25.01.2013 Aufrufe

katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

mich verwandt fühle. meine gefühle sind eine mischung<br />

aus erziehung, ideologien, erfahrungen und<br />

dem, was menschen auf mich projizieren, weil sie<br />

mich als araberin definieren.<br />

meine eltern sind beide araber, moslems, aufgewachsen<br />

in arabischen Dörfern in der gegend von<br />

galiläa im norden des landes. Rechtlich gesehen<br />

habe ich allerdings keine verbindung mit dem palästinensischen<br />

volk. ich trage die staatsbürgerschaft<br />

von israel und den vereinigten staaten (wo ich geboren<br />

wurde, aber nie gelebt habe). ich schreibe und<br />

lese heute besser hebräisch als arabisch. Die meisten<br />

meiner freunde sind Juden. ich habe also unleugbar<br />

eine Zugehörigkeit zu israel und eine israelische<br />

identität. wir arabischen israelis sind<br />

merkwürdige Zwitterwesen, die nicht vollständig zu<br />

einer der beiden seiten gehören. Die (wirklichen) Palästinenser<br />

sehen uns eher als kollaborateure, als<br />

korrumpiertes volk, und die israelis sehen uns als<br />

gefährliche infektion ihrer gesellschaft. wir sind die<br />

größte Bombe, die größte Bedrohung für den staat,<br />

für seine geheiligte demografische jüdische mehrheit.<br />

auf beiden seiten gelten wir (im allgemeinen)<br />

als tunichtgute.<br />

in politischen verträgen sind wir nie wichtig, und die<br />

welt kämpft nicht für unsere sache, so wie sie es für<br />

die Palästinenser tut. Bestenfalls werden wir im falle<br />

eines friedensvertrages im Zusammenhang mit<br />

landtauschen erwähnt. wer sagt, dass wir teil des<br />

zukünftigen palästinensischen staates sein wollen<br />

(ein rein theoretischer zukünftiger staat, von dem ich<br />

kaum glauben kann, dass es ihn je geben wird)? wer<br />

sagt, dass die Palästinenser im westjordanland uns<br />

überhaupt haben wollen, nachdem wir 60 Jahre im<br />

feindlichen staat gelebt haben und ihn in mancherlei<br />

weise mit aufgebaut haben? auch wenn das auf<br />

politischer ebene umgesetzt würde, gäbe es eine<br />

höchst hartnäckige kluft zwischen den „westbanklern“<br />

und den „arabischen israelis“. Zu wem möchten<br />

wir gehören? sind wir denn daran interessiert, ein<br />

richtiger teil israels zu werden oder unsere palästinensische<br />

identität zu stärken? natürlich geht es in<br />

den von intellektuellen der palästinensisch-israelischen<br />

gemeinschaft verfassten texten zur „future<br />

vision“ (Zukunftsvision) darum, unsere arabische<br />

kultur, unsere autonomie, unsere sprache, unser<br />

Bewusstsein etc. zu stärken, während wir um gleichberechtigung<br />

innerhalb des staates kämpfen.<br />

ich persönlich halte die Zukunftsvisionen für nicht<br />

umsetzbar. es würde bedeuten, dass das ursprüngliche<br />

konzept des staates israel für die Juden zunichtegemacht<br />

würde. Der staat unternimmt eher<br />

große anstrengungen, die 1,2 millionen arabischen<br />

(oder palästinensischen) israelischen staatsbürger<br />

zu unterdrücken und loszuwerden, als ihre gleichstellung<br />

zu fördern.<br />

Sprache<br />

aufgrund des Bildungssystems und der Regeln für<br />

den erfolg in der gesellschaft finden araber es sehr<br />

wichtig, möglichst gut hebräisch zu können. sehr oft<br />

geht dies zu lasten ihrer arabischen sprachbeherrschung,<br />

und sie bleiben in beiden sprachen unterdurchschnittlich.<br />

Die meisten araber verwenden viele<br />

hebräische wörter im arabischen (was von den westbanklern<br />

mit missfallen gesehen wird).<br />

araber sprechen hebräisch mit einem deutlichen<br />

akzent, was es leicht macht, araber von Juden zu<br />

unterscheiden. wie man als kunde behandelt wird,<br />

interaktionen im öffentlichen Raum, in gesellschaftlichen<br />

situationen etc. hängen davon ab, wie man<br />

eingeordnet wird, und der akzent ist hierbei ein<br />

hauptfaktor. ich erlebe jeden tag, welchen Unterschied<br />

es macht, wenn man einen jüdisch-israelischen<br />

aschkenasischen akzent als tarnung hat. es<br />

ist unmöglich, von meinem akzent auf meine herkunft<br />

zu schließen. wenn die leute dann fragen und<br />

die unglaubliche wahrheit herausfinden, dass ich<br />

tatsächlich araberin bin, wurde das arabische stereotyp<br />

bereits durchbrochen, was es für die neue Bekanntschaft<br />

schwierig macht, zu dem Punkt zurückzukehren,<br />

an dem man mich in die unerwünschte<br />

kategorie der araber hätte werfen können. es ist<br />

wichtig zu erwähnen, dass man es als frau leichter<br />

hat, da wir das verständnisvollere der beiden geschlechter<br />

sind. natürlich sind auch die kleidung,<br />

die frisur, das make-up und körperliche merkmale<br />

am entstehen oder Unterlaufen von stereotypen<br />

beteiligt.<br />

Die jüdische mehrheit spricht überhaupt kein arabisch.<br />

Das verstärkt die Unterschiede zwischen uns<br />

und ihnen sowie die Dominanz ihrer sprache und<br />

