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katalog-overlapping voices - Ritesinstitute

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40<br />

MEINUNG<br />

Die Realität ist extrem, nicht meine Ideen!<br />

Dürfen Israelis im Ausland Israel<br />

kritisieren? Offener Brief des Künstlers<br />

Tal Adler an den israelischen<br />

Botschafter Dan Ashbel zur Schau<br />

„Overlapping Voices“ im Essl Museum.<br />

S<br />

Plus<br />

und Minus<br />

E M a i l EGYD GSTÄTTNER<br />

S<br />

ehr geehrter Herr Botschafter, ich bedanke<br />

mich für das Gespräch, es be-<br />

deutete mir viel, und ich möchte ei-<br />

nige Gedanken dazu mit Ihnen teilen.<br />

Als Künstler schätzte ich von Anfang an<br />

die öffentliche Dimension von Kunst. Mit<br />

der Zeit entwickelte ich auch eine tiefere<br />

Einsicht in die israelische politische Realität.<br />

Ich begann, meinen Platz als Teil einer<br />

Gemeinschaft zu begreifen, die sich aus<br />

den vielfältigsten Persönlichkeiten und<br />

Gruppen aus Israel und dem Ausland zusammensetzt.<br />

Gemeinsam ist ihnen das<br />

dringende Bedürfnis nach sozialer Veränderung.<br />

Anwälte, Filmemacher, Lehrer,<br />

Physiker, Journalisten, Sozialarbeiter,<br />

Künstler – alle machen sie von ihren Qualifikationen,<br />

Professionen und oft Ressourcen<br />

Gebrauch, um sich für Menschen- und<br />

Bürgerrechte, soziale Gerechtigkeit, den<br />

Widerstand gegen Okkupation und Diskriminierung,<br />

für Solidarität und Demokratie<br />

einzusetzen.<br />

Mein Leben als Israeli<br />

Immer noch stoße ich auf Ressentiments<br />

oder Geringachtung, wenn ich die Kunst<br />

als konkrete sozial-politische Handlung<br />

verstehe. Je differenzierter mein politisches<br />

Verständnis, je klarer meine politischen<br />

Aussagen wurden, um so mehr wurden<br />

meine Positionen von der israelischen<br />

Mehrheitsgesellschaft als „extrem“ interpretiert.<br />

Positionen, die sich aus den Idealen<br />

der Gleichheit und Freiheit aller Menschen<br />

ableiten; der Wunsch nach einer<br />

harmonischen und friedlichen Existenz,<br />

ohne Rassismus oder Diskriminierung –<br />

aus irgendeinem Grund hat es sich so entwickelt,<br />

dass dies alles in unserer Realität<br />

als „extrem“ angesehen wird. So wurde ich<br />

chweiz. Entdecke das Plus“, steht auf<br />

dem Bus, der uns, Rosa und mich, in<br />

Genf zum Flughafengebäude bringt.<br />

Faszinierend, wie unsere westlichen Nachbarn<br />

metaphorisch das Allerletzte aus ihrer<br />

Flagge holen. Auf die österreichische übertragen<br />

müsste es analog heißen: „Österreich.<br />

Entdecke das Minus.“ Gar so schwer<br />

zu finden ist es ja nicht, so breit und fett,<br />

wie es zwischen den beiden roten Balken<br />

liegt. Und da entdecke ich am Kiosk auch<br />

schon eine Zeitung mit der Schlagzeile „Le<br />

monstre d’Amstetten!“ Mon dieu! Immer<br />

dieser widerliche Kerl<br />

und seine Das-Gesetzbin-ich-Visage!<br />

Was<br />

hatten wir Österreicher<br />

im Ausland schon alles<br />

zu leiden: Hitler! Haider!<br />

Waldheim! Dazu noch Unterweger,<br />

Fuchs und Prikopil. Und jetzt dieser ungenierte<br />

Privatkerkermeister und Lustverbrecher.<br />

Wenigstens haben wir den nicht gewählt.<br />

Und wen haben die Schweizer? Gerade<br />

mal Blocher. Lächerlich! Dort Freud –<br />

hier Jung. Da sind natürlich auch die Triebverbrechen<br />

nicht ganz so spektakulär. Bei<br />

der Gelegenheit fällt mir ein: Der österreichische<br />

Teamchef stammt – aus Amstetten!<br />

Aber Hickersberger ist ein ganz, ganz netter<br />

Mensch. Man hat ihn seinerzeit extra aus<br />

der Trainerkollektion „Köbi Kuhn“ genommen.<br />

Amstetten braucht dringend einen<br />

guten Menschen, und Hickersberger steht<br />

lokal zusätzlich mächtig unter Druck.<br />

In der Straßenbahn säuselt eine sanfte<br />

Frauenstimme: Broschänäräh! Broschänäräh!<br />

Immer wieder Broschänäräh. Bald aber<br />

ist Rosa hinter das Geheimnis gekommen:<br />

Prochain arrêt! Bien! Aber wo aussteigen?<br />

Wo umsteigen? Nirgendwo ist auf das Stadion<br />

hingewiesen! Das Ramada Encore Hotel<br />

liegt direkt im Stadionareal, ist baulich<br />

an das Oval angeschlossen und dient als<br />

Verbindungsglied zum Einkaufscenter auf<br />

der anderen Seite. Ob es eine Möglichkeit<br />

„In Genève wird zwar die<br />

Schweizer Gruppe gespielt, aber<br />

ohne Schweiz. Symbolträchtig.“<br />

„Der Wunsch nach Freiheit, Gleichheit, Menschenrechten – dies alles wird in unserer Realität als ,extrem‘ angesehen.“ [Clemens Fabry]<br />

