>de</strong>s Theophrast Bombast<br />

von Hohenheim, genannt Paracelsus, in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zuwen<strong>de</strong>n<br />

konnte. Schon aus diesem Grun<strong>de</strong> waren jene Tage für Vorstand und<br />

Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft Anlaß zu beson<strong>de</strong>rer<br />

Freu<strong>de</strong> – zumal das Generalthema <strong>de</strong>r Tagung von hervorragen<strong>de</strong>n Kennern<br />

<strong>de</strong>r Materie in dankenswerter Weise aufgegriffen und vertieft<br />

wur<strong>de</strong>: Das aus fundierter Überzeugung gewonnene christliche Weltbild<br />

<strong>de</strong>s Hohenheimers als Quellgrund seines Denkens und Han<strong>de</strong>lns.<br />

Dieser sich <strong>bei</strong> allen Referenten zwanglos ergeben<strong>de</strong> Grundkonsens<br />

ließ in seiner facettenreichen Entfaltung nicht nur die Weite <strong>de</strong>s Themas<br />

ahnen, son<strong>de</strong>rn för<strong>de</strong>rte wie<strong>de</strong>rholt Einblicke zutage, die es wohl wert<br />

sind, weiter verfolgt zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Mit <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>m 10. Heft unseres Periodikums unterbreiten wir<br />

alle Materialien <strong>de</strong>s Symposiums <strong>de</strong>r Öffentlichkeit. Wir verdanken<br />

diese Möglichkeit <strong>de</strong>r för<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n und repräsentativen Unterstützung<br />

durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst <strong>de</strong>s Freistaates Sachsen<br />

und danken inson<strong>de</strong>rheit Herrn Staatsminister Prof. Dr. Hans Joachim<br />

Meyer für sein wohlwollen<strong>de</strong>s Engagement für unser Anliegen.<br />

Von unseren Gästen konnten wir übereinstimmend hören, daß es<br />

ihnen in Dres<strong>de</strong>n gefallen habe; es sei eine gute Stadt, reich an Schätzen,<br />

in harmonischer Landschaft am Strom.<br />

Theophrast Bombast von Hohenheim, <strong>de</strong>n sie Paracelsus nannten, hat<br />

in Zeiten ungeheurer Umwälzungen und Nöte die Vision von einer besseren<br />

Welt durch sein schweres Leben hindurchgetragen, »allein und<br />

fremd und an<strong>de</strong>rs«. Wir sind darin schon besser gestellt - so sehr allein<br />

sind wir nicht mehr. Und wir geben <strong>de</strong>r Hoffnung Ausdruck, daß auch<br />

dieses 1. Dresdner Symposium helfe, <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n zu bereiten für künftige<br />

bessere Saat.<br />

Vorstand und Verwaltungsrat<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft


Wolfgang Klinger<br />

Staatsminister<br />

Prof. Dr. Hans Joachim Meyer<br />

Prof. Dr. Kurt Goldammer<br />

Gunhild Pörksen<br />

Gerhart Harrer<br />

Siegfried Wollgast<br />

Hans Scha<strong>de</strong>waldt<br />

Dieter Kahle<br />

Ute Gause<br />

Michael Bunners<br />

Pirmin Meier<br />

Hartmut Rudolph<br />

Wolfgang Klinger<br />

INHALT<br />

Grußwort zur Eröffnung <strong>de</strong>s Symposiums<br />

Grußwort zur Tagung <strong>de</strong>r<br />

Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Gruß an die Teilnehmer <strong>de</strong>r Tagung<br />

Konturen <strong>de</strong>s Ich –<br />

Paracelsus in Selbstzeugnissen<br />

Rätsel um <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

in Salzburg<br />

Der Paracelsismus - Ausdruck <strong>de</strong>r<br />

»Dritten Kraft« im gesellschaftlichen Denken<br />

<strong>de</strong>r frühen Neuzeit<br />

Die praktische Ethik im medizinischen Werk<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus<br />

Begrüßung am Sonntag<br />

Die christliche Ethik <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

in seinem frühen Matthäuskommentar –<br />

Wegweiser für die Gegenwart?<br />

Der religiöse Gehalt <strong>de</strong>r »philosophei«<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus<br />

Theophrast Bombast von Hohenheim –<br />

Medizinethik und ärztliche Praxis<br />

im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Tradition<br />

<strong>de</strong>r Johanniter und <strong>de</strong>r Deutschritter<br />

Menschenbild und Ethik <strong>bei</strong> Paracelsus<br />

Schlußwort an das I. Dresdner Symposium<br />

Teilnehmer<br />

Autoren<br />

4<br />

6<br />

7<br />

8<br />

15<br />

21<br />

35<br />

40<br />

42<br />

46<br />

52<br />

56<br />

64<br />

66<br />

67<br />

3


Herr Staatsminister,<br />

meine Damen und Herren!<br />

Zum ersten Male nach zwei totalitären<br />

Systemen, nach nahezu sechs Jahrzehnten<br />

<strong>de</strong>s Mißbrauchs von Paracelsus und <strong>de</strong>s<br />

Totschweigens dieser Persönlichkeit kann<br />

heute in Dres<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Hauptstadt <strong>de</strong>s wie<strong>de</strong>rerstan<strong>de</strong>nen<br />

Freistaates Sachsen, ein<br />

Symposium zu Ehren <strong>de</strong>s Hohenheimers<br />

stattfin<strong>de</strong>n, eine Versammlung von Freun<strong>de</strong>n<br />

und Verehrern <strong>de</strong>s Paracelsus. In<br />

Dres<strong>de</strong>n, einer <strong>de</strong>r <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Städte <strong>de</strong>r<br />

friedlichen Revolution von 1989, konnte<br />

sich die Deutsche <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

etablieren und <strong>de</strong>n Weg fortsetzen, <strong>de</strong>n<br />

die 1929 gegrün<strong>de</strong>te und 1933 untergegangene<br />

Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft gehen<br />

wollte.<br />

Das 1. Dresdner Symposium vereint<br />

zum ersten Male die drei Paracelsus verpflichteten<br />

<strong>Ges</strong>ellschaften in einer Stadt<br />

<strong>de</strong>r neuen Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r. In diesem Raum<br />

begann nach <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sächsische<br />

Landtag seine Ar<strong>bei</strong>t; er begann sie – wie<br />

wir heute – im Gegenüber mit <strong>de</strong>m Gekreuzigten.<br />

Möge auch uns die Thematik<br />

dieses Wandbil<strong>de</strong>s – »Versöhnung« – an<br />

die paracelsische Mahnung aus <strong>de</strong>m<br />

»Liber <strong>de</strong> felici liberalitate« erinnern: »Unverstan<strong>de</strong>n,<br />

hoffertigen, stolzen Menschen,<br />

di do vermeinen, es sei kein got, sie seient<br />

über himel und er<strong>de</strong>n, und also in solchem<br />

unverstand wer<strong>de</strong>n sie verdambt.« 1 Wir<br />

wollen <strong>de</strong>n Hohenheimer nicht zitieren,<br />

um unsere Meinung in ihn zu projizieren,<br />

son<strong>de</strong>rn fragen: Was hat <strong>Bombastus</strong> Paracelsus<br />

sagen wollen, was hat er auslösen<br />

und bewirken wollen? Es ist ja eine alte,<br />

nicht nur <strong>de</strong>n Psychotherapeuten vertraute<br />

Wahrheit, daß man über das re<strong>de</strong>n muß,<br />

was verdrängt wird. In unserer <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

verdrängen Macht und Konsumtion<br />

weitgehend die Ethik - also müssen wir,<br />

die wir uns <strong>de</strong>m Christen Paracelsus verpflichtet<br />

fühlen, über Ethik re<strong>de</strong>n! ERBE<br />

und ERBEN – bewußt wur<strong>de</strong> dieses<br />

4<br />

Wolfgang Klinger<br />

GRUSSWORT ZUR ERÖFFNUNG DES SYMPOSIUMS<br />

Motto über das 1. Symposium <strong>de</strong>r Deutschen<br />

<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft gestellt.<br />

Wir alle erleben, daß es diesem todkranken<br />

Planeten Er<strong>de</strong> und seiner geschun<strong>de</strong>nen<br />

und geschän<strong>de</strong>ten Kreatur<br />

an <strong>de</strong>m fehlt, was <strong>de</strong>r Hohenheimer <strong>de</strong>n<br />

»Grund aller Arznei« nannte: Liebe.<br />

Nach rund 60 Jahren gibt es in<br />

Deutschland wie<strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>m Paracelsus<br />

verpflichtete <strong>Ges</strong>ellschaft. Sie kann mit<br />

Ihnen allen, die Sie hier versammelt<br />

sind, an die Worte aus <strong>de</strong>m Gründungsaufruf<br />

<strong>de</strong>r Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft von<br />

1929 anknüpfen, die wir als Verpflichtung<br />

empfin<strong>de</strong>n: »Der Name be<strong>de</strong>utet<br />

kein historisch abgeschlossenes Programm,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Ausdruck für eine<br />

Weltgesinnung aller, die noch wissen und<br />

ahnen, daß die Wissenschaften doch im<br />

letzten Grun<strong>de</strong> untereinan<strong>de</strong>r verknüpft<br />

sind und daß <strong>de</strong>r Mensch im Mittelpunkt<br />

dieser verknüpfen<strong>de</strong>n Fä<strong>de</strong>n zu<br />

stehen hat.«<br />

ERBE und ERBEN – <strong>de</strong>m <strong>Bombastus</strong><br />

Paracelsus und seinem Anliegen wer<strong>de</strong>n<br />

wir nicht gerecht, wenn wir nur über ihn<br />

und <strong>de</strong>n »Grund <strong>de</strong>r Arznei« re<strong>de</strong>n –<br />

Liebe will gelebt sein!<br />

Es sei in diesem Zusammenhang auch<br />

an das Wirken be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Paracelsisten<br />

in Sachsen erinnert, an<br />

- Valentin Weigel (1533-1588), <strong>de</strong>n in<br />

Großenhain geborenen Pfarrer in<br />

Zschopau<br />

- <strong>de</strong>n 1543 in Mittweida geborenen<br />

Georg Forberger, <strong>de</strong>n Editor paracelsischer<br />

Schriften, und an<br />

- Joachim Tanckius (1557-1609),<br />

Professor für Chirurgie und Anatomie<br />

in Leipzig.<br />

Nicht vergessen sei auch <strong>de</strong>r Görlitzer<br />

Philosoph Jakob Böhme (1575-1624), <strong>de</strong>r<br />

paracelsische Gedanken aufgriff und in<br />

eigener Tiefe weiterentwickelte. 0 ja:<br />

»Was du ererbt von <strong>de</strong>inen Vätern, erwirb<br />

es, um es zu besitzen!«


Einge<strong>de</strong>nk <strong>de</strong>s <strong>Ges</strong>agten betrachten wir<br />

dieses Symposium als ein Fest im Sinne<br />

<strong>de</strong>s Luther-Wortes: »Man kann Gott nicht<br />

allein mit Ar<strong>bei</strong>t dienen, son<strong>de</strong>rn auch<br />

mit Feiern und Ruhen.« An diesem Feiern<br />

und an unserer Freu<strong>de</strong> darüber wollen wir<br />

Sie teilhaben lassen. So gesehen betrachten<br />

wir die Vorträge dieses Symposiums<br />

als Festvorträge, die wir ohne Debatte in<br />

unseren Herzen bewahren und in unser<br />

Tun einfließen lassen wollen. Deshalb<br />

haben wir diesem 1. Dresdner Symposium<br />

einen festlichen Rahmen gegeben. Wir<br />

hoffen, daß Sie <strong>de</strong>n Weg nach Dres<strong>de</strong>n zu<br />

weiteren Symposien auch dann fin<strong>de</strong>n,<br />

wenn diese als Ar<strong>bei</strong>tssymposium möglicherweise<br />

etwas schlichter ausfallen.<br />

Wir wünschen Ihnen allen während<br />

dieser <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Tage anregen<strong>de</strong> Begegnungen,<br />

geistigen Gewinn, aber auch Freu<strong>de</strong><br />

am wie<strong>de</strong>rerstehen<strong>de</strong>n Elbflorenz. Wir<br />

hoffen, daß die Ethik <strong>de</strong>s <strong>Bombastus</strong> Paracelsus,<br />

wenn sie <strong>de</strong>nn unser Han<strong>de</strong>ln<br />

bestimmt, dazu <strong>bei</strong>trägt, die Er<strong>de</strong> zu<br />

feuchten wie Regen nach langer Trockenheit.<br />

Möge von diesem Symposium und<br />

von Dres<strong>de</strong>n ein Impuls ausgehen, <strong>de</strong>r<br />

Menschen auf jenen Weg führt, <strong>de</strong>n Paracelsus<br />

als <strong>de</strong>n Weg erkannte: Daß wir als<br />

durch die Nächstenliebe Genesen<strong>de</strong><br />

zurückkehren in die Geborgenheit göttlicher<br />

Ordnung.<br />

1 Matthießen, Theophrast von Hohenheim, gen. Paracelsus, Sämtliche Werke, II. Abteilung, Band 1,<br />

München 1923, S.156<br />

5


Ganz herzlich heiße ich Sie zur Tagung<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

willkommen und freue mich, daß Sie<br />

Dres<strong>de</strong>n zu Ihrem Tagungsort gewählt<br />

haben. Dres<strong>de</strong>n ist zwar einerseits <strong>de</strong>r Sitz<br />

<strong>de</strong>r jüngsten Medizinischen Fakultät, aber<br />

diese hat sich als einzige in Deutschland<br />

einen Namen gegeben – <strong>de</strong>n Namen eines<br />

großen Arztes und Malers – Carl Gustav<br />

Carus, <strong>de</strong>r im vorigen Jahrhun<strong>de</strong>rt hier gelebt<br />

und gewirkt hat und seinerseits für<br />

eine bemerkenswerte medizinische Tradition<br />

in Dres<strong>de</strong>n steht. Wenn auch im allgemeinen<br />

die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin und<br />

<strong>de</strong>r Naturwissenschaft Mühe hat, einen<br />

breiten Interessentenkreis zu fin<strong>de</strong>n, so ist<br />

Dres<strong>de</strong>n also mit Sicherheit ein Ort mit<br />

einer ganz spezifischen medizin-historischen<br />

Erinnerung.<br />

Sie haben es sich zur Aufgabe gestellt,<br />

Leben und Werk eines großen Arztes zu<br />

erforschen und in das geschichtliche Bewußtsein<br />

zu heben, von <strong>de</strong>m uns viele<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rte trennen. Freilich ist Theophrastus<br />

<strong>Bombastus</strong> von Hohenheim, vor<br />

allem unter <strong>de</strong>m Namen Paracelsus, <strong>de</strong>r<br />

gebil<strong>de</strong>ten Öffentlichkeit kein Unbekannter.<br />

Ja, man könnte sogar sagen, daß sich<br />

an dieser faszinieren<strong>de</strong>n Persönlichkeit an<br />

<strong>de</strong>r Schwelle zur Neuzeit im Verlauf <strong>de</strong>r<br />

<strong>Ges</strong>chichte immer wie<strong>de</strong>r das allgemeine<br />

Interesse entzün<strong>de</strong>t hat. Auch wenn zwischen<br />

ihm und uns die Entwicklung <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Medizin und Naturwissenschaft<br />

wie ein riesiger Abstand zu liegen scheint,<br />

so beeindruckt er uns doch heute noch<br />

durch seine Nähe zu uns im Vergleich zu<br />

6<br />

Prof. Dr. Hans Joachim Meyer<br />

Sächsischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst<br />

GRUSSWORT ZUR TAGUNG DER DEUTSCHEN BOMBASTUS-<br />

GESELLSCHAFT<br />

<strong>de</strong>n Menschen seiner Zeit, kurz, durch<br />

seine Mo<strong>de</strong>rnität. Seinen Zeitgenossen<br />

wird gera<strong>de</strong> dies unverständlich, ja, unheimlich<br />

gewesen sein – ein Mann, <strong>de</strong>r<br />

mit unbekannten, wenn nicht mit dunklen<br />

Mächten im Bund zu stehen schien.<br />

Für uns dagegen steht er noch vor <strong>de</strong>n Erkenntnissen<br />

mo<strong>de</strong>rner Wissenschaft, die<br />

uns von ihm trennen und <strong>de</strong>ren Richtung<br />

er allenfalls ahnte.<br />

Aber unabhängig von wissenschaftlicher<br />

Nähe o<strong>de</strong>r Ferne gibt es <strong>de</strong>n Arzt<br />

<strong>Bombastus</strong> und in diesem Arzt <strong>de</strong>n<br />

Menschen. Von ihm ist <strong>de</strong>r Satz überliefert.:<br />

Liebe ist es, welche die Kunst lehret,<br />

und außerhalb <strong>de</strong>rselben wird kein<br />

Arzt geboren.<br />

Es ist ein bewegen<strong>de</strong>s Wort, und es ist<br />

ein zeitlos gültiges Wort. Beschäftigung<br />

mit <strong>Ges</strong>chichte zeigt uns die Unterschie<strong>de</strong><br />

und die Gemeinsamkeiten <strong>de</strong>r<br />

Epochen und <strong>de</strong>r Menschen. Was die Zeiten<br />

überdauert und sich immer wie<strong>de</strong>r in<br />

seiner Kraft erweist, ist die Mitmenschlichkeit.<br />

Von dieser Mitmenschlichkeit<br />

lebt <strong>de</strong>r Sinn allen Wissens und aller<br />

Kunst. So wünsche ich Ihnen für Ihre Tagung,<br />

daß Sie Neues und Ungewohntes<br />

über <strong>Bombastus</strong> und seine Zeit erfahren,<br />

aber wenn Sie diesen Gegenstand Ihres<br />

Interesses auch <strong>de</strong>m allgemeinen Verständnis<br />

näher bringen wollen, dann vergessen<br />

sie über <strong>de</strong>m Faszinosum nicht<br />

<strong>de</strong>n Menschen <strong>Bombastus</strong>. In diesem<br />

Sinne wünsche ich Ihnen eine erfolgreiche<br />

Tagung.


GRUSS AN DIE TEILNEHMER DER TAGUNG<br />

Aus einem Schreiben<br />

Prof. Dr. Kurt Goldammers an <strong>de</strong>n Vorstand<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft:<br />

... In <strong>de</strong>r Hoffnung, daß sich gesundheitliche Verfassung und Reiselust <strong>bei</strong> mir bessern,<br />

habe ich bis zur letzten Minute gewartet, ehe ich Ihnen die Nachricht zukommen lassen<br />

mußte, daß ich lei<strong>de</strong>r auf die Teilnahme an <strong>de</strong>r Dres<strong>de</strong>ner Tagung <strong>de</strong>r <strong>Bombastus</strong>-<br />

<strong>Ges</strong>ellschaft in <strong>de</strong>r kommen<strong>de</strong>n Woche verzichten muß. ...<br />

Gern hätte ich meine Vaterstadt Dres<strong>de</strong>n aus Anlaß dieses Kongresses wie<strong>de</strong>r besucht,<br />

mit <strong>de</strong>r mich so viele persönliche und familiäre Erinnerungen verbin<strong>de</strong>n. Da<strong>bei</strong> spielt<br />

nicht nur <strong>de</strong>r Tagungsort eine Rolle, <strong>de</strong>r wenige hun<strong>de</strong>rt Meter entfernt von <strong>de</strong>m Ort<br />

liegt, an <strong>de</strong>m die zweite Phase <strong>de</strong>r historisch-kritischen Neuausgabe <strong>de</strong>r Werke Hohenheims<br />

ihren Anfang nahm: <strong>de</strong>m Japapischen Palais, <strong>de</strong>m unüberbietbar schönen ehemaligen<br />

Domizil <strong>de</strong>r Sächsischen Lan<strong>de</strong>sbibliothek, – auch sie gera<strong>de</strong>zu schicksalhaft<br />

mit meinem eigenen Leben verknüpft. Ich wünsche <strong>de</strong>r Tagung einen guten Erfolg<br />

und bitte, <strong>de</strong>n dort versammelten Paracelsus-Freun<strong>de</strong>n meine besten Grüße zu übermitteln,<br />

die vor allem auch Ihnen und Ihren dankenswerten Bemühungen um Paracelsus<br />

gelten.<br />

Stets Ihr<br />

Prof. Dr. Kurt Goldammer<br />

7


Unter <strong>de</strong>r Rubrik »Betrachtungen im Sinne<br />

<strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rer« liest man in Goethes »Wilhelm<br />

Meister« <strong>de</strong>n Satz: »In <strong>de</strong>n Werken<br />

<strong>de</strong>s Menschen wie in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Natur sind<br />

eigentlich die Absichten vorzüglich <strong>de</strong>r<br />

Aufmerksamkeit wert.« 1 Ich setze die äußeren<br />

Umrisse <strong>de</strong>r Paracelsischen Biographie<br />

als bekannt voraus und versuche im folgen<strong>de</strong>n,<br />

mich diesen »Absichten« anzunähern.<br />

Ich beziehe mich auf das medizinische<br />

und naturwissenschaftliche<br />

Schriftwerk <strong>de</strong>s Paracelsus und gehe vor<br />

allem <strong>de</strong>n halblauten autobiographischen<br />

Bemerkungen am Ran<strong>de</strong> nach, <strong>de</strong>n verstreuten<br />

und eher <strong>bei</strong>läufigen Selbstzeugnissen.<br />

Die ersten Ar<strong>bei</strong>ten <strong>de</strong>s Paracelsus datiert<br />

Sudhoff auf 1520, die letzten stammen<br />

aus <strong>de</strong>n Jahren 1537 und 1538 – ungefähr<br />

zwanzig Jahre Schriftstellerei. Mein<br />

Thema steht in einem größeren Ar<strong>bei</strong>tszusammenhang;<br />

ich wähle fünf mir charakteristisch<br />

scheinen<strong>de</strong> Grundmotive.<br />

Vielleicht kennen Sie das <strong>Ges</strong>ellschaftsspiel,<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>m zwei Parteien eine <strong>Ges</strong>chichte<br />

erfin<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m sie die durch<br />

einen Spielleiter vorgegebenen Substantive<br />

erzählend verknüpfen, <strong>bei</strong>spielsweise<br />

Mädchen, Spiegel, Nacht, Drache, Maus ...<br />

Sie sehen sofort, welches Potential an<br />

Abenteuern eine Handvoll Wörter enthalten.<br />

Ich gehe ähnlich vor. Doch kennen<br />

Sie die <strong>Ges</strong>chichte schon, und meine<br />

Stichworte sind nicht ganz so abenteuerlich.<br />

Sie heißen: Ausbildung, Vater,<br />

Grund, Auseinan<strong>de</strong>rsetzung, Sonne.<br />

1. Ausbildung<br />

1520 ist Paracelsus 26 o<strong>de</strong>r 27 Jahre alt.<br />

Wo er als wissenschaftlicher Autor hervortritt,<br />

ist sein Stil von ruhigem Selbstbewußtsein<br />

und von sachlicher und fachlicher<br />

Kompetenz geprägt. Daß er sich aufs<br />

Schreiben verlegt, hängt sicherlich mit seiner<br />

Hemmung o<strong>de</strong>r, mit einem heutigen<br />

Ausdruck, Behin<strong>de</strong>rung <strong>bei</strong>m Sprechen zu-<br />

8<br />

Gunhild Pörksen<br />

KONTUREN DES ICH – PARACELSUS IN SELBSTZEUGNISSEN<br />

sammen. Er bezeichnet sich selbst als<br />

außeror<strong>de</strong>ntlich langsamen Sprecher, <strong>de</strong>ssen<br />

»stamlete zunge« <strong>de</strong>m wissenschaftlichen<br />

Dialog o<strong>de</strong>r Streitgespräch nicht gewachsen<br />

sei. 2 Auch stehe ihm <strong>de</strong>r<br />

geblümte Stil, die rhetorisch geschmückte<br />

Äußerung nicht zur Verfügung. 3 Er reklamiert<br />

für sich das »Ja ja, Nein Nein« <strong>de</strong>s<br />

Neuen Testaments. Je<strong>de</strong>nfalls scheint er<br />

schreibend o<strong>de</strong>r diktierend recht eigentlich<br />

zu seiner Sprache gefun<strong>de</strong>n zu haben,<br />

die zeitlebens das Gepräge <strong>de</strong>r Mündlichkeit<br />

trägt, die oft inständig an <strong>de</strong>n Leser<br />

o<strong>de</strong>r Hörer appelliert, die ihm die Möglichkeit<br />

gibt, »sein Herz zu offenbaren.« 4 Ich<br />

verstehe die <strong>bei</strong>nahe mythische schriftstellerische<br />

Produktivität dieses Menschen<br />

übrigens auch als Kompensation seiner<br />

Schwierigkeiten <strong>bei</strong>m Sprechen.<br />

Der Anstoß zum Schreiben rührt <strong>bei</strong><br />

Paracelsus aus seiner nachhaltigen Enttäuschung,<br />

ja Verzweiflung über <strong>de</strong>n Lehrstoff<br />

<strong>de</strong>r Hohen Schulen, <strong>de</strong>n tradierten<br />

Kanon <strong>de</strong>r Fachliteratur, die mangelhafte<br />

Ausbildung und Praxis <strong>de</strong>r Ärzte her.<br />

Er hat nicht immer so gedacht! Seine<br />

aka<strong>de</strong>mische Ausbildung stand unter ganz<br />

an<strong>de</strong>ren Vorzeichen. An vielen Stellen<br />

und im Lauf <strong>de</strong>s Lebens mit wechseln<strong>de</strong>r<br />

Tonlage beschreibt er sich selbst als wissenschaftsgläubigen,<br />

pietätvollen, zu lebendigen<br />

und gedruckten Autoritäten aufschauen<strong>de</strong>n<br />

Stu<strong>de</strong>nten und Leser: »nemlich<br />

das ich am ersten <strong>de</strong>n alten geschriften gewaltig<br />

glauben geben hab und sie gleich <strong>de</strong>m euangelio<br />

gehalten und nit zugeben, das sie besser zu machen<br />

sei ... « 5<br />

Offenbar ist seine positive Haltung<br />

auch honoriert wor<strong>de</strong>n. Es sei im prächtig<br />

ergangen, berichtet er, und er sei eine<br />

nicht kleine Zier<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Hochschule gewesen.<br />

In Termini <strong>de</strong>r Gartenkultur, in<strong>de</strong>m<br />

er von Bäumen spricht, beschreibt er<br />

seine Ausbildung rückblickend auf eigentümlichste<br />

Weise: »ich bin gewachsen und<br />

transplantirt aus <strong>de</strong>m euerm garten in <strong>de</strong>n an-


<strong>de</strong>rn, das ist, ich bin in <strong>de</strong>n gerten erzogen, da<br />

man die beum abstümelt und war <strong>de</strong>r hohen<br />

schul nicht eine kleine ziert, da aber archeites<br />

sach das wachsen, das es mir in hochfart und<br />

bracht ging, ist er zu <strong>de</strong>r transplantation und<br />

sich in ein an<strong>de</strong>rn garten zu pflanzen verursacht<br />

wor<strong>de</strong>n. « 6<br />

Ohne auf diesen Passus hier eingehen zu<br />

können, darf ich doch bemerken, daß <strong>de</strong>r<br />

archeites, <strong>de</strong>r Ur-Macher, <strong>de</strong>r hier <strong>de</strong>n jungen<br />

Paracelsus aus <strong>de</strong>m beschnittenen und<br />

umgrenzten wissenschaftlichen Garten herausnimmt<br />

und ihn transplantiert, ihn –<br />

wie es in <strong>de</strong>r Folge heißt – in einen an<strong>de</strong>ren<br />

Garten setzt, wo man in <strong>de</strong>r erfarenheit<br />

wandle, etwas mit <strong>de</strong>m Ich zu tun hat, von<br />

<strong>de</strong>m die Re<strong>de</strong> ist. Man gewinnt <strong>de</strong>n Eindruck,<br />

als sei eine seelische Instanz am<br />

Werke, die mehr übersieht als die bewußte<br />

Persönlichkeit.<br />

Paracelsus hat die »alten Skribenten«, auf<br />

die er später so blind einschlägt, als junger<br />

Mensch gelesen und von ihnen gelernt. Im<br />

Volumen Paramirum von 1520, <strong>de</strong>m Entwurf<br />

<strong>de</strong>r sog. Entienlehre, charakterisiert er<br />

die kanonischen medizinischen Autoritäten<br />

entsprechend ihrer Krankheitsauffassung<br />

und ihren Heilmetho<strong>de</strong>n. Da<strong>bei</strong> versteht<br />

er sich keineswegs als ihr Gegner,<br />

son<strong>de</strong>rn würdigt sie aus historischem Abstand!<br />

7<br />

Nach einigen Jahren <strong>de</strong>s Praktizierens<br />

und <strong>de</strong>r, nach seiner Ansicht, nur zufälligen<br />

Heilerfolge bringt er <strong>de</strong>n Mut auf und<br />

gesteht sich ein, daß er mit <strong>de</strong>r aka<strong>de</strong>mischen<br />

Medizin nicht ar<strong>bei</strong>ten kann. Er distanziert<br />

sich von ihren Grundlagen. Es ist<br />

eine rigorose Abkehr, ein Abfall auf Lebenszeit.<br />

Er ist sich sicher gewor<strong>de</strong>n – und<br />

das ist <strong>de</strong>r Augenblick, in <strong>de</strong>m er als<br />

Schriftsteller hervortritt –, daß das medizinische<br />

und naturwissenschaftliche Paradigma<br />

seiner Zeit nicht tauge, um die Realität<br />

von Natur und Menschenleib zu<br />

erfassen, und macht sich anheischig, es<br />

durch ein an<strong>de</strong>res, tauglicheres zu ersetzen.<br />

Die Grundstimmung <strong>de</strong>r früheren<br />

Schriften ist selbstbewußt und froh: »aber<br />

.frölicben wöllen wir unsern text ausführen ...«,<br />

– darumb wir mit frölicbem gemüt die kolen anzün<strong>de</strong>n<br />

... « 8<br />

Der noch unerprobte junge Autor ist<br />

voller Hoffnung und will, um es mit Eichendorff<br />

zu sagen, »trotz Lust und<br />

Schmerz was Rechts in <strong>de</strong>r Welt vollbringen.«<br />

2. Vater<br />

Glaubt man <strong>de</strong>n Selbstzeugnissen, so<br />

hat Paracelsus keine Mutter gehabt. An<br />

keiner Stelle <strong>de</strong>s Werkes spielt, so weit ich<br />

bisher sehen kann, die Mutter auch nur<br />

die geringste Rolle. Selbst ihr biologischer<br />

Anteil an seinem Dasein wird relativiert:<br />

er berühme sich keines Menschen,<br />

schreibt er und meint seinen Vater, »als<br />

alein <strong>de</strong>s <strong>de</strong>r mich geboren hat und mich jung<br />

aufgeweist hat.« 9 Diese und an<strong>de</strong>re Bemerkungen<br />

legen nahe, daß er mutmaßlich<br />

ohne Amme, ohne weibliche Hand, ganz<br />

in <strong>de</strong>r Fürsorge <strong>de</strong>s Vaters aufgewachsen<br />

ist, was ihn nicht hin<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>r »dritten<br />

Welt«, <strong>de</strong>r Matrix, <strong>de</strong>m Kosmos <strong>de</strong>r Weiblichkeit<br />

eine große Studie zu widmen. 10<br />

Vielfach weist er darauf hin, daß ein Arzt<br />

»frauisch und mennisch arzneien« müsse. Der<br />

Patient ist kein geschlechtsneutrales<br />

Wesen, und Heilwege für Frauen und<br />

Männer unterschei<strong>de</strong>n sich. Eine frühe<br />

theologische Ar<strong>bei</strong>t bekun<strong>de</strong>t, daß er<br />

Maria als <strong>de</strong>n weiblichen Anteil <strong>de</strong>r Gottheit<br />

versteht. 11<br />

In einem frauenlosen Haushalt hat sich<br />

wohl nie jemand seiner Kleidung und<br />

<strong>de</strong>ren Reinlichkeit angenommen. Dafür<br />

wür<strong>de</strong> noch Oporins Nachricht aus Basel<br />

sprechen, daß er sich einen neuen Rock<br />

hat schnei<strong>de</strong>rn lassen, wenn <strong>de</strong>r alte befleckt<br />

war. Er empfin<strong>de</strong>t zeitlebens die<br />

Kluft zwischen <strong>de</strong>nen, die »mit weichen<br />

Klei<strong>de</strong>rn«, »in <strong>de</strong>n Frauengemächern« aufgewachsen<br />

sind und solchen wie sich, die<br />

zwischen Tannenzapfen großwer<strong>de</strong>n. 12<br />

Mag sein, daß <strong>de</strong>r Vater kein Mann von<br />

vielen Worten war, je<strong>de</strong>nfalls scheint Paracelsus<br />

selber wenig gesprochen zu haben<br />

und wenn, dann abrupt und ohne das geringste<br />

soziale Schmieröl. Seine Selbstbeschreibung,<br />

die er angeblich als Entschuldigung<br />

verstan<strong>de</strong>n wissen will, ist nicht<br />

ohne Humor: »Nun aber weiter merkent auf,<br />

wie ich mich entschuldige auf das, so ich solle<br />

rauch antwort geben. die an<strong>de</strong>rn arzt können<br />

9


wenig <strong>de</strong>r künsten, behelfen sich mitfreuntlichen,<br />

lieblichen, holtseligen worten, beschei<strong>de</strong>n die leut<br />

mit züchtigen und schönen worten, legen alle<br />

ding nach <strong>de</strong>r leng lieblich mit son<strong>de</strong>rlichen abscheit<br />

dar und sagent, koment bald wi<strong>de</strong>r mein<br />

lieber her, mein liebe frau gehe hin, gib <strong>de</strong>m herren<br />

das gleit etc. so sag ich, was wilt? hab ietzt<br />

nit <strong>de</strong>r weil, es ist nit so genötigs.« 13<br />

Paracelsus ist in einer Atmosphäre aufgewachsen,<br />

die ihn stark und sicher gemacht<br />

hat: er ist sich seines gründlichen und begrün<strong>de</strong>ten<br />

Wissens, seiner Erfahrung und<br />

seiner Lernfähigkeit gewiß. Sein Vater steht<br />

zu ihm und hinter ihm. In <strong>de</strong>r Person seines<br />

Vaters stehen auch an<strong>de</strong>re hinter ihm,<br />

die Künstler, die Alchemisten, die – selbst<br />

verschwiegen – ihr Wissen durch praktische<br />

Demonstration weitergeben. In <strong>de</strong>n Archidoxis<br />

etwa, o<strong>de</strong>r im Buch von <strong>de</strong>n Bergkrankheiten<br />

wird <strong>de</strong>utlich, daß Paracelsus<br />

sich auf diese, im allgemeinen ungenannt<br />

bleiben<strong>de</strong>n Menschen und Gruppen bezieht<br />

und für sie ab 1525 wohl seinerseits<br />

zum Lehrer wird. 14<br />

Er spricht nicht oft von seinem Vater,<br />

doch wenn, dann in Wendungen von verhaltener<br />

Innigkeit und immer im Zusammenhang<br />

mit Sachverhalten. Es solle <strong>de</strong>r<br />

Leser nicht seltsam aufnehmen, schreibt er<br />

in <strong>de</strong>r Astronomia Magna, daß er, Paracelsus,<br />

über Dinge schreibe, die alle noch<br />

nicht gewußt hätten. Er sei an<strong>de</strong>rs. Er<br />

danke <strong>de</strong>r Schule, in die er gekommen sei<br />

und berühme sich keines an<strong>de</strong>ren Menschen<br />

als <strong>de</strong>sjenigen, <strong>de</strong>r ihn geboren und<br />

ihn, als er jung war, aufgezogen und belehrt<br />

habe. 15 Und wenn er eine Abhandlung<br />

über die Entstehung <strong>de</strong>r Mineralien<br />

beginnt, so schreibt er »nicht aus mir, son<strong>de</strong>r<br />

aus <strong>de</strong>r erfarenheit durch <strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>m ich’s<br />

hab. « 16<br />

Wilhelm von Hohenheim ist 1534 gestorben.<br />

Paracelsus setzt ihm kein Denkmal,<br />

son<strong>de</strong>rn versichert sich zwei Jahre<br />

nach seinem Tod dankbar und sachbezogen<br />

seiner Nähe: seinen ersten Lehrer, im<br />

doppelten Sinn, nennt er ihn unter <strong>de</strong>nen,<br />

die ihn von Kindheit an unterwiesen, ihn<br />

eingeführt hätten in die Künste und die<br />

Philosophia a<strong>de</strong>pta – »Wilhelmus von Hohenheim,<br />

meinen vatter, <strong>de</strong>r mich nie verlassen<br />

hat.« 17<br />

10<br />

Die Verbindung zum Vater, die man geneigt<br />

wäre, nur psychologisch zu sehen,<br />

gewinnt ganz grundsätzliche Be<strong>de</strong>utung<br />

für sein medizinisches Weltbild. Es gibt<br />

dafür eine Fülle von Belegen. 18 Paracelsus<br />

faßt die Beziehung zwischen <strong>de</strong>m großen<br />

Kosmos und <strong>de</strong>m Menschenleib in die<br />

Formel <strong>de</strong>r Vaterschaft: Die Zusammengehörigkeit<br />

von Vater und Kind ist für ihn<br />

zur welterklären<strong>de</strong>n Metapher gewor<strong>de</strong>n.<br />

3. Grund<br />

Paracelsus war, so hat man <strong>de</strong>n Eindruck,<br />

unablässig und lei<strong>de</strong>nschaftlich auf<br />

die Sache gerichtet, schwer erträglich für<br />

die Mitmenschen. Ihm geht es um I<strong>de</strong>en.<br />

Ihm geht es um die Natur, um die Dimension<br />

von Zeit und Ort, und er sucht<br />

nach einem Weg, Natur und Leib in<br />

ihrem lebendigen Zusammenhang, d. h.<br />

in Prozessen zu beschreiben. Sein Hauptvorwurf<br />

gegen Ärzte und Autoren, Hohe<br />

Schulen und Heilberufe ist, sie argumentierten<br />

ohne Grund! Ihre Medizin habe<br />

keinen Grund, sei rein spekulativ, <strong>de</strong>r<br />

Phantasie entsprungen, und greife nicht<br />

die Realität! Es wäre lohnend, die hun<strong>de</strong>rtfältigen<br />

Variationen dieser Festellung<br />

durch die Werke zu verfolgen.<br />

Grund ist ein mehr<strong>de</strong>utiges Wort: die<br />

tiefste Stelle, <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n, auf <strong>de</strong>m man<br />

steht, das Fundament <strong>de</strong>r Baukunst, <strong>de</strong>r<br />

philosophische Grund, also das Begrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

wie auch die Grundlage, <strong>de</strong>r logische<br />

Grund, aus <strong>de</strong>ssen Gültigkeit die<br />

Gültigkeit <strong>de</strong>s Folgen<strong>de</strong>n hervorgeht, <strong>de</strong>r<br />

kausale Grund ...<br />

Von Beginn seiner Schriftstellerei an besteht<br />

Paracelsus darauf, daß er nichts<br />

schreibe, was nicht auf grunt und erfarenheit<br />

beruhe. Da<strong>bei</strong> han<strong>de</strong>lt es sich wohl nur<br />

zum Teil um seine eigenen Erfahrungen<br />

und Begründungen. Er bekennt sich zur<br />

alchemistischen Tradition, in <strong>de</strong>r er aufgewachsen,<br />

<strong>de</strong>ren Reichweite und Gültigkeit<br />

ihm aber erst nach <strong>de</strong>n Hochschuljahren<br />

vollends aufgegangen ist. In <strong>de</strong>n Elf Traktat<br />

steht: »<strong>de</strong>r nit erfarenheit tregt <strong>de</strong>s feurs und<br />

<strong>de</strong>r feurkunst, <strong>de</strong>m sind die krankheiten zu heilen<br />

und zu erkennen frembd.« 19 – was frei<br />

übersetzt soviel be<strong>de</strong>utet wie: ohne alchemistische<br />

Erfahrungen sind Krankheiten


we<strong>de</strong>r zu erkennen noch zu heilen. Hier<br />

will er ansetzen. Hierin glaubt er, ein Stück<br />

weiter zu sein als an<strong>de</strong>re Ärzte und Autoren.<br />

Hierin fühlt er sich lebenslänglich als<br />

Schüler, auf Wachstum hoffend. Der Arzt<br />

muß wachsen!<br />

Auffallend ist, daß in <strong>de</strong>n frühen Schriften<br />

so gut wie alle wissenschaftlichen Motive,<br />

manchmal ganz <strong>bei</strong>läufig, angeschlagen<br />

wer<strong>de</strong>n, die Paracelsus im Lauf <strong>de</strong>r<br />

zwei Jahrzehnte immer sinnhafter, augenfälliger,<br />

differenzierter aus- und herausar<strong>bei</strong>tet.<br />

1520 ist <strong>de</strong>r ernst und konkret genommene<br />

Mikrokosmosgedanke da, die<br />

Lehre, von <strong>de</strong>n Arcanen, die drei Prinzipien,<br />

die Elementenlehre im Ansatz, die<br />

Alchemie, die Entienlehre, das Licht <strong>de</strong>r<br />

Natur, das <strong>Ges</strong>tirn ... Das könnte dafür<br />

sprechen, daß seine größte Leistung darin<br />

liegt, wie er Empirie und ererbtes I<strong>de</strong>engut<br />

zu einem neuen, in sich plausiblen und<br />

durchsichtigen System verknüpft hat.<br />

Der Mensch steht im Mittelpunkt seines<br />

Interesses. Im Paragranum fin<strong>de</strong>t sich<br />

die emphatische und nur auf <strong>de</strong>n ersten<br />

Blick verständliche Frage: »<strong>de</strong>n wer ist ie gewesen,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n menschen als einen menschen<br />

fürgenommen?«, 20 doch ist bereits zehn<br />

Jahre vorher von <strong>de</strong>r menschwerdung die<br />

Re<strong>de</strong>, die vor allem an<strong>de</strong>ren zu ergrün<strong>de</strong>n<br />

sei. 21 Der Mensch, könnte man sagen, ist<br />

für Paracelsus <strong>de</strong>r Grund. Aber was be<strong>de</strong>utet<br />

das Wort mensch in seinem Verständnis?<br />

In unzähligen Belegen kann ich inzwischen<br />

darstellen, daß er das Wort ganz<br />

überwiegend als Synonym für Menschenleib<br />

verwen<strong>de</strong>t, mensch, das meint <strong>de</strong>n<br />

Menschen in seiner leiblichen Existenz.<br />

Der viel zitierte Satz »Himmel und Er<strong>de</strong> machen<br />

<strong>de</strong>n Menschen« be<strong>de</strong>utet, daß Himmel<br />

und Er<strong>de</strong> <strong>de</strong>n menschlichen Leib machen<br />

o<strong>de</strong>r aufbauen, wo<strong>bei</strong> die Paarformel Himmel<br />

und Er<strong>de</strong> auf die Paracelsische Elementenlehre<br />

verweist. Hier könnte <strong>bei</strong>spielsweise<br />

auch die an<strong>de</strong>re Formel oben und<br />

unten stehen. Himmel und Er<strong>de</strong>, oben und<br />

unten sind <strong>de</strong>r knappe Ausdruck für eine<br />

Ganzheit, <strong>de</strong>n Makrokosmos, o<strong>de</strong>r für<br />

eine Quaternität: Luft und Feuer, Er<strong>de</strong><br />

und Wasser machen o<strong>de</strong>r erbauen <strong>de</strong>n<br />

Menschenleib.<br />

Dieser grundlegen<strong>de</strong> und begrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Sachverhalt fin<strong>de</strong>t je nach Argumentationsebene<br />

seinen vielfältigen sprachlichen<br />

Nie<strong>de</strong>rschlag: in <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r Alchemie,<br />

als Textmetapher, im Zusammenhang<br />

<strong>de</strong>r Elementenlehre, im Hinblick auf<br />

die natürlichen Dinge, als Symbol, als<br />

theologisches Argument.<br />

Der menschliche Körper wird <strong>bei</strong> Paracelsus<br />

nicht autonom, son<strong>de</strong>rn als durch<br />

seine Erbanlagen wie auch durch seine<br />

Zeitgestalt lebendig mit <strong>de</strong>r Welt verbun<strong>de</strong>n<br />

gedacht. Die menschwerdung ist, wie<br />

ich glaube, <strong>de</strong>r Grund <strong>de</strong>r Paracelsischen<br />

Medizin.<br />

4. Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

Mein viertes Stichwort weist auf <strong>de</strong>n bis<br />

zum Klischee bekannt gewor<strong>de</strong>nen Paracelsus<br />

hin, <strong>de</strong>n grobianischen Polemiker,<br />

<strong>de</strong>n hochfahren<strong>de</strong>n, blindwütigen und<br />

sich selbst disqualifizieren<strong>de</strong>n Scheltredner.<br />

Der Informatiker Joseph Weizenbaum<br />

hat in einem Vortrag 22 <strong>de</strong>n, wie er es<br />

nannte, »Lebenslauf eines Gegen<strong>bei</strong>spiels«<br />

skizziert. Was geschieht mit einer neuen<br />

wissenschaftlichen Erkenntnis, die <strong>de</strong>n<br />

durch Forschung und Übereinkunft hergestellten<br />

Konsens einer scientific community<br />

grundsätzlich in Frage stellt? Nach<br />

Weizenbaum reagiert die aka<strong>de</strong>mische Gemeinschaft<br />

mit einer Frage auf die neue<br />

Erkenntnis, die nicht <strong>de</strong>ren wissenschaftlichen<br />

Gehalt, son<strong>de</strong>rn die Person <strong>de</strong>s Wissenschaftlers<br />

betrifft. Die Frage lautet:<br />

»Wer ist das überhaupt?« Wenn sich herausstelle,<br />

daß <strong>de</strong>rjenige in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

Welt keinen Namen habe<br />

und daß auch keine wichtige Institution<br />

hinter ihm stehe, dann sei, so Weizenbaum,<br />

<strong>de</strong>r Lebenslauf <strong>de</strong>s Gegen<strong>bei</strong>spiels<br />

damit been<strong>de</strong>t.<br />

Paracelsus tritt 1520 zum Zweikampf<br />

gegen die Medizin seiner Zeit an und ist<br />

so weltfremd, so sehr »Wal<strong>de</strong>sel von Einsie<strong>de</strong>ln«,<br />

daß er meint, er könne <strong>de</strong>n<br />

Kampf durch Angriffe auf das bestehen<strong>de</strong><br />

medizinische Paradigma und durch Darstellung<br />

seiner neuen Thesen, seines<br />

Grun<strong>de</strong>s gewinnen. Er erwartet wissenschaftliche<br />

Argumente, <strong>de</strong>n »Gegenwurf« 23<br />

11


aus Fachkreisen und erhofft sich vom<br />

»Leser« ein unvoreingenommenes Urteil,<br />

das, wie er meint, notwendig zu seinen<br />

Gunsten ausfallen müsse. Die Fachwelt<br />

reagiert zumin<strong>de</strong>st nach seinen Zeugnissen<br />

nicht auf <strong>de</strong>r Sach- und Fachebene,<br />

son<strong>de</strong>rn mit Anmerkungen zu seiner Person.<br />

In <strong>de</strong>n Entwürfen zum Paragranum<br />

und im Buch Paragranum – also zehn Jahre<br />

nach seinem Hervortreten – referiert Paracelsus<br />

folgen<strong>de</strong> Reaktionen: er wer<strong>de</strong> verachtet,<br />

verspottet, verleum<strong>de</strong>t, gehaßt und<br />

man verfolge ihn mit Lügen; er sei ein<br />

Ketzer und gehöre verbrannt, er sei<br />

untüchtig und verdiene <strong>de</strong>n Namen Arzt<br />

nicht; ihm falle nichts ein, als immer nur<br />

über die Franzosenkrankheit zu schreiben;<br />

er richte die Kranken zugrun<strong>de</strong>, er sei ein<br />

verworfenes Glied <strong>de</strong>r Hohen Schulen, sei<br />

ein Vagant und sei verrückt, er betreibe<br />

die Schwarze Kunst, sei ein Teufelsbündler<br />

und Nigromantist, ein Verführer <strong>de</strong>s<br />

Volkes, ein Besessener, ein Narr, ein toller<br />

Stierskopf, sei Cacophrastus, Cacophrastus<br />

... Ich lasse es <strong>bei</strong> dieser Auswahl bewen<strong>de</strong>n.<br />

