katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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Die erste hälfte des 20. Jahrhunderts war voll von<br />
hoffnungen, dass wagemutige revolutionär-utopische<br />
Bewegungen, die nach verbesserung der<br />
gesellschaft strebten, die welt alsbald erlösen würden.<br />
Über mehr als fünf Jahrzehnte lenkten sozialistische<br />
tendenzen die geschicke des Zionismus.<br />
Der wunsch, eine gänzlich neue gesellschaft zu<br />
errichten, frei von den verzerrungen, dem Unrecht<br />
und der Ungleichheit der alten welt, erhellte den<br />
zionistischen horizont und verlieh ihm moralische<br />
und menschliche tiefe. Die Juden in Palästina würden<br />
eine modellhafte gesellschaft einrichten, die<br />
der welt als ethisches Beispiel dienen würde. Der<br />
beispielhaften jüdischen gesellschaft, so glaubte<br />
man, würde in kleinem maßstab und ohne Zwangsmaßnahmen<br />
gelingen, was, wie aufgeklärte menschen<br />
(freilich fälschlicherweise) glaubten, in der<br />
sowjetunion stattfand. Die utopischen tendenzen<br />
im Zionismus regten innovation und kreativität an.<br />
hier fand der versuch statt, eine gerechte gesellschaft<br />
mit freiwilligen mitteln einzurichten, auf der<br />
grundlage der Begeisterung, hingabe und Bildung<br />
ihrer mitglieder. Die kooperativenbewegung, die<br />
kibbuzim und die histadrut sind nur drei von vielen<br />
neuschöpfungen, die sich aus dieser einzigartigen<br />
verbindung gesellschaftlicher ideale und nationaler<br />
Bedürfnisse ergaben.<br />
ein Bereich, in dem es meinungsverschiedenheiten<br />
unter historikern und soziologen gibt, ist<br />
die frage des gebrauchs der vergleichenden methode.<br />
Die soziologie ist auf der suche nach gemeinsamen<br />
nennern und streicht die universalen<br />
merkmale sozialer Phänomene heraus, während<br />
die geschichtswissenschaft die einzigartigkeit von<br />
ereignissen und die Beispiellosigkeit ihres einmaligen<br />
auftretens in der menschlichen erfahrung<br />
betont. in meiner analyse der Ursprünge des Zionismus<br />
habe ich versucht, ihn in das Umfeld der<br />
epoche einzuordnen, in der er sich entwickelte,<br />
und ihn den allgemeinen geschichtlichen Prozessen<br />
und vorherrschenden tendenzen zu integrieren,<br />
die den Zeitgeist dieser epoche bildeten. Diese<br />
herangehensweise ist jedoch auf den versuch, die<br />
Rückkehr des jüdischen volkes in das land Yisrael<br />
zu erklären, nicht anwendbar. Zuletzt ist die jüdische<br />
geschichte einzig in ihrer art. keine andere<br />
nation hat von der antike bis in die moderne<br />
durchgehend Bestand gehabt; kein anderes volk<br />
hat über Jahrhunderte als verstreutes volk ohne<br />
territoriale grundlage existiert; und keine andere<br />
nation hat das Rad der geschichte zurückgedreht<br />
und ist in ihre historische heimat zurückgekehrt.<br />
Die Rückkehr der Juden in das land ihrer vorfahren<br />
war keine offensichtlich zu erwartende entwicklung:<br />
Das land Yisrael, nunmehr als Palästina<br />
bekannt, war eine arme und dünn besiedelte Provinz<br />
unter ottomanischer herrschaft, gefährlich<br />
und rückständig. als es zu Überlegungen über<br />
mögliche Zufluchtsorte für das jüdische volk kam,<br />
schlugen eine Reihe von führern des frühen Zionismus<br />
vor, einen Judenstaat im reichen und ent-<br />
48 OVERLAPPING VOICES<br />
wickelten argentinien oder im fruchtbaren ostafrika<br />
einzurichten. Doch diese vorschläge hatten nie<br />
den hauch einer chance, die breite masse der Zionisten<br />
für sich zu gewinnen. Dass die wahl auf<br />
eretz Yisrael (das land Yisrael) fiel, war keine rationale<br />
entscheidung. sie entstammte vielmehr einer<br />
tief sitzenden historischen einsicht, dass die<br />
errichtung eines jüdischen staates die gesamte<br />
energie und spirituelle kraft des jüdischen volkes<br />
erfordern würde. Diese waren nur zu mobilisieren,<br />
wenn es um eretz Yisrael ging. in derzeitigen Debatten<br />
unter intellektuellen ist es mode geworden,<br />
den Zionismus als eine kolonialistische siedlerbewegung<br />
zu definieren. angesichts der tatsache,<br />
dass der Zionismus unter der schirmherrschaft der<br />
britischen mandatsregierung in Palästina große<br />
fortschritte machte, scheint das eine sinnvolle<br />
herangehensweise. Doch missachtet dieser gedankengang<br />
die ideologischen und gesellschaftlichen<br />
wurzeln des Zionismus, die vielfalt der faktoren,<br />
die seine entwicklung beeinflussten, und die<br />
Unvergleichlichkeit der situation des Judentums.<br />
Palästina hatte europäischen siedlern äußerst wenig<br />
zu bieten – keine Bodenschätze, kein Öl und<br />
kein eisen. sein Boden war nicht besonders fruchtbar,<br />
und die wasserknappheit und die tatsache,<br />
dass erhebliche investitionen erforderlich waren,<br />
bevor moderne landwirtschaft betrieben werden<br />
konnte, machte es für eine Besiedlung durch europäer<br />