damit ihrer leute über das gebiet. arabisch ist die<br />

zweite amtssprache im land, fehlt aber im öffentlichen<br />

leben sehr oft. es wird an den hebräischen<br />

schulen schlecht unterrichtet, und israelis haben selten<br />

das gefühl, die sprache lernen zu müssen. einige<br />

arabische wörter sind in die hebräische alltagssprache<br />

übernommen worden, und doch haben<br />

hebräische sprecher keine ahnung, dass es sich tatsächlich<br />

um arabische wörter handelt. sie verwenden<br />

die wörter so lange falsch, bis dieser falsche gebrauch<br />

sich als neue korrekte form einbürgert.<br />

sprachen entwickeln sich jedoch auf diese weise;<br />

sie sind nicht statisch und passen sich ständig an<br />

historische ereignisse an. ist es möglich, dieses Phänomen<br />

positiv zu sehen? vielleicht müsste dazu mehr<br />

ausgewogenheit herrschen, denn im moment profitiert<br />

hauptsächlich die jüdische seite, da sie durch<br />

die aufnahme arabischer wörter nicht so viel von ihrer<br />

eigenen sprache verliert. außerdem werden traditionen<br />

erfunden und manchmal künstlich erzeugt.<br />

so etwas wie eine reine kultur gibt es nicht. Palästinenser<br />

waren nicht immer araber. erst seit der arabisch-moslemischen<br />

expansion wurden die Palästinenser<br />

bzw. die in Palästina lebenden gruppen teil<br />

dessen, was wir heute als arabische welt ansehen.<br />

welche möglichkeit gibt es denn für uns, abweichende<br />

oder gemischte traditionen zu entwickeln,<br />

angesichts der tatsache, dass wir so wenige sind,<br />

von arabischen staaten eingekreist, und insbesondere<br />

angesichts unserer ausgrenzung aus der jü-<br />

disch-israelischen gesellschaft? wie können Juden<br />

und Palästinenser in israel eine gesellschaft aufbauen,<br />

in der sie sich nicht gegenseitig infizieren,<br />

sondern bereichern?<br />

ich sehe die sprache als einen wichtigen faktor der<br />

identitätsbildung: mit wem man sich identifiziert, wo<br />

man hineinpasst oder hineinpassen kann und die<br />

weise, in der man von anderen akzeptiert wird.<br />

Entwurzelung<br />

„wie soll man denn die einsamkeit im exil überwinden,<br />

ohne in die allumfassende und heftige sprache<br />

des nationalstolzes, der kollektiven gefühle, der kollektiven<br />

leidenschaften zu verfallen? was ist es wert,<br />

gerettet und bewahrt zu werden, zwischen den extremen<br />

des exils einerseits und der oft sturen nationalistischen<br />

einstellung andererseits?“ 3<br />

ist nationalismus nur eine form von Paranoia? nur<br />

das ergebnis der Unzulänglichkeit von menschen,<br />

sowohl in gruppen als auch als einzelne? Die sogenannten<br />

entwickelten länder, die seit Jahrzehnten<br />

frieden und Unabhängigkeit an einem ort, den sie<br />

heimat nennen, genießen, scheinen mehr daran interessiert,<br />

übertriebenen nationalstolz zu durchbrechen<br />

und nach einer globalen identität zu suchen.<br />

es ist schade, dass wir palästinensischen israelis,<br />

oder wie auch immer wir uns nennen wollen, so weit<br />

im hintertreffen sind. Der transeuropäische nationalismus<br />

hat die araber erst spät in der ersten hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts getroffen. auch heute haben<br />

die araber in israel noch keine genügend starke Basis.<br />

wir leiden immer noch an der Unfähigkeit zur<br />

Zugehörigkeit und selbstdefinition. leider sehe ich<br />

mich nicht in der lage, darin positive aspekte zu erkennen,<br />

zumindest nicht für die gruppe. wir sind<br />

entwurzelt und liegen doch immer noch in unserer<br />

erde. wurzeln zu haben ist vielleicht das wichtigste<br />

und am wenigsten anerkannte Bedürfnis der menschlichen<br />

seele – und, nicht zu vergessen, das Bedürfnis,<br />

sich sicher zu fühlen.<br />

„von zartem gemüt ist, wer seine heimat süß findet;<br />

stark dagegen jener, dem jeder Boden heimat ist;<br />

doch nur der ist vollkommen, dem die ganze welt<br />

ein fremdes land ist“ (victor hugo) 4 . – wir sind ganz<br />

beharrlich von zartem gemüt.<br />

1 Das ursprünglich arabische wort „ars“ wurde in die israelische<br />

alltagssprache aufgenommen und beschreibt einen landesüblichen<br />

„typus“ des israeli, der viel Zeit damit verbringt, sein haar<br />

zu stylen, sich schlecht anzieht, unkultiviert erscheint, unausstehlich<br />

und unhöflich ist und gerne sein auto frisiert. ist normalerweise<br />

in Begleitung einer „frekha“, des weiblichen Äquivalents<br />

(tussi). in der israelischen Öffentlichkeit werden die meisten jungen<br />

arabischen männer als „arsim“ gesehen.<br />

2 während meiner gesamten oberschulzeit absolvierte ich ein professionelles<br />

schwimmtraining.<br />

3 edward said, „Reflections on exile“.<br />

4 Deutsche Übersetzung zitiert nach tzvetan todorov, „Die eroberung<br />

amerikas. Das Problem des anderen“, frankfurt/main 1982,<br />

s. 294.<br />

59

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!