katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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schreibt weiss, dass stücke der Berliner mauer<br />
letztendlich um gutes geld verkauft wurden, sobald<br />
das Bauwerk seine kontrollfunktion verloren<br />
hatte. laut weiss wird der israelischen mauer sicher<br />
ein ähnliches schicksal beschieden sein, und<br />
teile davon werden bald zu begehrten souvenirs<br />
werden. er offeriert ein besonderes schnäppchen<br />
für frühentschlossene, die sich bereits jetzt ihr<br />
stück von der mauer sichern wollen.<br />
im israelischen kontext ist die arbeit von weiss<br />
eine intervention. Die interpretation seiner arbeiten<br />
im land selbst basiert immer darauf, dass die<br />
Betrachter die israelische mauer und die Realität,<br />
für die sie steht, schon kennen. wir sollten uns<br />
nicht so sehr darüber gedanken machen, dass einzelne<br />
Betrachter in Österreich oder anderswo in<br />
europa die tatsache übersehen könnten, dass<br />
weiss ironisch spricht. wichtiger ist, dass sogar<br />
jene europäischen Betrachter, die die arbeit als<br />
ironischen kommentar verstehen, beim verweis<br />
auf die weniger bekannte mauer in israel an die<br />
bekanntere Berliner mauer denken werden. wenn<br />
sich umsichtige österreichische Betrachter die arbeit<br />
von weiss mit dem Ziel anschauen, die mauer<br />
in israel zu verstehen, ihre konsequenzen und ihre<br />
politische Bedeutung, dann tun sie das unvermeidlich<br />
beeinflusst davon, was sie über die Berliner<br />
mauer wissen. Die arbeit von weiss wird für jene,<br />
die mit der geschichte der israelischen mauer<br />
nicht vertraut sind, eine größtenteils pädagogische<br />
funktion haben.<br />
kurz gesagt: Der Unterschied ist, dass in israel die<br />
kunst hauptsächlich in einem kontext interveniert,<br />
während sie in Österreich auch erklärt. Damit erhebt<br />
sich die frage: würde der zusätzliche pädagogische<br />
wert, der sich daraus ergibt, dass politische kunst<br />
verpflanzt und in einer gruppenausstellung im ausland<br />
gezeigt wird, nicht verlangen, dass sich die kuratoren<br />
auch mit dieser ebene irgendwie auseinan-<br />
dersetzen?<br />
ein lösungsweg könnte die schaffung eines getrennten<br />
Raums sein, der den informationsbedarf<br />
der Besucher stillt und über den kontext der ausgestellten<br />
kunst auskunft gibt. Dabei geht es nicht<br />
darum, einzelne kunstwerke zu erklären – beispielsweise<br />
ein hinweisschild aufzustellen, das erläutert,<br />
wie die installation von weiss zu lesen ist.<br />
sondern darum, durch ein zusätzliches informationsangebot<br />
die kunst von der funktion des lehrmittels<br />
zu befreien, für die sie nicht recht taugt. im<br />
essl museum werden in einem separaten Raum<br />
informationen über aspekte wie die geschichte<br />
der vom staat israel gebauten mauer oder ein glossar<br />
bereitgestellt, und – dieser ansatz lässt den<br />
kunstwerken mehr Raum, ihre eigene autonome<br />
sprache zu entwickeln.<br />
Zugleich hat ein solches arrangement den nachteil,<br />
dass kunst- und informationsteil miteinander<br />
konkurrieren könnten. schließlich können information<br />
und hintergrund kaum neutral bleiben. sowohl<br />
die ausgestellten kunstwerke als auch die in-<br />
formationen sind politische interventionen. für<br />
dieses Problem gibt es keine einfache lösung.<br />
Bestenfalls sollte der informationsteil darauf abzielen,<br />
den kontext der verschiedenen kunstwerke<br />
auf flexible art zu erklären, indem er die politischen<br />
Debatten, auf die verwiesen wird, in einen historischen<br />
Bezugsrahmen stellt. anstatt offen politische<br />
erklärungen zur gebauten mauer abzugeben,<br />
sollte er die geschichte der Diskussion über<br />
dieses Projekt aufzeigen, einschließlich der geschichte<br />
der darin verwendeten terminologie (wie<br />
z. B. „apartheid wall“, „security barrier“ und „separation<br />
fence“), sowie gegensätzlicher argumente<br />
zur legitimität der mauer und ihrer konsequenzen<br />
für das leben von Palästinensern und israelis. es<br />
geht hier weder darum eine art politischer objektivität<br />
zu behaupten, noch darum kunstwerke vor<br />
kuratorischen eingriffen zu schützen, um ihre vermeintliche<br />
authentizität zu bewahren. vielmehr ist<br />
das Ziel, sie nicht auf die bloße illustration einer<br />
programmatischen erklärung anderer autoren zu<br />
reduzieren. was für einen sinn hätte es, eine komplexe<br />
arbeit wie jene von Yoav weiss zu zeigen,<br />
wenn daneben eine lange abhandlung (oder sogar<br />
eine politische erklärung) der kuratoren über<br />
ihre ablehnung der mauer zu finden wäre?<br />
Seltsame Bedeutungen, seltsame<br />
Bundesgenossen<br />
ein zweiter Problemkreis erschließt sich, wenn die<br />
Besucher ein kunstwerk zwar nicht als ausgangspunkt<br />
