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die geschichte des Zionismus anita shapira Richard lichtheim, ein früher historiker des Zionismus, definierte diesen als „europas geschenk an das jüdische volk“. Diese aussage, die den Zionismus zeitlich und räumlich verortet, ist umstritten. ein religiöser Jude zum Beispiel würde wahrscheinlich behaupten, der Zionismus sei seit der Zerstörung des tempels und dem Beginn des exils des jüdischen volkes aus seinem heimatland ein Bestandteil des jüdischen glaubens gewesen. Juden beten täglich um ihre Rückkehr nach Jerusalem und die wiederherstellung der herrlichkeit des königreiches Davids. Der gegensatz von exil und erlösung ist seit langem ein wichtiges symbol im Judentum. Das exil steht für alles negative in der jüdischen existenz wie auch im Zustand der schöpfung als ganzer. erlösung steht für die errichtung des königreichs der gerechtigkeit auf erden und die ankunft des messias. auch die Rückkehr der Juden in ihre uralte heimat wird als teil dieses mystischen Prozesses angesehen. Dennoch besteht lichtheims einschätzung die historische Probe. ohne den kontakt zwischen Juden und der europäischen kultur wäre es nie zur entfaltung des jüdischen nationalismus gekommen, dessen zentraler ausdruck der Zionismus ist. Paradoxerweise mussten Juden ihren messianischen glauben ablegen, bevor sie sich dem Zionismus zuwenden konnten. solange sie auf himmlische hilfe warteten und ihr schicksal als national-religiöse minderheit inmitten von nationalen mehrheiten ergeben hinnahmen, konnte sich der Zionismus nicht entwickeln. Die offenheit der Juden Prozessen gegenüber, die sich in der europäischen gesellschaft insgesamt abspielten, und ihre Befreiung aus religiösen Beschränkungen waren voraussetzungen für das auftreten des Zionismus. Die geschichte beginnt mit der französischen Revolution, als die staaten europas begannen, Juden gleiche Rechte zuzugestehen. Zum ersten mal in der geschichte konnten Juden sich als gleichberechtigte Bürger in die christliche gesellschaft integrieren ohne zu konvertieren. Diese emanzipation 4 OVERLAPPING VOICES führte zur säkularisierung und zunehmenden integration der Juden in die europäische gesellschaft. mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich in west- und mitteleuropa eine jüdische Bildungsschicht herausgebildet, die nach einer integration in ihre heimatländer strebte. in osteuropa dagegen, wo millionen Juden lebten, war emanzipation nach wie vor ein fernes sehnsuchtsziel. Doch auch dort trat eine moderne und gebildete jüdische schicht auf den Plan, die für die strömungen und ideen, die damals europa beeinflussten, empfänglich war. Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert des europäischen nationalismus. Die nationalstaaten, die sich nach der französischen Revolution und den napoleonischen kriegen herausbildeten, brachten eine neue säkular-bürgerliche identität hervor, die traditionelle religiöse, stammesgebundene und regionale identitäten ersetzte. kleine nationen, die jahrhundertelang unter fremdherrschaft gelebt hatten, erhoben sich nun, um um ihre freiheit zu kämpfen. griechenland, italien, Polen, die tschechoslowakei und Deutschland, bisher rein geografische Begriffe, verwandelten sich in symbole eines nationalismus, der um einen Platz an der sonne kämpfte. auch Juden waren sich dieses Prozesses bewusst; so etwa moses hess, ein deutscher sozialistischer Philosoph und genosse marx’, der sich von der vereinigung italiens begeistern ließ und glaubte, auf die Befreiung Roms müsse die wiedererrichtung Jerusalems durch die Juden folgen. so auch der serbische mystiker Rabbi Yeduda alkalai, der unter dem einfluss der nationalen Befreiungskämpfe, die auf dem Balkan stattfanden, von den Juden dasselbe forderte. mitte des 19. Jahrhunderts befürworteten diese und andere Denker in ihren schriften die idee, das jüdische volk solle die ideen von freiheit und selbstbestimmung in seiner historischen heimat verwirklichen. Die Übernahme der nationalistischen idee durch das jüdische volk stand im widerspruch zu seinem wunsch, sich in die gesellschaften seiner heimatländer zu integrieren. Der Prozess der emanzipation, damals die vorherrschende tendenz, beruhte auf der annahme, dass Juden bereit sein würden, die nationalen Bestandteile ihrer identität aufzugeben. „Den Juden als nation muss man alles verweigern; als individuen muss man ihnen alles zugestehen“, erklärte clermont-tonnerre während der französischen Revolution. solange nicht zwischen der bürgerlichen und der religiösen identität eines Juden unterschieden wurde, stellte sich die frage nicht, ob die Juden eine Religionsgemeinschaft oder eine nation darstellten. Und bis ins 19. Jahrhundert unterschieden Juden nicht zwischen ihrer nationalen und ihrer religiösen identität. Doch wenngleich sie sich nicht der Begrifflichkeit des modernen nationalismus bedienten (die erst noch erfunden werden musste), passte auf die Juden anthony smiths Definition von ethnizität, die die grundlage des nationalismus darstellte. Unentbehrliche Bestandteile dieser ethnischen identität waren eine gemeinsame vergangenheit (die Bindung an Zion), der gebrauch des hebräischen als heiliger sprache, und der traum von der Rückkehr ins land Yisrael. Um gleiche Rechte zu erlangen, wurde von Juden nun verlangt, diese Bestandteile aufzugeben, und das taten sie mit Begeisterung. gleiche Rechte wurden von vielen als der neue messias angesehen, der die Juden von der entfremdung des exils erlösen würde. Daher waren zwei tendenzen kennzeichnend für die geschichte des Judentums in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts: die tendenz, die nationale jüdische identität aufzugeben im tausch für eine eintrittskarte in die europäische gesellschaft, und die tendenz, eine version des europäischen nationalismus anzunehmen und ihn auf die zeitgenössische lage des Judentums anzuwenden. noch herrschte jene tendenz vor, doch diese gewann an Boden. trat der Zionismus als antwort auf den modernen antisemitismus auf den Plan, oder war er eine Be

