katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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aBendessen mit gaesten<br />
am wochenende<br />
Jumana manna<br />
Jedes mal wenn meine eltern am wochenende gäste<br />
zum abendessen einluden, drehte sich das gespräch<br />
früher oder später um Politik. waren die gäste Juden,<br />
wurde im gespräch eher kritik an israel laut.<br />
Die misshandlung der arabischen Bürger. Die kakophonien<br />
der Besetzung. Die allgemeine hoffnungslosigkeit.<br />
Unsere viertel sehen vernachlässigt aus,<br />
wir haben keine gehsteige, die kinder gehen auf ihrem<br />
schulweg auf der straße und stören den verkehr.<br />
Das fehlen von kinderspielplätzen macht aus<br />
den 30 Jahre alten rissigen straßen fußballplätze,<br />
die vorübergehend wieder verschwinden, wenn ein<br />
herannahendes auto hupt. Die öffentlichen schulen<br />
sind mangelhaft. es gibt nicht genug Plätze in der<br />
schule, um alle kinder im arabischen sektor aufzunehmen.<br />
Das Bildungssystem basiert auf auswendiglernen<br />
und nicht auf Bildung. wir erleben immer<br />
wieder unangekündigte kontrollen in ostjerusalem<br />
und kommen deswegen zu spät in die arbeit, und<br />
die kinder kommen zu spät in die schule.<br />
Die ampeln werden nur für vier sekunden grün für<br />
den verkehr, der aus dem arabischen viertel kommt,<br />
und die „jüdische seite“ hat viel länger grün, obwohl<br />
auf der „jüdischen“ straße fast keine autos fahren,<br />
weil sie auch andere straßen benutzen können. Die<br />
erfahrungen am flughafen waren immer ein heißes<br />
thema. geschichten vom verletzten stolz unserer<br />
„integrierten“ familie. Unsere stellung als erfolgreiche<br />
araber in diesem land wird durch verhöre<br />
und akribische Untersuchungen unseres gepäcks<br />
zunichtegemacht, bei denen nicht zwischen dem<br />
„durchschnittlichen“ und dem „guten“ araber unterschieden<br />
wird.<br />
Zurück zum abendessen. wenn arabische gäste da<br />
waren, blieb die Unterhaltung zwar immer noch politisch,<br />
aber man wurde selbstkritischer und beschwerte<br />
sich über die lage der araber. Unsere<br />
Rückständigkeit und konservative haltung, unser<br />
herdenartiges funktionieren und der mangel an initiative,<br />
unsere angst, gesellschaftliche tabus und<br />
normen zu verletzen, Doppelmoral, stolz, materia-<br />
58 OVERLAPPING VOICES<br />
lismus, gier, endlose geschichten von internen streitigkeiten,<br />
sowohl innerhalb der familie als auch innerhalb<br />
der gemeinde. wir wollen alle Ärzte und<br />
anwälte sein (nicht unbedingt weil das so interessante<br />
Berufe sind, sondern weil sie einen guten Ruf<br />
haben), viel geld verdienen, uns eine sammlung von<br />
mercedes und Bmws zulegen. selten waren die Diskussionen<br />
jedoch konstruktiv. natürlich waren sie<br />
konstruktiv in dem sinn, dass sie Bewusstsein schufen,<br />
aber es ging kaum je darum, veränderungen auf<br />
praktischer ebene herbeizuführen. wann hätten wir<br />
je geplant, schriftliche eingaben zu machen, schulen<br />
zu gründen oder kulturell aktiv zu werden? selten,<br />
und die vorschläge blieben immer hypothetisch.<br />
Die allgemeine haltung ist hoffnungslosigkeit. hoffnungslosigkeit<br />
gegenüber dem unterdrückenden Regierungssystem<br />
im verbund mit der Unfähigkeit, eine<br />
gruppe von arabern für den kampf um eine gemeinsame<br />
sache zu vereinen.<br />
Schule<br />
im alter von 15 wechselte ich von der anglikanischen<br />
internationalen schule in Jerusalem ins kunstgymnasium,<br />
wo ich meine höhere schulbildung beendete.<br />
ich war die einzige araberin unter 700 schülern<br />
an diesem israelisch-hebräischen gymnasium.<br />
man sagte mir, das gerücht, eine araberin werde an<br />
die schule kommen, habe sich schon lange vor meiner<br />
ankunft verbreitet, und viele monate lang habe<br />
niemand herausgefunden, um wen es sich handelte.<br />
Zu jedem thema, bei dem man die meinung der „anderen<br />
seite“ brauchte, ließ man „die araberin befragen“.<br />
also wurde ich zu einer art Diplomatin für mein<br />
volk, so als ob meine gedanken den allgemeinen<br />
arabischen standpunkt widerspiegelten. „tod den<br />
arabern“, rief man mir jedes mal nach, wenn ich an<br />
den „arsim“ 1 der schule vorüberging, was mich verletzte<br />
und traurig machte, aber auch gut als kurze<br />
antwort auf die mir oft gestellte frage taugte: „wie<br />
ist es denn, in eine ganz jüdische schule zu gehen?“<br />
ein von mir gemaltes Bild mit arabischem text wurde<br />
an einem wochenende zerrissen, als unsere schule<br />
als wahllokal diente. Dadurch war nicht klar, ob es<br />
ein schüler oder ein außenstehender getan hatte.<br />
wie auch immer, ich brach in tränen aus, als ich<br />
mich beim Direktor beschwerte. er reagierte gut, ließ<br />
die schüler zusammenrufen und erklärte vor allen,<br />
wie sehr ihm der schreckliche vorfall vom wochenende<br />
missfiel. er bat mich, das Bild noch einmal zu<br />
malen, damit er es in seinem Büro aufhängen konnte,<br />
was ich gerne tat. mein erstes aufwühlendes kunstwerk<br />
erwarb mein Bruder um 100 schekel.<br />
ich hasste Remembrance Day (tag der erinnerung<br />
an die kriegsgefallenen), independence Day (Unabhängigkeitstag)<br />
und jeden anderen besonderen tag,<br />
an dem die nationalhymne in der schule gespielt<br />
wurde. Da fühlte ich mich dann völlig fehl am Platz<br />
unter meinen freunden, die alle aufstanden und sangen,<br />
während ich demonstrativ sitzen blieb. normalerweise<br />
stupste mich dann jemand und flüsterte:<br />
„steh einfach auf, du musst ja nicht mitsingen.“ an<br />
meiner linksgerichteten, kunstsinnigen schule gab<br />
es noch immer mehr verständnis als bei den nationalen<br />
sportbewerben 2 , wo eher typische vertreter<br />
des israelischen Publikums zu finden waren. ich versuchte<br />
immer, mich gerade dann umzukleiden, wenn<br />
während der eröffnung die nationalhymne gespielt<br />
wurde, bei der ein ganzes olympisches stadion mit<br />
hunderten von sportlern sich stolz von den sitzen<br />
erhob und sang. ich war dann allein in der Umkleidekabine,<br />
konnte tun, was ich wollte, und die zwei<br />
unangenehmen optionen vermeiden, entweder a)<br />
zur hymne aufzustehen oder b) sitzen zu bleiben<br />
und von allen angestarrt zu werden.<br />
Stellung beziehen<br />
wenn man mich fragt, wo ich herkomme, dann antworte<br />
ich, ich bin Palästinenserin und lebe in israel.<br />
Rein technisch bin ich israelin. aber araberin. es<br />
lässt sich nie mit einem wort beantworten. außerdem<br />
bin ich nicht in der lage, meine gefühle in eine<br />
klare, kurze antwort zu fassen. mit wem genau ich