für eine erklärung, sondern als intervention<br />
ansehen – aber als eine intervention, die themen<br />
anspricht, die israelischen oder palästinensischen<br />
Betrachtern nicht in den sinn kommen würden.<br />
Der kern dieses Problems liegt darin, dass die politische<br />
Botschaft der ausgestellten kunstwerke ursprünglich<br />
oft nicht an ein österreichisches Publikum<br />
gerichtet war. arbeiten wie die Dokumentation<br />
von tal adler über die nicht anerkannten Beduinendörfer<br />
könnten als interventionen in mehreren<br />
kontexten gesehen werden. adler verwendet eine<br />
sprache, die dem Publikum in tel aviv genauso<br />
zugänglich ist wie dem Publikum in london oder<br />
wien. Und doch versucht er nicht, gegenwärtige<br />
österreichische Bilder von israelis, Juden, Palästinensern<br />
und Beduinen zu hinterfragen, die von<br />
der österreichischen geschichte kollektiver antijüdischer<br />
gewalt, den Debatten zur schuld am genozid<br />
und vom antisemitismus beeinflusst<br />
werden.<br />
sogar die auswahl der kuratoren und die organisation<br />
der ausstellung haben in Österreich eine<br />
andere Bedeutung als innerhalb der israelischen<br />
und palästinensischen gesellschaft. Die tatsache<br />
allein, dass ein jüdischer israeli und eine Palästinenserin<br />
als kuratoren fungieren, sowie die tatsache,<br />
dass die arbeiten von palästinensischen und<br />
israelischen künstlern seite an seite gezeigt werden,<br />
ist ein statement gegen jene, die einer solchen<br />
Bündnisbildung feindlich gegenüberstehen.<br />
für die israelis und Palästinenser kann dies als<br />
Beleg für die möglichkeit eines gemeinsamen<br />
kampfes gegen die Besetzung dienen. Das muss<br />
jedoch nicht die primäre interpretation in Österreich<br />
sein. in Österreich könnte die tatsache, dass<br />
kuratoren und künstler paritätisch von „beiden<br />
seiten“ kommen, das trügerische gefühl verstärken,<br />
dass die Österreicher als unbeteiligte Dritte<br />
auftreten könnten. auch wenn beide kuratoren in<br />
ihrem widerstand gegen die israelische Besetzung<br />
eine gemeinsame sicht haben, gibt es immer noch<br />
das gefühl, dass allein weil beide identitäten präsent<br />
sind, die Österreicher zu so etwas wie neutralen<br />
vermittlern werden; eine Rolle, für die sie,<br />
wie oben beschrieben, in diesem fall schlecht gerüstet<br />
sind.<br />
Die frage ist, wie eine ausstellung mit der tatsache<br />
umgehen soll, dass die österreichischen medien<br />
die israelis und damit auch die Palästinenser<br />
immer durch die Brille der österreichischen vergangenheit<br />
sehen. vielleicht ist in diesem fall die<br />
metapher der Brille auch zu schwach: es geht<br />
nicht um eine fehlerhafte lesart, sondern um Projektion.<br />
Politische kunst aus israel/Palästina kann<br />
eine chance zur auseinandersetzung mit historischen<br />
themen darstellen, die nicht immer offen<br />
angesprochen werden. Die Diskussion bei einem<br />
jüngst in wien abgehaltenen israelischen filmfestival<br />
kann als Beispiel dafür dienen. nach der vorführung<br />
eines films über eine liebesaffäre zwischen<br />
zwei frauen in der israelischen armee boten<br />
die veranstalter den Zusehern die gelegenheit, den<br />
film mit dem Regisseur zu diskutieren. in der Diskussion<br />
erwähnte eine österreichische frau im Publikum<br />
den selbstmord ihres großvaters, der in der<br />
wehrmacht gekämpft hatte. ein anderes mitglied<br />
des Publikums beschuldigte sie daraufhin des faschismus.<br />
innerhalb von minuten hatte sich die<br />
Diskussion von einem gespräch über sexuelle<br />
identitäten in israel auf einen polemischen austausch<br />
über die österreichische Beteiligung an den<br />
nazikriegsverbrechen verlagert. Der film wurde<br />
nicht missverstanden. er wurde nur zum anlass<br />
für eine vollkommen andere Debatte.<br />
im oben beschriebenen kontext hat jede Beschäftigung<br />
mit israelischer Politik – besonders wenn es<br />
um die missachtung von menschenrechten geht,<br />
wie in der Dokumentation von tal adler über nicht<br />
anerkannte Beduinendörfer – das Potenzial, zu einer<br />
wiederaufnahme der Diskussion über die kollektive<br />
österreichische geschichte und die familiengeschichte<br />
einzelner Österreicher zu führen.<br />
teil des argumentes für die veranstaltung dieser<br />
ausstellung über israelische und palästinensische<br />
politische kunst war die tatsache, dass es spannend<br />
ist zu sehen, wie eine solche Debatte in Österreich<br />
funktioniert. leider haben die Umstände<br />
auch das Potenzial, sich hinderlich auf eine Rezeption<br />
auszuwirken, die einen differenzierten<br />
Blick auf die israelische und palästinensische Politik<br />
und ihre konflikte erlauben würde. eine auf-<br />
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