katalog-overlapping voices - Ritesinstitute
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Brief an den Botschafter<br />
tal adler<br />
an den Botschafter des staates israel in wien Jerusalem, 29/4/2008<br />
Sehr geehrter Herr Botschafter,<br />
Danke für ihre Zeit und das treffen in ihrem Büro, danke für das gespräch und das interesse an der<br />
ausstellung. ich habe normalerweise nicht die möglichkeit mit einem staatsrepräsentanten zu sprechen,<br />
schon gar nicht in einer entspannten, persönlichen situation. Unser gespräch bedeutete mir viel<br />
und ich möchte einige gedanken dazu mit ihnen teilen. Dieser Brief wird ebenso in dem <strong>katalog</strong> zur<br />
ausstellung ><strong>overlapping</strong> <strong>voices</strong>< im essl museum in Österreich veröffentlicht, in der ich sowohl als<br />
co-kurator als auch als einer der teilnehmenden künstler mitwirke.<br />
als künstler schätzte ich von anfang an die Qualitäten, die in der öffentlichen Dimension von kunst<br />
liegen.<br />
sowohl die offiziellen großen kunstinstitutionen als auch die kleinen, alternativen, improvisierten kunsträume<br />
sehe ich dabei als möglichkeiten für einen Diskurs zwischen künstlern und Öffentlichkeit. in<br />
dem moment, da jemand seine kunst präsentiert, eröffnen sich ihm vielfältige kanäle der kommunikation:<br />
interviews und Zeitungsartikel, fernsehbeiträge oder web-Plattformen; es entsteht ein interesse<br />
an den verschiedenen Publikationen eines künstlers, seinem internetauftritt, seinen aktivitäten und<br />
seinem leben. ich erforsche verschiedene instrumente dieses öffentlichen Diskurses wie Posteraktionen,<br />
Postwurfsendungen, werbe gags, wahlkämpfe, vorträge, kuratoren Jobs, <strong>katalog</strong>texte, oder auch<br />
einen Brief an den Botschafter.<br />
mit der Zeit entwickelte ich auch ein komplexeres verständnis der israelischen politischen Realität, eine<br />
tiefere einsicht in die verschiedenen geschichten und spannungen innerhalb und zwischen den einzelnen<br />
gesellschaften in israel. aus neugier erweitere ich meinen horizont und entdeckte noch mehr<br />
komplexität, mehr erzählungen, mehr widersprüche und unglücklicherweise auch mehr Unrecht und<br />
Diskriminierung. aus schmerz und frustration heraus entstand mein Bedürfnis, andere einzubeziehen<br />
– und dafür waren für mich die öffentlichen Räume der kunst gut geeignet.<br />
allmählich begann ich, gemeinsam mit kollegen und freunden, meinen Platz als teil einer gemeinschaft<br />
zu begreifen, die sich aus den vielfältigsten Persönlichkeiten und gruppen aus israel und dem<br />
ausland zusammensetzt. alle kommen von unterschiedlichen biografischen und professionellen hintergründen,<br />
gemeinsam ist ihnen das verständnis für den dringenden Bedarf an sozialer veränderung<br />
– und nicht nur das, sie machen sich all ihre fähigkeiten zunutze, um dieses Ziel voran zu treiben. mitglieder<br />
dieser gemeinschaft machen von ihren Qualifikationen, Professionen und in vielen fällen auch<br />
von ihren Ressourcen gebrauch, um sich für die werte der gleichheit, der menschen- und Bürgerrechte,<br />
für soziale gerechtigkeit, Umweltschutz, den widerstand gegen okkupation und Diskriminierung,<br />
für solidarität und Demokratie einzusetzen. Und so findet man unter ihnen anwälte, filmemacher,<br />
lehrer, studenten, forscher, Physiker und therapeuten, Journalisten und sozialarbeiter, Designer<br />
und künstler – alle verwenden ihre kapazitäten um einen gesellschaftlichen wandel herbeizuführen.<br />
immer noch stoße ich auf erstaunen, Ressentiments oder geringachtung, wenn ich die kunst als konkrete<br />
sozial-politische handlung verstehe. immer noch gilt eine Paarung zwischen der Kunst – welche<br />
doch angeblich reinen Umgang mit dem erhabenen, dem Ästhetischen oder dem philosophischen Diskurs<br />
pflegen sollte – und der aktivistischen herangehensweise in form einer konkreten aktion oder der<br />
in form der auseinandersetzung mit den ganz einfachen angelegenheiten des lokalen, sozialen oder<br />
Politsichen, als öbszön und minderwertig.<br />
Je differenzierter mein politisches verständnis und je klarer meine politischen aussagen wurden, um<br />
so mehr wurden meine Positionen von der israelischen mehrheits-gesellschaft als „extrem“ interpretiert.<br />
Positionen, die sich aus den einfachen und ohnehin etablierten idealen der gleichheit und freiheit<br />
aller menschen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen oder sozialen<br />
gruppe, ableiten; der wunsch nach einer harmonischen und friedlichen existenz, ohne menschen<br />
oder der natur schaden zuzufügen, ohne Rassismus oder Diskriminierung, ... aus irgend einem grund<br />
18 OVERLAPPING VOICES