als „linksextrem“ definiert und hielt mich<br />

doch selbst nie für einen Extremisten.<br />

Langsam begriff ich: Die Realität um<br />

mich herum ist extrem, nicht meine Ideen.<br />

In den vergangenen Jahren nahm ich an<br />

verschiedenen Ausstellungen und Events<br />

außerhalb Israels teil. Ich bemerkte das Interesse<br />

nicht nur an meiner Kunst, sondern<br />

auch an meinem Leben als Israeli. Ich ließ<br />

mich dazu hinreißen, die Israelis zu vertreten,<br />

die Juden, die Zionisten, die Beduinen,<br />

die Armee, die Linken. Allmählich bemerkte<br />

ich, dass auch ich ein Botschafter wurde.<br />

Bei unserem Treffen baten Sie mich, Ihnen<br />

mehr über die Gruppenausstellung<br />

im Essl Museum zu erzählen. Ich berichtete<br />

Ihnen über unsere kuratorischen Entscheidungen<br />

und meine eigene künstlerische<br />

Arbeit, die ebenfalls ausgestellt wird;<br />

das Projekt „Unrecognized“ („nicht anerkannt“),<br />

das die Geschichte der Beduinen<br />

gäbe, ins Innere zu kommen, fragen wir den<br />

Rezeptionisten. Er winkt ab. But we came<br />

from Vienna by plane, especially for this<br />

reason! Der Rezeptionist denkt nach, blickt<br />

sich argwöhnisch um, dann gibt er uns ein<br />

Zeichen: Follow me! Das Hotel hat mehrere<br />

Konferenzsäle. Einer davon hat eine riesige<br />

Panoramaglaswand und ist in den VIP-Bereich<br />

des Stadions hineingebaut. Hier dürfen<br />

wir uns ausnahmsweise umsehen und<br />

auch ein paar Erinnerungsfotos schießen.<br />

Ich bin ein wenig stolz. Letzte Woche hat<br />

mir ein Redakteur des Bayerischen Rund-<br />

funks erzählt, ihm sei es<br />

nicht gestattet worden,<br />

auch nur kurz ins Innere<br />

des Stadions zu<br />

kommen und ein paar<br />

Sekunden zu drehen.<br />

Und das trotz der Genfer Freundlichkeitskurse.<br />

(Say: „Swiss!“ Say: „Cheese!“) Die<br />

Stühle werden wahrscheinlich noch frisch<br />

gestrichen, meint der Rezeptionist.<br />

Naturgemäß hat die französische<br />

Schweiz viel von Frankreich, wie Frankreich<br />

viel von seinen ehemaligen Kolonien hat. In<br />

Genève wird zwar die Schweizer Gruppe<br />

gespielt, aber ohne Schweiz. Das ist durchaus<br />

symbolträchtig. Wir bedanken uns<br />

beim Rezeptionisten und fragen: „What do<br />

you think? Will the Swiss team succeed?“ –<br />

„I don’t know! I’m Portuguese!“<br />

Von Genf nach Basel fährt man wie aus<br />

einem Land ins andere: Von Nichtganzfrankreich<br />

nach Nichtganzdeutschland. An<br />

der Zuginnenwand fragt Rousseau über<br />

dem Fenster: Heureux, mon jeune ami, le<br />

pays où l’on n’a pas besoin d’aller chercher<br />

la paix dans un désert! Mais où est ce pays?<br />

Nachdenklich rasen wir an Nyon vorbei, an<br />

Neuchâtel und Biel, Moutier und Delémont.<br />

Großes Lob der SBB! In der ÖBB habe ich<br />

noch keinerlei Innenwandliteratur bemerkt.<br />

·······································································<br />

Der Klagenfurter Autor schickt bis zur Fußball-Europameisterschaft<br />

im Juni jeden Donnerstag ein EMail.<br />

·······································································<br />

im Negev erzählt – eine schwache, diskriminierte<br />

Gemeinschaft, deren Lebensrealität<br />

sich, ignoriert von der offiziellen Politik,<br />

