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katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

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arbeitung der frage der österreichischen schuld<br />

und der historischen verantwortung kann auch<br />

den versuch unterminieren, über eine simplifizierte<br />

sicht hinauszugelangen, die eine komplexe situation<br />

auf eine unkomplizierte aufteilung in täter<br />

und opfer im nahen osten reduziert.<br />

was kann es bedeuten, über eine solche ausstellung<br />

im österreichischen kontext unter diesen Umständen<br />

politisch zu reflektieren? sollte es einen<br />

extrateil geben und anweisungen für die kunstvermittler<br />

darüber, wie man mit der Reflexion der<br />

nazivergangenheit in kunstwerken, die dieses<br />

thema gar nicht ansprechen wollten, umgehen<br />

soll? was bedeutet das für die palästinensische<br />

kunst, die nur indirekt teil dieser konstellation ist?<br />

statt klaren antworten kann dieser aufsatz nur eine<br />

Reihe von abschließenden Bemerkungen und vorschlägen<br />

anbieten:<br />

1) auch wenn wir davon ausgehen, dass die wahrnehmung<br />

israels in Österreich stark von der geschichte<br />

des europäischen Judentums und des genozids<br />

an den europäischen Juden beeinflusst ist,<br />

ist eine ausstellung über israel wahrscheinlich der<br />

am wenigsten geeignete ort, um die geschichte des<br />

antisemitismus anzusprechen. Das geschieht wohl<br />

besser in museen, die den Besuchern anregungen<br />

geben, wie sie über Diversität in ihrem eigenen Umfeld<br />

nachdenken können. 1 Das Ziel sollte darin bestehen,<br />

den perfekten Raum für österreichische<br />

wahrnehmungen zu bieten, der den Besuchern erlaubt,<br />

die interventionen der künstler zu verstehen<br />

– und nicht darin, kunstwerke über palästinensische<br />

und israelische Politik und lebensrealität<br />

dazu zu verwenden, erneut über österreichische<br />

geschichte nachzudenken.<br />

2) weiters können wir lediglich vermuten, dass die<br />

geschichte des österreichischen antisemitismus<br />

für die wahrnehmung der Besucher relevant ist,<br />

unter der annahme, dass der typische Besucher<br />

ein geborener Österreicher ohne migrationshintergrund<br />

ist und seine familiengeschichte möglicherweise<br />

einen Bezug zu naziverbrechen aufweist.<br />

32 OVERLAPPING VOICES<br />

Die Besucher von kunstausstellungen können jedoch<br />

unterschiedlicher herkunft sein, was es problematisch<br />

erscheinen lässt, wenn ausstellungsmacher<br />

von einem typischen oder idealbesucher<br />

ausgehen. Der oben vorgeschlagene „Reflexionsraum“<br />

wäre daher am sinnvollsten, wenn er von<br />

den kunstvermittlern des museums im Dialog mit<br />

tatsächlichen Besuchern geschaffen würde.<br />

3) wer in Österreich veranstaltungen über israel<br />

oder Palästina organisiert, nimmt gemeinhin an,<br />

dass eine Diskussion dann erfolgreich war, wenn<br />

niemand einen unangebrachten Bezug zum nationalsozialismus<br />

hergestellt hat. es besteht selbstverständlich<br />

die gefahr, dass vergleiche letztlich<br />

auf eine gleichsetzung der Politik der nazis und<br />

jener der israelis hinauslaufen. naive vergleiche<br />

sind nicht nur unangemessen im österreichischen<br />

kontext; sie sind auch problematisch für den politischen<br />

aktivismus von Palästinensern und israelis.<br />

sie reduzieren die israelischen und palästinensischen<br />

stimmen auf vertreter von schulddiskursen,<br />

statt sich mit den vorgebrachten argumenten<br />

auseinanderzusetzen.<br />

gleichzeitig würde ich vorschlagen, sich weniger<br />

davor zu fürchten, dass der israelisch-arabische<br />

konflikt und die Besetzung für Projektionen benützt<br />

werden könnten. Darstellungen von gewalt<br />

und ethisch verwerflichem verhalten einer gemeinschaft<br />

(auch wenn sie in einem kunstwerk nur angedeutet<br />

sind) lassen sich immer auf vielfache<br />

weise interpretieren und laden den Betrachter zu<br />

eigenen gedanken ein. Der versuch, den Betrachtern<br />

von vorneherein mit hilfe eines offiziellen<br />

statements vorzuschreiben, wie die kunst zu sehen<br />

sei, ist sinnlos und unproduktiv. wenn vermittler<br />

mit schulklassen versuchen würden, jeden vergleich<br />

zwischen der deutschen wehrmacht und israelischen<br />

soldaten zu unterbinden, indem sie diesen<br />

vergleich zum tabu erklären, würde das<br />

lediglich jede produktive Debatte abtöten. Das<br />

emanzipatorische Potenzial einer solchen ausstellung<br />

profitiert nicht davon, wenn dem Betrachter<br />

moralische Regeln über die richtige Rezeption der<br />

werke vorgeschrieben werden.<br />

in Österreich wird das interesse an der palästinensischen<br />

und israelischen Politik immer von der österreichischen<br />

– und ganz allgemein von der europäischen<br />

– vergangenheit beeinflusst. Die produktivste<br />

art, mit dieser tendenz umzugehen, ist es, das Risiko<br />

nicht zu scheuen und provokante und peinliche<br />

statements als gelegenheit anzusehen, neue<br />

sichtweisen auf israelis und Palästinenser zu entwickeln.<br />

es ist die aufgabe von kuratoren, solche<br />

Debatten zu erlauben, und die aufgabe von kunstvermittlern,<br />

sie zu fördern und produktiv zu gestalten<br />

– lieber abgestimmt auf tatsächliche Besucher<br />

als auf imaginäre und stereotype Österreicher, deren<br />

vorurteile wir einfach als gegeben annehmen.<br />

ein weg für kunstvermittler, fruchtbare Diskussionen<br />

zu fördern, liegt darin, andere Rezeptionsmodelle<br />

anzubieten; beispielsweise indem beschrieben<br />

wird, welche art von Rezeption eine<br />

arbeit in einem israelischen oder palästinensischen<br />

kontext hatte oder gehabt haben könnte. es muss<br />

darauf aufmerksam gemacht werden, dass die<br />

werke darauf abzielen, simplifizierte annahmen<br />

über identitäten, stimmen und Darstellungen zu<br />

hinterfragen. Das bedeutet nicht, dass es keine<br />

Rezeptionsethik gibt. Personen, die durch die ausstellung<br />

führen, sollten zum Beispiel durchaus ihr<br />

missfallen über unangebrachte Bemerkungen zum<br />

ausdruck bringen. nichtsdestoweniger sollte das<br />

hauptziel nicht sein, Peinlichkeiten auf ein minimum<br />

zu beschränken, sondern konstruktiv damit<br />

umzugehen.<br />

alexander ari Joskowicz lehrt europäische geschichte an der University<br />

of mississippi. er arbeitet momentan zum antiklerikalismus<br />

deutscher und französischer Juden im kontext der „kulturkämpfe“<br />

zwischen liberalen und der katholischen kirche seit der<br />

aufklärung.<br />

1 Zum thema museumspädagogik siehe Richard sandell,<br />

„museums, Prejudice and the Reframing of Difference“,<br />

london 2007.

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