ungeeignet. Dennoch gelangten die Juden<br />
zu der entscheidung, die nachteile des landes außer<br />
acht zu lassen, weil es für sie ihre legendäre<br />
heimat war. sie sahen sich nicht als europäer auf<br />
der suche nach Reichtum und glück, sondern als<br />
ein volk, das zurückkehrte, um das land seiner<br />
vorfahren wiederaufzubauen.<br />
Die gründer der zionistischen Bewegung wussten<br />
nur wenig über das Palästina ihrer Zeit im Unterschied<br />
zum eretz Yisrael der legenden, der literatur<br />
und der Bibel. Doch diejenigen, die sich dort<br />
niederließen, bemerkten bald genug, dass es kein<br />
unbesiedeltes stück land war. Zu Beginn der zionistischen<br />
einwanderung nach Palästina (1881)<br />
war es die heimat einiger zehntausend Juden und<br />
weniger als einer halben million araber. Die Zionisten<br />
machten keinen hehl aus ihrer absicht, das<br />
arabische Palästina durch einwanderung und siedlungstätigkeit<br />
in ein jüdisches eretz Yisrael zu verwandeln.<br />
sie behaupteten, das land biete genügend<br />
Platz für eine million araber und einige<br />
millionen Juden. Jüdische einwanderung, so wurde<br />
argumentiert, würde kapital ins land bringen und<br />
so eine wirtschaftliche entwicklung anspornen, die<br />
der Bevölkerung als ganzer zugute kommen würde.<br />
Dieser gedankengang vernachlässigte zweifelsohne<br />
das gefühl unter der arabischen Bevölkerung,<br />
dass das land seit Jahrhunderten ihr gehört<br />
hatte. Zwar hatte das land seit dem ersten vorchristlichen<br />
Jahrhundert nicht mehr als unabhängige<br />
politische einheit existiert, doch das änderte<br />
nichts an dem Besitz- und herrschaftsanspruch,<br />
zu dem die arabische Bevölkerung sich berechtigt<br />
glaubte. Die freundschaftsversprechen der zionistischen<br />
führer machten auf sie keinen eindruck;<br />
sie hatten kein interesse daran, Partner zu gewinnen<br />
in einem land, das ihrer ansicht nach ihnen<br />
allein gehörte. sie nahmen die Juden als eindringlinge<br />
war. sowie die Juden im land immer stärker<br />
fuß fassten, wuchs auch der widerstand der araber.<br />
es war der Zionismus, der – die ironie der geschichte<br />
verdient Beachtung – den palästinensischen<br />
nationalismus hervorbrachte.<br />
Die wichtigste Phase für die Durchführung des zionistischen<br />
Projekts war die Zeit zwischen den<br />
zwei weltkriegen. Der erste weltkrieg führte zur<br />
auflösung des ottomanenreiches, und auf seinen<br />
Ruinen wurden eine anzahl arabischer staaten errichtet.<br />
anfangs standen diese staaten unter britischer<br />
und französischer mandatsherrschaft; später<br />
wurden sie unabhängig. Zugleich erkannte die<br />
völkergemeinschaft auch die historischen verbindungen<br />
zwischen dem jüdischen volk und Palästina<br />
und sein Recht an, dort eine „nationale heimat“<br />
zu errichten. Diese anerkennung war im<br />
mandat über Palästina, das der völkerbund großbritannien<br />
erteilte, verankert. Die drei Jahrzehnte<br />
britischer herrschaft in Palästina (1918-1948)<br />
legten die grundlage eines modernen staates und<br />
gaben den Juden gelegenheit, ihre „nationale heimat“<br />
einzurichten. während der Zwischenkriegsjahre<br />
beschleunigten sich die Prozesse, die zur errichtung<br />
eines zionistischen staates führen sollten,<br />
angesichts der wachsenden Bedrohung jüdischer<br />
gemeinden in europa, da die nazis in Deutschland<br />
die macht erlangten und in den staaten osteuropas<br />
antisemitische und protofaschistische Regimes<br />
auf den Plan traten. Zugleich gewann auch<br />
der jüdisch-arabische konflikt an intensität. Je gefahrvoller<br />
die lage der europäischen Juden wurde,<br />
je mehr sie gedemütigt und ihrer würde als Bürger<br />
und menschen beraubt wurden, desto zentraler<br />
wurde das zionistische Projekt für das jüdische leben.<br />
Die „nationale heimat“ im palästinensischen<br />
mandatsgebiet war nun der einzige ort auf der welt,<br />
der jeden Juden, der kommen wollte, aufnehmen<br />
würde. Über die Rettung von leben hinaus stattete<br />
der Zionismus die Juden aufs neue mit einem Zugehörigkeitsgefühl<br />
aus, mit einer identität und<br />
einem neuen gefühl von würde. Die araber dagegen<br />
nahmen nur eines wahr – dass immer mehr<br />
Juden ins land kamen und das land so nach und<br />
nach seine arabische Prägung verlor und einen<br />
europäischen charakter annahm. Die arabische<br />
strategie gegen diese in ihrer wahrnehmung existenzielle<br />
Bedrohung war es, jede verbindung zwischen<br />
Juden und Palästina zu leugnen und die legitimität<br />
des zionistischen Projektes zu bestreiten.<br />
Daher verweigerten sie sich jedem vorschlag, sei<br />
es von britischer oder jüdischer seite, sich an der<br />
verwaltung des landes zu beteiligen. am vorabend<br />
des Zweiten weltkriegs stellten die araber nach<br />
wie vor eine Zweidrittelmehrheit der Bevölkerung