1530 liegen die für Paracelsus traumatischen<br />

Erlebnisse in Basel einige Jahre hinter<br />

ihm, er ist, nicht an<strong>de</strong>rs als zuvor, ein<br />

landfahren<strong>de</strong>r Arzt. Sein Rechtsstatus<br />

scheint lebenslang zweifelhaft: immer wie<strong>de</strong>r<br />

wird er nach seinen Angaben um <strong>de</strong>n<br />

vorher vereinbarten Lohn betrogen. Für<br />

seine Fähigkeit als Heiler spricht, daß sich<br />

seine entlaufenen Schüler seiner Kuren<br />

und Wun<strong>de</strong>rmittel rühmen. Er scheint bar<br />

<strong>de</strong>r geringsten Menschenkenntnis gewesen<br />

zu sein und unfähig, mit An<strong>de</strong>ren auszukommen,<br />

wie wäre sonst ein Argument wie<br />

das aus <strong>de</strong>n Septem Defensiones möglich,<br />

daß sich 21 seiner Knechte als <strong>de</strong>rartige<br />

Spitzbuben erwiesen hätten, daß sich <strong>de</strong>r<br />

Henker ihrer angenommen habe?<br />

Im Verlauf <strong>de</strong>r Jahre zwischen 1520 und<br />

1530 läßt sich beobachten, wie sich das<br />

Verhältnis zwischen Paracelsus und »<strong>de</strong>r<br />

Welt« immer mehr aufschaukelt. Wenn er<br />

1520 noch weiß, daß auch An<strong>de</strong>re über<br />

Medikamente verfügen, die durch Erfahrenheit<br />

bewährt und hochlöblich seien, die<br />

er aber nicht kenne, und seine Leser ermahnt,<br />

diese ja »aufzuklauben«, 24 so kennt<br />

12<br />

er zehn Jahre später nur noch sich und<br />

<strong>de</strong>n eigenen Arzneimittelschatz. Wenn er<br />

in De Mineralibus noch sachlich argumentiert,<br />

an welcher Stelle nach seiner<br />

Überzeugung die Autoren vor ihm irren,`<br />

so fällt er im Paragranum – sofern man<br />

das von einem geschriebenen Text sagen<br />

kann –, mit sich überschlagen<strong>de</strong>r Stimme<br />

über alles und alle her. Ungehemmt überläßt<br />

er sich seinen Ohnmachts- und Allmachtsphantasien,<br />

von <strong>de</strong>r absur<strong>de</strong>n<br />

Überzeugung getragen, daß Fehlverhalten<br />

und Irrtum nur und ausschließlich <strong>bei</strong><br />

<strong>de</strong>n An<strong>de</strong>ren lägen.<br />

Das Paragranum, auch in seinen <strong>bei</strong><strong>de</strong>n<br />

Vorstudien, enthält herrliche Passagen, die<br />

das differenzierte, Spiritualität und Wissenschaftlichkeit<br />

verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Menschenund<br />

Weltbild <strong>de</strong>s Paracelsus spiegeln.<br />

Doch muß man sie, wenn Sie mir <strong>de</strong>n<br />

Ausdruck gestatten, zuerst reinigen von<br />

<strong>de</strong>m geifern<strong>de</strong>n Schaum, <strong>de</strong>r sie ver<strong>de</strong>ckt.<br />

Paracelsus ist 36 o<strong>de</strong>r 37 Jahre alt – eine<br />

Stimme, die sich überschreit, Worte, die<br />

ihn selbst entwürdigen.<br />

5. Sonne<br />

Ich glaube, daß Paracelsus nach <strong>de</strong>r<br />

Fertigstellung <strong>de</strong>s Buches Paragranum im<br />

Frühsommer 1530 in Beratzhausen und<br />

vor <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rschrift <strong>de</strong>s Opus Paramirum<br />

1531 in St. Gallen etwas begegnet ist, das<br />

die zehn Jahre bis zum Tod für ihn richtungsweisend<br />

bleibt. Es ist kein äußeres<br />

Ereignis. An <strong>de</strong>r Lebensszenerie wird sich<br />

nichts än<strong>de</strong>rn, seine bürgerlichen Aussichten<br />

bleiben schlecht, die Reaktion auf<br />

seine Person feindselig, seine medizinische<br />

Theorie fin<strong>de</strong>t, außer in kleinen<br />

Gruppen, keine Anerkennung. Er bleibt<br />

arm. Hunger und die wohl selbstverschul<strong>de</strong>te<br />

menschliche Isolierung, die ihn<br />

<strong>bei</strong> seiner Lebenswan<strong>de</strong>rung über weite<br />

Strecken begleitet haben, bleiben ihm<br />

treu. Er schwankt während eines längeren<br />

Zeitraums, wahrscheinlich sogar über<br />

mehrere Jahre, ob er Arzt bleiben solle.<br />

Im Opus Paramirum nun, in <strong>de</strong>r Beschlußre<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s zweiten Buches, spricht<br />

Paracelsus von <strong>de</strong>n Urteilen <strong>de</strong>r Welt<br />

gegen seine Theorie: »seltsam, neu, wun<strong>de</strong>rbarlich,<br />

unerhört sagen sie, sei mein phy


sica, mein meteorica, mein theorica, mein practica.«<br />

(Es lohnt übrigens, auf das Wort<br />

»seltsam« in <strong>de</strong>n Texten <strong>de</strong>s Paracelsus zu<br />

achten. 26 )<br />

Er schließt an diesen Satz die Frage:<br />

»wie kan ich aber nit seltsam sein <strong>de</strong>m,<br />

<strong>de</strong>r nie in <strong>de</strong>r sunnen gewan<strong>de</strong>lt hat?« –<br />

»Wie soll ich auch für <strong>de</strong>n nicht seltsam<br />

sein, <strong>de</strong>r nie in <strong>de</strong>r Sonne gewan<strong>de</strong>lt ist?«<br />

– Also ist er, Paracelsus, in <strong>de</strong>r Sonne gewan<strong>de</strong>lt,<br />

<strong>de</strong>r selbe Mensch, <strong>de</strong>r ein Jahr<br />

zuvor alle Welt verklagt hat.<br />

Man könnte an Verse mystischer Autoren<br />

<strong>de</strong>nken: »Als uns das liecht durchscheinet/<br />

daz von <strong>de</strong>m vatter get ...« beginnt<br />

eine Straßburger Strophe <strong>de</strong>s 14.Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

– o<strong>de</strong>r an die Apostelgeschichte:<br />

»... umleuchtete ihn plötzlich ein<br />

Licht vom Himmel... « 27<br />

Die Sonne, auf die Paracelsus hin<strong>de</strong>utet,<br />

scheint Bitterkeit und Verzweiflung<br />

von ihm genommen zu haben. Vielleicht<br />

ist ihm in diesem Zusammenhang das<br />

Christuswort begegnet, das sich seither<br />

wie ein roter Fa<strong>de</strong>n durch seine medizinischen<br />

und naturwissenschaftlichen Schriften<br />

zieht. Für seine Verhältnisse ausführlich<br />

berichtet er davon in <strong>de</strong>r Großen<br />

Wundarznei. Er habe an <strong>de</strong>r Heilkunst<br />

zutiefst gezweifelt, sie für eine »ungewisse<br />

Kunst« gehalten, habe sie aufgegeben, an<strong>de</strong>res<br />

versucht. Er sei zu ihr zurückgekehrt,<br />

<strong>de</strong>nn er habe <strong>de</strong>n Spruch Christi<br />

gefun<strong>de</strong>n, die <strong>Ges</strong>un<strong>de</strong>n bedürften keines<br />

Arztes, son<strong>de</strong>rn die Kranken. Von <strong>de</strong>r<br />

Wirkmacht dieses Satzes im Inneren ergriffen,<br />

sieht er die Medizin in einem<br />

neuen Licht. »Bewegt mich sovil«, schreibt<br />

Paracelsus, »das ich mir mußt ein an<strong>de</strong>r fürnemen<br />

fürsezen, nemlich das die kunst nach inhalt<br />

<strong>de</strong>s spruchs Christi warhaftig, gerecht,<br />

gewiß, volkomen und ganz wer ... allen kranken<br />

nuzlich und hilflich zu ir gesuntheit. « 28<br />

Der Vers steht <strong>bei</strong> Matthäus, Markus<br />

und Lukas und zwar im Zusammenhang<br />

<strong>de</strong>r Berufung <strong>de</strong>s Zöllners Levi. »Und Jesus<br />

antwortete und sprach zu ihnen: Die <strong>Ges</strong>un<strong>de</strong>n<br />

bedürfen <strong>de</strong>s Arztes nicht, son<strong>de</strong>rn die<br />

Kranken. « 29<br />

Dieser Satz <strong>bei</strong>nhaltet auch die Berufung<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus. Nie mehr wird er in<br />

<strong>de</strong>r Weise um sich schlagen wie im Buch<br />

Paragranum! In <strong>de</strong>n Werken von 1531 an<br />

ist eine gravieren<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Stil<br />

zu beobachten, wo<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Denk-Grund<br />

<strong>de</strong>r gleiche bleibt. Ich sage nicht, daß Paracelsus<br />

seinem heftigen Naturell ganz<br />

abgeschworen hätte, aber es sieht aus, als<br />

habe er sich in die Hand genommen, diszipliniert.<br />

Die Polemik wird sachlicher,<br />

mo<strong>de</strong>rater und tritt in vielen Schriften<br />

weitgehend o<strong>de</strong>r ganz zurück, etwa in<br />

<strong>de</strong>r Astronomia Magna, die ja immerhin<br />

<strong>de</strong>n 12. Band <strong>bei</strong> Sudhoff füllt, im Liber<br />

<strong>de</strong> Nymphis, in <strong>de</strong>r Schrift über das Bad<br />

Pfäfers.<br />

Wenn er schon immer von Sendungsbewußtsein<br />

getragen war, so nimmt dies<br />

nun <strong>de</strong>n Klang <strong>de</strong>r Glaubensgewißheit<br />

und apostolischen Erwählung an. Wenn<br />

er ursprünglich gedacht hat, <strong>de</strong>r Leser<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r »gemeine Mann« o<strong>de</strong>r irgend<br />

eine weltliche Instanz wer<strong>de</strong> seinen Ar<strong>bei</strong>ten<br />

Gerechtigkeit wi<strong>de</strong>rfahren lassen,<br />

so hofft er später, daß sich am Jüngsten<br />

Tag die Wahrheit seiner Schriften erweisen<br />

wer<strong>de</strong>. 30 Er ist nicht mutlos. Er rechnet<br />

nur in an<strong>de</strong>ren Kategorien. Daß er<br />

berufen ist zur Nachfolge, als Apostel <strong>de</strong>s<br />

Irdischen, ist ihm gewiß. 31<br />

Von 1532 an entstehen Texte aus <strong>de</strong>r<br />

Hand <strong>de</strong>s Paracelsus, die, lange Passagen,<br />

buchstäblich von einer Art Licht o<strong>de</strong>r<br />

Leuchten erfüllt sind. Ich <strong>de</strong>nke zum Beispiel<br />

an viele Stellen <strong>de</strong>s Opus Paramirum,<br />

an die Vorre<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Buches Von<br />

<strong>de</strong>n unsichtbaren Krankheiten, an die ersten<br />

großen Kapitel <strong>de</strong>r Astronomia<br />

Magna, an <strong>de</strong>n Liber <strong>de</strong> Nymphis ...<br />

Seine am Makrokosmos orientierte<br />

Medizin begrün<strong>de</strong>t sich auf Christus.<br />

»seltsam, neu, wun<strong>de</strong>rbarlich, unerhört sagen<br />

sie, sei mein physica, mein meteorica, mein<br />

theorica, mein practica. wie kan ich aber nit<br />

seltsam sein <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r nie an <strong>de</strong>r sunnen gewan<strong>de</strong>lt<br />

hat?«<br />

13


1 J. W. Goethe, Wilhelm Meisters Wan<strong>de</strong>rjahre,<br />

HA, B. 8, S.286.<br />

2 Theophrast von Hohenheim genannt Paracelsus.<br />

Medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische<br />

Schriften, I. Abt., hg. von Karl Sudhoff.<br />

München und Berlin 1929 ff., Bd. 12,<br />

S. 404; Katharina Biegger, »De Invocatione Beatac<br />

Mariae Virginiso. Paracelsus und die Marienverehrung,<br />

Stuttgart 1990, S. 33, Anm. 14.<br />

3 z. B. 1, 9, 547 u. 548.<br />

4 I, 8, 51.<br />

5 I, 1, 379; cf. z. B. auch I, 3, 29; I, 8, 200; I, 1,180.<br />

6 I, 7, 373 f.<br />

7 I, 1, 170f<br />

8 I, 1, 251; 1, 3, 155.<br />

9 I, 12, 205.<br />

10 I, 9, 177 ff.<br />

11 Katharina Biegger, a. a. O.<br />

12 I, 11, 152.<br />

14<br />

LITERATUR<br />

13 I, 11, 152.<br />

14 I, 3, 93 ff.<br />

15 I, 12, 205.<br />

16 I, 3, 32.<br />

17 I, 10, 357.<br />

18 u. a. z. B. I, 8, 164; I, 9, 641; I, 12, 39 u. 42.<br />

19 I, 1, 61.<br />

20 I, 8, 90.<br />

21 I, 1, 244.<br />

22 Freiburg, 2.11.1992,<br />

23 I, 1, 131.<br />

24 I, 1, 81.<br />

25 I, 3, 29.<br />

26 cf. z. B. I, 9, 71.<br />

27 Apg 9, 3.<br />

28 I, 10, 20.<br />

29 Lk 5, 31; cf. Mt 9, 12; Mk 2, 17.<br />

30 I, 14, 151.<br />

31 u. a. I, 12, 19 f; I, 9, 45; I, 9, 70; I, 9, 78 usf.


Leben und Werk <strong>de</strong>s Paracelsus sind bisweilen<br />

durch eine fast grotesk anmuten<strong>de</strong><br />

Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit gekennzeichnet, die<br />

mit seinem Tod noch einmal aufflammte.<br />

Der Hohenheimer hatte sich zeitlebens<br />

immer wie<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Sterben und <strong>de</strong>m<br />

Tod, mit thanatologischen und eschatologischen<br />

Problemen auseinan<strong>de</strong>rgesetzt<br />

und darüber hinaus in seinen Beiträgen<br />

über das »lange Leben« (Vita longa) Ratschläge<br />

und Möglichkeiten (Christrose)<br />

zur Verlängerung <strong>de</strong>s Lebens bis 120Jahre<br />

und mehr mitgeteilt. 1 Nun starb er aber,<br />

gera<strong>de</strong> erst 48 Jahre alt gewor<strong>de</strong>n, am<br />

24.September 1541 in Salzburg.<br />

Dies mußte dazu führen, daß ihn seine<br />

Wi<strong>de</strong>rsacher als Scharlatan und Angeber<br />

hinstellten, seine Anhänger hingegen<br />

Zweifel darüber äußerten, ob es <strong>bei</strong> seinem<br />

frühen Tod mit rechten Dingen zugegangen<br />

sei. So meinten die einen, seine<br />

Fein<strong>de</strong> hätten ihn mit Gewalt getötet, die<br />

an<strong>de</strong>ren brachten mehr mystische, mit<br />

seinen alchemistischen Ar<strong>bei</strong>ten und Erfahrungen<br />

zusammenhängen<strong>de</strong> Erklärungsversuche<br />

vor.<br />

Als Beispiel für seine Wi<strong>de</strong>rsacher sei<br />

C. W. Hufeland erwähnt, <strong>de</strong>r in seinem<br />

bekannten Buch über »Makrobiotik o<strong>de</strong>r<br />

die Kunst das Leben zu verlängern« (1762<br />

bis 1836) folgen<strong>de</strong>s ausführt: »Einer <strong>de</strong>r<br />

hochprahlen<strong>de</strong>n Lebensverlängerer war<br />

Theophrastus Paracelsus, o<strong>de</strong>r wie sein<br />

ganzer, ihn charakterisieren<strong>de</strong>r Name<br />

hieß, Philippus Aureolus Theophrastus<br />

Paracelsus <strong>Bombastus</strong> ab Hohenheim. Er<br />

war die halbe Welt durchreist, hatte aus<br />

allen Orten und En<strong>de</strong>n Rezepte und<br />

Wun<strong>de</strong>rmittel zusammengetragen, und<br />

beson<strong>de</strong>rs, was damals noch selten war, in<br />

<strong>de</strong>n Bergwerken Kenntnis und Behandlung<br />

<strong>de</strong>r Metalle studiert. Er fing seine<br />

Laufbahn damit an, alles nie<strong>de</strong>rzureißen,<br />

was bisher gelehrt wor<strong>de</strong>n war, alle hohen<br />

Schulen mit <strong>de</strong>r größten Verachtung zu<br />

behan<strong>de</strong>ln, sich als <strong>de</strong>n ersten Philosophen<br />

und Arzt <strong>de</strong>r Welt zu präsentieren,<br />

15<br />

Gerhart Harrer / Salzburg<br />

RÄTSEL UM DEN TOD DES PARACELSUS IN SALZBURG<br />

und heilig zu versichern, daß keine<br />

Krankheit sei, die er nicht heilen, kein<br />

Leben, das er nicht verlängern könnte.<br />

Zur Probe seiner Insolenz und <strong>de</strong>s Tons,<br />

in <strong>de</strong>m die Scharlatane <strong>de</strong>s 15. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

ihr Publikum anre<strong>de</strong>ten, will ich<br />

nur <strong>de</strong>n Anfang seines Hauptwerkes anführen:<br />

›Ihr müßt mir nach, ich nicht euch,<br />

ihr mir nach, Avicenna, Rhases, Galen,<br />

Mesue, mir nach und nicht ich euch, ihr von<br />

Paris, ihr von Montpellier, ihr von Schwaben,<br />

ihr von Meißen, ihr von Köln, ihr von Wien<br />

und was an <strong>de</strong>r Donau und <strong>de</strong>m Rheinstrom<br />

liegt, ihr Inseln im Meer, du Italien, du Dalmatien,<br />

du Athen, du Grieche, du Araber, du<br />

Israelite, mir nach und ich nicht euch, mein ist<br />

die Monarcbeyl‹. Man sieht, daß er nicht unrecht<br />

hatte, wenn er von sich sagt: ›Von <strong>de</strong>r<br />

Natur bin ich nicht subtil gesponnen, es ist<br />

auch nicht unsere Lan<strong>de</strong>sart, die wir unter<br />

Tannenzapfen aufwachsen‹. Aber er hatte<br />

die Gabe, seinen Unsinn in einer so dunklen<br />

und mystischen Sprache vorzutragen,<br />

daß man die tiefsten Geheimnisse<br />

darin ahnte und noch hie und da darinnen<br />

sucht, und daß es wenigstens ganz<br />

unmöglich war, ihn zu wi<strong>de</strong>rlegen. Durch<br />

alles dies und die neuen auffallen<strong>de</strong>n<br />

Wirkungen einiger chemischer Mittel, die<br />

er zuerst in die Medizin verpflanzte,<br />

machte er erstaunliche Sensation und<br />

sein Ruf wur<strong>de</strong> so verbreitet, daß aus<br />

ganz Europa Schüler und Patienten zu<br />

ihm strömten und daß selbst ein Erasmus<br />

sich entschließen konnte, ihn zu<br />

konsultieren.<br />

Er starb im 49. Jahre, ungeachtet er <strong>de</strong>n<br />

Stein <strong>de</strong>r Unsterblichkeit besaß, und<br />

wenn man diesen vegetabilischen Schwefel<br />

genauer untersucht, so fin<strong>de</strong>t man, daß<br />

er weiter nichts war, als ein hitziges, <strong>de</strong>m<br />

Hofmann'schen Liquor gleiches Mittel«. 2<br />

Während C. W. Hufeland also meinte,<br />

Paracelsus habe mit seinem frühen Tod<br />

seine Scharlatanerie gera<strong>de</strong>zu unter Beweis<br />

gestellt, vertraten viele, auch noch<br />

lange nach seinem Ableben die Meinung,


sein Tod könne, – obwohl ein »Sterbealter«<br />

von 48 Jahren zur damaligen Zeit keineswegs<br />

etwas Außergewöhnliches darstellte<br />

–, nur durch frem<strong>de</strong> Gewalt<br />

vonseiten seiner Fein<strong>de</strong> und Wi<strong>de</strong>rsacher<br />

zustan<strong>de</strong> gekommen sein. Sonst hätte er<br />

das von ihm selbst angestrebte Alter, wie<br />

er es immer lehrte, auch erreicht und wäre<br />

100 Jahre o<strong>de</strong>r älter gewor<strong>de</strong>n.<br />

Im Laufe <strong>de</strong>r Zeit entstan<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>ne<br />

Gerüchte und Legen<strong>de</strong>n, Sagen,<br />

Märchen und Volkserzählungen, die sich<br />

mit <strong>de</strong>m gewaltsamen Tod <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

beschäftigen.<br />

So soll 1662 <strong>de</strong>r württembergische Pfarrer<br />

Elias Heßling geäußert haben, Paracelsus<br />

wäre von <strong>de</strong>n Dienern verschie<strong>de</strong>ner<br />

Doktores, die seine Wi<strong>de</strong>rsacher waren,<br />

ergriffen und von einer Höhe herabgestürzt<br />

wor<strong>de</strong>n, sodaß er sich <strong>de</strong>n Hals<br />

brach. »Denn auf keine an<strong>de</strong>reweiß hatte<br />

man ihme sonsten beykommen können.<br />

Hatte also <strong>de</strong>r seelige Mann eines plötzlichen<br />

unversehenen, und erbärmlichen<br />

To<strong>de</strong>s, mit gesun<strong>de</strong>n Hertzen sterben<br />

müssen« (C. Aberle 1887). 3 Nach einer<br />

Version von Constantin Hering hatten<br />

feindlich gesinnte Kollegen »ihn unter<br />

<strong>de</strong>m Vorwan<strong>de</strong>, Frie<strong>de</strong> mit ihm schließen<br />

zu wollen, zu einem Gastmahle gelockt<br />

und ihn dann absichtlich in einen neuen<br />

Streit verwickelt, im Laufe <strong>de</strong>ssen sie ihn<br />

aus <strong>de</strong>m Fenster warfen« (C. Aberle<br />

1887). 4 Pisa (1991) 5 weist auf eine »Allgemeine<br />

<strong>de</strong>utsche Biographie« hin, die 1880<br />

von <strong>de</strong>r historischen Kommission <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

königlichbayerischen Aka<strong>de</strong>mie herausgegeben<br />

wur<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r sich folgen<strong>de</strong> Version<br />

fin<strong>de</strong>t: Paracelsus erlag, <strong>de</strong>r Tradition<br />

nach, »von einem Gastmahl zurückkehrend,<br />

<strong>de</strong>m Haß seiner Zunftgenossen,<br />

<strong>de</strong>ren Diener ihn von einer Höhe herabstürzten.<br />

Besinnungslos ward er in das<br />

nahe Wirtshaus zum Weißen Roß getragen,<br />

wo er, zum Bewußtsein zurückgekehrt,<br />

noch sein Testament, ein Document<br />

<strong>de</strong>r Uneigennützigkeit, Schlichtheit<br />

und Frömmigkeit, diktierte. Drei Tage<br />

nach dieser Katastrophe starb er«.<br />

Nach einer Tiroler Volkssage verschworen<br />

sich eines Tages »die feindseligen<br />

Ärzte von Innsbruck aus Haß und Neid<br />

16<br />

und überlegten hin und her, wie sie <strong>de</strong>m<br />

Theophrast ans Leben gehen könnten.<br />

Sie beschlossen zuerst, ihn zu vergiften,<br />

aber sie wußten auch um die Gegengifte,<br />

welche <strong>de</strong>m Wun<strong>de</strong>rarzt zur Verfügung<br />

stan<strong>de</strong>n ... Da riet ein an<strong>de</strong>rer Schwarzkünstler,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Hohenheimer beson<strong>de</strong>rs<br />

neidisch war, zu Diamantskörnern,<br />

welche das stärkste Gift enthalten. Durch<br />

Bestechung <strong>de</strong>s Dieners gelang es, <strong>de</strong>m<br />

Verfolgten aufgelöste Diamantkörner einzugeben.<br />

Theophrast verspürte bald<br />

genug die Wirkung, schloß sich ein und<br />

befahl <strong>de</strong>m Diener, innerhalb fünf Tagen<br />

die Türe nicht mehr zu öffnen. Dann<br />

setzte sich Theophrast in seinen Stuhl,<br />

nahm eine Kreuzspinne und ließ diese in<br />

seinen Magen hinunterkrabbeln, damit<br />

sie das Gift hinaufziehe«. Der neugierige<br />

Diener öffnete bereits am vierten Tag die<br />

Tür, die Spinne ließ das Gift fallen, und<br />

Theophrast mußte zu einem an<strong>de</strong>ren<br />

Mittel Zuflucht nehmen. Er gab <strong>de</strong>m<br />

Diener ein Döschen voll Pulver und<br />

gebot ihm: »Wenn ich gestorben sein<br />

wer<strong>de</strong> und erkaltet bin, so zerhacke meinen<br />

Leichnam in kleine Stücke, lege ihn<br />

in diese eherne Truhe, streue dieses Pulver<br />

drauf und öffne erst nach neun Monaten,<br />

keinen Tag früher, das Gefäß«.<br />

Wie<strong>de</strong>r ließ die Neugier<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Diener<br />

nicht ruhen, er öffnete die Truhe schon<br />

nach sieben Monaten »und erblickte mit<br />

Schreck in ihr eine menschliche Siebenmonatfrucht,<br />

die krümmte sich und starb<br />

vom Zutritt <strong>de</strong>r kalten Luft« (Pisa 1991). 6<br />

Nach einer an<strong>de</strong>ren Sage wünschte Paracelsus,<br />

sieben Jahre, sieben Monate,<br />

sieben Tage, sieben Stun<strong>de</strong>n, sieben Minuten<br />

und sieben Sekun<strong>de</strong>n im Grabe zu<br />

liegen. Auch in dieser Version öffnete <strong>de</strong>r<br />

Diener das Grab zu früh. Er sieht, wie<br />

Paracelsus eine Sekun<strong>de</strong> lang aufblüht<br />

wie eine Rose – und dann zu Staub zerfällt.<br />

(Geerk 1992). 7 In <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Versionen<br />

geht es also um eine »alchemistische<br />

Wie<strong>de</strong>rgeburt«, die durch <strong>de</strong>n ungetreuen<br />

Famulus vereitelt wur<strong>de</strong>. Stephan<br />

(1829) zitiert eine Schrift von Sieber,<br />

»wonach die Ärzte von Salzburg <strong>de</strong>n<br />

Theophrastus Par. Aur. Edlen von Hohenheim<br />

die Treppe <strong>de</strong>s Spitals, in wel-


chem er Kranke heilte, hinabwarfen, wie<br />

sein Schä<strong>de</strong>l beweiset« (C. Aberle 1887). 8<br />

Im Paracelsus-Roman von Harms 9<br />

wur<strong>de</strong> offenbar von dieser Version ausgegangen,<br />

Paracelsus jedoch über Auftrag<br />

<strong>de</strong>s Salzburger Arztes Dr. Anselmus Unterfränkli<br />

von zwei Knechten über eine<br />

Felswand hinuntergestürzt. Schließlich erwähnt<br />

Pisa (1991) 10 eine weitere Sage,<br />

nach <strong>de</strong>r sich sein Famulus Erasmus Palmer<br />

in <strong>de</strong>n Besitz <strong>de</strong>s Lebenselixiers bringen<br />

wollte, mit <strong>de</strong>ssen Hilfe 3 Personen,<br />

<strong>de</strong>nen es Paracelsus verabreichte, das 100.<br />

Lebensjahr erreicht hatten. Um dieses Lebenselixier<br />

seiner Braut Agathe, die es<br />

sehr begehrte, schenken zu können, habe<br />

er Paracelsus im Bett erdolcht. Als man<br />

das halb geleerte Fläschchen <strong>bei</strong> seiner<br />

Braut fand, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Famulus <strong>de</strong>r Tat<br />

überführt und zum To<strong>de</strong> verurteilt. Die<br />

Braut Agathe trat in das Kloster <strong>de</strong>r Benediktinerinnen<br />

am Nonnberg ein und<br />

wur<strong>de</strong> fast 100 Jahre alt. Im Roman von<br />

S. Barazetti (1887) 11 »Im Banne <strong>de</strong>s Untersberges«<br />

erscheint <strong>de</strong>r Geist <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

<strong>de</strong>m Erzbischof Wolf Dietrich und beschuldigt<br />

diesen, daß er ihn durch<br />

gedungene Mör<strong>de</strong>r über das Fenster und<br />

in die Salzach stürzen ließ und wirft ihm<br />

vor, das <strong>de</strong>n Erzbischof belasten<strong>de</strong> Dokument<br />

verbrannt zu haben. Allerdings<br />

wur<strong>de</strong> Wolf Dietrich erst geboren, nach<strong>de</strong>m<br />

Paracelsus bereits verstorben war.<br />

Doch die Äußerungen <strong>de</strong>s angesehenen<br />

Anatomen von Sömmering 12 , die Verletzungen<br />

im Bereich <strong>de</strong>s knöchernen Schä<strong>de</strong>ls<br />

seien auf eine Gewalteinwirkung<br />

noch während <strong>de</strong>s Lebens <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

zurückzuführen, bestärkten noch weiter<br />

die Ansichten jener, die sich nicht vorstellen<br />

konnten, Paracelsus sei eines »normalen,<br />

natürlichen« To<strong>de</strong>s gestorben und<br />

steigerten daher die Glaubwürdigkeit <strong>de</strong>r<br />

zitierten Legen<strong>de</strong>n und Gerüchte. In<br />

einem Brief an von Sömmering vom<br />

14.Februar 1813 schreibt Aberle: »Hier<br />

herrscht nach <strong>de</strong>n hierüber eingezogenen<br />

Erkundigungen die Meinung, daß Paracelsus<br />

keines natürlichen To<strong>de</strong>s gestorben sey,<br />

in<strong>de</strong>m er die Ärzte, beson<strong>de</strong>rs aber aus<br />

Rivalität einen Apotheker zu Fein<strong>de</strong>n gehabt<br />

habe, welcher sich viel mit Chemie<br />

beschäftigte und manche Versuche, und<br />

namentlich über einige chemische Präparate<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus nicht immer mit <strong>de</strong>m<br />

gewünschten Erfolge angestellt habe. Ein<br />

Wundarzt sagte mir ferners man habe<br />

ihm auch erzählt, daß Paracelsus einmal<br />

seinem Diener eine Goldtinktur mit <strong>de</strong>m<br />

Befehle aufgegeben habe, sie in die<br />

Salzach zu gießen, welche dieser aus Interesse<br />

heimlich zurückbehielt, aber nach<br />

Drohung seines Herrn doch that, worauf<br />

die Salzach roth wie Blut geflossen seye.<br />

Nun habe Paracelsus einen Kreis an die<br />

Wand gezeichnet und eine Pistolle mit<br />

<strong>de</strong>n Worten hineingeschoßen: nun wird<br />

mir mein Feind nicht mehr scha<strong>de</strong>n, und<br />

wirklich wäre <strong>de</strong>r Apotheker noch <strong>de</strong>nselben<br />

Tag am Schlagfluße gestorben. Ich<br />

glaubte, dieses Märchen mittheilen zu<br />

müssen, um <strong>de</strong>n Begriff zu bezeichnen,<br />

<strong>de</strong>n sich noch manche Menschen von Paracelsus<br />

machen« (C. Aberle 1878). 13<br />

Über die letzte Zeit bis zu seinem To<strong>de</strong><br />

liegt nur wenig historisch <strong>Ges</strong>ichertes<br />

vor. Während sich Paracelsus zu Beginn<br />

<strong>de</strong>s Jahres 1540 noch in Kärnten aufhielt,<br />

befand er sich im Sommer dieses Jahres,<br />

offenbar um sich endgültig nie<strong>de</strong>rzulassen,<br />

in Salzburg. Er dürfte damals schon<br />

kränklich gewesen und sich schwach gefühlt<br />

haben. Dies geht auch aus <strong>de</strong>m<br />

Umstand hervor, daß er nachweislich am<br />

2. März 1540 einen Konsiliarbesuch<br />

<strong>bei</strong>m Freiherrn Hans Ungnad von Sonneck<br />

in Pettau »schwachen Leibs halben« abschlug.<br />

14 An<strong>de</strong>rerseits unternahm er aber<br />

noch einen Ritt nach Strobl am Wolfgangsee,<br />

wo er am 15. April 1541 weilte. 15<br />

Am 21. September 1541 diktierte er im<br />

Gasthof zum »Weißen Roß« <strong>de</strong>m öffentlichen<br />

Notar Hans Kalbsohr seinen letzten<br />

Willen. Wohl »schwachen Leibes«,<br />

aber <strong>bei</strong> voller Vernunft, freimütig und<br />

vernehmlich sprechend, wie es im Protokoll<br />

heißt. Begraben wollte er im Sebastiansfriedhof<br />

wer<strong>de</strong>n. All das, was Paracelsus<br />

hinterließ, war eher beschei<strong>de</strong>n. 16 Das<br />

von Michael Toxites 1574 veröffentlichte<br />

Testament enthält u. a. eine genau Auflistung<br />

<strong>de</strong>r einzelnen Gegenstän<strong>de</strong>. 17<br />

Am 24. September 1541 verstarb Paracelsus<br />

und wur<strong>de</strong> noch am gleichen Tag<br />

17


am Sebastiansfriedhof in Salzburg <strong>bei</strong>gesetzt.<br />

Diese ungewöhnliche Eile, mit <strong>de</strong>r<br />

er begraben wur<strong>de</strong> erweckte neuerliches<br />

Mißtrauen und nährte die Gerüchte, wonach<br />

Paracelsus keines natürlichen, son<strong>de</strong>rn<br />

eines gewaltsamen To<strong>de</strong>s verstorben<br />

sei.<br />

Die 500. Wie<strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Geburtstages<br />

<strong>de</strong>s Hohenheimers schien uns einen geeigneten<br />

Anlaß zu bieten, <strong>de</strong>n Versuch zu unternehmen,<br />

etwas Licht in das Dunkel <strong>de</strong>r<br />

sich um seinen »geheimnisvollen« Tod ranken<strong>de</strong>n<br />

Sagen und Gerüchte zu bringen.<br />

So veranlaßten wir die neuerliche Exhumierung<br />

<strong>de</strong>r Ge<strong>bei</strong>ne Paracelsus, was uns<br />

nach Überwindung eines äußerst komplizierten<br />

und langwierigen Amtsweges dank<br />

<strong>de</strong>s grundsätzlichen Entgegenkommens<br />

<strong>de</strong>r Stadtverwaltung Salzburg schließlich<br />

auch gelang. Die am 23. März 1990 <strong>de</strong>m<br />

Grabmal entnommene Kupferkassette mit<br />

<strong>de</strong>n Skelettresten brachten wir in das Gerichtsmedizinische<br />

Institut <strong>de</strong>r Universität<br />

Wien, in <strong>de</strong>m die forensisch-anthropologischen<br />

Untersuchungen von Prof. Szilvassy<br />

und seinen Mitar<strong>bei</strong>tern vorgenommen<br />

wur<strong>de</strong>n und nun zum Abschluß<br />

gelangten.<br />

18<br />

18, 19, 20, 21, 22<br />

Die Kupferkassette mit <strong>de</strong>n Ge<strong>bei</strong>nen<br />

ist inzwischen seit über einem Jahr wie<strong>de</strong>r<br />

im Grabmal am Sebastiansfriedhof eingemauert.<br />

Fasst man die wesentlichsten Ergebnisse<br />

zusammen, so können nach <strong>de</strong>n makroskopischen<br />

und auflichtmikroskopischen<br />

Untersuchungen drei zu verschie<strong>de</strong>nen<br />

Zeitpunkten stattgefun<strong>de</strong>ne Gewalteinwirkungen<br />

gegen das Skelett abgegrenzt<br />

wer<strong>de</strong>n. Einerseits han<strong>de</strong>lt es sich da<strong>bei</strong><br />

um Beschädigungen durch Verän<strong>de</strong>rungen<br />

im Erdreich im Sinne von Verwitterungsvorgängen,<br />

an<strong>de</strong>rerseits um Defekte am<br />

linken Schläfen<strong>bei</strong>n, an <strong>de</strong>r linken Darm<strong>bei</strong>nschaufel,<br />

am Kreuz<strong>bei</strong>n und am linken<br />

Oberschenkel, die auf eine geformte<br />

Gewalteinwirkung zurückzuführen sind.<br />

Diese Beschädigungen dürften im Zuge<br />

<strong>de</strong>r letzten Enterdigung wahrscheinlich<br />

durch Spaten- o<strong>de</strong>r Schaufelstiche erfolgt<br />

sein. Die dritte Art von Beschädigungen<br />

ist am rechten Schien<strong>bei</strong>n festzustellen.<br />

Sie weist auf <strong>de</strong>n sorglosen Umgang mit<br />

diesem Skeletteil zu einem wesentlich<br />

späteren Zeitpunkt hin. Somit fin<strong>de</strong>n<br />

sich nach diesen Untersuchungen keine<br />

Hinweise, daß Paracelsus »durch grobe<br />

mechanische Gewalteinwirkungen, insbeson<strong>de</strong>re<br />

gegen <strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>l zu To<strong>de</strong><br />

kam«. Nach bisher unveröffentlichten<br />

lichtmikroskopischen Untersuchungen<br />

von F. Lintner 23 an einem kleinen Knochengewebsstückchen<br />

aus <strong>de</strong>m rechten<br />

Oberschenkel besteht neben einer leichten<br />

Atrophie <strong>de</strong>s Knochengerüstes <strong>de</strong>r<br />

Verdacht auf eine verstärkte Osteoidose,<br />

möglicherweise im Sinne einer Mineralisationsstörung.<br />

Die Frage, ob die Verletzung<br />

an diesem Skeletteil erst postmortal<br />

entstan<strong>de</strong>n ist, läßt sich aufgrund dieser<br />

Untersuchungen nicht mit Sicherheit beantworten.<br />

Sie könnte ebenso auch kurz<br />

vor seinem Tod erfolgt sein. Dazu ist<br />

noch zu bemerken, daß um 1600, also<br />

etwa 50 Jahre nach seinem Tod, seine Ge<strong>bei</strong>ne<br />

exhumiert und an <strong>de</strong>r Mauer <strong>de</strong>r<br />

Kirche von St. Sebastian <strong>bei</strong>gesetzt wur<strong>de</strong>n.<br />

Im Jahre 1752, also etwa 210Jahre<br />

nach seinem To<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n die Ge<strong>bei</strong>ne<br />

abermals ausgegraben und in einer Marmorpyrami<strong>de</strong><br />

<strong>bei</strong>gesetzt. Im Jahre 1912<br />

schließlich wur<strong>de</strong>n die Ge<strong>bei</strong>ne in einer<br />

Kupferkassette eingeschlossen. Diese<br />

wur<strong>de</strong> dann während <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges<br />

in <strong>de</strong>r Festung Hohen Salzburg<br />

»in Sicherheit gebracht«, ging aber vorübergehend<br />

verloren, bis sie nach <strong>de</strong>m<br />

Krieg von amerikanischen Soldaten zufällig<br />

aufgefun<strong>de</strong>n und in weiterer Folge<br />

von einigen engagierten Salzburgern für<br />

die Stadt »gerettet« wur<strong>de</strong>. Anläßlich <strong>de</strong>r<br />

Gründung <strong>de</strong>r Internationalen Paracelsus<br />

<strong>Ges</strong>ellschaft 1951 in Salzburg wur<strong>de</strong> die<br />

Kupferkassette wie<strong>de</strong>r feierlich im Rundmedaillon<br />

<strong>de</strong>r Marmorpyrami<strong>de</strong> eingesetzt.<br />

Sehr interessante Aufschlüsse über <strong>de</strong>n<br />

<strong>Ges</strong>undheitszustand <strong>de</strong>s Paracelsus im<br />

To<strong>de</strong>sjahr und davor erbrachten die chemischen<br />

Analysen <strong>de</strong>r Skeletteile. Bisher<br />

konnten über die »To<strong>de</strong>skrankheit« <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus nur mehr o<strong>de</strong>r min<strong>de</strong>r vage<br />

Vermutungen geäußert wer<strong>de</strong>n.<br />

Nach <strong>de</strong>m von W. Lange-Eichbaum<br />

und W. Kurth in ihrem Buch »Genie, Irr-


sinn und Ruhm« 24 zusammengestellten<br />

Pathographien berühmter Persönlichkeiten<br />

litt Paracelsus an einem Mißbrauch<br />

von Schwermetallen (Quecksilber, Antimon,<br />

Gold), möglicherweise auch von Alkohol.<br />

Sudhoff 25 glaubte an einen Leberkrebs,<br />

Vogt 26 sprach <strong>de</strong>n Verdacht auf eine<br />

chronische Nephropathie, also auf eine<br />

Schrumpfniere als terminales Lei<strong>de</strong>n aus.<br />

R. Blaser 27 vermutete eine »Lebercirrhose<br />

und Nephritis, hervorgerufen durch arsenund<br />

quecksilberhaltigen Hüttenrauch«. B.<br />

Aschner 28 nahm eine Leber- o<strong>de</strong>r Gallenblasenerkrankung<br />

als To<strong>de</strong>sursache an.<br />

Schließlich sollen auch Page1 29 und<br />

Spunda 30 erwähnt wer<strong>de</strong>n, die das unstete<br />

Leben, das viele Hantieren mit Quecksilberpräparaten<br />

und die Automedikation<br />

seiner »Lebenselixiere« für seinen schlechten<br />

<strong>Ges</strong>undheitszustand verantwortlich<br />

machten. Strebel 31 hatte eine »toxische Lebercirrhose<br />

mit Aszites« und eine Nierenschrumpfung<br />

angenommen.<br />

In seiner sehr gründlichen Studie über<br />

die To<strong>de</strong>skrankheit <strong>de</strong>s Hohenheimers<br />

kommt Kerner 32 zu <strong>de</strong>m Schluß, daß es<br />

im Leben <strong>de</strong>s Paracelsus verschie<strong>de</strong>ne<br />

Zeitabschnitte gegeben haben dürfte, in<br />

welchen er sich verschie<strong>de</strong>ner Quecksilberverbindungen<br />

persönlich bediente,<br />

zumal er sie ja auch durchweg selber herzustellen<br />

pflegte. Dafür spreche unter an<strong>de</strong>rem<br />

»sein erethisches Wesen, die unruhevollspru<strong>de</strong>ln<strong>de</strong><br />

und aufbrausen<strong>de</strong> Art<br />

<strong>de</strong>r Darstellung in ihrem nicht immer logischen<br />

Gedankenablauf zusammen mit<br />

<strong>de</strong>r oft verzitterten Handschrift«. Seine<br />

Gereiztheit und euphorische Selbstüberschätzung<br />

seien erst verständlich, wenn<br />

man die Auswirkungen einer chronischen<br />

Quecksilbervergiftung berücksichtigt.<br />

Genau diese Verdachtsdiagnose konnte<br />

durch die nun erhobenen chemischen<br />

Analysen bestätigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Wie Kritscher u. Mit. 33 berichten, fan<strong>de</strong>n<br />

sich in <strong>de</strong>n untersuchten Skelett-Teilen<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus bis zu 100-fach höhere<br />

Quecksilberwerte als in <strong>de</strong>n Knochen frischer<br />

und aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

stammen<strong>de</strong>r Skelette. Dies läßt <strong>de</strong>n<br />

Schluß zu, »daß er zu Lebzeiten einer beachtlichen<br />

Quecksilberbelastung ausge-<br />

setzt war. Der verschie<strong>de</strong>ne Quecksilbergehalt<br />

in <strong>de</strong>r kompakten und porösen<br />

Struktur von Wa<strong>de</strong>n- und Schien<strong>bei</strong>n<br />

kann durch Auftrocknung <strong>de</strong>s Knochenmarks<br />

interpretiert wer<strong>de</strong>n, das ja ebenfalls<br />

Quecksilber enthalten haben muß«.<br />

Wahrscheinlich war Paracelsus zusätzlich<br />

zu seiner chronischen Intoxikation vor<br />

seinem Tod noch einmal einer höheren<br />

Quecksilberbelastung ausgesetzt. Eine<br />

Kontamination <strong>de</strong>r Ge<strong>bei</strong>ne mit löslichen<br />

Quecksilberverbindungen zu irgen<strong>de</strong>iner<br />

späteren Zeit ist auszuschließen.<br />

Der schadhafte und zahnlose<br />

Unterkiefer kann geradzu als typisch für<br />

eine Quecksilberintoxikation angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n, wo<strong>bei</strong> die teils offenen, teils verschlossenen<br />

Zahnfächer dafür sprechen,<br />

daß ein Teil <strong>de</strong>r Zähne schon lange, ein<br />

Teil vielleicht erst 6-8 Wochen vor seinem<br />

Tod verloren ging. 34 Übrigens hat<br />

schon Aberle einen Zusammenhang zwischen<br />

Verän<strong>de</strong>rungen am Kiefer und <strong>de</strong>n<br />

schadhaften Zähnen mit <strong>de</strong>n »vielerlei<br />

metallurgischen Ar<strong>bei</strong>ten, insbeson<strong>de</strong>re<br />

mit Quecksilber« vermutet. 35<br />

Neben <strong>de</strong>r bereits erwähnten verzitterten<br />

Handschrift kann auch <strong>de</strong>r rasche<br />

Verfall und die rapi<strong>de</strong> Alterung, die aus<br />

<strong>de</strong>m Vergleich <strong>de</strong>r <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Portraits <strong>de</strong>s<br />

Monogrammisten A. H. aus <strong>de</strong>n Jahren<br />

1538 und 1540 hervorgeht, durch die<br />

Annahme einer Quecksilbervergiftung<br />

zwanglos erklärt wer<strong>de</strong>n. Der Tod könnte<br />

dann z. B. durch ein Nierenversagen eingetreten<br />

sein.<br />

Wenngleich freilich auch diese, mehr<br />

als 450Jahre nach seinem Tod erstellten<br />

Diagnosen bezüglich seiner To<strong>de</strong>skrankheit<br />

nur hypothetischen Charakter aufweisen<br />

können, so scheinen wir damit<br />

<strong>de</strong>r Lösung wenigsten einiger <strong>de</strong>r Rätsel,<br />

die sich um <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s Paracelsus rankten,<br />

einen be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Schritt näher gekommen<br />

zu sein. 36<br />

Damit ereilte <strong>de</strong>n Hohenheimer ein<br />

ähnliches Schicksal, wie die Pioniere <strong>de</strong>r<br />

Erforschung <strong>de</strong>r Röntgen- und Radiumstrahlen,<br />

die auch an <strong>de</strong>n Folgen <strong>de</strong>r gesundheitlichen<br />

Schä<strong>de</strong>n verstarben, die sie<br />

sich <strong>bei</strong>m Umgang mit <strong>de</strong>m Objekt ihrer<br />

Forschungstätigkeit zugezogen hatten.<br />

19


1 Harrer, G.: Das »lange Leben« <strong>bei</strong> Paracelsus, C.<br />

W. Hufeland und heute.<br />

In: Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung,<br />

Bd. 29 pp. 40-49<br />

2 Hufeland, C. W: Makrobiotik o<strong>de</strong>r die Kunst,<br />

das menschliche Leben zu verlängern. Insel Taschenbuch<br />

770 (1984) pp. 22 ff.<br />

3 Aberle, C.: Grab-Denkmal, Schä<strong>de</strong>l und Abbildungen<br />

<strong>de</strong>s Theophrastus Paracelsus. Mittheilungen<br />

<strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>. E Salzburger Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>, Bd. 27<br />

(1887) pp. 53<br />

4 Aberle C.: Wie Anmerkung Nr.3 p. 54<br />

5 Pisa, K.: Paracelsus in Österreich – Eine Spurensuche.<br />

Verl. Nied. österr. Pressehaus<br />

St. Pölten-Wien 1991 p. 15<br />

6 Pisa, K.: Wie Anmerkung Nr. 5 p. 20<br />

7 Geerk, F.: Paracelsus – Arzt unserer Zeit. Benzinger,<br />

Zürich 1992 p. 133<br />

8 Aberle, C.: Wie Anmerkung Nr. 3 p. 54<br />

9 Harms, R.: Paracelsus. Der Lebensroman eines<br />

Arztes, Rütten und Loenig Verl. Hamburg 1961<br />

pp. 346 ff.<br />

10 Pisa, K.: Wie Anmerkung Nr. 5 p. 20 ff.<br />

11 Aberle, C.: Grab<strong>de</strong>nkmal, Schä<strong>de</strong>l und<br />

Abbildungen <strong>de</strong>s Theophrastus Paracelsus,<br />

(Fortsetzung von Nr. 3).<br />

Mittheilungen <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>. f. Salzburger Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>,<br />

Bd. 31 (1891) p. 157<br />

12 Aberle, C.: Theophrastus Paracelsus und <strong>de</strong>ssen<br />

Überreste Mittheilungen <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>. f. Salzburger<br />

Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>, Bd. 18 (1878) p. 191<br />

13 Aberle, C.: Wie Anmerkung Nr. 12 p. 229<br />

14 Kramml, P. F.: Paracelsus in Salzburg- Das En<strong>de</strong><br />

eines Mythos? In: Dopsch, H. und P. F. Kramml<br />

(Hrsg): Paracelsus und Salzburg. Mitteilungen<br />

<strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>. f. Salzburger Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>, 14. Erg.<br />