wegung nationaler wiedergeburt? Diese frage plagte die gründer der zionistischen Bewegung. es lag eine Demütigung in der vorstellung, dass die jüdische nationalbewegung womöglich nicht das ergebnis immanenter Prozesse, sondern das Produkt von haltungen von nichtjuden gegenüber Juden war. tatsächlich lässt sich zeigen, dass alle nationalen Bewegungen gleichermaßen durch innere und äußere faktoren angestachelt wurden. wäre der spanische nationalismus ohne die napoleonische invasion entstanden? wäre der tschechische nationalismus ohne Diskriminierung durch Deutsche entstanden? hätte sich Deutschland zu einem vereinigten staatsgebilde zusammengeschlossen, hätte es nicht die herausforderung gegeben, die frankreich darstellte? Die europäische geschichte ist reich an Beispielen dafür, dass äußerer Druck, Diskriminierung und eroberungen der entwicklung nationalistischer Bewegungen als katalysatoren dienen. Darin unterschieden sich die Juden keineswegs von den völkern, in deren mitte sie lebten. Der Zionismus erwuchs im schatten der hoffnungen auf eine emanzipation der Juden in Russland, die durch eine welle von Pogromen in südrussland im Jahr 1881 zunichte gemacht worden waren. er entwickelte sich fort in Reaktion auf den rassistischen antisemitismus, der als einflussreiche politische kraft im letzten viertel des 19. Jahrhunderts in west- und mitteleuropa sein hässliches haupt erhob. für theodor herzl, den gründer der zionistischen Bewegung, war der Zionismus eine antwort auf die Zurückweisung, die er von den Deutschen erfuhr: wir Juden haben alles in unserer macht stehende getan, um uns in die nationen, in deren mitte wir lebten, zu integrieren, aber sie wollen uns nicht haben. Daher schloss herzl: „wir sind eine nation, eine einzige nation“, und brauchen unseren eigenen staat. nur jemand, der in der europäischen kultur sozialisiert und erzogen worden und der bedrohlichen und schöpferischen macht des nationalismus ausgesetzt gewesen war, konnte zu einem solchen schluss gelangen. Der europäische nationalismus steigerte die Probleme der Juden als einer nationalen minderheit in nationalstaaten. Dies war ein exklusiver nationalismus, der diejenigen zurückwies, die er als unechte mitglieder der nation betrachtete. andererseits zeigte der europäische nationalismus den Juden auch die lösung für ihre missliche lage auf: die annahme und anwendung des Begriffs der nation auf ihre eigene lage. Das schlagwort vom „Judenstaat“ (so der titel einer kleinen von herzl veröffentlichten streitschrift) elektrisierte die gemüter. von entscheidender Bedeutung allerdings war die einrichtung des Zionistischen kongresses, einer art Parlament der abteilungen der europäischen Judenheit, das sich mit der revolutionären idee eines jüdischen staates identifizierte. herzls ureigener Beitrag zur zionistischen Bewegung war es, in politischen Begriffen zu denken. seine einsicht in die notwen- digkeit, ein gremium zu schaffen, in dessen namen er mit führenden vertretern der weltmächte verhandeln konnte – eine art fiktive vertretung des jüdischen volkes – hatte er der geschichte der nationalbewegungen europas abgesehen. auch die von ihm beworbenen symbole – darunter eine flagge und eine nationalhymne – waren der europäischen geschichte entnommen. herzl stattete die zionistische Bewegung mit der gewandtheit eines mannes aus, der der europäischen Politik ausgesetzt gewesen war und ihre kniffe kannte. in osteuropa, das sich noch in der voremanzipierten Phase befand, hatten Juden keine gelegenheit, solche kenntnisse über den staat zu erwerben und darüber, wie er funktionierte. Daher stammte die erste generation der führer der zionistischen Bewegung aus mitteleuropa. Das herz der Bewegung jedoch – die massen, die sie trugen – schlug in osteuropa. am ende des 19. Jahrhunderts machten die Juden einen revolutionären sinneswandel durch: sie hörten auf, passiv ihr elendes schicksal hinzunehmen. Die große masse emigrierte nach amerika auf der suche nach einer besseren Zukunft. ein weiterer teil schloss sich der russischen revolutionären Bewegung an in der hoffnung, dass die welt, wie sie nach der Revolution entstehen sollte, Juden als gleichberechtigte mitbürger akzeptieren würde. wieder andere sahen im Zionismus den weg der erlösung sowohl für den individuellen Juden als auch für das jüdische kollektiv. so