auf eine soziale Katastrophe hinentwickelt.<br />

Sie sagten mir, hätten Sie die Ausstellung<br />

in Israel besucht, hätten Sie vielleicht an<br />

meiner Seite dafür gestritten; doch eine<br />

solche Arbeit solle nicht außerhalb von Israel<br />

gezeigt werden. Projekte wie meines<br />

würden, aufgrund des unterschwelligen<br />

Antisemitismus und der mangelnden Fähigkeit<br />

des europäischen Publikums, die<br />

Prozesse in Israel zu verstehen, zu einer falschen,<br />

weil simplifizierenden und dichotomen<br />

Vorstellung von der israelischen Realität<br />

ermutigen. Oberflächlich interpretiert,<br />

könnten solche Projekte gefährliche Meinungen<br />

mit antisemitischem Hintergrund<br />

legitimieren.<br />

Sie zeigten sich enttäuscht über die kuratorische<br />

Auswahl und das Versäumnis der<br />

Ausstellung, ein ausgewogenes Bild der israelischen<br />

Gesellschaft zu zeigen, darüber,<br />

dass die Schau vor allem das palästinensische<br />

Narrativ betone und Lösungen anbiete,<br />

die das Existenzrecht Israels als jüdischer<br />

Staat untergraben.<br />

Warum ich im Ausland ausstelle<br />

Ich stimme Ihnen zu, dass die Menschen in<br />

Europa die Lebenswirklichkeit in Israel<br />

nicht genau verstehen. Auch ich, als Israeli,<br />

maße mir nicht an, die Lebensrealität in<br />

anderen Orten der Welt vollkommen zu<br />

verstehen. Sollte mich das aber davon abhalten,<br />

über die Geschichte des Konfliktes<br />

in Nordirland zu lernen, die Umweltschutzbewegung<br />

in Island oder die Not der<br />

Roma und Sinti in Österreich?<br />

Ich weiß: Dass Israels diskriminierende<br />

Politik wahrgenommen, Israel als Aggressor<br />

gezeigt wird, dient einigen als Entschuldigung<br />

für Österreichs Nazivergangenheit<br />

und zur Rechtfertigung antisemitischer<br />

Ideen. Aber wird dies dadurch gelöst,<br />

dass die kreative Arbeit jener Autoren, Forscher<br />

oder Studenten, die sich mit politischer<br />

Kritik beschäftigen, auf ihre nationalstaatlichen<br />

Grenzen beschränkt wird?<br />

Ich stimme ebenso Ihrem Statement bezüglich<br />

unseres Versäumnisses zu, ein ausgewogenes<br />

Bild der israelischen Gesellschaft<br />

zu zeichnen. Ich bezweifle jedoch,<br />

dass uns dies möglich gewesen wäre, selbst<br />

wenn wir es versucht hätten. Wir leben<br />

und operieren immer noch in einem ganz<br />

konkreten ideologischen Umfeld. Dieses<br />

prägt unseren Blick auf die Kunstwerke, die<br />

wir uns im Zuge unseres kuratorischen<br />

Auswahlprozesses angesehen haben.<br />

Auch ist es notwendig, zu betonen, dass<br />

der Staat Israel selbst ebenfalls zu simplifizierenden<br />

und dichotomen Wahrnehmungen<br />

dieses Staates ermutigt – sowohl bezüglich<br />

seiner Staatsbürger als auch im<br />

Ausland. Gerade solch eine polarisierende<br />

Darstellung verpflichtet zu erhöhter Wachsamkeit<br />

gegenüber Versuchen, jene Stimmen<br />

einzuschränken, die bemüht sind, die<br />

Erzählungen der marginalisierten Gesellschaftsteile<br />

zu erfahren und zu Gehör zu<br />

bringen.<br />

Ich nehme Ihren Vorschlag, meine Arbeit<br />

nur innerhalb der Grenzen Israels zu<br />

zeigen, nicht an. Und doch – ich stelle mir<br />

vor, die meisten der Kultur- und Kunstzentren<br />

in Israel wären daran interessiert, unseren<br />