Band, Salzburg 1994 p. 189<br />

15 Kramml, P. F.: Wie Anmerkung Nr. 14 p. 189<br />

16 Domandl, S.: Salzburg und das Testament <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus.<br />

in: Dopsch, H., Goldammer, K. und<br />

P. F. Kramml (Hrsg): Paracelsus (1493-1541) »Keines<br />

an<strong>de</strong>rn Knecht ...« A. Pustet Salzburg 1993 p.<br />

44 ff.<br />

17 Dopsch, H.: Testament, Tod und Grabmal <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus.<br />

In: Dopsch, H. und P. F. Kramml (Hrsg): Paracelsus<br />

und Salzburg.<br />

Mitteilungen <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>. f. Salzburger Lan<strong>de</strong>skun<strong>de</strong>,<br />

14. Erg. Band, Salzburg 1994 p. 262<br />

20<br />

LITERATUR<br />

18 Kritscher, H., G. Hauser, Chr. Reiter,<br />

j. Szilvassy und W Vycudilik: Forensisch-anthropologische<br />

Untersuchungen <strong>de</strong>r Skelettreste <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus.<br />

In: Wie Anmerkung Nr. 16 pp. 53-61<br />

19 Kritscher, H., J. Szilvassy<br />

und W Vycudilik: Die Ge<strong>bei</strong>ne <strong>de</strong>s Arztes Theophrastus<br />

<strong>Bombastus</strong> von Hohenheim, genannt<br />

Paracelsus.<br />

In: Wie Anmerkung Nr. 17 pp. 69-96<br />

20 Reiter, Chr.: Das Skelett <strong>de</strong>s Paracelsus aus gerichtsmedizinischer<br />

Sicht. In: Wie Anmerkung<br />

Nr. 17 pp. 997-115<br />

21 Vycudilik, W und R. Bin<strong>de</strong>r: Zur toxikologischen<br />

Quecksilberbestimmung im Skelett <strong>de</strong>s Paracelsus.<br />

– Im Druck<br />

22 Kritscher, H. und J. Szilvassy: Abschließen<strong>de</strong> Ergebnisse<br />

<strong>de</strong>r forensisch-anthropologischen Untersuchungen<br />

<strong>de</strong>r Skelettreste <strong>de</strong>s Paracelsus. Salzburger<br />

Beiträge zur Paracelsusforschung, Bd. 30. –<br />

Im Druck<br />

23 Lintner, F.: Persönliche Mitteilung 1996<br />

24 Lange-Eichbaum, W und W. Kurth: Genie,<br />

Irrsinn und Ruhm. 6. Auflage,<br />

Ernst Reinhardt Verlag München Basel 1967<br />

p. 494<br />

25 Sudhoff K.: Paracelsus, Leipzig 1936 Zit. nach<br />

Anmerkung Nr. 24 p. 494<br />

26 Vogt, A.: Paracelsus als Arzt und Philosoph.<br />

Stuttgart 1955. Zit. nach Anmerkung Nr. 24 p.<br />

494<br />

27 Blaser, R.: Zit. nach Anmerkung Nr. 7 p. 131<br />

28 Aschner, B.: Paracelsus. Sämtliche Werke, Jena<br />

1926, Nachdruck Anger 1993 Bd. 1 p. XXXV.<br />

29 Pagel, J.: Einführung in die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin.<br />

Berlin 1898<br />

30 Spunda, F.: Paracelsus. Wien Leipzig 1925<br />

31 Strebel, J.: Theophrast von Hohenheim, genannt<br />

Paracelsus. St. Gallen 1944, Bd. 1, pp. 72 ff.<br />

32 Kerner, D.: Zur To<strong>de</strong>skrankheit <strong>de</strong>s Paracelsus.<br />

In: Materia Medica Nordmark XI/10 p. 319<br />

33 Kritscher, H., J. Szilvassy und W Vycudilik: Wie<br />

Anmerkung 19 pp. 87<br />

34 Kritscher, H. und J. Szilvassy: Wie Anmerkung<br />

Nr. 22<br />

35 Aberle, C.: Wie Anmerkung Nr. ll p. 160<br />

36 Harrer, G.: Zur To<strong>de</strong>skrankheit <strong>de</strong>s Paracelsus.<br />

In: Dopsch, H. und P. E Kramml (Hrsg): Paracelsus<br />

und Salzburg, 14. Erg. Bd. Salzburg 1994<br />

pp. 61-67


Siegfried Wollgast<br />

DER PARACELSISMUS – AUSDRUCK DER »DRITTEN KRAFT« IM<br />

GESELLSCHAFTLICHEN DENKEN DER FRÜHEN NEUZEIT<br />

Der Linkskatholik und renommierte<br />

Kulturhistoriker Friedrich Heer schrieb vor<br />

1960: »Verloren fast, steht, im mächtigen<br />

Kuppelbau <strong>de</strong>r Peterskirche in Rom, die<br />

Pietà <strong>de</strong>s Michelangelo. Eingangs, rechts,<br />

in <strong>de</strong>r ersten Kapelle. Nicht ganz so verloren<br />

steht in Santa Maria <strong>de</strong>l Fiore, im<br />

Hohen Dom von Florenz, die Kreuzabnahme<br />

<strong>de</strong>s Michelangelo. In <strong>de</strong>r Gruppe<br />

<strong>de</strong>r Nebenaltäre um das Querschiff, links<br />

vom Hauptaltar.« Bei<strong>de</strong> sind »die Erinnerungsmale<br />

<strong>de</strong>r Dritten Kraft, errichtet nach<br />

ihrem augenscheinlichen Untergang. Diese<br />

Dritte Kraft war das Bemühen europäischer<br />

Humanisten und Reformer, zwischen<br />

1500 und 1555, Europa zu retten vor <strong>de</strong>r<br />

drohen<strong>de</strong>n Aufspaltung in die Ghettobildungen<br />

<strong>de</strong>r neueren Jahrhun<strong>de</strong>rte, in die<br />

Kirchenstaaten, Staatskirchen und Nationalstaaten.<br />

Das Unterliegen <strong>de</strong>r Dritten<br />

Kraft be<strong>de</strong>utete: für Deutschland <strong>de</strong>n hun<strong>de</strong>rtjährigen<br />

Bürgerkrieg, <strong>de</strong>r im Dreißigjährigen<br />

Krieg gipfelt ... Für Europa im<br />

ganzen: die bis zum zwanzigsten Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

endgültige Fixierung als ›Abendland‹,<br />

als Westeuropa, scharf abgesetzt gegen <strong>de</strong>n<br />

Osten, Rußland, die Ostkirche, gegen die eigenen<br />

Massen, das Nie<strong>de</strong>rvolk, gegen <strong>de</strong>n<br />

Untergrund <strong>de</strong>r Person.« 1<br />

Dieses Unterliegen war ein Prozeß. Ich<br />

richte mein Augenmerk da<strong>bei</strong> vornehmlich<br />

auf die Reformer <strong>de</strong>s 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts,<br />

weniger auf die Humanisten! Wenn<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong> überhaupt zu trennen sind, wenn<br />

sich viele Oppositionelle überhaupt als<br />

solche verstan<strong>de</strong>n. Zweifellos waren die<br />

konfessionellen Fronten schon <strong>de</strong>s Mittelalters,<br />

eher noch <strong>de</strong>s 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

keineswegs sehr eng, unbeweglich<br />

und starr. Philosophisches Denken <strong>de</strong>s ausgehen<strong>de</strong>n<br />

20.Jahrhun<strong>de</strong>rts übersieht sehr<br />

ottm daß vor allem <strong>de</strong>r Katholizismus in<br />

dieser Zeit eine große geistige Spannweite<br />

aufwies, das Luthertum fand im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

zum Pietismus. Dennoch: Die Reformationszeit<br />

und die folgen<strong>de</strong>n einein-<br />

halb Jahrhun<strong>de</strong>rte bis zur Aufklärung bieten<br />

Grundlagen für Toleranzentwicklung<br />

und härteste Intoleranz zugleich!<br />

In dieser Zeit tut sich eine Dichotomie<br />

auf, die die Zeit weitgehend beherrscht.<br />

Positive Religion ist für das Recht wichtig.<br />

Dementsprechend be<strong>de</strong>uten fundamentale<br />

Religions-Differenzen rechtliche Katastrophen.<br />

Zugleich ist Recht für Theologie<br />

von existentieller Be<strong>de</strong>utung. Daher sind<br />

substantielle Rechtsdifferenzen für die<br />

Theologie katastrophal. Auch diese<br />

Dichotomie stimuliert die Entstehung <strong>de</strong>s<br />

Systems <strong>de</strong>r europäischen Kriege, Bürgerkriege<br />

und Revolutionen im 16. und 17.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt. Die Reformation be<strong>de</strong>utet in<br />

dieser Hinsicht eine Zäsur. Zuvor schien<br />

alles klar: »Toleranz war ursprünglich<br />

rechtlich nicht vorgesehen, sie war ja auch<br />

nicht erfor<strong>de</strong>rlich. Die rechtliche Begründung<br />

von Herrschaft war allemal theologisch<br />

abgesichert. Kirche war das geistliche<br />

und Herrschaft das weltliche Schwert <strong>de</strong>s<br />

einen Gottes. Zwar gab es Kompetenzgerangel<br />

um die Grenzen <strong>de</strong>r jeweiligen<br />

Herrschaft, aber die Struktur <strong>de</strong>r christlichen<br />

Machtausübung stand nicht zur Debatte.<br />

Weltliche und geistliche Obrigkeiten<br />

waren Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rselben Kirche,<br />

Ketzer wur<strong>de</strong>n nicht akzeptiert, Ju<strong>de</strong>n<br />

stan<strong>de</strong>n unter Ausnahmeprivilegien. Die<br />

Frage <strong>de</strong>r religiösen Min<strong>de</strong>rheiten war<br />

rechtlich unproblematisch, weil politisch<br />

ungefährlich.« 2 Nach <strong>de</strong>r Reformation<br />

führt diese Linie zu entsprechen<strong>de</strong>n Konsequenzen<br />

auch für die religiöse Toleranz,<br />

Staatsreligion sollte erneut <strong>de</strong>r Stabilisierung<br />

<strong>de</strong>s Staates dienen.<br />

Dies ist nur ein Aspekt, <strong>de</strong>r die damalige<br />

Situation umschreibt, es gibt <strong>de</strong>rer<br />

viele. Je<strong>de</strong>nfalls haben viele Persönlichkeiten<br />

<strong>de</strong>s 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts einen<br />

Ausweg aus <strong>de</strong>n sich feindlich gegenüberstehen<strong>de</strong>n<br />

drei Hauptkonfessionen gesucht.<br />

Sie blieben eine Min<strong>de</strong>rheit, erlitten<br />

zu Lebzeiten o<strong>de</strong>r postum grausamste<br />

21


Verfolgungen. Dennoch haben sie an<br />

ihren I<strong>de</strong>en zumeist festgehalten und vieles<br />

vorgedacht, was später als grandioser<br />

Erfolg <strong>de</strong>r Aufklärung o<strong>de</strong>r auch erst <strong>de</strong>s<br />

19., o<strong>de</strong>r gar erst <strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts dargetan<br />

wur<strong>de</strong>.<br />

In diese Linie gehört nun auch Paracelsus.<br />

Ihm war von <strong>de</strong>n Autoren <strong>de</strong>s 16.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts eine <strong>de</strong>r spannungsreichsten,<br />

reich schattiertesten und mit manchen<br />

Glanzlichtern besetzte Wirkungsgeschichte<br />

beschie<strong>de</strong>n. Es schmolz <strong>de</strong>r »Schnee seines<br />

Elends« – <strong>de</strong>nn am En<strong>de</strong> seines Lebens,<br />

1541, scheint <strong>de</strong>r Arzt wie <strong>de</strong>r Laientheologe<br />

Paracelsus gescheitert, unter <strong>de</strong>n<br />

glühen<strong>de</strong>n Brandopfern seiner frühneuzeitlichen<br />

Anhänger und <strong>de</strong>n flammen<strong>de</strong>n<br />

Scheiterhaufen seiner Gegner.3<br />

Nach K. Goldammer bil<strong>de</strong>t das theologische<br />

Werk Hohenheims eine eigene geistige<br />

Welt mit Bezügen zur Reformation,<br />

namentlich zu <strong>de</strong>ren radikalem Flügel,<br />

teilweise genährt aus <strong>de</strong>r spiritualen Kirchenkritik<br />

<strong>de</strong>s späten Mittelalters, vor<br />

allem aber gegrün<strong>de</strong>t auf die Bibel! Die<br />

philosophische Komponente da<strong>bei</strong> auszugrenzen<br />

wäre sträflich; allerdings sind<br />

eben zu dieser Zeit Theologie und Philosophie<br />

eine Einheit; dieses Geflecht ist<br />

m.E. bis heute nicht entflochten. Goldammer<br />

sagt zu Recht zu Paracelsus: »Die<br />

Kreise, in <strong>de</strong>nen seine Theologie handschriftlich<br />

überliefert wur<strong>de</strong>, stan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m<br />

Spiritualismus, <strong>de</strong>r Mystik und Theosophie<br />

<strong>de</strong>s nachreformatorischen Protestantismus<br />

nahe bis hin zu Jacob Böhme ...<br />

Die Grenzen zwischen <strong>de</strong>n sich bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

›Konfessionen‹ waren allerdings damals <strong>de</strong><br />

facto weniger scharf, als man heute annimmt.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>s ›Katholischen‹ ist<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus wie<strong>de</strong>rholt Gegenstand lei<strong>de</strong>nschaftlicher<br />

und scharfsinniger Erörterungen<br />

und keineswegs ein ›konfessionelles‹<br />

Distinctivum. Erstaunlich ist die<br />

starke Abstinenz, ja Unkenntnis sogar <strong>de</strong>r<br />

Fachtheologie von heute, beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r<br />

Kirchen- und Dogmengeschichte, gegenüber<br />

<strong>de</strong>r singulären theologischen Leistung<br />

<strong>de</strong>s Paracelsismus, auch nach <strong>de</strong>m Vorliegen<br />

vieler Bän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r neuen Edition. Ist<br />

das Hilflosigkeit? Ist es unbequem, weil es<br />

außerhalb <strong>de</strong>s Schemas liegt?« 4 Ich ver-<br />

22<br />

lasse mit meinem Wertungsansatz das<br />

»außerhalb <strong>de</strong>s Schemas«, das für mich<br />

nie bin<strong>de</strong>nd war. Doch ich halte mich<br />

auch in folgen<strong>de</strong>m an K. Goldammer:<br />

»Paracelsus ist eine <strong>de</strong>r wenigen Figuren<br />

<strong>de</strong>r Wissenschaftsgeschichte, <strong>de</strong>ren sich<br />

die Legen<strong>de</strong>nbildung und die oft entstehen<strong>de</strong><br />

popularisieren<strong>de</strong> Darstellung in<br />

ganz großem Umfang angenommen hat,<br />

und die eine ganz ungewöhnliche Resonanz<br />

in Form und Verehrung, in <strong>de</strong>r Mythenbildung<br />

von Schultraditionen, in objektivieren<strong>de</strong>n<br />

Versuchen geschichtlicher<br />

Erfassung, in Bekämpfung und Haßlegen<strong>de</strong><br />

gefun<strong>de</strong>n hat ...« 5<br />

Sicher: etwa in seinem »Paragranum«<br />

nennt Paracelsus vier Säulen, auf <strong>de</strong>nen<br />

sein Weltbild ruht:<br />

1. Philosophie gleich Naturwissenschaft,<br />

2. Astronomie, 3. Alchemie gleich chemische<br />

Arzneizubereitung und 4. »Virtus« –<br />

die ärztliche Tugend, die Redlichkeit gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Patienten. 6 Doch <strong>Ges</strong>ellschaftstheorie<br />

wird damit nicht erfaßt. Sie<br />

basiert letztlich <strong>bei</strong> Paracelsus auf einem<br />

höchstlich originellen Verständnis <strong>de</strong>r<br />

Bibel, <strong>de</strong>s Christentums überhaupt.<br />

We<strong>de</strong>r Luther noch Zwingli, we<strong>de</strong>r Papst<br />

noch Kaiser und König nimmt Paracelsus<br />

davon aus, die u.a. in <strong>de</strong>r synoptischen<br />

Apokalypse geweissagten »falschen Propheten«<br />

zu sein. Sie sind nicht im Besitz<br />

<strong>de</strong>r himmlischen Kräfte, können die Kreaturen<br />

nicht gesund machen und geben<br />

mit diesem Unvermögen ein Zeugnis<br />

ihres Betrugs, ein Zeichen, daß es ihnen<br />

auch an <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>r Vergebung mangelt.<br />

Der Glaube, von <strong>de</strong>m Paracelsus<br />

spricht, ist nicht <strong>de</strong>r transitus vom totus<br />

peccator zum totus iustus, die Aufgabe<br />

aller Selbst- und Werkgerechtigkeit gegenüber<br />

Gott, wie <strong>bei</strong> Luther. Es ist auch<br />

nicht bloß <strong>de</strong>r durch die Liebe wirksame<br />

und von äußerem Tand abgewandte (wiewohl<br />

Paracelsus hier ganz radikal-erasmianisch<br />

gegen äußeren Pomp und Zeremonien<br />

Stellung bezieht), <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s<br />

Geistes, <strong>de</strong>m, was von Oben kommt, zugewandte<br />

Glaube <strong>de</strong>s Evangelismus und<br />

Erasmianismus, es ist ein stark dynamistisch<br />

verstan<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Glaube, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zugang<br />

zu <strong>de</strong>n göttlichen Kräften eröffnet.


Auch hierin liegt <strong>de</strong>r Grund, warum Paracelsus<br />

sich trotz mancher Gedanken, die<br />

in seinem Werk verstreut zu fin<strong>de</strong>n sind<br />

und in einzelnen Fragen durchaus eine<br />

Zuordnung zu dieser o<strong>de</strong>r jener Strömung<br />

<strong>de</strong>r Reformationszeit gestatten, außerhalb<br />

<strong>de</strong>s konfessionellen Streits hielt und sich<br />

keiner Gruppe zugehörig fühlte. 7 Zu<strong>de</strong>m<br />

teilt Paracelsus die apokalyptische Grundstimmung<br />

vieler seiner Zeitgenossen. Dies<br />

läßt ihn seit 1525 sein theologisches Wirken<br />

zunehmend als Kampf gegen <strong>de</strong>n Antichristen,<br />

gegen die falschen Propheten,<br />

wie sie in <strong>de</strong>n Apokalypsen <strong>de</strong>r Synoptiker<br />

geweissagt wer<strong>de</strong>n, verstehen. 8 »Paracelsus<br />

hat die Anschauungen, die er vom<br />

Neoplatonismus und aus <strong>de</strong>r Hermetik rezipierte,<br />

und die Welt eines spiritualen,<br />

evangelistischen Bibelchristentums offensichtlich<br />

nicht als Gegensätze verstan<strong>de</strong>n.«<br />

9<br />

Mannigfach sind <strong>de</strong>s Hohenheimers<br />

Verdienste um die Medizin und Naturwissenschaft.<br />

Sie sind zu bekannt, als daß sie<br />

hier erneut aufgeführt wer<strong>de</strong>n müßten.<br />

Sie sichern ihm in <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaft einen Ehrenplatz. In seiner<br />

<strong>Ges</strong>ellschaftsauffassung vertritt <strong>de</strong>r Hohenheimer<br />

als oberstes Prinzip mit großer<br />

Lei<strong>de</strong>nschaft die soziale und politische<br />

Gleichheit <strong>de</strong>r Menschen aller Stän<strong>de</strong>.<br />

Herkunft und En<strong>de</strong> ist <strong>bei</strong> allen gleich:<br />

»Was bistu, e<strong>de</strong>lman? was bistu, burger? was<br />

bistu, kaufman? stinkt <strong>de</strong>in dreck nit so übel<br />

als <strong>de</strong>s pauren dreck? ... was machstu dann<br />

aus dir selber, so du doch gleich <strong>de</strong>s geblüets, ge<strong>bei</strong>ns<br />

und fleisch bist als <strong>de</strong>r paur, und gleich so<br />

wol <strong>de</strong>n würmen und zu staub und aschen und<br />

wie<strong>de</strong>r zur er<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n mußt?« 10 Gleiche<br />

Auffassungen äußert S. Franck: »Alle<br />

Menschen – ein Mensch ... Da fin<strong>de</strong>t sich<br />

in allen Adamskin<strong>de</strong>rn ein gleiches Herz<br />

und ein gleicher Wille zu leben, zu<br />

haben, zu herrschen, zur Wollust, Üppigkeit<br />

und eitlem Wesen von Natur, und ob<br />

sich gleich mit <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn die Kleidung<br />

und Sprache verkehrt, so verkehrt sich<br />

doch nicht das Herz, <strong>de</strong>r Mut und <strong>de</strong>r<br />

Wille.« 11 Überhaupt lassen sich viele Gedanken<br />

<strong>de</strong>s Hohenheimers <strong>bei</strong> Franck<br />

nachweisen und umgekehrt. Auch <strong>bei</strong> V.<br />

Weigel, dann auch <strong>bei</strong> J. Böhme. Ob sie<br />

genuin paracelsisch sind, sei hier dahingestellt.<br />

Je<strong>de</strong>nfalls bringen sie gemeinsames<br />

Denken zum Ausdruck.<br />

Paracelsus bekennt sich zu <strong>de</strong>n sozial<br />

Unterdrückten, nimmt vor allem Partei<br />

für die lei<strong>bei</strong>genen Bauern. Für die Armen<br />

verlangt er brü<strong>de</strong>rliche Hilfe unter Verzicht<br />

auf Eigennutz und Eigentum aus<br />

Einsicht in die menschliche Gleichheit<br />

und die noch höher stehen<strong>de</strong> Pflicht<br />

christlicher Barmherzigkeit. Zum Ritter<br />

gewandt, sagt Paracelsus: »also auch, so du<br />

reitest, so reit <strong>de</strong>rmaßen, daß <strong>de</strong>in nechster<br />

auch reit. dann bösser ist es, daß, <strong>de</strong>r do hinkt,<br />

krumb, lam ist, reit, dann du ...« 12<br />

Nach Paracelsus verzeiht Gott alle Sün<strong>de</strong>n,<br />

nur die Hoffart nicht, das Streben,<br />

mehr als an<strong>de</strong>re sein zu wollen. Folglich<br />

sollten Arme und Fürsten gleichgestellt,<br />

die Stän<strong>de</strong>ordnung und die politischen<br />

Institutionen seiner Zeit, insbeson<strong>de</strong>re<br />

die fürstlichen und städtischen Kurien<br />

und Magistrate, aufgehoben wer<strong>de</strong>n. Paracelsus<br />

verwirft auch die kirchlich organisierte<br />

Wohltätigkeit <strong>de</strong>s Mittelalters,<br />

ihm sind die kirchlichen »guten Werke«<br />

Diebstahl, da sie nicht uneigennützig erfolgen.<br />

Die Armen sollen nicht Almosen<br />

erbetteln, son<strong>de</strong>rn ihr Recht einfor<strong>de</strong>rn.<br />

Paracelsus verlangt außer<strong>de</strong>m ein neues<br />

System <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>tsordnung. Alle Menschen<br />

sollen ar<strong>bei</strong>ten: »dann schweiß zalt<br />

schweiß, ar<strong>bei</strong>t die ar<strong>bei</strong>t, und müßig gon<br />

zalt niemants. on schweiß erneren muß sich<br />

diebisch erneren. dann mußig gon ist wi<strong>de</strong>r<br />

das werken, und nit werken gibt kein nahrung<br />

... erner dich mit <strong>de</strong>iner hand durch<br />

<strong>de</strong>n schweiß, <strong>de</strong>n du von Adam ererbt hast,<br />

und gang nit mußig ...« 13 Ar<strong>bei</strong>t dient <strong>de</strong>m<br />

Bedarf, <strong>de</strong>r »Notdurft«, nicht <strong>de</strong>m Kapitalerwerb.<br />

Von <strong>de</strong>n Kaufleuten und<br />

Händlern hält <strong>de</strong>r Hohenheimer gleich<br />

Franck und Weigel nicht viel, sie scheinen<br />

ihm nur wucherische und betrügerische<br />

<strong>Ges</strong>chäfte zu betreiben. Ebenso verwirft<br />

er es, sich vom Zins zu erhalten.<br />

Ein Theoretiker <strong>de</strong>s Frühbürgertums<br />

hätte das an<strong>de</strong>rs gesehen.<br />

Wür<strong>de</strong>n alle ar<strong>bei</strong>ten und wür<strong>de</strong> mit<br />

<strong>de</strong>n Ar<strong>bei</strong>tsergebnissen verfahren, wie es<br />

sich Paracelsus vorstellt, wären nur noch<br />

vier Ar<strong>bei</strong>tstage wöchentlich notwendig.<br />

23


Gegen <strong>de</strong>n Einwand, am Feiertag müsse<br />

gear<strong>bei</strong>tet wer<strong>de</strong>n, da es zu wenig Ar<strong>bei</strong>ter<br />

gäbe, empfiehlt <strong>de</strong>r Hohenheimer: »so<br />

heiß die müßiggehn<strong>de</strong> münch, pfaffen, nonnen,<br />

e<strong>de</strong>lleut, burger, doctores, schreiber auch hinaus<br />

gehn. so wir alle gleiche ar<strong>bei</strong>t tragen und nit<br />

auf einen schütten, so wechset uns ein gleiche<br />

nahrung .« 14 Da<strong>bei</strong> ist ihm die Tätigkeit<br />

<strong>de</strong>s Arztes, <strong>de</strong>s Gelehrten, <strong>de</strong>s Geistlichen<br />

ebenfalls Ar<strong>bei</strong>t. Auch die Frauen wer<strong>de</strong>n<br />

nur blühen wie ein Weinstock, sagt er (in<br />

Anlehnung an Ps 128, 3a), wenn sie ar<strong>bei</strong>ten,<br />

nicht aber, wenn sie müßiggehen. Paracelsus<br />

greift auf das in <strong>de</strong>r Apostelgeschichte<br />

geschil<strong>de</strong>rte Leben <strong>de</strong>r<br />

christlichen Urgemein<strong>de</strong> zurück, das im<br />

sozialkritischen Denken <strong>de</strong>s 16. und 17.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts überhaupt eine große Rolle<br />

gespielt hat. Davon ausgehend befürwortet<br />

er, das Privateigentum stark einzuschränken.<br />

Das Vererben <strong>de</strong>s Reichtums<br />

<strong>de</strong>r Eltern an die Kin<strong>de</strong>r »zum müßiggang«<br />

lehnt er ab. Gott ist <strong>de</strong>r wahre Herr<br />

aller Güter, <strong>de</strong>r Mensch nur sein Haushalter.<br />

Das Eigentum an Grund und Bo<strong>de</strong>n<br />

soll <strong>de</strong>r Gemeinschaft zugesprochen wer<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>n Elen<strong>de</strong>n und am Leben <strong>Ges</strong>cheiterten<br />

zeigt sich für Paracelsus die<br />

Schuld <strong>de</strong>r Reichen. Die Armut ist kein<br />

eigenes Verschul<strong>de</strong>n und nicht naturbedingt,<br />

son<strong>de</strong>rn vielmehr Ergebnis <strong>de</strong>r sozialen<br />

Verhältnisse. Immer wie<strong>de</strong>r analysiert<br />

und schil<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Hohenheimer die<br />

Not <strong>de</strong>r Armen und ihre soziale Lage. So<br />

berichtet er, <strong>de</strong>r »Stand« <strong>de</strong>s Feldbauern<br />

zerfalle in zwei Teile: in die, die das Feld<br />

besitzen, und die, die es bebauen, die<br />

nichts davon haben und Knecht sind. An<strong>de</strong>rerseits<br />

vermögen die Herren nicht das<br />

Land zu bebauen: »aber die knecht sollen<br />

nit«, fügt er for<strong>de</strong>rnd hinzu, »auf vichische<br />

weis gehalten wer<strong>de</strong>n als wie die schaf und<br />

gäns.« 15<br />

Paracelsus folgert, <strong>de</strong>r Besitzer habe keinen<br />

größeren Gewinnanspruch als <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>ter,<br />

weil er auch nicht mehr ar<strong>bei</strong>ten<br />

könne o<strong>de</strong>r weil er, wenn er selbst ar<strong>bei</strong>te,<br />

keinen größeren Ertrag erreichen könne. Er<br />

entwirft das utopische Bild einer viergliedrigen<br />

Stän<strong>de</strong>- und <strong>Ges</strong>ellschaftsordnung, in<br />

<strong>de</strong>r es keine Herren und Knechte mehr<br />

gibt und in <strong>de</strong>m Feldbau, Handwerk, freie<br />

24<br />

Künste (Wissenschaften) und Obrigkeit in<br />

einem harmonischen Verhältnis zueinan<strong>de</strong>r<br />

stehen. Der Hohenheimer malt <strong>de</strong>tailliert<br />

aus, wie die Ar<strong>bei</strong>tserträge verteilt<br />

wer<strong>de</strong>n sollen. So soll <strong>de</strong>r Wein nach <strong>de</strong>n<br />

<strong>Ges</strong>amtkosten für <strong>de</strong>n Anbau im ganzen<br />

Lan<strong>de</strong> geschätzt und verkauft wer<strong>de</strong>n.<br />

Alle Winzer sollen <strong>de</strong>n gleichen Gewinnanteil<br />

erhalten, auch die, <strong>de</strong>ren Ernte<br />

schlechter ausfiel. Mit <strong>de</strong>m die Lebenskosten<br />

übersteigen<strong>de</strong>n Betrag soll <strong>de</strong>r Anbau<br />

aufs neue gemeinschaftlich betrieben wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Preis <strong>de</strong>s Weines soll für die <strong>Ges</strong>amternte<br />

gleich bleiben und durch die<br />

aufgewen<strong>de</strong>te Ar<strong>bei</strong>t und die da<strong>bei</strong> entstan<strong>de</strong>nen<br />

Kosten bestimmt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ebenso sollen <strong>bei</strong>m Handwerk Lebenskosten<br />

und Aufwand aller Handwerker addiert<br />

und danach die Preise gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Vielfach kauften die<br />

Grun<strong>de</strong>igentümer und Kapitalkräftigen<br />

die handwerklichen Produkte zu niedrigen<br />

Preisen ein (mit <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Produzenten<br />

erst erpreßten Steuern und Abgaben) und<br />

veräußerten sie wie<strong>de</strong>r mit hohem Gewinn.<br />

Dies sei doppeltes Unrecht. Derartige<br />

Stellungnahmen bezeugen einen vom<br />

Gedankengut <strong>de</strong>r Bergpredigt und vom<br />

Humanismus ausgehen<strong>de</strong>n christlich-utopischen<br />

Gleichheitskommunismus, in<br />

<strong>de</strong>m nicht alle gleichermaßen reich, son<strong>de</strong>rn<br />

gleichermaßen arm sind. Die Auffassung<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus, die Vögel, die wil<strong>de</strong>n<br />

Tiere und die Fische seien allen zur Nahrung<br />

bestimmt, richtet sich gegen ein<br />

fürstliches Privileg seiner Zeit. Sie ist auch<br />

unter <strong>de</strong>n Programmpunkte <strong>de</strong>r revolutionären<br />

Bauern und selbst noch <strong>bei</strong> V.<br />

Weigel zu fin<strong>de</strong>n.<br />

Mit Franck, vielen Täufern und »mystischen<br />

Pantheisten« auch <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

meint Paracelsus, die bestehen<strong>de</strong><br />

Obrigkeit »ist nit oberkeit, so von got gesetzt<br />

ist. dann got hat nie kein munch gemacht, nie<br />

kein pfaffen, nie kein e<strong>de</strong>lman, nie kein grafen<br />

etc.. hat auch nit heißen sich mit zinsen, gulten,<br />

renten, steuren, umbgelt etc. erhalten.« 16 Beson<strong>de</strong>re<br />

Be<strong>de</strong>utung komme allerdings<br />

<strong>de</strong>m Kaiser zu. Nur von ihm gehe fürstliche<br />

Macht aus. Dem A<strong>de</strong>l und <strong>de</strong>n Fürsten<br />

wird bestenfalls als Gehilfen <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

Staatsführung eine Daseinsberechtigung


zugestan<strong>de</strong>n. Paracelsus wen<strong>de</strong>t sich gegen<br />

erbliche Fürstenherrschaft. A<strong>de</strong>l gelte nur<br />

für die Zeit <strong>de</strong>s unmittelbaren Dienstes<br />

<strong>bei</strong>m Kaiser, Gemein<strong>de</strong>ämter sollten ehrenamtlich<br />

versehen wer<strong>de</strong>n. Es ist im Geiste<br />

<strong>de</strong>r »Reformatio Sigismundi« (vollen<strong>de</strong>t<br />

1439) und <strong>de</strong>s Buches <strong>de</strong>s sog. oberrheinischen<br />

Revolutionärs (abgefaßt 1498 bis<br />

1510), wenn Paracelsus gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Kaiser<br />

für eine durchzuführen<strong>de</strong> Bo<strong>de</strong>n- und Besitzreform<br />

verantwortlich macht. Aber<br />

schon zu seinen Lebzeiten war die reale<br />

Entwicklung über diese Vorstellungen hinweggegangen.<br />

Paracelsus vertritt auch <strong>de</strong>n Gedanken<br />

<strong>de</strong>r Geistkirche. Die wahre Kirche besteht<br />

in <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>de</strong>r wahrhaft Gläubigen.<br />

Die Kirche seiner Zeit mit ihren <strong>Ges</strong>etzen,<br />

Ordnungen und ihrem hierarchisch<br />

geglie<strong>de</strong>rten Klerus wird auch von<br />

ihm als »Mauerkirche« gekennzeichnet.<br />

Ganz im Sinne S. Francks, V Weigels, J.<br />

Böhmes u.a. »mystischer Pantheisten« <strong>de</strong>s<br />

16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts schreibt Paracelsus:<br />

»Die kirch heist uf latein catolica vnd ist<br />

<strong>de</strong>r geist aller gerechten glaubigen vnd ir wohnung<br />

und ir zusambkombung. und ist im heiligen<br />

geist, also daß sie alle im glauben seindt.<br />

Das ist fi<strong>de</strong>s catolica, und besitzt kein statt,<br />

aber ecclesia ist ein maur. und zugleicherweis<br />

wie im heiligen geist die kirchen <strong>de</strong>r heiligen<br />

mit irem geist, also ist <strong>de</strong>r falschen in <strong>de</strong>m<br />

gemäur undterworfen <strong>de</strong>m teufel. dann da hat<br />

<strong>de</strong>r heilig geist kein wohnung, ursachen das<br />

gemaur gibt kein glauben, beherbergt auch<br />

<strong>de</strong>nselbigen nit.« 17 Diese äußere Kirche wird<br />

durchgängig abgelehnt, ebenso das katholische<br />

Zeremonienwesen. Die kirchlichen<br />

Feste, Wallfahrten, Fastenzeiten sind »ein<br />

tanntz. pauckheten. und thurnir <strong>de</strong>ss<br />

teüffels«. 18 Die For<strong>de</strong>rung Jesu aus Mt 10,<br />

10 gegenüber seinen Jüngern 19 setzte Paracelsus<br />

in Gegensatz zu <strong>de</strong>n Krummstäben<br />

<strong>de</strong>r Bischöfe und <strong>de</strong>n kostbaren priesterlichen<br />

Gewän<strong>de</strong>rn. Auch <strong>de</strong>r Papst ist für<br />

ihn <strong>de</strong>r Antichrist. Er haßt die satten<br />

Pfrün<strong>de</strong>r, die »voller bauchfül, vol lusts und<br />

volles mauls in essen und in trinken; mit fluchen,<br />

üppigkeit und aler unreinigkeit vol«. 20<br />

Für die katholische Kirche insgesamt galt<br />

das von Paracelsus mehrfach zitierte<br />

Sprichwort: »ie nehner Rom, ie bösser cbrist.« 21<br />

Wenn auch Paracelsus zunächst Luther<br />

hoch schätzt, die Reformation begrüßt,<br />

so stößt ihn das sich bald ausbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

protestantische Lan<strong>de</strong>skirchentum<br />

ebenso ab wie die katholische Kirche. In<br />

<strong>de</strong>r Diktion <strong>de</strong>s Hohenheimers besteht<br />

zwischen Papisten, Lutherischen, Täufern<br />

und Zwinglianern wenig Unterschied:<br />

»Papistisch, Lutherisch etc Zwinglischen,<br />

Täufer, Hussiten, Picar<strong>de</strong>n, ..., sie sind aber<br />

nit in <strong>de</strong>r ewigen Kirchen, nur in <strong>de</strong>r zergänglichen<br />

Kirchen. – Der Luther vertreibt<br />

<strong>de</strong>n Papst nit, <strong>de</strong>r Zwingle auch nit. Es ist<br />

alles ein Ding. Der Papst wird <strong>de</strong>n Luther<br />

auch nit vertreiben, noch <strong>de</strong>n Zwingli, noch<br />

die Täufer. Der Zwingle die an<strong>de</strong>rn auch nit.<br />

Die Täufer auch nit. Darum vertreibt ein<br />

Teufel <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn nit.« 22 Die wahren Apostel<br />

und Verkün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Evangeliums sind<br />

die Armen. Insgesamt kommt Paracelsus<br />

zu <strong>de</strong>m Schluß, <strong>de</strong>r Einzelne müsse sich<br />

das Evangelium selbst predigen. Die<br />

äußere Kirche gilt nichts.<br />

Zu <strong>de</strong>n Täufern hat Paracelsus Verbindung<br />

gehabt. Offenbar ist er im Appenzell<br />

mit ihnen zusammengekommen. In<br />

Straßburg und Nürnberg konnte er sowohl<br />

ihre Spuren als auch bekannte ihrer<br />

Vertreter fin<strong>de</strong>n, wie M. Hoffmann u.a.<br />

Aber auch von ihnen wandte er sich ab,<br />

wie die Paracelsischen Schriften <strong>de</strong>r 30er<br />

Jahre bezeugen. Mit seiner Ablehnung<br />

von Kirche, Priestern und Sakramenten<br />

sowie mit seinen Toleranz- und Frie<strong>de</strong>nsgedanken,<br />

in <strong>de</strong>nen Erasmischer Humanismus<br />

durchschimmert, war Paracelsus<br />

seiner Zeit weit voraus. Mit <strong>de</strong>r Mehrheit<br />

<strong>de</strong>r Täufer, überhaupt mit <strong>de</strong>n »Linken«<br />

<strong>de</strong>r Reformation teilte er eine dul<strong>de</strong>ndpassive<br />

Haltung – wohl auch Folge <strong>de</strong>r<br />

Nie<strong>de</strong>rschlagung <strong>de</strong>s Großen Deutschen<br />

Bauernkrieges von 1524 bis 1526.<br />

Paracelsus' sozialkritische Schriften<br />

mahnen zum Erdul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n<br />

Verhältnisse, sie zu verän<strong>de</strong>rn fehle die<br />

Macht, und vor allem seien sie aus Gottes<br />

Willen hervorgegangen. Der Hohenheimer<br />

for<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>n Fürsten gehorsam zu<br />

sein, auch <strong>de</strong>n ungerechten. Gute und<br />

schlechte Obrigkeit erfülle analoge Funktionen<br />

wie bekömmliche Speise und giftige<br />

Medikamente im Körper. Unent-<br />

25


schuldbar aber sei, wenn man sich als<br />

Werkzeug zum Vollstrecken <strong>de</strong>s bösen<br />

Willens <strong>de</strong>r Obrigkeit mißbrauchen lasse.<br />

Gelegentlich for<strong>de</strong>rt Paracelsus auch noch<br />

in <strong>de</strong>n 30er Jahren aktiven Ungehorsam,<br />

sogar gewaltsame Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r gegebenen<br />

Verhältnisse. In seinem »Psalmenkommentar«<br />

verlangt er, daß man ungerechte<br />

Obrigkeit, die <strong>de</strong>n Geboten Gottes als<br />

Werkzeug <strong>de</strong>s Teufels entgegentritt, beseitigen<br />

müsse. Er rechtfertigt in diesem Fall<br />

auch <strong>de</strong>n Tyrannenmord. 23<br />

Auch <strong>bei</strong> Paracelsus fin<strong>de</strong>t sich »die urchristliche<br />

Naherwartung, <strong>de</strong>r Glaube an<br />

einen irgendwann, vielleicht schon bald,<br />

eintreten<strong>de</strong>n besseren neuen Zustand, an<br />

eine hereinbrechen<strong>de</strong> Neuordnung <strong>de</strong>r<br />

Welt.« Diese Vorstellung äußert sich auch<br />

<strong>bei</strong> ihm in zwei Formen: in <strong>de</strong>r »Erwartung<br />

eines baldigen großen Umbruchs, einer<br />

kosmischen und geschichtlichen Katastrophe,<br />

die ein neues Weltzeitalter bzw. eine<br />

neue Welt mit völlig verän<strong>de</strong>rten Verhältnissen<br />

heraufführt; und die Vorstellung<br />

von einer früher o<strong>de</strong>r später, je<strong>de</strong>nfalls in<br />

absehbarer Zeit o<strong>de</strong>r nicht allzu ferner Zukunft,<br />

eintreten<strong>de</strong>n organischen Umgestaltung<br />

<strong>de</strong>r gegenwärtigen Verhältnisse, von<br />

einer Hineinentwicklung <strong>de</strong>s Menschen in<br />

ein Gottes- o<strong>de</strong>r Endreich auf Er<strong>de</strong>n, das<br />

gleichsam die Verlängerung, die letzte<br />

Phase <strong>de</strong>r Weltgeschichte ist, irgendwie<br />

noch zu ihr gehörig, aber doch nicht<br />

ganz.« 24 Der vorläufige Endzustand wird<br />

mit <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaftsordnung<br />

und ihrer Erneuerung eng verbun<strong>de</strong>n. So<br />

sollen sich die geizigen Reichen kein »seliges<br />

Leben« erhoffen, da sie dies schon auf<br />

Er<strong>de</strong>n hatten, allerdings nicht nach <strong>de</strong>m<br />

Willen Gottes. Es gibt jedoch auch einen<br />

»selig reichthumb« auf Er<strong>de</strong>n, wenn man<br />

nicht »sein lust«, son<strong>de</strong>rn »seines nechsten<br />

nutz« sucht. 25 Ansatz für eine Neuwertung<br />

<strong>de</strong>s Paracelsischen Zukunfts<strong>de</strong>nkens ist<br />

m.E. auch seine Unterscheidung vom »seligen«<br />

und »ewigen« Leben. Wer <strong>de</strong>m<br />

»Zwang <strong>de</strong>r falschen Christen« entronnen<br />

ist, wer sich in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r Armut begibt,<br />

wird sich schon »hie im seligen Leben«<br />

befin<strong>de</strong>n. Da<strong>bei</strong> ist Trennung von falschen<br />

Christen, die unter Kaiser und Papst leben,<br />

vonnöten. 26 Das aber wird nur in einer po-<br />

26<br />

litischen Gemeinschaft möglich, die von<br />

falschen Elementen frei ist. 27 Wesentlich<br />

für <strong>de</strong>n Chiliasmus <strong>de</strong>s Paracelsus ist auch<br />

sein Begriff <strong>de</strong>r »gül<strong>de</strong>nen Welt«: »zu <strong>de</strong>r zeit<br />

<strong>de</strong>r großen ärnt wird die güldine welt angehn«<br />

unter <strong>de</strong>m einzigen Regenten Christus. 28<br />

Dann wer<strong>de</strong>n auch die Kirchenspaltungen<br />

aufgehört haben. Und in <strong>de</strong>r »gül<strong>de</strong>nen<br />

welt« wird das Erdreich ein Königreich <strong>de</strong>s<br />

<strong>Ges</strong>albten Gottes sein. 29 Auch die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s<br />

»höchsten Gutes« – ebenfalls ein Zentralbegriff<br />

Paracelsischer <strong>Ges</strong>ellschaftstheorie<br />

– sollen wir bereits auf dieser Welt verwirklichen<br />

und nach ihr leben. 30 Wesentlich<br />

für Paracelsi Zukunfts<strong>de</strong>nken ist auch<br />

seine Armutsi<strong>de</strong>e. Sie wird unter an<strong>de</strong>rem<br />

in seinen Schriften ›De summo et aeterno<br />

bono‹, ›De felici liberalitate‹, ›De martyrio<br />

Cristi et nostris <strong>de</strong>liciis‹, ›De honestis<br />

utrisque divitiis‹ und ›De virtute humana‹<br />

ausgebreitet. 31 Auf Seiten <strong>de</strong>r Besitzen<strong>de</strong>n<br />

gehört zur »Seligkeit« <strong>de</strong>s armen Lebens<br />

als Korrelat die »liberalitet«, die Bereitschaft<br />

zum totalen sozialen Han<strong>de</strong>ln."<br />

Gott wird <strong>de</strong>reinst Arme und Reiche richten,<br />

<strong>de</strong>n Armen wird es dann gestattet<br />

sein, »<strong>de</strong>m reichen zu messen mit <strong>de</strong>r maß, wie<br />

sie gemessen haben«. 33 Des Hohenheimers<br />

Psalmenkommentar, sein umfangreichstes<br />

Werk, läuft nach Goldammer aus: »in eine<br />

Schil<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s eschatologischen I<strong>de</strong>alreiches<br />

unter religiösen und sozialethisch-politischen<br />

<strong>Ges</strong>ichtspunkten. Es wird das<br />

Reich Gottes für die Armen und Unterdrückten<br />

sein, das Sehnsuchtsziel <strong>de</strong>r wahren<br />

Christen, <strong>de</strong>r Grund und die Hoffnung<br />

<strong>de</strong>s gegenwärtigen Lebens.« 34<br />

Da<strong>bei</strong> erfor<strong>de</strong>rt die Durchsetzung dieses<br />

Reiches Kampf – vor allem gegen Papstund<br />

Kaisertum. Auch das wird beson<strong>de</strong>rs<br />

im »Psalmenkommentar« abgehan<strong>de</strong>lt.<br />

Aber auch in Paracelsi Schriften zur Armutsi<strong>de</strong>e<br />

wird dargelegt: alle Reiche, <strong>de</strong>r<br />

A<strong>de</strong>l, die Fürsten und auch das römische<br />

Reich müssen vergehen, da sie irdisch sind<br />

und <strong>de</strong>m Gebot und Bund Gottes wi<strong>de</strong>rstehen.<br />

35 Paracelsus »schwebt ... das große<br />

und leuchten<strong>de</strong> Ziel eines eschatologischen<br />

Frie<strong>de</strong>ns- und Heilsreiches vor, in<br />

<strong>de</strong>m sich die Fä<strong>de</strong>n politischer Apokalyptik<br />

und urchristlich chiliastischer Endzeiterwartung<br />

zusammen mit <strong>de</strong>r paracelsi-


schen Ehrfurcht vor <strong>de</strong>m Leben in seltsamer<br />

Weise verschlingen.« 36 Mir scheint, aus<br />

mehrfachen Grün<strong>de</strong>n sollte man <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

Wirkgeschichte <strong>de</strong>s Paracelsus diesen<br />

Strang verfolgen. 37 Da<strong>bei</strong> immer sehen,<br />

daß häufig – so auch hier <strong>bei</strong> Goldammer –<br />

Eschatologie mit Chiliasmus gleichgesetzt<br />

wird! Erstaunlich ist auch, daß gewichtige<br />

Vertreter <strong>de</strong>r protestantischen Orthodoxie,<br />

sich zur Reinhaltung <strong>de</strong>r »wahren Lehre«<br />

verpflichtet fühlend, massiv gegen Paracelsus<br />

angehen, in ihm eine Art Urvater <strong>de</strong>r<br />

bestehen<strong>de</strong>n »Ketzereien« sehen.<br />

Es gibt kaum komparatistische Studien<br />

über die Auswirkung Paracelsischen<br />

I<strong>de</strong>enguts auf Denker <strong>de</strong>s 16. und 17.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts. Die in <strong>de</strong>n Geisteswissenschaften<br />

zu Recht so beliebten »Einfluß–«<br />

o<strong>de</strong>r »Abhängigkeits-Ar<strong>bei</strong>ten«, subtile<br />

Vergleiche von Texten <strong>de</strong>s Paracelsus mit<br />

solchen von Oppositionellen <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nsten<br />

Art im 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

fehlen weitgehend; wahrscheinlich<br />

auch, weil die sozialpolitischen Schriften<br />

ja erst im Ansatz mit K. Sudhoff und W.<br />

Matthießen, erweitert jetzt mit Kurt<br />

Goldammer vorliegen. Eines <strong>de</strong>r Hemmnisse<br />

dafür, daß diese Paracelsischen<br />

Schriften noch nicht umfassen<strong>de</strong>r ausgewertet<br />

wor<strong>de</strong>n sind, sehe ich in einem<br />

einseitigen Reformationsverständnis.<br />

Noch immer dominiert in <strong>de</strong>r Forschung<br />

eine Position, die <strong>de</strong>n katholischen Bereich<br />

vom reformatorischen Denken ausklammert.<br />

Doch wie die protestantische<br />

Schulphilosophie En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 16.Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

ohne Wi<strong>de</strong>rspruch weitgehend die<br />

Metaphysik <strong>de</strong>s Katholiken Francesco<br />

Suárez rezipierte 38 , so ist meines Erachtens<br />

die Oppositionsbewegung <strong>de</strong>s 16.<br />

und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts überkonfessionell.<br />