wurde eine Bewegung geboren, bei der die anführer aus einer kulturellen welt stammten, die große Zahl der einfachen mitglieder jedoch aus einer anderen. herzl war ein schüler der deutschen kultur, und seine jüdischen wurzeln waren recht locker. Die massen in osteuropa dagegen waren zutiefst mit der jüdischen tradition verwachsen. Bei ihnen führte die säkularisierung nicht dazu, dass sie das jüdische kollektiv aufgaben, sondern vielmehr dazu, dass sie seinen nationalen charakter betonten. in osteuropa lebten millionen Juden in enger nachbarschaft, sprachen dieselbe sprache, teilten ein und dasselbe schicksal und eine gemeinsame kultur. Der Zionismus wurde nicht nur als versprechen einer erlösung der Juden von Demütigung und Unterdrückung wahrgenommen, sondern auch als Bewegung der geistigen und kulturellen wiedergeburt, die es unternahm, die Juden als individuen, als gesellschaft und als kultur umzubilden. Die neue jüdische gesellschaft würde die Bindung an die jüdische tradition und ihre historischen symbole bewahren. aber sie würde auch neue formen annehmen, insbesondere die Rückkehr zur natur und zu einer einfachen lebensweise auf landwirtschaftlicher grundlage. Diese ideen hat die zionistische Bewegung zweifelsohne nicht erfunden; vielmehr eignete sie sie sich von der europäischen Romantik an. sehnsüchte nach ursprünglichen lebensformen, nach der unverbildeten einfachheit von mensch und gesellschaft, der wunsch, vor der heuchelei der großstadt Zuflucht zu finden, indem man zu der ethischen Reinheit körperlicher arbeit im allgemeinen und der landwirtschaft im besonderen finden würde, waren seit Rousseau kennzeichen jeder Bewegung gewesen, die sich gegen die entfremdung der industrialisierung und die anonymität des modernen lebens auflehnte. für Juden wohnte diesen ideen eine besondere Bedeutung inne, da sie seit Jahrhunderten vorwiegend stadtbewohner gewesen waren und intellektuelle fähigkeiten höher als körperliche stärke schätzten. Der moderne Jude wurde mit einer städtischen intellektuellenschicht identifiziert, nicht mit dem einfältigen landbewohner. Der Zionismus stellte eine herausforderung an traditionelle jüdische werte dar. Das jüdische staatsgebilde in eretz Yisrael würde eine vollständige verwandlung der jüdischen gesellschaft wie des jüdischen individuums bedeuten. Der neue Jude würde kenntnisse und fähigkeiten erwerben, wie sie ein volk braucht, das seinen nationalstaat erschafft und für ihn verantwortung übernimmt. er würde in der lage sein, die zwei Rollen zu erfüllen, die als für jeden staat unabdingbar angesehen wurden – die des landmannes und die des soldaten. er würde ehrlich, stolz und tapfer sein, frei von verstellung und Unterwürfigkeit; ein ergebener Bürger seines staates und ein würdiger Bürger der welt. Der europäische nationalismus betrachtete sprache als ein wesentliches merkmal nationaler existenz. völker, die ihr nationales schicksal in die hand zu nehmen trachteten, versuchten daher, ihre ursprünglichen sprachen wiederzubeleben, wie etwa das tschechische und das gälische. Der jüdische nationalismus entzündete ein wiedererstarken des hebräischen, das vorwiegend gebetssprache und sprache der heiligen schrift gewesen war. im alltag sprachen Juden Jiddisch, ladino und Judäo-arabisch. Dagegen erschienen in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts nach und nach eine hebräische literatur und hebräischer Journalismus. mit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde hebräisch eine gesprochene sprache, in der gelehrte sich unterhielten, kinder schrien und literarische werke verfasst wurden. Die kultur der neuen jüdischen gemeinschaft in Palästina fand in hebräischer sprache statt. ein wesentlicher Bestandteil der sich herausbildenden hebräischen kultur war die Bibel. in der traditionellen jüdischen kultur war die Bibel dem talmud hintangesetzt worden. nun wurde sie in der zionistischen mythologie auf einen ehrenplatz gehoben als erhabenes Zeugnis der intellektuellen und ethischen leistungen des jüdischen volkes einerseits und als Quelle und Zeugnis der historischen Bindungen zwischen dem jüdischen volk und seinem land andererseits. so verwandelte der Zionismus das heilige land in den jüdischen staat, die heilige sprache in eine gesprochene alltagssprache und die heiligen schriften in ein nationalepos. 4

