MIND Magazin - Das Schweizer MännerLifestyleMagazin Dezember 2012
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sind”, erinnert er sich an den Ursprung<br />
der Idee. “Der Artikel verkaufte das<br />
als schockierend. Für mich las es sich<br />
eher wie eine Geschäftsidee.”Sein<br />
damaliger Beruf als Sportagent tat<br />
ein Übriges: “Ich vermittelte damals<br />
Basketballer, die ihre beste Zeit hinter<br />
sich hatten, von der amerikanischen<br />
NBA nach Europa”, erinnert sich der<br />
stämmige Mann im Sportsakko und<br />
bunt gestreiften Hemd. “Von Zürich<br />
bis nach Rom – und da gab es ständig<br />
Anrufe über plötzliche Besuche von<br />
Ehefrauen und ausrastende Geliebte.<br />
Ich wusste also, es gibt einen Markt<br />
für ein Fremdgehportal.”<br />
• • •<br />
UMSATZPLUS VON 400%<br />
Im Jahr 2007 stieg Bidermans Kompagnon<br />
aus, Ashley Madison gehört<br />
seitdem der Firma Avid Life Media,<br />
die daneben noch ähnlich amouröse<br />
Webseiten betreibt, etwa cougarlife.<br />
com (ältere Frauen daten junge Männer),<br />
swappernet.com (Swingerpaare<br />
finden Gleichgesinnte) oder hotornot.<br />
com (Nutzer bewerten Bilder anderer<br />
Nutzer nach Attraktivität). Seit dem<br />
Verkauf wird Ashley Madison auch<br />
deutlich aggressiver vermarktet, was<br />
sich in einem Umsatzplus von 400<br />
Prozent in den letzten zwei Jahren niederschlägt.<br />
<strong>Das</strong> Geld wird jedoch nicht<br />
wie sonst bei Partnerbörsen üblich<br />
durch Monatsgebühren erwirtschaftet,<br />
sondern durch ein eher unübersichtliches<br />
Punktesystem: Für ca. 55 CHF<br />
bekommt der Nutzer 100 Credits, die<br />
er zum Beispiel dazu verwenden kann,<br />
einem anderen Nutzer, dessen Profil<br />
ihm gefällt, eine Nachricht zu übermitteln.<br />
Fünf Credits, also 2,80 CHF,<br />
werden für das Anschreiben fällig.<br />
Es ist wenig überraschend, dass 95<br />
Prozent des Umsatzes von Männern<br />
generiert werden. Andere Möglichkeiten,<br />
seine Credits auszugeben (die nur<br />
en bloc gekauft werden können), sind<br />
Chats mit potenziellen Affärenpartnern<br />
oder der derzeit heisseste Markt<br />
im Onlinebusiness: virtuelle Waren.<br />
Anderswo kaufen Farmville-Junkies<br />
für das beliebte Bauernhofspiel virtuelles<br />
Saatgut und nerven ihre Facebook-Freunde<br />
mit Fortschritten bei<br />
der Rinderzucht – bei Ashley Madison<br />
dekoriert man seine Nachrichten zum<br />
Beispiel mit einer Rose. <strong>Das</strong> Erstaunliche<br />
ist: Die Leute scheinen nichts<br />
dabei zu finden, für diese “virtual<br />
goods” mit echtem Geld zu bezahlen.<br />
Eine Rose kostet bei Ashley Madison<br />
30 Credits und somit knapp 18 CHF,<br />
eine rein virtuelle Halskette 28 CHF.<br />
“Ihre Chancen steigen dramatisch,<br />
wenn Sie eine Nachricht mit einem<br />
virtuellen Geschenk senden”, behauptet<br />
die Ashley-Madison-Seite. Es wäre<br />
auch naiv, gerade auf einem Fremdgehportal<br />
so etwas wie nichtkommerzielle<br />
Romantik und innere Werte zu<br />
vermuten.“ Wir haben übrigens auch<br />
eine grosse Anzahl von Singles, die<br />
sich bei uns anmelden”, sagt Biderman<br />
und fügt hinzu: “Die Einzigen, die wir<br />
regelmässig aussieben, sind Prostituierte<br />
und professionelle Stripcam-<br />
Betreiber.”<br />
• • •<br />
PARADOXE ONLINEWELT<br />
In Singlebörsen suchen Verheiratete,<br />
im Fremdgehportal die Ungebundenen.<br />