Es ist eine Strömung, die gegen je<strong>de</strong> bestehen<strong>de</strong><br />

Kirche angeht, die das Erbe <strong>de</strong>r<br />

Mystik, die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r »ecclesia invisibilis«<br />

u.a.m. pflegt. Davon zeugt auch die Überlieferungsgeschichte<br />

<strong>de</strong>r Paracelsus-Nachschriften.<br />

39<br />

Damals wie heute beschäftigt man sich<br />

in großem Maße nur mit Ar<strong>bei</strong>ten,die<br />

auch Wirkungen versprechen und <strong>de</strong>shalb<br />

Interesse fin<strong>de</strong>n. Wären nur einige wenige<br />

Schriften zur Apokalypse, Eschatologie<br />

und zum Chiliasmus überliefert, so<br />

könnte man davon ausgehen, daß hier<br />

Außenseiter am Werk waren. Es han<strong>de</strong>lt<br />

sich aber um eine Vielzahl von Handschriften<br />

und Schreibern, die <strong>de</strong>mnach<br />

wohl bestimmte Interessen befriedigt<br />

haben – welche, läßt sich zur Zeit nur<br />

punktuell erschließen. Hier wartet eine<br />

ungeheuere wissenschaftliche Aufgabe,<br />

<strong>de</strong>ren Einlösung unser <strong>Ges</strong>amtbild vom<br />

geistigen Zustand <strong>de</strong>s 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

in Deutschland wesentlich än<strong>de</strong>rn<br />

dürfte. Man schreibt zumeist nicht<br />

gegen einen Buhmann, gegen einen<br />

Außenseiter, gegen einen persönlichen<br />

Feind, son<strong>de</strong>rn gegen jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

tatsächlich o<strong>de</strong>r angeblich Einfluß hat.<br />

Da<strong>bei</strong> ergeben sich viele Fragen an die<br />

Forschung.<br />

Je<strong>de</strong>nfalls bietet <strong>de</strong>s Paracelsus sozialethische<br />

und sozialpolitische Gedankenwelt,<br />

die von seiner religiösen natürlich<br />

nicht zu trennen ist, Anknüpfungspunkte<br />

für fast alle Strömungen <strong>de</strong>r Opposition.<br />

Sicher ist Paracelsus Laienchrist. Aber<br />

seine Bibelkenntnis ist so bestrickend, daß<br />

auch von hier Impulse für die verschie<strong>de</strong>nsten<br />

Richtungen ausgehen konnten.<br />

Dafür spricht ja auch, daß ihn die Kurzfassungen<br />

seiner Werke weitgehend zu<br />

entkatholisieren und an die Seite <strong>de</strong>r<br />

Evangelischen zu rücken suchen und dies<br />

– auch ohne Vergewaltigung – durchaus<br />

zustan<strong>de</strong> bringen. Es läßt sich <strong>de</strong>mnach<br />

mit Goldammer feststellen, »daß <strong>de</strong>r Zug<br />

zur kirchlichen Konformierung und Integrierung<br />

<strong>de</strong>s Außenseiters Paracelsus unverkennbar<br />

ist, wo<strong>bei</strong> man ihn allenfalls<br />

als evangelisch gefärbt, nicht aber als wirklich<br />

sektiererisch erscheinen lassen<br />

möchte«. 40 Apokalyptik, Chiliasmus, Eschatologie<br />

und Utopie in ihren Unterschie<strong>de</strong>n<br />

wie in ihren Gemeinsamkeiten<br />

habe ich an an<strong>de</strong>rer Stelle bestimmt. 41<br />

Aus <strong>de</strong>r Reformation ging eine Gruppe<br />

von sich gegenseitig bekämpfen<strong>de</strong>n Konfessionen<br />

hervor, »die die Trümmer <strong>de</strong>r<br />

ursprünglich universal gedachten Erneuerung<br />

darstellten und die allgemeine Reformation<br />

in viele nicht nur bekenntnismäßig,<br />

son<strong>de</strong>rn auch politisch und<br />

national verschie<strong>de</strong>ne <strong>Ges</strong>talten abwan-<br />

27


<strong>de</strong>lten.« 42 Jetzt gab es statt einer Kirche<br />

und eines Dogmas viele. Die Auslegung<br />

<strong>de</strong>r Offenbarung verwan<strong>de</strong>lte sich in einen<br />

Streit <strong>de</strong>r Konfessionen um die rechte<br />

Lehre. Er wur<strong>de</strong> auch mit Mitteln <strong>de</strong>s Staates<br />

und <strong>de</strong>ssen Repressionen geführt. Jeweils<br />

eine Partei suchte <strong>de</strong>n Absolutheitsanspruch<br />

über die an<strong>de</strong>re durchzusetzen.<br />

Dagegen wandte sich bald eine breite Strömung.<br />

Sie war dieses Streites mü<strong>de</strong>, wollte<br />

auch das ursprüngliche Anliegen <strong>de</strong>r Reformation<br />

wie<strong>de</strong>r aufnehmen und entwickelte<br />

Konzeptionen für eine Wie<strong>de</strong>rkehr Christi<br />

in Fortführung urchristlicher Vorstellungen.<br />

Diese Strömung mußte sich gegen alle<br />

bestehen<strong>de</strong>n Konfessionen richten. Sie<br />

stützte sich stark auf die Mystik und <strong>de</strong>ren<br />

Weiterentwicklung, auf die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Vollendung<br />

<strong>de</strong>r Reformation, d. h. <strong>de</strong>r »Generalreformation«<br />

o<strong>de</strong>r Zuen<strong>de</strong>führung <strong>de</strong>r Reformation,<br />

auf chiliastisch-eschatologischapokalyptische<br />

I<strong>de</strong>en. Diese Linie – ich<br />

möchte sie gleich F. Herr unter die »Dritte<br />

Kraft« gruppieren – hielt alle Konfessionen,<br />

Kirchen und Sekten für Anstalten<br />

<strong>de</strong>s Antichrist, geeignet, die wahre Religion<br />

<strong>de</strong>r inneren Erleuchtung durch Christus<br />

und die Lehre vom »Reich Gottes in uns«<br />

zu vernichten. Man propagierte ein geistiges<br />

Christentum ohne sichtbaren Kultus,<br />

ohne sichtbare Kirche, ohne sichtbare Organisation:<br />

»das Bild <strong>de</strong>r geistlichen Kirche,<br />

<strong>de</strong>r als <strong>de</strong>r wahren Kirche Christi die<br />

irdischen Konfessionen und Sekten als die<br />

Kirche <strong>de</strong>s Antichrist gegenüberstehen«. 43<br />

Bewußt und unbewußt fußt diese Linie auf<br />

Paracelsus, auch etwa auf Sebastian<br />

Franck 44 : Bei<strong>de</strong> sind hier lediglich als Symbolfiguren<br />

eines breiten Stranges zu verstehen;<br />

und <strong>bei</strong><strong>de</strong> sind mit <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>en <strong>de</strong>s<br />

Erasmus von Rotterdam in Verbindung zu<br />

sehen. In <strong>de</strong>r Forschung wer<strong>de</strong>n – seit W.-<br />

E. Peuckert – Franck und Paracelsus eng<br />

<strong>bei</strong>einan<strong>de</strong>r gesehen, sie haben sich ja auch<br />

persönlich gekannt . 45<br />

Insgesamt gilt für das 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt in<br />

Deutschland: Dem sich aus <strong>de</strong>m Dreißigjährigen<br />

Krieg ergeben<strong>de</strong>n Wissen entwuchsen<br />

auch neue Ordnungssysteme. Der<br />

alte Ordo-Gedanke war verschlissen, die<br />

bestehen<strong>de</strong>n Kirchen und <strong>de</strong>ren Philosophien<br />

vermochten nichts überzeugen<strong>de</strong>s<br />

28<br />

an <strong>de</strong>ssen Stelle zu setzen. Sie waren ja<br />

<strong>de</strong>m alten Ordo-Denken verhaftet, <strong>de</strong>r<br />

neuen Situation stan<strong>de</strong>n sie hilflos gegenüber.<br />

Sicher: Seit Luther schwingt apokalyptisches<br />

Gedankengut in <strong>de</strong>n theoretischen<br />

Überlegungen <strong>de</strong>r Protestanten<br />

(auch vieler Katholiken) mit. Aber dies allein<br />

überzeugte nicht. Schon zu Luthers<br />

Zeiten hatten Th. Müntzer und viele Täufer<br />

darüber hinaus <strong>de</strong>n Chiliasmus favorisiert.<br />

Schon im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt – und<br />

nicht erst seit <strong>de</strong>m Dreißigjährigen Krieg –<br />

übernahm er zwei Funktionen: »l. ordnen<strong>de</strong><br />

Deutung <strong>de</strong>r chaotischen Gegenwart<br />

und 2. hoffnungsstiften<strong>de</strong>r Hinweis<br />

auf eine kommen<strong>de</strong> bessere Welt zu sein.<br />

Die für <strong>de</strong>n profanen Menschen heillose<br />

Gegenwart enthüllte sich für <strong>de</strong>n Eingeweihten<br />

als Etappe im Heilsplan Gottes«. 46<br />

Der zweite Aspekt ist auch für Paracelsus<br />

typisch, und in dieser Weise wirkten<br />

seine I<strong>de</strong>en weiter. Sicher muß auch in<br />

Deutschland zwischen »Chiliasmus subtilis«<br />

und »Chiliasmus crassus« unterschie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n. Und sicher ist <strong>de</strong>r »Chiliasmus<br />

subtilis« nach 1648 in Deutschland<br />

mehr verbreitet <strong>de</strong>nn zuvor. Je<strong>de</strong>nfalls<br />

wirkte auch in Deutschland <strong>de</strong>r Chiliasmus<br />

im 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt auf die Erfüllung<br />

<strong>de</strong>r von ihm verkün<strong>de</strong>ten Verheißungen<br />

hin. Der Fall <strong>de</strong>s Antichrist (<strong>de</strong>s Papstes)<br />

und seiner wichtigsten Gehilfen (<strong>de</strong>r<br />

Bischöfe und <strong>de</strong>s Hauses Habsburg), die<br />

Bekehrung <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>n und Ju<strong>de</strong>n, die<br />

Reinigung und Wie<strong>de</strong>rvereinigung <strong>de</strong>r<br />

protestantischen Kirchen – also Zeichen<br />

<strong>de</strong>s anbrechen<strong>de</strong>n Milleniums – gehörten<br />

zu seinem Aktionsprogramm. Die wahren<br />

Christen waren aufgerufen, selbst Hand<br />

anzulegen, um dieses Millenium zu schaffen.<br />

Wie schon Müntzer fühlten sie sich<br />

da<strong>bei</strong> als »Knechte Gottes«: Sie waren lediglich<br />

Gottes Gehilfen, er selbst wer<strong>de</strong><br />

Zeitpunkt und Form <strong>de</strong>r Vollendung bestimmen.<br />

Dieser Chiliasmus 47 hat geschichtliche<br />

Verän<strong>de</strong>rungen eingeleitet<br />

o<strong>de</strong>r unterstützt, die nachhaltige Wirkung<br />

ausüben sollten: <strong>de</strong>n Beginn einer protestantischen<br />

Hei<strong>de</strong>n- und Ju<strong>de</strong>nmission,<br />

Bemühungen um die Anhebung <strong>de</strong>s sozialen<br />

Status <strong>de</strong>r Ju<strong>de</strong>n (Philojudaismus),<br />

Verbreitung einer die evangelischen Kir-


chen und Gruppen umfassen<strong>de</strong>n »phila<strong>de</strong>lphischen«<br />

<strong>Ges</strong>innung, die schließlich auch<br />

die Religionspolitik einiger protestantischer<br />

Staaten – wie z. B. Bran<strong>de</strong>nburg-<br />

Preußens – beeinflußte. Zu<strong>de</strong>m bestehen<br />

Zusammenhänge zwischen einem chiliastisch<br />

gestimmten Spiritualismus und <strong>de</strong>r<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen liberalen Verfassungsi<strong>de</strong>e<br />

(Trennung von Kirche und<br />

Staat, Gewissensfreiheit als Grundrecht).<br />

Die Wandlung <strong>de</strong>s chiliastischen Denkens<br />

hat auch zu seiner partiellen Säkularisierung<br />

und Sublimierung geführt, die <strong>bei</strong> einigen<br />

bis zur Auflösung zentraler christlicher<br />

Dogmen ging. Dazu hat chiliastisches<br />

Denken die Verantwortung <strong>de</strong>s Individuums<br />

erhöht. Der Sublimierungsprozeß<br />

konnte aber auch eine Entpolitisierung zur<br />

Folge haben. Diese Richtung <strong>de</strong>r Sublimierung<br />

und Säkularisierung äußert sich etwa<br />

in <strong>de</strong>r Verbindung <strong>de</strong>s Chiliasmus mit <strong>de</strong>r<br />

experimentellen, von Aristoteles befreiten<br />

Naturwissenschaft und einer neuen<br />

Pädagogik. Beispiele liefern die Rosenkreuzerschriften<br />

und Johann Valentin Andreaes<br />

»Christianopolis«, in <strong>de</strong>r Chiliasmus, Eschatologie<br />

und Apokalyptik in Utopie umschlagen.<br />

Gleiches <strong>de</strong>utet sich <strong>bei</strong> Johann<br />

Heinrich Alsted an, <strong>bei</strong> Jan Amos Comenius<br />

und August Hermann Francke tritt<br />

es offen zutage.<br />

Man kritisiert zumeist, was wirkt. Auf V.<br />

Weigels Schriften etwa stürzte sich die orthodoxe<br />

protestantische Kritik mit wahrem<br />

Ingrimm. Der Autor wur<strong>de</strong> postum mit<br />

allen nur er<strong>de</strong>nklichen Beschimpfungen<br />

und Unterstellungen bedacht. Für fast ein<br />

halbes Jahrhun<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong> er zum Inbegriff<br />

alles Verwerfenswerten, Abzulehnen<strong>de</strong>n,<br />

Oppositionellen. Eine <strong>de</strong>r ältesten, zugleich<br />

auch ten<strong>de</strong>nziösesten und haßerfülltesten<br />

Anti-Weigel-Schriften stammt von<br />

damaligen Hamburger Hauptpastor Johannes<br />

Schelhammer. Seine außer <strong>de</strong>n Vorre<strong>de</strong>n<br />

650 Quartseiten umfaßen<strong>de</strong>, mit Empfehlungen<br />

<strong>de</strong>r theologischen Fakultäten zu<br />

Wittenberg und Leipzig versehene Antischrift<br />

bietet als einen Hauptvorwurf an V.<br />

Weigels Adresse, daß er auf Paracelsus<br />

fuße. Mit Luther, so sagt je<strong>de</strong>nfalls Schelhammer,<br />

wird gegen V. Weigels Auffassungen<br />

polemisiert, er wird dazu mit Th.<br />

Müntzer auf eine Stufe gestellt. In 24<br />

Punkten stimmen nach Schelhammer<br />

Müntzers und V. Weigels Auffassungen<br />

überein. Sie besagen in Kurzfassung: alle<br />

katholischen und evangelischen Pfarrer<br />

sind nicht von Gott gesandte Schriftgelehrte.<br />

Sie predigten nur <strong>de</strong>n toten Buchstaben<br />

<strong>de</strong>r Schrift, nicht das lebendige<br />

Wort Gottes. Der Glaube komme aber<br />

nicht vom gepredigten Wort o<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r<br />

Schrift, son<strong>de</strong>rn vom lebendigen Wort<br />

Gottes, vom inwendigen Wort. Alles Predigen<br />

ist umsonst, wenn <strong>de</strong>r Mensch<br />

nicht zuvor Christus in sich empfin<strong>de</strong>t.<br />

Das lebendige Wort geht ohne Mittler<br />

von Gott direkt zum Gläubigen. Also gilt<br />

es, Gott in sich wahrzunehmen, ihn in<br />

sich zu suchen. Selbst wenn jemand sein<br />

Leben lang nicht die Bibel gelesen hätte,<br />

kann er über <strong>de</strong>n Heiligen Geist zum<br />

wahren Glauben gelangen. »Fi<strong>de</strong>s ex auditu«<br />

wer<strong>de</strong> von Th. Müntzer wie V. Weigel<br />

abgelehnt. Daß die Bibel von <strong>de</strong>n Kirchenvätern<br />

auf uns gekommen ist, ist<br />

noch kein Beweis für ihre Gültigkeit. Es<br />

gilt an die Wahrheit <strong>de</strong>r Bibel zu glauben,<br />

und dieser Glaube ist eben im Menschen<br />

zu gewinnen. »22, Man sol nicht gleuben /<br />

Es sey <strong>de</strong>nn / daß man zuvor jnnwendig versichert<br />

sey / in <strong>de</strong>r verwun<strong>de</strong>rung ... 23. Die<br />

Gewaltigen müssen auß <strong>de</strong>m Stuel gehaben<br />

wer<strong>de</strong>n ... 24. Daß es erlogen sey / daß Christus<br />

für vns genug gethan habe / wie die vnversuchten<br />

Zere und wollüstigen Schrifftgelehrten<br />

dauon sagen.« 48 Dies wird lediglich<br />

hier angeführt, weil Schelhammer <strong>de</strong> facto<br />

Paracelsi und Th. Müntzers Auffassungen<br />

gleichsetzt, da<strong>bei</strong> V. Weigels Entwicklungsgang<br />

verunglimpfend. So heißt es<br />

von ihm, er habe nur eine Kirche besucht,<br />

wenn er mußte, d.h., als er noch in <strong>de</strong>r<br />

Schule war, und dann, als er in Zschopau<br />

um Lohn predigte. »Nach seines Vaters<br />

To<strong>de</strong> lag er etliche Jahr auff seinen Melancholischen<br />

Hefen / in seiner Mutter<br />

Hause / und <strong>de</strong>s Vaters Liberey / darinnen<br />

er ohne zweiffel Hermetem, Paracelsum, die<br />

Sibyllas, <strong>de</strong>n Dionysium fun<strong>de</strong>n und gelesen:<br />

Man weis nicht ob er jrgend auff Universiteten<br />

studiret habe.« 49 Weigel sei ein<br />

Son<strong>de</strong>rling gewesen und habe von vornherein<br />

die Anlage zum Schwärmer gehabt.<br />

29


So sei er »durch allerley Bücher / Lehr /<br />

wün<strong>de</strong>rliche Authores herdurch geflad<strong>de</strong>rt<br />

/ bis er <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rtäuffer und aller Schwermer<br />

Ketzerey / son<strong>de</strong>rlich aber <strong>de</strong>s Paracelsi<br />

Bombasts / und Thomas Müntzers<br />

<strong>de</strong>s Auffrührers ungegrün<strong>de</strong>te närrische<br />

Opiniones und Paradoxa erwischet / zusammen<br />

gelesen / und eine newe Theologiam<br />

wi<strong>de</strong>r alles Gottes Wort / und wi<strong>de</strong>r<br />

alle unsere Glaubens Artickel herfür<br />

bracht.« 50 Weigel habe, wie auch Paracelsus<br />

und die Rosenkreuzer, seine Lehre vornehmlich<br />

aus Hermes Trismegistos. 51 Er sei<br />

ein »Homo obscurorum virorum .../ <strong>de</strong>r<br />

auff seinem Enthusiastischen Winckel gelegen<br />

/ Bombastische Feygen gekocht und<br />

eingenommen / und jhm (Paracelsus -<br />

S.W.) sein unreiffe tolle Tollogiam abgeborget<br />

/ aus seinen Büchern fast von Wort<br />

zu Wort abgeschrieben / wie auch aus <strong>de</strong>r<br />

Wi<strong>de</strong>rtäuffer / und son<strong>de</strong>rlich aus Thomae<br />

Müntzers <strong>de</strong>s Auffrührers Büchern / und<br />

für das seine zu Marck gebracht hat.« 52<br />

Ein an<strong>de</strong>rer Vertreter <strong>de</strong>r protestantischen<br />

Orthodoxie, <strong>de</strong>r prominente Wittenberger<br />

Theologe Nicolaus Hunnius, ist in<br />

seinen Äußerungen zwar etwas sachlicher,<br />

steht an Schärfe aber Schelhammer kaum<br />

nach. Für Weigels Quellen sieht er »Mercurius<br />

Trismegistus ..., Dionysius ..., Theologus<br />

<strong>de</strong> morte ..., Thomas Müntzer ..., Paul<br />

Lautensak« an. 53 Unmittelbar gehe Weigel<br />

unter <strong>de</strong>n älteren Autoren auf Thomas a<br />

Kempis, J. Tauler und die »theologia<br />

<strong>de</strong>utsch«, unter <strong>de</strong>n jüngeren auf Paracelsus,<br />

Schwenckfeld, Paul Lautensack und<br />

Andreas Osian<strong>de</strong>r d.Ä. zurück. 54 Von Paracelsus<br />

übernehme Weigel folgen<strong>de</strong> seiner<br />

Hauptlehren:<br />

1. Die »Papierin Bücher« sind nicht das<br />

Mittel, woraus etwas gelernt wer<strong>de</strong>n<br />

kann;<br />

2. Von Predigten ist nichts zu halten;<br />

3. Die Aka<strong>de</strong>mien und hohen Schulen<br />

sind zu verachten;<br />

4. »Hebt er das Liecht <strong>de</strong>r Natur sehr hoch<br />

/ vnnd macht es zum Lehrmeister auch<br />

in <strong>de</strong>r Lehr von <strong>de</strong>r Menschen Seeligkeit«;<br />

5. »Suchet seine Lehr aus <strong>de</strong>m Liecht <strong>de</strong>r<br />

Natur / in welchem alle Wissenschafft<br />

soll zufin<strong>de</strong>n sein«;<br />

30<br />

6. Da<strong>bei</strong> aus himmlischer Offenbarung,<br />

ohne Unterricht <strong>de</strong>r Menschen;<br />

7. »Dichtet an <strong>de</strong>n Menschen zween Leib<br />

/ <strong>de</strong>n inwendigen / vnd auswendigen.«<br />

Alles wird mit umfänglichen Zitaten aus<br />

Paracelsus belegt. 55<br />

Viele weitere Oppositionelle haben in<br />

Deutschland bis Anfang <strong>de</strong>s 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

auf <strong>de</strong>n theologischen Werken <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus gefußt bis hin zu J. Böhme und<br />

<strong>de</strong>n radikalen Pietisten. Aus diesem<br />

großen Nutzerkreis sei hier nur noch kurz<br />

auf die Rosenkreuzer eingegangen. »Der<br />

einzige Lehrmeister, <strong>de</strong>n Andreae in <strong>de</strong>n<br />

Manifesten erwähnt – fünfmal in <strong>de</strong>r<br />

›Fama‹ und ebensooft, doch oft getarnt, in<br />

<strong>de</strong>r ›Confessio‹ ist ... Theophrast Bombast<br />

von Hohenheim, Paracelsus genannt«. 56<br />

Postum, in <strong>de</strong>r ersten Hälfte <strong>de</strong>s 17.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rts, wur<strong>de</strong> Paracelsus als Stifter<br />

einer neuen Religion gefaßt, <strong>de</strong>r Religion<br />

<strong>de</strong>r zwei Lichter (»Licht <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong>n« und<br />

»Licht <strong>de</strong>r Natur«). Diese »neue Religion«<br />

erhielt bald <strong>de</strong>n Namen »Theophrastia<br />

Sancta«. 57 Der Ausdruck wur<strong>de</strong> von Adam<br />

Haslmayr geprägt, <strong>de</strong>m ersten, <strong>de</strong>r öffentlich<br />

und schriftlich auf die noch ungedruckten<br />

Rosenkreuzer-Manifeste antwortete.<br />

Haslmayr hat sie gelegentlich auch<br />

als »Schola Paracelsica Christiana«, als<br />

»Eu-Angelica Philosophia«, als »Studium<br />

<strong>de</strong>r ewigen Weisheit«, kurz auch als »Cabala«<br />

bezeichnet. 58 Deren vier Hauptregeln<br />

seien: »Unsere Fein<strong>de</strong> lieben; II. Eigens<br />

verlassen; III. Angetane Schmach<br />

geduldig lei<strong>de</strong>n; IV. Anerbotene Ehre allenthalben<br />

vernichten.« Hinzu komme<br />

die Weisheit, in <strong>de</strong>r Formel »nosce te<br />

ipsum« zusammengefaßt. 59 Erst, wenn die<br />

Kirchen von ihrem Irrweg sich abwen<strong>de</strong>n,<br />

von ihren falschen Lehren abkehren,<br />

wer<strong>de</strong> die wahre christliche Kirche <strong>de</strong>r<br />

Propheten und Apostel wie<strong>de</strong>rhergestellt<br />

sein. In dieser »Kirche <strong>de</strong>r Armen«, so <strong>de</strong>r<br />

Rosenkreuzer Haslmayr, wer<strong>de</strong> ausschließlich<br />

die »Theophrastia Sancta« herrschen.<br />

Und nicht A. Haslmayr allein, auch Tobias<br />

Heß mit seinem Freun<strong>de</strong>skreis, darunter<br />

J.V. Andreae selbst, waren Anhänger<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus. 60 Zu <strong>de</strong>n wenigen Forschern<br />

<strong>de</strong>s 20. Jahrhun<strong>de</strong>rts, die auf Gemeinsamkeiten<br />

zwischen J. Böhme und


Paracelsus eingegangen sind, gehört neben<br />

Heinrich Bornkamm und Erwin Metzke<br />

vor allem Arlene Miller Guinsburg. Sie hat<br />

<strong>de</strong>n Görlitzer »Paracelsischen Bo<strong>de</strong>n« <strong>bei</strong> J.<br />

Böhme etwas näher untersucht und Studien<br />

zu Parallelen und Unterschie<strong>de</strong>n in<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong>r Denker Trinitätslehre angestellt. Sie<br />

gelangt zu <strong>de</strong>m Ergebnis, daß Böhme<br />

da<strong>bei</strong> durchaus auf Paracelsus fußt, zugleich<br />

aber neue I<strong>de</strong>en in das Paracelsische<br />

Gedankengebäu<strong>de</strong> einbringt. Nach ihrer<br />

Untersuchung gilt diese Weiterentwicklung<br />

auch für Böhmes Konzeption <strong>de</strong>s Abendmahls,<br />

seine Lehren über Reue, Buße und<br />

Glaube, aber auch für die Genese <strong>de</strong>r Böhmeschen<br />

androgynen Spekulation. Letztere<br />

wur<strong>de</strong> ihm natürlich von <strong>de</strong>r pseudoparacelsischen<br />

Tradition mit kabbalistischer<br />

Komponente vermittelt. 61 Wann soll dieser<br />

Ansatz gezielt fortgesetzt wer<strong>de</strong>n?<br />

Viele Vertreter <strong>de</strong>r »Dritten Kraft« im<br />

Deutschland <strong>de</strong>s 16., 17. und 18. Jahrhun<strong>de</strong>rts<br />

wären noch zu nennen. Es gibt mannigfache<br />

Ansätze dafür. Lassen wir es hier<br />

genug sein.<br />

Aber: fin<strong>de</strong>t diese »Dritte Kraft« dann<br />

durch die Aufklärung die verdiente Anerkennung<br />

o<strong>de</strong>r wenigstens Respekt? Keineswegs!<br />

Auch Aufklärung ist einseitig, wenngleich<br />

aus an<strong>de</strong>ren Ursachen. Nehmen wir<br />

ein extremes Beispiel: Johann Christoph<br />

A<strong>de</strong>lung 62 . Er erfaßt Paracelsus in seiner<br />

umfänglichen »<strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Narrheit« als einen von <strong>de</strong>ren Vertretern.<br />

»Im Namen einer wohlmeinen<strong>de</strong>n<br />

Erziehungsdiktatur präsentiert A<strong>de</strong>lung<br />

eine quer durch die Epochen reichen<strong>de</strong><br />

Narrengalerie, die in das historiographische<br />

Dämmerlicht eines neuen Fanatismus<br />

getaucht ist.« 63 Paracelsus wird unter<br />

<strong>de</strong>r Überschrift »Theophrastus Paracelsus,<br />

ein Kabbalist und Charlatan« dargeboten.<br />

64 Er sei ein »roher und unwissen<strong>de</strong>r<br />

Wüstling« gewesen, habe seine philosophischen<br />

Aufsätze in »Völlerei dictieret«<br />

und so noch <strong>de</strong>m späteren Leser »<strong>de</strong>n tollsten<br />

Aberwitz und Unsinn« vorgelegt. 65<br />

Daß Paracelsus, <strong>de</strong>r von A<strong>de</strong>lung vornehmlich<br />

als Mediziner dargestellt wird,<br />

nachmals so großen Ruhm erlangte, liege<br />

in einem historischen Mangel an Aufklärung<br />

begrün<strong>de</strong>t!<br />

Heute sprechen wir von Paracelsus an<strong>de</strong>rs<br />

und werten ihn auch an<strong>de</strong>rs, als<br />

noch vor etwa 200 Jahren. Daß er <strong>de</strong>r<br />

»Dritten Kraft« zugehörte ist <strong>de</strong>r heutigen<br />

Forschung nicht ein Nachteil. Schon<br />

o<strong>de</strong>r auch für Leopold von Ranke gilt,<br />

Paracelsus war »ein sinnvoller, tiefer und<br />

mit seltenen Kenntnissen ausgerüsteter<br />

Geist, <strong>de</strong>r aber von <strong>de</strong>m Einen Punkt,<br />

<strong>de</strong>n er ergriffen, die Welt zu erobern<br />

meint ... Damals war mit <strong>de</strong>r allgemeinen<br />

Bewegung <strong>de</strong>r Geister auch ein Versuch<br />

verknüpft, das Joch <strong>de</strong>r Zucht, die Regel<br />

<strong>de</strong>r antiken Disziplin, ja Kirche und Staat<br />

von sich abzuwerfen. Die münzerischen<br />

Inspirationen, die sozialistischen Versuche<br />

<strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rtäufer und diese paracelsischen<br />

Theorien entsprechen einan<strong>de</strong>r<br />

sehr gut; vereinigt hätten sie die Welt<br />

umgestaltet.« 66<br />

31


1 Friedrich Heer: Die Dritte Kraft. Der europäische<br />

Humanismus zwischen <strong>de</strong>n Fronten <strong>de</strong>s konfessionellen<br />

Zeitalters, Frankfurt/M. 1960, S. 7 (hervorgeh.<br />

- S.W.)<br />

2 Wilhelm Schmidt-Biggemann: Toleranz zwischen<br />

Natur- und Staatsrecht, in: Lessing und die Toleranz.<br />

Beiträge <strong>de</strong>r vierten internationalen Konferenz<br />

<strong>de</strong>r Lessing Society in Hamburg vom 27. bis<br />

29.Juni 1985. Hrsg. von Peter Freimark, Frank<br />

Kopitzsch und Helga Slessarev, Detroit-München<br />

1986, S. 104. Vgl. Siegfried Wollgast: Zu Grundfragen<br />

<strong>de</strong>s Toleranzproblems in Vergangenheit<br />

und Gegenwart, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie,<br />

Berlin 38 (1990) S. 1125f.<br />

3 Vgl. dazu: Joachim Telle: Johann Huser und <strong>de</strong>r<br />

Paracelsismus im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt, in: Paracelsus<br />

(1493- 1541). »Keines an<strong>de</strong>rn Knecht ...«, hrsg.<br />

von Heinz Dopsch, Kurt Goldammer, Peter F.<br />

Kramml, Salzburg 1993, S. 341f.<br />

4 Kurt Goldammer: Aufgaben <strong>de</strong>r Paracelsusforschung,<br />

in: Parerga Paracelsica. Paracelsus in Vergangenheit<br />

und Gegenwart, hrsg. von Joachim<br />

Telle, Stuttgart 1991, S. 9f.<br />

5 Kurt Goldammer: Paracelsus-Bild und Paracelsus-<br />

Forschung. Wissenschaftliche und populäre Elemente<br />

in <strong>de</strong>r Literatur, in: Kurt Goldammer: Paracelsus<br />

in neuen Horizonten. <strong>Ges</strong>ammelte<br />

Aufsätze, Wien 1986, S. 359.<br />

6 Theophrastus Paracelsus von Hohenheim:<br />

Das Buch Paragranum, in: Theophrastus Paracelsus<br />

von Hohenheim: Sämtliche Werke, hrsg. von<br />

Karl Sudhoff, Abt. 1, Bd. 8, München 1924,<br />

S. 54-56.<br />

7 Arlene Miller Guinsburg: Die I<strong>de</strong>enwelt <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

und seiner Anhänger in Hinsicht auf das<br />

Thema <strong>de</strong>s christlichen Magus und <strong>de</strong>ssen Wirken,<br />

in: Von Paracelsus zu Goethe und Wilhelm<br />

von Humboldt, Wien 1981 (Salzburger Beiträge<br />

zur Paracelsusforschung, 22) S. 46.<br />

8 Vgl. Katharina Biegger: »De invocatione Beatae<br />

Mariae Virginis«. Paracelsus und die Marienverehrung,<br />

Stuttgart 1990 (Kosmosophie, VI)<br />

S. 45f. und die dort genannte Literatur. Ebenso:<br />

Ralf Georg Bogner.o Paracelsus auf <strong>de</strong>m In<strong>de</strong>x.<br />

Zur kirchlichen Kommunikationskontrolle in <strong>de</strong>r<br />

frühen Neuzeit, in: Analecta Paracelsica. Studien<br />

zum Nachleben Theophrast von Hohenheims im<br />

<strong>de</strong>utschen Kulturgebiet <strong>de</strong>r frühen Neuzeit, hrsg.<br />

von Joachim Telle, Stuttgart 1994, S. 489-530.<br />

9 Hartmut Rudolph: Paracelsus' Laientheologie in<br />

traditionsgeschichtlicher Sicht und ihre Zuordnung<br />

zu Reformation und katholischer Reform,<br />

in: Resultate und Desi<strong>de</strong>rate <strong>de</strong>r Paracelsus-Forschung,<br />

hrsg. von Peter Dilg und Hartmut Rudolph,<br />

Stuttgart 1993 (Sudhoffs Archiv, Beih. 31),<br />

S. 91f.<br />

32<br />

LITERATUR<br />

10 Paracelsus: Von Fasten und Casteien, in: Theophrast<br />

von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

Sämtliche Werke, Abt. 2, Bd. 2,<br />

hrsg. von Kurt Goldammer, Wiesba<strong>de</strong>n 1965, S.<br />

426. Vgl. Siegfried Wollgast: Philosophie in<br />

Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung<br />

1550 - 1650, 2. Aufl., Berlin 1993,<br />

S. 657 - 661.<br />

11 S. Franck: Paradoxa, 2. neubearb. Aufl., hrsg.<br />

und eingel. von Siegfried Wollgast, Berlin 1995,<br />

S. 155 (Par. 92f.).<br />

12 Paracelsus: Liber <strong>de</strong> felici liberalitate, in: Theophrast<br />

von Hohenheim gen. Paracelsus: Sämtliche<br />

Werke, Abt. 2, Bd. 2, S. 16.<br />

13 Paracelsus: Liber <strong>de</strong> honestis utrisque divitiis, in:<br />

ebenda, S. 37.<br />

14 Paracelsus: Auslegung über die zehen gebott<br />

gottes, in: ebenda, Abt. 2, Bd. 7, Wiesba<strong>de</strong>n<br />

1961, S. 143.<br />

15 Paracelsus: De ordine doni, in: ebenda, Abt. 2,<br />

Bd. 2, S. 53. Ein faktenreicher Überblick über das<br />

sozial-politische Werk Paracelsi auch <strong>bei</strong>: Michael<br />

Bunners: Die Abendmahlsschriften und das medizinisch-naturphilosophische<br />

Werk <strong>de</strong>s Paracelsus,<br />

Theol. Diss. <strong>de</strong>r Humboldt-Universität zu<br />

Berlin 1962.<br />

16 Paracelsus: Auslegung <strong>de</strong>s Psalters Davids, T.<br />

1. Kommentar zu Psalm 81 (82), in: Theophrast<br />

von Hohenheim gen. Paracelsus: Sämtliche<br />

Werke, Abt. 2, Bd. 4, hrsg. von Kurt Goldammer,<br />

Wiesba<strong>de</strong>n 1955, 5.123.<br />

17 Theophrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

De septem punctis idolatriae christianae, in:<br />

Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus:<br />

Sämtliche Werke, 2. Abt., Bd. 3, hrsg. von Kurt<br />

Goldammer, Stuttgart 1986, S. 11.<br />

18 Zit. nach: Karl Sudboff: Versuch einer Kritik <strong>de</strong>r<br />

Echtheit <strong>de</strong>r Paracelsischen Schriften, T. 2: Paracelsische<br />

Handschriften, Berlin 1899, S. 339.<br />

19 »nehmt keinen Ranzen (o<strong>de</strong>r: keine Reisetasche)<br />

mit auf <strong>de</strong>n Weg, auch nicht zwei Röcke (o<strong>de</strong>r:<br />

Unterklei<strong>de</strong>r), keine Schuhe und keinen Stock,<br />

<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>ter ist seines Unterhalts (= <strong>de</strong>r<br />

Ernährung) wert« (Übersetzung nach H. Menge).<br />

20 Paracelsus: De septem punctis idolatriae christianae,<br />

in: Paracelsus: Sämtliche Werke, 2. Abt.,<br />

Bd. 3, S. 8f.<br />

21 Zit. nach: ebenda, S. 56.<br />

22 Zit. nach: Paracelsus: Vom Licht <strong>de</strong>r Natur und<br />

<strong>de</strong>s Geistes. Eine Auswahl, hrsg. von Kurt<br />

Goldammer, Stuttgart 1960, S. 170.<br />

23 Theophrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

Auslegung <strong>de</strong>s Psalters Davids. Teil 1: Kommentar<br />

zu Psalm 88 (89), in: Theophrast von Hohenheim<br />

gen. Paracelsus: Sämtliche Werke, Abt. 2,<br />

Bd. 4, S. 206. Vgl. Paracelsus: Der Krieg als


Sün<strong>de</strong>, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r weltanschauliche Krieg,<br />

in: Zur Frie<strong>de</strong>nsi<strong>de</strong>e in <strong>de</strong>r Reformationszeit.<br />

Texte von Erasmus, Paracelsus, Franck, eingel. u.<br />

mit erklären<strong>de</strong>n Anm. hrsg. von Siegfried Wollgast,<br />

Berlin 1968, S. 55-62.<br />

24 Goldammer: Paracelsus in neuen Horizonten,<br />

S. 125; Vgl. zum ff, auch: Wollgast: Philosophie<br />

in Deutschland zwischen Reformation und Aufklärung<br />

1550- 1650, S. 647-665, 526, 537-543, 267-<br />

269, 334-337, 671-676, 784-787; Paracelsus: Vom<br />

gesun<strong>de</strong>n und seligen Leben. Ausgewählte Texte,<br />

2. stark veränd. Aufl. Hrsg. von Rolf Löther und<br />

Siegfried Wollgast, Leipzig 1991, S. 264-290<br />

(Nachw.); Wollgast: Zur Wirkungsgeschichte <strong>de</strong>s<br />

Paracelsus im 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt. In: Resultate<br />

und Desi<strong>de</strong>rate <strong>de</strong>r Paracelsus-Forschung,<br />

S. 113-144; Wollgast: Chiliasmus und soziale<br />

Utopie im Paracelsismus, in: Neue Beiträge zur<br />

Paracelsus-Forschung, hrsg. von Peter Dilgy und<br />

Hartmut Rudolph, Stuttgart 1995 (Hohenheimer<br />

Protokolle, 47), S. 111-139.<br />

25 Vgl. Theophrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

»Liber <strong>de</strong> honestis utrisque divitiis« in: Theophrast<br />

von Hohenheim gen. Paracelsus: Sämtliche<br />

Werke, Abt. 2, Bd. 2, S. 47.<br />

26 Vgl. Theapbrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

»Liber prologi in vitam beatam« in: <strong>de</strong>rs.:<br />

Theologische und religionsphilosophische Schriften,<br />

Bd. 1. Hrsg. von Wilhelm Matthießen,<br />

München 1923, S. 82f. ; vgl. zu diesem Komplex:<br />

Will-Erich Peuckert: Theophrastus Paracelsus,<br />

Stuttgart 1944 (Reprint Hil<strong>de</strong>sheim – Zürich –<br />

New York 1991), S. 288-307.<br />

27 Vgl. ebenda, S. 106 (»De religione perpetua«);<br />

Hartmut Rudolph: Individuum und Obrigkeit<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus. In: Nova Acta Paracelsica, Bern<br />

NF 3 (1988), S. 69-76.<br />

28 Theophrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

Degeneratione et <strong>de</strong>structione regnorum, in:<br />

<strong>de</strong>rs.: Sämtliche Werke, Abt. 2, Bd. 2, S. 149.<br />

29 Theaphrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

Liber <strong>de</strong> imaginibus, in. <strong>de</strong>rs.: Sämtliche Werke,<br />

1. Abt., hrsg. von Karl Sudhoff, Bd. 13, München<br />

– Berlin 1931, S. 373; Theophrast von Hohen<strong>bei</strong>m<br />

genannt Paracelsus: Auslegung <strong>de</strong>s Psalters<br />

Davids. Kommentar zu Psalm 88 (89), in: <strong>de</strong>rs.<br />

Sämtliche Werke, Abt. 2, Bd. 4, S. 211.<br />

30 Theaphrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

liber <strong>de</strong> summo et aeterno bono, in: <strong>de</strong>rs.:<br />

Sämtliche Werke, Abt. 2, Bd. 1, S. 116f.<br />

31 Theaphrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

Sämtliche Werke, Abt. 2, Bd. 1, S. 111-130, 153-<br />

174, 175-195, 241-260; <strong>de</strong>rs.: Sämtliche Werke,<br />

Abt. 2, Bd. 2, S. 83-91.<br />

32 Theaphrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

De felici liberalitate, in: <strong>de</strong>rs.: Sämtliche Werke,<br />

Abt. 2, Bd. 2, S. 19-22.<br />

33 Theaphrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

Auslegung <strong>de</strong>s Psalters Davids. Teil IV: Kommentar<br />

zu Psalm 139 (140), in: <strong>de</strong>rs.: Sämtliche<br />

Werke, Abt. 2, Bd. 7, S. 37.<br />

34 Goldammer: Paracelsus in neuen Horizonten,<br />

S. 139; vgl. hierzu z.B.: Theophrast von Hohenheim<br />

gen. Paracelsus: Auslegung <strong>de</strong>s Psalters Davids.<br />

Kommentar zu Psalm 93(94), in: <strong>de</strong>rs.:<br />

Sämtliche Werke, Abt. 2, Bd. 4, S. 263; <strong>de</strong>rs.:<br />

Auslegung <strong>de</strong>s Psalters Davids. Kommentar zu<br />

Psalm 143 (144), 144 (145), in: <strong>de</strong>rs.: Sämtliche<br />

Werke, Abt. 2, Bd. 7, S. 66, S. 75. Vgl. zusammenfassend:<br />

Paracelsus: Sozialethische und sozialpolitische<br />

Schriften. Aus <strong>de</strong>m theologisch-religionsphilosophischen<br />

Werk ausgewählt, eingel.<br />

und mit erklären<strong>de</strong>n Anm. hrsg. von Kurt<br />

Goldammer, Tübingen 1952, S.323-329.<br />

35 Theaphrast von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

De honestis utrisque divitiis, in: <strong>de</strong>rs.: Sämtliche<br />

Werke, Abt. 2, Bd. 2, S. 36-41.<br />

36 Goldammer: Paracelsus in neuen Horizonten,<br />

S. 157. Vgl. hierzu Walter Pagel: The Paracelsian<br />

Elias Artista and the Alchemical Tradition. In:<br />

Walter Pagel: Religion and Neoplatonism in Renaissance<br />

Medicine. Ed. by Marianne Win<strong>de</strong>r,<br />

London 1985, p. XIX, 6.: »Of Goldammer's most<br />

admirable Paracelsus-interpretations which have<br />

inspired me for more than thirty years one point<br />

stands out as essential: the messianic i<strong>de</strong>a concerning<br />

a Future realm of equity and justice for the<br />

pious and the poor.« Vgl. auch Charles Webster:<br />

From Paracelsus to Newton. Magic and the Making<br />

of mo<strong>de</strong>rn Science, Cambridge (u.a.) 1982,<br />

S. 21: »It was clear to Paracelsus that the world<br />

was not eternal, and that the Day of Judgement<br />

was fast approaching. The days were running out;<br />

soon a new paradise, or new Hebron would be<br />

established; ultimately the elect would be reborn<br />

in a new creation«; Wollgast: Zur Wirkungsgeschichte<br />

<strong>de</strong>s Paracelsismus im 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />

S. 118f.<br />

37 Vgl. dazu Wollgast: Zur Wirkungsgeschichte <strong>de</strong>s<br />

Paracelsismus im 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rt,<br />

S. 117-124.<br />

38 Vgl. hierzu Wollgast: Philosophie in Deutschland<br />

zwischen Reformation und Aufklärung 1550-<br />

1650, S. 180-188.<br />

39 Vgl. hierzu Karl-Heinz Weimann: Einleiten<strong>de</strong>s<br />

zur Text- und Überlieferungsgeschichte. In: Theophrast<br />

von Hohenheim genannt Paracelsus:<br />

Theologische und religionsphilosophische Schriften<br />

in Kurzfassungen. Bearb. von Kurt Goldammer,<br />

Wiesba<strong>de</strong>n 1973, S. XIX - XXVII.<br />

40 Kurt Goldammer: Aus <strong>de</strong>r Werkstatt <strong>de</strong>r Paracelsisten<br />

<strong>de</strong>s 16. und 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts. Bemerkungen<br />

zu <strong>de</strong>n Kurzfassungen <strong>de</strong>r theologischen<br />

Schriften <strong>de</strong>s Paracelsus. In: ebenda, S. XLIX.<br />

41 Vgl. Siegfried Wollgast: Theologie, Naturphilosophie<br />

und Literatur in <strong>de</strong>r frühen Neuzeit.<br />

In: »Der Buchstab tödt – <strong>de</strong>r Geist macht lebendig«.<br />

Festschrift zum 60. Geburtstag von Hans-<br />

Gert Roloff. Hrsg. von James Hardin und Jörg<br />

Jungmayer, Bern u.a. 1992, S. 1197 - 1236;<br />

33


Siegfried Wollgast: Chiliasmus und <strong>Ges</strong>chichtsbild<br />

im Deutschland <strong>de</strong>s 17. Jahrhun<strong>de</strong>rts, in: Sitzungsberichte<br />

<strong>de</strong>r Leibniz-Sozietät (im Druck).<br />

42 Ernst Benz: Wenn Christus heute wie<strong>de</strong>rkäme ...<br />

Zur Eschatologie <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Spiritualismus.<br />

In: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Stuttgart 3.<br />

F. 4 = 53 (1934), S. 497.<br />

43 Ebenda, S. 499.<br />

44 Vgl. Siegfried Wollgast: Der <strong>de</strong>utsche Pantheismus<br />

im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt. Sebastian Franck und seine<br />

Wirkungen auf die Entwicklung <strong>de</strong>r pantheistischen<br />

Philosophie in Deutschland, Berlin 1972.<br />

45 Vgl. Will-Erich Peuckert: Sebastian Franck – ein<br />

<strong>de</strong>utscher Sucher, München 1943, S. 94-98, 102f.,<br />

198-201, 209-211, 241f., 340-342, 425, 434f., 518f.<br />

46 Klaus Deppermann: Vorwort zu: Pietismus und<br />

Neuzeit. Ein Jahrbuch zur <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>s neueren<br />

Protestantismus, Göttingen 14 (1988), S. 5.<br />

47 Vgl. zum ff. ebenda, S. 6f.<br />

48 Johannes Schelhammer: Wi<strong>de</strong>rlegung Der vermeynten<br />

Postill Valentini Weigelij: In welcher <strong>de</strong>r<br />

Satan / in diesem letzten Saeculo, seine Hellische<br />

Gifft und Grundsuppe aller Lesterung und Lügen<br />

/ wi<strong>de</strong>r Christum / sein Wort / Sacramenta / und<br />

Diener / gar stoltz / frech und übermütig außgeschüttet<br />

hat ... Mit dreyen Vorre<strong>de</strong>n und Commendationsschrifften<br />

<strong>de</strong>r bey<strong>de</strong>n Löblichen Theologischen<br />

Faculteten zu Leipzig und Wittenberg /<br />

auch eines Ehrwürdigen Ministerij zu Hamburg,<br />

Leipzig 1621, S. 606-623; vgl. Wollgast: Philosophie<br />

in Deutschland zwischen Reformation und<br />

Aufklärung 1550 - 1650, S. 526f.<br />

49 Ebenda, S. 6, S. 77-78. – Vgl. die Wi<strong>de</strong>rlegung dieser<br />

Anschuldigungen schon <strong>bei</strong> Albrecht Christian<br />

Rotth: Nöthiger Unterricht Von Prophetischen<br />

Weissagungen ... Dabey ... Inson<strong>de</strong>rheit Von <strong>de</strong>m<br />

Weigelio weitläufftig Meldung geschiehet..., Leipzig<br />

1694, dann <strong>bei</strong> Gottfried Arnold: Unpartheyische<br />

Kirchen- und Ketzer-Historie, Vom Anfang<br />

<strong>de</strong>s Neuen Testaments biß auf das Jahr Christi<br />

1688, Bd. 1-2, Frankfurt/M. 1699-1700.<br />

50 Ebenda, S. 7.<br />

51 Ebenda, S. 6, 12- 14.<br />

52 Ebenda, S. 40f.<br />

53 Nicolaus Hunnius: Christliche Betrachtung <strong>de</strong>r<br />

Newen Paracelsischen vnd Weigelianischen Theology,<br />

Darinnen durch Viertzehen<br />

Vrsachen angezeiget wird / warumb sich ein je<strong>de</strong>r<br />

Christ für <strong>de</strong>rselben / als vor einem schädlichen<br />

Seelengift mit höchstem fleiß hüten vnd vorsehen<br />

soll, Wittenberg 1622, S. 7.<br />

34<br />

54 Ebenda, S. 10, S. 31.<br />

55 Ebenda, S. 41.<br />

56 Paul A. Ladame: Die Botschaft <strong>de</strong>r Rosenkreuzer-Manifeste,<br />

in: Das Erbe <strong>de</strong>s Christian Rosenkreuz.<br />

Vorträge gehalten anläßlich <strong>de</strong>s Amsterdamer<br />

Symposiums 18.-20. November 1986. Hrsg.<br />

von <strong>de</strong>r Bibliotheca Philosophica Hermetica,<br />

Amsterdam 1988, S. 181.<br />

57 Vgl. Carlos Gilly: »Theophrastia Sancta«. Der Paracelsismus<br />

als Religion im Streit mit <strong>de</strong>n offiziellen<br />

Kirchen, in: Analecta Paracelsica, S. 449f.<br />

58 Ebenda, S. 451-467. Vgl. Carlos Gilly: Adam<br />

Haslmayr. Der erste Verkün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Manifeste <strong>de</strong>r<br />

Rosenkreuzer, Amsterdam 1994, S. 187-201 u.ö.<br />

59 Zit. ebenda, S. 457f.<br />

60 Vgl. Richard van Dülmen: Die Utopie einer<br />

christlichen <strong>Ges</strong>ellschaft. Johann Valentin Andreae<br />

(1586 bis 1654), T. 1, Stuttgart – Bad Cannstatt<br />

1978, S. 50f., 57 u.ö.<br />

61 Vgl. Arlene Miller-Guinsburg: Von Paracelsus zu<br />

Böhme: Auf <strong>de</strong>m Wege zu neuen Bestandsaufnahmen<br />

in <strong>de</strong>r Beeinflussung Böhmes durch Paracelsus.<br />

In: Paracelsus in <strong>de</strong>r Tradition. Vorträge<br />

Paracelsustag 1978 (Salzburger Beiträge zur Paracelsusforschung,<br />

21), S. 96-118.<br />

62 Vgl. Wilhelm Kühlmann: Biographische Metho<strong>de</strong><br />

und aufgeklärte Revision <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte –<br />

Johann Christoph A<strong>de</strong>lungs Paracelsusbiographie,<br />

in: Analecta Paracelsica, S. 541-556; Siegfried<br />

Wollgast: Zu Johann Christoph A<strong>de</strong>lung als<br />

Philosophiehistoriker und seiner Stellung in <strong>de</strong>r<br />

Philosophiegeschichte, in: Sprache und Kultur im<br />

Blickfeld <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Spätaufklärung. Der Beitrag<br />

Johann Christoph A<strong>de</strong>lungs, hrsg. von Werner<br />

Bahner, Berlin 1984, S. 55-71. (Abhandl. d.<br />

Sächs. Akad. d. Wissenschaften zu Leipzig, Phil.hist.<br />

KI., Bd. 70, H. 4).<br />

63 Kühlmann: Biographische Metho<strong>de</strong> und aufgeklärte<br />

Revision <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte – Johann Christoph<br />

A<strong>de</strong>lungs Paracelsusbiographie, S. 548.<br />

64 Vgl. Johann Christoph A<strong>de</strong>lung: <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Narrheit, o<strong>de</strong>r Lebensbeschreibungen<br />

berühmter Schwarzkünstler, Goldmacher,<br />

Teufelsbanner, Zeichen- und Linien<strong>de</strong>uter,<br />

Schwärmer, Wahrsager und an<strong>de</strong>rer philosophischer<br />

Unhol<strong>de</strong>n, T. 7, Leipzig 1789, S. 189-364.<br />

65 Ebenda, S. 258-260.<br />

66 Leopold von Ranke: Deutsche <strong>Ges</strong>chichte im<br />

Zeitalter <strong>de</strong>r Reformation. <strong>Ges</strong>amt-Ausgabe <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Aka<strong>de</strong>mie. Hrsg. von Paul Joachimsen,<br />

Bd. V, München 1925, S. 380.