die geschichte des<br />

Zionismus<br />

anita shapira<br />

Richard lichtheim, ein früher historiker des Zionismus,<br />

definierte diesen als „europas geschenk an das<br />

jüdische volk“. Diese aussage, die den Zionismus<br />

zeitlich und räumlich verortet, ist umstritten. ein religiöser<br />

Jude zum Beispiel würde wahrscheinlich behaupten,<br />

der Zionismus sei seit der Zerstörung des<br />

tempels und dem Beginn des exils des jüdischen<br />

volkes aus seinem heimatland ein Bestandteil des<br />

jüdischen glaubens gewesen. Juden beten täglich<br />

um ihre Rückkehr nach Jerusalem und die wiederherstellung<br />

der herrlichkeit des königreiches Davids.<br />

Der gegensatz von exil und erlösung ist seit langem<br />

ein wichtiges symbol im Judentum. Das exil steht für<br />

alles negative in der jüdischen existenz wie auch im<br />

Zustand der schöpfung als ganzer. erlösung steht für<br />

die errichtung des königreichs der gerechtigkeit auf<br />

erden und die ankunft des messias. auch die Rückkehr<br />

der Juden in ihre uralte heimat wird als teil<br />

dieses mystischen Prozesses angesehen.<br />

Dennoch besteht lichtheims einschätzung die historische<br />

Probe. ohne den kontakt zwischen Juden<br />

und der europäischen kultur wäre es nie zur entfaltung<br />

des jüdischen nationalismus gekommen,<br />

dessen zentraler ausdruck der Zionismus ist. Paradoxerweise<br />

mussten Juden ihren messianischen<br />

glauben ablegen, bevor sie sich dem Zionismus zuwenden<br />

konnten. solange sie auf himmlische hilfe<br />

warteten und ihr schicksal als national-religiöse<br />

minderheit inmitten von nationalen mehrheiten ergeben<br />

hinnahmen, konnte sich der Zionismus nicht<br />

entwickeln. Die offenheit der Juden Prozessen gegenüber,<br />

die sich in der europäischen gesellschaft<br />

insgesamt abspielten, und ihre Befreiung aus religiösen<br />

Beschränkungen waren voraussetzungen für<br />

das auftreten des Zionismus.<br />

Die geschichte beginnt mit der französischen Revolution,<br />

als die staaten europas begannen, Juden<br />

gleiche Rechte zuzugestehen. Zum ersten mal in<br />

der geschichte konnten Juden sich als gleichberechtigte<br />

Bürger in die christliche gesellschaft integrieren<br />

ohne zu konvertieren. Diese emanzipation<br />

4 OVERLAPPING VOICES<br />

führte zur säkularisierung und zunehmenden integration<br />

der Juden in die europäische gesellschaft.<br />

mitte des 19. Jahrhunderts hatte sich in west- und<br />

mitteleuropa eine jüdische Bildungsschicht herausgebildet,<br />

die nach einer integration in ihre heimatländer<br />

strebte. in osteuropa dagegen, wo millionen<br />

Juden lebten, war emanzipation nach wie vor ein<br />

fernes sehnsuchtsziel. Doch auch dort trat eine<br />

moderne und gebildete jüdische schicht auf den<br />

Plan, die für die strömungen und ideen, die damals<br />

europa beeinflussten, empfänglich war.<br />

Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert des europäischen<br />

nationalismus. Die nationalstaaten, die<br />

sich nach der französischen Revolution und den<br />

napoleonischen kriegen herausbildeten, brachten<br />

eine neue säkular-bürgerliche identität hervor, die<br />

traditionelle religiöse, stammesgebundene und regionale<br />

identitäten ersetzte. kleine nationen, die<br />

jahrhundertelang unter fremdherrschaft gelebt<br />