Bemühungen zu folgen; wenn die is-<br />

Donnerstag, 15. Mai 2008<br />

GASTKOMMENTAR VON TAL ADLER<br />

raelische Gesellschaft und ihre Führungskräfte<br />

Änderungsvorschläge mehr akzeptieren<br />

würden, die Versuche, die Dinge von<br />

innen her zu verbessern, erfolgreicher wären<br />

– ich glaube, dann würde ich mich<br />

nicht mit dieser Frage beschäftigen.<br />

Vielleicht, so wird mir manchmal vorgeworfen,<br />

wende ich mich nur nach außen,<br />

um Aufmerksamkeit und Unterstützung zu<br />

bekommen. Vielleicht ist meine Tätigkeit<br />

im Ausland aber eine vorsätzliche Strategie.<br />

Gewählt aufgrund des Glaubens an die<br />

Fähigkeit der internationalen Gemeinschaft,<br />

die israelische Politik zu beeinflussen<br />

und bei den schwierigen Veränderungsprozessen<br />

mitzuhelfen. Gewählt vielleicht<br />

auch aufgrund der historisch bedingten<br />

Verantwortung Europas.<br />

Ironischerweise dient mein Handeln<br />

vielleicht sogar Ihren Zwecken. Wenn<br />

Staatsbürger frei heraus offene, oft scharfe<br />

BRIEF UND GEGENBRIEF<br />

Der offene Brief Tal Adlers an den<br />

israelischen Botschafter in Österreich Dan<br />

Ashbel sowie dessen Entgegnung (S. 41)<br />

entstanden nach einem persönlichen<br />

Gespräch zwischen den beiden im Vorfeld<br />

der Schau „Overlapping Voices“ im Essl<br />

Museum, Klosterneuburg. Von 16. 5. bis<br />

26. 10. sind Werke israelischer und<br />

palästinensischer Künstler zu sehen. Tal<br />

Adler, geb. 1969 in Jerusalem, ist Künstler<br />

und Co-Kurator der Ausstellung.<br />

Kritik an der Regierungspolitik ihres Landes<br />

üben können, entsteht der Eindruck<br />

eines eher offenen und demokratischen<br />

Staates. Vielleicht können (zumindest in<br />

meiner anmaßenden Fantasie) solche Projekte<br />

sogar als Beispiel dienen. Anstatt<br />

Kommentare zum „Nahen Osten“ abzugeben<br />

und darüber zu diskutieren, wird das<br />

internationale Publikum vielleicht seinen<br />

Blick auch nach innen richten, auf seine eigenen<br />

Gesellschaften, auf die eigenen verborgenen<br />

Geschichten von Rassismus, Geringschätzung<br />

anderer und der Verschanzung<br />

hinter Selbstgerechtigkeit.<br />

Vielleicht kann die Kunst Sie überzeugen<br />

Und so, aus einer gewissen Kollegialität heraus,<br />

von einem Botschafter zum anderen,<br />

möchte ich gerne eine weitere Fantasie mit<br />

Ihnen teilen. Vielleicht wird es den Kunstwerken<br />

hier gelingen, auch Sie anzusprechen:<br />

Sie, einen offiziellen Repräsentanten<br />

und Staatsbürger des Staates Israel, zu<br />

überzeugen, der Gemeinschaft, die ich<br />

oben beschrieben habe, beizutreten.<br />

Der Gemeinschaft jener, die sich hauptberuflich<br />

mit dem Streben nach sozialer<br />

Gerechtigkeit, wirklicher Gleichheit und<br />

Solidarität beschäftigen. Vielleicht würden<br />

Sie es dann auch für richtig halten, Ihre<br />

Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen – Büros,<br />

Angestellte, politische Kontakte –, um<br />

uns in unserer Überzeugungsarbeit zu helfen,<br />

vielleicht würden dann auch Sie der<br />

Bewegung jener Bürger folgen, die versuchen,<br />

den Platz, in dem sie leben, zu einem<br />

besseren zu machen – zum Wohle ALLER<br />

seiner Bürger.

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