Hans Scha<strong>de</strong>waldt<br />

DIE PRAKTISCHE ETHIK IM MEDIZINISCHEN WERK<br />

DES PARACELSUS<br />

Ich habe die Ehre, heute vormittag eine<br />

<strong>de</strong>nkwürdige Vortragsreihe erstklassiger<br />

Paracelsus-Kenner zu been<strong>de</strong>n. Es ist mir<br />

aufgetragen wor<strong>de</strong>n, die praktische Ethik<br />

im medizinischen Werk <strong>de</strong>s PARACEL-<br />

SUS kurz darzustellen, also nicht die eigentlichen<br />

religiösen Komponenten, die<br />

zum Teil in <strong>de</strong>m umfangreichen Werk dieses<br />

be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Mannes noch gar nicht<br />

voll publiziert wer<strong>de</strong>n konnten, und ich<br />

bedauere es sehr, daß ich die morgigen<br />

Vorträge, in <strong>de</strong>nen diese Fragen angesprochen<br />

wer<strong>de</strong>n, nicht wer<strong>de</strong> verfolgen können.<br />

Ihr Mitveranstalter <strong>de</strong>r »Deutschen<br />

<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft«, Herr Dipl.-Biologe<br />

GÜNTER ICKERT, hatte im Februar<br />

1994 in einem lesenswerten Aufsatz im<br />

»Deutschen Apotheker« konstatiert: »Das<br />

Paracelsus-Jahr 1993 ist vorüber. Die<br />

Kränze und Blumen an seinem Grabmal<br />

in Salzburg sind verwelkt, die Festre<strong>de</strong>n<br />

verhallt. Im Getriebe <strong>de</strong>s Alltags geraten<br />

Aufwand und Mühen für die <strong>Ges</strong>taltung<br />

von Ausstellungen und Feierlichkeiten in<br />

Vergessenheit. Die Freu<strong>de</strong> über die gelungenen<br />

Ehrungen zum 500. Geburtstag <strong>de</strong>s<br />

Hohenheimers weicht <strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />

neuer Aufgaben.« Und er fragte<br />

mit Recht: »Was bleibt?«<br />

Die gleiche Frage habe ich mir vorgelegt,<br />

nach<strong>de</strong>m ich die Ehre hatte, in diesem<br />

Jubiläumsjahr zusammen mit an<strong>de</strong>ren<br />

Fachkennern – hier möchte ich<br />

insbeson<strong>de</strong>re unseren hochgeschätzten<br />

Nestor Prof. SCHIPPERGES zitieren – an<br />

mehrfachen Plätzen über unterschiedliche<br />

Probleme <strong>de</strong>r Paracelsus-Forschung sprechen<br />

zu dürfen. Das war wohl <strong>de</strong>r Grund,<br />

warum ich heute eingela<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>, ein<br />

beson<strong>de</strong>rs praktisches, ethisches Kapitel<br />

aus seinem Lebenswerk zu skizzieren. In<br />

vielen meiner Vorträge hatte ich ein bemerkenswertes<br />

Wort <strong>de</strong>s PARACELSUS,<br />

wie es auch auf <strong>de</strong>m Paracelsus-Denkmal<br />

in Einsie<strong>de</strong>ln zu lesen ist, zitiert. Es lautet:<br />

... also bin ich gewan<strong>de</strong>lt durch die län<strong>de</strong>r<br />

und ein peregrinus gewest meine zeit – allein<br />

und fremd und an<strong>de</strong>rs, da hast du got wachsend<br />

lan <strong>de</strong>ine Kunst unter <strong>de</strong>m hauche <strong>de</strong>s<br />

furchtbaren win<strong>de</strong>s mit schmerzen in mir.«<br />

Dieser Ausspruch »allein und fremd<br />

und an<strong>de</strong>rs« hat mich stets <strong>bei</strong> meinen<br />

Paracelsus-Studien beson<strong>de</strong>rs berührt und<br />

beweist einmal mehr, warum auch seine<br />

ethische Grundhaltung zu <strong>de</strong>n unterschiedlichen<br />

Zeiten ganz unterschiedlich<br />

beurteilt wur<strong>de</strong> und oft unverstan<strong>de</strong>n<br />

bleiben mußte. Daß daran PARACEL-<br />

SUS mit seiner zum Teil schwer verständlichen<br />

Sprache ein gerüttelt Maß an<br />

Schuld hat, ist heute unbestritten. Damit<br />

hatte sich schon <strong>de</strong>r berühmte KARL<br />

SUDHOFF ebenso auseinan<strong>de</strong>rsetzen<br />

müssen, wie dies heute noch <strong>de</strong>r Ehrenpräsi<strong>de</strong>nt<br />

<strong>de</strong>r »Internationalen Paracelsus-<br />

<strong>Ges</strong>ellschaft« in Salzburg, Herr Universitätsprofessor<br />

KURT GOLDAMMER<br />

tut, und wie sich dies erst jüngst wie<strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>r eindrucksvollen Monographie von<br />

PIRMIN MEIER aus Beromünster – freilich<br />

in einer ganz an<strong>de</strong>ren, sehr mo<strong>de</strong>rnen<br />

Weise – nie<strong>de</strong>rgeschlagen hat.<br />

Die praktische Ethik <strong>de</strong>s PARACEL-<br />

SUS ist von seiner Tätigkeit als Arzt<br />

nicht zu trennen, und ich folge hier<br />

HEINRICH SCHIPPERGES, <strong>de</strong>r herausgestellt<br />

hat, daß PARACELSUS <strong>bei</strong><br />

aller Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit vor allem als<br />

Arzt bewertet wer<strong>de</strong>n sollte. Er betonte:<br />

»Bei aller Vielfalt <strong>de</strong>r Aspekte um das<br />

Menschenbild und die Krankheitslehre<br />

<strong>de</strong>s Theophrastus von Hohenheim und<br />

in aller Wi<strong>de</strong>rsprüchlichkeit um die Person<br />

und sein Werk kann doch von einem<br />

Anspruch nicht gelassen wer<strong>de</strong>n: Paracelsus<br />

war in erster Linie <strong>de</strong>r Arzt! ... Seine<br />

Medizin basiert auf einer höchst originellen,<br />

einer so ein<strong>de</strong>utigen wie eigenständigen<br />

Konzeption, auf einer Theorie <strong>de</strong>r<br />

Heilkunst, die sich grün<strong>de</strong>t auf jene Philosophie<br />

<strong>de</strong>r Natur, die ja allein auch <strong>de</strong>n<br />

praktischen Arzt macht.« Allein die Tat-<br />

35


sache, daß PARACELSUS ein unruhiger<br />

Wan<strong>de</strong>rer durch Zeit und Raum war, hat<br />

ihn wie<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>m wer<strong>de</strong>n lassen, was in<br />

<strong>de</strong>r klassischen Antike zu <strong>de</strong>n Selbstverständlichkeiten<br />

gehörte: zum praktischen<br />

Wan<strong>de</strong>rarzt, <strong>de</strong>r heute hier und morgen<br />

dort seine Sprechstun<strong>de</strong>n unter freiem<br />

Himmel, in einer Gastwirtsstube, aber<br />

auch im Bürgerhaus o<strong>de</strong>r Fürstensalon<br />

ausübte. Es besteht kein Zweifel, daß er<br />

die in seiner Zeit wie<strong>de</strong>r hochgeschätzte<br />

Makro-Mikrokosmosentsprechung <strong>de</strong>r<br />

Welt und <strong>de</strong>s Menschen in seine Überlegungen<br />

mit einbezog, wie es eine symbolische<br />

Abbildung <strong>de</strong>r Figura Mundi und<br />

<strong>de</strong>r Figura Hominis aus <strong>de</strong>m Jahre 1618<br />

aufzeigt. Er hatte sich von <strong>de</strong>r Vier-Säfte-<br />

Lehre <strong>de</strong>s GALEN und <strong>de</strong>r bis in PARA-<br />

CELSUS' Zeiten an dieser Theorie festhalten<strong>de</strong>n<br />

Kollegen gelöst und eine<br />

eigenständige Vorstellung von <strong>de</strong>r Entstehung<br />

und Bekämpfung <strong>de</strong>r Krankheiten<br />

geliefert, die man vielleicht mit einem<br />

mo<strong>de</strong>rnen Begriff als »Ganzheitsmedizin«<br />

bezeichnen kann. Freilich hat er auch viel<br />

<strong>de</strong>utlicher als seine zeitgenössischen Fachkollegen<br />

die Verantwortung <strong>de</strong>s Arztes<br />

gegenüber <strong>de</strong>r Gottheit und <strong>de</strong>n Mitmenschen<br />

in vielen Aussprüchen herausgestellt,<br />

wo<strong>bei</strong> er, wie dies sehr viel später<br />

auch <strong>de</strong>r Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Homöopathie<br />

HAHNEMANN lehrte, in <strong>de</strong>n Heilmitteln<br />

eine beson<strong>de</strong>re Kraft, ein Arkanum<br />

o<strong>de</strong>r Archaeus vermutete, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Heilungsprozeß<br />

entschei<strong>de</strong>nd för<strong>de</strong>rn könne.<br />

Er hatte allerdings wohl ganz an<strong>de</strong>re<br />

Grundvoraussetzungen als HAHNE-<br />

MANN für seine Therapie erar<strong>bei</strong>tet. Er<br />

betonte zwar »heiß vertreibt kaltes, das ist<br />

falsch, in <strong>de</strong>r arznei nie war gewesen, son<strong>de</strong>rn<br />

also: arkanum und krankheit das sind contraria.<br />

arkanum ist die gesuntheit und die krankheit<br />

ist <strong>de</strong>r gesunt<strong>bei</strong>t wi<strong>de</strong>rwärtig; dies zwey<br />

vertreiben einan<strong>de</strong>r, jedwe<strong>de</strong>rs das an<strong>de</strong>r.«<br />

Im Gegensatz auch zu unserer Schulmedizin<br />

und <strong>de</strong>n damaligen offiziellen<br />

Vorstellungen ging er davon aus, daß <strong>de</strong>r<br />

Heilungsprozeß nicht etwa mit <strong>de</strong>r<br />

Klärung <strong>de</strong>r Krankheitsursache beginnen<br />

dürfe, <strong>de</strong>nn er sagte: »Du sollst wissen, daß<br />

alle krankheit in fünferlei weg geheilt wer<strong>de</strong>n<br />

kann und heben also an, unsere arznei <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r<br />

36<br />

heilung und nit <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n ursachen, darum daß<br />

uns die heilung die ursachen zeigt.«<br />

Wo<strong>bei</strong> freilich ein Satz bis in unsere<br />

Tage – er wur<strong>de</strong> oft im Laufe <strong>de</strong>r Zeit zitiert<br />

– beson<strong>de</strong>re Geltung hat, weil es<br />

nämlich da heißt: »Alle dinge sind gift und<br />

nichts obn gift, alein die dosis machts.«<br />

Damit hatte er wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n griechischen<br />

Begriff <strong>de</strong>s Pharmakons als Heilmittel,<br />

Gift o<strong>de</strong>r gar Zaubermittel – vielleicht<br />

sollte man darunter unsere heutige »Placebowirkung«<br />

verstehen – verwen<strong>de</strong>t,<br />

<strong>de</strong>nn er vermutete in allen Wirkstoffen<br />

eine unsichtbare »Anatomei«, die freilich<br />

oft erst durch sachkundige Prozeduren<br />

<strong>de</strong>r Apotheker und Ärzte freigesetzt wer<strong>de</strong>n<br />

könnte. Wür<strong>de</strong> man eine mo<strong>de</strong>rne<br />

Interpretation wählen, dann käme vielleicht<br />

das Schlagwort von <strong>de</strong>r »Bioverfügbarkeit«<br />

in Frage. Schließlich war PARA-<br />

CELSUS überzeugt, daß überall auf <strong>de</strong>r<br />

Welt das Gute neben <strong>de</strong>m Bösen wirken<br />

wür<strong>de</strong>. Da heißt es in einem Ausspruch:<br />

»Im selben ding ist das böse und das gute,<br />

aus <strong>de</strong>m bösen wechst die gelsucht und das<br />

gute geschei<strong>de</strong>n wird vom bösen, so ist das<br />

arkanum wi<strong>de</strong>r die gelsucht da.«<br />

So hat sich seine zum Teil mißverstan<strong>de</strong>ne<br />

Signaturenlehre entwickelt, ausgehend<br />

von <strong>de</strong>r Überlegung, daß <strong>de</strong>r kundige<br />

Arzt von <strong>de</strong>n von Gott geschaffenen<br />

Pflanzen, die er jeweils in <strong>de</strong>m Land<br />

wachsen lassen wollte, in <strong>de</strong>m die Krankheit<br />

entstand, anhand bestimmter Zeichen,<br />

z. B. <strong>de</strong>r Bildung <strong>de</strong>r Blätter, <strong>de</strong>r<br />

Stengel, <strong>de</strong>r Farbe o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Formgebung,<br />

auf <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s von Gott für kranke<br />

Menschen geschaffenen Pharmakons<br />

schließen sollte. Aber diese Wirkung<br />

konnte oft nicht sofort eintreten, son<strong>de</strong>rn<br />

mußte durch entsprechen<strong>de</strong> Manipulationen<br />

und Prozeduren erst freigesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n, ganz ähnlich, wie man das<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Schmelzvorgängen mit wertvollen<br />

Metallen in <strong>de</strong>n Bergwerken, die PA-<br />

RACELSUS ja immer wie<strong>de</strong>r besucht<br />

hatte, beobachten konnte. Einer seiner<br />

Schüler hat die Lehre folgen<strong>de</strong>rmaßen<br />

umschrieben: »Gott hat einem je<strong>de</strong>n gewächs<br />

einen verräter eingepflanzt, damit<br />

man die eigenen und son<strong>de</strong>rbaren kräfte und<br />

eigenschaften <strong>de</strong>r kräuter, so heimlich in <strong>de</strong>n-


selben verborgen, durch ihre äußerlichen signaturen,<br />

das ist die vergleichung <strong>de</strong>r form<br />

und figur, aus einem bloßen anschauen<br />

könnte erkennen und erraten.«<br />

Vielfach hatte er <strong>de</strong>r damaligen Schulmedizin<br />

<strong>de</strong>n Kampf angesagt und ein<br />

häufig zitiertes Wort behauptet: »Wer weiß<br />

<strong>de</strong>nn nicht, daß die meisten Ärzte <strong>de</strong>r heutigen<br />

Zeit zum größten Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kranken<br />

in übelster Weise danebengegriffen haben, daß<br />

sie allzu sklavisch am Wort <strong>de</strong>s Hippokrates,<br />

Galenus und Avicenna und an<strong>de</strong>rer geklebt<br />

haben, also ob diese wie Orakel aus <strong>de</strong>m Dreifuß<br />

<strong>de</strong>s Apoll herausklingen, von <strong>de</strong>ren Wortlaut<br />

man auch nicht um Fingersbreite abweichen<br />

dürfte. Nicht Titel und Redsamkeit,<br />

nicht Sprachenkenntnisse, nicht die Lektüre<br />

zahlreicher Bücher – wenn sie auch eine<br />

schöne Zier<strong>de</strong> sein mögen – machen <strong>de</strong>n Arzt,<br />

son<strong>de</strong>rn tiefste Kenntnisse <strong>de</strong>r Natur.«<br />

Diese programmatische Erklärung mit<br />

<strong>de</strong>m berühmten Wort von <strong>de</strong>r »Experimenta<br />

ac ratio«, <strong>de</strong>r Erfahrung und eigenen<br />

Erwägung, stellt <strong>de</strong>n Mittelpunkt <strong>de</strong>s<br />

ganzen paracelsischen, praktischen, ethischen<br />

Strebens dar, und auch wenn er mit<br />

einem Bein sozusagen noch in <strong>de</strong>r alten<br />

Tradition verwurzelt war - mit ihrem<br />

Glauben an Hexen, böse Geister, Zauberei<br />

und Alchimie –, versuchte er auf <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren Seite, das Joch <strong>de</strong>r Tradition abzuschütteln,<br />

wie sein berühmter Ausspruch<br />

zeigt:<br />

»Mir nach und nicht ich Euch nach. Euer<br />

wird keiner im hintersten Winkel bleiben, an<br />

<strong>de</strong>n nicht die Hun<strong>de</strong> seichen wer<strong>de</strong>n. Ich<br />

wer<strong>de</strong> Monarcha und mein wird die Monarchei<br />

sein, und ich führe die Monarchei und<br />

gürte auch Eure Len<strong>de</strong>n.«<br />

Von vielen Autoren wur<strong>de</strong> er sozusagen<br />

als ein »Luther <strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong>« betrachtet,<br />

aber er selbst wur<strong>de</strong> niemals lutherisch,<br />

son<strong>de</strong>rn blieb in seinem alten Glauben,<br />

<strong>de</strong>n er freilich – wir wür<strong>de</strong>n ihn heute<br />

einen »Linkskatholiken« nennen – ebenfalls<br />

stark kritisierte. Aber <strong>de</strong>r Mittelpunkt<br />

seines Lebens war eben doch sein christliches<br />

Gewissen.<br />

PARACELSUS hat das ganze Gebiet<br />

<strong>de</strong>r Medizin in vier große Untergruppen<br />

eingeteilt, und es ist reizvoll, einen Vergleich<br />

mit <strong>de</strong>m heutigen Studium <strong>de</strong>r Me-<br />

dizin und Pharmazie zu treffen: Als erste<br />

Säule <strong>de</strong>r Arzneiwissenschaft steht die<br />

Philosophie als empirische Naturerkenntnis<br />

auf philosophischer Grundlage, als<br />

zweite die Astronomie, die Wissenschaft<br />

von <strong>de</strong>r oberen, <strong>de</strong>r geistigen Welt, die<br />

aber auch die Psychosomatik und die<br />

Charakterkun<strong>de</strong> umfaßt, als dritte die Alchimie,<br />

hier im Sinne <strong>de</strong>r Lehre von <strong>de</strong>n<br />

natürlichen Kräften und <strong>de</strong>r chemischen<br />

Arzneizubereitung verstan<strong>de</strong>n, und als<br />

vierte die Tugend, worunter das ärztliche<br />

und pharmazeutische Ethos, die Liebe<br />

<strong>de</strong>s Arztes zu <strong>de</strong>n Patienten und das, was<br />

man heute wohl kaum noch, früher jedoch<br />

ausschließlich unter <strong>de</strong>m Begriff<br />

<strong>de</strong>r »Vocatio« – <strong>de</strong>n man vielleicht mit<br />

»Gewissen« übersetzen könnte – verstand.<br />

Da <strong>de</strong>r offizielle Ausdruck »Ethik« nun<br />

schon von vielen Seiten in einer für mich<br />

nicht mehr nachvollziehbaren Art und<br />

Weise uminterpretiert wur<strong>de</strong>, ziehe ich<br />

persönlich es vor, auf dieses alte, noch<br />

nicht abgenutzte Wort zurückzugreifen.<br />

In diesem Zusammenhang darf ich daran<br />

erinnern, daß es ja lei<strong>de</strong>r RUDOLF<br />

VIRCHOW war, <strong>de</strong>r 1852 das ehemalige<br />

Philosophicum im medizinischen Curriculum<br />

durch ein naturwissenschaftliches<br />

Physicum ersetzte und damit diese sehr<br />

wichtige Seite <strong>de</strong>r ärztlichen Selbstbildung<br />

fortfallen ließ. Gera<strong>de</strong> in unserer<br />

Zeit scheint <strong>de</strong>r berühmte Satz <strong>de</strong>s PY-<br />

THAGORAS wie<strong>de</strong>r an Aktualität zu gewinnen:<br />

»Der Mensch ist das Maß aller<br />

Dinge. Über die Götter vermag ich nichts<br />

zu sagen, we<strong>de</strong>r daß sie sind, noch daß<br />

sie nicht sind.«<br />

Ein solches Wort hätte PARACELSUS<br />

nie gesprochen, weil er <strong>bei</strong> allem Zweifel<br />

an <strong>de</strong>r menschlichen Ordnung doch <strong>de</strong>m<br />

Postulat <strong>de</strong>s SENECA nachfolgte:<br />

»homo res sacra homini« (<strong>de</strong>r Mensch ist<br />

<strong>de</strong>m Menschen eine heilige Sache). Auch<br />

wenn er zugeben mußte, daß eben im<br />

Menschen gute und böse Seiten miteinan<strong>de</strong>r<br />

ringen und er stets zu einem<br />

Machtkampf mit <strong>de</strong>r ihn umgeben<strong>de</strong>n<br />

Natur, aber auch <strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>tirnen aufgefor<strong>de</strong>rt<br />

ist, <strong>de</strong>nn besitze er keine Weisheit,<br />

»... so meistert ihn das <strong>Ges</strong>tirn und macht<br />

aus ihm, was es will. So nun das <strong>Ges</strong>tirn die<br />

37


Magiam gebraucht, so macht sie uns nach<br />

ihrer Art weise und gebärt fromm o<strong>de</strong>r falsch,<br />

hassen, verlogen. Also, da so wir die Ehr nit<br />

wissen zu meistern, so meistert sie uns. Als<br />

die Narren wissen, die Ross nit zu meistern,<br />

darum fliehet sie die Ross, <strong>de</strong>nn die Ross seient<br />

ihr Meister. Aber <strong>Ges</strong>chicklichkeit greift<br />

<strong>de</strong>n Himmel an, <strong>de</strong>n das Ross verursacht.<br />

Der halbe Teil Hominis ist himmlisch. Das<br />

ist <strong>de</strong>r Menschen Tugen<strong>de</strong>n, sind mehr als die<br />

oberen. Die himmlische Weisheit regiert auch<br />

die Er<strong>de</strong>n, so wir die Er<strong>de</strong>n nit wissen zu<br />

meistern, so meistert sie uns. Wir haben <strong>de</strong>s<br />

Himmels Tugend in uns, die sind durc<strong>bei</strong>nan<strong>de</strong>r<br />

gut, bös, wie die Farben vermischt in<br />

Metallen. Nun ist die Tugend nit unser Menschenleben,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n fünf Wesen sollen<br />

wir nachleben. So wir nur <strong>de</strong>s <strong>Ges</strong>tirns Tugend<br />

in uns haben, so hat <strong>de</strong>r Himmel Teil in<br />

uns.«<br />

Schon diese, uns etwas verworren erscheinen<strong>de</strong>n<br />

Äußerungen zeigen, wie<br />

schwer es ist, in das paracelsische Gedankengut<br />

einzudringen. Am klarsten hat<br />

zweifelsohne unser Ehrenpräsi<strong>de</strong>nt es verstan<strong>de</strong>n,<br />

diese paracelsischen Vorstellungen<br />

in eine allgemein verständliche Sprache<br />

umzusetzen, hat er doch in einem<br />

Schlußwort anläßlich eines Aufsatzes »Paracelsus<br />

– Arzt, Theologe und Philosoph«<br />

in <strong>de</strong>n »Ärztlichen Mitteilungen« von<br />

1961 folgen<strong>de</strong>s ausgeführt: »Auch wenn<br />

we<strong>de</strong>r Patient noch Arzt das Lebensen<strong>de</strong> voraussagen<br />

können, das jeweils ein von Gott<br />

gesetztes Ziel hat, besteht doch auf <strong>de</strong>r Seite<br />

<strong>de</strong>s Patienten ein großes Prinzip Hoffnung –<br />

mit PARACELSUS' Worten: ›... also stehet<br />

auch die hoffnung in <strong>de</strong>nen hohen, erfahrenen<br />

dingen, das ist, daß wir unserer kunst vertrauen<br />

sollen und ein hoffnung haben, daß<br />

sie nicht fehlen wird. Wo wir aber in <strong>de</strong>r<br />

hoffnung fehlen, so fehlen unsere frücht ... so<br />

soll die hoffnung unseren künsten auch also<br />

stehen, daß wir sie aus Gott haben und nicht<br />

von menschen und <strong>de</strong>rhalben, dieweil wir's<br />

von Gott haben, so mögen wir hoffen ...‹«<br />

So ist die unbedingte Erhaltung <strong>de</strong>s Lebens<br />

<strong>bei</strong> PARACELSUS zu verstehen,<br />

<strong>de</strong>r auch die Tötung im Krieg und im<br />

Strafvollzug sowie die Selbsttötung kategorisch<br />

ablehnte. Daher spielte für ihn<br />

auch die in <strong>de</strong>r Antike so wesentliche<br />

38<br />

Prognose eine völlig untergeordnete<br />

Rolle. Darüber hinaus war er <strong>de</strong>r Überzeugung,<br />

daß es Krankheiten gibt, die in<br />

Folge unmittelbaren göttlichen Einwirkens<br />

die Macht <strong>de</strong>s Arztes beschränken.<br />

Schließlich habe Gott <strong>de</strong>n Arzt und die<br />

Heilkun<strong>de</strong> geschaffen und ließe sie <strong>de</strong>m<br />

Kranken zukommen, ohne daß das in<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong>r Verfübarkeit läge. Natürlich<br />

sträubt sich die vom Arzt unterstützte<br />

Lebenskraft mit aller Macht gegen <strong>de</strong>n<br />

Tod, und es kann passieren, daß <strong>de</strong>r Tod,<br />

<strong>de</strong>r ebensowenig wie <strong>de</strong>r Arzt die von<br />

Gott gesetzte Stun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Lebensen<strong>de</strong>s<br />

kennt, sich von <strong>de</strong>r Kraft <strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong><br />

vertreiben läßt. An<strong>de</strong>rerseits darf es aber<br />

kein Absentieren von <strong>de</strong>r ärztlichen<br />

Pflicht geben, und GOLDAMMER hat<br />

in seinem Artikel ein Bekenntnis wie<strong>de</strong>rholt,<br />

das mein eigener hochgeschätzter<br />

Lehrer PAUL DIEPGEN in einem, freilich<br />

nach <strong>de</strong>m Kriege falsch verstan<strong>de</strong>nen<br />

Artikel in <strong>de</strong>r Neuen Deutschen<br />

Biographie »Die großen Deutschen« aus<br />

<strong>de</strong>m Jahre 1935 folgen<strong>de</strong>rmaßen umschrieb.<br />

Damals wur<strong>de</strong> von nationalsozialistischer<br />

Seite <strong>de</strong>r angeblich »<strong>de</strong>utsche<br />

Arzt« herausgestellt und seine<br />

theologische Bindung als eine reine Privatangelegenheit<br />

seines Lebenslaufes abgewertet.<br />

DIEPGEN aber betonte:<br />

»Seine Theologie bil<strong>de</strong>te einen Teil seines<br />

Wesens, und wir bedürfen ihrer zum<br />

Verständnis <strong>de</strong>s ganzen Paracelsus. Das<br />

Suchen nach einem persönlichen, unabhängigen<br />

Verhältnis zu Gott lag in seiner<br />

Zeit. Er teilte die religiöse Unruhe mit<br />

manchen Zeitgenossen, aber er fühlte<br />

sich als treuer Sohn <strong>de</strong>r katholischen<br />

Kirche. Innerlich stand er <strong>de</strong>m Papst frei<br />

gegenüber. Über die Abendmahllehre<br />

entwickelte er eigene Ansichten, die ihm<br />

nicht gefährlich wer<strong>de</strong>n konnten. Die<br />

Hauptsache ist, seine Religion ging ganz<br />

und gar in seinem Arzttum auf. Heilen<br />

war ihm eine sinnbildliche Nachfolge<br />

<strong>de</strong>s Heilands, sein Weg das Aufspüren<br />

und Anwen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s göttlichen Wirkens<br />

in <strong>de</strong>r Natur.«<br />

Sie hatten vielleicht von mir eine stärkere<br />

Berücksichtigung ethischer Kasuistiken<br />

erwartet, von <strong>de</strong>nen es eine große


Zahl in <strong>de</strong>m umfangreichen Werk <strong>de</strong>s<br />

PARACELSUS gibt. Aber ich möchte<br />

auch dieses Mal mit einem <strong>de</strong>r schönsten<br />

und eindrucksvollsten Aphorismen <strong>de</strong>s<br />

großen, so oft verkannten Mannes, <strong>de</strong>r<br />

sich PARACELSUS nannte, en<strong>de</strong>n. Er<br />

lautet: »Ein arzt darf kein lascher sein,<br />

kein altes Weib, kein henker, kein lügner,<br />

kein leichtfertiger, son<strong>de</strong>rn soll ein wahrhaftiger<br />

mann sein. wisset, das ein arzt<br />

seinem kranken soll tag und nacht eingebil<strong>de</strong>t<br />

sein und ihn täglich vor augen tragen,<br />

als sein sinn und gedanken, in <strong>de</strong>s kranken<br />

gesuntheit stehen mit wohlbedachter handlung<br />

... « und nun kommt <strong>de</strong>r so oft zitierte<br />

Satz: »... <strong>de</strong>nn im herzen wächst <strong>de</strong>r<br />

arzt, aus gott geht er, <strong>de</strong>s natürlichen lichts<br />

ist er, <strong>de</strong>r höchste grund <strong>de</strong>r arznei aber ist<br />

die liebe.«<br />

39


Meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

ich habe die große Ehre, Sie heute, am<br />

Sonntag Morgen, hier im Haus <strong>de</strong>r Kirche<br />

begrüßen zu dürfen. Vor zwei Jahren, als<br />

wir <strong>de</strong>n ersten Kontakt zur Durchführung<br />

dieses 1. Symposiums hatten, habe ich<br />

mich gern bereiterklärt, Sie im Namen<br />

<strong>de</strong>s Hauses <strong>de</strong>r Kirche willkommen zu<br />

heißen und Ihnen einen kleinen Einblick<br />

in unsere Ar<strong>bei</strong>t zu vermitteln. In <strong>de</strong>r<br />

Zwischenzeit haben sich neue Konstellationen<br />

ergeben, ich bin für einige Zeit zur<br />

Vorbereitung <strong>de</strong>s 27. Deutschen Evangelischen<br />

Kirchentages Leipzig 1997 mit an<strong>de</strong>ren<br />

Aufgaben betraut wor<strong>de</strong>n, aber ich<br />

habe mich trotz<strong>de</strong>m gern <strong>de</strong>m zugesagten<br />

Auftrag gestellt, heute zu Ihnen zu sprechen.<br />

Sicher hat <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re sich<br />

schon über diese Dreikönigskirche, ihren<br />

Wie<strong>de</strong>raufbau und ihre <strong>Ges</strong>chichte informiert.<br />

Wir haben dazu Materialien und<br />

Schriften im Angebot, die ich Ihnen empfehlen<br />

möchte. Es liegt mir fern, Sie mit<br />

baugeschichtlichen Erinnerungen zu strapazieren.<br />

Viel wichtiger scheint mir zu<br />

sein, über die Funktion dieses Hauses zu<br />

sprechen, über die Möglichkeiten und<br />

Chancen, die wir mit <strong>de</strong>m Haus <strong>de</strong>r Kirche<br />

haben.<br />

Diese Chancen eröffneten sich dadurch,<br />

daß nach <strong>de</strong>r Zerstörung <strong>de</strong>r<br />

großen Kirche – sie hatte immerhin über<br />

3500 Plätze – am 13. Februar 1945 endlich<br />

Anfang <strong>de</strong>r 80er Jahre <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>raufbau<br />

gestattet wur<strong>de</strong>. Die Ruine bestand<br />

nur aus <strong>de</strong>m Turm und <strong>de</strong>n Außenmauern<br />

<strong>de</strong>s Schiffes, so daß gute I<strong>de</strong>en gefragt<br />

waren, diesen hohlen Körper zu füllen.<br />

Die vertikale Teilung <strong>de</strong>s Schiffes mit dieser<br />

Mauer bot Gelegenheit, im Ostteil <strong>de</strong>r<br />

Kirche, in <strong>de</strong>m wir uns jetzt befin<strong>de</strong>n, ein<br />

Konferenz- und Tagungszentrum mit<br />

guter Ausstattung einzubauen, während<br />

<strong>de</strong>r Westteil <strong>de</strong>r Kirche als Gottesdienstraum<br />

wie<strong>de</strong>r hergestellt wur<strong>de</strong>. Damit<br />

40<br />

Dieter Kahle<br />

BEGRÜSSUNG AM SONNTAG<br />

eröffneten sich für die Ar<strong>bei</strong>t <strong>de</strong>r Kirche<br />

neue Fel<strong>de</strong>r, um auf die verän<strong>de</strong>rte Situation<br />

in Kirche und <strong>Ges</strong>ellschaft einzugehen.<br />

Die Gemein<strong>de</strong> Jesu Christi besteht<br />

heute nicht mehr in <strong>de</strong>m Maße wie vor<br />

einigen Jahrzehnten allein aus <strong>de</strong>r Pachochialgemein<strong>de</strong>,<br />

die ihre geordneten<br />

Strukturen hat und dadurch mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger regelmäßig die Botschaft Gottes<br />

an die Menschen herantragen kann.<br />

Starke Säkularisierungsphasen, für uns<br />

am <strong>de</strong>utlichsten erfahrbar während <strong>de</strong>r<br />

40jährigen Etappe <strong>de</strong>s kommunistischen<br />

Regimes, haben eine Mauer zwischen <strong>de</strong>r<br />

Kirche und ihrem Evangelium einerseits<br />

und vielen Menschen unserer <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

an<strong>de</strong>rerseits entstehen lassen, die<br />

zwar seit einigen Jahren zerfallen ist, ihre<br />

Folgeerscheinungen aber noch wirksam<br />

zurückläßt. In erster Linie sind es die<br />

Gleichgültigkeit und die Uninteressiertheit<br />

gegenüber christlichem Glauben und<br />

seinen Konsequenzen, die heute die Distanz<br />

charakterisieren. Da viele Menschen<br />

die christlichen Wurzeln humanistischer<br />

Ethik nicht kennen, vermögen sie<br />

auch das Erbe <strong>de</strong>r Christen <strong>de</strong>r Vergangenheit<br />

nicht richtig einzuschätzen und<br />

darauf aufzubauen. Ich weiß, daß die restriktiven<br />

Maßnahmen <strong>de</strong>r SED-Herrschaft<br />

nur eine Wurzel <strong>de</strong>r Abkehr von<br />

christlichen Lebenserfahrungen ist. Deshalb<br />

ist auch ein Vergleich <strong>de</strong>r Symptome<br />

in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>ellschaft in Ost und West<br />

möglich und sinnvoll. Die Kirche als Institution,<br />

die ihre Existenzberechtigung<br />

zum Großteil daraus ableitet, daß sie das<br />

Evangelium allen Menschen nahe bringen<br />

will, muß nun in dieser verän<strong>de</strong>rten<br />

gesellschaftlichen Situation annehmbare,<br />

z. T. neue Wege suchen und fin<strong>de</strong>n, um<br />

dieser ihrer Aufgabe gerecht zu wer<strong>de</strong>n.<br />

So begibt sie sich auf die Gratwan<strong>de</strong>rung<br />

zwischen <strong>de</strong>m sogenannten gesellschaftlichem<br />

Engagement und einer ein<strong>de</strong>utigen<br />

Verkündigung.


Es scheint mir, daß es vielfach mit diesem<br />

Haus gut gelungen ist, diese Gratwan<strong>de</strong>rung<br />

zu bestehen. Ein wichtiges Element<br />

sehe ich in <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>taltung dieses<br />

Hauses, z. B. durch dieses Bild <strong>de</strong>s Dresdner<br />

Malers Werner Juza, das das Thema<br />

»Versöhnung« darstellt. Beispielsweise hat<br />

vom 28. Oktober 1990 bis En<strong>de</strong> 1993 vor<br />

diesem Bild <strong>de</strong>r sächsische Landtag seine<br />

Plenarberatungen durchgeführt. Monatlich<br />

3 Tage war die oberste sächsische Volksvertretung<br />

mit <strong>de</strong>n Aussagen dieses Bil<strong>de</strong>s<br />

konfrontiert, mit <strong>de</strong>m Gegensatz zwischen<br />

Gewalt und Gewaltlosigkeit, mit <strong>de</strong>n Gefahren<br />

ökologischer Sün<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Bedrohung<br />

<strong>de</strong>s wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Lebens. Wir sind<br />

sehr froh und dankbar, daß die Sächsische<br />

Staatsverfassung vor <strong>de</strong>m in seiner christlichen<br />

Aussage ein<strong>de</strong>utigen Bild beschlossen<br />

und unterschrieben wur<strong>de</strong>.<br />

Viele an<strong>de</strong>re, von ihrem Inhalt her<br />

auch nicht mit christlicher Botschaft zusammenhängen<strong>de</strong><br />

Tagungen und Konferenzen<br />

haben inzwischen hier stattgefun<strong>de</strong>n.<br />

Immer waren die Mitar<strong>bei</strong>ter <strong>de</strong>s<br />

Hauses bemüht, <strong>de</strong>n Teilnehmern ohne<br />

je<strong>de</strong> Aufdringlichkeit etwas vom Evangelium<br />

durch ihr Verhalten und die Atmosphäre<br />

weiterzugeben.<br />

Wir schätzen uns glücklich, daß Sie für<br />

Ihr erstes Dresdner Symposium dieses<br />

Haus gewählt haben und hoffen, daß<br />

Ihre Beratungen zu <strong>de</strong>n gewünschten<br />

und erhofften Ergebnissen führen, daß<br />

Sie sich hier wohlfühlen und daß unsere<br />

Hoffnung auf ein zweites Dres<strong>de</strong>n Symposium<br />

in unserem Haus in Erfüllung<br />

geht.<br />

Gottes Segen für Ihre weiteren Beratungen.<br />

41


Der frühe Matthäuskommentar <strong>de</strong>s Paracelsus,<br />

<strong>de</strong>ssen erster Teil wohl 1525 in<br />

Salzburg verfaßt wur<strong>de</strong>, während seine<br />

Fortsetzung zwischen 1525 und 1526 entstand,<br />

gehört zu <strong>de</strong>n Werken <strong>de</strong>s Paracelsus,<br />

die sowohl von <strong>de</strong>r Reformation wie<br />

auch vom Humanismus beeinflußt wor<strong>de</strong>n<br />

sind. Das wird daran <strong>de</strong>utlich, daß<br />

Paracelsus sich <strong>bei</strong> seinen Matthäusauslegungen<br />

<strong>de</strong>r lateinischen Übersetzung <strong>de</strong>s<br />

Neuen Testaments und <strong>de</strong>r Annotationes<br />

(=Anmerkungen) <strong>de</strong>s Erasmus von Rotterdam<br />

bedient hat. In seinen exegetischen<br />

Ausführungen kann man so <strong>de</strong>utliche<br />

Berührungspunkte und auch<br />

Abgrenzungen zum Bibelhumanismus <strong>de</strong>s<br />

Erasmus erkennen.<br />

Ein weiteres Resultat <strong>de</strong>r eingehen<strong>de</strong>n<br />

Analyse dieses frühen Kommentars besteht<br />

darin, daß Paracelsus sich das sola<br />

scriptura (= allein durch die Schrift) <strong>de</strong>r<br />

Reformation angeeignet hat – was für die<br />

Zeit eigentlich nicht erstaunlich ist, aber<br />

ungewöhnlich für einen Mediziner und<br />

Naturphilosophen, <strong>de</strong>r eine Laientheologie<br />

betreibt. Im Matthäuskommentar erweist<br />

sich Paracelsus stärker noch als in<br />

seinen kirchenkritischen Schriften aus <strong>de</strong>rselben<br />

Zeit am ehesten als Theologe <strong>de</strong>r<br />

a) Armut und Liebe<br />

In seiner Auslegung <strong>de</strong>r Seligpreisungen<br />

<strong>de</strong>r Bergpredigt hebt Paracelsus stark die<br />

Seligkeit <strong>de</strong>r armen und lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Menschen<br />

hervor. Da<strong>bei</strong> möchte er die Aussage<br />

Matth. 5,3 »Selig sind die geistlich<br />

Armen, <strong>de</strong>nn ihrer ist das Reich <strong>de</strong>r Himmel«<br />

wörtlich verstehen: Christus läßt die<br />

Armen an <strong>de</strong>r Seligkeit teilhaben, nicht<br />

die Reichen. Denn diese sind mit <strong>de</strong>r<br />

Sorge um ihre zeitlichen Güter beschäftigt.<br />

Der Geist <strong>de</strong>r Seligkeit liegt allein <strong>bei</strong><br />

<strong>de</strong>n armen Menschen, wie auch das<br />

Gleichnis vom reichen Jüngling zeigt.<br />

42<br />

Ute Gause / Münster<br />

DIE CHRISTLICHE ETHIK DES PARACELSUS<br />

IN SEINEM FRÜHEN MATTHÄUSKOMMENTAR – WEGWEISER<br />

FÜR DIE GEGENWART?<br />

I.<br />

Reformation. In seinen exegetischen Auslegungen<br />

<strong>de</strong>s Matthäuskommentars wird<br />

ihm die Bibel zur Richtschnur menschlichen<br />

Han<strong>de</strong>lns. Sie gibt Anweisung für<br />

die Lebensgestaltung <strong>de</strong>r Christen. Zum<br />

christlichen Lebensvollzug gehört da<strong>bei</strong><br />

von vornherein untrennbar das ethisch<br />

richtige Han<strong>de</strong>ln. Der Glaube muß ins<br />

Leben umgesetzt wer<strong>de</strong>n. Die Christen<br />

sind auf Gott verwiesen, wie er sich in<br />

<strong>de</strong>r Bibel offenbart und nicht auf die Partizipation<br />

an veräußerlichten Zeremonien.<br />

Die Bibel besitzt da<strong>bei</strong> glaubenskonstituieren<strong>de</strong><br />

Autorität. Da<strong>bei</strong> bemüht<br />

sich Paracelsus in starkem Maße um eine<br />

Aktualisierung und Existentialisierung<br />

<strong>de</strong>s Wortes Gottes.<br />

Ich möchte in einem ersten Teil auf einige<br />

zentrale ethische Aussagen <strong>de</strong>s paracelsischen<br />

Matthäuskommentars eingehen,<br />

um in einem zweiten Teil zu fragen,<br />

inwiefern diese Vorstellungen auch heute<br />

noch von Relevanz sein können. Da<strong>bei</strong><br />

beschränke ich mich auf die Erläuterung<br />

von drei Aspekten, die in <strong>de</strong>r Auslegung<br />

eine wichtige Rolle spielen: es geht erstens<br />

um die Aussagen zu Armut und Liebe,<br />

zweitens um die zum Gebet und drittens<br />

um die Ausführungen zum Christusbild.<br />

Die Botschaft Jesu Christi ist <strong>de</strong>zidiert<br />

Botschaft für die Armen, die durch Christus<br />

von ihren körperlichen und seelischen<br />

Schmerzen befreit wer<strong>de</strong>n. Mit<br />

dieser Auslegung begibt sich Paracelsus<br />

in direkten Gegensatz zu <strong>de</strong>n Erläuterungen<br />

<strong>de</strong>s Erasmus, <strong>de</strong>r die »Armen im<br />

Geist« als die Demütigen verstehen will.<br />

Christus spricht die an, die durch die<br />

Gewalt ihrer Obrigkeit unterdrückt wer<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>r Auslegung von Matth. 5,5<br />

»Selig sind die Sanftmütigen« wird spezifiziert,<br />

welche Menschen geeignet sind,<br />

die Botschaft Christi zu verstehen: es


sind die Menschen, die mil<strong>de</strong> und sanftmütig<br />

sind, in Gegensatz zu all <strong>de</strong>nen, die<br />

ein steinernes Herz besitzen. Nur wer ein<br />

weiches Herz hat, kann das Wort Gottes<br />

in sein Herz einlassen. Die Christen<br />

haben Leid und Verfolgung hinzunehmen.<br />

Sie sind selbst jedoch verpflichtet,<br />

an<strong>de</strong>re zu achten und zu lieben. Aus dieser<br />

Liebe gehen uneigennützige Werke<br />

hervor. Paracelsus for<strong>de</strong>rt hier eine Verinnerlichung<br />

<strong>de</strong>s Glaubens und eine existentielle<br />

Aneignung <strong>de</strong>r Glaubensinhalte.<br />

Wie soll nun <strong>de</strong>r gläubige Mensch<br />

leben? Wie bringt <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Geist<br />

verwan<strong>de</strong>lte Mensch Frucht? Der gläubige<br />

Mensch soll in <strong>de</strong>r Tat die Welt verän<strong>de</strong>rn.<br />