hatten, erhoben sich nun, um um ihre freiheit zu<br />

kämpfen. griechenland, italien, Polen, die tschechoslowakei<br />

und Deutschland, bisher rein geografische<br />

Begriffe, verwandelten sich in symbole eines<br />

nationalismus, der um einen Platz an der sonne<br />

kämpfte. auch Juden waren sich dieses Prozesses<br />

bewusst; so etwa moses hess, ein deutscher sozialistischer<br />

Philosoph und genosse marx’, der sich<br />

von der vereinigung italiens begeistern ließ und<br />

glaubte, auf die Befreiung Roms müsse die wiedererrichtung<br />

Jerusalems durch die Juden folgen.<br />

so auch der serbische mystiker Rabbi Yeduda alkalai,<br />

der unter dem einfluss der nationalen Befreiungskämpfe,<br />

die auf dem Balkan stattfanden,<br />

von den Juden dasselbe forderte. mitte des 19.<br />

Jahrhunderts befürworteten diese und andere Denker<br />

in ihren schriften die idee, das jüdische volk<br />

solle die ideen von freiheit und selbstbestimmung<br />

in seiner historischen heimat verwirklichen.<br />

Die Übernahme der nationalistischen idee durch<br />

das jüdische volk stand im widerspruch zu seinem<br />

wunsch, sich in die gesellschaften seiner<br />

heimatländer zu integrieren. Der Prozess der<br />

emanzipation, damals die vorherrschende tendenz,<br />

beruhte auf der annahme, dass Juden bereit<br />

sein würden, die nationalen Bestandteile ihrer<br />

identität aufzugeben. „Den Juden als nation muss<br />

man alles verweigern; als individuen muss man ihnen<br />

alles zugestehen“, erklärte clermont-tonnerre<br />

während der französischen Revolution. solange<br />

nicht zwischen der bürgerlichen und der religiösen<br />

identität eines Juden unterschieden wurde, stellte<br />

sich die frage nicht, ob die Juden eine Religionsgemeinschaft<br />

oder eine nation darstellten. Und bis<br />

ins 19. Jahrhundert unterschieden Juden nicht<br />

zwischen ihrer nationalen und ihrer religiösen<br />

identität. Doch wenngleich sie sich nicht der Begrifflichkeit<br />

des modernen nationalismus bedienten<br />

(die erst noch erfunden werden musste),<br />

passte auf die Juden anthony smiths Definition<br />

von ethnizität, die die grundlage des nationalismus<br />

darstellte. Unentbehrliche Bestandteile dieser<br />

ethnischen identität waren eine gemeinsame<br />

vergangenheit (die Bindung an Zion), der gebrauch<br />

des hebräischen als heiliger sprache, und<br />

der traum von der Rückkehr ins land Yisrael.<br />

Um gleiche Rechte zu erlangen, wurde von Juden<br />

nun verlangt, diese Bestandteile aufzugeben, und<br />

das taten sie mit Begeisterung. gleiche Rechte<br />

wurden von vielen als der neue messias angesehen,<br />

der die Juden von der entfremdung des exils<br />

erlösen würde. Daher waren zwei tendenzen kennzeichnend<br />

für die geschichte des Judentums in<br />

der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts: die tendenz,<br />

die nationale jüdische identität aufzugeben<br />

im tausch für eine eintrittskarte in die europäische<br />

gesellschaft, und die tendenz, eine version des<br />

europäischen nationalismus anzunehmen und ihn<br />

auf die zeitgenössische lage des Judentums anzuwenden.<br />

noch herrschte jene tendenz vor, doch<br />

diese gewann an Boden.<br />

trat der Zionismus als antwort auf den modernen<br />

antisemitismus auf den Plan, oder war er eine Be

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