Gleichzeitig aber auch vielleicht<br />
ein Zeichen dafür, dass sich die Kommerzialisierung<br />
unseres Gefühls- und<br />
Liebeslebens eben doch nicht so problemlos<br />
planen und steuern lässt. Trotzdem<br />
scheint es nur eine Frage der Zeit,<br />
bis es auch für die letzte menschliche<br />
Regung eine entsprechende Onlineplattform<br />
gibt: “Klicken Sie hier, um<br />
die Livecam-Übertragung vom Grab<br />
Ihres Vaters zu starten” – “Starten Sie<br />
unseren virtuellen Schlussmachagenten<br />
für eine individuelle Abschiedsbotschaft”<br />
– “Um ein Adoptivkind in<br />
den Warenkorb zu legen, müssen Sie<br />
eingeloggt sein.” So in etwa.<br />
• • •<br />
GÖNN DIR EINE AFFÄRE!<br />
Natürlich hat jemand wie Noel Biderman,<br />
der mit dem Slogan “<strong>Das</strong> Leben<br />
ist kurz. Gönn dir eine Affäre!” aktiv<br />
zum Ehebruch aufruft, jede Menge<br />
Feinde. Da helfen auch keine lustigen<br />
Werbespots: “Dieses Paar ist verheiratet…”,<br />
wird ein leidenschaftlicher<br />
Akt in einem TV-Spot kommentiert.<br />
“… aber nicht miteinander.” Bidermans<br />
Trick ist es, die Empörung seiner<br />
SPIELZEUG<br />
Kritiker produktiv zu nutzen: Als er<br />
sich im Sommer beim konservativen<br />
Nachrichtensender Fox News von<br />
einem Moderator beschimpfen liess,<br />
spülte das 20 000 neue Besucher pro<br />
Minute auf die Webseite – so viele<br />
wie nie zuvor. Als Ashley Madison<br />
in Toronto auf öffentlichen Bussen<br />
werben wollte, sperrte sich die Stadtverwaltung<br />
dagegen – kurz darauf<br />
musste einer der Verantwortlichen<br />
wegen eines Sexskandals zurücktreten.<br />
Unbezahlbare Publicity, zum<br />
Nulltarif. Auch die Konkurrenz tut<br />
Biderman den Gefallen, ihn durch<br />
Angriffe im Gespräch zu halten: “Er<br />
macht sein Geld mit gebrochenen<br />
Herzen, kaputten Ehen und zerstörten<br />
Familien”, beschwert sich etwa Trish<br />
McDermott, Mitgründerin zweier<br />
herkömmlicher Partnerbörsen. Ashley<br />
Madison sorgt dafür, dass gebrochene<br />
Versprechen und Untreue plötzlich hip<br />
aussehen – wie lustiger Gesprächsstoff<br />
für die nächste Party.” Noel Biderman<br />
selbst sieht seine wahre Konkurrenz<br />
aber weder in den klassischen Partnerbörsen<br />
wie parship.de oder neu.<br />
de noch in schmutzigeren Varianten,<br />
wie beispielsweise Seiten wie adultfriendfinder.com<br />
sie anbieten. “Unsere<br />
wahre Konkurrenz sind die Orte, wo<br />
Menschen nach Möglichkeiten zum<br />
Fremdgehen suchen – also das Büro<br />
und neuerdings Facebook”, sagt Biderman.<br />
“Dabei gibt es keine dümmeren<br />
Orte, um eine Affäre anzuzetteln,<br />
als unter den Augen der Kollegen, der<br />
Freunde oder der Familie.”<br />
• • •<br />
DIE IDENTITÄT WIRD<br />
GESCHÜTZT!<br />
Seine Firma tue alles, die Identität<br />
ihrer Nutzer zu schützen, um digitale<br />
Lippenstiftspuren” zu verhindern.<br />
So erfolgen Abbuchungen von der<br />
Kreditkarte nur unter einem unverdächtigen<br />
Namen, niemals unter<br />
Ashley Madison. “Anfangs musste<br />
ich Kreditkartenfirmen noch mühsam<br />
erklären, dass es mein Geschäftsmodell<br />
zerstört, wenn mein Firmenname<br />
in der Abrechnung auftaucht”, erinnert<br />
sich Biderman. Egal, welche Massnahme<br />
nun greift: Noel Biderman kann<br />
nur gewinnen.<br />
<strong>MIND</strong>`DAS SCHWEIZER MÄNNER-LIFESTYLEMAGAZIN` 105