Für ihn gilt das Gebot <strong>de</strong>r Nächstenliebe.<br />

Diese Nachfolge ist untrennbar<br />

mit <strong>de</strong>m Verzicht auf Reichtum und<br />

Wohlleben verbun<strong>de</strong>n. Paracelsus zieht<br />

hier durchaus auch <strong>de</strong>n Umkehrschluß:<br />

Wer Geld und Gut besitzt und sich <strong>de</strong>m<br />

Wohlleben ergibt, gilt ihm als verdammt.<br />

Das be<strong>de</strong>utet: Die Menschen müssen<br />

Christus in Kreuz und Lei<strong>de</strong>n nachfolgen.<br />

Die Verleugnung <strong>de</strong>r Welt und die konsequente<br />

Nachfolge bil<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s<br />

Gläubigen zu Gott. Nur <strong>de</strong>r christusförmige<br />

Mensch kann jedoch sein Leben in<br />

<strong>de</strong>r Nachfolge gestalten.<br />

b) Gebet<br />

An <strong>de</strong>r Auslegung von Matth. 6,5 »Und<br />

wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die<br />

Heuchler« wird <strong>de</strong>utlich, welchen zentralen<br />

Platz Paracelsus <strong>de</strong>m Gebet einräumt.<br />

Es dient dazu, <strong>de</strong>n Glauben allen Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong>n<br />

zum Trotz zu bewahren, und es<br />

soll als Mittel gegen die Versuchungen <strong>de</strong>s<br />

Teufels eingesetzt wer<strong>de</strong>n. Das Vaterunser<br />

ist das einzige Gebet, das Paracelsus akzeptiert,<br />

wohl weil es in <strong>de</strong>r Bibel steht<br />

und von Christus eingeführt wur<strong>de</strong>. Ein<br />

Plappergebet, das allein ein »Maulwerk«<br />

ist, wird abgelehnt. Man soll mit <strong>de</strong>m<br />

Herzen beten, nicht mit <strong>de</strong>m Mund. Gera<strong>de</strong><br />

in Situationen <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns soll <strong>de</strong>r<br />

Mensch wachen und beten, um nicht seiner<br />

körperlichen und geistlichen Schwachheit<br />

zu erliegen. Das Gebet gilt daher als<br />

Abwehr in Situationen <strong>de</strong>r Angst und Anfechtung.<br />

Es kann nicht an an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>le-<br />

giert wer<strong>de</strong>n. Je<strong>de</strong>r muß selbst beten,<br />

<strong>de</strong>nn was <strong>de</strong>r Mensch Gott schuldig ist,<br />

muß er selbst tun. In Anlehnung an<br />

Matth. 7,8 heißt das: »ein jeglicher soll<br />

selbst gott bitten, selbsten anklopfen, suchen.«<br />

Christus selbst lehrt dies und<br />

wehrt damit die Auffassung ab, daß Heilige,<br />

Fürsprecher, Redner, Priester, Mönche<br />

und an<strong>de</strong>re das Beten für an<strong>de</strong>re<br />

Menschen übernehmen können.<br />

Die hauptsächliche Funktion <strong>de</strong>s Gebets<br />

sieht Paracelsus in <strong>de</strong>r Festigung <strong>de</strong>s<br />

Glaubens, zum Lebensvollzug <strong>de</strong>r Gläubigen<br />

ist es unverzichtbar. Dieser Glaube<br />

ist Angelegenheit <strong>de</strong>s Herzens und damit<br />

<strong>de</strong>s einzelnen Menschen. Der gläubige<br />

Christ darf an <strong>de</strong>r offiziellen Kirche, die<br />

ganz <strong>de</strong>r Veräußerlichung verfallen ist,<br />

nicht partizipieren. Statt<strong>de</strong>ssen soll er<br />

sein ganzes Vertrauen auf Christus setzen.<br />

Das Gottvertrauen <strong>de</strong>s einzelnen<br />

Menschen erweist sich an seinem Verzicht<br />

auf materielle Vorsorge und auf die<br />

sinnlosen Zeremonien <strong>de</strong>r Kirche. Da<strong>bei</strong><br />

besitzt je<strong>de</strong>r Mensch die Fähigkeit, seinen<br />

Glauben auf je eigene Art umzusetzen.<br />

Der Heilige Geist teilt sich nicht nur<br />

<strong>de</strong>m intellektuell Gebil<strong>de</strong>ten mit. Wer<br />

sich auf die Grundlage <strong>de</strong>s Glaubens, das<br />

Evangelium, stützt, kann nicht fehlgehen.<br />

Die Macht <strong>de</strong>s Heiligen Geistes<br />

kann <strong>de</strong>n ganzen Menschen verwan<strong>de</strong>ln:<br />

Der durch <strong>de</strong>n Geist verwan<strong>de</strong>lte Mensch<br />

bringt Frucht. Da<strong>bei</strong> soll das Hören auf<br />

Gottes Wort das Leben <strong>de</strong>s Menschen bestimmen.<br />

Im Angesicht Gottes verblassen<br />

nämlich alle menschlichen Werte. Der<br />

Glaube ist das einzige, was <strong>de</strong>n Menschen<br />

erhält.<br />

c) Das Christusbild<br />

Der Mensch muß Christus in sich aufnehmen<br />

und durch <strong>de</strong>ssen Fleisch und<br />

Blut <strong>de</strong>n Weg zum Himmelreich gehen.<br />

Diese Verschmelzung mit Christi Fleisch<br />

und Blut durch das Abendmahl be<strong>de</strong>utet<br />

damit Aufgabe <strong>de</strong>r eigenen I<strong>de</strong>ntität. Das<br />

Bekenntnis zu Christus führt dann zu<br />

einer Verschmelzung: Der Gläubige lebt<br />

in und durch Christus. Allein Christus<br />

befreit <strong>de</strong>n Menschen von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Er<br />

erschließt <strong>de</strong>n Menschen, die ihn suchen,<br />

43


<strong>de</strong>n rechten Weg. Das be<strong>de</strong>utet allerdings<br />

auch, daß <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r diesen Weg<br />

einschlagen will, sich vom Weltleben abwen<strong>de</strong>n<br />

muß, um <strong>de</strong>n engen Weg nach<br />

<strong>de</strong>m Beispiel Christi zu gehen. Dazu<br />

gehört <strong>bei</strong>spielsweise auch die Fein<strong>de</strong>sliebe,<br />

die Christus <strong>de</strong>n Menschen näherbringt.<br />

Der im Evangelium begegnen<strong>de</strong> Christus<br />

ist das Zentrum <strong>de</strong>s Glaubens. Durch<br />

ihn wird <strong>de</strong>r Mensch aus seiner Gottferne<br />

befreit. Christus ist <strong>de</strong>r süße, <strong>de</strong>r gnädige<br />

Christus, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Menschen trotz seiner<br />

Sün<strong>de</strong> annimmt. Das fromme Individuum,<br />

das seine Handlungsanweisungen<br />

aus <strong>de</strong>m Evangelium bezieht, bedarf<br />

we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>r Geistlichen und<br />

erst recht nicht <strong>de</strong>r einer verfaßten Kirche.<br />

Für je<strong>de</strong>n Gläubigen gilt die Auffor<strong>de</strong>rung<br />

Matth. 18, 5 ff., Christus wie ein<br />

Kind zu empfangen, d. h. die eigene<br />

Weltweisheit und Vernunft und auch die<br />

luxuriösen Klei<strong>de</strong>r abzulegen.<br />

Christus muß als wahrhaftiger, gerechter<br />

Sohn Gottes bekannt wer<strong>de</strong>n, Licht<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit, Weg <strong>de</strong>r Wahrheit, <strong>de</strong>r,<br />

durch <strong>de</strong>n alle Seligkeit gegeben wird.<br />

Das Bekenntnis zu Christus soll – nach<br />

<strong>de</strong>n Ausführungen zu Matth. 10,32 »Wer<br />

immer nun sich zu mir bekennt vor <strong>de</strong>n<br />

Menschen, zu <strong>de</strong>m wer<strong>de</strong> auch ich mich<br />

bekennen vor meinem himmlischen<br />

Vater.« – folgen<strong>de</strong>rmaßen lauten:<br />

»Das Bekennen dient allein auf das, daß<br />

Jesus bekannt wer<strong>de</strong>, daß er sei Gottes Sohn,<br />

daß er sei Christus, daß er sei Messias, daß er<br />

sei Emmanuel, daß er sei <strong>de</strong>r Verheißene. Das<br />

ist seiner Person weiter, daß er das Licht sei,<br />

die Wahrheit, das Leben, unser Fleisch und<br />

Blut, <strong>de</strong>r Weg, <strong>de</strong>r Seligmacher, <strong>de</strong>r Erlöser.<br />

Ganz <strong>de</strong>utlich geht aus <strong>de</strong>n Ausführungen<br />

hervor, wie sehr Christus für Paracelsus<br />

Grund und Mitte <strong>de</strong>s Glaubens ist.<br />

Hier geht es nicht nur um eine bloße Vorbildfunktion,<br />

son<strong>de</strong>rn mit Hilfe <strong>de</strong>s<br />

Abendmahls kann eine fast mystische Aneignung<br />

<strong>de</strong>r Person Christi stattfin<strong>de</strong>n,<br />

die <strong>de</strong>n Menschen zur Nachfolge befähigt.<br />

Han<strong>de</strong>lt es sich hier nicht um ein<br />

44<br />

II.<br />

Weiter, daß er <strong>de</strong>r sei, <strong>de</strong>r genug getan bat<br />

für unsere Sün<strong>de</strong>, uns von ihr befreit ( ..)<br />

daß wir all unser Zuflucht zu ihm haben, <strong>bei</strong><br />

ihm in Gna<strong>de</strong>n sitzen und durch ihn gehen<br />

und in ihm und mit ihm, welcher das tut, <strong>de</strong>r<br />

bekennt ihn seliglich. « 1<br />

Dieses umfangreiche Bekenntnis enthält<br />

nicht nur viele christologische Hoheitstitel,<br />

es betont vor allem auch, daß<br />

allein durch Christus die Sün<strong>de</strong> hinweggenommen<br />

wird. Von einer Fähigkeit <strong>de</strong>s<br />

einzelnen Menschen zum Guten ist nicht<br />

die Re<strong>de</strong>, statt<strong>de</strong>ssen geht es um ein fast<br />

mystisches Einswer<strong>de</strong>n mit Christus<br />

(durch ihn, in ihm, mit ihm). Durch die<br />

Bezeichnung Christi als »unser fleisch<br />

und blut« <strong>de</strong>utet sich bereits die paracelsische<br />

Abendmahlslehre an, daß <strong>de</strong>r<br />

Mensch seinen ewigen Leib stärkt und<br />

aufbaut durch das Essen und Trinken<br />

von Fleisch und Blut Christi. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

Mensch Christus in sich aufnimmt, wird<br />

er ihm immer mehr angeglichen.<br />

Christus ist außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Einzige, <strong>de</strong>r<br />

vollmächtig für an<strong>de</strong>re beten kann und<br />

<strong>de</strong>r durch seine Fürbitte die Menschen<br />

selig macht: »Kein Mensch mag sich selig<br />

bitten, <strong>de</strong>nn all unser Bitten ist nichts zu <strong>de</strong>r<br />

Seligkeit. Allein Christus muß uns selig machen<br />

durch sein Bitten. Unser Bitten ist umsonst.«<br />

2 Der Mensch kann vor Gott nichts<br />

tun; er ist <strong>de</strong>r Ohnmächtige, für <strong>de</strong>n<br />

Christus eintritt. Der christusförmige<br />

Mensch soll sein Leben in <strong>de</strong>r Nachfolge<br />

Christi gestalten. Dieser Weg jedoch, obwohl<br />

er sich vom prunkvollen Weltleben<br />

unterschei<strong>de</strong>t, ist für <strong>de</strong>n Menschen süß,<br />

<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Mensch gestaltet sein Leben in<br />

Glauben und Liebe und mit freudiger<br />

Gewißheit seiner Annahme <strong>bei</strong> Gott.<br />

unbequemes Erbe, das Paracelsus <strong>de</strong>n<br />

heutigen Menschen überlassen hat? Wir<br />

leben in einer weitgehend säkularisierten<br />

Welt. Die Botschaft <strong>de</strong>r Bibel ist <strong>de</strong>n<br />

meisten Menschen fremd. Paracelsus aber<br />

entnimmt ihr Handlungsanweisungen,<br />

die zu<strong>de</strong>m hohe Anfor<strong>de</strong>rungen stellen.<br />

Er verlangt von <strong>de</strong>n Reichen und Satten,<br />

daß sie auf üppiges, luxuriöses Leben


verzichten, und er sagt <strong>de</strong>n Armen, daß<br />

gera<strong>de</strong> sie es sind, <strong>de</strong>nen Gott durch<br />

Christus ganz nahe kommen will. Mo<strong>de</strong>rn<br />

gesprochen han<strong>de</strong>lt es sich sicherlich<br />

um eine For<strong>de</strong>rung nach Beschränkung<br />

und Beschei<strong>de</strong>nheit, die einer<br />

Wohlstandsgesellschaft wohl ansteht und<br />

die heute aktueller ist als je. Es ist eine<br />

Verzichtsethik, die Paracelsus hier vertritt.<br />

Er ist beherrscht von <strong>de</strong>r Auffassung,<br />

daß es <strong>de</strong>r Glaube ist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Menschen grundlegend verwan<strong>de</strong>lt und<br />

zur Nächstenliebe befähigt. Wahrer<br />

Reichtum ist damit innerlicher Reichtum,<br />

ist Erfahrung <strong>de</strong>r Annahme durch Gott.<br />

Das soll auch keine Vertröstung sein auf<br />

ein besseres jenseits, son<strong>de</strong>rn die klare<br />

Einschärfung <strong>de</strong>s Wissens, daß das irdische<br />

Leben je<strong>de</strong>s Menschen begrenzt ist,<br />

und er es nicht damit zubringen sollte,<br />

Dinge anzuhäufen, die vergänglich sind.<br />

O<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs formuliert, und ich <strong>de</strong>nke<br />

durchaus im paracelsischen Sinne: Wir<br />

sollten nicht unsere gesamte Zeit damit<br />

verbringen, Häuser zu bauen, zu planen,<br />

zu rechnen, uns abzusichern, son<strong>de</strong>rn<br />

uns klar machen, daß wir auf einem<br />

Campingplatz leben und in dieser Welt<br />

nur für eine geringe Zeit unsere Zelte<br />

aufgeschlagen haben.<br />

Ganz mo<strong>de</strong>rn wirkt es zu<strong>de</strong>m, mit welcher<br />

Unabhängigkeit je<strong>de</strong>r Mensch seinen<br />

Glauben verwirklichen kann: er<br />

braucht dafür zwar das Wort Gottes, das<br />

Evangelium, aber er bedarf keiner Zeremonien<br />

und anscheinend auch keiner<br />

Kirche. Paracelsus kritisiert die damaligen<br />

Mißstän<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Kirche sehr scharf.<br />

Diese Kritik kommt häufig einer Verwerfung<br />

nahe. Paracelsus ist auch von seinen<br />

Anhängern oft so verstan<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n,<br />

daß er je<strong>de</strong> Form <strong>de</strong>r äußeren Kirche verwirft.<br />

Tatsächlich tritt er für eine sehr individualistische<br />

Verwirklichung <strong>de</strong>s Glaubens<br />

ein. Diese Vorstellung ist <strong>de</strong>n<br />

heutigen Menschen wie<strong>de</strong>r sehr nahe,<br />

wenn man an die zahllosen Glaubensrichtungen<br />

und I<strong>de</strong>ologien <strong>de</strong>nkt, <strong>de</strong>nen<br />

man heute anhängen kann. Der Bedarf,<br />

einen Sinn <strong>de</strong>s Lebens zu fin<strong>de</strong>n, ist<br />

nach wie vor groß, und es gibt viele, die<br />

sich das Sinnvakuum, das sich durch die<br />

weitgehen<strong>de</strong> Säkularisierung ergeben hat,<br />

zunütze machen. Allerdings bin ich sicher,<br />

daß Paracelsus <strong>bei</strong> allem Individualismus<br />

die Konzentration seines Glaubens<br />

auf Christus nicht preisgegeben<br />

hätte. Das vorhin zitierte Bekenntnis legt<br />

ein beredtes Zeugnis davon ab. Individualismus<br />

heißt <strong>bei</strong> ihm nicht Beliebigkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn ein individuelles Streben nach<br />

verinnerlichter Frömmigkeit, die an biblischen<br />

Maßgaben orientiert ist. Zu<strong>de</strong>m<br />

verzichtet Paracelsus nicht auf das Sakrament<br />

<strong>de</strong>s Abendmahls als Konstitutivum<br />

für <strong>de</strong>n Glauben. In irgen<strong>de</strong>iner Form<br />

hält er also an einem Kirchenverständnis<br />

fest.<br />

Dennoch ist es ein Reformchristentum<br />

– jenseits von Katholizismus und Protestantismus<br />

–, das Paracelsus verwirklichen<br />

möchte, in <strong>de</strong>m das lebendige Eintreten<br />

für <strong>de</strong>n Glauben verbun<strong>de</strong>n ist mit<br />

einer mystisch-asketischen Lebenshaltung<br />

und <strong>de</strong>r Freiheit von hierarchischen<br />

Strukturen. Maßstab dieses Christentums<br />

ist und bleibt die Bibel, und hierin erweist<br />

sich Paracelsus als Zeitgenosse Luthers<br />

und <strong>de</strong>r Reformation. Will man das<br />

Erbe <strong>de</strong>s Paracelsus verstehen, kommt<br />

man an dieser Tatsache nicht vor<strong>bei</strong>. Als<br />

mo<strong>de</strong>rne Menschen setzen wir oft Verbindlichkeit<br />

und Zwang gleich. Paracelsus<br />

macht <strong>de</strong>utlich, daß es eine Form <strong>de</strong>r<br />

Verbindlichkeit gibt, die zu einer Freiheit<br />

von <strong>de</strong>r Welt und ihren Zwängen führt.<br />

Hierin könnte er in <strong>de</strong>n postmo<strong>de</strong>rnen<br />

Zeiten <strong>de</strong>r Orientierungslosigkeit wegweisend<br />

sein.<br />

1 normalisierte Übertragung aus: »Anhang zum Frühen Matthäuskommentar«, 37 b.<br />

2 Ebd., 43 b<br />

Dieser Vortrag beruht im wesentlichen auf:<br />

Ute Gause, Paracelsus (1493- 1541). Genese und Entfaltung seiner frühen Theologie, (Spätmittelalter und Reformation<br />

N. R. 4), Tübingen 1993, S. 160-258. Auf Einzelnachweise wur<strong>de</strong> daher verzichtet.<br />

45


Verehrte Präsi<strong>de</strong>nten!<br />

Meine Damen und Herren!<br />

Liebe Paracelsusfreun<strong>de</strong>!<br />

Es ist mir eine herzliche Freu<strong>de</strong>, zur<br />

Stun<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>r ich sonst an <strong>de</strong>n Altar und<br />

auf die Kanzel trete, zu ihnen sprechen<br />

zu dürfen zum Thema: »Der religiöse<br />

Gehalt <strong>de</strong>r ›philosophei‹ <strong>de</strong>s Paracelsus«.<br />

Das geschieht in einem Gotteshaus, das<br />

vor Jahren zugleich zu einem Kongreßzentrum<br />

gestaltet wur<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>m immerhin<br />

treffen<strong>de</strong>n Namen »Dreikönigskirche«.<br />

Dres<strong>de</strong>n und seine Deutsche<br />

<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft wählte für das I.<br />

Dresdner Symposium zu Theophrast von<br />

Hohenheim genial diese Kirche, die recht<br />

eigentlich die Magier aus <strong>de</strong>m Osten, die<br />

durch <strong>de</strong>n Stern zu Christus geführt wer<strong>de</strong>n,<br />

zu Patronen hat. Wissenschaft und<br />

Glaube sind das Motiv <strong>de</strong>r »Weisen aus<br />

<strong>de</strong>m Morgenland«. <strong>Ges</strong>tatten Sie, verehrter<br />

Herr Direktor Kahle, Ihnen diese sinnreiche<br />

Beziehung hoffnungsvoll für die<br />

Ar<strong>bei</strong>t hier zu empfehlen: Denken und<br />

Leben <strong>de</strong>r »Magi« aus Matthäus 2 geheimnisvoll<br />

zum Glauben zu leiten.<br />

Stete Faszination und geschichtliche Wirkung<br />

<strong>de</strong>s medizinisch-naturphilosophischen<br />

<strong>Ges</strong>amtwerkes beruhen in religiöser<br />

Begründung und schöpferischer Frömmigkeit<br />

Theophrast von Hohenheims.<br />

Dazu ließen dann seine spannen<strong>de</strong> Biographie<br />

und <strong>de</strong>r im christlichen Glauben<br />

grün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Charakter <strong>de</strong>n wan<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n<br />

Arzt und Laientheologen durch Jahrhun<strong>de</strong>rte<br />

hin in Aufmerksamkeit, Wertschätzung<br />

und Bewun<strong>de</strong>rung folgenreich weiterleben.<br />

Durchzogen sind die medizinisch-naturphilosophischen<br />

Texte von Anfang an<br />

oft von Hinweisen auf Gottes Schöpfung<br />

<strong>de</strong>r »Natur« und die mit ihr gegebene<br />

hohe Verantwortung <strong>de</strong>r Philosophen und<br />

Ärzte. Das abschließen<strong>de</strong> Hauptwerk<br />

46<br />

Michael Bunners, Wismar<br />

DER RELIGIÖSE GEHALT DER »pbilosophei« DES PARACELSUS<br />

»Astronomia Magna o<strong>de</strong>r Philosophia<br />

Sagax« von 1537 bietet schließlich eine<br />

Fülle religiöser Aussagen und Assoziationen<br />

im forschen<strong>de</strong>n Erfassen <strong>de</strong>r<br />

»Großen und Kleinen Welt«.<br />

Daß Gott die Welt geschaffen hat, ist<br />

Voraussetzung sämtlicher naturphilosophischer<br />

Gedanken <strong>de</strong>s Paracelsus. Gott<br />

ist <strong>de</strong>s Menschen »und <strong>de</strong>r natur schöpfer«,<br />

wo<strong>bei</strong> zugleich die Welt durch die Güte<br />

Gottes bestimmt wird: »also hat <strong>de</strong>r Schöpfer,<br />

<strong>de</strong>r die welt gemacht hat, bewert sein<br />

güte. dan was ist die ganz welt als ein zeichen<br />

das sie gottes ist und das sie got gemacht<br />

hat? ... also auch mit allen an<strong>de</strong>rn dingen<br />

hat got die werk gemacht und sind zeichen,<br />

das sie gottes ar<strong>bei</strong>t sind« 1 . Für die Schöpfertätigkeit<br />

Gottes gebraucht Paracelsus<br />

gern das Bild <strong>de</strong>s Künstlers. Gott gilt ihm<br />

als »componist«, <strong>de</strong>r die Welt gegrün<strong>de</strong>t<br />

hat. Von <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Welt gilt: »also<br />

hat es <strong>de</strong>r fabricator wollen haben« 2 . Gott ist<br />

»ein meister«, <strong>de</strong>m »niemants mag nachtun«<br />

3 . Die Welt ist gemacht »aus nichts,<br />

das ist alein gemacht durch das wort gottes,<br />

das fiat geheißen hat« 4 .<br />

Doch dann beschäftigen die durch das<br />

Wort Gottes gegebenen Zusammenhänge<br />

und Dinge <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>n forschen<strong>de</strong>n<br />

Arzt so sehr, daß auf weitere theologische<br />

Aussagen über <strong>de</strong>n Schöpfungsvorgang<br />

verzichtet wird: »so lassen wir die<br />

schöpfung in diesen büchern ruhen und philosophiren<br />

von <strong>de</strong>m, das do geschaffen ist, und<br />

verschweigen und stummen in <strong>de</strong>m, als ein<br />

beschloßener munt, wie es beschaffen ist wor<strong>de</strong>n«<br />

5 . Die »philosophei« bemüht sich um<br />

»erkanntnus« und Erforschung <strong>de</strong>s »gesaz<br />

<strong>de</strong>r natur« als <strong>de</strong>s Werkes Gottes. Der<br />

auch heute weiter herrschen<strong>de</strong> Begriff<br />

»Naturgesetz« wur<strong>de</strong> von Paracelsus aus<br />

religiöser Motivation ausgebil<strong>de</strong>t. Wendungen<br />

wie »gesazte ordnung <strong>de</strong>r natur«,<br />

»geordnet« und »verordnet« prägen die<br />

philosophische Argumentation. Die »philosophei«<br />

erkennt die vorhan<strong>de</strong>nen Ordnungen<br />

und <strong>Ges</strong>etze, die vom <strong>Ges</strong>etzge-


er mit <strong>de</strong>r Schöpfung gegeben sind. So<br />

heißt es gelegentlich: »dan <strong>de</strong>r arzt ist nit<br />

<strong>de</strong>m menschen un<strong>de</strong>rworfen, son<strong>de</strong>r allein got<br />

durch die natur« 6 .<br />

Die Schöpfungsfrömmigkeit läßt somit<br />

Paracelsus zum ersten Mal in Schriften<br />

<strong>de</strong>utscher Sprache – die Sudhoffsche Ausgabe<br />

bietet über 8000 Seiten – die Welt<br />

als »Natur« philosophisch-medizinisch beschreiben:<br />

»und das wort ist <strong>de</strong>r anfang<br />

himels und <strong>de</strong>r er<strong>de</strong>n und aller creaturen«;<br />

»dan die trinitet hats gesprochen« 7 . Naturwissenschaftliche<br />

Erkenntnis eignet imperativer<br />

Charakter. Paracelsus ruft seinen Kollegen<br />

zu: »Erforschent die natur!«. Mit<br />

dieser Auffor<strong>de</strong>rung wird von ihm die Ermahnung<br />

Christi im Johannesevangelium:<br />

»Suchet in <strong>de</strong>r Schrift« umgewan<strong>de</strong>lt.<br />

»Denn wenn Christus spricht:<br />

perscrutamini scripturas, warum sollte ich<br />

dann nicht auch sagen: perscrutamini naturas<br />

rerum?« – Der Gedanke <strong>de</strong>s »Buches<br />

<strong>de</strong>r Natur«, <strong>de</strong>r schon vor Paracelsus –<br />

etwa von Raimund von Sabun<strong>de</strong> –<br />

geäußert wur<strong>de</strong>, erhält durch ihn eine<br />

neue Richtung: die Schrift Gottes wird in<br />

<strong>de</strong>n <strong>Ges</strong>etzen <strong>de</strong>r Natur gefun<strong>de</strong>n und<br />

aufgespürt 8 .<br />

Das »gesaz <strong>de</strong>r natur« und ihre Ordnungen<br />

bestehen um <strong>de</strong>s Menschen willen:<br />

»Nun worumb ist die natur geschaffen als<br />

alein dorumb, das <strong>de</strong>r mensch in ir stet. zu<br />

gleicherweis warzu ist das holz und das feuer,<br />

als <strong>de</strong>n menschen zu erwermen und im zu bereiten<br />

sein noturft« 9 . Fast utilitaristisch begegnet<br />

uns hier das Schöpfungsverständnis<br />

<strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>s Paracelsus. Die<br />

natürlichen Gegebenheiten und Vorgänge<br />

sind sachlich und nüchtern um <strong>de</strong>s Menschen<br />

willen angemessen zu erforschen.<br />

So ist die Natur Aufgabe für <strong>de</strong>n Menschen,<br />

die von Gott gesetzt wor<strong>de</strong>n ist:<br />

»groß sind die tugent <strong>de</strong>r natur; wer ist so<br />

durstig <strong>de</strong>r irer kreften so vil darf anmuten,<br />

so vil und in ir ist? dan dise kreft gont all aus<br />

götlicher weisheit; wer kan <strong>de</strong>r weisheit an ein<br />

end komen, dieweil die geschrift sagt, sie sei<br />

on zal und sagt von <strong>de</strong>r großen höhe und unbegreiflichkeit<br />

seiner weisheit ... darum sei<br />

preis, lob und er gesagt <strong>de</strong>m gütigen ewigen<br />

got, <strong>de</strong>r uns das liecht <strong>de</strong>r natur scheinen laßt,<br />

daß wir in natürlichen kreften wissen zu<br />

wandlen« 10 . Auch hier zielt die Naturerkenntnis<br />

nach Gottes Willen auf <strong>de</strong>n<br />

Menschen und seinen »Wan<strong>de</strong>l«, doxologisch<br />

gestimmt.<br />

Es erweist sich <strong>de</strong>r Erkenntnisakt <strong>de</strong>r<br />

»philosophei« und die auf ihm grün<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

»arznei« religiös motiviert. Naturphilosphie<br />

und die »künste« wer<strong>de</strong>n begleitet<br />

von positiver Emotion: »wir achten auf<br />

er<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m menschen für leibliche seligkeit<br />

nicht edlers zu sein, dan die natur zu erkennen<br />

und von ir als vom rechten grunt zu philosophiren<br />

und wol zu re<strong>de</strong>n« 11 . Es läßt sich<br />

<strong>bei</strong> Paracelsus Erkenntnislust fin<strong>de</strong>n.<br />

Deshalb gibt er <strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte vom Sün<strong>de</strong>nfall<br />

im Alten Testament eine völlig<br />

neue positive Deutung. Der Apfel <strong>de</strong>s Paradieses,<br />

<strong>de</strong>r »verboten ward Adam, guts<br />

und bös, mag nicht sein, son<strong>de</strong>r es ist ein<br />

groß anzeigen, das noch vil mehr in <strong>de</strong>r<br />

natur ist dan das alein, das wir wissen,<br />

freilich ongezweifelt groß scientiae, sapientiae,<br />

pru<strong>de</strong>ntiae« 12 .<br />

Die Hochschätzung <strong>de</strong>r gottgewollten<br />

Erkenntnis und ihre Nutzbarmachung<br />

für <strong>de</strong>n Menschen läßt <strong>de</strong>n Arzt, für <strong>de</strong>n<br />

die »philosophei« Voraussetzung seiner<br />

»kunst« ist, seine Berufung in »hohen dingen«<br />

fin<strong>de</strong>n. Auch <strong>de</strong>r biblische Dreiklang<br />

von Glaube, Liebe, Hoffnung wird<br />

abgewan<strong>de</strong>lt, in<strong>de</strong>m Paracelsus für »Glauben«<br />

»kunst« einsetzt: »das höchst so wir<br />

arzt an uns haben ist die kunst, nachfolgent,<br />

das <strong>de</strong>m gleich ist, die liebe, und <strong>de</strong>ren<br />

zweien ist die hofnung ir beschluß. so nun<br />

das höchst <strong>bei</strong> uns die kunst ist, so stet <strong>de</strong>rselbige<br />

teil in <strong>de</strong>nen hohen dingen, nemlich in<br />

<strong>de</strong>m gewalt von oben herab ...« 13 . Deshalb<br />

darf wohl von einer gleichsam priesterlichen<br />

Funktion <strong>de</strong>r »philosophei« und <strong>de</strong>r<br />

Arzneikunst gesprochen wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong> Gottes Text in <strong>de</strong>r Natur zum<br />

Guten <strong>de</strong>s Menschen anwen<strong>de</strong>n.<br />

Die philosophische Grundlegung medizinisch-naturwissenschaftlichenForschens<br />

auf <strong>de</strong>m Weg zur ärztlichen Kunst<br />

erhält stets <strong>de</strong>n noch zu erkennen<strong>de</strong>n<br />

o<strong>de</strong>r auch offenbaren Zusammenhängen<br />

<strong>de</strong>r Natur ihre Divinität. Gott hat große<br />

»mysteria«, seltsame »wun<strong>de</strong>rwerk« und<br />

manche »heimlichkeit«, auch »magnalia«<br />

in die Schöpfung hineingelegt. Als Ziel<br />

47


<strong>de</strong>r Schriften über die Franzosenkrankheit<br />

ist angegeben, daß alle Stän<strong>de</strong>, »jungs und<br />

alts, gleubigs und ungleubigs«, »sehen sollen<br />

und empfin<strong>de</strong>n die grossen mysteria <strong>de</strong>r<br />

natur, die großen arcana, so uns got mitteilt«<br />

14 . Die religiöse Sicht von Himmel<br />

und Er<strong>de</strong>n und Mensch läßt die Erkenntnis<br />

beginnen und begleitet sein von Staunen<br />

und Ehrfurcht. »Diese forcht ist <strong>de</strong>r anfang<br />

unser weisheit; dan sie lehrt uns still ston<br />

und nix schreiben noch han<strong>de</strong>ln wi<strong>de</strong>r got ...<br />

so irren wir in keinen dingen nit, und glücklich<br />

und wohl wer<strong>de</strong>n alle unser sachen vollen<strong>de</strong>t.<br />

sonst ohn die forcht ist kein weisheit in<br />

uns« 15 .<br />

So bleibt <strong>bei</strong>m Erkenntnisprozeß und<br />

<strong>bei</strong>m ärztlichen Wirken in aller Freu<strong>de</strong><br />

über die hohe Berufung Demut als Haltung<br />

auffallend. Auch erschlossene Geheimnisse<br />

und Zusammenhänge bleiben<br />

»wun<strong>de</strong>rwerk« und können allemal relativiert<br />

und erweitert wer<strong>de</strong>n in neuen Kontexten.<br />

Im hohen Anspruch <strong>de</strong>s Arzttums<br />

und im eigenen Berufsbewußtsein erkennt<br />

Paracelsus auch die Grenzen <strong>de</strong>r Erkenntnis,<br />

<strong>de</strong>mütig und beschei<strong>de</strong>n gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Text Gottes in <strong>de</strong>r Natur: »diese kreft<br />

gont all aus göttlicher weisheit, wer kann <strong>de</strong>r<br />

weisheit an ein end kommen?« 16 In diesem<br />

religiösen Respekt vor <strong>de</strong>r überfließen<strong>de</strong>n<br />

Weisheit Gottes in <strong>de</strong>n Zusammenhängen<br />

<strong>de</strong>r Naturphilosophie liegt <strong>de</strong>r Vorbehalt<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus zu grundsätzlichen Theoriebildungen.<br />

Das ist wissenschaftsgeschichtlich<br />

hochbe<strong>de</strong>utsam.<br />

Es ist gewiß, daß <strong>de</strong>r Bibelchrist Paracelsus<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>r »philosophei« gera<strong>de</strong> auch<br />

die zahlreichen Abschnitte über die<br />

»Weisheit« im Alten Testament kannte<br />

und im Sinn hatte. Von <strong>de</strong>r Sophia heißt<br />

es in <strong>de</strong>n Sprüchen Kap. 8: »Der Herr hat<br />

mich gehabt im Anfang seiner Wege; ehe<br />

er etwas schuf war ich da. Ich bin eingesetzt<br />

von Ewigkeit, von Anfang, vor <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>« (Verse 22, 23). Die Sophia gilt als<br />

Werkmeister <strong>bei</strong> Gott; sie spricht selbst:<br />

ich »hatte meine Lust täglich und spielte<br />

vor ihm allezeit und spielte auf seinem<br />

Erdbo<strong>de</strong>n, und meine Lust ist <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n<br />

Menschenkin<strong>de</strong>rn« (Verse 30, 31). Der Genius<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus vernahm die göttliche<br />

Weisheit in ihrer Lust und liebte sie. Der<br />

48<br />

Furcht und <strong>de</strong>r Demut <strong>bei</strong>m Philosophieren<br />

korrespondiert die Liebe: »dan <strong>de</strong>r<br />

nichts weiß, <strong>de</strong>m liebt nichts; <strong>de</strong>r nichts<br />

kann, <strong>de</strong>r verstehet nichts ... <strong>de</strong>r aber verstehet,<br />

<strong>de</strong>r liebts, <strong>de</strong>r merkts, <strong>de</strong>r sichts« 17 . »Je<br />

mehr aber die erkantnus in einem ding, ie<br />

mehr die lieb« 18 .<br />

Auch <strong>de</strong>r bekannte Satz, daß <strong>de</strong>r höchste<br />

Grund <strong>de</strong>r Arznei die Liebe ist, bezieht<br />

sich letztlich auf die »philosophei«,<br />

da diese die Voraussetzung <strong>de</strong>r ärztlichen<br />

Kunst ist: »ist unser liebe groß, so wer<strong>de</strong>n<br />

wir große frucht in <strong>de</strong>r arznei dadurch schaffen<br />

... dan die liebe ist die, die kunst lernet,<br />

und außerhalb <strong>de</strong>rselbigen wird kein arzt geborn«<br />

19 .<br />

Nun wird die »philosophei« <strong>bei</strong>m eingehen<strong>de</strong>n<br />

Erforschen <strong>de</strong>r »Großen und<br />

Kleinen Welt« <strong>de</strong>r Vergänglichkeit gewahr.<br />

Mittels <strong>de</strong>r Konzeption einer mit<br />

<strong>de</strong>r »philosophei« korrespondieren<strong>de</strong>n<br />

»astronomei«, die die Zeit in Wechsel und<br />

Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n Wirkungen <strong>de</strong>r Natur thematisiert,<br />

gelingt es, <strong>Ges</strong>chichtlichkeit<br />

<strong>de</strong>r Natur zu formulieren. Die Faszination<br />

<strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>ns, Blühens, Reifens in<br />

<strong>de</strong>n Bereichen <strong>de</strong>r Natur wird begleitet<br />

von <strong>de</strong>r Einsicht in die Terminierung<br />

und Begrenzung aller Dinge und <strong>de</strong>r Erfahrung<br />

<strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s. Diesem zu wi<strong>de</strong>rstehen<br />

und <strong>de</strong>n zerstörerischen Kräften entgegenzusteuern,<br />

dient die hohe Kunst<br />

<strong>de</strong>s Arztes.<br />

Aus <strong>de</strong>r Erfahrung <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s heraus<br />

beginnt Paracelsus, <strong>de</strong>n Philosophiebegriff<br />

zu erweitern hin zur »untödlichen<br />

philosophei«. Hatte er die Blätter im Buch<br />

<strong>de</strong>r Natur bisher gewen<strong>de</strong>t, so exegesiert<br />

er jetzt die Blätter <strong>de</strong>r Heiligen Schrift,<br />

die sich auf das Sakrament <strong>de</strong>s Altars –<br />

das »nachtmal« – beziehen. In <strong>de</strong>r ersten<br />

Hälfte <strong>de</strong>r dreißiger Jahre verfaßt, bil<strong>de</strong>n<br />

diese »Abendmahlsschriften« <strong>de</strong>n Übergang<br />

zur Synthese <strong>de</strong>r »Astronomia<br />

Magna – Philosophoa Sagax«. Erst in <strong>de</strong>r<br />

Zusammenschau dieser gewaltigen Naturphilosophie<br />

mit <strong>de</strong>n Theologica, beson<strong>de</strong>rs<br />

<strong>de</strong>n Abendmahlsschriften, erschließt<br />

sich Weite und religiöse Bestimmung <strong>de</strong>s<br />

Theophrast von Hohenheim.<br />

In einem »Prologus« zu 21 Essays begrün<strong>de</strong>t<br />

<strong>de</strong>r Bibelchrist und Philosoph


<strong>de</strong>n Weg von <strong>de</strong>r »philosophei <strong>de</strong>r natur«<br />

zur »untödlichen philosophei«. Aus <strong>de</strong>r Erfahrung<br />

<strong>de</strong>r Begrenzung führt ein Weg,<br />

ein »überhoehe in <strong>de</strong>n dingen« zu gewinnen.<br />

Das ist dann die »recht philosophei«.<br />

»<strong>de</strong>rselbig verstand nimbt sich aus <strong>de</strong>m wort<br />

<strong>de</strong>s suns gottes, <strong>de</strong>r <strong>bei</strong> uns uf <strong>de</strong>r er<strong>de</strong>n gewest<br />

ist, von <strong>de</strong>m wir zu philosophirn <strong>de</strong>n<br />

grund und erfahrung haben und <strong>de</strong>n anfang<br />

nemben« 20 .<br />

Paracelsus vollzieht die Erweiterung <strong>de</strong>s<br />

Philosophiebegriffs hin zum Transzen<strong>de</strong>nten,<br />

das in Christus und seinem Wort<br />

erscheint und dargestellt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Die Nahtstelle <strong>de</strong>s Übergangs zur »untödlichen<br />

philosaphei« ist die Liebe! Über <strong>de</strong>n<br />

Ernst <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s vermag die »liebe« zu <strong>de</strong>n<br />

»natürlichen ding« nicht hinwegzuführen.<br />

Eindrucksvoll wird dieser Vorgang im biographischen<br />

Selbstzeugnis beschrieben:<br />

»einer, <strong>de</strong>r da in die natürlichen ding kombt,<br />

<strong>de</strong>m ist schwer, davon zu lassen; so einer ie<br />

lenger ie mehr be<strong>de</strong>nkt und ersucht in <strong>de</strong>nselbigen,<br />

ie lenger ie herter wird er gezwungen,<br />

weiter nachzugrün<strong>de</strong>n. dann also, nit allein,<br />

daß sie liebe, son<strong>de</strong>r sie überliebt und noch<br />

mehr, sie zwingt zur liebe, daß auch einer<br />

keiner an<strong>de</strong>ren liebe achten kann noch mag.<br />

Das ist, daß aber, so wie die ganz philosophei<br />

aller natürlichen ding wol ersuchen und<br />

alsdann in <strong>de</strong>n rechten verstand bringen, so<br />

seindt wir und dieselben ding <strong>de</strong>r natur tödlich,<br />

sterplich und aller wi<strong>de</strong>rwertigkeit undterworfen.<br />

so nun dasselbige betrachtet soll<br />

wer<strong>de</strong>n – wie billich, so entschlecht es <strong>de</strong>m<br />

philosopho sein gemüet und entsetzt ihn von<br />

<strong>de</strong>r liebe ... uf das bringt <strong>de</strong>r tod <strong>de</strong>m philosopho<br />

ein an<strong>de</strong>r gemüet ein«, <strong>de</strong>r Philosoph<br />

sucht nun »nachzu<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>m untödtlichen,<br />

das nit <strong>de</strong>m tod undterworfen ist, son<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>n tod überwun<strong>de</strong>n hat« 21 .<br />

Paracelsus schil<strong>de</strong>rt gleichsam ein philosophisches<br />

Damaskus o<strong>de</strong>r Turmerlebnis<br />

(Luther), wo<strong>bei</strong> Verführung zur Einseitigkeit<br />

o<strong>de</strong>r gar Vergötzung <strong>de</strong>r Naturwissenschaften<br />

angezeigt wird. Doch die Wahrnehmung<br />

<strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s läßt fortan die<br />

»philosophei« mehr wer<strong>de</strong>n als ein Ergrün<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Ordnungen und Kräfte <strong>de</strong>r Natur.<br />

Die »untödliche philosophei« hat die Aufgabe,<br />

»die ewigen wesen und kräft, so ohn tod<br />

seindt, zu beschreiben. dann ob wir gleich im<br />

liecht <strong>de</strong>r natur durch uns wol und wol ergründt<br />

seind, so ist uns das liecht ein zeit bis<br />

zum tod« 22 . Diese Philosophie wird auch<br />

die »ewig philosophei« genannt; sie ist<br />

»ohn end über alle höehe unserer vernunft,<br />

die sie nit ergrün<strong>de</strong>n mag« 23 .<br />

Eine grundlegen<strong>de</strong> Wandlung zum<br />

Transzen<strong>de</strong>nten ist vollzogen. Paracelsus<br />

philosophiert im Corpus <strong>de</strong>r Abendmahlsschriften<br />

nun über das Ewige wie<br />

vorher über die natürlichen Dinge. Auf<br />

Christus ist »aller grund dieser untödlichen<br />

philosophei gesetzt« 24 . In einem philosophiegeschichtlichem<br />

Exkurs erklärt Paracelsus<br />

die Frage nach <strong>de</strong>m Ewigen zur<br />

tiefsten: »die alten philosophi haben <strong>de</strong>r<br />

natur groß nachgangen und <strong>de</strong>m liecht <strong>de</strong>r<br />

weisheit, aber <strong>de</strong>n eckstein haben sie nit gewüßt<br />

und die wurzen, aus <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r mensch<br />

ewig wird. darum sie das tödlich <strong>de</strong>sto fester<br />

geliebt haben ... wieviel haben ihnen selbs <strong>de</strong>n<br />

tod angeton, uf daß sie erfüeren ein ewigs im<br />

menschen« 25 . (Empedokles, Sokrates?)<br />

Hätten sie <strong>de</strong>n »grund, <strong>de</strong>n ich hab und<br />

ie<strong>de</strong>r Christ, dieser grund wür<strong>de</strong> ihnen <strong>de</strong>n<br />

schlaf wol wen<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong> sie auferwecken<br />

und treiben tag und nacht, wie das wasser<br />

das mülrad, das on rue für und für ist« 26 .<br />

Die Worte <strong>de</strong>s Hohenheimers machen<br />

eingängig, wie auf <strong>de</strong>m Grund <strong>de</strong>r Bibel<br />

ein Nach<strong>de</strong>nken über das Ewige einsetzt,<br />

das die Philosophie auf ein neues und<br />

weites Gebiet führt, das je<strong>de</strong>n angeht:<br />

»wer wolt aber nit zu <strong>de</strong>m grund begeren,<br />

darinnen <strong>de</strong>r ewig mensch gefun<strong>de</strong>n wird?<br />

o<strong>de</strong>r wer ist <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r nit wolt begern ewig zuesein?<br />

dieweil auf er<strong>de</strong>n ein große lust ist in<br />

<strong>de</strong>r natur, wieviel mehr im reich gottes, da er<br />

selbst wohnet. ie mehr die philosophei <strong>de</strong>r irdischen<br />

dingen erkennt wird, ie mehr die<br />

ewig begründt wird« 27 . »Billich und mehr<br />

<strong>de</strong>nn billich« ist, »das ich als ein philosophus<br />

die ding für mich nembe zu philosophiren,<br />

wiewol mir solches von vilen in argem wird<br />

ausgelegt« 28 . Als getaufter Christ ist Paracelsus<br />

bevollmächtigt, religiös-theologische<br />

Themen philosophisch zu behan<strong>de</strong>ln.<br />

Dies Vorgehen läßt sich in etwa<br />

vergleichen mit <strong>de</strong>m von Emmanuel<br />

Lévinas, <strong>de</strong>ssen Interesse an Religion<br />

philosophisch begrün<strong>de</strong>t ist.<br />

Es muß genügen, die Wen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r »phi-<br />

49


losophei« zum Ewigen, die von Paracelsus<br />

in Selbstzeugnissen belegt wird, in ihrer<br />

Bewußtheit <strong>de</strong>s neuen philosophischen<br />

Terrains zu verstehen. Themen <strong>de</strong>r »ewigen<br />

philosophei« sind die »neue gepurt«,<br />

»<strong>de</strong>r neue leib« o<strong>de</strong>r »limbus«, die »neue<br />

creatur«. Es geht um Teilhabe am Sein<br />

Christi, so kann <strong>de</strong>r Mensch wie<strong>de</strong>r aus<br />

Gott sein: »das allein zu gott muß, das von<br />

gott ist. so mügen wir aus <strong>de</strong>r natur befen<strong>de</strong>n,<br />

daß wir nit aus gott seindt im alten leib, aber<br />

wol aus <strong>de</strong>r er<strong>de</strong>n. darumb so komben wir nit<br />

zu gott; aber so wir aus <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn creatur<br />

seindt, so seindt wir aus gott selbs, aus seim<br />

leib, blut und fleisch. ietz so wir aus ihm<br />

seindt, darumb so komben wir zu ihm. da ist<br />

die ewig philosop<strong>bei</strong> ohn end über alle böebe<br />

unserer vernunft, die sie nit ergrün<strong>de</strong>n mag« 29 .<br />

Es sind vorrangig ontologische Kategorien,<br />

– hauptsächlich auch die »himmlische<br />

Leiblichkeit Christi«, die <strong>de</strong>n Gläubigen<br />

mitgeteilt wird –, mit <strong>de</strong>nen Paracelsus argumentiert.<br />

Dies ontologische Denken ist<br />

bereits in <strong>de</strong>n frühen Marienschriften angelegt,<br />

die zu <strong>de</strong>n Abendmahlschriften<br />

überleiten. Die Erneuerung <strong>de</strong>s Menschen<br />

geschieht inkarnativ ähnlich wie <strong>bei</strong>m<br />

Nürnberger Reformator Andreas Osian<strong>de</strong>r,<br />

für <strong>de</strong>n die Rechtfertigung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs<br />

gleichsam ein infusorisch – medizinisches<br />

<strong>Ges</strong>chehen ist. Erwägen wir nun die<br />

Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Marienschriften für <strong>de</strong>n<br />

Christus – Limbus, <strong>de</strong>r ganz aus <strong>de</strong>r<br />

Maria stammt, dann erinnert das wie<strong>de</strong>r<br />

an Emmanuel Lévinas, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>m es ein<br />

Philosophieren über Mutterschaft und Inkarnation<br />

gibt.<br />

Ansprechen<strong>de</strong>r kommen die Themen<br />

<strong>de</strong>r »untödlichen philosophei« und die<br />

»überhoehe in <strong>de</strong>n dingen« in poetischer<br />

Diktion <strong>bei</strong>m Paracelsisten Goethe am<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s »Faust – 2. Teil« weltwirksam<br />

zur Sprache. Der »himmlische limbus« <strong>de</strong>r<br />

Abendmahlsschriften bezieht sich im tiefsten<br />

Grun<strong>de</strong> nämlich über das Medium<br />

<strong>de</strong>s himmlischen Leibes Christi auf<br />

Maria. Die Marienschriften legen es nahe,<br />

im Doctor Marianus Paracelsus zu sehen;<br />

wir promovieren ihn über Goethe jetzt<br />

dazu! So wird Maria zum ersten Mal vom<br />

50<br />

Laientheologen Paracelsus »Göttin« genannt.<br />

Die Ontologie <strong>de</strong>r Abendmahlsschriften<br />

möchte <strong>bei</strong>tragen, Sinn zu gewinnen,<br />

um »hinangezogen zu wer<strong>de</strong>n«<br />

durch <strong>de</strong>n himmlischen Leib Christi,<br />

weil wir am göttlichen Sein teilnehmen,<br />

das auch Maria eignet.<br />

Vor <strong>de</strong>m Chorus mysticus hat <strong>de</strong>r Doctor<br />

Marianus das letzte Wort: »Blicket<br />

auf zum Retterblick, alle reuig Zarten,<br />

Euch zu seligem <strong>Ges</strong>chick dankend umzuarten<br />

(ein neues Wesen annehmen).<br />

Wer<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r bessre Sinn Dir zum Dienst<br />

erbötigt; Jungfrau, Mutter, Königin, Göttin,<br />

bleibe gnädig!«<br />

In diesem Vortrag kam <strong>de</strong>r Philosoph<br />

und Arzt Paracelsus selbst zu Wort. Die<br />

durch Jahrhun<strong>de</strong>rte währen<strong>de</strong> Faszination<br />

seiner Werke und seiner Person liegt<br />

in seiner <strong>de</strong>utschen Sprache. So hat er<br />

uns, was er gern tat, am Michaelistag<br />

heute gepredigt. Im Grun<strong>de</strong> treibt Paracelsus<br />

eine kerygmatische und predigen<strong>de</strong><br />

Naturkun<strong>de</strong>, Philosophie und Arzneikunst.<br />

Uwe Pörksen hat kürzlich in<br />

umfassen<strong>de</strong>r Abhandlung aufgezeigt, wie<br />

»eine Aura«, ein »Glanz« in <strong>de</strong>r Sprache<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus zugegen ist. »Seine Sprache<br />

hat eine eigentümliche Ausstrahlung<br />

und entwickelt eine starke Nachwirkung:<br />

ein Radium, das noch immer nicht zu<br />

Blei verfallen ist. Der Grund dieser Sprache<br />

ist <strong>de</strong>r göttliche Grund dieser Welt« 30 .<br />

So wirkt bereits in <strong>de</strong>r Sprache <strong>de</strong>r »religiöse<br />

Gehalt« seiner »philosophei«. Die<br />

philosophische Sprache <strong>de</strong>s Paracelsus ist<br />

gesättigt von seiner Frömmigkeit und seiner<br />

»Theologie« <strong>de</strong>s Laien.<br />

Paracelsus schafft einen Kosmos philosophischer<br />

und wissenschaftlicher Begriffe<br />

in sprachschöpferischer Schönheit<br />

seiner kerygmatischen Diktion, gewonnen<br />

in Demut und Liebe. Sie sind umgeben<br />

vom Nimbus <strong>de</strong>s Glaubens. So wirkt<br />

schon in <strong>de</strong>r Sprache die Frömmigkeit<br />

<strong>de</strong>s Paracelsus weiter. Gleichsam subversiv<br />

(im guten Sinne) mahnt er, die Fülle<br />

aus Gott wahrzunehmen in <strong>de</strong>n Umbrüchen<br />

<strong>de</strong>r <strong>Ges</strong>chichte.


Zitiert wird<br />

Theaphrast von Hohenheim gen. Paracelsus:<br />

Sämtliche Werke,<br />

1. Abteilung: Medizinische, naturwissenschaftliche<br />

und philosophische Schriften. Hg. von Karl Sudhoff.<br />

14 Bän<strong>de</strong>, München – Berlin, 1922–1933. (zitiert P I,<br />

1-14)<br />

2. Abteilung: Theologische und religions-philosophische<br />

Schriften. Hg. von Wilhelm Matthießen;<br />

später Kurt Goldammer, München;<br />

später Wiesba<strong>de</strong>n 1923 ff. – (zitiert PII, 1-7)<br />

Bunners, Michael: Die Abendmahlsschriften und<br />

das medizinisch-naturphilosophische Werk <strong>de</strong>s Paracelsus,<br />

(Diss. theol.), Berlin 1961 (Typoskript).<br />

(zitiert Diss. und Seitenangabe; es han<strong>de</strong>lt sich um<br />

eine zum ersten Mal gedruckte Wie<strong>de</strong>rgabe aus <strong>de</strong>n<br />

Handschriften zum Abendmahl)<br />

1 P I, 9, 61<br />

2 P I, 2, 21<br />

3 P I, 1, 180<br />

4 P I, 13, 134<br />

5 P I, 13, 245<br />

6 P I, 8, 211<br />

7 P I, 13, 134/135; 9, 48<br />

ANMERKUNGEN<br />

8 P I, 11, 72: »got aber bleibt in allen ding <strong>de</strong>r<br />

oberst scribent, <strong>de</strong>r erst, <strong>de</strong>r höchst, und unser<br />

aller text«. Vgl. Ev. Johannes, Kap. 5, 39<br />

9 P I, 1, 320<br />

10 P I, 9, 306<br />

11 P I, 2, 121<br />

12 P I, 9, 81<br />

13 P I, 7, 369, Vgl. 1. Korinther 13, 13<br />

14 P I, 8, 42<br />

15 P II, 5, 150<br />

16 P I, 9, 306<br />

17 P I, 9, 207<br />

18 P I, 9, 207<br />

19 Diss. 55<br />

20 Diss. 62<br />

21 Diss. 61<br />

22 Diss. 62<br />

23 Diss. 62<br />

24 Diss. 62<br />

25 Diss. 63<br />

26 Diss. 63<br />

27 Diss. 63<br />

28 Diss. 63<br />

29 Diss. 88<br />

30 Uwe Pörksen: »Paracelsus als wissenschaftlicher<br />

Schriftsteller« in: Uwe Pörksen: Wissenschaftssprache<br />

und Sprachkritik – Untersuchungen<br />

zu <strong>Ges</strong>chichte und Gegenwart, Tübingen 1994,<br />

Seite 82<br />

51


Biographische <strong>Ges</strong>ichtspunkte<br />

1. Familiäres Johannitererbe.<br />

Bei <strong>de</strong>r Rekonstruktion <strong>de</strong>s Lebenslaufes<br />

von Theophrast von Hohenheim, schon<br />

um 1570 eine mühsame Ar<strong>bei</strong>t, spielen<br />

Auskünfte von Georg Bombast von Hohenheim,<br />

Komtur von Sulz im Elsass,<br />

Colmar, Dorlisheim und Rohrdorf eine<br />

große Rolle, Michael Schürz, genannt<br />

Toxites, von Dillingen an <strong>de</strong>r Donau,<br />

gibt die Auskunft dieses jüngeren <strong>de</strong>r<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong>n hohen Johanniter aus <strong>de</strong>r Familie<br />

<strong>de</strong>r Bombaste von Hohenheim zu Protokoll,<br />

wenn er schreibt: »Georg von Hohenheim,<br />

(... ), vor ehrlichen Leuten von<br />

A<strong>de</strong>l bekannte, daß Theophrasti Vater,<br />

Herr Wilhelm genannt, seiner Fürstli-<br />

52<br />

Pirmin Meier<br />

PARACELSUS - MEDIZIN UND ETHIK IN DER TRADITION<br />

DER JOHANNITER UND DER DEUTSCHRITTER<br />

Vorbemerkung: Dieser Vortrag enthält einerseits<br />

zahlreiche Informationen, die bereits im<br />

Buch »Paracelsus – Arzt und Prophet« enthalten<br />

sind, <strong>de</strong>r großen Jubiläumsbiographie<br />

von 1993. An<strong>de</strong>rerseits ist er ein Vorausblick<br />

auf eine Studie, die <strong>de</strong>r Verfasser 1999, zum<br />

900. Jahrestag <strong>de</strong>r Eroberung Jerusalems im<br />

1. Kreuzzug, einem grundlegen<strong>de</strong>n Datum<br />

<strong>de</strong>r Or<strong>de</strong>nsgeschichte, zu veröffentlichen ge<strong>de</strong>nkt.<br />

In <strong>de</strong>m Sinn ist <strong>de</strong>r Vortrag lediglich<br />

eine mündlich zu präsentieren<strong>de</strong> Skizze zu<br />

einer Ar<strong>bei</strong>t, die in dieser Phase noch nicht<br />

publikationsreif ist. Deshalb auch kann hier<br />

nur ein kurzer Abriß einer insgesamt faszinieren<strong>de</strong>n<br />

Aufgabe gegeben wer<strong>de</strong>n. Das<br />

Buch über Paracelsus und die Johanniter und<br />

Deutschritter mag dann als zweite größere<br />

Studie <strong>de</strong>s Verfassers über Paracelsus für die<br />

Kürze dieser Ausführungen entschädigen. Als<br />

Basis ist einerseits die Chirurgie und Medi-<br />

zinethik <strong>de</strong>s Paracelsus genommen, an<strong>de</strong>rerseits<br />

die nur sehr fragmentarisch vorliegen<strong>de</strong>n<br />

biographischen Fakten. Über das Thema Johanniter<br />

und Deutschritter müßte es möglich<br />

sein, überraschen<strong>de</strong> neue Perspektiven zu Paracelsus<br />

zu erschließen. Die Einar<strong>bei</strong>tung<br />

von Paracelsus in die Jobannitergeschichte<br />

wird auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite auch die <strong>Ges</strong>chichtsschreibung<br />

<strong>de</strong>s Or<strong>de</strong>ns mit neuen Impulsen<br />

versehen. Das gegenwärtig beste vorliegen<strong>de</strong><br />

Buch kommt aus <strong>de</strong>r Schreibstube<br />

von Walter Gerd Rö<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>m zur Zeit<br />

führen<strong>de</strong>n Or<strong>de</strong>nshistoriker in Deutschland:<br />

»Das Großpriorat Deutschland <strong>de</strong>s Johanniter-Or<strong>de</strong>ns<br />

im Übergang vom Mittelalter zur<br />

Reformation.« (1972) Für die Medizingeschichte<br />

<strong>de</strong>s Or<strong>de</strong>ns zählt die bereits 1927 erschienene<br />

Studie »Caritas und Krankenwesen<br />

bis zum Ausgang <strong>de</strong>s Mittelalters« von<br />

Franz Meffert immer noch zum Besseren.<br />

Einige Thesen zu<br />

»PARACELSUS UND DIE JOHANNITER«<br />

im Sinne eines Vorausblicks, welche <strong>de</strong>n Zuhörer bzw. Leser neugierig machen sollen,<br />

aber auch <strong>de</strong>n Zweck haben, die Forscher und sonstigen Paracelsus-Interessierten<br />

für das Thema zu sensibilisieren.<br />

chen Gna<strong>de</strong>n Bru<strong>de</strong>rsohn gewesen, doch<br />

ausserhalb <strong>de</strong>r Ehe geboren.« Mit »seiner<br />

fürstlichen Gna<strong>de</strong>n« ist Johanniterkomtur<br />

Jörg von Hohenheim, ein Heiliglandfahrer,<br />

gemeint, <strong>de</strong>ssen Lebensdaten um<br />

1454 bis 1496 angesetzt wer<strong>de</strong>n, ein<br />

enger Verwandter <strong>de</strong>s Schloßherrn von<br />

Riet, Wilhelm von Hohenheim, <strong>de</strong>ssen<br />

Aktivitäten in juristischen Dokumenten<br />

zwischen 1448 und 1499 verzeichnet<br />

sind. Es gibt eine Reihe von Hohenheimern<br />

mit Namen Wilhelm, was bekanntlich<br />

für die Familiengeschichte zu einigen<br />

Unklarheiten geführt hat. Das<br />

Wichtigste bleibt aber <strong>de</strong>r unbestrittene<br />

Anteil an hochgestellten Or<strong>de</strong>nspersönlichkeiten<br />

<strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Johannitern. Das Jo-


hanniterkreuz geht entsprechend dann<br />

auch in die Paracelsus-Ikonographie ein,<br />

unter an<strong>de</strong>rem in das berühmte Rosenkreuzerflugblatt<br />

von Balthasar Jenichen<br />

aus <strong>de</strong>m Jahr 1580.<br />

2. Eine <strong>de</strong>r vielversprechendsten Thesen<br />

für die Paracelsus-Biographie ist ein naheliegen<strong>de</strong>r<br />

Bezug <strong>de</strong>r Aktivitäten von<br />

Paracelsus-Vater Wilhelm von Hohenheim,<br />

Lizenziat <strong>de</strong>r Medizin, mit <strong>de</strong>r Johanniterkommen<strong>de</strong><br />

Bubikon <strong>bei</strong> Rapperswil<br />

am Zürichsee. Bisher hat man<br />

die Nie<strong>de</strong>rlassung <strong>de</strong>s älteren Hohenheimers<br />

am Etzel immer in erster Linie im<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Kloster Einsie<strong>de</strong>ln<br />

gesehen. Da<strong>bei</strong> verweisen mehr Indizien<br />

an <strong>de</strong>n Zürichsee als zum geistig<br />

und personell damals darnie<strong>de</strong>rliegen<strong>de</strong>n<br />

Benediktinerkloster.<br />

In <strong>de</strong>n Basler Vorlesungen <strong>de</strong>s Paracelsus,<br />

nach wie vor ein vielversprechen<strong>de</strong>r<br />

Gegenstand weiterführen<strong>de</strong>r Forschung,<br />

ist von Einsie<strong>de</strong>ln kaum die Re<strong>de</strong>, umso<br />

mehr aber von chirurgischen Künstlern,<br />

wie sie am oberen Zürichsee praktizieren.<br />

Da<strong>bei</strong> wer<strong>de</strong>n ein Herr von Hinwil<br />

und ein Meister Sixtus von Grüningen<br />

genannt, <strong>de</strong>ren chirurgische Künste<br />

hohes Lob erfahren. Die Bauchoperation<br />

an einem Herrn »Joss« von Rapperswill,<br />

die »eine halbe Stun<strong>de</strong> vom Zürichsee<br />

entfernt« durchgeführt wor<strong>de</strong>n sei, kann<br />

sehr wohl in <strong>de</strong>r Johanniterkommen<strong>de</strong><br />

Bubikon stattgefun<strong>de</strong>n haben. Dort war<br />

ab 1522 Johannes Stumpf, <strong>de</strong>r spätere<br />

Schweizer Reformator und Weggefährte<br />

Zwinglis, Prior, ernannt von Großprior<br />

Johann von Hattstein, einer hochinteressanten<br />

Persönlichkeit, die ähnlich wie<br />

Theophrast von Hohenheim zu äußerst<br />

eigenwilligen Ansichten in religiösen<br />

Dingen neigte: »Nach <strong>de</strong>n Schil<strong>de</strong>rungen<br />

seiner Zeitgenossen war Hattstein ein energischer<br />

alter Herr, <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>n<br />

Chorherren von Speyer gegenüber zäh<br />

an seinen Rechten festhielt. In Glaubenssachen<br />

war er durchaus aufgeklärt,<br />

so daß er, wahrscheinlich beeinflußt<br />

durch seinen langen Aufenthalt auf Rhodos,<br />

muhammedanische Dogmen und<br />

Sittenlehren verteidigte. Dem Glauben<br />

an eine ewige Verdammnis wi<strong>de</strong>rsprach<br />

er mit gewichtigen Grün<strong>de</strong>n: er könne<br />

sich <strong>de</strong>n lieben Gott nicht so hartherzig<br />

vorstellen, daß er <strong>de</strong>n Menschen ewig<br />

verdamme, vielmehr nehme er solche,<br />

nach<strong>de</strong>m sie im Fegefeuer ihre Schuld<br />

gebüßt, in Gna<strong>de</strong>n in seinen Himmel<br />

auf, Ju<strong>de</strong>n, Türken und Hei<strong>de</strong>n ebenso<br />

wie Christen. Deshalb ta<strong>de</strong>lte er auch<br />

mit strengen Worten beson<strong>de</strong>rs die Lutherischen,<br />

welche das Fegefeuer leugneten<br />

(. . .). Er starb, fast hun<strong>de</strong>rt Jahre alt,<br />

1546, und liegt in Heitersheim begraben.«<br />

Wie auch immer, wir können und dürfen<br />

die Eigenwilligkeit <strong>de</strong>s Paracelsus in<br />

religiösen Angelegenheiten zum Teil<br />

auch als ein Generationsmerkmal ansehen,<br />

wie es ebenfalls <strong>bei</strong> Großprior Johann<br />

von Hattstein zum Ausdruck<br />

kommt. Die »Freiheit <strong>de</strong>s Christenmenschen«<br />

ist keine rein lutherische Spezialität.<br />

Da<strong>bei</strong> ist jedoch zu berücksichtigen,<br />

daß Theophrast von Hohenheim<br />

sich sehr negativ über die Or<strong>de</strong>n ausgelassen<br />

hat, womit gewiß die Ritteror<strong>de</strong>n<br />

mit gemeint waren. Dies än<strong>de</strong>rt aber<br />

nichts an seiner höchstwahrscheinlichen<br />

Nähe zu diesen Kreisen.<br />

Johannes Stumpf zum Beispiel war ein<br />

enger Freund von Leo Jud in Zürich,<br />

und Jud wie<strong>de</strong>rum wird von Paracesus<br />

»min gemeinister zu Zürch« genannt, also<br />

sein bester Freund in Zürich. Die entsprechen<strong>de</strong><br />

Nähe ist, im Vermutungsgeflecht<br />

<strong>de</strong>r Paracelsus-Biographie, mehr<br />

als bloß eine randständige Spekulation.<br />

3. Paracelsus in Rhodos.<br />

Die Insel Rhodos wird <strong>bei</strong> Hohenheim<br />

mehrmals erwähnt, in <strong>de</strong>r Großen<br />

Wundarznei <strong>de</strong>utet er an, dort gewesen<br />

zu sein. Zumin<strong>de</strong>st nicht dagegen<br />

spricht, daß 1522 Georg Schilling von<br />

Cannstatt, »<strong>de</strong>r bekannteste Or<strong>de</strong>nsritter<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Zunge im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt«,<br />

im Jahre 1522 einer <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten<br />

Verteidiger von Rhodos gegen<br />

die Türken gewesen ist. Er hat einiges<br />

unternommen, die wichtigsten Wertsachen<br />

und Archivalien <strong>bei</strong>m Abzug zu<br />

retten, wur<strong>de</strong> dann 1523 Prior von<br />

53


Dorlisheim und brachte auch die Kommen<strong>de</strong><br />

Tobel im Thurgau in sein Pfrün<strong>de</strong>nverzeichnis.<br />

Dieser Georg Schilling<br />

von Cannstatt war nämlich nach Walter<br />

Gerd Rö<strong>de</strong>l mit <strong>de</strong>n Bombasten von Hohenheim<br />

»weitläufig verwandt« und verfügte<br />

auch über enge Beziehungen und<br />

Briefwechsel mit Johann von Hattstein.<br />

Über diese Verwandtschaft lohnt es sich,<br />

nähere Erkundungen zu machen, sie<br />

kann auf je<strong>de</strong>n Fall als Argument bzw.<br />

Motivation für einen Aufenthalt <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

auf Rhodos vor o<strong>de</strong>r bis 1522<br />

ins Feld geführt wer<strong>de</strong>n. Reizvoll bleibt<br />

auf je<strong>de</strong>n Fall das Beziehungsnetz.<br />

Georg Schilling stand wie Paracelsus im<br />

Ruf eines gewaltigen Pokulierers: »Als<br />

Kaiser Karl V. ihn auf <strong>de</strong>n Reichstag zu<br />

Augsburg in <strong>de</strong>n Reichsfürstenstand erheben<br />

wollte, geschah es, daß Schilling,<br />

<strong>de</strong>r eben einen guten Trunk getan, unfähig<br />

war, zur bestimmten Stun<strong>de</strong> vor<br />

<strong>de</strong>m Kaiser zu erscheinen. Man suchte<br />

diesen hinzuhalten, während jener seinen<br />

Rausch auschlief. Dann erschien er<br />

und führte seine Sache so gut, daß <strong>de</strong>r<br />

Kaiser zeitlebens sein Freund blieb.« Beinahe<br />

eine Paracelsus-Anekdote, nur daß<br />

Georg Schilling von Cannstatt nachweisbar<br />

über die weit besseren Beziehungen<br />

und Freundschaften verfügte und auch<br />

viel mächtiger und wohlhaben<strong>de</strong>r war.<br />

Medizingeschichtliches<br />

4. Die Medizin-Ethik <strong>de</strong>s Paracelsus.<br />

Wenn <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n Johannitern und <strong>bei</strong> <strong>de</strong>n<br />

Deutschrittern von <strong>de</strong>n »Herren Kranken«<br />

die Re<strong>de</strong> ist, auch von Christus als<br />

Arzt und von einer spezifischen Ethik<br />

<strong>de</strong>r Krankenpflege, dann bleibt es naheliegend,<br />

<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Basler Zeit entwickelten<br />

Eid <strong>de</strong>s Paracelsus 1 im Hinblick auf<br />

die Tradition <strong>de</strong>r ritterlichen Medizin-<br />

Ethik zu untersuchen. Dies führt mit Sicherheit<br />

zu neuen Erkenntnissen über<br />

Paracelsus und gibt auch einen schönen<br />

Einblick in die Grundlagen ritterlichen<br />

Helferwillens.<br />

Da<strong>bei</strong> sind wir uns bewußt, daß die<br />

Theorie und Praxis oft weit auseinan<strong>de</strong>rgingen,<br />

und <strong>de</strong>r Zorn <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

54<br />

über die Entartung <strong>de</strong>r Or<strong>de</strong>n gewiß<br />

nicht unbegrün<strong>de</strong>t gewesen ist. Aber für<br />

die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Caritas im Mittelalter<br />

bleibt die <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Ritteror<strong>de</strong>n ein<br />

Thema von Rang, und es scheint keineswegs<br />

zulässig, die <strong>Ges</strong>chichte und Tradition<br />

<strong>de</strong>r Kreuzzüge, einschließlich ihrer<br />

Folgen für Europa, einseitig aus <strong>de</strong>m<br />

Blickwinkel einer späten, auf inkompetente<br />

Weise moralisieren<strong>de</strong>n Vulgärgeschichtsschreibung<br />

zu sehen. Das ganze<br />

ergibt ein buntes, faszinieren<strong>de</strong>s Bild, in<br />

welches als ein eigenwilliger Spätling Paracelsus<br />

gut hineinpaßt.<br />

5. Paracelsus und die Chirurgie.<br />

Im vielleicht ergiebigsten Kapitel meines<br />

Buches »Paracelsus – Arzt und Prophet«<br />

habe ich schon dargetan, daß spektakulär<br />

wirken<strong>de</strong>, aber auch reichlich unklare<br />

Äußerungen <strong>de</strong>s Paracelsus in Basel<br />

zur Operationstechnik und zur Anästhesie<br />

im Grun<strong>de</strong> als das Erbe <strong>de</strong>r »Bündth-<br />

Arznei« <strong>de</strong>s Deutschritters Heinrich von<br />

Pfolspeundt, Pfolsprundt, Phaltzpingen,<br />

Pfolspeint o<strong>de</strong>r wie die Schreibungen<br />

seines Namens sonst lauten, gelten müssen.<br />

Dieser Virtuose früher Chirurgie hat<br />

seine Kunst mutmaßlich in Italien gelernt,<br />

im <strong>de</strong>utschen Osten gewirkt und<br />

über Abschriften auch Einfluß im Alpenraum<br />

gewonnen. So ließ um 1477 ein<br />

Hans von Toggenburg, aus einer bekannten<br />

gräflichen Familie, die zur Zeit <strong>de</strong>s<br />

heiligen Nikolaus von Flüe eine große<br />

Rolle spielt, eine Abschrift dieser »Bündt<br />

Erznei« verfertigen, die zur Zeit von<br />

Wilhelm und Theophrast von Hohenheim<br />

meistenteils anonym kursierte. Es<br />

han<strong>de</strong>lt sich um ein Werk praktischer<br />

Chirurgie, das im Vergleich zu <strong>de</strong>n gelehrten<br />

Zitatengarnituren <strong>de</strong>r damaligen<br />

Zeit für gewöhnliche Ba<strong>de</strong>r, Scherer und<br />

Chirurgen eine hohe Be<strong>de</strong>utung erlangt<br />

hat. Die Beziehungen <strong>de</strong>r Hohenheimer<br />

zu <strong>de</strong>n Johannitern und Deutschrittern,<br />

auch ihre starke Verankerung in <strong>de</strong>r alpinen<br />

Medizin (man vergleiche die Paracelsischen<br />

Vorlesungen einmal mit <strong>de</strong>m<br />

1970 im schweizerischen Entlebuch aufgefun<strong>de</strong>nen<br />

»Schüpfheimer Ko<strong>de</strong>x«, jetzt<br />

im Staatsarchiv Luzern) lassen es als


äußerst naheliegend erscheinen, daß sie<br />

wichtige Handschriften dieser Rittermedizin<br />

gekannt haben.<br />

Ich freue mich, wenn möglich noch in<br />

<strong>de</strong>n nächsten Jahren ein weiteres Buch<br />

über Paracelsus vorzulegen, in welchem<br />

ich unter an<strong>de</strong>rem auch zum Thema »Paracelsus<br />

und das Hexenwesen« Stellung<br />

beziehen möchte. Gerne wür<strong>de</strong> ich dieses<br />

neue Werk meinen hochgeschätzten<br />

Freun<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Dres<strong>de</strong>n widmen.<br />

1 Der vom Referenten in seinem Vortrag zitierte Eid <strong>de</strong>s Paracelsus, aus seiner Basler Zeit, lautet:<br />

»Das gelobe ich: Meine Arzneikunst zu vervollkommnen, von ihr nicht abzuweichen, solange mir Gott dies<br />

Amt als Arzt vergönnt, und allen falschen Künsten und Lehren in <strong>de</strong>r Medizin zu wi<strong>de</strong>rre<strong>de</strong>n; sodann, dass<br />

ich die Kranken lieben will, mehr als es mich selbst beträfe; es nicht <strong>de</strong>n Augen zu überlassen, <strong>de</strong>n Kranken<br />

nach <strong>de</strong>m blossen Erscheinen zu beurteilen und keine Arznei ohne Verstand zu verordnen; kein Geld anzunehmen,<br />

ohne es verdient zu haben; keinem Apotheker zu vertrauen; kein Kind <strong>de</strong>r Gewalt überlassen; nicht<br />

zu spekulieren, son<strong>de</strong>rn exakt zu wissen. Desgleichen keinen Fürsten zu behan<strong>de</strong>ln, es sei <strong>de</strong>nn, er habe vorher<br />

bezahlt, keinen E<strong>de</strong>lmann auf seinem Schloss, keinen Mönch, keine Nonne in ihrem Kloster. In Franken<br />

und Böhmen nichts arzneien! Wenn ein Arzt krank liegt, ihn so gut wie möglich behan<strong>de</strong>ln, mag er mich<br />

auch nicht akzeptiert haben... Wo eine Krankheit als Heimsuchung (plag) vorliegt, es laufen zu lassen; wo die<br />

Natur etwas versagt, nichts weiter zu versuchen. Wer mir <strong>de</strong>n Lidlohn vorenthält, meiner nicht würdig erachten<br />

... Frauen Hilfe selber erweisen; <strong>de</strong>n vor Trauer Erkrankten Rat zu geben; das alles, <strong>bei</strong> <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r mich erschaffen<br />

hat, gelob ich.<br />

Weil Christus <strong>de</strong>m Kranken <strong>de</strong>n Arzt schickt, will ich mich als Auserwählten bekennen nach seinen Worten:<br />

Liebe <strong>de</strong>inen Nächsten! ... Aber da will ich nit arzneien, wo Eheleut einan<strong>de</strong>r abhold sind, er gegen sie o<strong>de</strong>r<br />

sie gegen ihn, aus persönlichen Grün<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r wegen Hab und Gut! Keinen Apostaten behan<strong>de</strong>ln, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Arzt verachtet und doch Hilfe begehrt. Keinem unwissen<strong>de</strong>n Kranken eine unbekannte Arznei verschreiben,<br />

auch wenn dieser um sie bittet.« (nach VI, 162)<br />

Pirmin Meier: Paracelsus – Arzt und Prophet, Zürich 1993, S. 292 f.<br />

55


»In die Mitte <strong>de</strong>r Welt habe ich dich gestellt,<br />

damit du frei nach allen Seiten Umschau<br />

zu halten vermögest und erspähest,<br />

wo es dir behage. Nicht himmlisch, nicht<br />

irdisch, nicht sterblich und auch nicht unsterblich<br />

haben wir dich erschaffen. Denn<br />

du selbst sollst, nach <strong>de</strong>inem Willen und<br />

zu <strong>de</strong>iner Ehre, <strong>de</strong>in eigener Werkmeister<br />

und Bildner sein und dich aus <strong>de</strong>m Stoffe,<br />

<strong>de</strong>r dir zusagt, formen. So steht es dir frei,<br />

auf die unterste Stufe <strong>de</strong>r Tierwelt herab<br />

zu sinken. Doch kannst du dich auch erheben<br />

zu <strong>de</strong>n höchsten Sphären <strong>de</strong>r Gottheit.«<br />

1<br />

So läßt <strong>de</strong>r Graf Giovanni Pico <strong>de</strong>lla<br />

Mirandola (eine Generation vor Paracelsus)<br />

Gott zum Menschen sprechen als<br />

einem Wesen, das es in <strong>de</strong>r Hand hat, sich<br />

nach seinem Bil<strong>de</strong> zu schaffen, sich aller<br />

Einschränkungen animalisch-kreatürlichen<br />

Lebens, einschließlich <strong>de</strong>s Einflusses <strong>de</strong>r<br />

<strong>Ges</strong>tirne, <strong>de</strong>s äußeren Himmels, zu entledigen<br />

und sich zu <strong>de</strong>n Göttern emporzuschwingen.<br />

Wie<strong>de</strong>rum mehr als eine Generation<br />

früher hatte Nikolaus von Cues,<br />

<strong>de</strong>ssen revolutionäres Denken die Aufhebung<br />

aller Gegensätze, die coinci<strong>de</strong>ntia<br />

oppositorum, im Unendlichen ermöglichte,<br />

<strong>de</strong>n Menschen über alle geschaffenen<br />

Werke Gottes erhoben, ihn als nur<br />

um weniges unter <strong>de</strong>n Engeln stehend beschrieben<br />

2 . Er sah das Weltall, <strong>de</strong>n Makrokosmos,<br />

<strong>de</strong>m Menschen gemäß geformt<br />

als Makroanthropos, <strong>de</strong>n Menschen als<br />

<strong>de</strong>n Mikrokosmos, die mit einer Seele begabte<br />

kleine Welt, und so <strong>de</strong>n Menschen<br />

als <strong>de</strong>n perfectus mundus, die vollkommene<br />

Welt, an. Nur wenige Jahre vor Hohenheims<br />

Geburt hatte Marsilio Ficino,<br />

<strong>de</strong>r große Lehrer <strong>de</strong>r platonischen Aka<strong>de</strong>mie<br />

in Florenz, mit seiner Theologia platonica<br />

eine vom Neoplatonismus bestimmte<br />

Sicht <strong>de</strong>s Christentums vorgelegt, in welcher<br />

<strong>de</strong>m Menschen als <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Kosmos<br />

die zentrale Vermittlungsfunktion<br />

zwischen <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s Himmlischen, Unvergänglichen,<br />

<strong>de</strong>s Geistes und <strong>de</strong>r Welt<br />

56<br />

Hartmut Rudolph<br />

MENSCHENBILD UND ETHIK BEI PARACELSUS<br />

<strong>de</strong>s Materiellen, Elementischen – Paracelsus<br />

sagt zuweilen auch Viehischen – zugewiesen<br />

wird. Der Mensch, begabt mit<br />

einer <strong>de</strong>m Göttlichen entstammen<strong>de</strong>n<br />

und damit unsterblichen Seele, <strong>de</strong>r complexio<br />

humana, vermag allein diese compositio,<br />

diese Zusammenfügung zustan<strong>de</strong>zubringen.<br />

Diese Seele nennt Ficino das<br />

Zentrum <strong>de</strong>r Natur, das Mittel <strong>de</strong>s Alls,<br />

das Bildnis und <strong>de</strong>n Knoten o<strong>de</strong>r die Verknüpfung<br />

alles Bestehen<strong>de</strong>n 3 . Als natürlichem<br />

Magier ist es <strong>de</strong>m Menschen aufgegeben,<br />

coelo maritare mundum, die Welt<br />

mit <strong>de</strong>m Himmel zu verheiraten. Der<br />

Mensch vermag so göttlicher Kräfte teilhaftig<br />

zu wer<strong>de</strong>n 4 . Es ist nicht nur Ficinos<br />

drittes Buch über das Leben 5 , <strong>de</strong>ssen Thematik<br />

offensichtlich Hohenheims Interesse<br />

geweckt hat, wenn er selbst Traktate<br />

hierüber schrieb, es ist diese in <strong>de</strong>r jüngeren<br />

Geistesgeschichte einzigartig optimistische<br />

und exaltierte Sicht <strong>de</strong>s Menschen,<br />

die auf Paracelsus gewirkt hat und sich in<br />

seinem Werk nie<strong>de</strong>rschlägt unzweifelhaft,<br />

auch wenn Hohenheims Ar<strong>bei</strong>tsweise <strong>de</strong>n<br />

Nachweis unmittelbarer literarischer Abhängigkeit<br />

oft fast unmöglich macht und<br />

eher an eine etwas diffuse, mittelbare Rezeption<br />

<strong>de</strong>nken läßt. So ist <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Vergöttlichung<br />

<strong>de</strong>s Menschen liegen<strong>de</strong> Optimismus,<br />

wir könnten auch von einer<br />

völligen Entgrenzung <strong>de</strong>s Menschen sprechen,<br />

ein Teil <strong>de</strong>s Paracelsischen Menschenbil<strong>de</strong>s<br />

gewor<strong>de</strong>n. Auch er spricht<br />

vom Menschen als <strong>de</strong>r kleinen Welt, <strong>de</strong>m<br />

Mikrokosmos, vom Menschen als <strong>de</strong>m<br />

»fünft wesen« (1/XII, 453) 6 , <strong>de</strong>r Quintessenz<br />

<strong>de</strong>r Welt. Er ist das medium für die<br />

himmlischen Kräfte (1/XII, 122) als das<br />

centrum, das o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r (Paracelsus sagt<br />

»<strong>de</strong>r centrum«) von <strong>de</strong>r ganzen Weltmaschine<br />

(machina mundi) umgeben ist und<br />

in <strong>de</strong>m alle äußeren wesen »iren termin<br />

sezen« (1/XII, 454) und mit <strong>de</strong>n inneren<br />

Kräften zusammenstoßen. Insofern steht<br />

<strong>de</strong>r Mensch für Paracelsus über <strong>de</strong>n Engeln.<br />

Mit <strong>de</strong>n Engeln teilt er die göttliche


Herkunft, ist wie diese ein Geistwesen,<br />

von oben geboren etc. Doch mangelt es<br />

<strong>de</strong>n Engeln an <strong>de</strong>r Leiblichkeit in Fleisch<br />

und Blut, <strong>de</strong>r natürlichen, kreatürlichen<br />

Komponente, weshalb nicht sie, son<strong>de</strong>rn<br />

eben nur <strong>de</strong>r Mensch Mitte und Ziel <strong>de</strong>r<br />

Welt sein kann. Hier zeigen sich eine beson<strong>de</strong>re<br />

Nähe zu Picos Menschenbild, wie<br />

er es in seinem Heptaplus, <strong>de</strong>r Auslegung<br />

<strong>de</strong>s Sechstagewerkes <strong>de</strong>r Schöpfung, gezeichnet<br />

hat, aber auch ein entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r<br />

Unterschied zu Ficino. Denn alles das,<br />

was dieser <strong>de</strong>r unsterblichen Seele zuerkennt,<br />

sagt Paracelsus vom Menschen als<br />

ganzem. Auf <strong>de</strong>n Grund dieser Differenz<br />

komme ich noch zu sprechen.<br />

Paracelsus kennt die compositio, die Zusammenfügung<br />

<strong>de</strong>s Göttlichen und <strong>de</strong>s<br />

Natürlichen im Menschen, allein schon als<br />

die Ermöglichung von Erkenntnis, <strong>de</strong>r<br />

scientia. Sie wird nicht als bloße fakultative<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>s Menschen, als Teil seiner<br />

Subjektivität, gesehen, wie wir das heute<br />

tun, son<strong>de</strong>rn als <strong>de</strong>r Welt im ganzen wie<br />

je<strong>de</strong>m einzelnen Ding innewohnen<strong>de</strong> geistige<br />

Wirkkraft jener Zusammenfügung,<br />

Paracelsus spricht <strong>de</strong>shalb auch vom<br />

Samen scientiae. Die in Ficinos Erkenntnistheorie<br />

zentrale Liebe, <strong>de</strong>r amor, als<br />

das, was das Universum zusammenhält,<br />

wie er im 3. Buch De vita (26) ausführt,<br />

als die Kraft, die überall das Ähnliche zum<br />

Ähnlichen hinzieht 7 , begegnet auch <strong>bei</strong><br />

Paracelsus als Grundlage <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />

<strong>de</strong>s Menschen. Der nichts weiß, <strong>de</strong>r liebt<br />

nicht, und umgekehrt: Ohne Liebe gibt es<br />

keine Erkenntnis.<br />

Doch ist dies nur die eine Seite im Paracelsischen<br />

Welt- und Menschenbild.<br />

Schon 1971 hatte Goldammer in Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

mit Walter Pagel darauf<br />

hingewiesen, daß <strong>de</strong>r Optimismus <strong>de</strong>r Renaissance-Philosophie<br />

nicht in Hohenheims<br />

theologisches Werk Eingang gefun<strong>de</strong>n<br />

habe o<strong>de</strong>r wenigstens nicht in vollem<br />

Ausmaß, son<strong>de</strong>rn daß Welt und Mensch<br />

eher in ihrer Vergänglichkeit, theologisch<br />

gesprochen, als unter <strong>de</strong>m Gericht Gottes<br />

stehend, mit an<strong>de</strong>ren Worten, eher entsprechend<br />

<strong>de</strong>m jüdisch-christlichen Horizont<br />

<strong>de</strong>r Bibel gesehen wer<strong>de</strong>n 8 . Seine<br />

Werke, und zwar in <strong>bei</strong><strong>de</strong>n Abteilungen,<br />

zeigen eine große Vertrautheit mit <strong>de</strong>r<br />

Bibel, seine theologischen Schriften sind<br />

bekanntlich zum größeren Teil Bibelauslegungen.<br />

Doch ist ja auch die Bibel kein<br />

einheitlich systematisches Werk, son<strong>de</strong>rn<br />

Zeugnis sehr disparater Welt- und Menschenanschauungen<br />

unterschiedlicher<br />

räumlicher, zeitlicher und sozialer Herkunft.<br />

Je<strong>de</strong>r Interpret, je<strong>de</strong>r Christ, sei es<br />

Ficino, Paracelsus, Martin Luther, Thomas<br />

Müntzer, Karl Barth o<strong>de</strong>r Paul Tillich,<br />

Thomas von Aquin o<strong>de</strong>r Karl<br />

Rahner, wird angesichts jener wi<strong>de</strong>rsprüchlichen<br />

Vielfalt notgedrungen zum<br />

Eklektiker. Die einen, dazu zählte gewiß<br />

auch Paracelsus, sahen im Matthäus-<br />

Evangelium mit seiner rigi<strong>de</strong>n Ethik in<br />

<strong>de</strong>r Bergpredigt, seiner scharfen Endzeiterwartung<br />

in <strong>de</strong>n apokalyptischen Kapiteln<br />

über die Verführer, <strong>de</strong>n Antichristus<br />

und das jüngste Gericht ein o<strong>de</strong>r das<br />

Summarium <strong>de</strong>r ganzen Schrift, <strong>de</strong>n Kern<br />

<strong>de</strong>s Christentums, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren erschien<br />

im Johannes-Evangelium mit seiner<br />

Lichtsymbolik und Logostheologie und<br />

wie<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren mit <strong>de</strong>r sogenannten<br />

Rechtfertigungslehre im Galater- o<strong>de</strong>r Römerbrief<br />

<strong>de</strong>s Paulus die christliche Botschaft<br />

auf <strong>de</strong>n Punkt gebracht, einen<br />

Punkt, <strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>r eine <strong>bei</strong> Plato, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

<strong>bei</strong> Aristoteles, <strong>de</strong>r dritte <strong>bei</strong> Schelling<br />

o<strong>de</strong>r Marx, <strong>de</strong>r vierte <strong>bei</strong> Kant o<strong>de</strong>r<br />

Hei<strong>de</strong>gger auslieh.<br />

Paracelsus steht inmitten <strong>de</strong>r Spannungen<br />

seines Zeitalters und <strong>de</strong>r vielfältigen<br />

Traditionen, die er in sich aufnimmt und<br />

weitergibt, verän<strong>de</strong>rt, verwertet, ohne sich<br />

groß über mögliche Wi<strong>de</strong>rsprüche zu sorgen.<br />

Als Bibelausleger lebt er in <strong>de</strong>r Vielfalt<br />

<strong>de</strong>r Texte und Anschauungen, gibt sie<br />

oft so weiter, wie er sie seiner Meinung<br />

nach vorfin<strong>de</strong>t: Er predigt die unbarmherzige<br />

und unerschütterliche Strenge <strong>de</strong>s<br />

Jüngsten Gerichts über die Bösewichter<br />

dieser Welt, die Reichen, die ungerechten<br />

Obrigkeiten, die Hurer, die Betrüger, und<br />

kennt an<strong>de</strong>rerseits das Evangelium <strong>de</strong>s geretteten,<br />

ja teilweise o<strong>de</strong>r besser gesagt:<br />

zeitweise auch <strong>de</strong>s im Glauben gerechtfertigten<br />

Sün<strong>de</strong>rs. Wie <strong>bei</strong> an<strong>de</strong>ren prominenten<br />

Zeitgenossen gera<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>n<br />

schärfsten Kritikern <strong>de</strong>r römischen Kirche<br />

57 57


(nicht zuletzt <strong>bei</strong> Martin Luther) fin<strong>de</strong>n<br />

sich auch <strong>bei</strong> ihm, in seinen Predigten,<br />

Sermonen Spuren einer glühen<strong>de</strong>n apokalyptischen<br />

Naherwartung, an<strong>de</strong>rerseits<br />

widmet er eine Fülle von Traktaten und<br />

Auslegungen <strong>de</strong>m seligen Leben, <strong>de</strong>r vita<br />

beata als langsam reifen<strong>de</strong>r Frucht christlichen<br />

Lebens und als <strong>de</strong>r eigentlichen<br />

Bestimmung <strong>de</strong>s Menschen.<br />

Wir müssen all dieses zur Kenntnis<br />

nehmen und in das Bild, das wir von Paracelsus<br />

zeichnen, eingehen lassen, ohne<br />

da<strong>bei</strong> mo<strong>de</strong>rnen Erkenntnissen <strong>de</strong>r<br />

Auslegungsgeschichte und mo<strong>de</strong>rnen traditionsgeschichtlichen<br />

und geistesgeschichtlichen<br />

I<strong>de</strong>en geschul<strong>de</strong>te Differenzierungen<br />

o<strong>de</strong>r eben gewaltsame<br />

Harmonisierungen von vermeintlichen<br />

»Wi<strong>de</strong>rsprüchen« vorzunehmen. Eine solche<br />

mo<strong>de</strong>rne o<strong>de</strong>r besser: anachronistische<br />

Sichtweise liegt <strong>de</strong>r Trennung zwischen<br />

Paracelsus <strong>de</strong>m Naturphilosophen<br />

und Paracelsus <strong>de</strong>m Laientheologen zugrun<strong>de</strong>,<br />

die zwar durch die Aufteilung <strong>de</strong>r<br />

<strong>Ges</strong>amtausgabe seiner Werke in zwei Abteilungen,<br />

in die von Sudhoff und die<br />

von Goldammer, keineswegs jedoch<br />

durch die Schriften <strong>de</strong>s Paracelsus selbst<br />

nahegelegt wird. Liest man in <strong>de</strong>r 1. Abteilung,<br />

so entsteht alles an<strong>de</strong>re als <strong>de</strong>r<br />

Eindruck, theologische I<strong>de</strong>en hätten dort<br />

Hausverbot. Hohenheims Schriften<br />

weisen lediglich eine unterschiedliche<br />

Thematik auf, unterschiedliche Schwerpunkte,<br />

die mal im Naturphilosophischen,<br />

mal im Politischen, mal in <strong>de</strong>r Bibelauslegung,<br />

mal in <strong>de</strong>r Heilkun<strong>de</strong><br />

liegen. Und diese Schwerpunkte verschieben<br />

sich im Laufe <strong>de</strong>r zwei Jahrzehnte<br />

seines Schaffens, zuweilen sogar auch innerhalb<br />

einer einzelnen Schrift, mal von<br />

dieser zur an<strong>de</strong>ren Thematik und zurück,<br />

immer wie<strong>de</strong>r hin und her. Häufig vollzieht<br />

Paracelsus <strong>de</strong>n Wechsel ganz bewußt,<br />

beschreibt und begrün<strong>de</strong>t ihn also,<br />

biographisch o<strong>de</strong>r systematisch. In einer<br />

Frühschrift klagt er, »<strong>de</strong>r theologei noch zu<br />

[ge]ring« zu sein (1/I, 257), von einer bestimmten<br />

Zeit an (vielleicht Anfang <strong>de</strong>r<br />

1530er Jahre) versteht er sich als Doktor<br />

<strong>de</strong>r heiligen Schrift, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Same, <strong>de</strong>r<br />

von Anfang an in ihm war, zur Reife ge-<br />

58<br />

langt sei (2/III,170).<br />

In seinem Fragment gebliebenen philosophischen<br />

opus magnum, <strong>de</strong>r Astronomia<br />

magna o<strong>de</strong>r die ganze Philosophia<br />

sagax <strong>de</strong>r großen und kleinen Welt (1/XII,<br />

1-444), z. B. vollzieht er <strong>de</strong>n Wechsel systematisch,<br />

beginnend mit <strong>de</strong>r Philosophie<br />

im Lichte <strong>de</strong>r Natur, hinführend zur<br />

christlichen Philosophie, <strong>de</strong>r Philosophie<br />

im Lichte <strong>de</strong>s Geistes. Das erste kann er<br />

die tötliche (wir sagen heute eher: vergänglich-sterbliche),<br />

das letztere die<br />

untötliche, also die unvergänglich-ewige,<br />

unsterbliche Philosophie nennen; eine<br />

Auswahl von Traktaten faßt er so in<br />

einem »volumen von <strong>de</strong>r untötlichen philosophei«<br />

zusammen. Mein Thema, Menschenbild<br />

und Ethik, gehört in dieses<br />

Spannungsfeld in vielfacher Hinsicht.<br />

Wer sich ein wenig mit Paracelsus beschäftigt<br />

hat, weiß dieses wie auch das<br />

Umgekehrte, daß es kaum ein Gebiet <strong>bei</strong><br />

Paracelsus gibt, das für dieses Thema irrelevant<br />

wäre.<br />

Das zweite Buch, gewissermaßen <strong>de</strong>r<br />

christliche o<strong>de</strong>r, wie Paracelsus sagt, übernatürliche<br />

Teil <strong>de</strong>r Philosophia sagax <strong>de</strong>r<br />

großen und <strong>de</strong>r kleinen Welt, er überschreibt<br />

ihn mit »Von <strong>de</strong>r ubernatürlichen<br />

wirkung <strong>de</strong>r himlischen astronomei«<br />

(1/XII, 275) o<strong>de</strong>r nennt ihn einfach die<br />

»philosophei <strong>de</strong>r himlischen wirkung«<br />

(1/XII, 276), ist ebenfalls keine spekulative<br />

Abhandlung über die Sternenwelt,<br />

die belebte und unbelebte Natur usw.,<br />

son<strong>de</strong>rn entsprechend <strong>de</strong>m anthropozentrischen<br />

Weltbild Hohenheims wie<strong>de</strong>rum<br />

ein Traktat über <strong>de</strong>n Menschen, die astralen,<br />

himmlischen Wirkungen auf <strong>de</strong>n<br />

Menschen, nun über <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>r<br />

neuen Geburt, im Licht <strong>de</strong>s Ewigen<br />

(1/XII, 273), in <strong>de</strong>m sich Gott in <strong>de</strong>r<br />

übernatürlichen Wirkung <strong>de</strong>s himmlischen<br />

Willens o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Wirkung <strong>de</strong>s<br />

inneren Himmels mit <strong>de</strong>m Menschen vereinigt<br />

(vgl. 1/XII, 276.320), wohl nach <strong>de</strong>r<br />

Ordnung <strong>de</strong>s äußeren Himmels zu beschreiben,<br />

wie Paracelsus sie im 1.Teil <strong>de</strong>r<br />

Astronomia Magna dargestellt hat, in <strong>de</strong>r<br />

Wirkung jedoch über dieses Natürliche<br />

hinausgehend. Die Wirkungen <strong>de</strong>s inneren<br />

Himmels vollziehen sich in ihrer


Ordnung in <strong>de</strong>n Erscheinungsweisen <strong>de</strong>s<br />

äußeren Himmels (1/XII, 282). Ein Beispiel<br />

hierfür sind die Magier, die <strong>de</strong>m<br />

Stern von Bethlehem folgen. Obwohl ja<br />

hervorgebracht vom inneren ewigen Himmel<br />

erscheint er am äußeren Himmel in<br />

<strong>de</strong>r »ordnung und prozeß« (ebd.) aller an<strong>de</strong>ren<br />

Sterne o<strong>de</strong>r wie er an an<strong>de</strong>rer Stelle<br />

sagt, »durch die elementen, durch an<strong>de</strong>r<br />

corpora und in gestalt <strong>de</strong>r natürlichen operation«.<br />

Die Magier sehen diesen Stern<br />

jedoch als Anzeiger Christi <strong>de</strong>s Sohnes<br />

Gottes und machen sich auf <strong>de</strong>n Weg.<br />

Sie sind ein Beispiel für <strong>de</strong>n Theologen,<br />

als <strong>de</strong>n sich Paracelsus selbst versteht: ein<br />

Astrologe, Philosoph, Arzt, <strong>de</strong>r sich auskennt<br />

in <strong>de</strong>n natürlichen Influenzen <strong>de</strong>s<br />

äußeren Himmels, und die übernatürlichen<br />

Influenzen <strong>de</strong>s inneren Himmels<br />

erkennt, entsprechend <strong>de</strong>m Wort in <strong>de</strong>r<br />

Aussendungsre<strong>de</strong> Christi (Mt 10, 26):<br />

»Es ist nichts verborgen, das nicht offenbar<br />

wer<strong>de</strong>, und nichts heimlich, das man<br />

nicht wissen wer<strong>de</strong>«. Wie die Weisheit<br />

keinen Feind hat außer <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r nicht<br />

weise ist, so hat <strong>de</strong>r Theologe, <strong>de</strong>r aus got<br />

lehret und schreibt, keinen Feind außer<br />

<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r nicht aus Gott ist (1/XII, 284).<br />

So ließe sich – kurz gefaßt – die hermeneutische<br />

o<strong>de</strong>r erkenntnistheoretische<br />

Grundlage <strong>de</strong>r Paracelsischen Anthropologie<br />

beschreiben. Namentlich zur theologischen<br />

Anthropologie Hohenheims<br />

seien hier nur einige wenige, die Ausführungen<br />

von M. Bunners im vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Band ergänzen<strong>de</strong>, möglicherweise<br />

auch an<strong>de</strong>rs akzentuieren<strong>de</strong> <strong>Ges</strong>ichtspunkte<br />

angeführt.<br />

Die zentrale Funktion <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> vom irdisch-sterblichen<br />

und himmlisch-unsterblichen<br />

Leib, die Unterscheidung <strong>de</strong>s limbus<br />

Adams vom limbus Abrahams, die<br />

Verknüpfung mit <strong>de</strong>r Erkenntnislehre in<br />

ihrer Unterscheidung <strong>de</strong>s Lichts <strong>de</strong>r<br />

Natur vom Licht <strong>de</strong>s Ewigen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

Geistes, die Beschreibung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>m Menschen<br />

zugedachten Ziels, nämlich einer<br />

Vollkommenheit in unsterblicher Leiblichkeit,<br />

und die zentrale Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Abendmahls zur fortschreiten<strong>de</strong>n Erlangung<br />

dieses Heilsstatus, all dies ist aus <strong>de</strong>r<br />

Bibel allein – und schon gar aus Paulus –<br />

nicht zu erklären. Anhand <strong>de</strong>r Analyse<br />

<strong>de</strong>r Paracelsischen Auslegung von 1. Kor.<br />

15, also <strong>de</strong>s biblischen Textes, in welchem<br />

wie in keinem an<strong>de</strong>ren von <strong>de</strong>n zwei Leibern,<br />

einem himmlisch unverweslich<br />

geistlichen und einem irdisch verweslichen<br />

natürlichen o<strong>de</strong>r tierischen die Re<strong>de</strong><br />

ist, läßt sich zwingend nachweisen, daß<br />

dieser Text nicht die Vorlage für Hohenheims<br />

Philosophie <strong>de</strong>s himmlischen Leibes<br />

gewesen sein kann, son<strong>de</strong>rn daß er<br />

diesen Text bereits im Sinne seiner Philosophie<br />

interpretiert. So verän<strong>de</strong>rt Hohenheim<br />

<strong>de</strong>n Paulustext, »Es wird gesäet in<br />

Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit«<br />

zu »Es wird geseet mit einer unwissenheit«.<br />

Den Kernsatz <strong>de</strong>r paulinischen<br />

Argumentation in 1.Kor 15,13 (»Ist<br />

aber die Auferstehung <strong>de</strong>r Toten nichts,<br />

so ist auch Christus nicht auferstan<strong>de</strong>n«)<br />

paraphrasiert er folgen<strong>de</strong>rmaßen: »sol die<br />

auferstehung nichts sein, so ist auch Christus<br />

nit geporen« 9 . Der entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Unterschied zur paulinischen Soteriologie<br />

besteht darin, daß nicht Kreuz und Auferstehung<br />

Christi in ihrer Einmaligkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn die Genealogie (Paracelsus sagt<br />

die »geburt«) Christi aus <strong>de</strong>m ewigen limbus,<br />

<strong>de</strong>m limbus Abrahams, zum eigentlichen<br />

Grund <strong>de</strong>s Christenheils wird. Nicht<br />

<strong>de</strong>r historische Jesus, nicht Kreuz und<br />

Auferstehung Christi sind <strong>de</strong>r Grund,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r limbus aeternus, weshalb<br />

auch Christus lediglich ein Beispiel für<br />

die Geburt aus diesem limbus ist; er verliert<br />

seine soteriologische Einzigartigkeit<br />

als Heilsvermittler, und er verliert die soterio-logische<br />

Relevanz als Mensch im<br />

Sinne eines <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> unterworfenen Wesens.<br />

Auch die Wun<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Alten wie<br />

Neuen Testaments, einschließlich <strong>de</strong>r<br />

Auferweckung <strong>de</strong>s Lazarus o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer<br />

Toten sind erklärbar aus <strong>de</strong>r übernatürlichen<br />

Wirkung <strong>de</strong>s Himmels, die sich –<br />

das ist die Auffassung manches Renaissance-Philosophen<br />

wie auch <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

– je<strong>de</strong>r himmlische Magus verfügbar<br />

machen kann; <strong>de</strong>ssen Werke sind das Zeichen,<br />

<strong>de</strong>r Beweis für die Christlichkeit,<br />

die Rechtgläubigkeit, also für das wahre<br />

Christentum, das auch von daher, von<br />

<strong>de</strong>r christlichen Magie her wie an<strong>de</strong>rer-<br />

59


seits auch von <strong>de</strong>r Sakramentslehre her<br />

wesentlich dynamisch, d. h. von <strong>de</strong>n<br />

Wirkkräften her, verstan<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>finiert<br />

wird. Der Mensch im Lichte <strong>de</strong>s Ewigen,<br />

<strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>s seligen Lebens, teilhaftig<br />

<strong>de</strong>s himmlischen Fleisches und Blutes,<br />

wird göttlich-himmlischer Erkenntnis und<br />

göttlich-himmlischer Wirkkräfte mächtig.<br />

Auch hier gilt, wie so oft <strong>bei</strong> Paracelsus:<br />

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen<br />

(Mt. 7,16).<br />

Diese Vorstellung <strong>de</strong>s zum Heil, zu seiner<br />

von Gott ihm zugedachten Bestimmung<br />

gelangten Menschen ist wesentlich<br />

erwachsen aus <strong>de</strong>m auch <strong>de</strong>n Neuplatonismus<br />

kennzeichnen<strong>de</strong>n Bild <strong>de</strong>s Menschen<br />

als eines von oben geschaffenen<br />

und nach oben streben<strong>de</strong>n unsterblichen,<br />

letztlich göttlichen Wesens. Das Fleisch<br />

Adams ist nichts wert, sagt er in <strong>de</strong>r<br />

Astronomia magna (1/XII, 309); son<strong>de</strong>rn<br />

die neue Geburt aus Abraham (1/XII,<br />

308), ... »das ist vom himel und kompt<br />

wi<strong>de</strong>r gen himel«. Und – dies ist <strong>de</strong>r erste<br />

Kernsatz <strong>de</strong>r philosophia <strong>de</strong> limbo aeterno<br />

– nur was vom Himmel kommt, kann<br />

wie<strong>de</strong>r zum Himmel gehen. Dies ist zugleich<br />

ein Kernsatz <strong>de</strong>r Paracelsischen Anthropologie<br />

wie <strong>de</strong>r Paracelsischen Ethik,<br />

und hierin liegt, wie abschließend zu zeigen<br />

ist, auch die untrennbare Verknüpfung<br />

von Menschenbild und Ethik <strong>bei</strong> Paracelsus<br />

begrün<strong>de</strong>t. Der zweite Kernsatz<br />

ergibt sich aus <strong>de</strong>m oben zum Unterschied<br />

zwischen Menschen- und Engelwesen<br />

<strong>Ges</strong>agten: Sollen Menschen in <strong>de</strong>n<br />

Himmel kommen, so müssen sie in<br />

Fleisch und Blut, mo<strong>de</strong>rn gesprochen: in<br />

Wahrung ihrer leiblichen, personalen<br />

Kontiniuität, in <strong>de</strong>n Himmel kommen.<br />

Allein dies entspricht <strong>de</strong>r anthropologischen<br />

Zielsetzung, wie sie Gott mit <strong>de</strong>r<br />

Erschaffung <strong>de</strong>s Menschen verfolgt hat.<br />

Auch hier<strong>bei</strong> gilt die eben <strong>bei</strong>m Stern<br />

von Bethlehem angesprochene Analogie<br />

in <strong>de</strong>r Ordnung und Prozeß irdischer wie<br />

himmlischer Leiblichkeit; auch <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

Taufe geborene ewige Leib will genährt<br />

wer<strong>de</strong>n, wachsen usw., genau dies ist ja<br />

<strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>r Eucharistie, <strong>de</strong>r Speisung im<br />

Abendmahl. In <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s Vater<br />

Unsers sagt er: »Darumb so ist hie <strong>de</strong>r<br />

60<br />

namen vatter nit gesetzt von wegen geistlicher<br />

andacht son<strong>de</strong>r allein von wegen <strong>de</strong>s<br />

blut und fleisches aus <strong>de</strong>m wir im neuen testament<br />

geboren seind. ... das geperen ist<br />

nit nach <strong>de</strong>m schatten als ein geistlich kint<br />

son<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m blut als ein leiblichs<br />

kint« 10 . In diesem Beharren auf <strong>de</strong>r Leiblichkeit<br />

<strong>de</strong>s Menschen <strong>de</strong>r neuen Geburt<br />

unterschei<strong>de</strong>t sich Paracelsus, wie vorhin<br />

schon einmal gesagt, von Ficino. Auch<br />

dieser 2. Kernsatz Paracelsischer Anthropologie<br />

ist von größter Relevanz für seine<br />

Ethik und ein Zeichen ihrer unlöslichen<br />

Verknüpfung mit seinem kosmologischen<br />

Menschenbild. »darumb sol <strong>de</strong>r mensch<br />

nicht <strong>de</strong>m natürlichen leib leben, son<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m ewigen leib, nicht <strong>de</strong>m irdischen, son<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m himlischen und <strong>de</strong>n himlischen<br />

fürgehen lassen« – Mit diesen Worten<br />

könnte <strong>de</strong>r Kern dieser Verknüpfung umschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n. Sie fin<strong>de</strong>n sich im<br />

3. Kapitel <strong>de</strong>s 2. Teils <strong>de</strong>r Astronomia<br />

magna, das überschrieben ist: »Wie sich<br />

got gegen <strong>de</strong>m menschen vereinigt, und wie<br />

er sich gegen in halt, annimbt und mit im<br />

und durch in hantlet, als nemlich in <strong>de</strong>r<br />

zukünftigen welt« <strong>de</strong>r Astronomia magna<br />

(1/XII, 327). Paracelsus benannte die<br />

Leiblichkeit <strong>de</strong>s Menschen <strong>de</strong>r neuen Geburt<br />

mit <strong>de</strong>m antiken Begriff <strong>de</strong>r vita<br />

beata, <strong>de</strong>s seligen Lebens, <strong>de</strong>m er eine<br />

ganze Reihe von Traktaten gewidmet hat.<br />

Von Goldammer 11 stammt <strong>de</strong>r schöne Gedanke,<br />

es han<strong>de</strong>le sich hier<strong>bei</strong> um <strong>de</strong>n<br />

Versuch, das Christentum und das christliche<br />

Leben, die vita nova, als Neuheitserlebnis<br />

darzustellen. »Dem himlischen<br />

leib fürgehen lassen«, heißt ethisch:<br />

Gottes Willen, nicht <strong>de</strong>m eigenen folgen:<br />

»bittent got unsern vatter daß er euch<br />

behüet vor euerm willen und fürnemben<br />

dann aus euerm willen und nach euerm<br />

willen wer<strong>de</strong>n auferstehn die falschen christen<br />

die euch verfüeren wer<strong>de</strong>n.« sagt er in<br />

<strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>r 2. Bitte <strong>de</strong>s Vater Unsers<br />

(251a/b). Und an späterer Stelle:<br />

»dann so die er<strong>de</strong>n in seinem willen wandlet so<br />

ist sie ein paradis wo aber nit son<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r mensch<br />

wandlet in seinem willen so ist nichts da als<br />

falsch christen und krig teurung pestilenz hunger<br />

erdbi<strong>de</strong>m und ie eines wi<strong>de</strong>r das an<strong>de</strong>r das<br />

kombt alles aus <strong>de</strong>s menschen willen.«


So wie die Erkenntnis gebun<strong>de</strong>n ist an<br />

das Licht <strong>de</strong>s Ewigen, so ist auch das<br />

Ethos <strong>de</strong>s neuen Menschen gebun<strong>de</strong>n an<br />

die Geburt von oben. Der Sache nach ist<br />

es für Paracelsus ein und <strong>de</strong>rselbe Vorgang:<br />

»Nun be<strong>de</strong>nkt die wesen <strong>de</strong>r menschen,<br />

das <strong>de</strong>r mensch gemacht ist, hie auf<br />

er<strong>de</strong>n zu sein ein kurze zeit, und was er<br />

in <strong>de</strong>r zeit erlangt, das folget ihm ewig<br />

nach. so er nun wil ein gut erlangen tun,<br />

so muß er ... sich in die himlische wirkung<br />

richten, auf das er ein magus coelestis<br />

sei, ein apostolus coelestis, ein medicus<br />

coelestis usw. und entlich die gaben<br />

gottes, darinnen er berufen ist, gewißlich<br />

erkennen, damit das er die selbig im willen<br />

gottes volbring. dan alles was das<br />

himlisch antrift, das muß ganz und gar<br />

aus <strong>de</strong>r neuen geburt laufen ...« (1/XII,<br />

315). Nur in dieser gibt es <strong>de</strong>n freien Willen,<br />

worunter Paracelsus ganz augustinisch<br />

nicht die Freiheit <strong>de</strong>r Wahl zwischen<br />

Gutem und Bösem, son<strong>de</strong>rn nur<br />

die Wahlfreiheit für das Gute versteht. So<br />

ist <strong>de</strong>r freie Wille <strong>de</strong>m irdischen Menschen<br />

versagt, gebiert er doch nur Böses,<br />

das sich für Paracelsus vor allem im<br />

Reichtum zeigt. Materieller Kerngedanke<br />

seiner Individual- wie Sozialethik ist das<br />

Armutsprinzip. Ein Reicher kommt nicht<br />

in <strong>de</strong>n Himmel. Der Wucherer ist gewissermaßen<br />

das Urbild <strong>de</strong>s Gottesfein<strong>de</strong>s<br />

und dadurch auch das, wogegen David<br />

einsteht (zu Ps 107,3; 2/V,78).<br />

Es gibt <strong>de</strong>n Reichtum aus <strong>de</strong>r Influenz<br />

<strong>de</strong>s äußeren Himmels also <strong>de</strong>s natürlichen<br />

Lichtes (zu Ps 107,5; 2/V,80). Diese<br />

bewirkt die Diversifikation in <strong>de</strong>r Aufteilung<br />

<strong>de</strong>r Güter dieser Welt (z. B. die Tatsache,<br />

daß es gute und schlechte Äcker<br />

gibt), die nach Paracelsus ja überhaupt bewirkt,<br />

daß es Arme und Reiche und die<br />

Notwendigkeit <strong>de</strong>s Ausgleichs gibt. Das<br />

wesentliche Mittel solchen Ausgleichs ist<br />

die Vergesellschaftung <strong>de</strong>s Bo<strong>de</strong>ns, konkret<br />

<strong>de</strong>r Kaiser als alleiniger Eigentümer<br />

und im übrigen die Ar<strong>bei</strong>t als einzige<br />

Quelle zum Lebensunterhalt. Aneignung<br />

<strong>de</strong>r Früchte frem<strong>de</strong>r Ar<strong>bei</strong>t ist Diebstahl;<br />

das gilt auch für die Obrigkeiten, inclusive<br />

<strong>de</strong>n Kaiser. Paracelsus spricht von <strong>de</strong>r<br />

Barmherzigkeit <strong>de</strong>r Himmel, die jedoch<br />

<strong>de</strong>r Barmherzigkeit Gottes untergeordnet<br />

bleibt. Gott wird »die welt einnemen« (zu<br />

Ps 107,12; 2/V,84); d. h. wie er zu Ps<br />

106,40 schon gesagt hatte, daß Gott die<br />

Fürsten, die Regieren<strong>de</strong>n dieser Welt in<br />

die Enge treiben wird: Wie eine Maus, die<br />

keinen Unterschlupf fin<strong>de</strong>t, wer<strong>de</strong>n sie<br />

herumlaufen (2/V,74); die Armen wer<strong>de</strong>n<br />

dagegen von ihrem Elend erlöst wer<strong>de</strong>n,<br />

das von da an die Fürsten teilen müssen.<br />

So predigt er das Gericht über die Reichen,<br />

beson<strong>de</strong>rs die Wucherer (zu Ps 108,<br />

12; 2/V, 99f.): Es wer<strong>de</strong> für sie keine<br />

Gna<strong>de</strong> geben; mit Weib und Kind wer<strong>de</strong>n<br />

sie in das Elend geschlagen, »wird nix an<strong>de</strong>rst<br />

sein dann ein verlaßne armut auf<br />

er<strong>de</strong>n«. So wie auf diese Weise Gott wirken<br />

wird, so wirkt auch ein Mensch, ein<br />

Christ, <strong>de</strong>r von oben lebt, <strong>de</strong>r nicht, wie<br />

eingangs in Picos Re<strong>de</strong> über die Wür<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Menschen zitiert, nach seinem, son<strong>de</strong>rn<br />

nach göttlichem Willen lebt. Ein solches<br />

Leben von oben ist, wie gezeigt,<br />

nicht einfach Gegenstand o<strong>de</strong>r Wirkung<br />

eines vom Menschen vollzogenen voluntaristischen<br />

Aktes, einer Willensentscheidung,<br />

son<strong>de</strong>rn bil<strong>de</strong>t sich in einer prozeßhaften<br />

Entwicklung, im Wachsen und<br />

Reifen, an<strong>de</strong>rs gesagt: in <strong>de</strong>r Zeit heraus.<br />

Der Mensch bedarf <strong>de</strong>r Zeit, damit <strong>de</strong>r<br />

Same, <strong>de</strong>r von oben in ihn gelegt wird zur<br />

Reife gelangen kann, eine Zeit, die nicht<br />

in seiner Hand liegt, son<strong>de</strong>rn ihm von<br />

Gott zugewiesen wird, eine Folge göttlicher<br />

»Prä<strong>de</strong>stinaz« <strong>de</strong>s Anfangs und<br />

En<strong>de</strong>s unseres Lebens. Zeit <strong>de</strong>nkt Paracelsus<br />

also nicht aristotelisch, im Sinne linearer<br />

Abfolge, son<strong>de</strong>rn qualitativ, als<br />

eine Größe <strong>de</strong>r Fülle, <strong>de</strong>s Erfülltseins.<br />

Je<strong>de</strong>s Ding, je<strong>de</strong>r Mensch hat seine Zeit,<br />

das, was ihn (o<strong>de</strong>r es) zum Ziel bringt.<br />

Wir verdanken dieser Seite <strong>de</strong>r Anthropologie<br />

Hohenheims einen ethischen Anstoß,<br />

<strong>de</strong>r ihn über seine Zeitgenossen hinaushebt,<br />

ihn mehr sein läßt als nur einen<br />

scharfen Prediger <strong>de</strong>s Armutsi<strong>de</strong>als, wie es<br />

ja bereits die Franziskanerspiritualen im<br />

Hoch- und Spätmittelalter in <strong>de</strong>n Mittelpunkt<br />

christlicher Ethik gerückt hatten.<br />

»Was ist auf er<strong>de</strong>n edlers dann das leben, so<br />

<strong>de</strong>r mensch hat? das dann allen menschen<br />

gleich geben ist, reichen und armen, kleinen<br />

61 61


und großen; dann ein ieglich ding, das <strong>de</strong>r<br />

mensch haben muß, dasselbig hat gott einem<br />

verordnet wie <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn und darin kein<br />

vorteil gebraucht noch geben einem für [vor]<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn. nun haben wir unser zeit zu<br />

leben auf er<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>m wir unser zil haben.<br />

solches zil ist dahin geordnet, daß wir müessen<br />

zwischen <strong>de</strong>m geburtstag und <strong>de</strong>s to<strong>de</strong>s<br />

tag uns selbs erinnern, be<strong>de</strong>nken, erfahren,<br />

ergrün<strong>de</strong>n alles das, so wir zu erfahren vermögen<br />

in solcher zeit, und zu tun, von <strong>de</strong>swegen<br />

wir beschaffen seindt. das ist: wir<br />

seindt darumb beschaffen und menschen wor<strong>de</strong>n<br />

und geboren von unsern ältern, das leben<br />

empfangen, daß wir unser leben auf er<strong>de</strong>n in<br />

göttlichen dingen verzehren.« (2/VII,153)<br />

So beginnt Paracelsus seine umfangreiche<br />

Auslegung <strong>de</strong>s Gebotes »Du sollst<br />

nicht töten«, ein Summarium alles <strong>de</strong>ssen,<br />

was sich in diesem Zusammenhang<br />

zu Hohenheims Anthropologie und<br />

Ethik sagen läßt. Wer einen an<strong>de</strong>ren<br />

Menschen tötet, nimmt ihm »das zil, so<br />

ihm gott geben hat« (2/VII,154). Am jüngsten<br />

Gericht muß <strong>de</strong>r Mör<strong>de</strong>r dann Rechenschaft<br />

für <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren ablegen: »so<br />

geht sein rechnung auf das werk und du<br />

mußt das tragen« (155). Petrus, Paulus,<br />

Caesar, schließlich Christus selbst sind<br />

Beispiele; ihnen allen wur<strong>de</strong> die »zeit gebrochen«,<br />

sie konnten ihr Ziel »hie auf<br />

er<strong>de</strong>n« nicht »volstrecken« und »vollen<strong>de</strong>n«<br />

(155f.). Das 5. Gebot steht insofern<br />

vor allen an<strong>de</strong>ren, als das Leben nicht ersetzt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Auch Christus habe<br />

keinen Ermor<strong>de</strong>ten wie<strong>de</strong>r auferweckt.<br />

Auch <strong>de</strong>r Obrigkeit kommt kein Recht<br />

zum Töten zu. Paracelsus wird zum Gegner<br />

<strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe – einem <strong>de</strong>r ersten,<br />

worauf Goldammer 12 schon Anfang <strong>de</strong>r<br />

1950er Jahre hingewiesen hat. Den Hei<strong>de</strong>n<br />

war dieses Recht, <strong>de</strong>n Übeltäter zu<br />

bestrafen, noch zuzubilligen. Die christliche<br />

Obrigkeit jedoch, die unter <strong>de</strong>m<br />

Gebot <strong>de</strong>r Nächstenliebe steht, die <strong>de</strong>m<br />

Sün<strong>de</strong>r gewissermaßen <strong>de</strong>r Nächste ist,<br />

wie Paracelsus in Anspielung auf Luk 10<br />

sagt, steht auch im Fall <strong>de</strong>r Aburteilung<br />

von Straftätern unter diesem Gebot<br />

(158f.). Er läßt keine Aufweichung durch<br />

irgen<strong>de</strong>ine Rabulistik, keine figurative<br />

Deutung <strong>de</strong>s 5. Gebotes zu. Es ist nicht<br />

62<br />

an<strong>de</strong>rs zu verstehen, »dann töten <strong>de</strong>n<br />

menschen am leib, das ist leiblich, das nit<br />

<strong>de</strong>r seel tod ist« (162). Die Distanz zu Luthers<br />

Auslegung im Großen und Kleinen<br />

Katechismus ist offenkundig, mehr noch<br />

die Distanz zu Luthers sogenannter Zwei-<br />

Reiche-Lehre, <strong>de</strong>r Unterscheidung eines<br />

weltlichen vom geistlichen Regiment<br />

Gottes, vor allem dargelegt in von weltlicher<br />

oberkeit (1523). Und so wird Paracelsus<br />

auch, ähnlich wie Erasmus, zum Gegner<br />

<strong>de</strong>r Kriege: »kriegen und totschlagen ist<br />

auf einer seiten wie auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren. diese<br />

stehn <strong>bei</strong><strong>de</strong> gegen einan<strong>de</strong>r, und ein ie<strong>de</strong>r<br />

begert <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren. also seint sie <strong>bei</strong><strong>de</strong> totschläger,<br />

<strong>de</strong>r so erschlagen wird, und <strong>de</strong>r so<br />

überbleibt ... wann nun ein krieg wird angespannen,<br />

so begeen die an<strong>de</strong>rn alle vermessene<br />

totschläg und mör<strong>de</strong>rei, zu <strong>de</strong>m daß sie<br />

geschehen von eigens nutz wegen, rum, reichtum,<br />

hoffart, gwalt, macht, übermut etc.«<br />

(162). So prangert Paracelsus, wenn eine<br />

Wendung (163) richtig interpretiert wird –<br />

und dies legt eine spätere Bemerkung<br />

über <strong>de</strong>n Verlust von Rhodos (S. 165)<br />

nahe, auch die Or<strong>de</strong>n an, sofern sie mit<br />

Gewalt gegen die Türken ausgezogen<br />

sind, um das Christentum zu verteidigen.<br />

Wollen wir jeman<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r unser eigenes<br />

Leben beschirmen, so haben wir darauf<br />

zu achten, daß wir mit »unser[em] beschirmben«<br />

nicht ärger und böser als <strong>de</strong>r<br />

Feind wer<strong>de</strong>n (165.167). Schließlich sollte<br />

man auch nicht <strong>de</strong>n eigenen Tod, etwa im<br />

Martyrium, willfährig her<strong>bei</strong>führen, son<strong>de</strong>rn<br />

nüchtern sein und zusehen, ob das<br />

Ziel wirklich da ist (168).<br />

Die <strong>de</strong>taillierte Darlegung aller möglichen<br />

<strong>Ges</strong>ichtspunkte im Zusammenhang<br />

<strong>de</strong>s 5. Gebotes <strong>de</strong>utet auf einen erstaunlich<br />

nüchternen, erstaunlich mo<strong>de</strong>rnen,<br />

kritischen Paracelsus, <strong>de</strong>r keine Uminterpretation<br />

<strong>de</strong>r praecepta patientiae, <strong>de</strong>r<br />

Duldungsgebote <strong>de</strong>r Bergpredigt, zuläßt,<br />

und sie weist auf ein hohes Potential an<br />

Friedfertigkeit und Humanität in seinem<br />

Menschenbild.<br />

Begrün<strong>de</strong>t ist dies, wie sich zeigte, in<br />

<strong>de</strong>m Wert, <strong>de</strong>n er <strong>de</strong>m Leben <strong>de</strong>s Menschen<br />

einräumt als <strong>de</strong>r Grundvoraussetzung<br />

einer Verwirklichung <strong>de</strong>s Humanum,<br />

<strong>de</strong>s Zieles <strong>de</strong>r Vervollkommnung,


das <strong>de</strong>m Menschen gesetzt ist. Diese<br />

bleibt für Paracelsus eng verknüpft mit<br />

<strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s Sozialen. Es kann keine<br />

Menschenwür<strong>de</strong> geben in einer <strong>Ges</strong>ellschaft<br />

mit starker sozialer Differenzierung<br />

in Reiche und Arme, genauer gesagt,<br />

in einer <strong>Ges</strong>ellschaft, die Reichtum<br />

produziert und sanktioniert auf Kosten<br />

<strong>de</strong>r Armen. Aus <strong>de</strong>r uneingeschränkten<br />

Achtung vor <strong>de</strong>m Leben <strong>de</strong>s Menschen<br />

ergibt sich auch, daß kein Vaterland,<br />

keine Klasse, keine Religion die Aufgabe<br />

o<strong>de</strong>r die Verletzung jenes Prinzips und<br />

damit das Opfer menschlichen Lebens<br />

rechtfertigen könnten. Die Paracelsische<br />

Verknüpfung von Menschenbild und<br />

Ethik verbietet auch jegliche Aufspaltung<br />

<strong>de</strong>s Ethos in einen verantwortungsethischen<br />

und materialethischen Bereich.<br />

1 Giovanni Pico <strong>de</strong>lla Mirandola: De dignitate<br />

hominis. Zitiert nach <strong>de</strong>r Übersetzung<br />

von H. W. Russel in: G. Pico <strong>de</strong>lla Mirandola:<br />

Über die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen. Fribourg u.ö.<br />

1949. S. 183f.<br />

2 Nikolaus von Cues: De docta ignorantia III,3;<br />

vgl. Walter Pagel: Paracelsus. An Introduction to<br />

Philosophical Medicine in the Era of the Renaissance.<br />

2 nd , revised edition. Basel u.ö. 1982.<br />

S. 282f., Anm. 260.<br />

3 centrum naturae, universorum medium, mundi<br />

series, vultus omnium nodusque et copula<br />

mundi; vgl. dazu P.0. Kristeller: Studies in<br />

Renaissance Thought and Letters. Rome 1956.<br />

S. 268.<br />

4 Vgl. dazu Eugenio Garin (Hrsg.): Giovanni Pico<br />

<strong>de</strong>lla Mirandola: De dignitate hominis. Bad<br />

Homburg 1968. Einleitung, S. 17.<br />

5 De vita libri tres. Venedig 1498 (Reprint Hil<strong>de</strong>sheim<br />

und New York 1978).<br />

6 Theophrast von Hohenheim gen. Paracelsus:<br />

Sämtliche Werke. 1. Abteilung. Medizinische, naturwissenschaftliche<br />

und philosophische Schriften.<br />

Hrsg. von Karl Sudhoff. 14 Bän<strong>de</strong>. München<br />

und Berlin 1922-33; hier und im weiteren zitiert<br />

mit arabischer Nr. 1, gefolgt durch römische Nr.<br />

für <strong>de</strong>n Band und arabische Nr. für die Seitenzahl;<br />

entsprechend: Theophrast von Hohen<strong>bei</strong>m<br />

genannt Paracelsus, Sämtliche Werke. 2. Abteilung.<br />

Theologische und religionsphilosophische<br />

Schriften. Hrsg. von Kurt Goldammer.<br />

Wiesba<strong>de</strong>n 1955ff.<br />

LITERATUR<br />

Der seine Anthropologie wie seine Ethik<br />

gleichermaßen durchziehen<strong>de</strong> Gegensatz<br />

himmlisch – irdisch, von oben – von<br />

unten, untötlich – tötlich gewährleistet<br />

die unaufgebbare Bindung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns<br />

an <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren prinzipiell und somit<br />

praktisch an Lebensbewahrung und an<br />

die realen Lebensbedingungen <strong>de</strong>r Mitmenschen.<br />

Ein Han<strong>de</strong>ln, das sich vom<br />

göttlichen Willen und <strong>de</strong>n himmlischen<br />

Wirkungen löst, be<strong>de</strong>utet Tod, Verfehlung<br />

<strong>de</strong>s Lebens und damit <strong>de</strong>s Ziels, das<br />

<strong>de</strong>m Menschen gesetzt ist, <strong>de</strong>r vita beata,<br />

in <strong>de</strong>r Vollkommenheit christlichen Lebens<br />

zum Nutzen <strong>de</strong>s Nächsten, eines seligen<br />

Lebens in einem Reich, in <strong>de</strong>m, wie<br />

Paracelsus einmal sagt, niemand mehr<br />

beschädigt wird.<br />

7 Vgl. P. 0. Kristeller: Die Philosophie <strong>de</strong>s Marsilio<br />

Ficino. Frankfurt/M. 1972. S. 92ff.; <strong>de</strong>rs.: Eight<br />

Philosophers of the Italian Renaissance. London<br />

1965. S. 43f.<br />

8 Vgl. zuletzt Kurt Goldammer: Aufgaben <strong>de</strong>r Paracelsusforschung.<br />

In: Parerga Paracelsica. Hrsg.<br />

von Joachim Telle. Stuttgart 1991. S. 1-26, hier<br />

S. 11 und <strong>de</strong>rs.: Das religiöse Denken <strong>de</strong>s Paracelsus.<br />

In: Paracelsus (1483-1541). Hrsg. von Heinz<br />

Dopsch, Kurt Goldammer und Peter F. Kramml.<br />

Salzburg 1993. S. 195-200, hier S. 198.<br />

9 Vgl. Hartmut Rudolph: Viehischer und himmlischer<br />

Leib: Zur Be<strong>de</strong>utung von 1. Korinther 15<br />

für die Zwei-Leiber-Spekulation <strong>de</strong>s Paracelsus.<br />

In: Carleton Germanic Papers 22 (Studies in Honour<br />

of Joseph B. Dallett). Ottawa 1994. S. 106-<br />

120, hier S. 108.<br />

10 Lei<strong>de</strong>n, UB, Co<strong>de</strong>x Voss. Chym. in Folio 24,<br />

Bl. 247b/248a.<br />

11 Kurt Goldammer: Das Menschenbild <strong>de</strong>s Paracelsus<br />

zwischen theologischer Tradition, Mythologie<br />

und Naturwissenschaft (1967). In: Paracelsus in<br />

neuen Horizonten. <strong>Ges</strong>ammelte Aufsätze, S. 209-<br />

228, hier S. 214.<br />

12 Kurt Goldammer: Paracelsische Eschatologie II.<br />

Der Reich-Gottes-Glaube (1952). In: Paracelsus<br />

in neuen Horizonten [wie Anm. ll], S. 123-152,<br />

hier S. 143.<br />

63


Meine Damen und Herren!<br />

Das I. Dresdner Symposium, das Denken<br />

und Wollen <strong>de</strong>s Theophrast Bombast<br />

von Hohenheim nachgehen wollte, ist zu<br />

seinem En<strong>de</strong> gekommen. Es waren harmonische<br />

Stun<strong>de</strong>n gemeinsamer Mühe<br />

um <strong>de</strong>n Hohenheimer, Stun<strong>de</strong>n, die uns<br />

geschenkt wur<strong>de</strong>n und die wir einan<strong>de</strong>r<br />

schenkten, Zeit, Lebenszeit in <strong>de</strong>r gemeinsamen<br />

Mühe um einen Großen <strong>de</strong>r<br />

europäischen Geistesgeschichte.<br />

Und wir freuen uns,<br />

- daß sich in Dres<strong>de</strong>n erstmals Freun<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Theophrastus <strong>Bombastus</strong> von Hohenheim<br />

aus allen <strong>de</strong>utschsprachigen<br />

Län<strong>de</strong>rn Europas zu einem Symposium<br />

begegneten, – daß dieses Symposium<br />

Kennenlernen vermittelte, Gedankenaustausch<br />

ermöglichte und vielfältige<br />

neue Kontakte knüpfte,<br />

- daß in <strong>de</strong>n Vorträgen das in <strong>de</strong>n Mittelpunkt<br />

gestellt wur<strong>de</strong>, was gegenwärtig<br />

um uns weitgehend verdrängt wird:<br />

die Ethik aus christlicher Nächstenliebe.<br />

Gewiß wird allein durch Re<strong>de</strong>n<br />

eine Welt nicht besser, aber auch hier<br />

wur<strong>de</strong> Saat auf Hoffnung gelegt, und<br />

wir alle können dazu <strong>bei</strong>tragen, daß<br />

diese Saat aufgeht.<br />

Der <strong>Bombastus</strong> Paracelsus liegt uns am<br />

Herzen, hat unser Leben beeinflußt, aus<br />

welchen Grün<strong>de</strong>n auch immer. Wenn wir<br />

uns ihm verpflichtet fühlen, wahrhaftig<br />

und nicht um eines Amtes o<strong>de</strong>r eigener<br />

Ehre willen, dann sollten wir seine Erkenntnisse<br />

und seine Sehnsüchte mit<br />

Leben erfüllen, also leben. Der Hoheheimer<br />

spricht uns für diese Aufgabe Mut<br />

zu: »Deshalb merkt euch, daß allein <strong>de</strong>r<br />

Beruf und die Berufung gelten, die wir<br />

zu einer Sache haben. Niemand stellt das<br />

angezün<strong>de</strong>te Licht unter <strong>de</strong>n Scheffel;<br />

je<strong>de</strong>r rückt es hervor. Nun, wenn ein<br />

Licht in uns ist, so hat es Gott in uns<br />

getan, nicht unser irdischer Schulmeister.<br />

Da nun Gott das Licht in uns hineingestellt<br />

hat, so wird er es auch hervor-<br />

64<br />

Wolfgang Klinger<br />

SCHLUSSWORT AN DAS I. DRESDNER SYMPOSIUM<br />

rücken, damit diejenigen kommen und<br />

<strong>bei</strong> seinem Schein sehen, die da sehen<br />

sollen ... Ein je<strong>de</strong>r lerne und strebe in<br />

<strong>de</strong>m was er kann, nach <strong>de</strong>m Höchsten«. 1<br />

Wir danken am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 1. Dresdner<br />

Symposiums<br />

- <strong>de</strong>m Hausherrn, <strong>de</strong>r uns diesen Raum<br />

zur Verfügung stellte, <strong>de</strong>m amt. Direktor<br />

<strong>de</strong>s Hauses <strong>de</strong>r Kirche, Herrn Frank<br />

Seewald<br />

- Frau Katalin Wiehl vom Haus <strong>de</strong>r Kirche,<br />

die uns <strong>bei</strong> <strong>de</strong>r Vorbereitung dieses<br />

Symposiums verständnisvoll und<br />

engagiert begleitete<br />

- Herrn Staatsminister Prof. Dr. Meyer<br />

für die Schirmherrschaft und seine Begrüßung,<br />

für das durch ihn repräsentierte<br />

Interesse <strong>de</strong>r sächsischen Lan<strong>de</strong>sregierung<br />

an unserem Anliegen<br />

- <strong>de</strong>n Referenten dieses Symposiums<br />

für die Vermittlung ihrer Gedanken,<br />

für ihre Anregungen und Wegweisungen<br />

aus <strong>de</strong>n Erkenntnissen <strong>de</strong>s Hohenheimers<br />

- <strong>de</strong>n gela<strong>de</strong>nen Gästen für ihre Teilnahme,<br />

die wir als freundschaftliche<br />

Unterstützung <strong>de</strong>r noch jungen Deutschen<br />

<strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft betrachten<br />

- <strong>de</strong>n zahlreichen Teilnehmern dieses<br />

Symposiums, <strong>de</strong>ren Interesse an <strong>de</strong>n<br />

Vorträgen mit Sicherheit vielfältig motiviert<br />

ist, gewiß aber <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n jener<br />

Saat auf Hoffnung bil<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>n wir uns<br />

so sehr wünschen<br />

- all <strong>de</strong>n fleißigen Helfern, die, wollen<br />

wir sagen, als technisches Personal<br />

»hinter <strong>de</strong>r Bühne« zum Gelingen dieser<br />

<strong>bei</strong><strong>de</strong>n Tage <strong>bei</strong>trugen<br />

- <strong>de</strong>n Sponsoren sowie <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

und Sympathisanten unserer <strong>Ges</strong>ellschaft,<br />

die uns mit ihrer finanziellen<br />

Unterstützung dieses Symposium ermöglichten.<br />

Wir verabschie<strong>de</strong>n uns von Ihnen mit<br />

Worten <strong>de</strong>s Dankes und mit <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong>,<br />

Kontakte geknüpft und Impulse erhalten


zu haben. Wir freuen uns auf das II.<br />

Dresdner Symposium, ein Ar<strong>bei</strong>tssymposium,<br />

und damit auf eine Paracelsus verpflichtete<br />

Tradition und Perspektive in<br />

dieser Stadt und in diesem Lan<strong>de</strong>.<br />

Das letzte Wort hat Theophrastus<br />

<strong>Bombastus</strong> von Hohenheim: »Also sollen<br />

die Tugen<strong>de</strong>n, die von Natur in uns allen<br />

sind, in uns grünen ... Gebraucht euer Leben<br />

wohl, wie es in <strong>de</strong>r Schrift steht, da an dieser<br />

Entscheidung so viel liegt: ... An <strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n<br />

wird man erkennen, wer wir sind ...<br />

Und wenn wir schon einigermaßen gerecht und<br />

gut sind, so sollen wir uns darauf nichts einbil<strong>de</strong>n,<br />

damit nicht Hoffart daraus erwachse und<br />

danach Verachtung <strong>de</strong>s Nächsten.« 2<br />

1 Paracelsus, Prolog zum glückseligen Leben, in: Katharina Biegger: Paracelsus - Vom glückseligen Leben,<br />

Resi<strong>de</strong>nz Verlag Salzburg und Wien 1993, S. 53 f.<br />

2 Paracelsus, Über die menschliche Tugend, ebda. S. 142/143<br />

65


ALS REPRÄSENTANTEN<br />

VON WISSENSCHAFTLICHEN GESELLSCHAFTEN<br />

UND INSTITUTIONEN NAHMEN AM I. DRESDNER SYMPOSIUM<br />

DER DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT TEIL:<br />

66<br />

Dipl.-Ing. Siegfried Anke<br />

Wolfgang Brunner<br />

Dr. theol. Michael Bunners<br />

Dr. Rosemarie Dilg-Frank<br />

Dipl.-Graph. BDG Albrecht Ehnert<br />

Prof. Dr. theol. Ute Gause<br />

Ernst J. Gölz<br />

Dipl.-Paed. Ursula Gul<strong>de</strong><br />

em. o. Univ.-Prof. Dr. Gerhart Harrer<br />

Dr. phil. Pia Holenstein Weidmann<br />

Dipl.-Biol. Günter Ickert<br />

Dieter Kahle<br />

OMR Dr. med. Wolfgang Klinger<br />

Prof. Dr. Rolf Löther<br />

Dr. phil. Pirmin Meier<br />

Dr. rer. nat. Rolf Meyer<br />

Dr. rer. nat. Ludwig Mühlberg<br />

Siegfried Pietsch<br />

Gunhild Pörksen<br />

Prof. Dr. Jochen Quandt<br />

Prälat Rachwalski<br />

Michael Rau<br />

Dr. theol. Hartmut Rudolph<br />

Prof. Dr. Hans Scha<strong>de</strong>waldt<br />

Dipl.-Ing. Hans Vogt<br />

Dr. phil. Karl-Heinz Weimann<br />

Gertraud Weiß<br />

Prof. Dr. phil. habil. Siegfried Wollgast<br />

Tharandt<br />

Buchen/Odw.<br />

Wismar<br />

Marburg<br />

Dres<strong>de</strong>n<br />

Münster<br />

Vaihingen/Enz<br />

Dres<strong>de</strong>n<br />

Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Internationalen Paracelsus-<br />

<strong>Ges</strong>ellschaft Salzburg (A)<br />

Vizepräsi<strong>de</strong>ntin <strong>de</strong>r Schweizerischen<br />

Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft, Affoltern (CH)<br />

Dres<strong>de</strong>n<br />

Direktor <strong>de</strong>s Hauses <strong>de</strong>r Kirche, Dres<strong>de</strong>n<br />

Bad Schandau, Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Deutschen <strong>Bombastus</strong>-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

Berlin<br />

Aesch (CH)<br />

Dres<strong>de</strong>n<br />

Dres<strong>de</strong>n<br />

Bautzen<br />

Freiburg/Br.<br />

Berlin<br />

Direktor <strong>de</strong>r Katholischen Aka<strong>de</strong>mie,<br />

Dres<strong>de</strong>n<br />

Berlin<br />

Berlin<br />

Düsseldorf<br />

Reinholdshain<br />

Hannover<br />

Generalsekretärin <strong>de</strong>r Internationalen<br />

Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft, Salzburg (A)<br />

Dres<strong>de</strong>n


Dr. theol. Michael Bunners<br />

Prof. Dr. theol. Ute Gause<br />

em. o. Univ.-Prof. Dr. Gerhart Harrer<br />

Dr. phil. Pirmin Meier<br />

Gunhild Pörksen<br />

Dr. theol. Hartmut Rudolph<br />

em. Univ.-Prof.<br />

Dr. med. Dr. h. c. Hans Scha<strong>de</strong>waldt<br />

Prof. Dr. phil. habil Siegfried Wollgast<br />

AUTOREN<br />

Hummelflug 16<br />

D-23966 Wismar/Meckl.<br />

Birkenweg 15<br />

D-48155 Münster/Westf.<br />

Internationale Paracelsus-<strong>Ges</strong>ellschaft<br />

zu Salzburg<br />

Institut für forensische Psychiatrie<br />

Ignaz-Harrer-Straße 79<br />

A-5020 Salzburg<br />

CH-6215 Beromünster<br />

Postfach<br />

Erwinstraße 28<br />

D-79102 Freiburg/Breisgau<br />

Erlenstraße 19<br />

D-12167 Berlin<br />

Institut für <strong>Ges</strong>chichte <strong>de</strong>r Medizin<br />

an <strong>de</strong>r Heinrich-Heine-Universität<br />

Universitätsstraße 1<br />

D-40225 Düsseldorf<br />

Thomas-Müntzer-Platz 10<br />

D-01307 Dres<strong>de</strong>n<br />

67


IMPRESSUM<br />

Herausgegeben von <strong>de</strong>r<br />

DEUTSCHEN BOMBASTUS-GESELLSCHAFT e.V. DRESDEN<br />

GESCHÄFTSSTELLE<br />

Lübbenauer Straße 9 · 01237 Dres<strong>de</strong>n<br />

Telefon (03 51) 2 84 33 73<br />

Dr.rer.nat Ludwig Mühlberg<br />

VORSITZENDER<br />

OMR Dr.med. Wolfgang Klinger<br />

Falkensteinstraße 2a · 01814 Bad Schandau-Ostrau<br />

Telefon (03 50 22) 4 27 55<br />

STELLV. VORSITZENDER<br />

Ursula Gul<strong>de</strong><br />

Schubertstraße 33 · 01307 Dres<strong>de</strong>n<br />

Telefon (03 51) 3 27 16<br />

SCHATZMEISTER<br />

Dr.rer.nat Ludwig Mühlberg<br />

Lübbenauer Straße 9 · 01237 Dres<strong>de</strong>n<br />

Telefon (03 51) 2 84 33 73<br />

REDAKTION<br />

Dipl.-Biol. Günter Ickert<br />

Zum Schmie<strong>de</strong>berg 13 · 01462 Dres<strong>de</strong>n<br />

Telefon (03 51) 4 16 31 20<br />

Die Autor(inn)en sind für <strong>de</strong>n Inhalt ihrer Beiträge<br />

selbst verantwortlich.<br />

<strong>Ges</strong>taltung: Albrecht Ehnert, BDG, Dres<strong>de</strong>n<br />

Satz und Druck: Typostudio SchumacherGebler Dres<strong>de</strong>n<br />

Alle Rechte vorbehalten

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